[68] Ein Abschied

Der Scheidestunde thränendumpfe Schwermuth,
Die noch ein letztes Mal in endlos-langen,
Wildheißen Küssen und in Händedrücken,
Die wortlos-bebend alles sagen, schwelgt, –
Der ganze melancholisch-süße Reiz,
Der solche Stunden schmückt, er blieb Dir fremd,
Ganz fremd. Nicht einmal eine Ahnung schien
Dich heimzusuchen, um Dir einzuraunen,
Dass man in solchen Stunden manchesmal
Ein wenig traurig ist und thränenlustig.
Nein, – unter anmuthfröhlichem Geplauder
Erharrtest Du den Zug, der Dich von dannen,
Nach Deiner meerumspannten Heimat führe,
Zum heißersehnten, sonnenrothen Süden.
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Graziös und spöttisch elegant entflog
In rascher Folge Deinem üppigen Mund
Manch' feingeschliffen, witzgetränktes Wort.
Da – plötzlich – löstest Du mit rascher Hand
Aus Deinem Brustbouquet zwei Tuberosen
Und gabst sie mir. Auf Deinem warmgetönten
Goldbraunen Antlitz lag ein feines Lächeln,
Und Deine hochgeschnittenen Nüstern bebten
In leichtem Hohn: »Die beiden Rosen gibst Du
Der ersten, die nach mir Dich wieder küsst,
Als Liebeszeichen, ja? Doch eile Dich,
Verwelkte Rosen kann man nicht verschenken.
Und diese blutgefärbte Nelke – hier –
Aus Deinem Knopfloch – fährt mit mir nach Süden,
Und will's der Himmel, kann ich sie noch duftend
In eines lieben Freundes Hände legen.
Und wenn wir dann, im Meeressand vergraben,
Umzittert von des Mondes blassem Gold,
In halben Worten, halben Tönen plaudern,
Dazwischen wieder auf die Plätscherlaute
Der funkenübersäten Wogenkämme
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Und auf der Winde leises Zischen hören,
Dann will ich ihm vom nordischen Exil
Und auch von Dir, mein stummer Freund, berichten,
Dann sag' ich ihm, dass Du ihn grüßen lässt,
Wenn auch ganz unbekannter Weise, sag' ihm
Noch manches andere höchstwahrscheinlich, was mir
In jenem Augenblick gerade einfällt,
Und was ihm Freude macht, wenn er's vernimmt.
Und was ich Gutes kann von Dir berichten
Und Liebes auch von Dir, das soll er wissen.
Und fragt er mich, warum ich fortgelaufen
Von einem Menschen, der so nett gewesen,
Der mich beinah' geliebt und angebetet,
So sag' ich ihm – ... ich weiß es selbst nicht recht:
Ich hab' ihn gern gehabt, ich kann's nicht läugnen,
Doch schließlich hat man Heimweh', Langeweile,
Man lechzt nach neuen, niegeschauten Dingen,
Man träumt von alten, schwervermissten wieder.
Und dann – die Deutschen sind so ernst und nüchtern,
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So gründlich und pedantisch! Lachend küssen
Und lachend selig sein und lachend lieben,
Das wär' ein Deutscher nicht, der das vermöchte.
Ich aber brauche Licht und Luft und Glanz,
Und wechselvolles, farbenheißes Leben,
Und ich will lachen, singen, jauchzen, tanzen
Und übermüthig sein; – ich hab' ja Blut,
Hellrothes, heißes, tolles Blut im Leibe,
Und lieben will ich, wie's mein Herz befiehlt!«
Ein harter Glockenanschlag, Hornsignale,
Ein schriller Pfiff, – von Deinen Lippen bricht
Der wilde Freudenschrei: »Nach Süden geht es!«
Und Dein Addio stirbt im Wagenrollen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Gedichte. Sensationen. Gestalten und Visionen. Ein Abschied. Ein Abschied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8148-3