Das Urteil Gregors VII

In tiefen Sorgen stand
Der ehr'ne Hildebrand:
Gelehnt im Lateran
An eines Fensters Rand
Sah er auf dunst'ger Bahn
Die Sonne blutig sinken
Rot in den Tiberstrom:
Der ist gewohnt, zu trinken
Dein Blut und fremdes, – Rom! – –
Versunken nun mit Glanz und Glut
Die Sonne lag in schwarzer Flut,
Da warf sich nieder am Altare
Der hagre Mönch in der Tiare
Und, wie Jakob mit Zebaoth,
Rang er mit seinem Gott.
Die knoch'gen Hände hoch erhoben,
Hob er auch Herz und Blick nach oben,
Den Flammenblick, und schalt auf Gott!
»Herr, machst du wirklich mich zum Spott
Vor meinen Feinden? Nein, den deinen:
Denn dieses weißt du: – sollt ich meinen –
Ich führ' in Kampf und Rache,
[311]
Im Fluch und Anathem,
Nur deine, deine Sache
Gen Heinrichs Diadem.
Ja, mein ist deine Sache
Und deine Sache mein:
Soll denn der Höllendrache
Noch nicht bezwungen sein,
Des Teufels Saat,
Der sünd'ge Staat?
Ich schüttle goldne Kronen
Von Königshäuptern stolz
Wie Sturmwind sonder Schonen
Das welke Laub im Holz.
Zu meinen Füßen lag sie,
Des Reiches Majestät,
Nachdem drei Nacht und Tag sie
Um Gnade mich gefleht.
Vom Bußhemd schon behemdet,
Lag sie von Schmach bestaubt:
Aufs neue, gottentfremdet,
Hebt sie das trotz'ge Haupt.
Und nun hast du mir grausam
Den besten Freund entrissen,
Dem ich gefolgt vertrausam:
Ich nannt' ihn: mein Gewissen!
Den Abt von Cluny nahmst du mir,
Der heil'gen Kirche höchste Zier,
Nein, nicht nur dies: Burg, Wehr und Turm
Bewährt in aller Feinde Sturm.
Das fromme Cluny steht verwaist:
Erleuchte du mich, heil'ger Geist,
[312]
Wo sind' ich – rate, hilf, Sankt Peter! –
Wo sind ich einen Stellvertreter?
Wie nenn' ich ihn, den würd'gen andern?«
Er schwieg.
Da scholl's: »Gerbod von Flandern
Er ist's, den du erwartest. Amen.«
Laut und vernehmlich scholl der Namen,
Verzückt hob sich der Papst empor
Und wandte sich, den Gottesboten
Zu schauen, der ihm das entboten.
Jedoch an der Kapelle Tor
Stand nur ein junger Diakon:
»Ich meldete, Herr, öfter schon
Den Mann, der vor der Türe steht,
Doch du, versunken in Gebet ...«
Rasch rief Gregor: »Laß ihn herein!
Hoch soll er mir willkommen sein.«
Da trat in seiner Locken Helle
Ein hoher Jüngling auf die Schwelle,
In Stahl gehüllt die schlanken Glieder,
Ein Held, ein Kämpfer jeder Zoll,
Das Auge blauer Blitze voll,
Des Armes Muskeln eisenstark:
Jedoch erschüttert bis ins Mark
Warf er sich vor dem Papste nieder
Und küßte seines Mantels Saum.
Gregor schien des zu achten kaum:
»Steh auf, mein Sohn! Was stößt dir zu?«
[313]
»Ich ... sah ... noch keinen Mann ... wie du!
Sah Aug' in Auge oft dem Tod ...
Doch ... was aus deinem Blicke loht ...«
»Das ist von Gott: – drum trägst du's nicht. –
Mir ward von deiner Schuld Bericht:
Du bist ein nie besiegter Degen,
Des Jähzorns Dämon schlimm erlegen:
Den Herzog Hugo von Brabant,
Den eignen Lehnsherrn, dir verwandt,
Hast du beim Jagen
Im Zorn erschlagen ...«
»Weil er mir vorenthielt den Bär,«
So schrie der Jüngling ungestüm,
»Das prachtvoll stolze Ungetüm,
Das doch nur fiel von meinem Speer ...«
Da traf den Tobenden ein Blick,
Er senkte Trotz, Haupt und Genick
Und brach ins Knie:
»Ich liege hie
Und bitte, flehe, heil'ger Mann,
Schau meine Herzverzweiflung an.
Laß nicht die Reue mich zerfleischen!
Gebeut! Was immer du wirst heischen,
Herr, ohne Zucken, ohne Zagen,
Will ich's erfüllen, leiden, tragen.«
Lang ruhn auf ihm die mächt'gen Augen,
Um an der Seele Quell zu saugen,
Dann ruft er und man bringt ein Beil.
»Mein Sohn,« spricht er, »dein Seelenheil
Verlangt, daß du auf immerdar
Ihr absagst, die dein Dämon war:
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Der Weltlichkeit, der Lust am Leben:
Dem Herrn sollst du zum Opfer geben
Helm, Waffenruhm und Ritterschaft ...«
»Nein!« schrie der Jüngling grauenhaft.
Jedoch Gregor fuhr fort: »den Speer
In Jagd und Kampf hebst du nie mehr,
Für immer gürtst du ab das Schwert:
Und daß dir's wirksam sei gewehrt,
Abhack' ich, Gerbod von Brabant,
Dir die verfluchte rechte Hand,
Mit der du deinen Herrn erschlagen. –
Wirst du das ohne Zucken tragen?
Dafür sprech' ich dich los von Schuld
Und segne dich mit Gottes Huld.
Ich seh's, du willst: dich zwingt die Reue ...
Dein Herz gelobt's in rechter Treue.
Noch einmal laß dich fragen:
Wirst's ohne Zucken tragen?
Du willst? So leg' die rechte Hand
Auf dieser Marmorstufe Rand:
So, recht! – Nun aber woll'n wir sehn,
Ob's ohne Zucken wird geschehn.«
Der Deutsche legte fest die Hand
Auf jener Altarstufe Rand
Und hielt den Blick zum Papst gewandt.
Der aber hob in Eil'
Das scharfgeschliffne Beil
Und schwang's und sah ihm ins Gesicht: – –
Er zuckte mit der Wimper nicht,
Und zuckte nicht mit Arm noch Hand,
Fest auf Gregor den Blick gewandt.
[315]
Da warf der Papst in Eil'
Hinweg das scharfe Beil
Und schloß mit heißen Tränen
Den Jüngling an sein Herz:
»Gott hat gestillt mein Sehnen,
Geheilt mir Gram und Schmerz.
Ja, junger furchtlos kühner Held,
Von Buße nur das Herz geschwellt
Und bis zu schärfster Schmerzensnot
Gehorsam meinem Machtgebot,
Nein: meinem nicht: Gott selbst: – du bist
Den ich erbat zu dieser Frist!
Nach Frankreich! Rasch! Auf heil'gen Wegen!
Nimm, Abt von Cluny, meinen Segen.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Erstes Buch. Das Urteil Gregors VII. Das Urteil Gregors VII. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-68D3-6