Walther von der Vogelweide

Ein Zyklus.

Vorgesang

Kein liebes Vöglein kommt zu Leide,
Das mir in Garn und Schlaghaus geht:
Im Winter, wann durch Wald und Heide
Der Eiswind und der Hunger weht,
Da trifft in meiner Halle Weide,
Was zierlich Schopf und Fittich dreht:
Frei, sonder Käfig, hüpfen sie
Auf Harfe mir, auf Buch und Knie.
Dann sitz' ich, deckend Bein mit Beine,
Das Kinn geneigt zur Hand geschmiegt,
[488]
Bei mattem Wintersonnwendscheine
Durch Hänflingsang in Lenz gewiegt,
Und bis zum Jordan, fern vom Maine,
Gedenken frührer Zeit mir fliegt,
Gedenken, wie ich rang und stritt
Und wie ich minnte, sang und litt. –
Doch, wann der Frühling kaum vom weiten
Den scheuen Gruß der Halde beut,
Wann in dem roten, eisbefreiten
Geknosp der Saft sich schwellend neut,
Wann schüchtern um die Dämmerzeiten
Zuerst die Amsel lockt – wie heut' –:
Dann schließ' ich auf die Winterfeste
Und hui! entschwirren meine Gäste. –
Und Undank ist nicht Vöglein Weise!
Sie kennt mich gut, die luft'ge Schar:
Zieh' ich im Mai auf grüne Reise,
Werd' ich geleitet wunderbar.
Das singt und flattert laut und leise
Zu Häupten dicht mir um das Haar
Und grüßt: »Herr Wirt der Winterrast, –
Im Walde bist du unser Gast.«
Und nun hebt's an. In Ätherreine
Trilliert der Lerchen Morgenchor,
Schwarzköpflein singt im Busch, das feine,
Herr Fink schlägt schmetternd mir ins Ohr,
Bachstelzlein wippt auf feuchtem Steine
Und aus dem Eichstumpf lugt hervor,
Mit silbertönigem Gepiep,
Zaunköniglein, der kleine Dieb.
Ja, rings im Buchhag schwankt kein Reislein,
Von dem kein: Waldwillkomm! mir hallt,
[489]
Im Klopfen rasten Specht und Meislein,
Der Pirol flötet, daß es schallt,
Im niedern Weidicht schreit das Zeislein:
»Herr Walther kam zum grünen Wald«,
Nur Nachtigall setzt sich zu ruhn:
»Du kamst und singst: – so schweig' ich nun.«

Cuculus Canorus

Noch liegt ein leiser Hauch von Schnee
Hoch in des Bergwalds Schatten:
Doch warm schon auf die Matten,
Vom sonn'gen Bühl herab zum See,
Scheint der April so helle:
Hinfort! Aus finstrer Zelle!
Ei sieh! Ihr glänzt am alten Ort,
Ihr goldnes Frühlingswölklein,
Ihr Schlüsselblumenvölklein:
Als Knabe schon brach ich euch dort:
Drum laßt's euch nicht gereuen,
Den Graubart zu erfreuen.
Hier stand ich einst – ich weiß den Tag –
Und sann, wie lang's noch währe,
Bis daß mir Siegesehre
Erwürbe meiner Harfe Schlag, –
Als aus des Bergwalds Tiefen
Zwei Kuckuck plötzlich riefen.
»Ei, zukunftweiser Vogelmund,«
So fragt' ich bei den zweien –
»Nun sollt ihr prophezeien!
Wie viele Jahr noch – tut mir's kund! –
Bis eine Frau viel schöne
Mit Sängerkranz mich kröne?«
[490]
Eins – zwei – und drei! – Da ward es still:
Kein Laut mehr scholl vom Walde.
Ich jauchzte: »Wie? So balde!
Doch heut' hebt an der Schalk April,
Da mag es wohl sich fügen,
Daß lose Vögel lügen.«
Doch nein! Die Vögel logen nicht:
Noch schwanden nicht drei Jahre,
Da lag im braunen Haare
Ein Kranz mir für mein Lenzgedicht:
Mehr Glück als laute Preise
Bot mir die Herrin leise.
Hier ist der Ort: heut' liegt er still:
Laut sonst durch alle Sträuche
Ertost der Ruf der Gäuche:
Heut' schweigt er, da ich forschen will,
– Nicht mein noch übrig Alter:
Zum Tod bereit steht Walther. –
Nein: wie viel Jahr nach Walthers Tod
Noch Walthers Lieder leben?
Hei Gott! Da ruft er eben!
Das schallt, das hallt! Nun hat's nicht Not.
Viel hundert! Schweig, du Chorus!
Dank, Cuculus Canorus!

