Marianne Ehrmann
Amalie
Eine wahre Geschichte in Briefen.
Von der Verfasserin der Philosophie eines Weibs


Erster Band

Vorerrinnerung des Herausgebers [Theophil Friedrich Ehrmann]
Vorerrinnerung des Herausgebers.

Feinheit der Gedanken und Leichtigkeit des Ausdruks zeichneten von jeher die Schriften der Frauenzimmer aus, welche sich zu Selbstdenkerinnen emporgeschwungen hatten.

Auch diese Briefe tragen das Gepräge dieses karakteristischen Kennzeichens an sich, woran die Leser und Leserinnen der Geschichte Amaliens leicht das Frauenzimmer erkennen werden, das ihnen durch ihre so liebenswürdige Philosophie schon allzuwol bekannt [3] seyn wird, als daß ich nöthig hätte, meiner wenigen Beredsamkeit aufzubieten, um ihr Lobredner zu werden.

Das edle, jedem Wohlwollen offne Herz, der ausgebildete Verstand, der muntre, kühne Wiz dieser Denkerin, bedarf keiner Empfehlung an alle Die, welche Tugend und Geistesfähigkeiten zu schäzzen wissen; aber Schade ist es, daß bisher die Talenten dieser liebenswürdigen Schriftstellerin nicht allgemeiner bekannt geworden sind; da doch so manches Frauenzimmer im lieben Deutschland auf den Flügeln wohlwollender Freude zum Tempel des Ruhms emporgetragen wird, welcher vielleicht selbst vor der Höhe schwindelt!

Warum sollte es nicht Pflicht seyn, im Verborgenen schimmernde Talenten hervor ans Licht zu ziehen, damit auch Andre sich drob freuen, sich daran laben können; – damit sie blühen, diese verkannte Talenten, und Früchten tragen mögen zum Vortheile der Gesellschaft? –

Einen kleinen Theil dieser Pflicht glaube ich nach meinem wenigen Vermögen zu erfüllen, indem ich dem Publikum dies Werkchen vorlege, dessen unverkennbare Schönheiten das Zischen des Neides überstimmen werden, der so selten den Verdiensten eines denkenden Frauenzimmers Gerechtigkeit widerfahren läßt!

[4] Es sind Briefe, die eine im Grunde wahre Geschichte enthalten; – Briefe, in welchen die feinsten Empfindungen mit den edelsten Grundsäzzen verwebt sind; – Briefe, deren natürlicher, ungeschminkter, launigter Ton, deren warmgefühlte Ausdrükke, und kühne, vorurtheilfreye Schreibart, sich den Lesern ebensowohl, als das Interessante der Geschichte selbst empfehlen werden.

Treffende Schilderungen von Situazionen – tiefe Blikke ins menschliche Herz – launigte Erzählungen – satirische Anmerkungen – kühne Ausfälle auf verjährte Vorurtheile wechseln mit der Sprache des Gefühls und der Leidenschaften ab, die mit ihren feinsten Schattirungen in diesen Briefen ausgemalt werden.

Unter die ersten Verdienste dieses Werkchens gehört auch die edle Freimüthigkeit, mit welcher unsre Denkerin die Thorheiten bekriegt, und dem verkappten Laster die Maske vom Gesichte reißt; nicht in heiliges Dunkel verhüllte Rechte tief eingewurzelter Vorurtheile, nicht Furcht vor dem Gekrächze blödsinniger Dummköpfe hält sie ab, die selbstgefühlte Wahrheit zu denken und zu schreiben; und jeder Denker wird mit innigem Vergnügen ein Werk lesen, das blos ein Kind der Natur ist, und als ein solches ohne künstlichen Wortprunk, [5] ohne gesuchten Schmuk, ohne Ziererei so geradehin sich jedem Freunde der Aufklärung empfiehlt, der den Kern nicht über der Schale vergessen, und an pedantischen Wortklaubereien hängen bleiben wird.

Wenn man schon gewöhnlich dem schönen Geschlechte das Denken untersagt, weil es Kopfweh machen soll, so glaube ich doch meine Leser versichern zu dürfen, daß selbst Männer von geübterem Nachdenken bei der Größe der Gedanken und Empfindungen dieser Schriftstellerin staunen, und, wenn ihre Eigenliebe es ihnen schon verbietet, ihre Früchte des Nachdenkens zu bewundern, doch den stillen Beifall nicht versagen werden.

Ich bin zu wenig von den Künsten gedungener Lohntrompeter unterrichtet, als daß ich es wagen wollte, durch meinen Posaunenton das laute Jubelgeschrei zu überstimmen, womit so manche, weniger denkende Frauenzimmer von gewissen Leuten ausgeschrieen werden, deren Stimme auch bei der besten Lunge doch am Ende heischer wird.

Ich schweige – dies Werk mag seine Verfasserin selbst empfehlen, und diese Wirkung wird es auch bei jedem Freunde des Nachdenkens hervorbringen, der geborgten Wiz von dem eigenthümlichen [6] Gedankenschwunge einer Schriftstellerin zu unterscheiden weis, die ohne auf das Prädikat einer Gelehrten Anspruch zu machen, vielleicht weiter denkt, als manche von hoher und tiefer Gelehrsamkeit strozzende Dame.

Genug davon! – Die Leser dieses Werks werden sicher mit mir darinne übereinstimmen, daß es unverantwortlich wäre, eine Schriftstellerin nicht aufzumuntern, deren erste Arbeiten uns noch so vieles für die Zukunft erwarten lassen.

Aber freylich ist es das gewöhnliche Loos der Frauenzimmer, die sich erkühnen, ihre Geistesprodukten dem Publikum vorzulegen, daß man ihnen die Ehre, Verfasserinnen zu seyn, rauben will, wenn ihre Arbeiten sich über das Mittelmäßige erheben, und sie mit lautem Spotte belohnt, wenn sie ihre Gedanken nicht gerade nach der einmal üblichen Form gemodelt haben; wenn ihre Schreibart nicht eben so fehlerfrey ist, als der Styl des Gelehrten, der seine Jugendjahre mit Silbenstechereien zugebracht hat.

