[180] [182]Sechste Station

1.

Nach Mekka zieht der Araber auf stolperndem Kamele,
Und so der Dichter nach Berlin auf holperndem Ghasele.
Berlin ist Deutschlands Orient, und wenn ihm Palmen mangeln,
So sagt doch niemand in der Welt, daß Sand und Staub ihm fehle;
Berlin ist Deutschlands Minarett, und statt der Muezzin schreien
Sich tausend Journalisten wund die wohl-geschmierte Kehle.
Dann sinken im Gebete hin die Gläubigen und Frommen,
Ein Pietisten-Derwisch tanzt, kasteiend Leib und Seele;
Im Fusel-Opium berauscht sich offen auf der Gasse
Herr Nante mit dem ganzen Schwarm, der immer kreuzfidele.
Verschnittne schleichen auch umher, triefäugige Eunuchen,
Und suchen, wo noch Männer sind, nach Hader und Krakeele.
Und daß das Gleichnis fertig sei, befiehlt zuletzt der Mufti:
Ich will an meinem Throne sehn die deutschen Prachtjuwele;
Es werde Frühling in der Mark, und eilig laßt mir kommen
Herrn Bülbül-Rückert, Wohlgeborn, des Ostens Philomele!

[182] 2.

Frei ist die Kunst, allein, fürwahr! nicht frei wie ein Nomadenzelt,
Das man vom Isarstrande flugs hier an der Spree Gestaden stellt;
Sie schießt, ein stolzes Prachtgewächs, aus jeder Scholle nicht hervor
Und ist so gut wie Königtum eine Von-Gottes-Gnaden-Welt.
Soldaten lassen sich zur Not erziehen und Geheime Rät',
Wenn nur die rechte Meisterhand den goldnen Puppenfaden hält.
Doch Dichter wuchern nicht empor, wo man verlegnen Samen streut,
Zumal wenn er in Sand herab und steinig-harten Pfaden fällt;
Und Maler lieben nicht zu gehn, wo ihnen rings auf jedem Schritt
Ein kritisch-lautes Köterlein heimtückisch um die Waden bellt;
Und Philosophen denken nicht, wenn das profane Marktgeschrei
Alltäglich um ihr stilles Haus und die verschloßnen Laden gellt;
[183]
Spielleute endlich schweigen bald, wenn Pöbelwahn und Frömmelei
Auf ihre liederreiche Brust schwer wie ein gift'ger Schwaden fällt.
Nein, Rüben und Kadetten zieht, Kartoffeln und Magister groß,
Daß schadlos solche Ernte Euch für Eurer Künste Schaden hält!

3.

Ihr habt gepredigt, nun ein Jahr, die neue, treue, freie Zeit;
Wann wird die Mär denn endlich wahr, die neue, treue, freie Zeit?
Der Becker hat und die Geselln geknetet und geheizt genug,
Und immer ist das Brot nicht gar, die neue, treue, freie Zeit.
Ihr saßt schon lange auf dem Ei und gackertet in alle Welt,
Allein noch kroch nicht aus der Aar, die neue, treue, freie Zeit.
[184]
Ein stolzes Wort habt Ihr gewagt, nun eilt, daß es zu Ende kommt,
Und macht uns andern offenbar die neue, treue, freie Zeit.
Von ferne klang es – ha, wie schön! – von deutscher Völker Einigkeit,
Man sah sie schon ganz nah und klar, die neue, treue, freie Zeit;
Hoch schwebte sie am Krönungsfest ob Euerer entzückten Stadt
Und trat zum Huldigungsaltar, die neue, treue, freie Zeit,
Sie streifte im Vorüberwehn selbst mit des Fittigs goldnem Saum
Den König und der Nächsten Schar, die neue, treue, freie Zeit;
Doch als nun eine kecke Faust besitzes-froh ergreifen wollt',
Wie die Gelegenheit beim Haar, die neue, treue, freie Zeit,
Da flatterte sie scheu hinweg, und drohend hieß es: Sachte, Freund,
Sonst bringt sie dich noch in Gefahr, die neue, treue, freie Zeit.
Ihr schwieget – und wir – mäuschenstill, und nur zuweilen flistert's noch:
Sie macht sich doch auch gar zu rar, die neue, treue, freie Zeit!

4.

