Bekenntnisse

[65] Was innerlich Du bist und hast,

Nach außen wird sich's frei bewegen,

Kein Zaudern hilft und keine Hast,

Du gehst Dir ewig selbst entgegen.

Platen.

[66]

Meine Muse

1.

Ueber jähe Freud'
Und wehes Zagen,
Ueber Seligkeit,
Verzweifeltes Wagen,
Ueber tiefes Leid
Und schweres Entsagen ...
Hat mich getragen
Deine strenge Hand
In geweihten Tagen.

[67] 2.

Ich weiß es wohl, nur Trotz und Widerspruch
Hört ihr aus jedem meiner Verse reden,
Und dieses kleine unscheinbare Buch,
Ihr werdet es verdammen und befehden.
Oh thut es nicht! ... weil ich nicht singen kann
Der Freude Lied, sollt ihr nicht fürder grollen,
Was meine Muse trauervoll ersann, –
Glaubt mir, ich hab' es oft nicht singen wollen.
Wenn ich es dennoch immer wieder sang,
So ahnte mir, daß wo an fernem Orte
Ein Qualverwandter wortlos-leidend rang,
Der seinen Aufschrei fand in meinem Worte.

[68] 3.

Denn meine Muse ist ein ernstes Weib,
Das mich nicht aufsucht, um mit mir zu scherzen,
Das nicht mit Flitter sich behängt den Leib,
Das jedes Lied holt aus geprüftem Herzen.
Wenn sie den Schleier stolz vom Haupte zieht
Und mich ihr Antlitz läßt, ihr weißes, schauen,
Dann fühle jäh ich, wie die Freude flieht,
Und meine Seele fasset hehres Grauen.
Ich schreite stumm an ihrer Hand den Pfad,
Der tief hinabführt zu dem schwarzen Flusse,
Und lausche, wenn sie dem Gewässer naht,
Erschüttert ihrem trauervollen Gruße,
Den sie zu Hörigen der Mühsal schickt,
Die drüben an dem kahlen Ufer harren,
Von wo der Glücklose herüberblickt,
Der viel gehofft vor langen, langen Jahren.

[69] 4.

Glaubt Ihr, ich könnte doch ein frohes Lied
Hier angesichts des andern Ufers singen,
Wo Manche harren, die, als ich einst schied,
Mit bangen Blicken folgten meinem Ringen?
Die arm und niedrig – wie sie jetzt noch sind –
Einfältigen Tones treue Worte sprachen,
Und für das kleine frühverwaiste Kind
Ein Stück vom eignen kargen Brode brachen.

[70] 5.

Zuweilen tröstet mich die Muse wohl,
Sie werden langsam doch herüberschwimmen,
Sie werden endlich muth- und mühevoll
Doch dieses steile Ufer noch erklimmen.
Sie werden doch auf festen guten Grund
Noch ihre armen dürftigen Banner stellen,
Und nimmer kämpfen, hungermatt und wund,
Ihr lebelang nur gegen Wind und Wellen.
Erhobnen Hauptes weis't sie auf die Schaar,
Die durch den schwarzen Fluß der Noth geschritten
Und doch zu Jenen stehet treu und wahr,
Mit denen ehmals drüben sie gelitten ...
[71]

Gemein

1.

Zuweilen dünkt Dich: reich bin ich ja doch,
Denn immer hab' ich etwas noch zu geben,
Wer mir nur naht, er nimmt ein Stücklein noch
Aus diesem armgeplündert-dunklen Leben.
Du schauest voll Bewunderung sie an,
Die auszunützen Dich so wohl verstanden.
Noch sind sie höflich ... werden grob sie, dann
Weißt Du, daß sie zu nehmen Nichts mehr fanden.

[72] 2.

Immer fein nach der Schablone,
Immer fein in dem Geleise!
Leg' zurecht Dir Schmerz und Wonne
Nach der hergebrachten Weise.
Und kann nicht in alle Formen
Dein vertracktes Wesen passen,
Widerstrebt es dir, mit Normen,
Altgewohnt, dich zu befassen,
Ei, so lasse dich auch stutzen,
Lasse dich ein wenig blenden;
Um die Form nicht zu beschmutzen,
Laß den Inhalt lieber schänden.
Lasse langsam Dich dressiren
Zu der Alltags-Kleingeld Phrase;
Lern' gleich Anderen brilliren
Mit der hohlsten Seifenblase.
[73]
Deinen Ruhm an allen Orten
Werden sie dann singen, sagen –
Aber was aus Dir geworden,
Darfst Du selbst Dich niemals fragen.

[74] 3.

Du kämpfest nutzlos gegen jene Macht,
Die alle Worte nicht erschöpfend nennen,
Woran die Brust wir stets uns blutig rennen,
Die unsre tiefsten Schmerzen frech verlacht.
Was liebevoll der Welt Du zugebracht,
Wofür begeistert treue Herzen brennen,
Es scheitert doch ... Du wirst es noch erkennen
An des Gemeinen ewig starker Macht.

[75] Noth

All' Euer girrendes Herzeleid
Thut lange nicht so weh,
Wie Winterkälte im dünnen Kleid,
Die bloßen Füße im Schnee.
All' Eure romantische Seelennoth
Schafft nicht so herbe Pein,
Wie ohne Dach und ohne Brod
Sich betten auf einen Stein.

[76] Wisst es!

Wißt, mich betrübt die Schönheit, die ihr preist,
Ich schaue bitteres Menschenelend sprießen
Auf diesem Stern ... wie soll mein Geist
Dann seine hehre Schönheit rein genießen?
Wißt, mich betrübt die Schönheit, die ihr preist,
Denn durch des Wohllauts kunstgeformter Schöne
Klingt mir der Wehlaut, der mein Herz zerreißt,
Der Daseinsqual naturgewalt'ge Töne.

[77] Gegenüber

Dort in des Thurmes Glockenstube,
Dort tänzelt auf dem Fensterbrett
Ein blondgelockter kecker Bube
So leicht als ob er Flügel hätt'.
Er lacht und horcht dem klaren Singen
Der tiefgestimmten Glocken zu,
Hebt seine Arme hoch wie Schwingen
Und stört der Tauben Mittagsruh.
Und jetzt erblickt er mich herüben,
Winkt mit der Mütze frohen Gruß,
Zeigt, daß auf lose Steine drüben
Sich stützt sein unbeschuhter Fuß.
Ob Spielgenossen ihn erwischen,
Ob ihn der Lehrer nicht entdeckt,
Belauert sorglich er dazwischen,
Sein Auge fragt mich oft erschreckt.
[78]
Ahnt er in mir auch den Gefährten,
Der zwischen Erd' und Himmel schwebt
Und nicht vor dem zerschmettert werden,
Doch vor des Lehrers Ruthe bebt?
[79][81]

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Christen, Ada. Bekenntnisse. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5220-A