26.

Anendlichkeit, vor dir erbeben nur
Kann mein Gehirn; doch dich ersehnen? Nein!
Die schwache, gramerfüllte Kreatur
Kann nicht unendlich, nicht unsterblich sein.
Wir sind ein armes, winziges Geschlecht,
Das nach Minuten rechnet; wir verlangen,
Bevor des Todes Schauer uns umfangen,
Nichts als des Atmens, als des Daseins Recht.
Der Lebensfunke, mit dem Stoff vermählt,
Kann nicht selbständig lodern; ausgezittert
Hat der Gedanke, wenn die Form zersplittert,
Die ihm des Zufalls Laune auserwählt.
Geist, der du in den undenkbaren Sphären
Des Weltalls waltest, schaffend und ergänzend,
Milliarden Wesen ihre Bahn begrenzend,
[252]
Nicht um Milliarden Leichen zu verklären,
Nicht um sie weiter, weiter zu geleiten;
Denn sie bedürfen keines Lohns, und strafen
Willst du sie nicht – wenn wir im Tod entschlafen,
Was ist Vergeltung, was sind Seligkeiten?
Des Lebens Schule hat uns so gestaltet,
Daß uns nur flüchtiger Genuß entzückt;
Und die Entbehrung hat uns so bedrückt,
Daß nur aus ihr die Freude sich entfaltet.
Kurz muß die Wonne sein, die uns belohnt;
Vervielfacht wird die Lust durch die Kasteiung;
Liebe ist Schmerz und Wollust nur Befreiung
Aus Ketten, die zu tragen wir gewohnt.
Und wie wir sind, zu sinnlich und gebrechlich,
Um auf der Erde Wonnen zu verzichten,
Wir finden Augenblicke, unaussprechlich,
Die jeden Schmerz verscheuchen und vernichten.
O, voller Zauber ist der Liebe Zeit!
Für Herzen, die sich aneinanderpressen,
Berauschte Herzen, die sich selbst vergessen,
Ist schon erfüllt der Traum der Seligkeit.
Wenn ich mich täusche, Weltgeist, wenn du lenkend
Wenn du bewußtvoll schaffest und zerstörst,
Wenn du mein Ringen siehst, wenn du mich hörst
So sei du dennoch meiner nicht gedenkend;
Laß dieses Herz, das einst so stürmisch schlug,
Und sei es auch das einzigste von allen,
[253]
Laß es in Staub zerfallen,
Ich habe heiß geliebt – das ist genug!
Aetherisch durch den Sternenraum zu schweifen,
Ich kann es nicht begreifen;
Der Schöpfung Wunder, die mit Allgewalt
Ein stetes Dankgebet in mir entzünden,
Ich will sie nicht ergründen;
Ich bin für solchen Rausch zu geistesalt.
Ich kann kein neues Leben träumen, kann
Nicht hoffen, daß die Toten auferstehn,
Und wenn die Sonne schwindet, dann, o dann
Möcht' ich mit ihr auf ewig untergehn;
Nicht weil mich frühe Trauer überflutet,
Und nun in finsterm Trotz mein Herz verblutet,
Nein! – Wenn ich Schweres litt und Unnennbares,
Ich habe Himmelsfreuden schon genossen
Und längst den Tod in meine Brust geschlossen
Als ein vertrautes Bild, ein sternenklares.
Und nun der Mitwelt dieses Bild enthüllen,
Das möcht' ich, siegreich und verheißungsvoll;
Denn keine Täuschung, die verschwinden soll,
Kann mit so süßem Troste mich erfüllen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dranmor, (Schmid, Ludwig Ferdinand). Gedichte. Gedichte. Requiem. 26. [Anendlichkeit, vor dir erbeben nur]. 26. [Anendlichkeit, vor dir erbeben nur]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-82F2-C