[60] Siebentes Buch

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Der Donner traf mich recht; dem Schmerze ganz gelassen,
Wußt ich nicht, was ich that, noch welch ein Schluß zu fassen,
Bald trieb mich eine Hoffnung, bald meine Rachbegier;
Und endlich mußt ich folgen: denn sprich, was sollt ich hier?
Das, was ich um mich sah, erweckte meinen Kummer,
Mein Fuß fand keine Ruh, mein Auge schloß kein Schlummer,
Gram schwärzte mir den Schauplatz der Gegend fürchterlich,
Und dieß Gebieth der Göttinn ward viel zu eng für mich.
Nach Creta gieng mein Schiff: zu langsam für die Liebe;
Ich wünscht ihm Flügel an, und daß ein Sturm sie triebe.
Die Stunden wurden Jahre; ich sahe unmuthsvoll,
Daß kaum ein Hauch der Lüfte die breiten Segel schwoll.
O! Eol, rief ich aus, laß deine Winde blasen,
Eh diese Stille herrscht, eh mag ein Sturmwind rasen!
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Und du, der uns zu langsam auf seiner Fläche trägt,
Gebiethe, daß die Tiefe sich hebt und Wellen schlägt;
Sorg für mein Leben nicht, wenn sich die Wogen thürmen,
Sorg für die Ungeduld, Neptun, und laß sie stürmen!
Umsonst, kein Gott erhörte die Bitten meiner Wuth;
Wir kämpften mit den Rudern, und krochen auf der Fluth.
Mein ungeduldig Herz verlängerte die Stunden;
Ich sank in Unmuth hin, und reizte meine Wunden.
Bald stellt ich mir Themiren, und alle Freuden vor,
Die ich in ihr besessen, und die ich nun verlohr;
Bald schlug Verzweifelung mich, wie ein Donner nieder;
Itzt sprach mein Herz sie los, und itzt verdammt es wieder!
Dann stillte meine Seele ein Augenblick von Ruh,
Und lispelte mir Liebe, und süße Hoffnung zu:
Nein, man entriß sie mir! Verräther, und Barbaren,
Die hart bey ihrem Flehn, hart gegen Thränen waren,
Die Bosheit grausam machte, und niedre Geldbegier
Zu Peinigern der Unschuld, die rissen sie von mir! –
Ich seh, wie voll von Angst im Arm, der sie entführte,
Die Schöne rang, und bath, und seufzt, und niemand rührte;
Wie sie mit Aug und Händen dem Himmel zugewandt,
Zu allen Göttern flehte, und keine Hülfe fand –.
Wie sie in diesem Arm, voll Schrecken, und Verlangen,
Mich oft bey Namen rief, wie auf die blassen Wangen
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Ihr Auge Thränen ausgoß – wie sie vom Schiff empor,
Die Hände streckte, seufzte, und diesen Strand verlor. –
O schändliches Geschlecht! – wie innig thut mirs wehe,
Wenn ich der Menschen Herz so schwarz, und boshaft sehe! –
Wo waren denn die Götter? Mit ihren Seufzern stieg
Die Grausamkeit zum Himmel, allein der Himmel schwieg:
Taub saßen im Olymp, taub auf der Welt die Götter;
Neptun hatt keinen Sturm, und Jupiter kein Wetter! –
Ach! wo ist nun Themire? In welchem Ocean
Trägt dieses Schiff die Beute, und zeichnet keine Bahn?
Ihr Götter, die sie rief, und die den Schutz versagten,
Schätzt doch, wenn sie euch fleht, die Tugend der Verzagten,
Jagt dem, der sich erkühnet, die Unschuld zu entweihn,
Wie Schändern eurer Tempel, die Angst der Höllen ein!
So dacht ich ruhiger: dann stürmten schwärzre Bilder
Die kurze Ruh dahin, und meine Seele wilder:
Verrath, Betrug, und Untreu trat vor mir auf, und rief
Die Qual aus ihrem Schlummer, die nur zu leise schlief.
Wem folgst du? dacht ich dann; wem? – einer Ungetreuen!
