3.

Wer so zu hassen, so zu lieben,
Wer seines Kindes Todesschweiß,
Wer eine That zu rächen weiß,
Die ihn von Haus und Hof vertrieben,
Der ist gewillt, sich durchzuwinden
Durch Labyrinthe, Finsternisse;
Der wird des Feindes Fährte finden,
Die oft verwischte, ungewisse,
Solang' die Augen nicht erblinden. –
Schon sieben Jahre sind verflossen
Seit jener grausenvollen Nacht,
[48]
Gefördert ist, doch nicht vollbracht,
Was unser Held zu thun beschlossen.
Kahl ist sein Schädel, grau sein Bart;
Garcia ward zum frühen Greise,
Der seine Kräfte nicht gespart
Auf weiter, stets erneuter Reise.
Was er geschworen seinem Gotte,
Läßt ihn noch immer nicht ermüden;
Entflohn nach Norden und nach Süden
War seiner Feinde feige Rotte;
Garcia wittert ihre Spur;
Entfernung – Zeit, die langsam nur
Vor wutentflammten Blicken schwindet,
Wie schwer die Prüfung er empfindet,
Er ist gestählt durch seinen Schwur.
Dort, wo des Tropenhimmels Strahlen
Auf schwarze Leiber niederglühn,
Die ihre Abkunft sich bemühn
Mit saurem Schweiße zu bezahlen;
Wo schlanke Palmen sich erheben,
Wo jedem Baume, jedem Strauch
Schlingpflanzen an den Aesten kleben;
Wo Krokodille ihren Bauch
Behaglich an der Sonne wärmen;
Wo Tiger lauern, Affen klettern,
Arras und Papageien schmettern
Und Kolibris die Luft durchschwärmen,
[49]
Dort hat Garcia unverzagt
Sein Wild erwartet und gejagt.
Wenn ungeheure Regengüsse
Die rasche Wanderfahrt gehemmt,
Des Pilgers Pfade überschwemmt,
Durch Seen schwamm er und durch Flüsse,
Nach immer frischer Beute suchend
Und seines Kindes Mördern fluchend.
Und wenn es Winter ward im Lande,
Wenn Reif die fetten Weiden deckte
In Sanct-Catrina, Rio-Grande,
Und sich der Hirt ans Feuer streckte,
In Wintersfrost, in Sommersglut,
Solang die Kräfte nicht versagten,
Nie hat er lange ausgeruht,
Und immer zog er seinen Hut,
Wenn aus der Erde Kreuze ragten
Zum Zeichen, daß ein Mord geraten,
Daß mancher andre sich gerächt
Nach Landesbrauch, der ungeschwächt
Noch heute treibt zu solchen Thaten.
Zurück mit zärtlicher Gewalt
Lockt oft ihn eine innre Stimme,
Daß eine blutige Gestalt
Ihn wappnen muß mit neuem Grimme.
Erst wenn das Feuer ausgetobt,
Erst wenn erfüllt, was er gelobt,
[50]
Wenn jeder seinen Lohn empfangen,
Wenn das Entsetzliche geschehn,
Will Weib und Kind er wiedersehn.
Schon sieben Jahre sind vergangen,
O lange, trostlos lange Zeit!
Sisyphusqual, die niemals endet!
Jetzt hat er rückwärts sich gewendet,
Gedenkend der Vergangenheit,
Der ewig teuern, wonnereichen,
Der Heimat, ach! der nahen, stillen;
Doch muß auch diesmal seinem Willen
Des Herzens tiefe Sehnsucht weichen.
Von ferne, Sorocaba, sieht
Er deine Türme und entflieht
Nach Westen, süße Rast verschmähend
Und stets nach neuen Opfern spähend.
Und wie er durchs Gebirge reitet,
Von einem Diener nur begleitet,
Da kommt, entbietend Gruß und Segen,
Ein greiser Klausner ihm entgegen,
Und freundlich ladet der ihn ein,
Für diese Nacht sein Gast zu sein.
