[94] Poetisches Sendschreiben an eben Denselben, den 11. Wintermonats 1737.

Geschätzter Freünd! Ich muß Dirs klagen:
Die Reimsucht die mich einst verließ,
Als ich ihr oft die Tühre wies,
Beginnt aufs neüe mich zu plagen.
Wenn mich das Ubel länger trifft,
So weiß ichs nicht mehr auszustehen;
Und, schickst Du mir kein Gegengift,
So ists um deinen Freünd geschehen.
Kein Tag ist, daß ich nicht gedenke,
Was einsten mir ein Weyser rieht:
Sohn! bist du um dein Heil bemüht,
So fleüch zur See die Ruderbänke,
Und auf dem Land ein deütsches Lied.
Wie glücklich ist doch ein Poet
Dort um die Seine, Tems und Tyber!
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Ein Lied, das spielend ihm geräht,
Das macht uns Armen fast das Fieber.
Der Deütsche steckt in steter Preß;
Er muß die Sylben ängstlich wägen,
Der leichte Franzmann hüpft dagegen,
Und lachet unsers Tohnmässes.
Die Fügung ist des Römers Spiel;
Er kan sie, wie er will, verschränken.
Der Deütsche darf sich nie zu viel
Aus dem geschwornen Gleise lenken.
Sehr wenig Wörter stehn uns frey,
Die nicht in Deütschland aufgewachsen.
Der Britte raubt sie sonder Scheü,
Und plündert Rom, Paris und Sachsen.
Ja selbst Tuiskons eigne Söhne
Verwirrt ein steter Wörterzwist.
Was einem unerträglich ist,
Das deücht den andern rein und schöne.
Und, wenn dis alles überstanden,
So kömmt der Reim zu unsrer Qual,
Und macht oft mehr als zwanzigmal
Vernunft und Einfall erst zu Schanden.
Der Reim ist, was bey Kriegeszeiten
Der Werbungstrommel wilder Tohn.
Ihm folgt ein Schwarm von schlechten Leüten,
Die Besten bleiben stets davon,
Schau Gallien und Albion:
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Wie müssen wir ihr Glück beneiden,
Das wir aus Dorheit doch vermeiden!
Ist gleich ihr Volk nicht gänzlich frey,
So leichtert es sich doch die Strafe.
Der Deütsche nur ist gern ein Sclave,
Und bleibet seinen Fesseln treü.
Der Fremde reimt, als wie im Schlafe;
Er martert sich nicht lange, bis er
Das Reimwort künstlich ausgesucht;
Kaum denkt er erst, wo nem ich dis her,
So hat er schon, was er gesucht.
O möchte doch ein deütsches Ohr
Sich von dem Schellenklang entwöhnen!
Die Zürcher-Mahler gehn uns vor,
Und wagen sich mit freyen Töhnen
Vor unsrer Musen eckeln Chor.
Selbst Gottsched hat es jüngst gewagt,
Ein Mann den Phöbus kennt und liebet.
Doch, was mich inniglich betrübet:
Der Beyfall bleibt ihm noch versagt.
Wolan! Wird denn nichts anders draus,
So reimt getrost, ihr werten Brüder!
Begebt eüch muhtig in den Strauß!
Nur sucht eüch doch was würdigs aus
Zum Vorwurf eürer schwären Lieder!
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Ists möglich, daß ihr eüre Leyer
Bey einer jeden Kirchweih trillt?
Ists möglich, daß von solchem Feüer
Eüch nur die kleinste Ader schwillt?
Crispinus freiht: Glück zu dem Orden!
Susanna starb: Genad ihr Gott!
Johannes ist Magister worden:
Ich wünsch ihm bald Verdienst und Brot.
Da habt ihrs. Bey so schlechten Wundern
Fällt wahrlich mir nichts bessers ein.
Soll etwas meinen Geist ermuntern,
So muß es etwas grössers seyn.
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Doch nochmals, daß ihrs recht begreiffet:
Was Gutes kostet Fleiß und Müh.
Drum, liebe Brüder, schleiffet, schleiffet!
Sonst glänzen eüre Werke nie.
Des Dichters Pult und Bacchus Fässer
Vergleich ich stets in meinem Sinn,
Laßt eüre Waare lang darinn,
So werden Wein und Verse besser!
O glaubt nicht, daß ein langes Flicken
An eüerm Ruhm eüch Abbruch tuht!
Der Leser, den ihr wollt entzücken,
Fragt nicht, wie lang, und nur, wie gut?
