[305] Abschied von der sichtbaren Welt 1

Schön ist umher die Natur
Im kühlen, gemilderten Lichte,
Das schweigend über mir hängt.
Drey Sänger um mich:
Vom Teiche der wachende Frosch,
Vom Felde die muntere Grille,
Vom Busche der Liebling des Mondes,
Der Führer der Barden der Luft. – 2
Alle sie von der Natur gelehret,
Und unverwöhnten Hörern
Empfindungen weckend und Reizer des Lied's. –
Und schwieg' ich unverwöhnter Hörer?
Ich Eingeweihter der Natur?
Und göß' ich Empfindungen nicht
Ins nächtliche Chor der Reizer des Lieds? –
Steig nieder, Schattenharfe!
[306]
Vom wiegenden Zweige der Tanne!
Begleite den Strom der Empfindung
Ins nächtliche Chor der Reizer des Lieds! –
Dieses Chor tönet einst ohne dich! –
Einst verklingen, Schattenharfe, deine Saiten.
Einst verstummt der Liedermund deines Barden.
Von dem Teiche, von dem Felde,
Von dem Busche kömmt Gesang;
Aber schweigend steht der Hügel,
Der den Barden deckt.
Kühle Lüfte säuseln,
Wiesenquellen lauten,
Durch die Tannenzacken
Blinkt der milde Mond;
Aber schweigend, schweigend steht der Hügel,
Der den Barden deckt.
Schweigend, Hügel! wirst du stehn.
Aber, wie vergnügte Gäste
Singend von dem Mahle scheiden,
Will ich Lebensgast singend scheiden,
Wenn mein Tag mich ruft.
Dank ist meiner Lieder letztes;
[307]
Du Natur umher in deiner sanften Schönheit,
Und du, kühles Licht über mir!
Höret meinen Dank, meiner Lieder letztes,
Wenn mein Tag mich ruft!
Dank dir, Flammenaug' des Tages!
Deinem Lichte, deiner Wärme,
Sonne! Dank!
Dank für alle Wonnestunden,
Die dein Kommen und dein Scheiden
Mir erschuf!
Dank für alle Farben,
Die du meinem Blicke straltest!
Dank für alle Lieder,
Die du mir im Busen wecktest!
Bald wirst du mir nimmer leuchten!
Aber leuchte, leuchte
Meinen Erdekindern,
Bis dein Tag dich ruft!
Dank dir, sanftes Aug' der Nacht!
Deinem Lichte, deiner Kühle
Dank, o Mond!
Dank für alle Wonnestunden,
[308]
Die dein still und friedsam Wandeln
Mir erschuf!
Bald wirst du mir nimmer wandeln!
Aber wandle, wandle
Meinen Erdekindern,
Bis dein Tag dich ruft!
Erde Mutter! höre
Deines Sohnes Dank!
Seinem Hunger glühten Früchte,
Seinem Durste rauschten Quellen,
Seiner Hitze wehten Lüfte,
Seinem Dache sproßten Schatten,
Seinem Lager grünt die Flur.
Früchte, Quellen, Lüfte,
Schatten, Flur!
Höret Sineds Abschied,
Sineds Dank!
Nimmer werdet ihr ihn laben;
Denn die Mutter öffnet
Ihren Schooß für ihn.
Aber glühet, rauschet,
Wehet, sprosset, grünet
[309]
Langen Menschenaltern,
Bis auch einstens euer Tag euch ruft,
Dank euch Thiergeschlechter!
Die ihr meiner schontet,
Die ihr mir gehorchtet, dientet mir!
Dank euch, holde Kehlen!
Die ihr meinen Ohren
Aus der Luft von Wipfeln
Heiterkeit und Wonne sang't!
Dank euch, allerkleinste Leben,
Kinder der verjüngten Monden!
Derer Wunderbildung,
Farben und Geschäfte
Froh mein forschend Aug' besah!
Gerne war ich mitten unter euch,
Euer Wohlstand, eure Freuden
Machten Sined's Herz vergnügt;
Eure Plagen, euren Tod
Konnte Sined's Aug' nicht seh'n.
Diesem Auge naht sein Abend.
Nimmer werdet ihr dem Barden
Dienen, singen und gefallen.
Aber dienet, singet und gefallet
[310]
Seinen Erdekindern,
Bis auch einstens euer Tag euch ruft!
Heldenvolk, vor dessen Augen
Ich mein friedlich Leben lebte,
Dessen Jugend meinen Lehren horchte,
Dem ich Lieder sang,
Dank dir, Heldenvolk!
Dank für jeden Beifall,
Welchen du mir schenktest,
Dank für jede Thräne,
Die ich dir entlockte,
Für des Eichenkranzes Ehre,
Dessen du mich würdig hieltst!
War von meinem Harfenspiele
Stolz und Bitterkeit und Tadel
Meiner Brüder weit,
Weckten meine Lieder
Liebe zu der Gottheit,
Und zum Vaterlande,
Tapferkeit und Tugend
Und der Wehmuth Lust:
O so lehre sie die Nachzeit, Heldenvolk!
O so zeichne meinen Hügel,
[311]
Daß ihn in den spät'sten Altern
Noch der Enkel kenn';
Freunde! Nahe, ferne Freunde!
Sined's größter Schatz im Leben!
Freunde! Sined scheidet. Dank!
Dank für alle Nachsicht,
Dank für alles Mitleid,
Dank für allen Rath!
Dank für alle Wonnestunden,
Die mir eure Botschaft
Euer Zuspruch schuf!
Fandet ihr an meinen Liedern
Bardenwerth,
Fandet ihr an meinem Herzen
Menschenwerth,
O so menget meinen Namen
Euren Liedern ein!
O so zieh't an meinem Hügel
Eichenschatten auf!
Daß an Sined's Eiche
Sich zum Wettgesange
Späte Barden setzen,
Daß zu Sined's Eiche,
[312]
Treue sich zu schwören,
Späte Freunde geh'n!
Geister, die ihr mich behorchet
In der stillen Mondennacht,
Traget meinen Erdedank,
In der Schattenharfe Klang gesungen,
Ueber jenes Thaugewölke
Bis hinauf, wo Allvater wohnt!
Meinen Himmeldank für alles,
Was er mir hienieden gab.
Seine Wege, die er mich
Durch Vergnügen und durch Schwermuth führte,
Sing' ich einst, vor ihm enthüllet,
In der Flammenharfe Klang.

Fußnoten

1 Gesungen in einer Sommernacht.

2 Die Nachtigall.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. Abschied von der sichtbaren Welt. Abschied von der sichtbaren Welt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7E3B-7