Michael Denis
Gedichte

[1] An Gott

Gleich dem geflügelten Heere der Sänger am ewigen Sitze
Deines Reiches, Allweiser, Allmächtiger, Hoher, Erbarmer,
Vater der Menschen! ergreif' ich mein Spiel, und wage mein volles,
Schwellendes Herz in's laute Frohlocken der Saiten zu gießen,
Wage dein Lob. Doch kann sich, o Schaffer unzähliger Welten!
Kann am Staube von einer der Welten ein Würmchen sich aufthun,
Sagen: ich wage sein Lob? Dein Lob ist Erkennen und Danken.
Ja, dieß kann es! Erkennen und Danken. Du hast mich erschaffen,
Hast mich erhalten, ernährt, noch ehe die Seele dich kannte,
Ehe die Zunge des Kindes den holden, vertraulichen Namen:
[1]
Himmlischer Vater! zu bilden vermochte. Du hast mir Erzeuger,
Welche dich liebten, gegeben. Sie lehrten mich frühe dich lieben.
Treuer Vergelter! Du hast sie gerufen! O ströme die Fülle
Deiner Vergeltungen über sie beide! Nicht immer – ich kann es,
Seher der Herzen! nicht bergen vor dir – nicht immer verfolgt' ich,
Den sie mir wiesen, den Pfad, ein weicher, fühlender Jüngling!
Wende den richtenden Blick von Stunden der Irre des weichen,
Fühlenden Jünglinges ab! Du weißt es, Erbarmer! in Thränen
Kam er doch immer zurücke zu dir, und Liebe zur Tugend,
Liebe zur Weisheit, die niemal erlosch, entflammten ihm endlich
Siegend ein weicheres Herz. Nun hab' ich ein halbes Jahrhundert
Deiner Gnaden genossen, in trüben und helleren Tagen
[2]
Deiner Leitung am Arme gefolgt. Oft wähnt ich, es hüben
Berge vor mir sich empor; die kehrte dein Finger in Ebnen.
Klein ist die Reihe der trüberen Tage, verglichen mit hellen,
Die du mir gabst. Ich suchte die Liebe zur Tugend und Weisheit
Jünglingen hoher Geburt im Busen zu wecken, und mancher,
Glücklich dadurch, macht andere glücklich. Ich führte den alten
Geist des Liedes, und manches Erkenntniß ans Ufer der Donau
Wieder zurücke. Mein Fleiß fand Huld und Beifall im Auge
Meiner Fürsten. Mich ehret mein Volk. Mich lieben, in Deutschlands
Weite Gebiete verstreut, sehr viele der Weisen. Wer gab mir
Dieses zu thun, zu verdienen die Kraft? Wer gab mir den Willen,
Gütiger Leiter! als du? Dir dank' ich die Liebe zur Arbeit,
[3]
Dank' ich ein stilles, genügsames Herz, das Würden nicht reizen,
Die es nicht selber sich gibt, das Ehrenzeichen nicht reizen,
Die nicht stets der Verdientere trägt. Dir dank' ich die Liebe
Meines Geschlechts und aller Geschöpfe, die Liebe zur Eintracht,
Und das erhöhte Gefühl von jedem wahren Verdienste,
Fänd' ich auch dieses Verdienst am niedrigsten Hüttenbewohner.
Herr! dieß dank' ich dir alles, und jede geheimere Fügung
Deiner Vorsicht mit mir, ein Dunkel dem Waller im Staube;
Aber am Ziel' einst hellester Ausblick in's ewige Leben.
Herr! was kann ich? Vergelten? O nein! Erkennen und Danken!
Siehe des Geistes Erkenntniß, und höre das Opfer des Dankes,
Welches von betenden Lippen herunter in's Harfenspiel einströmt.
[4]
Leite den Betenden fort! Ich habe die längere Strecke
Meines Weges zurückgeleget, und nahe dem Ziele.
Ist es erreicht, entstrebet die Seele der irdischen Hülle,
Die du zur treuen Gefährtinn ihr gabst, dann, Vater! eröffne
Deiner Erbarmungen Schooß, und kröne die Fülle der Gnaden,
Die du von meinem Entstehn so zahllos über mich ausgoßst,
Mit der letzten, der größten, dem seligen, ewigen Anschaun!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. An Gott. An Gott. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7E0D-F