Der Wunsch

Ein Traum.


Und wieder saß ich spät mit mir allein,
der Geisterstimmen dumpfe Schlacht belauschend,
die wild im Hirn um meine Seele rangen,
und wußte nichts von mir: ein schwirrend Heer
von Wünschen, kreiste vor mir selber ich
und sah die Wunschgespenster sich verknäueln
in Wut und Gier, von Wut ich mit erwühlt,
von Qual und Wollust, wie die Flatternden
sich würgten und sich fraßen und sich lüstern
umwanden, neue Schaaren zu gebären.
Bis sich auf einmal, im verzückten Rausch
des Mitgefühls, mir in die Augenhöhlen
die Nägel meiner Finger krallend gruben,
daß ächzend ich emporfuhr aus dem Brüten.
Und taumelnd wankt' ich auf, zum Fenster hin,
inbrünstig langend nach der sanften Nacht ...
Da dehnte sich im Dunstlicht unter mir
Berlin – mit seinen Türmen, seinen Kuppeln,
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mit seinen Schloten, seinen Ruhmessäulen
heraufgebaut ins fahle Blau, als langte
aus ihrem Grabe scheintot eine Riesin
und reckte alle Finger bettelnd hoch:
nur leben will ich – leben – atmen – essen!
Und rauschen hört' ich die Milliarden Wünsche,
die ungestillten, die das Mauerwerk
das nachtumarmte barg in seinem Schooß:
den Hunger, der mit dürrem Knöchel sich
das Grablied trommelte auf nackter Diele, –
die Not, die winselnd durch die Straßen kroch, –
das Elend, das in Träumen wüst sich narrte ...
Und ich erschrak ob meiner eitlen Qual;
und ein Erbarmen, graunvoll, grenzenlos,
stieß mich zurück in meine Einsamkeit.
Und trübe starrt' ich in die grelle Lampe
und trüber noch auf meinen Schatten, der
langwehend an der Wand hing, schwankend, nickend –
und starrte – – und entsetzte mich: der Schatten
bewegte, drehte sich, und winkte, nickte,
und wandelte vor mir, und trat zu mir, –
und eine Stimme tönte matt und hohl:
Komm! Wunsch ist Lust, Erfüllung Tod! Komm, schaue! –
Wir wandelten. Ein greller Mittag lag
schwül brütend auf dem gelben Sand der Wüste;
und um mich nur der schwarzvermummte Führer,
der stummen Mundes immer weiter wallte;
in seine Spuren trat ich wie gebannt.
Da gähnte jählings uns ein Abgrund an ...
Zurück ich wich; doch ruhig stand der Düstre
und wies zur Rechten, wo emporgetürmt
am Abhang ragte ein gewalt'ger Bau,
und aus dem Mantel klang es schwer und dumpf:
Der Tempel der Erfüllung! – und ich bebte,
von ungewissen Schauern angefaßt.
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Da tönte wieder mir die Grabesstimme:
Drei Wünsche sind gewährt dir! wähle! sprich!
Und rasselnd sprangen droben auf die Pforten ...
Und grübelnd stiert' ich in des Tempels Schlund, –
mir war, als wogten die Milliarden Wünsche
des Erdrunds drin, die ungestillten alle, –
von Schmerz und Lust erglüht' ich, – durstgeschüttelt
mein ganz Gefühl, zu strafen den Versucher, –
und heiser schrak ich auf in Haß und Wonne:
So soll denn jeder höchste Wunsch auf Erden
erfüllt sein jedem Einzigen! – – Jedem Einzigen:
gleichgiltig scholl es wider im Gewand.
Und rückwärts deutete der Ungerührte
dem Saum der Wüste zu; der regte sich,
und aus dem Boden hob ein Tummeln sich,
als schwärmten Geier wimmelnd um ein Aas.
Und fort vom Rand her schob es schwärzlich sich
gleich Wolkenklumpen, ballte sich und schwoll,
erbrauste, schwoll und löste sich, und rollte
und wälzte tosend auseinander sich
heran zu uns, die Ebne überströmend
wie Qualmgebrodel sturmgepeitscht, und näher
und näher immer zog's, und schüttete
sich aus vor uns zu Haufen, Schaaren, Zügen
von Leibern gelb und weiß und schwarz und braun;
die Erde stöhnte, wie sie rasend rannten
und keuchend flogen; und da schossen schon
die Ersten uns vorbei, vom Wettlauf triefend,
hinauf am Abgrund, zu den Stufen hin
den gleißenden des Tempels, – ihnen nach
der Unzählbaren brandendes Gewühl.