Der Beifall der Denker wird der Verfasserin dieses Werks Reiz genug seyn, auch fernerhin der Lesewelt ihre Arbeiten aufzutischen.

[7] Mehr darf ich izt nicht sagen, und ich glaube schon zu viel gesagt zu haben, als daß ich mich nicht gefaßt machen sollte, mich mit den Abgesandten des Neides recht schriftstellerisch herumzubalgen, die wohl nicht unterlassen werden, auch dies Werk mit ihrem Gifte zu besudeln.

Für alle Andere bedarf es keiner Empfehlung, es empfiehlt sich selbst; und ich befürchte den Unwillen der Leser auf mich gezogen zu haben, da ich sie durch meine geschwäzzige Vorrede so lange von der Lektur des Werkes selbst abhielt.


Im Dezember 1787.

T. F. E.

[8]
1. Brief. Amalie an Fanny
I. Brief
Amalie an Fanny

Beßte theuerste Freundin!


Wenn Du jenes gutherzige Mädchen bist, so öffne deinen Busen meinem Kummer. Seit einer Stunde! – Gott im Himmel! – Seit einer Stunde ist meine Mutter todt! – Diese theure, für mich so gütige Freundin ist nicht mehr! – O, fühle, wenn Du kannst, die Last dieses Schmerzens! Aber Du kannst unmöglich das mit mir fühlen, denn Du verlorst keine Mutter, keine Führerin, keine Beschüzzerin, wie ich! O Mutter! Mutter! Könnten Dich meine Thränen zurükrufen! Könntest Du sehen, wie dieser Verlust in mir tobt; wie er mir hineingreift in das Innerste meiner Seele; wie es mich drückt, dieses Andenken; wie es mich ängstigt; meine Leiden spannen sich auf den höchsten Grad der schwarzen Schwermuth! – O Fanny! Sage mir doch nie wieder, daß Enthusiasmus die Menschen glüklich mache! Matt und ohne Thränen überdenke ich meine Lage, finde nirgends Trost, und außer deinem Busen scheint mir alles hart und unbarmherzig! Die Menschen sagen immer, Luft müße man sich machen und seinen Brokken Elend wegseufzen. – Gut wäre dies – für mich besonders [9] gut! Aber sind doch die meisten Menschen zum wahren Antheil so ungeschikt, so hölzern! – Doch Du, meine Freundin, bist keine von diesen, Du bist nicht von der Alltagsgattung, dein Gefühl ist fein genug, um mich zu verstehen. O! ich erinnere mich noch recht gut, wie sich deine Thränen mit den meinigen mischten. Und wenn ich dann gleichwohl diese Thränen unter stärkern Herzensstößen herausweinte, so war mein Weinen doch nicht so bitter, weil Du mitweintest. Wahrhaftig es rollt diesen Augenblik etwas feuchtes aufs Papier! – o, Gott sey Dank, es ist eine Thräne! Jezt kommen sie, diese Erleichterungen meines schweren Herzens; ich will sie zu tausenden wegschluchzen, und dann sez ich meinen Brief weiter fort. – Um etwas ist es mir jezt leichter, doch freilich ist dieses Etwas nur wenig. Glaube mir, Fanny! auch bei kälterem Blute scheint mir der Verlust meiner Mutter gräßlich! Alles erinnert mich augenbliklich daran. Die Leere in unsern Zimmern, der Mangel meiner Mutter in allen Anlässen, ihre müßigen Kleidungsstükke! – Gott! Gott! ich habe sie verloren, sie kömmt nicht wieder, meine innigstgeliebte Mutter! Bis izt war ihr Tod für mich blos ein halbwahrer, dumpfer Gedanke, mein Gehirn war zu heiß, um seiner Ursache nachzudenken; aber jezt, liebe Mutter, erinnere ich mich, daß Unglük und Misvergnügen deine Mörder waren! Die Blüte deiner Jahre ist doch ein zu theurer Preis! – Nicht wahr, Fanny, Du kennst die Güte meines Vaters? Wehe uns armen Kindern, wenn sein verheiratheter Bruder fortfährt, auf den Sturz unsers Hauses anzutragen! Er ist ein verschwenderischer Heuchler, und mein Vater ist zu gut und zu leichtgläubig. Welch eine gefährliche Gabe ist doch ein gutes Herz! Wie oft muß es sich tretten lassen, und wie wenig bindet es sich an Erfahrung! Selten entwischt ein zu gutes Herz der Gefahr betrogen zu werden, und wenn es ihr entwischt, so [10] wirkt eigner Unwille kontrastmäßig auf seinen Hang zur verschwenderischen Gutheit; immer wird so ein Herz von Bösewichtern umgeben und bezaubert, und ehe sich der Betrug sonnenklar entwikkelt, bleibt solch ein Herz gewis hartnäkkig gut. Lebe wohl, gutes, liebes Mädchen, und bedaure deine arme


Amalie.

2. Brief. Amalie an Fanny
II. Brief
Amalie an Fanny

Meine Beßte, Liebste!