Der Kranich

Hier, wo die letzten, lichten jungen Erlen
Auf Vorwacht stehn des Walds von Kloster Zell,
Am braunen Moosquell, drin die raschen Schmerlen
Wie dunkle Schatten fliehn und hüpfen schnell,
[491]
Wo tief im breiten Tal mit Silberperlen
Der gelbe Main manchmal emporblitzt hell
In stolz geschwungnem, leisem, sanftem Gleiten, –
Hier ruh' ich oft, gedenkend andrer Zeiten.
Der Frost hat schon der Buchen Laub und Eichen
Goldrot gefärbt: es lasten voll gereift
Die Trauben dort am »Stein«, dem rebenreichen:
Der Wildschwan singend durch die Nächte streift,
Doch hier im Abenddämmer seh' ich streichen
Den Kranich, der die Wanderstrophe pfeift:
Er zieht gen Süden über Meer und Eiland:
Jerusalem – dich sucht er und den Heiland. –
Da steigt ein Bild mir auf blickferner Länder:
Auch dort ein Strom, der zögernd gleitend rinnt
Am Fuße gelb gebrannter Hügelränder.
Drei Palmen nicken dort im Abendwind:
Horch, Rossewiehern – flatternde Gewänder –
Und Allahruf: – der Wüste rasch Gesind'
Umtobt uns rings – es schwirrt von Pfeil und Speeren –
Da stürzt mein Hengst – jetzt gilt's, dem Tode wehren –!
Schon birst mein Helm vor'm Damaszener Schwerte,
Den langen Kreuzschild spaltet mir ein Beil –
Da springt Er bei, mein edler Sturmgefährte,
Er selbst, sein Leib mein Schild: – da zischt ein Pfeil
Ins Herz ihm, in das todestreu bewährte!
O Kranich, hemme dort des Fluges Eil',
Wo um den Wüstenbronn drei Palmen ragen,
Und sag' ihm: ewig werd' ich um ihn klagen.

[492] Vogelgesang

Nicht ward mir durch des Himmels Gunst
Herrn Salomonis weise Kunst,
Der Vogelsprachekundig war:
Doch acht' ich fein manch langes Jahr
Auf mancher Vöglein Wort und Sang: –
Nun hört, wie mir das widerklang:

Hänfling.

An dem Bach, in der Weide,
Da bau' ich mein Nest:
O wie woget die Heide
So wohlig im West.
Das Gewitter verzogen, –
Die Lüfte geklärt, –
Ein schimmernder Bogen
Eint Himmel und Erd'!
Von dem Baum nur gelinde
Noch träuft es wie Tau,
Und die duftigen Winde
Gehn über die Au:
Drum nochmal erhoben
Die Lieder vor Rast,
Um den Sommer zu loben,
Den freundlichen Gast.
Zeisig.

Lustig durch die Zweige hüpft sich's,
Lustig durch die Sträuche schlüpft sich's,
Heute hier und morgen dort: –
Lange taugt's an keinem Ort!
[493]
Brüder, laßt euch nichts gefallen!
Braucht die Schnäbel und die Krallen:
Nur mit Beißen und mit Kratzen
Hält man sich vom Leib die Spatzen:
Wenn wir viel mit ihnen laufen,
Zählt man uns zu ihrem Haufen!
Schwalbe.

Weither aus Indien komm' ich geflogen
Über die Ströme, die Berge, das Meer:
Fort aus den sonnigen Palmen gezogen
Hat's mich zum Schatten der Linden hieher.
Habe genistet in Marmorpagoden,
Wo in den Wassern die Lotos erglüht,
Aber mich zog's zu dem fränkischen Boden,
Der da im Märzen von Veilchen erblüht.
Ei! Und da find' ich die alten Gesellen!
Munter, Herr Finke? wie geht es, Herr Specht?
Dir soll ich Grüße vom Storche bestellen,
Der in pontinischen Sümpfen noch zecht.
Siehe, sie haben mein Nest mir gelassen:
Oben am Kirchturm hanget es schwank:
Segen und Heil in die friedlichen Gassen
Sing ich hernieder zu freundlichem Dank.
Amsel.

Jetzt rieseln alle Bronnen,
Jetzt grünt es weit und breit:
Der Frühling hat's gewonnen,
Jetzt ist viel gute Zeit!
[494]
Ich sitz' im Ulmengipfel,
Und schaue weit umher:
Da schwanken alle Wipfel,
Von weißen Blüten schwer.
Ich lobe dich mit Schallen,
Ich lobe dich lustentbrannt,
Ich lobe dich laut vor allen,
Du schönes, deutsches Land!
Ihr wißt es nicht, ihr andern,
Wie streng des Winters Hand:
Euch führt ein unstet Wandern
Im Herbst an fernen Strand;
Ich aber bleib' zu Hause:
Wie kalt die Nächte sei'n,
Wie grimm der Nordwind brause
Durch den entlaubten Hain.
Ihr wißt nicht, wie am Strauche
Der Schnee hier lastend liegt,
Wenn euch mit lauem Hauche
Die Luft Ausoniens wiegt.
Ihr kennt auch nicht die Wonne,
Wann Lenz und Licht gesiegt,
Und in der Märzensonne
Der erste Falter fliegt.
Nicht neid' ich euch das Wandern
Und trage stolzen Sinn,
Daß eben ich vor andern
Ein deutscher Vogel bin.

[495] Mönch.

(Schwarzkopf.)

