Hermann Conradi
Gedichte aus der Spätzeit

[205] Gloria

Auch ich – auch ich, in unseligem Drang,
Hab' mit zuckenden Fingern, so lang, so lang,
Von verzehrendem Fieber zerspalten,
Gehascht nach des Ruhmes Lorbeergezweig,
Mit fliegendem Atem, ringerbleich,
Eine üppige Krone zu halten!
Auch ich entrafft' mich dem heimischen Herd –
Was hat mich die Träne der Mutter geschert,
Was Marias geschluchzte Klagen? –
Es trieb mich so wild, so stürmisch hinaus
Auf des Lebens weißschäumigen Wogenbraus,
Den strahlenden Ruhm zu erjagen.
Wie ward's mir so schwül im umzäunten Kreis –
Nach Atem rang ich – aus altem Geleis
Zog's mich in phantastischem Wahne!
Die Mutter hat mich gesegnet beim Zieh'n
Und gab mir zum Abschied den Flammenrubin
Zum schirmenden Talismane.
Ich spannte mir Flügel zum Dädalusflug –
Nicht war mir ein dürres Zweiglein genug –
[205]
Ich lechzte nach üpp'gem Gewinde ...
Da brachten mir die Töchter der Lust
Mit lachendem Auge, mit lockender Brust
Die süße, die lustige Sünde.
Und ich trank und ich trank und ließ die Spur,
Und mit heldengroßer Siegerbravour
Bracht' ich die Komödie in Stanzen ...
Da nahten sie alle – beäugelten links,
Beäugelten rechts die schnurrige Sphinx
Und kamen mir einen Ganzen.
Holla hoch! Das war ein lustiges Fest –
Der Morgen ward mir weidlich durchnäßt,
Und die Stirne schwamm in Wonne:
Sie trug ja nun glänzende Lorbeerzier,
Und sie trug sie mit Würde, nicht bloß zum Pläsier –
Stolz leuchtete meine Sonne.
Da kam auch für mich der Damaskustag –
Die Binde fiel, und die brennende Schmach
Schlug zischend mir in die Seele ...
O du Wahn! O du Wahn der Unsterblichkeit,
Wenn ein wetterwendisch Gesindel schreit
In hochwillkommnem Krakehle:
»Der Kerl – bei Gott! – ist ein Pionier –
Prophet – Messias – ein Wundertier –
Er schreibt brillante Sachen!
Gedankentief und doch populär
[206]
Und so bilderreich! Und so schneidig wie er
Kann keiner Verse machen!
Wie wär's drum, wir dächten beizeiten schon
An ein Säulchen, ein Denkmal – die Nation! –
Nur hurtig: die Sammelliste:
Wer unterschreibt? »Na ich!« »Und auch ich!«
(Der eine: »Rein fiel ich!« bei sich –
Der andere: »Wenn man nur nicht müßte!«) ...
Da dankt' ich dir, Krämerbrut, für das Mal,
Und ich ließ den rauschenden Huldigungssaal. –
Entweiche wahnwitz'ge Verblendung!
»Der Ruhm ist keinen Dreier wert,
Und dreimal Schmach, wer ihn begehrt
Für seine göttliche Sendung!«
Ich rief's und schritt in die Nacht hinein,
Und beim ersten, blassen Frührotschein
Ist mir ein Wandrer begegnet ...
Der sprach: »Glückselig bist du, Poet,
Dein wahrer Lohn, wenn im stillen Gebet
Ein getrösteter Armer dich segnet!« ...

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TextGrid Repository (2012). Conradi, Hermann. Gedichte. Gedichte aus der Spätzeit. Gloria. Gloria. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-57D8-8