Weist Du es wohl, daß der denkende Mensch weit mehr leidet, als der nichtdenkende? Der lezte fühlt weiter nichts als den ersten Streich des Unglüks, aber der erstre den ganzen Wiederhall. Die Grade unsres Gefühls mißt unsre Einbildungskraft ab, und wo der Tiefsinn mehr oder minder wirkt, da drükt er mehr oder weniger. – Enge Köpfe und steife Herzen sind arme, aber ruhige Geschenke. Das ist nun richtig, daß auch mit meiner Einbildung mein Kummer wächst. Jener unersättliche Oheim reißt unser Vermögen mit Riesenmacht ins Verderben. Vater, dacht ich lezthin, deine Güte ist Verschwendung, aber keine lasterhafte Verschwendung, möchte Dich der Himmel entschuldigen! – Weiter würd' ich noch gedacht haben, aber mein Herz war Wachs, Thränen rollten gewaltig auf meinen Busen. – Nun Mädchen! jezt wirst Du ausrufen, zu was all dein Jammern? Hast schon Recht, Fanny! Wenn nur die lokkende Hofnung kein so elender Trost wäre, so möcht ich mich an diesen Pfad allein halten; aber sich von dieser Heuchlerin [11] täuschen, und so oft täuschen lassen, das ist hart! Nicht wahr, Liebe! Glük und Unglük hat einen gewissen Lauf, und wen das leztre schlägt, der hat Stärke nöthig, seine Streiche auszuhalten? Denn es ist eine so hartnäkkige Schlange, die sich von einem Gliede zum andern windet, überall den Elenden verwundet und doch nicht tödtet. Wenn für mich eine so lange Reihe von Martern bestimmt wäre! – – Wie ich mich doch so eigensinnig in die Zukunft drängen möchte! Das Hineingukken ist eine Plage, die der melancholische Mensch überall mit sich schleppt; klein und rasch sind seine Erholungen, aber anhaltend und schwarz seine darauffolgende Leiden. O Fanny! mein Vater scheint gebeugt, und ich bin zu blöde, um ihm seinen Kummer abzuzärteln. Ich möchte ihm kein Geständnis ablokken, das ihm hart ankäme. Ach Mutter! – Warum bist Du hin, für uns alle hin? Mädchen! mir ahndet, und meine Ahndung ist gewis nicht ohne Grund. Mein Vater stekt in Schulden, und die rohen Menschen gaben ihm nur wenige Wochen Termin. Kein Ausweg ist vorhanden, keine nahe Rettung läßt sich blikken. Gott! wir sind im Elend!


Amalie.

3. Brief. Fanny an Amalie
III. Brief
Fanny an Amalie

Liebe unglükliche Freundin!


Wenn es Mittel gäbe, einen so tiefen Gram, wie der deinige ist, zu lindern, dann hätt ich Dich gewis nicht so lange warten lassen, was hätt ich Dir wohl mitten in deinem [12] Jammer sagen sollen? Es gehört eine gewisse Kunst dazu, Unglükliche zu trösten, und Du sagtest mir schon selbst, daß ich hiezu sehr ungeschikt wäre. Ich habe Dich also im Innern bedauert und viele stille Thränen für Dich verweint. Wenn ich schon nicht, wie Du, alles exzeßmäßig fühle, so fühle ich doch gewis tief, sehr tief. Tröste Dich, beßte Amalie, tröste Dich über den Verlust deiner Mutter, überdenke das menschliche Schiksal, und sieh zu, ob dieses Opfer nicht eine Folge der Menschlichkeit sey? Wahr ist es, die Natur empört sich, wenn ein so theurer Theil sich in Nichts verwandelt, wenn es aber so seyn will, so seyn muß, warum soll denn ein Mensch gegen eine unabänderliche Bestimmung rasen? Ja, Freundin! Enthusiasmus macht glüklich, wenn er nicht überstimmt wird, und Du besonders, liebes Kind! Du räumst ihm nur im Tragischen einen Plaz ein; deine Einbildung wird mehr dein Tirann als dein Wohlthäter. Beßtes Mädchen, suche Dich gelassener zu stimmen; vielleicht ist es noch Zeit, wenn Du anders deine Heftigkeit nicht schon zu stark gezögelt hast. Und dann, meine Liebe, wo ist dein Zutrauen auf die Vorsicht? Willst Du nicht lernen groß denken und im Elend sich fest an Den halten, der die Thränen der Unglüklichen zu belohnen weis; an Den, der uns retten kann, wenn wir es verdienen gerettet zu seyn? Dein Vater, Du und deine Schwester sind bedaurungswürdig. Es ist eine grausame Gabe um ein gutes Herz; es läßt sich so leicht bis zum Leichtsinn heruntertäuschen. Doch, liebes Mädchen, es ist einmal dein Vater; ehre seine Würde und beweine seine Handlungen. Ich kenne dein Herz, beßte Amalie, es ist so edel gestimmt, es schlägt so rein, glaube deiner Freundin, es kann nicht unbelohnt bleiben. – Nein es kann nicht! Gutes Mädchen! Wie edel ist nicht dein Kummer über einen innerlichen Vorwurf deines Vaters! Du duldest so viel, und bist doch noch [13] so sanft, so äußerst gutherzig. Amalie! Dein Gefühl hat einen Werth, der sich nicht bestimmen läßt, weil es so selten unter Kindern zu finden ist. All dein Unglük muß Dich doch weniger drükken, wenn Du denkst, mein Herz verehrt ihn dennoch, Den – der mir das Leben gab. Fahre fort, Freundin, so zu handeln, ich will Dich ewig verehren und nie aufhören zu seyn, deine theuerste


Fanny.

4. Brief. An Fanny
IV. Brief
An Fanny

Theures Mädchen!