O Schwarzkapuz, mein Scheiteldach,
Grau Mönchgewand, mein Kleid!
Mein Außen tot: – mein Herz heißwach
In Minnelust und -leid!
Der Distelfink trägt bunt Gewand:
Wie laut der Kreischer schreit!
Ich neid' ihn nicht: mir ist bekannt
Der Minne Lust und Leid.
Wann holde Frau'n zu Walde gehn,
Dann sing' ich leis und weit:
Und alle bleiben flüsternd stehn:
»Horch! Minnelust und -leid.«
Ein Ritter war ich, jung und kühn,
In stolzem Waffenkleid:
Zu heiß war meines Herzens Glühn
In Minnelust und -leid.
Ich warb, wo ich nicht werben sollt',
Denn Gottes war die Maid:
Da hat Sankt Petrus mir gegrollt
Um Minnelust und -leid:
Verwünschte mich in Vogelleib
Mit Mönches Farb' und Kleid:
Da sprach zu Gott das edle Weib:
»Um Minnelust und -leid, –
Herr, ist die Strafe nicht zu schwer?« –
Gott sprach: »ich tröst' ihn, Maid:
Kein Vogel singe süß wie er
Von Minnelust und -leid.« – –
[496]
O Schwarzkapuz, mein Scheiteljoch,
Grau Mönchsgewand, mein Kleid:
Mit keinem Vöglein tausch' ich doch:
Heil, Minnelust und -leid.
Die Lerche.

Himmelan, himmelan,
Sang und Gefieder!
Höher als Flügel kann
Tragen die Lieder!
Himmelan! – Höher noch
Lied und Gefieder:
Hoch auf der Berge Joch
Schau' ich schon nieder.
Himmelan! Höher noch
Muß ich mich schwingen:
Könnte zum Herren doch
Völlig ich dringen.
Daß ihm mein Jubelsang
Danken doch könnte,
Daß er im Überschwang
Gnaden uns gönnte,
Daß er uns gab die Luft,
Froh drin zu schweben,
Grünende Unterschluft,
Leis drin zu leben,
Daß er uns gab den Mai,
Saaten und Ernte,
Daß er vom Nest den Weih
Schirmend uns fernte,
[497]
Daß er uns Fuchs vertrieb,
Marder und Wiesel,
Daß uns ersparet blieb
Hagelgeriesel,
Daß er die Schlange fern
Hielt von euch Jungen,
Kinder, auch ihr dem Herrn
Kindlich gesungen! –
Daß er den Menschen weit,
Weit von uns scheuchte,
Wechselnd uns warme Zeit
Schenkte mit Feuchte,
Daß er uns tief im Schnee
Wahrte manch' Körnlein,
Mitten im Winterweh
Beeren am Dörnlein,
Bis sich nun voll geneut
Sommer, der milde,
Der uns den Segen streut
Auf die Gefilde. –
Aber der Flügelschwung
Will schon versagen,
Langsam zur Niederung
Laß ich mich tragen,
Sinkend vom linden West
Dahin gewieget,
Wo in der Saat das Nest
Lauschig mir lieget.
[498]
Gott hört mein Lied auch dort
Im Gräserschwanken,
Hört es an jedem Ort,
Wo wir ihm danken.
Herr Gott, dich loben wir
Hoch in den Sternen:
Menschen, ihr sollt von mir
Dankbarkeit lernen.

Sylvia rubecula

Nun ist Vollwinters Herrschezeit!
Das Licht ist schmal, die Nacht ist breit,
Frau Sonne will kaum blicken:
Bricht mittags sie durchs Wolkenkleid, –
Herr Nieselnebel hält bereit
Den Mantel, sie zu sticken.
Da singt kein Vöglein mehr im Feld:
Zaunkönig nur, der wen'ge Held,
Schwirrt fröhlich seine Weise,
Goldhähnchen huscht durchs Flockenzelt
Und, wem das letzte Nüßlein fällt,
Zankt klopfend Specht und Meise.
Auch ich halt' stumm im Hause Ruh'
Und stöbre tief in staub'ger Truh
Durch Schrift und Pergamente:
Rot glimmt der Sandelspan dazu: –
Ei, duftend Holz, nicht ahntest du,
Daß man am Main dich brennte. –
Das war im Goldhaus zu Byzanz,
Bei Myrrhenrauch, in Marmorglanz,
Bei schmucken Griechenknaben,
[499]
Daß unter Zyproswein und Tanz
Sie dich mit manchem Ring und Kranz
Zum Gastgeschenk mir gaben.
Da ging, mit rotem Seidenlatz
Verhüllt den keuschen Herzensplatz,
Ein Griechenkind mit Neigen:
Hell Scharlach war ihr Busenlatz: –
Sie war ein anmutvoller Schatz
Im Reden und im Schweigen.
Im harten, deutschen Winter lind
Mahnt mich an jenes Griechenkind
Ein Neigen, Hüpfen, Klingen:
Denn um mich huscht und schwebt geschwind
Ein Vöglein, wie nicht viele sind, –
Will auch im Winter singen.
Die Griechin, die hieß Sylvia:
Was wohl noch mit dem Kind geschah? –
Rein war ihr zartes Seelchen: –
Mir ruft ihr lieblich Bildnis nah
Hier Sylvia rubecula,
Mein Hausgeist, mein Rotkehlchen. –
Der Rauch zieht aus dem Sandel schwer:
Bald seh' ich Vöglein um mich her,
Bald Griechenmägdlein schweben.
Ich denk', ich schlafe: – doch vorher
Trink' ich den tiefen Becher leer –:
Was lieblich ist, soll leben!