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Du weißt, was das bedeuten will? Du wirst sie mir nicht streichen?
Es sind ja nur unschuldige – vier kleine Fragezeichen.
Die wurzeln tief, die ragen hoch; wie die gerühmten Eichen
Des freien deutschen Volkes stehn vier kleine Fragezeichen.
[185]
Du wolltest sie zwar nimmer sehn in deinen weiten Reichen,
Doch drängen sie sich immer auf, vier kleine Fragezeichen.
Wer wird denn so erschrocken sein und scheu vom Wege weichen,
Wenn einem nichts begegnet als vier kleine Fragezeichen?
Gekrümmt, gebeugt erscheinen sie, Hofräten zu vergleichen,
Im Säcklein eine Handsupplik, vier kleine Fragezeichen;
Du wiesest sie hinweg von dir, nun schlüpfen sie und schleichen
Umher im Volk und murmeln leis, vier kleine Fragezeichen.
Zwar was sie wollen werden sie wohl nimmermehr erreichen,
Allein sie bleiben, was sie sind, vier kleine Fragezeichen.
Und einst, wann sie gestorben sind, erscheinen sie als Leichen
Dir nachts im Traum und ärgern dich, vier kleine Fragezeichen,
Und einst, wann – du gestorben bist, als Stempel dann und Aichen
Stehn groß an deinem Monument – vier kleine Fragezeichen.

[186] 5.

Zu guter Letzt ein klein Ghasel – darf das ein wenig spitzig sein? –
Ein König, spricht's bescheiden aus, ein König soll nicht witzig sein;
Das Wortspiel und den Calembourg lass er den Journalisten,
Das Fluchen seinen Fähnderichs: ein König soll nicht hitzig sein.
Auch sorg er, wie ein Schuldespot, sich nicht um Jüden-Namen,
Wer wird denn grausam gegen Schmul und strenge gegen Itzig sein?
Ein König sei Original und stehe auf sich selber:
Er wolle nicht in jedem Ding – hier schweigt es – alten-fritzig sein!

[187] 6.

Du Stadt der Bildung und des Tees, der Künste und der Nücken,
Leb wohl, der Dichter weist enttäuscht auf ewig dir den Rücken!
Kalt dünkt' es ihm, so lang er saß in deinen stolzen Mauern,
Und niemals wollt ihm drin ein Lied, ein heimatliches, glücken.
Für schweres Gold erkauft' er sich nur federleichte Liebe
Und konnte keine Männerhand warm und vertrauend drücken.
In deinen Linden wohnt kein Lenz, kein Herz in den Palästen,
Und sollten sie durch Pracht und Glanz den Blinden selbst entzücken;
Auf deinen Straßen hüpft geschminkt die Armut und die Lüge,
Verleumdung schlägt und Heuchelei dem Laster goldne Brücken,
Und wenn die Frömmler vor dem Kreuz sich tief und süßlich bücken,
So wissen sie doch tiefer noch vor Kreuzen sich zu bücken,
Dein König räumt und baut in dir, er schafft mit Allmachts-Händen
Nichts mehr als ein musivisch Werk aus hundert-tausend Stücken,
Die Dichter ruft er fern und nah, die Maler und die Sänger
Und stopft mit großen Namen aus der großen Männer Lücken.
[188]
Die Namen tun es freilich nicht, und sein sie europäisch,
Sie können nur als Säulenzier des Tempels Neubau schmücken;
Doch nur der Jugend tapfre Hand, nur frischer Geister Streben
Kann von dem Baum der Gegenwart lebend'ge Früchte pflücken.
Leicht welkt der beste Lorbeerkranz auf alters-kahler Scheitel,
Und ein Genie geht auch nicht weit auf Stelzen oder Krücken.
Ihr schreit genug, Ihr schreibt genug, Ihr seht durch Eure Brillen
Im Kater einen Löwen gleich und Adler in den Mücken;
Wir aber, hinterm Berge hier, wir lassen uns nicht blenden,
Wir wissen auch, was rechtes Haar, was Zöpfe und Perücken.
Das sag' ich Euch in vieler Sinn, und sollt' es Euch verletzen,
So mögt Ihr Euch am rechten Fleck ganz ungehindert jücken.
Und wär' ich schlechten Reimen hold, ich wüßte wohl noch manches,
Das trefflich paßt auf Euren Stolz, auf Eure alten Tücken:
Ihr wißt doch, was »ersticken« heißt, was »zwicken«, »flicken«, »knicken«,
Was geistige »Fabriken« sind und stille »Katholiken«, –?
Allein ich hab' es selber satt und weise, mit Behagen,
Du eitle, kalte, falsche Stadt auf ewig dir den Rücken! –

[189] Grenzphantasie

– N.N.N.N. –


Nunquam retrorsum!