Was mit uns vorgeht, verdient aller Menschen Mitleid. Mein Vater weint, und seine Tochter badet sich in seinen Thränen. Die fühllosen Gläubiger! Die garstigen Menschen! Ich weis es freylich schon, daß die bestimmte Zeit vorbei ist. Man schreit um Geld, und Freunde entfernen sich. Welch ein Anblik! – Wie barbarisch muß der Vorwurf an meines Vaters Herzen nagen! Seine Liebkosungen gleichen einer freudigen Verzweiflung. Er flieht mich zuweilen! – Ja, ja, er flieht! Ha! – Das schröklichste, was er mir thun kann! Du gütige, sanfte Stimme des Bluts, häng dich an ihn, reiß ihn mit Gewalt an den Busen seiner Tochter hin, laß es ihm nicht fühlen, laß ihm seine Schuld nicht fühlen! Man sagt mir, er würde seinen Aufenthalt ändern, wenn es wahr wäre! wenn er sich von seinem Bruder losrisse! wenn er es thäte! – O Gott! leite sein Herz! Wie gerne, wie warm, wie zärtlich sollte er von mir seine Tage verlängern sehen! Sein Alter wäre für mich ein [14] Heiligthum, daß ich ohne Aufhören küssen und verehren würde. Mit der sorgfältigsten Aufmerksamkeit würde ich seiner pflegen, dem unbedeutendsten seiner Wünsche zuvorkommen, um ihn der möglichsten Ruhe genießen zu lassen. Kein Elend dürfte sich zu unserer Oekonomie drängen; ich würde eine gute Hausmutter machen, alles so mäßig einzurichten suchen als möglich, nicht prahlen und doch glüklich seyn. Sein gutes Herz würd ich geizig an mich ziehen, und sein Bruder sollt und könnt es sodann nicht weiter aussaugen. Ich würde ihn aufzuraffen suchen, und mitten im muthwilligsten Scherze wollt' ich ihm Freudenthränen ablokken, ihm um den Hals fallen und sagen: Vater! wir sind so glüklich! – – Wie gefällt Dir mein Ideal? meinst Du wohl, daß es wahr werden könnte? Du glaubst nicht, was ich mir oft für himmlische Situazionen zu schaffen weis? O wenn doch nur einige wahr würden! Wie leicht lies sich hernach aller Gram wegdenken! Lebe wohl, und sey meiner Zärtlichkeit gewis.


Amalie.

5. Brief. An Fanny
V. Brief
An Fanny

Liebe, gute Fanny! unsre Abreise ist nach Verfluß einiger Tage festgesezt. Freue Dich! Das ist nun seit zwei Jahren der erste Brief, den ich Dir mit leichtem Herzen schreibe. Mein Gefühl ist also der Freude noch offen? Aber wenn mein Ausschnaufen nur ein Anschein von Erholung wäre, und wenn sich alles das bald wieder ins Trübe zöge! Unglükliche sind doch gegen alles mistrauisch! – Mein Vater überließ einen Theil seiner Güter den Gläubigern, und der Ueberrest ist für seine noch übrigen Tage bestimmt! Klein und rasch ist diese [15] Erholung! Doch, wenn er sich von diesem Wuste losreißt, so kann uns kein hülfloses Elend drohen. Glüklicher Entschluß, der Himmel hat dich gezeugt! Jezt scheint mir der gute Mann nicht mehr so finster, seine Zärtlichkeit wirkt übernatürlich auf mein Herz. Er zürnt nicht mehr, und fährt mich auch nicht mehr so hizig an. Wenn schon mein ganzes Wesen ihm zu lebhaft scheint, so lächelt er und zankt nicht. Mich dünkt es, als ob er sich über meine Haspelei freute, und, wenn ich mich nicht irre, so sieht er meine Lebhaftigkeit für eine gute Grundlage an. Mehrmal nennt er mich einen kleinen Husar, und ich säume gar nicht, diesen Namen zu verdienen. Zu Dir im Vertrauen! Oft dacht ich bei mir selbst: ein wakrer Junge möchte ich gar zu gerne seyn! Das ist ein Wunsch, den ich beständig im Kopf herumjage und dessen Grund ich kaum angeben kann. Wenn ich mich oft so selbsten frage: warum? dann bleibt meine Antwort über dem Zwang unsres Geschlechts stehen. Kann etwas Unbemerkteres auf der Welt seyn, als ein Weibergeschöpf, und giebt es was Elenderes, wenn sie zu stark bemerkt wird? Sind wir nicht ein wahres Schlachtopfer eines gewissen Vorurtheils, und ist dieses Vorurtheil bei unsrer Erziehung nicht nöthig um unsre Eitelkeit zu schrökken und der Männer Herrschsucht ihr Opfer zu bringen? Das ist doch allerliebst! Was uns zum Laster angerechnet wird, das ziert ihre Freiheit, und wenn es ihnen gleichwohl keinen Ruhm macht, so bestraft oder beschnarcht sie doch Niemand darüber, am wenigsten aber sie sich selbsten untereinander. Sie reizen uns zu Fehltritten, wir geben ihnen Gehör, und wenn es alsdann fehlschlägt, so fällt die ganze Last nur auf uns. Sie nennen uns schwach, und wir sind doch in gewissen Fällen weit stärker als sie. Ueberhaupt finde ich sie in vielen Stükken äußerst ungerecht, und gäbe es unter uns nicht so viele leere, hirnlose Puppen, ich würde die erste [16] Rebellin werden, alle andere zur gesunden Vernunft aufzuhezzen. Daß man uns so fad erzieht, und daß sich so wenige von uns auszeichnen und zu regieren wissen, das mag wohl die Ursache eines so strengen Gesezzes seyn; und da haben die Männer Recht. Denn dumme Weiber sind oft aus Nothwendigkeit tugendhaft, und gescheide Weiber schweifen aus Eitelkeit aus. Bei einem andern Anlaß ein Mehreres über diesen Punkt. Gute Nacht, Liebe!


Amalie.