[500] Der Wanderer und die Amsel

»Schwarzamsel hoch im Ulmenast,
Was ist's, das du gesungen hast,
Gesungen im Sonnenuntergang?
Es war ein süßer, frommer Klang.
Im Ulmenbaum, vom Wipfelast,
Sag' an, was du gesungen hast:
Ich möcht' es gern erkunden –
Vielleicht macht mich's gesunden.«
»Ich singe froh aus voller Brust
Die reiche, reiche Sommerlust!
Ich sing' sie in die weite Welt!
Wie gut ist alles rings bestellt:
Wie sind die roten Wolken schön
Da droben in den blauen Höhn,
Wie warm der liebe Sonnenschein,
Der Himmel, wie so klar und rein!
Wie flutet durch die laue Luft
Der abendliche Maienduft
Von Blüten ohne Zahl:
Wie friedlich ruht das Tal,
Wie feierlich der Buchwald steht:
Ein Rauschen durch die Wipfel geht,
Ein Rauschen geht durch Rohr und Ried:
Wird da die Seele nicht zum Lied?
Leg' ab auch du, betrübter Gast,
Die Last, die du zu tragen hast!«
»Schwarzamsel hoch im Ulmenast,
Der Sang, den du gesungen hast,
Ist süß und hold gewesen: –
Mich macht er nicht genesen:
[501]
Denn wiss', es gibt viel schlimmer Leid,
Als Sturm und Schnee zur Winterzeit:
Die Menschenbrust hegt tiefern Schmerz!
Dein frohes, kleines Vogelherz
Kann sich's nicht träumen lassen!
Es würd' ihn gar nicht fassen:
Und faßt' es ihn, so wär's vorbei
Mit seiner jauchzenden Melodei.
Ach, was weißt du von Reu' und Schuld
Und von verlorner Gotteshuld!
Drum sing' du weiter froh und rein,
Sing' hell in Gottes Welt hinein
Und laß mit meinen Wehn
Mich meiner Straße gehn.«
So sang ich einst, von Reu' gequält!
Wer hat nie gegen Gott gefehlt?
Jedoch, entsühnt durch seine Gnade,
Voll Friedens wandl' ich meine Pfade:
Und dankbar, wie der Vöglein Schar,
Bring' ich ihm Lied und Leben dar. –

Die Schwalbe

Siehst du schweben die Schwalbe dort,
Herz, hoch oben im Ätherblau?
So hoch kannst du dich schwingen auch: –
Herz, entfalte die Flügel!

Der Adler

Mein Nachbar drüben, über'm Strom,
Der Abt der Schotten, hält zu Rom.
Und wie du, Wald, stets neu mich labst,
Labt ihn stets neu – ein Brief vom Papst.
[502]
Ich gönn' es ihm! – Doch jüngst geschah
Ein Streich ihm, den ich gerne sah.
Den Vöglein stellt er nach mit Netzen,
Nicht, ihrer Lieder sich zu letzen,
Nein, weil er sie gebraten frißt,
Wann just nicht grade Fasttag ist.
Oft nehm' ich unbemerkt und leise
Ihm aus dem Garn die frevle Speise,
Und Drossel, Fink und Hänfling froh
Entfliegen ihm mit Jubilo.
Doch jüngst kam über ihn ein andrer,
Ein sturmgewalt'ger Wolkenwandrer:
Verfolgend eine Dolenschar,
Strich über'n Main der Königsaar,
Und flog, – er sah den Lockherd nicht, –
Flog mitten in die Netze dicht.
Da lief mit lautem Siegsgeschrei
Der dicke Abt zum Fang herbei.
Doch, als er schon ganz nahe war,
Zerriß das ganze Garn der Aar
Und flog so ungestüm hin dann, –
Zu Boden, schreiend, fiel der Mann!
Und mit den arg zerfetzten Netzen
Wird er kein Vöglein mehr verletzen.
Merk: Garn, für Gimpel stark genug,
Hemmt nicht des Königsadlers Flug.

[503] Blaukehlchens Doppelsang

Im Friedhof, wo die Weiden schwanken,
Schritt ich mit sinnenden Gedanken. –
Da sang, an eines Grabes Saum,
Blaukehlchen hell von hohem Baum.
Blaukehlchen führt, wie jeder weiß,
Zugleich zwei Stimmen: Laut und Leis –:
Und Hart und Weich und Herb und Lind
Rasch wechselnd ihm zu eigen sind:
Du schaust Ein Vöglein auf dem Ast,
Daß zweie sängen, schwörst du fast. –
Des gleichen Wunders wieder heute
Ich mich im grünen Friedhof freute:
Denn, wechselnd, aus den Weidenzweigen,
Stolz fächernd breiten Schweif mit Neigen,
Zweistimmig sang das Vöglein dort
An deinem Grab, Schalk Wunnebrord,
Den, widers Blut, noch ungeboren,
Gelübde hat zum Mönch geschoren:
Die Mutter schwor's: – so ward's der Sohn.
Die Kirche trug kein Heil davon!
Er, Kellrer in dem Kloster Fuld,
Trug mehr dem Faß als Fasten Huld,
Und unterwies er uns, die Jungen,
Sang er in zwei verschiednen Zungen:
»Vom Übel ist der firne Wein!«
– (Doch trank ich nie genug noch sein!) –
Das Alter nur hat weise Tugend,
– (Doch wahre Lust hat nur die Jugend!) –
Man soll nur singen Mess' und Psalter,
– (Ein Taglied tönt viel süßer, Walther!) –
Zur Hölle führet Weiberkuß,
– (Ein Tropf, wer sein entraten muß!) –
[504]
Dem Feind verzeihn, ist Christenpflicht,
– (Heil, wer ihm sieben Rippen bricht!) –
Wer trinkt, brennt einst im Schwefelloch,
– (Doch brennt der Durst viel heißer noch!)
Heil, wer da stirbt in frommem Beten,
(Doch sel'ger unter Kriegsdrommeten!) –
Jungfrau Maria preis' ich sehr,
– (Jedoch Frau Minne noch viel mehr!«)
Zweisprachig so sang Wunnebrord:
Nun, friedlich schweigend, schläft er dort,
Wo über ihm Blaukehlchen singt
Und seinen Zwiespalt weiter klingt.

