[38] Wandsbeck,

Eine Art von Romanze,

von

Asmus pro tempore Bote

daselbst

Mit einer Zuschrift

an den

Kaiser von Japan


Sire,

Sie werden verzeihen, daß ich Ihnen eine Schrift zueigne, die Ew. Mt. auf keine Art und Weise interessieren kann. Ich ahme hierin einen Gebrauch meines Landes nach, und erwarte in tiefster Untertänigkeit, daß Ew. Mt. meine Kühnheit allergnädigst vermerken, meine Schrift aber nicht ansehen noch lesen werden. Selbst bin ich niemals in Ew. Mt. Reichen und Landen gewesen, dürfte auch, da Ew. Mt. so merklich weit weg von hier zu sein geruhen, schwerlich jemals anders als in dieser Zueignungsschrift mich zuHöchstdero Füßen zu legen die Gelegenheit haben. Sollte Ew. Mt., etwa durch Ihren Hofmarschall oder sonst einen Gelehrten Ihres Hofes, die Anmerkung zu Ohren kommen, daß meine Verse ziemlich nachlässig hingeworfen sind; so bitte ich in Gnaden zu bedenken, daß sie so nachlässig hingeworfen sein sollen, und daß ich dabei auf den Hofmarschall nicht gerechnet, mich auch in dieser Zueignungsschrift aller mir sonst üblichen Elisions enthalten habe.

Der ich übrigens nicht ermangeln werde, mit aller der Achtung zu verharren, die man einem Regenten schuldig ist, der über ein so kluges und glückliches Volk regiert, als ich von Ew. Mt. in Büchern gelesen habe,

Ew. Mt.

etc.


Gesetzt du wärst, dich zu erfreun
Und ob des Leibes Stärke,
In Hamburg (Fleisch und Fisch und Wein
Sind hier sehr gut, das merke!)
[39]
Und hättest Wandsbeck Lust zu sehn,
Und bist nicht etwa Reiter;
So mußt du aus dem Tore gehn,
Und so allmählich weiter.
Zu Wagen kannst du freilich auch,
Das kann dir niemand wehren;
Doch mußt du erst nach altem Brauch
Des Fuhrmanns Meinung hören;
Und wenn der nichts dagegen hat,
So hab ich nichts zu sagen.
Reit oder geh, doch in der Tat
Am besten ist's zu Wagen.
Nur siehe fleißig vor dich hin,
So wirst du schaun und sehen
Da einen Wald, wo mitten drin
Lang Turm und Häuser stehen.
Ad vocem Turm fällt mir gleich ein,
Daß einst im Pisa-Lande
Mit dreien Kindern, jung und fein!
Ein Mann von hohem Stande
Verriegelt worden jämmerlich,
's ist schrecklich zu erzählen
Wie da der Alte mußte sich,
Wie sich die Kinder quälen.
Wer nicht versteht Reim und Gedicht,
Kann ihre Qual nicht sprechen;
Sie saßen da, und hatten nicht
Zu beißen, noch zu brechen,
Und hatten Hunger – ach, der Tod
War hier Geschenk und Gabe.
Drei Tage lang bat Gaddo Brot,
Dann starb der arme Knabe.
Um seine kleine Leiche her
Wankt Vater, wanken Brüder,
[40]
Und starben alle so wie er
Nur später – aber wieder
Zu kommen auf den Turm im Wald,
Den du tust schaun und sehen;
So merke nun auch, was gestalt
Mit dem die Sachen stehen.
Erst, ist in ihm kein Hungerwurm,
Denn ist da, zweitens, Lehre,
Und kurz und gut, es ist der Turm
Von unsrer Kirche, höre,
Wo unser Pastor Predigt hält,
Und unser Küster singet,
Und uns ein Wunsch nach jener Welt
Durch Mark und Beine dringet.
Ja, Kirche und Religion –
Sie haben's groß Gezänke,
Viel haben's Schein, viel ihren Hohn
Und lachen drob, man denke!
Und ist doch je gewißlich wahr,
Daß sie es nicht verstehen;
Und daß sie alle ganz und gar,
Was drinnen ist, nicht sehen.
Der Augenschein lehrt's jedermann:
»Wer so viel schöne Gaben
Für Ohr und Auge geben kann,
Muß auch was Bessers haben –
Der Mann mit Mondstrahl im Gesicht
Wird's suchen, und wird's finden,
Doch jedem Narren muß man's nicht
Gleich auf die Nase binden.«
Schön ist die Welt, schön unsre Flur,
Und unser Wald vor allen
Ist schön, ein Liebling der Natur,
Voll Freud und Nachtigallen.
[41]
Und wer uns widersprechen will,
Der komm und hör und sehe,
Und seh und hör und schweige still,
Und schäme sich, und gehe!
Viel große Kunst ist zwar nicht hier,
Wie in Rom und Ägypten;
Doch haben wir Natur dafür,
Die auch die Alten liebten,
Und der läßt man hier ihren Lauf,
Und folget ihren Winken,
Und stutzet sie ein wenig auf
Zur Rechten und zur Linken.
Und so ward endlich unser Wald,
Wo man bald Saatfeld siehet,
Bald wilder Waldwuchs ist, und bald
Ein Musa-Pisang blühet,
Und bald durch Öffnungen, mit List
Im Walde ausgehauen,
Die große Stadt zu sehen ist,
Voll Männer und voll Frauen,
Und bald, und bald – ein Dichtermann
Der würd es recht beschreiben;
Weil ich nun aber das nicht kann,
So muß ich's lassen bleiben.
Genug, ein jeder drängt heraus,
Zu leben hier und sterben,
Und baut sich hier ein kleines Haus
Für sich und seine Erben.
Die Mode, welche Städter zwängt,
Ist hier gehaßt, wie Schlangen,
Und hoch an unsern Eichen hängt
Bocks-Beutel aufgehangen,
Und wer hier kömmt, sei wer er sei,
Nur habe er Dukaten,
[42]
Ist ganz sein eigner Herr, und frei,
Und mag sich selber raten,
Und singen, springen kreuz und quer,
Ohn allen Zwang und Wächter.
Auch sieht man hier von ohngefähr
Hammonas schöne Töchter,
Wenn sie in Negligé und Pracht,
Darin sie Herzen nehmen,
Von Morgen an bis in die Nacht
Durch unsre Gänge strömen.
Und Tycho-Brah – bald hätt ich gar
Herrn Tycho-Brah vergessen –
Der hier vor mehr als hundert Jahr
Den Himmel hat gemessen.
Er selber zwar ist hier nicht mehr,
Er hat längst ausgemessen,
Doch sieht man noch zu seiner Ehr
Den Turm, wo er gesessen.
Der Turm ist uns ein Heiligtum,
Vor dem uns abends grauet.
Er war von vielem Alter krumm,
Ist aber neu gebauet,
Daß er nicht täte einen Fall,
Nun will er auch wohl stehen.
Wir aber wollen den Kanal
Samt Wendemut besehen.
Doch Freundin Luna kömmt daher!
Empfangt mich Büsch und Bäume! –
Ihr stilles Zauberwort ist mehr
Als hunderttausend Reime.
;
[43]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Erster und zweiter Teil. Wandsbeck. Wandsbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5576-1