[450] Weltuntergangserwartung

(1000 nach Christus 1.)


Ein Zyklus.

Fulko, der Jungherr

Morgen um die zwölfte Stund',
Heia, geht die Welt zugrund!
Doch zuvor, schön Hildegund,
Wird noch mein dein roter Mund!
Heute Nacht,
Wann Hut und Wacht
Liegt in Betgeheul und Jammer,
Dann erbrech' ich deine Kammer:
Wie ein Leu will ich dich fassen:
Magst mich lieben oder hassen,
Lusterglühen, qualerblassen,
Eher nicht will ich dich lassen,
Bis du mein!
Dann brich herein,
Ew'ge Pein!
Wirft von deinem roten Mund
Gott mich in der Hölle Schlund: –
Du warst doch mein!

Fußnoten

1 Der Glaube, daß mit der Sommersonnenwende des Jahres 1000 die Welt untergehen und das jüngste Gericht hereinbrechen werde, galt während jenes Jahres im Abendland als unfehlbare Wahrheit.

Hatto, der Banketar

Wehe meinen weißen Haaren!

Dafür nun seit vierzig Jahren

Raffen, rechnen, listen, sparen!

Dafür Trank verkürzt und Speise!

Der Vergeuder nur war weise!

Einmal nun mit vollen Händen

– Morgen muß ja alles enden! –

Einmal will auch ich verschwenden:

Fliegt, ihr Schillinge und Heller,

Hoch gehäuft im sichern Keller!

Aus dem Erker auf die Gassen

Will ich Silber regnen lassen: –

Balgen sollen sich die Massen:

Nehmt doch, Leute! Hört ihr's klappern?

Laßt doch das Gebete plappern!

Ha, sie ziehn vorbei mit Singen!

Keiner hascht, wie hell sie klingen,

Nach den schönen Silberlingen:

Weh, nicht einmal zum Verschwenden

Seid ihr nütz noch meinen Händen!

Engilberta, genannt Schwester Seraphica

Auf den goldnen Wellen nieder

Schweben wird des Menschen Sohn:

Psalmenlieder,

Goldgefieder,

Engelflug um seinen Thron.

Komme, Stunde, der seit Jahren

Treu mein Herz entgegenschaut:

Leiderfahren,

Kranz in Haaren,

Harr' ich, eine bange Braut.

Kranz in Haaren, froh im Zagen,

Stand ich einst am Traualtar:

Da erschlagen

Heimgetragen

Ward mein Bräut'gam Adelar.

Seither hier in Klosterhallen

Harr' ich seiner still und mild.

Hoch vor allen

Engeln wallen

Seh' ich morgen sein Gebild.

Seine Stimme ruft, die weiche,

Mir aus all' der Sel'gen Schar:

»Komm, du Bleiche,

Ruh' im Reiche

Gottes mit mir immerdar.«

Markgraf Werner, genannt Rennespeer

Man sagt, bevor's zu Ende in Schwefel geht und Dampf,

Noch einmal gilt's gewalt'gen, gilt's ungeheuren Kampf.

Die Engel und die Teufel, sie ringen heiß und hart:

Sie reiten noch ein Rennen, wie's nie geritten ward.

Wohlauf, mein wacker Rößlein, das reiten wir noch mit! –

Knapp', rüste mein Gewaffen, vergiß mir keines nit.

Ich melde Sankt Georg mich und seinem lichten Bann:

Dann nickt er: »Wohl, Herr Werner, die Stechschar führt mir an!«

Da vor der heil'gen Jungfrau, die schaut vom Himmel drein,

Ein freudig Lanzenrennen soll noch geritten sein.

Und eh' der Spaß vorüber und lahm wird diese Faust,

Manch' Teuflein schanzkopfüber mir noch vom Sattel saust.

Mutter Ute

Langsam, langsam schleicht die Zeit!

Lang bin ich dem Herrn bereit:

Will's nicht endlich morgen werden?

Niemand lebt mir auf der Erden!

Keins im deutschen Reiche frägt,

Wo und wann mein Stündlein schlägt.

Manches Jahr bin, weltvergessen,

Ich im Kirchhof hier gesessen.

Nur die frommen Schwestern haben

Mich genährt mit Klostergaben.

Ach, wie lange mag's wohl sein,

Daß sie starben mir – zu drei'n?