6. Brief. An Amalie
VI. Brief
An Amalie

Lose Freundin, schon wieder kein Mittelweg! Wie reimen sich wohl deine leztern Briefe mit den übrigen? – Meine Lage ist anders, also auch andere Briefe: wirst Du sagen. Ja ja! Aber lauter, lauter Extreme in allen Sachen. Doch um deine Briefe zu beantworten: Dein Vater hat also seinen Wohnort geändert? Nu, das mag gut gehen, nur wünscht ich, daß er recht weit wegzöge! Doch was nüzt mein Wunsch? Es wird doch gehen, wie es gehen muß, und wir Menschen wissen meistens zum Voraus, daß wir für Nichts wünschen, und doch wünschen wir. Er mag schon Recht haben, daß in Dir zu viel Feur braust. Mädchen, Mädchen! sieh zu und mach es mir nach, sonst wirst Du bald stürmischer, als ein junger Bursche; und Du weißt, wie gram die meisten Geschöpfe bei unsrer Zeit einer Amazonin sind. – Kleine Närrin! wie kömmst Du auf den Einfall: ich möchte ein Junge seyn! Glaubst Du wohl, daß die Männer so gar vielen Vorzug vor uns haben? Du hast Recht, sie können freier handeln als wir, aber im Gegentheil sezzen sie sich auch mehreren Zufällen aus. Ihr Leben [17] steht bei ihnen beständig auf der Waagschale; ein Streit, ein Krieg – und weg ist es. Es ist nun einmal so eingeführt, daß wir auf dieser Weltbühne als zerschiedene Geschöpfe agiren müßen. Kann es wohl anders seyn? Man legt uns Zwang an; aber es giebt würdige Weiber, für die kein Zwang bestimmt ist; Zwang ist nur für armselige, blöde, widerspenstige Weiber, die sich an Kleinigkeiten binden und große Pflichten verabsäumen, weil sie in allen Stükken aus Dummheit maschinenmäßig nachhandeln müßen. Ein ungebildetes Weib ist das schlimmste Geschöpf auf Erden; ein Ding, daß der Menschheit zur Last herumwandelt; ein Geschöpf voll Eigensinn und Hochmuth; eine Kreatur, die alles, was um sie ist, fast zu Tode martert. Wenn ein Weib boshaft ist, so ist sie es in einem Grade, wozu kein Mann gelangen kann. Siehst Du, Freundin, so ist unser Geschlecht bestellt. Glaubst Du also wohl, daß solche Geschöpfe keinen Zwang nöthig haben? Was würde wohl aus einer menschlichen Gesellschaft werden, wenn man einen solchen Haufen (denn auszeichnen thun sich nicht viele) wenn man sie nach ihrer blöden Einsicht und ihrer Dummheit angemeßen handeln ließe? – Meine Amalie! es ist so schon recht! bleib du immer ein Mädchen, kannst dessentwegen doch männlich denken! Lebe wohl und schlafe wohl!


Fanny.

7. Brief. An Fanny
VII. Brief
An Fanny

Das Abschiednehmen ist doch eine unnüzze aber traurige Sache. Liebe hat bis daher von mir noch keinen Tribut gefodert; aber ebendeswegen, weil sie mich so lange durchschlüpfen [18] lies, schnürt sie mich jezt bis zur Tirannei. Wenn ich nur in diesem Fache mich zu mäßigen wüßte! Aber es reißt so gewaltig an meinem Herzen und drükt so stark in meinem Kopfe, daß ich selbst nicht weis, ob es mich zum Weinen oder zum Seufzen zwingen will. Wenn ich so nacheinander meine Wünsche untersuche, dann gehen sie wie Lauffeuer straks zu Dem hin, der mir gefällt, und wenn sie dort sind – diese Wünsche, und ich mit ihnen, dann ist es mir wohl. – Du glaubst es nicht, Beßte, das ist ein so namenloser Hang, den ich nicht Laster, aber auch nicht Tugend nennen kann. Jezt wieder auf das Abschiednehmen! – Ich stehe mit einem Jungen in Bekanntschaft, ich möchte mich gerne bereden, daß er mir gut wäre, aber gegen meine Zärtlichkeit, gegen meine Wärme ist es ausgemacht, ist er ein wahrer Hakstok. Ich versuche alles, um ihn recht oft zu sehen; aber so zornig bin ich, wenn ich mich an den verzweifelten Kontrast seiner Kaltblütigkeit erinnere. Warum fühlt er nicht auch meine Unruhe? Warum ist er nicht auch eifersüchtig, wenn andere Herrchen mich reizend finden? Seine Seele ist so gedankenlos, so einbildungsleer, wenn ich so im Taumel von Zufriedenheit recht unschuldig und doch wie Glut an seiner Seite sizze. Ich sollte also fortfahren ihn zu lieben? Mich quält es ja doch, und ich finde kein wahres Mitleid. – Halt, Amalie, wirst Du denken, Du fiengst deinen Brief mit Abschiednehmen an, und nun ist Liebe dein Thema! Vielleicht hast du Recht! aber wer plaudert denn nicht gerne von Liebe, besonders wem sie noch so fremd ist? – Alle, Alle müßen opfern, nur ist diese Einbildung ohne Ende so verschieden. Gestern um diese Stunde sah ich ihn das leztemal, ich weinte, eins, zwei, drei Thränchen, und er – er zupfte indessen an seinen Manschetten. Pfui, pfui! dacht ich, meine Zärtlichkeit ist übel angerannt. – Adieu Monsieur, und husch zur [19] Thür hinaus. Ich schreibe Dir bald wieder. Lebe wohl! –


Amalie.