Der Räuber

Heut' am Vogelherde saß ich,
Wo der Buchwald streift ans Feld:
Doch des Vogelfangs vergaß ich,
Sah verträumt ins Himmelszelt.
Hoch in Wolken kreist er wieder,
Jener Räuber kühn und klug,
Stark von Fängen und Gefieder,
Scharf von Auge, stolz von Flug.
Jener Bussard, schrill erkreischend,
Rittelnd bald an gleichem Ort,
Lüstern spähend, Beute heischend,
All' sein Sehnen Raub und Mord:
Bald im Flugspiel Bogen ziehend,
Reglos, schweigend, schattenhaft,
Fallend, steigend, nahend, fliehend,
Stolz und froh der Schwingen Kraft.
[505]
Bussard, frei wie du ist keiner,
Und, gleich dir im Lüftereich,
Flog auf Erden nur noch einer
Hoch zu Roß: der Wüstenscheich!
Ja, du mahnst mich, kühner Vogel,
An den Scheich, braun, rasch und keck,
Der von Karmels hohem Kogel
Niederstieß, der Franken Schreck. –
Höre nun, du schriller Schreier,
Kreisend hoch im Bogenring,
Höre nun, du Taubengeier,
Wie's dem Mädchengeier ging.
Doch: dort meinem Lockfinkweibe
Bleibe fern, bleibst gern du heil:
Eisen fliegt dir sonst zu Leibe: –
Auf der Sehne liegt mein Pfeil. –
Höre nun! – Auf schnellstem Rosse,
Unhaschbar, der Otter gleich,
Glitt durch unsre Speergeschosse
Nahend, fliehend Ali Scheich.
Von der Seite, wie dem Täuber
Du die Turteltaube reiß'st,
So durchbrach der kühne Räuber,
Der sie nächtelang umkreist,
Jede Pilgerkarawane,
Die mit Frau'n gen Zion ging:
Aus dem Schatten unsrer Fahne
Stets das schönste Weib er sing.
[506]
Und bevor den Sporn nur spürte
Unser schwerer Friesenhengst,
Durch die Wüste die Entführte
Trug das Roß des Räubers längst.
Esmeralda de Rivalta,
Gabriele Lusignan,
Bellaflor de Vallecalta,
So der freche Feind gewann. –
Doch als Irmengard von Schwaben
Nahm das Kreuz des Pilgerkleids,
Da erbat, statt Ehrengaben,
Ich das Recht mir des Geleits. –
Tag für Tag nun durft' ich traben,
Von Damask bis Askalon,
Neben Irmengard von Schwaben: –
Das war meiner Kreuzfahrt Lohn.
Nächtens schlugen wir die Zelte,
Daß die Herzogtochter schlief, –
Löwe brüllte, Schakal bellte,
Doch die Herrin ruhte tief:
Bangensfrei –: sie wußte, Walther
Mit dem Speer hielt draußen Wacht. –
Manches Lied aus deutschem Psalter
Klang in blaue Wüstennacht.
Sterne glänzten, Sterne schossen,
Palmenwipfel wogten leis,
Und um Mensch und Tiere flossen
Wüstendünste schwer und heiß.
[507]
Schlaf floß allbezwingend nieder,
Selbst die Lagerwache schlief:
Langgestreckt im Sand die Glieder
Schnauften die Kamele tief. –
Plötzlich naht's mit Windeseile: –
Straußenlauf? Gazellenschritt?
Leis und rasch wie Todespfeile,
Kaum du, Bussard, flögest mit.
Unerwacht, durchbohrt, vom Rosse
Sinkt der Lagerwächter rot:
Ringsum Säbel und Geschosse,
Dunkle Reiter und der Tod.
Vor mir hält ein Pferd: da gleitet's
Panthergleich vom Sattel sacht,
An die Zelttür kauernd schreitet's: –
»Stirb, denn hier hält Walther Wacht!«
Rief's und tief den Speer vergrub ich
In des Scheichs goldbrünn'ge Brust,
Laut den Siegesschrei erhub ich
Und wir schlugen sie mit Lust:
Folgten eine gute Weil' noch – – –
Halt, Herr Bussard, du warst schnell, –
Aber schneller war mein Pfeil noch –:
Tot nun liegst du, Raubgesell',
Bei der Finkin, brustdurchschossen!
Liebe Finkin, bange nicht:
Eh' dich grimm sein Fang umschlossen,
Traf ihn Walthers Strafgericht.
[508]
Zwitschernd nun, mein Ohr zu laben,
Singst du leise, dankend schier?
So hat Irmengard von Schwaben
Dankend auch geflüstert mir.