Zur Rache? – schwaches Herz, was kannst du, als verzeihen!
Denkst du sie zu verachten, warum so viele Müh?
Ach findest du sie wieder, anbethen wirst du sie.
Elender! folge nur, und ring mit Fluth, und Winden,
Womit ein Gott dich hielt, die Falsche nicht zu finden:
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Und sink vor einer Thräne entwaffnet auf die Knie,
Und statt sie zu verachten, o Sklav, erbettle sie;
Daß ihr verräthrisch Herz dereinst zum andernmale
Die schwache Zärtlichkeit mit neuem Schimpf bezahle!
Längst war sie dir schon treulos; und deiner Eifersucht,
Und deines Vorwurfs müde, ergriff sie selbst die Flucht. –
O wenn die Götter sie dich wiederfinden lassen,
O zweifle nicht daran, so müssen sie dich hassen!
Itzt näherte sich Creta: schon schaute aus der See
Der Gipfel des Gebirges empor, und schimmerte.
So glänzt ein Schneegewölk in frühen Frühlingstagen,
Das an den Horizont die Wind herüber jagen.
Wir traten an die Insel! kaum trug mich dieser Strand;
So grüßt ich seinen Schutzgott, und segnete das Land,
Wo Rhea und Saturn die eifrigen Cureten
Zu erst beglücket hat, den Ammon anzubethen.
Hier wurde Zevs gebohren; hier nahm ihn erst der Hain
Beschattender Cypressen in seinen Grotten ein.
Ihm ist der Ida heilig, das Blut von diesem Gotte
Glänzt zu gewisser Zeit noch in Dictäens Grotte.
Diana liebt die Wälder, und ihr gebüschicht Land;
Oft sehn sie die Cretenser, den Jagdspieß in der Hand,
Wenn sie leicht aufgeschürzt in angenehmen Tagen
Die Morgenröthe weckt, ein flüchtig Wild zu jagen.
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Cythere hat die Insel zu keiner Zeit geliebt,
Oft hat sie ihre Herrschaft in Schrecken ausgeübt.
Hier mußte Cephalus, verblendet von Auroren,
Mit dem geschenkten Pfeil der Procris Herz durchboren.
Der dreymal in die Flammen des Styx getauchete,
Der schrecklichste der Pfeile traf hier Pasiphae.
Die Sitten sind hier wild, das Volk, verwöhnt zu Schlachten,
Lernt würgen, um die Macht der Cypris zu verachten.
Ich suchte den Seiden in Cnossus, in Gortyn,
Dictynna, Cytheum, doch nirgend fand ich ihn.
Sie sind nicht hier, sprach ich; soll ich noch weiter eilen?
Auf welcher Bahn? wohin? – wohin bis Herkuls Seulen,
Bis an den Rand der Erde, und wenn noch weiter fort
Die Sonne Inseln siehet, so such ich sie auch dort!
Die zwölfte Sonn erschien, und sahe mich begriffen
Auf unbekannter Bahn, auf Zufall, fortzuschiffen.
Der Siculer Gestade sah schon von fern daher,
Indem ein Wetter aufstieg; schon schauerte das Meer.
Ein nächtliches Gewölk verbarg den Abendhimmel;
Die Wogen schwollen auf, und schlugen mit Getümmel
Das tanzende Gebäude; bald flogen wir empor,
Bald schien es, daß die Welle sich unter uns verlor.
Der Wind pfiff um den Mast, und Blitz auf Blitz zerrissen
Die siebenfache Nacht sichtbarer Finsternissen;
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Die Elemente donnern, der Sturm von Westen her,
Und über uns der Himmel, und unter uns das Meer.
Für Laster kämpfte so das mächtige Geschicke,
Mit mir Unglücklichen, und riß mich stets zurücke!
Kaum brachten wir das Leben, das nur ein schmaler Rand
Vom Untergange trennte, an der Epirer Strand.
Ich warf mich kummervoll, und matt am Ufer nieder,
Und Morpheus deckte mich mit kühlendem Gefieder.
Betrügerische Ruhe! ein süsses Traumgesicht,
(Gewiß sandt es Cythere, doch sie erfüllt es nicht!)