8. Brief. An Amalie
VIII. Brief
An Amalie

Nicht wahr, liebes Mädchen, wie sich meine Laune Troz meinem Flegma nach der deinigen stimmt, da ich sonst jeden deiner Briefe nicht so geschwind beantwortete? Aber nun siehst Du, daß ich Dir schon zum zweiten Male keine Antwort schuldig bleibe. Freilich ist das Abschiednehmen eine unnüzze Sache und ein Zeremoniel, wider welches alle empfindsame Herzen protestiren sollten. Doch zu was Wichtigerm! Gott helfe Dir! Du dauerst mich, denn Liebe ist für ein Herz, wie das deinige, eine gefährliche Sache. Ich erschrak, als ich die Ausdrükke, die Dir deine erhizte Einbildungskraft eingab, überlas. Mädchen, Du hast viele Anlagen zu einer unglüklichen Schwärmerin. Wenn ich Dir rathen darf, so schränke deine Einbildungskraft mehr ein, wenn sie Dir so feurig von Liebe vorschmeichelt; und thust Du das nicht, so glaube mir, Du wirst gewis noch elend. Sei nicht böse über meine Einwendung; ich kenne Dich, und nie würde ich Dir so nahereden, wenn ich nicht wüßte, daß dein zukünftiges Loos aus Träumen bestehen könnte. Wahr ist es, jezt lachest, jezt tändelst Du noch; deine Seele ist nur obenhin berührt, Leichtsinn und Unerfahrenheit laßen Dir und deinem Kopfe nicht so vielen Raum übrig, um Dich unzufrieden und taub zu machen. Findest Du aber einmal Den, der sich in dein Herz schleicht, Den, worauf sich dein Eigensinn steif angeheftet hat, dann magst Du Acht haben, was aus Dir werden wird! Du bist keine gemeine Seele, die ohne Kopf [20] lieben wird; deine Eigenliebe wird sich stark ins Spiel mischen, Du wirst Gegenliebe fodern, und vielleicht von einem Menschen, den der Zufall zu ungeschikt geschaffen hat, um deine Eitelkeit zu nähren. Das wird Dich aufbringen, und doch! wenn Du vielleicht schon zu stark hingerißen bist, so wirst Du leiden, und dennoch mit Dem nicht brechen, der Dich von der Weiber Lieblingsseite zu küzzeln weis. Nun wird sich noch Eifersucht, Furcht, Wünsche, und was weis ich alles, dazu gesellen; dann merk auf, wie Dirs um das Herz seyn wird? – Du wirst Dir Ideale in deinem Liebling schaffen, und findest Du Dich in etwas getäuscht, so wirst Du murren und üble Laune bekommen. Dein Stolz wird sich empören, Du wirst keinen Anbeter nach deinen Schimären stimmen wollen; widerspricht er Dir, so wirst Du toll werden; dann wird es Zank absezzen, und nach diesem Maulhenkerei, und nach diesem Thränen, Schwermuth, und so kann es sich leicht fügen, daß Du Dich schlaflose Nächte hindurch mit deiner Todfeindin, mit der Liebe, herumbalgest. Morgen sag ich Dir noch mehr, magst sauer oder süß drein sehen, mußt es doch wissen. Lebe wohl!


Fanny.

9. Brief. An Fanny
IX. Brief
An Fanny

Theure Fanny! Wir kamen in W** glüklich an. Der Graf empfieng uns sehr gut. Mein Vater ist jezt heiterer als jemals. Die Reise und das Losseyn von seinem Bruder machten ihn munter. Meine Hausgeschäfte sind häufig, alles liegt mir jezt auf dem Halse. Doch Kleinigkeiten für ein williges Mädchen! Mein Schwesterchen wächst recht artig heran, sie ist der Liebling meines Vaters, und da [21] er mir nebst dem auch noch ziemlich wohl will, so kann ich die häufigen Liebkosungen an sie leicht ertragen. – Nun für Dich ein Reisehistörchen: Wir kamen in F*** Abends in einer ehrbaren, saubern Schenke an; ein halbreifer Junge empfieng uns an der Treppe. Mein Vater hatte Louisen an der Hand und gieng der Stube zu, ich hintendrein, und das an der Seite besagten Kerlchens. Seine emsige Bedienung, sein: Mademoiselle schaffen sie nicht? machten mich lachen. Mein Vater merkte den Eifer dieses Jungen nicht, weil er sich eben mit Fremden in ein Gespräch eingelaßen hatte; aber stelle Dir nur vor: Der Flegel machte sich dieser Gelegenheit zu Nuzze und wich nie von meiner Seite. Er that sein Möglichstes, aber mit dem half es bei mir nichts. Halte mich ja nicht etwa für spröde! aber lies zuvor die Schilderung dieser drolligten Kreatur: Ein junger müßiger Held, mit glattem Kinn, ohne Gehirn, kraftlos und ungeschikt in seinen Ausdrükken und im Hut verliebt wie eine Kazze. Du weist, daß ich der Liebe gar nicht feind bin; aber da hieß es: Mein Herr! Sie sind zu gütig! – ich wünschte Ihnen eben so viele Vorsicht, – und so weiter. Aber Mademoiselle, können sie mir verdenken, wenn ich in Sie rasend verliebt bin? – Ich könnte unmöglich rasende Leute entschuldigen. – So haben sie denn kein Herz? O ja, sagte ich, und das ein recht zärtliches. Nun wenn das so ist, warum denn? jezt fiel ich ihm in die Rede: DasWarum und das Darum sind keine Sachen für Sie. – Sie wollen also meine Pein? Sie wollen, daß ich – Hier haben Sie mein Riechfläschchen, wenn Sie es nicht mehr ausstehen können. Lose Schöne! schrie er aus, wie schalkhaft sind Sie nicht! und Sie mein Herr! wie unerträglich sind Sie nicht! Ich? ich? – fragte er betroffen; bin doch gegen Sie mit keinem zweideutigen Worte aufgetretten! Das hätten sie noch wagen sollen, um ganz [22] ihre Schwäche von einem Mädchen bestrafen zu laßen! – O diese Strafe wäre ja süß. Noch hatte er den halben Gedanken im Munde, als der Papa rief: Amalie! nimm deine Schwester bei der Hand, wir gehen zu Bette. Und das thaten wir auch, schliefen so ziemlich wohl, stunden wieder früh auf, und nun giengs weiter nach W** zu. – Bleibe mir gut, Beßte! Du weist wie sehr ich bin


Deine Amalie.

