5. Höhlenfei

Siehst du drüben, am hohlen Baum,
Ins Geklüfte die Schatten steigen,
Überm Bord, ein blanker Saum,
Leises Quellengeriesel neigen?
Das ist die Eiche von Bagnères,
Das ist die Höhle Trou de fer,
Wo sie tags in der Spalten Raum,
Nächtlich wohnt in den surrenden Zweigen.
O, sie ist überalt, die Fei!
Laut Annalen, vor grauen Jahren,
Zwei Jahrhunderten oder drei,
Mußte sie seltsam sich gebaren:
Bald als Eule, mit Uhuhu!
Bald als Katze und schwarze Kuh,
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Auch als Wiesel, mit feinem Schrei,
Ist sie über die Kluft gefahren.
Aber wenn jetzt im Mondenschein
Zarte Lichter den Grund betüpfen,
Sieht mitunter man am Gestein
Sie im schillernden Mantel hüpfen,
Hört ihr Stimmchen, Gesäusel gleich;
Aber nahst du, dann nickt der Zweig,
Und das Wasser wispert darein,
Und du siehst nur die Quelle schlüpfen.
Reich an Gold ist der Höhle Grund,
O, wie Guinea und wie Bengalen!
Und man spricht vom bewachenden Hund,
Doch des melden nichts die Annalen;
Aber mancher, der wundersam,
Unbegreiflich zu Gelde kam,
Ließ, so kündet der Sage Mund,
Es am Baum von Bagnères sich zahlen,
Barg einen Beutel im Hohle breit,
Drin den neuen Liard, bedächtig,
Recht in der sengenden Mittagszeit,
Die den Geistern wie mitternächtig,
Fand ihn abends mit Gold geschwellt, –
O, kein Christ komme so zu Geld!
Falsch war Feiengold jederzeit,
Kurz das Leben, und Gott ist mächtig.
Einmal nur, daß mich des gedenkt,
Ist ein Mann an den Baum gegangen,
Hat seinen Sack hinein gesenkt,
Groß, eines Königes Schatz zu fangen;
's war ein Wucherer, war ein Filz,
Ein von Tränen geschwellter Pilz;
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Nun, er hat sich zuletzt gehenkt, –
Besser hätt' er schon da gehangen!
Hielt die Lippen so fest geklemmt,
– Denn Geflüster nur, mußt du wissen,
Das ist eben, was alles hemmt,
Lieber hätt' er die Zunge zerbissen; –
Barfuß kam er, auf schlechten Rat,
Und als da in die Scherb' er trat,
Hat er sich nur an den Baum gestemmt
Und den Schart aus der Wunde gerissen;
Doch als aus dem Gemoder scheu
Schlüpft 'ne Schlange ihm längs den Haaren,
Da ist endlich ein kleiner Schrei,
Nur ein winziger, ihm entfahren;
Und am Abend? – verschwunden war
Großer Sack und neuer Liard.
O, verräterisch ist die Fei!
Und es wachen der Hölle Scharen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Droste-Hülshoff, Annette von. Gedichte. Einzeln publizierte Gedichte. Volksglauben in den Pyrenäen. 5. Höhlenfei. 5. Höhlenfei. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-854E-A