Wer würde solchem Wort mißtrauen?
Garcia folgt dem frommen Mann
Zu einer Thür, in Fels gehauen;
In kühler Wohnung wird er dann
[51]
Bewirtet und erquickt mit Worten
Des Trostes, lange schon entbehrt.
Der sonst die Thränen abgewehrt,
Die seinen finstern Blick umflorten,
Läßt jetzt der Rührung ihren Lauf;
Er ist von heißem Dank durchdrungen,
Und nur von Müdigkeit bezwungen
Sucht endlich er die Zelle auf,
Die eine Wand von jener scheidet,
Wo mit dem Klausner er gesessen
Und dessen Brot und Salz gegessen.
Nun da er, völlig angekleidet,
Aufs weiche Bett sich niederlegt,
Sind seine Sinne so erregt,
Daß Träume ihm den Schlaf verderben,
Ihn zwar der Fassungskraft berauben,
Doch dem Bewußtsein nicht erlauben,
In mildem Schlummer hinzusterben.
Und wie er so mit Bildern ringt,
Die rasch sich aufeinander türmen,
In stetem Wechsel ihn bestürmen,
Vernimmt er seinen Namen – springt
Empor, auf einmal wieder munter.
Ums Messer ballt sich seine Hand;
Er duckt sich an die Bretterwand,
Hört leise Worte, und darunter
Von solchen, die wie Höllenglut
[52]
Auf schmerzerfüllte Seelen zischen,
Genug, genug, um seine Wut
Und sein Gedächtnis aufzufrischen.
Durch morsche Planken dringt ein Schimmer
Herüber aus dem Nebenzimmer,
Und schnell erobert wird die Spalte.
Wer tafelt dort beim Lampenscheine?
Garcias Diener ist der eine;
Und wer der andre? Ist's der Alte?
Die gleiche Kutte trägt er zwar,
Den Strick, um seinen Leib gebunden,
Verrät der wallende Talar;
Doch langer Bart und Silberhaar
Und auch die Runzeln sind verschwunden;
Ganz anders klingt der Stimme Ton.
Garcia stutzt. Was? Der Patron
Hat ihn als Klausner angelogen?
O, bei der Rede, welche jetzt
Sein Herz erschüttert und entsetzt,
Sind alle Zweifel gleich verflogen.
»So ging er richtig in die Falle,«
Spricht dieser, den er nicht erkannte;
»Nun schnarcht der Wolf im vollen Stalle.
Wenn der in meine Klauen rannte,
Dir dank' ich, Freundchen, den Hallunken.
Du hast ihn schlau herbeigelockt;
Er fand die Suppe eingebrockt
[53]
Hier, wo wir Brüderschaft getrunken.
Den solches Gaukelspiel gerührt,
Den seine Thorheit so verführt,
Daß er bei mir sich eingenistet,
Empfange nur, was ihm gebührt,
Nachdem er endlich überlistet.
Drei Brüder hast du mir erschlagen,
Garcia, und ich mußte lang
Den Haß, die Schmach im Busen tragen:
Um so gelungner ist der Fang.
Wenn deine Nachbarn du verachtet,
Wie steht's um ihre Wenigkeit,
Um deine Seelenruhe, seit
Sie dir den Jungen abgeschlachtet?
Der hat sein Messer scharf geschliffen,
Der dir zum letzten Schlaf geleuchtet –
Wein her! Noch einmal angefeuchtet,
Dann hat der Bluthund ausgepfiffen.«
Und als der Diener eingeschenkt,
Da schleicht Garcia auf den Zehen
Zu seinem Lager hin und denkt:
Dem wird die Mordlust bald vergehen.
