Der Vogel Wandelbar

Ein Spott- und Trost-Märchen.


War einst ein Vöglein Wandelbar,
an welchem Alles seltsam war.
Ein rechter Wildfang wollt' es sein
und hatte doch ein Humpelbein,
das arme lust'ge Vöglein.
Allein das Vöglein hatte auch
ein wundersam Gefieder;
das schillerte wie Purpurschaum,
und auf der Brust der weiche Flaum
wie ein Perlmuttermieder.
Vom vielen Zwitschern eigner Art
das Schnäblein ihm ganz silbrig ward,
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und seiner Aeuglein Scheinen
gar lieblich launisch wechselte
gleich blauen Edelsteinen.
So trug sich Vöglein Wandelbar
von Außen sonderlich fürwahr,
doch was das Sonderlichste war:
tief Innen trug's unwandelbar
ein Herz von lautrem Golde!
Und Alles war dem Vöglein gut,
wie's hüpfelte und glänzte, –
und Jeder nahm's in seine Hut:
solang 's im sichern Hofe saß,
er ihm das Nest umgrenzte.
Bis unser Vöglein langsam
sich wuchs zu einem Vogel aus;
da mußt' es aus dem warmen Haus
allein ins weite Land hinaus.
Das schien ihm, ach, so bangsam.
Die Andern liefen gar so schnell,
das Ihre zu erjagen;
da kommt mit seinem Wackelschritt
solch armes Entlein nicht gut mit,
und – muß den Spott noch tragen.
Sie fließen es und traten es
und rupften es gescheit,
und in dem wilden Drängen
blieb bald sein schutzlos Schimmerkleid
an Busch und Dornen hängen.
Zwar Mancher blieb auch stehen:
vermahnten dann und schalten
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den ungeschickten Wandelbar,
und wußten doch, daß lahm er war,
und – blieben selbst die Alten!
Doch endlich war es ihm geglückt,
mit letzten Kräften, arg zerpflückt,
ein Bäumlein zu erschwingen;
da dacht' er endlich auszuruhn
und sich in Schutz zu bringen.
Verwandelt war nun ganz und gar
der arme Vogel Wandelbar,
so funkelnd einst; nur hier und da
ein gleißend Federlein noch sah
aus seinem grauen Kittel.
Und auch der Aeuglein helles Licht
war blaß wie welk Vergißmeinnicht;
allein das Silberschnäbelein
war ihm geblieben noch vonklein,
wenn's auch nur schwach noch zirpte.
So saß er fern denn vom Gewühl
und sang mit bitterm Wehgefühl,
wie er so gar verlassen!
und wußte doch, daß Lahme nicht
zu soviel Schnellen passen.
Ein Rabe aber kam vorbei,
den ärgerte die Melodei
und auch das Silberschnäbelein,
er schrie: »Ich mag nicht solch Geschrei!
geh, packe dich vonhinnen!
ich will mir hier mein Nest herbau'n,
und für uns Beide ist kein Raum!«
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und stieß das Vögelchen vom Baum
und riß ihm aus dem Kleide
auch noch sein letzt Geschmeide.
Da war ihm aller Mut dahin,
der Mut sogar zum Klagen;
mit seinem müden Humpelbein
schlich matt und weinend es feldein
und dachte voll Verzagen:
»Jetzt nenne Garnichts mehr ich mein,
jetzt kann ich nur gleich sterben!
jetzt will ich in die Wüstenei,
wo Keinen störet mein Geschrei,
und still für mich verderben.«
Ja, garnichts garnichts mehr war sein
von all dem schönen bunten Schein;
sogar das Schnäblein hatte ganz
verloren seinen blanken Glanz
von all den vielen Thränchen.
Und als das Vöglein das gesehn,
ist fast sein Herz gebrochen;
zum Sterben hat sich's hingesetzt, – –
da kam der goldne Mond zuletzt
und hat zu ihm gesprochen:
»Du armes Vöglein Wandelbar,
was härmst du dich denn immerdar
um deine Tandjuwelen?
Du töricht Vöglein Wandelbar,
hast du vergessen ganz und gar,
was Keiner dir kann stehlen?!
Ward dir denn nicht viel mehr geschenkt
als blos der Prunk, an den sich hängt
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der Andern leeres Streben?
Was weinst du denn und machst dir Schmerz?
ward dir tiefinnen nicht ein Herz
von lautrem Gold gegeben?!«
Da ward dem Vogel Wandelbar
auf einmal Alles licht und klar;
da wußt' er bis an seinen Tod
unwandelbar trotz aller Not,
warum sich's lohnt zu leben!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Der Vogel Wandelbar. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/