20.

Nochmals den großen Wassern meinen Gruß,
Dem Ocean und all den wackern Leuten,
Die nur durch ihn ihr armes Brot erbeuten! –
Auf eines Schiffes Planken tritt mein Fuß
Nicht ohne Schüchternheit; und schütteln darf
Des Seemanns Schwielenhand nicht ohne Scham
Wer, so wie ich, den träumerischen Gram,
Das faule Frachtgut nicht zur Seite warf.
Mir war es nicht vergönnt, von alten Schlacken
Mich zu befrei'n und von ererbtem Staube;
[243]
Ein gutes Beispiel aber fand mein Glaube
Stets auf der See, bei den beteerten Jacken.
Und an dem Anspruchslosen ganz besonders,
Der in der großen Menge sich verliert,
Und dessen Aermel keine Schnur verziert,
Erlabte sich der Blick des Hypochonders.
Hei, seht die Handelsschiffe, schwach bemannt,
Wie sie nach allen Winden sich zerstreu'n!
Wie viele dort an Bord? – Acht oder neun,
Und dennoch alle Segel aufgespannt.
Drei Masten trägt das Fahrzeug? – Gute Reise!
Zieht durch die Meere hin als Friedensboten
Und kehrt zurück als glückliche Piloten,
Heim aus Ostindien, heim aus Grönlands Eise!
Mich selber hat die Trope wie entblättert,
Doch möcht' ich einmal noch die Zweige recken
Dort, wo auf unbegrenzte Länderstrecken
Die Sonne ihre Strahlen niederschmettert;
Dort, wo des Himmels Blau mit Purpurfarben
Gesättigt auf die Palmen niederlacht,
Wo matte Wellen einst in lichter Nacht
Zu meinen, des Verbannten, Füßen starben,
In goldnen Sand verrinnend; an Gestaden,
Wo ich geträumt, gelitten und – gezaudert,
Und wo mir holde, schmeichelnde Najaden
Von alter Liebe Herrlichkeit geplaudert;
Wo die Natur in nimmermüdem Schaffen
[244]
Auf Wunder immer neue Wunder baut. –
Dahin ist meine Zeit! – O Schmerzenslaut!
Es ist zu spät, mich wieder aufzuraffen;
Nach kurzen Tagen ist es Nacht geworden;
Mir sind besonnte Pfade abgeschnitten.
Ich bin gekommen, um im rauhen Norden,
Im Schneegestöber um ein Grab zu bitten.
Und wenn ich noch am stillen Abendfeuer
Mich berge vor dem heimatlichen Schnee,
Gedenk ich deiner, sternbesäte See,
Ihr kühnen Schiffer, dann gedenk ich euer!
Vergessenheit ist unser Los; doch besser
Das Herbe mit Gehorsam und Geduld
Bezwingen, als der Undankbaren Schuld
Bloßlegen, schonungslos, mit spitzem Messer.
Vorwärts gesteuert durch des Lebens Brandung
Als tapf'rer Lotse, nicht als Menschenhasser –
Das war der Scheidegruß der großen Wasser
Bei meiner späten, meiner letzten Landung.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Requiem. 20. [Nochmals den großen Wassern meinen Gruß]. 20. [Nochmals den großen Wassern meinen Gruß]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-827C-5