Waldmorgen

Noch steht in Glanz der Morgenstern,
Noch deckt die Nacht die Lande:
Nur dort, ganz leis, im Osten fern,
Grau-gelblich steigt's am Rande.
Empor vom Pfühl! Hinaus zum Tor,
Eh' noch Frau Sonne blitzt empor:
Zum Walde will ich eilen
Und sein Erwachen teilen.
O Wunder du – Mittsommernacht!
Du preisest Gott nicht minder,
Als lauten Tages schwüle Pracht,
Nur leiser, duft'ger, linder.
In Lüften hoch der wilde Schwan
Zieht, sehnsuchtsingend, seine Bahn,
Und still durch Busch und Bäume
Gehn ahnungsvolle Träume.
Da regt sich heil'ger Schauer leis
Und schüttelt alle Wipfel,
Wie Ehrfurcht haucht es wunderweis:
Denn schon vom Bergrandgipfel
Schießt fern ein Glanz: es naht das Licht:
Da sinkt Natur aufs Angesicht
Und ehrt mit heil'gem Beben
Gott, der das Licht gegeben.
[509]
Ja, Heil'ges ist, wohin ich schau!
Der Morgenwind ist heilig,
Und heilig ist der Morgentau
Und Goldschrift tausendzeilig,
Die nun erblaßt vor höh'rem Glanz:
Denn nun erschließt der Herrgott ganz
Das Tor der Wolkenfeuchte,
Daß hell die Sonne leuchte.
Da, hoch aufwitternd, aus dem Tann
Der Rothirsch zieht zur Tränke:
Das Häslein legt die Löffel an,
Gleichwie wenn's überdenke,
Ob's noch ein wenig schlummern mag:
Dann schießt's mit hohem Satz zu Tag,
Denn hoch ob Schäfers Pferche
Singt schon die Heidelerche.
Denn diese schlägt das Tagelied
Lang', eh' die andern kommen:
Jüngst sang ein Mann, der log und riet,
Was nie er selbst vernommen,
Der frühste Ton sei Finkenschlag!
Da haben beide in den Tag,
– Ich muß sie Lügen strafen, –
So Mann wie Fink' geschlafen.
Erst Heidelerche, fromm und klar,
Feldlerche dann und Wachtel,
Rotbrust und Rotschwanz, Paar um Paar,
Dann, später um ein Achtel,
Zaunkönig klein, Baumpieper hell:
Der Amsel folgt die Drossel schnell,
Der Kuckuck säumt nicht länger,
Dann schnalzt der Fliegenfänger: –
[510]
Und jetzt erst schlägt der faule Fink':
Bald zetert schrill der Häher,
Der Ringeltäuber rückt nun flink
Im Nest der Täubin näher,
Und Rukuruh! hallt's durch den Tann:
Jetzt hebt's von allen Zweigen an.
So geht der Vöglein Psalter:
Wer's leugnet, irrt, spricht Walther.
Nicht streit' ich gern, noch rühm' ich mich:
Doch muß in Einem Dinge
Der Mann als Meister wissen sich,
Sonst ist sein Wert geringe.
Und Vogelkunde – mit Vergunst –
(Doch auch ein wenig Harfenkunst),
Wer die mir will bestreiten –:
Ein Schwert blitzt mir zur Seiten.
Doch unterdes ich stritt und schalt
– Ganz einsam, sonder Feinde, –
Ward jubelnd wach im weiten Wald
Die ganze Singgemeinde:
Und prächtig rot im Morgenschein,
Verjüngt, strömt hin der alte Main,
Und Erd' und Himmel strahlen
Gleich schimmernden Opalen.
O junger Tag, wie bist du rein,
Gleich heitrer Menschenkindheit!
O bliebe bis zum Abendschein
Dir diese kühle Lindheit:
Laß dieser Stunde Reine nun,
Gott, tief mir in der Seele ruhn:
Taufrisch sei'n meine Pfade:
das spende deine Gnade!
[511]

Das Taubennest

Im Geschatt von dichten Zweigen
Lag ich tief im Eichenhag,
Ringsum Waldesmittagschweigen:
Fern nur Spechtes Schnabelschlag.
Und ganz leise mir zur Seiten
Rann der Moosquell wispernd hin:
Drüber der Libelle Gleiten,
Der beschwingten Schweberin.
Und ich dachte: »Schön ist's einsam:
Sang und Traum naht keinem Paar:
Aber schöner ist's gemeinsam:
Da wird Sang und Traum erst wahr.
Walther, war es dir zum Besten,
Daß stets einsam bliebest du?« – – –
Horch, da hoch aus grünen Ästen
Scholl's hernieder: »Rukuruh!«
Oben in den Wipfellauben,
Tief im lauschigsten Versteck,
Lag ein Nest von wilden Tauben
Und sie ätzten das Geheck.
Und ich sah – ich sah's mit Neiden,
Ich, der ungeweibte Mann, –
Wie so eifrig da von beiden
Liebgetreues Werk begann.
Wie die Täubin, nimmer säumig,
Flog zu Nest, gefüllt den Kropf,
Wie der Nestling, wollefläumig,
Reckte Fittich, Schopf und Kopf.
[512]
Wie dann auch der Tauber kehrte,
Fütternd wechselnd mit dem Weib,
Und dazwischen gurrend lehrte
Süßer Weisen Zeitvertreib. – –
Herrin, ach von stolzem Sinne!
War der Sänger dir zu arm?
Seine Treue, seine Minne
War wie keine treu und warm! –
Walther auf! – Es neigt die Helle,
Tiefre Schatten fallen ein,
Walther, heimwärts! Deine Zelle,
Ach, die leere, harret dein.
Nicht ganz leer! – Zum Notbedarfe
Tröstung dir dein Stern beschied:
Deine Hausfrau ist die Harfe,
Und dein Kind dein ewig Lied.

