Die Königin von Aragon

Die Königin von Aragon, die zählte siebzehn Jahr',
Ihr Antlitz war wie frischer Schnee, wie dunkle Nacht ihr Haar.
Doch blieb ihr nur ein grauer Turm von ihrem reichen Land:
Auf Strand und Meer, auf Stadt und Flur lag schwer der Moslim Hand.
All' ihre Besten lagen tot, Kaplan und Bischof flohn,
Ihr eigen war kein Pfeilschuß mehr vom weitem Aragon;
Auf ihrem alten Bergschloß litt die feine Fürstin Not,
Und oft von goldnen Schalen aß sie Reis und hartes Brot.
Denn vor dem Wall lag Ibrahim, der schwur's mit manchem Eid,
Er weiche nicht, bis er im Sturm die Königin gefreit.
Da schrieb die junge Königin an alles Rittertum:
»Kommt hierher: hier in Aragon erwirbt sich Gold und Ruhm.
Und kömmt ein Held und kann mein Reich und kann mich selbst befrein,
Die Hälfte soll von allem Land und Gut sein eigen sein.«
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Doch niemand kam und nahm den Lohn aus aller Christenheit:
Denn Ibrahim und seine Macht, die schreckten weit und breit.
Umsonst die schöne Königin auf hohem Söller stand,
Und sah nach allen Winden aus und hielt vors Aug' die Hand.
Kein Retter kam, kein Schiff zur See, kein Reiter aus dem Wald;
Rings alles still: – ihr Schleier nur im Abendwinde wallt. –
Doch endlich tönt das Türmerhorn und sieh, vom Berg ins Tal
Ein reisig Häuflein nieder stieg, dreihundert an der Zahl.
Ein junger Ritter zog voran, in Eisen bis ans Kinn,
Auf seinem Schild geschrieben stand: »Für meine Königin!«
Er zieht ins Schloß, und neigt sich tief und spricht: »Ich heiß' Alfons,
Und morgen bist du wiederum die Herrin Aragons.
Doch lüstet mich nicht Gold noch Land: ich fordre höhern Preis,
Ich fordre – einen einz'gen Kuß auf deine Stirne weiß.«
Da ward die weiße Stirne rot, die Kön'gin hauchte leis:
»Erfüllt Ihr Euer Ritterwort, so wird Euch Euer Preis.«
Da zog er sein Toledoschwert, die Zugbrück' tat sich auf,
Ins Heidenlager brach die Schar gleich wie des Bergstroms Lauf.
Durch Schild und Helm wie Gottes Blitz schlug Don Alfonsos Schwert,
Vom Wirbel bis zum Gurt durchhaun stürzt Ibrahim vom Pferd.
Die Fahne fällt, das Lager brennt, Entsetzen faßt das Heer,
Sie fliehn zum Strand, sie fliehn zu Schiff, sie flüchten übers Meer.
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Und Saragossa ist befreit, Huesca tut sich auf.
Die Schlüssel sendet Stadt um Stadt zur Königin hinauf. –
Da sprach die junge Königin: »Nun zündet Kerzen an,
Und windet Kränze grün und bunt und tut mich bräutlich an.
Laßt meine Banner prächtig wehn von Turm und Zinnen all',
Die Pforten auf, die Tore weit und laut Trompetenschall.
Und als der Zug nun zögernd kam, da rief die Königin:
»Er hat sein Wort gelöst, wohlan – den Preis nun nehm' er hin.«
Doch alle Ritter schwiegen still, es schloß sich auf die Schar: –
Da lag Alfonso stumm und bleich auf einer blut'gen Bahr'.
Rot Schild und Panzer: in der Brust, da stak ein Wurfpfeil drin
Und auf dem Schild geschrieben stand: »Für meine Königin!«
Da schritt die Königin hinzu, küßt' auf die Stirn ihn leis:
»Ich schulde dir in Ewigkeit, Alfons, den Siegespreis.
Ihr Ritter aber, folget mir! Nach Saragossa nun!
Die Könige von Aragon in Saragossa ruhn.
Dort senket euren König ein und meinen Eheherrn:
Sein bleib' ich bis zum Wiedersehn auf einem schönen Stern!«

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TextGrid Repository (2012). Dahn, Felix. Gedichte. Balladen. Zweites Buch. Die Königin von Aragon. Die Königin von Aragon. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-6A8A-B