Hat dort den Boileau sein Burgunder
Mit heilger Trunkenheit entsteckt,
Und Namurs Grablied ausgeheckt,
So tuht der Rheinwein gleiche Wunder.
An Feüer fehlts dem Deütschen nicht;
Es blickt ihm oft aus allen Zeilen.
Er bringt ein kräftig Bild ans Licht:
Doch auf der Arbeit sich verweilen,
Und seinen Guß recht überfeilen,
Ist, was ihm meistens noch gebricht.
Das Stolpern kömmt uns nur vom Eilen.
Ich wollt eüch rahten, (doch ich weiß,
Ihr würdet mich für döhricht schelten)
Man suche, mag mein Vorschlag gelten,
Im Norden Feür, in Frankreich Fleiß.
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Schaut, daß ihr alles schicklich fügt,
Den Nachdruck schärft, die Schwulst vermindert,
Dem Dunkeln helft, die Härte lindert,
Und Geist und Ohr zugleich vergnügt,
Des Flaccus Regeln eüch bequemt,
Und, den ich ihm zum Folger gebe,
Den Boileau zum Exempel nemt.
Wie oft nicht hat er uns beschämt,
Nur, weil er Jenes Kunstgewebe
Mit Frankreichs Spitzen neü verbrämt!
Fügt Popen noch, (ihr sollt mirs danken,)
Der Britten Ruhm, an diese Zween
Wo solche grosse Lehrer stehn,
Da weich ich billig aus den Schranken.
Doch nein! Mich deücht, ich höre fragen:
Herr Dichter! gebt uns doch Bericht:
Wie dörft ihr viel von Regeln sagen,
Und folgt doch selbsten keiner nicht?
Den Vorwitz kan ich leicht beschämen.
Die Antwort fällt mir glücklich ein.
Ich bin ... Und was denn wollt ihr seyn?
Ein Schleiffstein ... Nein, das ist ein Lied,
Das ihr dem Flaccus nachgepfiffen.
Doch wißt ihr wol den Unterschied?
Er schliff, und schrieb auch selbst geschliffen.
Mein Freünd ich kan dirs nicht verbergen,
Die Spötter sind mir sehr verhaßt.
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Wer auf den Nächsten listig paßt,
Den haß ich ärger als die Schergen.
Dem Zanken war ich niemals hold.
Sonst könnt ich, glaubt es, eüch gar füglich ...
Doch besser ists, ich schweige klüglich,
Und laß eüch denken was ihr wollt.
Nun weiters. Ist die Kunst so schwär,
Wie gehts uns denn bey langem Wachen,
Wenn Miltz und Nacht uns bange machen?
Kein Zeitvertreib gedeiht uns mehr.
O reimt denn bis zum frühen Licht,
Kein Richter wird eüch drum bestrafen;
Und fangt ihr zehnmal an zu schlafen,
So reimt doch fort; es schadet nicht.
Allein, daß ihr die lieben Pressen
Mit Traumgedichten nicht beschwärt.
Nicht alles ist des Druckes wert;
Wir reimen oft nur zum Vergessen.
Was unserm Kiel in Eil entfährt,
Das schickt sich doch auf keine Messen.
Noch Eines muß ich Dir gestehn;
Ich weiß nicht, darf ichs wol entdecken;
(Die kluge Welt wird sehr erschrecken:)
Ich finde Davids Psalmen schön.
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Denk, was ich über deine Lieder
Zu drey Poeten neülich sprach:
Schwingt unser Spreng nicht sein Gefider
Dem Dichter Jacobs glücklich nach?
Man sprach: Ein Psalm ist keine Sache.
Da fuhr ich aus: Du arme Rott,
Du rühmst dich doch der Göttersprache,
So singe, kanst dus, auch von Gott.
Umsonst! du kreüchst in deiner Pfütze.
Wer zu dem nidern Schlamm verbannt,
Der steigt nicht bis ans Reich der Blitze,
Wo David seinen Donner fand.
Nun, werter Freünd! hier wirst Du finden,
Was meiner Muse nächst gerieht.
Hingegen willt Du mich verbinden,
So schick mir auch einmal ein Lied!
Erinnre Dich der Freündschaft immer,
Womit uns Basel einst vereint;
Und liebst Du auch den Dichter nimmer,
Wolan, so liebe nur den Freünd!

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TextGrid Repository (2012). Drollinger, Carl Friedrich. Gedichte. Gedichte. Vermischte Gedichte. Poetisches Sendschreiben. Poetisches Sendschreiben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-837B-0