Nachtritt

Gemach, mein Roß! – Tritt auf bedächtig!
Der Glühwurm nur erhellt den Steg:
Schwer reitet sich's im Buschwald nächtig,
Knorrwurzeln laufen über'n Weg:
Tags trägst du mich, – nun führ' ich dich,
Dir Schritt und Bahn zu zeigen
Mit Schweigen.
Du bebst? Du schnaubst? Ja! Waldnachtgrausen
Rührt eisig auch des Weidmanns Brust:
Die Mächte, die im Nachttann hausen,
Sie schrecken gern mit Schadelust.
[513]
Schon mancher zog zu Wald zur Nacht, –
Kam nicht mit heilen Sinnen
Von hinnen.
Glutaugig faucht und klappt die Eule,
Im Hohlstamm ächzt der Waldschrat heiser,
Das Morschholz leuchtet rot in Fäule,
Und raschelnd schlüpft durch dürre Reiser,
Indes der Schuhu gellend lacht,
Das Wichtelvolk der braunen
Alraunen.
Doch plötzlich, mit gespanntem Bogen,
Harrt dort ein Räuber tief im Busch!
Spring' ein auf ihn, das Schwert gezogen: –
Da schwankt der Strauch im Windeshusch: –
Dich trog nur quer gekreuzt Geäst.
Da horch! Was kommt hoch oben
Geschnoben?
Was pfeift und schwirrt und johlt in Lüften?
Was hallt und tutet wie ein Horn?
Entstiegen aus des Abgrunds Schlüften
Hetzt seinen Hengst mit blut'gem Sporn
Der Heidengötter König da
Hoch über Baum und Boden –:
Herr Woden.
Voraus von Adlern, Geiern, Drachen,
Ein Schwirrgewölk voll Ungestüm,
Dann Bär und Wolf mit Lechzerachen,
Des Einhorns schreckbar Ungetüm,
Goldeber, Roßelch, Flügelhirsch,
Und hinterher die Schläger,
Die Jäger.
[514]
Voran mit hochgeschwungnem Speere,
Auf schwarzem Roß, Herr Woden du:
Und ewig strömen deinem Heere
Aufs neue wilde Helden zu:
Wer Hifthorn mehr als Orgel liebt,
Der folgt nach grausem Tode
Herrn Wode.
Der Rauhgraf, der die heil'gen Früchte
In frevler Hirschhetz niederritt,
Markfrevler, Wildschütz, Mordgezüchte,
Meineid'ge, – alle müssen mit:
Und weh, wen trifft das Nachtgejaid
Im Wald auf bösem Pfade –
Gott Gnade!
Den Schuldbewußten wird es hetzen,
Bis er den letzten Hauch getan.
Uns, Rößlein, darf es nicht verletzen:
Wir ziehn auf guten Werkes Bahn,
Und über uns wacht Gott der Herr,
Der aller übeln Geister
Bleibt Meister. –
Wer Vöglein pflegt, muß Kräutlein pflegen:
Heilkräft'ger Wurzeln weiß ich viel.
Dem todeskranken Kind zum Segen
Ausritt ich, als der Abend fiel:
Gerettet konnt' ich noch vor Nacht
Der Mutter und dem Leben
Es geben.
O Mutterauge, wie du strahltest
In Freudentränen wundersam!
Mit deinem Scheideblick du zahltest,
Was einst von dir an Weh mir kam,
[515]
Als ich vor zwanzig Jahren sah
Zum Brautaltar dich schreiten – –
Vom weiten. –
Wer Nachtfahrt tut auf solchen Wegen,
Wie wir, mein Roß, der banget nicht:
Denn einer Mutter Dank und Segen
Umschirmt, ein goldner Schild, uns licht,
Und Gott hat uns der Englein Schar
Mit leichtbeschwingten Sohlen
Befohlen.
Ha sieh! – schon endet Wald und Dunkel –
Hier durch die letzten Bäume bricht
Der Morgenröte Goldgefunkel –
Alt Wirzburg liegt im Dämmerlicht –
Da steigt die Lerche trillernd auf:
Herr Gott, laß sonder Schranken
Dir danken.