Zwilling' hatt' ich ihm gebracht,

Meinem Kurt, die letzte Nacht:

Torwart war er just geworden,

Weh, da brachen Hunnenhorden

Sengend in das Kloster ein:

Ringsum Glut und roter Schein:

Nieder schlug der First in Flammen,

Traf uns alle vier zusammen:

Tot der Mann und tot die Kind':

Ich, lebendig ach und – blind. – –

Merk's an meinem dünnen Haar, –

Sind wohl mehr als fünfzig Jahr,

Fünfzig Jahr voll dunkler Nacht!

Aber morgen hell in Pracht

Werd' ich Himmel schau'n und Erden:

Mit den Kinden Hand in Hand

Holt mich Kurt ins bess're Land: – –

Will's denn noch nicht morgen werden? –

Regino, der Stiftskanzler

Unsinn'ge Welt! Ein Narr, wer für dich schafft!

Seit Jahren nun mit voller Manneskraft

Ring' ich für dieses alte, teure Stift:

Der Grafen Trotz, der Rechtsverdreher Gift,

Der Kön'ge Wechsel und der Fürsten Schwanken, –

Sie alle hat mit siegendem Gedanken

Beharrlich Geist und Wille mir bezwungen:

Von morgen an, von morgen wär's errungen!

Von morgen an, dem Herzog nicht mehr frönig,

Reichsfrei das Stift, ein Lehn vom deutschen König:

Von morgen an der große Grenzwald gar,

Darum das Stift gestritten siebzig Jahr',

Der Grenzwald unser, unser Brück' und Zoll,

Sechs Pfennig von dem Saumroß, leer und voll,

Von morgen ab: – und morgen brennt in Flammen

Ach! Brück' und Grenzwald, Zoll und Stift zusammen!

Vorher noch aber werf' ich hier ins Feuer

Die Pergamente, mir vor allem teuer:

Den Schutzbrief erst von Kaiser Karl, den alten,

– Zum letztenmal entroll' ich seine Falten! –

Das Urteil König Ottos dann, des Hohen,

Da flammt es auf: – wie hell die Funken lohen! –

In goldner Kapsel barg ich es vergebens: – –

Sieh, da verglimmt die Arbeit deines Lebens!

Supfo, der Klosterkellermeister

Ich weiß nicht recht: – ich trau' nicht ganz!

Man glaubt auch sonst viel Firlefanz,

Der nie geschieht und nie geschah:

Ich glaub's nicht eher, bis ich's sah.

Die Katzen merken und die Hund'

Gewitter sonst auf manche Stund':

Das Viehzeug ist ganz frisch und flott:

Ich glaub's nicht recht vom lieben Gott!

Doch wie dem sei:

Mir einerlei!

In meines Kellers tiefstem Ort

Heg' ich geheim gesparten Hort:

Um den weiß Gott und ich allein:

Ein Fäßlein edeln Zyperwein.

Jüngst frug der Pater Guardian:

»Was liegt in dem Verschlag, Kumpan?«

»Die griech'schen Rollen: – log ich frei –

Man hat sie aus der Bücherei

Hierher gefegt mit Besen:

Wollt Ihr sie etwa lesen?«

»Mitnichten! 's ist ein heidnisch Wesen!

Auch tut den Augen weh die Schrift:

Laß nur vermodern hier das Gift!«

Dies Fäßlein stech', ein stiller Mann,

Ich heute nacht mit Andacht an

Und trinke des, soviel ich kann,

Kommt's wirklich zum Posaunenblasen, –

Das weckt die Toten unterm Rasen:

Das dringt wohl auch in einen Keller

Und einen Rausch von Zyperwein.

Sollt' aber all' der Schrecken sein

Nichts als ein ungeheurer Preller, –

Dann hab' ich guten Trunk voraus

Und lach', ein frommer Zecher,

Die Welt der bangen Schächer

Und ihre Todesängsten aus!

Wartold, der Gärtner

Der Bauer die Ernte, der Hirt das Rind,

Selbst manche Mutter vergaß ihr Kind:

Ich aber, ich kann nicht lassen, zu warten

Der lieben Blumen in meinem Garten:

Ob morgen sie höllische Glut versengt, –

Heut abend sei'n sie noch kühl besprengt.

Und sieht dann morgen der Englein Schar

Meine Rosen rot, meine Lilien klar, –

Vielleicht, daß sie sie lächelnd pflücken,

Die Stirnen der Sel'gen damit zu schmücken.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Drittes Buch. Weltuntergangserwartung. Weltuntergangserwartung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6912-E