[35] [37]Stille Stunden

Dem »Berghof« zugeschrieben.


[37][39]

Widmung

Ich bin nicht einer, dem die Worte fließen,
Dem leicht das rechte von der Lippe springt,
Und meiner Lieder Nachtviolen sprießen
Nur dann empor, wenn mich die Qual bezwingt.
O grausenvolle Marter – sich enthüllen,
Aufschließen seiner Seele düst'ren Dom,
In eisig starre, todte Worte füllen
Tiefgründiger Gefühle scheuen Strom.
O lasst mich schweigen, schweigend mögt Ihr ahnen
Was mich durchwogte, flutenwild und heiß,
Als Ihr auf meines Lebens Schattenbahnen
Mit weicher Hand gestreut ein grünes Reis.

[39] Zwiegespräch

Was stöhnt meine Seele so schwer und so bang?
»Mir träumte von meinem Untergang!«
Und ward meiner Seele nicht froh und leicht,
Da sie das Ziel aller Sehnsucht erreicht?
»Ich weinte ja nicht um meine Qual,
Und nicht um den Abschied vom Thränenthal.
Mich hat nur Erbarmen mit dem durchweht,
Was ungeboren mit mir vergeht.«

[40] Lass', o lass'

Lass', o lass' Dein gütig mildes Fragen,
Lass' es sein ...
Meine Leiden,
Sie vermeiden
Deiner Augen klaren Schein,
Und ich kann sie, kann sie Dir nicht klagen,
Nein, o nein.
Bis zum Thor der Schmerzen darfst Du mich geleiten,
Doch den dunklen Leidensweg muss ich beschreiten
Ganz allein.

[41] In Memoriam

Ein Winterabend war's. In schweren Flocken
Sank ... langsam ... Schnee auf Schnee. – Verschimmert war
Der letzte Tagesschein, und trübes Licht
Der Straße glitt in's dämm'rige Gemach.
Ich war allein ...
Wie zornig-dumpfes Meeresbrausen grollte
Der Lärm des Lebens in mein stilles Heim,
Und schrilles Pfeifen und verworrenes Rufen
Und tausend andere Töne gellten drein ...
Mir aber blieben diese Töne fremd
Und fern und unverstanden, wie sonst nie.
Versunken war für mich der Lebensreigen,
Der sich vor meinen Fenstern tosend schwang ...
Vergangenes war erwacht, und Todtes lebte
Nach trostlos-stumpfen Jahren in mir auf –
Und einer Seele dacht' ich, die gestorben
An ihrer grenzenlosen Einsamkeit
Und ihrer Liebe ...

[42] Gebet

Trostlos-weinende Sehnsucht,
Du geleitest
Einzig meine verirrte,
Wundenblutige Seele,
Und Dein hilflos
Kindisch-thörichtes Weinen
Mehrt ihre Qualen.
Weinende Sehnsucht,
Lass', o lass' meine Seele
Pilgern und irren,
Fallen, verderben,
Aber gönn' ihr
Hoffnungsloses,
Selig-schweigendes Sterben.

[43] Adagio dolente

(Beethoven Op. 110.)


Aus meiner Seele
Wehevollen Schlünden stieg
Mit brausenden Flügelschlägen
Die Sehnsucht empor ...
Nun weint in mir das Leben
Und jauchzt die Qual –
Und über beiden schwebt die Sehnsucht,
Heimatlos und suchend – suchend – –

[44] Und meine Seele

Und meine Seele
Trat vor mich hin
In kothbesudeltem Purpurgewande
Und sah mich an,
Todestraurig,
Mit schwimmenden Augen ...
Und klagend klangen die Worte:
Siegt die Gemeinheit?,
Siegt die Noth des Daseins?
Muss ich sterben?
Und ich nickte,
Langsam,
Wortlos-ergeben,
Dreimal.

[45] Einsam

Abgeschüttelt
Hab' ich meiner Freunde Scharen,
Einsam bin ich geworden
Köstlich einsam ...
Wie ferner Brandung
Schütterndes Tosen verklang
Der Lärm des Lebens,
Einsam bin ich geworden,
Köstlich einsam ...
Aus tödtlichem Schlummer
Erstand meine Seele,
Und mit leiser, leiser,
Ängstlich-wagender Stimme singt sie
Alte, süße,
Thörichte Kinderweisen!
Einsam bin ich geworden,
Köstlich einsam. –

[46] B.R.

Und wenn ich lang' auch ferne blieb,
Ich hab' Dich heut' wie vordem lieb:
Wir haben ja beide das Leben beweint,
In Tagen der bittersten Qual uns vereint.
Was aber der Schmerz zusammengeschweißt,
Im Leben nimmer und nimmer zerreißt.
Und wenn ich lang' auch ferne blieb,
Ich hab' Dich heut' wie vordem lieb
Und hab' in mancher stillen Nacht –
An Dich gedacht.