10. Brief. An Amalie
X. Brief
An Amalie

Vermuthlich mußt Du, meine Liebe, deinen lezten Brief, den ich Dir heute auch beantworten werde, abgeschikt haben, ehe Du meine leztre Antwort erhieltest. Ich sagte Dir rund heraus, wie es Dir gehen könnte, wenn Du Dich einmal im Ernste vergaftest. Freilich kannst Du mir entgegenschreien: Freundin! nicht Allen muß es so gehen! Laß sehen, armes Kind, was Du allenfalls einzuwenden hast. O, schon höre ich Dich widersprechen! Wenn ich liebe, so werde ich aus Simpathie und nicht aus Eigensinn lieben. Gut, meine Beßte, muß ich Dir sagen, können wir uns nicht täuschen? Glaubt nicht oft ein enthusiastischer Kopf, daß er da oder dort Simpathie erhascht habe? Laß ihn nur wieder kälter werden, diesen Kopf; laß ihn seinen Abgott, den er sich nach seiner ganzen glühenden Hizze so schuf, wie es ihm gefiel, noch einmal, laß ihn denselben mit kaltem Blute und kritischer Menschenkenntniß untersuchen, dann gieb Acht, ob es noch Simpathie ist! Glaubst du denn, daß die Menschen so leicht und so oft simpathisiren? Ist nicht der größte Menschentheil so sehr verdorben, daß man unter einer großen Zahl Geschöpfe wenige wahre Menschen findet? [23] und wird nicht ein gutes, gefühlvolles Herz zehnmal betrogen, ehe es das Glük hat, eine andere gute Seele zu finden? Es giebt gleichdenkende Menschen, aber selten oder nie findet man sie. Sey mistrauisch, liebes Mädchen, ich bitte Dich, wenn Du dein Herz keinen Mishandlungen aussezzen willst. Ich mag Dir nun keine Silbe mehr weiter zureden, Du möchtest sonst Ekkel bekommen, und das mag ich nicht; also zu deiner Reisebeschreibung: Du bist ein näkkisches Ding! Wenn Du deine Avanturen alle so komisch behandeln könntest, dann würde ich weniger Sorge haben; aber nicht allemal wird deine Kritik über deine Neigung siegen; so lang dein Herz noch gesund bleibt, und deine Einbildung nicht verstimmt wird, so hast Du nichts zu fürchten; wenn Dich aber einmal wizzige, galante schöne Herrchens, statt solchen halbreifen Jungen, verfolgen werden, wie wird es dann aussehen? Es giebt Männer, die unser Geschlecht so gut kennen, und die uns tändelnd zur Liebe zu reizen wißen. Du bist offenherzig und empfindsam, Du hast Menschen gesehen aber sie nicht studiert, und was braucht es mehr, um deine Leichtglaubigkeit zu täuschen? Der Himmel bewahre Dich vor solchen Ruhestörern! Sey aufrichtig gegen mich, und Du wirst finden, daß Dich niemand mehr liebt als deine


Fanny.

11. Brief. An Fanny
XI. Brief
An Fanny

Beßte! Ich möchte Dir von uns Neuigkeiten sagen, und weis doch keine. Bisher geht alles im alten Trabe fort, und außer deiner Amalie giebts in unserm Hause nichts Abentheuerliches. Du kennst ja meinen Oheim in K**? er ist ein seelenguter Mann! Von ihm erhielt ich zwei schöne Kopfzeuge[24] , die mir aber mein Vater recht sehr verbitterte. Ihm will die alte Mode durchaus nicht aus dem Kopfe, und ich habe mich ganz in die neue vergaft. Wir Mädchen haben ja unsern besondern Abgott, ich kann eben nicht sagen, daß ich ihm eigensinnig durchaus alles opfern will; aber eitel bin ich doch, wie wir alle sind. Die Männer sind es mit einem gelindern Ueberzug, und wir sind es in Kindereien. Wenn doch dieser Vater nur suchte, meine Eitelkeit mit gelindern Mitteln zu bändigen! Aber so raschweg, alles, was nicht erst großmuttermäßig aussieht, zu verbieten, das schmerzt. Vorhin gieng ich nie so oft zum Spiegel, aber seit mein Vater mir es so macht, bespiegle ich meine altfränkische Haube so oft, und sinne auf Alles, um ihn zu bewegen, daß er mich einen andern Puz tragen läßt. Mein Oheim weis auch schon, daß eine ziemliche Porzion Eitelkeit in mir stekt; aber er zankt nicht in seinen Briefen, er lärmt nicht, vielmehr sucht er sie auf Nachahmung und Ehrgeiz festzusezzen; und wenn ich mein Herz recht untersuche, so ist es mehr auf das Ernsthafte, Nüzliche, als auf das Lächerliche angewandt. Es wird sich zeigen. – Wenn Du, meine Liebe, wißen könntest, was für eine Menge avantürische Hofnungen mir durch den Kopf kreuzen, Du würdest lachen. Sollten das wohl Ahndungen von einer besondern Zukunft seyn? Das wollen wir uns von heute in acht Jahren sagen können. Noch Eins! Ich bin eben so faul nicht, wie Du Dir vorstellest; meine Tagesordnung scheint mir doch so ziemlich wohl eingerichtet und vollständig. Aufstehen und ankleiden, in die Kirche gehen, und nach diesem hurtig im Hause herumhüpfen und anordnen, so wird es Abend, ehe ich mir es versehe. Dann heißt es meinem Vater vorlesen, eins mit ihm in Karten spielen, hernach auf mein Zimmer, noch eins lesen, und ins Bett. Du kennst ja den jungen B***, den mein Vater vor zwei Jahren nach Mainz schikte? Er bildet sich treflich und schreibt wakkere Briefe.[25] Und wenn er ja gleichwohl ein Kind von jenem vielgeliebten Bruder meines Vaters ist, so zeichnet er sich doch aus. Mein Vater liebt ihn unaussprechlich, ich bin ihm auch recht gut; und da meine Brüder todt sind, so wünsch ich einen Ersaz in ihm. Wie lebst denn Du? Steht es gut um deine Gesundheit? – Bist du noch immer so flegmatisch? Wie glüklich bist Du nicht mit deinem ruhigen Temperament! Ich liebe Dich gewis feurig, glaube es deiner


Amalie.