Bis hierher und nicht weiter! Hier die Grenzen, –
Betrachte diesen Pfeiler, dieses Schild!
Siehst du, in Schwarz und Gold gemalt, es glänzen
Des Doppeladlers dräuendes Gebild?
Hier gilt's zu scheiden von der Heimat Lenzen,
Von deines Südens blühendem Gefild, –
Kehr um, wenn dir das Leben lieb geworden,
Denn hier beginnt die Not, die Nacht, der Norden.
Das ist kein Adler, wie die Adler alle:
Dem Licht zuwider geht sein schwerer Flug,
Von Raub und Blut trieft die gewetzte Kralle,
Die schon so manches Wild daniederschlug,
Die jüngst den Nachbar-Aar gebracht zu Falle,
Den weißen, der Polonia's Banner trug ...
Ihn sahn wir sinken, sahn den andern steigen
Und taten, – was wir immer müssen: – schweigen!
Ob er mit seinen breiten Rabenschwingen
Der Sonne Strahl den heitren Durchgang wehrt,
Ob er, gewöhnt zu siegen und zu zwingen,
Mit jedem Tag die Kraft der Fänge mehrt,
Was kümmert's uns, die wir vor andren Dingen
Uns fürchten, westlich stets den Blick gekehrt?
Wir fühlen nicht, bis uns im eignen Nacken
Die Klaun des Unersättlichen erst packen.
Ein Schritt nur, und ich stünd' in seinem Reiche,
Da drüben grünt, wie hier, dasselbe Gras.
Und doch, wo in der Welt wär' eine gleiche
Titanenkluft, so sonder End' und Maß?
Diesseits Europa, das gedankenbleiche,
Jenseits die neue Jugend Asias,
Hier die Kultur, die satte, dort die rohe,
Die ungeübte Kraft, die tatenfrohe!
[190]
Was frommt's, daß auf geduldigem Papiere
Ihr für die Euren fügsam sie erkannt?
Es hat Natur dem Menschen wie dem Tiere
Den Stempel unauslöschlich aufgebrannt,
Behaltet Euer Teil, und sie das Ihre,
Nur sagt nicht, daß Ihr Zwei aus einem Land;
Viel fester stehn als auf gemalten Karten
Im Geist der Völker ihrer Grenze Warten.
Seid ihr verwandt mit Finnen und Kalmücken,
Mit Slawen, die einst Rurik hergeführt?
Wollt Ihr die Hand dem Samojeden drücken,
Der auf dem Schnee nach Bär und Elen spürt,
Und dem Mongolen, dessen Sklaven-Rücken
Alltäglich noch des Zuchtherrn Knute rührt?
Und wollt Ihr flehn, wie sie seit tausend Jahren:
Erst betet Gott an und darauf den Zaren!?
Natur hat selbst den Unterschied gerissen,
Ihn gleicht die Kunst nicht aus, nicht Zeit und Macht.
Dort liegt sie mondenlang in Finsternissen
Des Winters, eh einmal ihr Auge lacht,
Kaum schmilzt das Eis von den gefangnen Flüssen,
Kaum dämmert's in Sibiriens Bergwerks-Nacht,
Ein Todeshauch, wie aus des Nordpols Gegend,
Durchfröstelt alles Land, Schauer-erregend.
Ihr meint, der Nord kann Euer Feld nicht streifen,
Die Nacht nicht Euren Himmel überziehn?
Kurzsichtige! Wenn sie zum Schwerte greifen,
Wohin nur vor der Macht der Masse fliehn?
Schon seh' ich sie durch Eure Städte schweifen,
Wie einst als Freunde, plündernd her und hin, –
Denn Stillstand ist bei Riesenleibern nimmer,
Bewegung heischt die Selbsterhaltung immer.
Wohlan! Ich schleudre ahnend meine Lanze,
Den Liederpfeil, hinüber in dein Reich;
Rück an und fordre uns zum Waffentanze,
Zum Völkerkampf, zum Einzel-Schwerterstreich!
Wir schmücken unser Haar mit grünem Kranze,
[191]
Die Brust mit einem muntren Eichenzweig,
Den Spartern ähnlich, die vor Hellas Toren
Ihr Leben im Barbarenkrieg verloren.
Los auf und lasse deine Neu-Barbaren,
Den Strom, den nur mit Müh' ein Damm gehemmt,
Ansprengen, heiß den flüchtigen Tataren
Und den Kausasier, auf's Kamel gestemmt,
Und den Kosacken, welcher raub-erfahren,
Im Don sein Roß, sich selber niemals schwemmt,
Und die von ihres Irtisch öden Steppen
Auf Schlitten mühsam sich zusammenschleppen.
Das balle, dein Geschütz und deine Horden
Und dein Getier, in einen wüsten Knäul,
Und schleudre, einen Blitz aus hohem Norden,
Vernichtend auf uns nieder deinen Gräul.
Geschehe, was da muß! Erfüllt ist worden
Die Zeit! So klagt Kassandra's Wehgeheul,
Und ächzend unter deiner Schlaglawine
Wird Deutschland eine warnende Ruine!

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TextGrid Repository (2012). Dingelstedt, Franz von. Sechste Station. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7FCC-C