Der Turmkauz

Schnee hüllt das Land. – Grundtief füllt Eis den Main. –
Durch kalte Nachtluft leuchtet, – sonder Ende –
In höh'rem Glanz, als sonst der Sterne Schein: – –
Das ist die Nacht der Jahreswende.
Geh', Münsterturmwart, ruhe diese Nacht!
Dich lös' ich ab in deiner luft'gen Zelle:
Selb zweit mit meiner Harfe halt' ich Wacht,
Bis daß mich grüßt die Morgenhelle.
Dorthin den Weinkrug und die Ampel: hier
Den Speer und deine lange Turmdrommete:
Geh nur und schlaf: ich halte Wache dir
Mit Sang und Sinnen und Gebete. – –
[516]
Rings ruht die Stadt. – Nur auf der Burg glimmt rot
Des Gauwarts Licht. – Rings Kälte, Nacht und Schweigen, –:
Wie anders einst zu Rom uns Neujahr bot
Das Volk mit Tanz und Flötenreigen.
Lau ist die Nacht dort, wie bei uns im Mai!
Wie glatt die Lispler Gruß und Handschlag fälschen:
»Salut a voi!« – Da plötzlich: Mordgeschrei!
Und über uns die Wut der Welschen!
Das war das röm'sche Neujahr! – Heimatland: –
Da lob' ich dich, trotz Eis und Frost! – – Was ächzet
Vor'm Fenster dort? – Der Turmkauz! – Übler Fant!
Er kündet Unheil, wo er krächzet.
»Was wachst du, Mann,
Den Tag heran,
Den Tag vom neuen Jahre?
Unheil verrann,
Unheil hebt an
Von Wiege bis zur Bahre.
Die Lieb' ist Lust!
Treu keine Brust:
Es gleißt die Welt in Lügen:
Der Freund liebt sich:
Er liebt nicht dich:
Laß dich den Schein nicht trügen.
Das Reich zerrinnt,
Und Rom gewinnt,
Der Kaiser beugt den Scheitel:
Die Welt ist schal:
Ja, sie ist Qual:
Reich, Lieb' und Sang sind eitel.«
[517]
Husch, höllisch Nachtgekrächz, entweich' hiedann!
Sonst, Unhold, schlag' ich nach dir mit dem Speere – –
Ha sieh: Es tagt! Es tagt! die Nacht verrann,
Die Sonne steigt! Dem Herrn die Ehre!
Falsch war der Unkenruf! Es siegt das Licht:
Nicht eitel sind Lieb', Sang und deutsche Krone:
Den echten Mann reut seiner Schmerzen nicht:
Er trägt tief in sich, was ihm lohne.
Das Fenster auf! – Komm, Wachtdrommete mein:
Weit soll das deutsche Land den Ruf vernehmen:
Was feig und falsch, was niedrig und gemein,
Das soll mein Morgenlied verfemen.
Was kühn und treu, was edel, hoch und rein,
Soll sieghaft stehn gen alle Höllenstreiche:
Heil, junges Jahr! Dein Willkommgruß soll sein:
Dem Kaiser Heil und Heil dem Reiche.

Die tote Nachtigall

Ach, daß am Fuß der duft'gen Linde,
Die oft dein wonnig Lied durchdrang,
Ich tot dich, glüh'nder Sänger, finde!
Ob dir vor Drang das Herz zersprang?
Oft liegt Verderben im Gesang!
Dem Sänger Heil, des heiße Jugend
Die Kraft geübt hat, nicht entweiht,
Daß ihm der Dichtung höchste Tugend,
Des Maßes stille Heiligkeit,
Nun vollgereift das Alter leiht.
[518]
Oft denk' ich dein wildfeurig Singen,
Du allzu kühner Spielgenoß,
O Heinrich, du von Ofterdingen:
Wann voll das Lied vom Mund dir floß,
Wie heiß dein Blick dann Flammen schoß!
Wohin hat dich der Sturm vertragen,
Du heller, stolzer, junger Stern?
Verlodert bist du und zerschlagen,
Eh' voll gefestigt war dein Kern. –
Wem's besser ward, der dankt's dem Herrn.
Heißherzig, kleines Singeseelchen,
Dich bett' ich hier nach Waldesbrauch
In grünem Moos –: da singt Rotkehlchen
Das Grablied dir vom Rosenstrauch,
Und über dir Sang, Duft und Hauch. –
Wo wirst einst du wohl schlummern, Walther?
O legt mich in den Domhof nicht,
Wo mir ein Marbelstein, ein kalter,
Ruht auf der Brust mit Lastgewicht,
Absperrend Himmel, Luft und Licht.
Nein! In den Wald sollt ihr mich tragen
Und betten unter'm Moose grün,
Daß Nachtigallen um mich schlagen,
Und wilde Rosen um mich blühn:
Und, wann des Winters Flocken sprühn,
Auf meinem schneebefreiten Grabe
Sollt ihr den Vöglein Futter streun,
Daß sie an ihres Freundes Gabe,
Wann Frost und Hunger sie bedräun,
Noch lang nach seinem Tod sich freun.
[519]
Ob dann wohl in der Sterne Hallen
Mein Saitenspiel aufs neue klingt?
Ob, gleich der Brust der Nachtigallen,
Die Saite, die im Herzen schwingt,
Für immerdar im Tode springt?
Wer weiß es! – Walther, sei zufrieden
Mit dem, was dir auf Erden ward:
Denn wem das Schöne ward beschieden,
Der hat – ihm ist der Tod nicht hart –
Die Ewigkeit in Gegenwart.

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Walther von der Vogelweide. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6A2C-E