[47] Zueignung

In Erinnerung der alten Zeiten
Nimm dies Buch der Qualenseligkeiten;
Nimm's von einem, der in lichten Stunden
Heiß und echt und tief für Dich empfunden,
Dem für immerdar bei Dir zu wohnen
Nicht vergönnten seiner Brust Dämonen,
Der vom Leben wild umher getrieben
Trotzdem nicht verlernte – Dich zu lieben.

[48] Verlorene Sehnsucht

Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden,
Der starken Anmuth lebensfrohes Bild,
Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden
Mit einer Seele sonnenklar und mild.
An eines stillen Stromes grünen Borden
Hätt' ich das Leben gerne süß verträumt,
An eines stillen Stromes grünen Borden
Die wilde Lust, die wilde Qual versäumt. –
Ich wäre gern ein schlichter Mann geworden ...

[49] Confiteor

Sieh', Du musst es mir vergeben,
Wenn ich manchmal schroff und hart:
Toll und traurig war mein Leben,
Eine wüste Pilgerfahrt.
Schwer hab ich nach Haus' gefunden,
Bitter musst' ich irre geh'n,
Und ich kenne Stunden ... Stunden,
Wo Gespenster auferstehen.

[50] Dämmerung

Leuchtend um die Stirne kosen
Junge Rosen,
Glutentfacht;
Und im Herz, dem freudelosen,
Sterbelichter ängstlich glosen
Und erlöschen sacht.
Kündet ihr den Morgen, Rosen,
Oder tiefste Nacht?

[51] H.S.

Wenn Deiner Lieder dunkelwarme Laute
Wie Glockentöne weich ans Herz mir drangen,
Bis meiner Seele starre Hüllen sprangen
Und Thrän' auf Thräne trotzig niederthaute,
Und wie ich dann in wonnig-süßem Bangen,
In heiliger Scheu zu athmen kaum mich traute,
Nach Deinen Lippen sehnsuchtsvoll nur schaute
In unersättlich seligem Verlangen – –
O, wer vergäße jemals dieser, Tage,
Wo sich Natur und Kunst so schön verbunden,
Wo leis' und leiser klang die tiefe Klage,
Und milder schmerzten ewig-off'ne Wunden,
Wo sich gestählt mein Herz, das lebenszage,
Für neuer Kämpfe schicksalsschwere Stunden.

[52] Scheidestunde

Und als die Stunde kam, die dunkle Stunde,
Wo meines Friedens Glück ein Ende nahm,
Wo jäh verdorrt vom schwülen Brand der Straße
Die lichten Rosen mir vom Scheitel glitten
Und angstvoll meiner Seele Feiersang
Verstummte ...
In jener dunklen, ahnungsschwülen Stunde
Stieg manche Thräne schwer und heiß empor,
Und Bitterniss und namenlose Qual
Und irre Sehnsucht und verhetzter Hass
Durchschnitten blutig meine wunde Seele ...
Das ist vorbei ... der Friede kehrte wieder;
Zu stiller Fassung tiefgeheimer Kraft
Erhob sich meine königliche Seele.
Ertragen wird sie, was da kommen mag,
Weil sie versäumt, weil sie verschmäht zu handeln.
[53]
Wie weit sie trägt, wie lang sie trägt und wie,
Wer kann es sagen?
Ob meiner Lieder glutgeschwellte Scharen
Für immerdar verglüh'n, ob meine Träume,
Die reichen Dichterträume, sterben müssen,
Noch eh' das Leben brausend sie durchwogt;
Ob meine Seele selbst, die stolze Seele,
Im Straßenstaub versinkt, in Nacht erstickt,
Wer kann es sagen?
Düsterschwarz und schwer
Erscheint der Himmel, fahle Wetterschlangen
Durchleuchten zischend unheilvolle Nacht,
Der Sturm ist nah', schon beugen sich die Bäume,
Ich aber bin bereit zum schwersten Gang.

[54] Und ich seh' ...

Und ich seh' die Stunde kommen
Heiter, ruhig, klar,
Wo im Strom der Zeit verschwommen,
Was mein Höchstes war,
Wo, von eisenharten Jochen
Rettungslos zermalmt,
Meine Seele – kerngebrochen –
Tief im Staub verqualmt,
Wo der Feuerbrand verglommen,
Den mein Herz gebar –
Und ich seh' die Stunde kommen,
Heiter, ruhig, klar.

[55] Noch einmal

Noch einmal, eh' die große Nacht
Erdrückend mich umfängt,
Hat eines Auges Sonnenpracht
Mir einen Blick geschenkt.
Es traf ein lichter Funkenstrahl
Mein Dornendiadem,
Ich möchte gern ein letztesmal
Noch beten! – doch zu wem?

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TextGrid Repository (2012). Dörmann, Felix. Stille Stunden. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8176-A