6. Klaglied
Andere Anklage vor Pilato

Sie schleppen ihn, vorher geht Schrecken und Geschrey
Pilatus springt heraus und siehet was es sey.
Sie stehen kaum recht still: töd, schreyen sie, uns diesen,
Die Schuld ist, oder meyn, sie sey ihm gnug erwiesen.
Ich wil es meynen, nur beweist es, spricht Pilat:
Bißher noch sind ich ihn auff keiner Vbelthat.
Ich schick ihn zu Herod, der schickt ihn mir zurücke
Im weissen Kleid', hat weiß zu Sündern auch geschicke?
Den gantzes Salem kennt, schreyt alles überein,
Vnd einen Bößwicht heisst, soll der nicht schuldig seyn?
Der Zeugen ist nur zwey, macht dieses dir bedencken,
Man hätte längst bereit den Taugnicht sollen hencken.
Da kriegt je mehr und mehr der Lerm die Oberhand,
Man hat von Worten sich auch zum Gewehr gewand.
Der Richter spricht verzagt: Wo Waffen oben schweben
Vnd kein Gesetz mehr gilt, muß man gewonnen geben.
Aus Knechte, geisselt ihm die Glieder umb und an,
Weil sonst der Pöfel nicht gestillet werden kan.
Das Römische Gesind' eilt diesem nachzukommen,
O wie viel Hencker, Rom, hast du hierzu genommen?
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Die Rutten von dem Beil zu lösen ist nicht zeit,
Ihr ist zu wenig auch, sie langen nicht gar weit.
Man nimpt die Gürtel ab, die grawsam sind beschlagen,
Vnd Buckeln, Ring' und Häfft an allen Ecken tragen.
Ein Marmeln Pfeiler steht recht mitten eingestellt,
Der das Gewelb und auch die Last des Hauses hält,
An den wird Christus nackt vom Schergen angebunden,
Sein Angesicht wird roht von Scham, die er empfunden.
Dieß siehst du, Sonn, und dehnst noch schändlich aus dein Licht,
Warumb doch hältst du jetzt Thyestis Strasse nicht?
Verdeckst du seine Schmach nicht mit geschwindem Schatten?
Vielleicht kömpt deine Trew ihm' allzuspät zu statten?
Doch lässt er, sich zur Straff, dem Tage seinen Schein,
Der billich solte schwartz von Finsternissen seyn.
Er steht kaum angeschmürt, als eilends aller wegen
Der Kriegsknecht an ihn setzt mit vielen tausend Schlägen.
Ihr Jüden, her und helfft, (so schertzt ihr böser Mund,)
Seht welche Lust es sey zu schmieren diesen Hund.
Ein jeder lässt für sich die starcken Arme schawen,
Vnd merckt den heilen Ort, denselben wund zu hawen,
Ein scharffer Scorpion zerreist den Leib ihm hier,
Die Haut verleuret da durch einen Hafft die Zier.
Er wird mit Sähnen hie, mit Stricken dort zerrissen,
Vnd jetzt mit Ruten, jetzt mit Geisseln sehr zerschmissen
Ohn Seumniß und ohn Ruh, daß einer ruhen kan,
Sind andre frische da, ein jeder greifft sich an.
Die Eicheln fallen nicht so häuffig von der Eichen
Wenn sie der erste Frost beginnet zu bestreichen.
Die Dächer geben nicht so einen deichten Schall,
Wenn Jupiter uns schreckt durch seinen Hagel-Fall.
Es fehlet eh' an Raum zu schlagen als an Schlägen,
Vnd eine Wunde wird aus allen allerwegen.
O Schmertz, O höchste Trew! daß Gott sich nicht gerührt
In solcher Angst, die Lieb' hat ihn so fest geschnührt.
Er stehet unbewegt, ohn daß die Last der Schläge
Von solchen Fäusten ihn macht schüttern oder rege.
Er seufftzt auch nicht, ohn nur umb unsre Sünd allein,
Wofern Gott sol, so muß er so gemartert seyn.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dach, Simon. Gedichte. Geistliche Lieder. Trostgedichte.. Carl Malaperten Leidender Christus. 6. Klaglied. 6. Klaglied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-647A-A