Er legt sich sachte nieder, harrt
Der Dinge, die da kommen sollen,
Erbleicht nicht, als die Thüre knarrt,
Zuckt nicht zusammen bei dem vollen
Strahl einer Lampe, regt sich nicht,
[54]
Als ihm die beiden näher rücken,
Sich ängstlich aneinander drücken,
Bis mit verstörtem Angesicht
Der hinterm Glase sich gebrüstet,
Sich jetzt zum Tigersprunge rüstet,
Und bis, geschliffen und gespitzt,
Daß sie ihr Opfer nicht verfehle,
Die Klinge ihm entgegenblitzt
Des falschen Klausners – hui, da sitzt
Garcias Faust ihm an der Kehle.
Wie sich des Burschen Rausch vermindert,
Und wie er zittert und erbleicht,
Als, von dem Gegner unbehindert,
Sich sein Kumpan von dannen schleicht!
Ihn aber halten Eisenkrallen.
Weh! Sein Geheimnis ist durchschaut –
Das weiß er seit dem ersten Laut,
Der seines Richters Mund entfallen.
Kein Bess'rer bleibt beherzt und stark,
Wenn so die letzte Hoffnung strandet;
Doch was an diese Seele brandet,
Das dringt ins tiefste Lebensmark:
»Luiz da Silva! Wohl erwogen,
Vortrefflich nenn' ich deinen Plan!
Als du die Lappen angezogen,
In der Vermummung mich betrogen,
War ja die Arbeit halb gethan;
[55]
O ich bewundre deine List!
Nur will ich eines dir vertrauen:
Wer ihres Schlafs nicht sicher ist,
Der spasse nie mit solchen Gästen,
Die, statt im Stalle sich zu mästen,
Das schwere Futter schlecht verdauen;
Und noch das andre laß dir sagen
Für deine beiden Ohren wichtig:
Drei Brüder hab' ich dir erschlagen?
Nein, das Register ist nicht richtig,
Luiz da Silva! Fünfe sind es,
Fünf deiner Brüder sühnten schon
Das Todesröcheln meines Kindes,
Und kein Erbarmen, kein Pardon
Ist für den Sechsten zu erhoffen,
Der hier sein Kunststück ausgebrütet. –
Erfahre, wie ich die getroffen,
Die vor dem Wolfe sich gehütet:
Bei Taubaté, im nächt'gen Lager,
War einst ein Reitertrupp vereinigt,
Und ein Geselle, lang und mager,
Saß schweigsam, wie von Angst gepeinigt,
Am Feuer, in die Flammen stierend
Und in Gedanken sich verlierend.
Armsel'ger Träumer! Blinder Thor!
Ha! Gleich der flinksten Tigerkatze,
Lautlos, mit ungeheurem Satze
[56]
Sprang einer aus dem Busch hervor.
O der, der hat sich nicht besonnen:
Ein Griff, – ein Messerstich, – ein Schrei, –
Ein Schnitt! – Dann stürzten sie herbei
Die andern alle, – doch entronnen,
Verschwunden war der wilde Gast.
Der Lange hat kein Wort gesprochen,
Denn mitten durch die Brust gestochen
Lag er verscheidend da. – Du hast
Erraten, wem die That gelungen?
Carlos da Silva hieß die Leiche,
Der Flüchtling aber war der Gleiche,
An dessen Lager du gedrungen;
Vor deinen Augen steht der Thäter. –
Nun höre weiter: Später, später
In Coritiba sah man zwei
Fremdlinge warme Nester bauen
Für sich und ihre jungen Frauen;
Und doch – daß keiner glücklich sei
Trotz honigsüßer Flitterwochen,
Das wurde hin und her erzählt.
Sie waren beide gut vermählt
Und hatten friedlich sich verkrochen
In eines Hauses stillen Räumen;
Wenn sie aus einem Glase tranken,
Glaubst du, daß häßliche Gedanken
Sie nicht geschreckt aus Liebesträumen?