Entzückte nach der Last, die ich ertragen hatte,
Mein sorgenvolles Herz – was war es? leerer Schatte!
Es sey, daß unsrer Seele ein angenehmes Bild
Die Phantasey, im Schlafe geschäfftiger, enthüllt;
Es sey, daß Venus selbst im Traum herabgefahren,
Und dieß Gesicht gewählt, sich mir zu offenbaren:
Genug, ich sah die Göttinn, in aller Pracht vielleicht,
Wie sie sich der Versammlung der obern Götter zeigt;
So schön erscheint sie nicht, in einer Silberwolke
Um ihren Wagen her, in Cyprus ihrem Volke;
So oft der Sonnen Rückkehr die Gegenden verjüngt,
Und mit dem heilgen Monat den Lenz zurücke bringt.
Du fliehest, sagte sie, und ist der Cypris Stimme
Zum Ton des Grimms geschickt, so sprach sie es im Grimme
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Du fliehest meinen Altar, kein Opfer bringst du mir;
Ich schenkte dir Themiren, und ich entriß sie dir!
Kennst du noch nicht die Hand, die über dir erhoben,
Dem Wind dort schweigen hieß, und itzt geboth zu toben?
O! fleh nur andre Götter, durchsuche Erd, und Meer,
Und hole nun Themiren von Herkuls Säulen her!
Sey klüger, Sterblicher, und lerne mich verehren;
Halt deine Prüfung aus, kein Flüchtling vonCytheren,
Wer gab dir erst Themiren? mein Tempel gab sie dir;
Geh, lerne sie verdienen, dann fodre sie von mir!
Sie floh: ein heiligs Graun floß über meine Glieder,
Und Thränen öffneten die festen Augenlieder.
Noch wachend schlug mein Busen; doch fand ich tief in mir,
Beruhigung, und Hoffnung: was, sprach ich, soll ich hier?
Vielleicht erwartet mich Themire mit Verlangen.
O Göttinn, laß sie mich, doch unentweiht, umfangen,
O laß sie mich umfangen! das Meer hab ich durchpflügt,
Und mit der Fluth gerungen, und mit dem Sturm gekriegt,
Den Tod hab ich gesehn, begraben in den Schlünden
Des wilden Oceans, sie wieder aufzufinden:
Doch, wenn mein langer Kummer, wenn Schrecken und Gefahr,
Themiren zu verdienen, dir noch zu wenig war;
So zeig nur, wo sie ist: die unbekanntsten Wellen
Durchstreich ich gern nach ihr; vom letzten Rand der Höllen
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Will ich sie wiederholen! – doch sagt ein Traumbild wahr,
So find ich sie in Cyprus, erwartend, am Altar.
Dieß göttliche Gesicht ist nicht umsonst erschienen;
Was wartest du, Aedon, Themiren zu verdienen?
Fort, zum Altar der Göttinn! – geheiligt sey der Baum,
An dem ich eingeschlafen! geheiligt dieser Traum!
Der Tag, an dem der Sturm mich an dieß Land verschlagen,
Sey einst der glücklichste von allen meinen Tagen.
An ihm soll einst Themire mit mir am Altar stehn,
Und Cypris unsern Weihrauch gen Himmel düften sehn!
Ach! aber lügt der Traum? – ich zittre, dieß zu denken!
O! war er ein Gesicht, das Venus, mich zu kränken,
Zu mir herabgesendet? Verflucht sey dann der Traum,
Der Strand, worauf ich einschlief, die Nacht und dieser Baum!
Ihn müsse Jupiter, wenn er in schwarzen Tagen
Sturm und Gewitter wälzt, im Donner niederschlagen.
Ich kehre itzt nach Cyprus, doch hat ein Traumgesicht,
Die Göttinn mich betrogen, find ich Themiren nicht;
So leb ich ohne sie, zum Hohn für ihre Triebe;
Verflucht sey auch alsdann ihr Tempel, und die Liebe!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Gedichte. Der Tempel der Liebe. Siebentes Buch. Siebentes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8863-2