Und schaudernd sah ich ihrer Augen Gier;
doch unbewegt stand neben mir der Führer ...
Und aus dem Säulenthor zurück nun tauchten
mit dem errafften Gut, dem höchsterstrebten,
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dem tiefstersehnten, Die zuerst gewählt;
und freudebangend, zitternd spähte ich.
O Wahn, o Hoffnung –! wie sie kindisch johlten
und tanzten, in den Händen Tand und Spielwerk!
doch Andre kamen – fibernd spähte ich:
Da schleppte unter beiden Armen Einer
verstaubte Folianten, Einer krümmte
sich goldbepackt, behutsam trug ein Dritter
ein Pflänzlein, eine Schöne äugelte
verliebt mit ihrem Diamantenschmuck,
und jetzt – aufstammelnd griff ich in die Luft –
wildjauchzend stürmte aus dem Thor ein Häuptling,
die blutige Kopfhaut eines Feindes schwang er,
und oben auf den Stufen rangen Zwei
zum Mord verknotet um ein jammernd Weib.
Mitfühlend wand sich, bog sich krampfgespannt
mein Arm; da – ließ – mich's – los; ein weher Grimm,
ein ekler Zorn, ein unermeßlicher,
stand auf in mir und bäumte mein Genick,
zum Himmel stieß ich die gepreßten Fäuste:
O rotte, Allmacht, aus dies Wurmgezücht!
vertilgt sei, wer nicht liebt! es lebe nur,
wer in der Einen Sehnsucht sich verzehrt,
die Alle glücklich macht! es lebe nur,
wer Alle will von Leid und Schmerz erlösen! – –
Erlösen – tönte die vermummte Stimme;
– der zweite Wunsch! klang's schaurig mahnend nach.
Und plötzlich, mir zu Füßen kam's gerollt
herab vom Abhang knackend, schollernd, krachend
hinab zum Abgrund, Leiber über Leiber,
verrenkt im Todeskampf; doch toller immer
den Berg empor zur Tempelhalle tobte
der Unzählbaren brandendes Gewühl;
und aus dem Säulenschooße quoll und quoll es
die Stufen nieder – krachend, schollernd, knackend –
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von Sterbenden und Leichen – mir zu Füßen
den Schlund hinunter. Und die Sonne sank
und sank und sank, und immer neue Haufen
Zerschmetterter verschlang der grause Rachen ...
Aufschreien wollt' ich – flehen, daß nur Einer,
nur Einer spräche das geweihte Wort, –
auf that mein Mund sich, doch der Laut zerriß:
der Freund, der liebste, prallte her zermalmt –
zermalmt die Brüder beide – beide Schwestern!
und da, da – »Mutter!« – meine Mutter klomm
da, da! hinauf; jetzt bat sie; weh – für Mich,
für ihres Sohnes Glück blos flehte sie
und – starb für ihr Gebet! – Stier sah ich an
das Gräßliche, hohlglotzend, thränenleer;
verdorrt mein Herz mir däuchte, irr mein Sinn;
mein eigen Angesicht, im Dämmerdüster
rings um mich schwamm es, fahl, zerfurcht, versteint
von Gram und Grauen; in die Kniee brach ich,
die Fäuste schlug ich hämmernd mir ans Ohr,
zu töten das Gedröhn das marternde
der Knochen, die zum Abgrund rasselten
im Rücken mir; da – – neigte nieder sich
Der im Gewand, ein mildes Dunkel hüllte
mein flirrend Aug', ein tiefes Schweigen floß
süßkosend um mein Haupt, und wie ein Hauch
sanftraunend klang die Frage: Und dein dritter,
dein Eigner Wunsch? dein letzter?! – säuselnd sog
der Nachtwind ein das lockende Gemurmel ...
Und stammeln wollt' ich; doch die Worte kreisten
im Hirn mir, hetzten sich in toller Jagd,
gestaltlos, schemenhaft, – und eine Angst,
ein Schrecken vor mir selbst, und eine Furcht
vor meiner Eignen Gier, der lauernden,
umklammerten die Kehle mir, – zerknirscht
im Staub ich lag: nicht wagt' ich mehr, zu wünschen.
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Und endlich, bettelnd, stöhnt' ich: Gnade! Gnade!
und schlug die Augen auf – –, da grüßte mich
langwehend, nickend an der Wand der Schatten,
und schwelend stand die Lampe – und verlosch.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dehmel, Richard Fedor Leopold. Gedichte. Erlösungen. Erste Stufe: Ringen und Trachten. Der Wunsch. Der Wunsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/