[57]
Sie waren beide gut vermählt,
Fürwahr, und beide schlecht geborgen,
Zu Todesopfern auserwählt
Und nicht zu kümmerlichen Sorgen.
Genug! An einem schönen Morgen
Ward mit der Schnelligkeit des Blitzes
Ein gräßliches Gerücht verkündet,
Weit, weit durch's Land, doch wohlbegründet;
Die Schwelle eines Witwensitzes
Sofort bestürmt mit tausend Fragen –
Zwei Schurken waren übermannt
Im Schlafe. Weiter nichts. Sie lagen
(Daß dir die Namen schon bekannt,
Die noch auf meinen Lippen brennen,
Luiz da Silva, möcht' ich wetten!)
Durchbohrt auf ihren Ehebetten.
Den Thäter brauch' ich nicht zu nennen:
Vor deinen Augen steht er heute;
Zwei Ohren waren seine Beute.
Carlos, Antonio, Celestin,
Drei Brüder hast du rächen wollen,
Doch mehr als diese sind dahin;
Die andern waren ganz verschollen,
Und oft verlor ich ihre Fährte,
Dennoch verfolgt' ich, unverdrossen,
Die meines Kindes Blut vergossen,
Wenn auch die Reise lange währte.
[58]
Im Norden gingen meine Wege
Bis Maranhaõ. Monde verstrichen
Umsonst. Der Feind war schon entwichen;
Dort lief mir keiner ins Gehege.
Vom Süden bin ich jetzt gekommen
Und dir zu sagen wohl verpflichtet,
Was dort der Jäger ausgerichtet,
Den du zu fangen unternommen.
Zwei Reiter hab' ich einst entdeckt
Am Paraña, im Steppengrase.
Wer je der Pampa Luft geschmeckt,
Erfreut sich einer feinen Nase.
Sie hörten meines Rosses Schritt,
Und wahrlich, statt mich anzugreifen,
Schien's ihnen klüger, auszukneifen –
Unnütze Flucht, verrückter Ritt!
Wenn zwei aus einem Neste stammen,
Sie bleiben brüderlich beisammen.
So galoppierten, Mann an Mann,
Die beiden fort auf Teufelholen.
Ach, ihre glitzernden Pistolen,
Die sah ich freilich dann und wann;
Doch ruhen in den Satteltaschen
Ließ ich das Spielzeug, zielte scharf,
Bevor ich meinen Lasso warf,
Das saubre Paar zu überraschen.
O Stolz, o Freude sondergleichen,
[59]
Als beide sich im Staube wanden –
Das andre hast du schon verstanden:
Sieh her, hier sind die Siegeszeichen!
Zwei Brüder, Henker meines Knaben,
Francisco und Paulino, haben,
Nachdem sie lange mich genarrt,
Endlich getanzt nach meiner Leier.
Die Leichen liegen unverscharrt,
Ein fettes Mahl für Wüstengeier. –
Nach Rache schreit mein eignes Blut;
Drum bete, daß dir Gott verzeihe,
Luiz! An dir ist jetzt die Reihe!
Fünf Ohren sind mein höchstes Gut;
Sie duften wie die feinsten Nelken,
Die je des Himmels Tau benetzte,
Ein sechstes seh' ich schon verwelken;
Dein Bruder Bento trägt das letzte;
Auch der bezahlt mir seine Schuld,
Vielleicht mit Zinsen, nur Geduld!
Bis der die Seele ausgespien.«
Und als Garcia dies geschrien,
Faßt fester er, mit wilder Lust,
Den schon veratmenden Gesellen
Und spricht: »Du kannst Quartier bestellen!«
Stößt ihm das Messer in die Brust
Und wirft ihn in die nächste Ecke,
Verächtlich murmelnd: »Hund verrecke!«

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TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Wanderbuch. 11. Januario Garria. 3. [Wer so zu hassen, so zu lieben]. 3. [Wer so zu hassen, so zu lieben]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8262-E