Epistel

Aus dem friedlichen Dorf und dem Haus, von Reben umkleidet,
Send' ich dir, trauter Genoss', einen bukolischen Gruß.
Zwar nicht ist uns vergönnt, so gewinnende Briefe zu schreiben,
Wie sie die Römer gesandt aus der Campagna zur Stadt,
Wie sie Horaz, der Schalk, an Bandusias Brunnen ersonnen
– Noch in seinem Gedicht rieselt ihr Silbergewog –
Oder von Mantua einst sie der edle Vergilius sandte,
Reich mit dem höchsten Pomp römischer Rede geschmückt,
Daß, wenn August sie las, er vergaß der beherrschenden Künste: –
Solches zwar ist versagt –: rauher ist Boden und Sinn.
Nicht ragt glänzend und rund mir von thrakischem Steine die Villa
Und die Charitinnen nicht stehen im Atrium mir,
Nicht, von Platanen bedacht, dehnt weit sich die sand'ge Palästra:
Nicht aus staubigem Schlauch wird mir Falerner geschenkt:
Nicht umspület das Haus mit der sanften ausonischen Welle,
Bis in das dienende Meer waglich gemauert, das Bad:
Hart ist unser Geschlecht und die alabasterne Glätte
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Edelster Formengewalt weigert sich unserer Kunst:
Horch, der Hexameter selbst, wie er seufzt in der Fessel des Deutschen!
Ach, der Verwöhnte verlangt reichere Tonmelodie.
Aber ein Anderes ward den unsträflichen Söhnen des Nordens:
Ahnungsvollerer Reiz atmet in unsrer Natur:
Wann sich, wie jetzt, die Sonne geneigt und die liebliche Dämm'rung
Langsam den Schleier zieht über das Abendgefild,
Wann der kühlere Wind an der Buchen Wipfel und Tannen
Lieblichen Rauschens rührt, wann aus dem Erlengebüsch
Flötend der innige Ton der melodischen Amsel hervorklingt
Und vor dem braunen Gehöft, unter dem Giebelgebälk,
Vor der offenen Tür, auf der Holzbank, sitzen die Leute,
Plaudernd in Abendruh: hier der gebogene Greis,
Dort das blühende Weib, auf den kräftigen Armen den Säugling,
Während der blonde Bub schnitzelt am hölzernen Schwert,
Frisch, krauslockig und froh, mit den blauen, den offenen Augen,
Blau, wie dem Römer sie einst kimbrische Schrecken geblitzt, –
Aber am Brunnenrand dort, unter dem alten Holunder,
Blickt in das Ährenfeld sinnend der Vater hinaus: – –
Freund, wer solches geschaut, nicht schämt er sich unseres Volkes
Und in bewegterem Gang schlägt ihm gehoben das Herz.
Und er gedenkt mit Stolz an die rühmlichen Taten der Väter:
Denkt, wie germanischer Geist höhere Flüge gewagt,
Dunklere Tiefen erforscht und weitre Gebiete durchmessen,
Als ein anderes Volk. – Und es erschwingt sich der Mut
Aus der unsäglichen Not zu der Hoffnung schönerer Zukunft:
Denn der gediegene Wert zwinget am Ende das Glück:
Und er erschaut im Gemüt, wie ein waffengewaltiger Kaiser
Wieder am rauschenden Rhein pflanzet des Reiches Panier. – –
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Zwar nicht solches geziemt dem idyllischen Gruße vom Lande,
Aber vergib dem Freund, welchen, wohin er entflieht,
Treu wie sein Schatte verfolgt um sein schmählich entzeptertes Deutschland,
Um sein zerrissenes Volk ach! das unendliche Weh. –

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Vaterland. Epistel. Epistel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-69E3-7