12. Brief. An Fanny
XII. Brief
An Fanny

Gutes Mädchen! So hat doch nichts eine Dauer. Schon wiederum Auftritte, die mein Vater mit mir durchlebte, und nun laufen Nachrichten ein, die uns schon wieder drohen. Mir scheint es natürlich was man sagt. Stelle Dir nur einen Mann vor, wie sein Bruder ist, der durch üble Kinderzucht alles in Abgrund liefert; einen Mann, der auf der Haut meines Vaters ruhig forttrommelte, und nun fehlt ihm Lezteres; er ist blos sich selbst und der Verschwendung seiner Kinder überlassen. Der Aufwand ist gros, die Stüzze ist weg; also wohin? wo aus? Das mag die Vorsicht wißen, ich nicht. Himmel! wenn dieser Bruder uns samt seinem Anhang wieder – Nein, ich mag es nicht ausdenken! Wie! eine solche Last sollte uns wieder aufs neue drükken? Klein ist jezt unser Aufwand, aber doch hinlänglich. Ja, weis Gott! wenn er größer würde, so wäre bitteres Elend unser Ziel! O Freundin! wir sollten darben? Kennst Du was Grausamers? Es schrekt mich der blose Anblik, wenn ich Andere in solch einer bedaurungswürdigen Lage sehe; wie schwer würde mich erst die Erfahrung selbst drükken! Der [26] Philosoph schränkt seine Wünsche ein, aber was Natur und Gesellschaft fodert, an das wird er sich doch nicht wagen. Seitdem wir Menschen so viele Bedürfniße haben, seitdem sind wir auch unglüklicher. Es ist ja Alles so unregelmäßig ausgetheilt, der Schurke ist reich und der Rechtschaffene arm, und doch reich, aber nur in seinem Herzen. Der Mensch muß dem Interesse nachjagen, weil er dazu gezwungen wird. Meinetwegen möchte man Alles versuchen, um ehrlicher Weise Geld zu gewinnen, wenn nur die Menschen es wieder für andere Menschen verwendeten; aber wer hat mehr Geld als viele Menschen? und wer ist hartherziger als eben diese? Höre doch noch was! Mein Vetter in Mainz schreibt mir vieles artiges Zeugs. Der Lose, wie er meiner Eitelkeit küzzelt! er nennt mich ein erhabnes Mädchen; er schwört mir Liebe, Freundschaft und Treue zu. Was meinst Du wohl? Sind denn die Männer so gutherzig wie wir? Dies Geschlecht ist noch für mich ein Räthsel. Möchte es immer eins bleiben! aber ich zweifle. Mein Gefühl wächst, und ich wünsche mir bald ein solches Unthier. Mein Herz, mein Enthusiasmus, Alles in mir ist zum Lieben geschaffen. Oft, wenn ich einsam bin, fühle ich mich so leer, so öde, überdies so wünschvoll, und Thränen sind gemeiniglich das Ende meiner Schwärmerei. Wie nöthig hätte ich jezt den Rath meiner Mutter! Aber ach! Freundin! – Du mußt sie seyn; nicht wahr, Du willst?


Amalie.

13. Brief. An Fanny
XIII. Brief
An Fanny

Daß doch meine Ahndungen fast immer eintreffen müßen! Begreife, wenn Du kannst, liebes Mädchen, meinen wirklichen [27] Zustand. Vor wenigen Wochen kam der Bruder meines Vaters mit acht Kindern hier an; mein Vater vergaß bei diesem Anblikke, Folgen und Zukunft, nahm sie auf, und nun ist unser Schiksal gänzlich in des Himmels Händen. Ja, Freundin! wäre auch diese Last unsern ökonomischen Umständen angemessen, so würde doch eine solche pöbelhafte Gesellschaft für mich Zuchthausstrafe seyn. Fünf Mädchen und drei Buben, lauter grobe, boshafte Kinder, die kurzweg Kontraste von meiner Erziehung sind. Kreaturen, die zur Plage andrer guten Menschen in der Gesellschaft herumirren. Geschöpfe, die ohne Grundsäzze erzogen wurden, und im Unflate aufwachsen. Mancher Plage kann man, wenn man sie vorsieht, ausweichen; aber dummen, bösen Menschen, die täglich um uns sind, wie ist es möglich diesen auszuweichen? Ach Fanny! wie bitter ist doch die Jugend deiner Amalie! Mein Leben besteht aus zu manchfaltigem Verdruß, als daß in mir nicht verschiedne Wünsche entstehen sollten. Ich liebe meinen Vater, aber ich würde seine Kniee weit feuriger umfassen, wenn er sich von den Unwürdigen loszureißen suchte; aber sein gutes Herz läßt ihn nicht; geduldig stürzt er sich in sein eigenes Verderben, und ist ungehalten, wenn ihn seine Tochter deswegen ahndet. So ganz von Gram übertäubt fiel mir lezthin ein, weg – weit weg von diesem Hause! – Undankbare! Deinen Vater kannst du verlassen? – Gott kennt mein Herz, es ist nicht Undank; es ist eine volle Seele, die alles dieses nicht länger erträgt. Ueberdenke nur, Freundin! wie gräslich mir alle die Ausschweifungen, alle die unsinnigen Schwärmereien meiner Vettern und Basen auffallen müßen. Keine Ordnung, keine Ehre, keine Tugend läßt sich in der geringsten Handlung blikken. Meinem Vater selbst muß es heimlich über diese zügellose Kinder ekkeln. Unser Haus gleicht einem Zuchthause, in dem man alle Gattungen von Gebrechen antrift; nur bin ich unter diesen Tollen [28] am meisten zu bedauren; denn ich muß das werden aus Gram, was die andern aus Leichtsinn sind. Wahrhaftig, meine Beßte, ich fühle mich ganz am Rande des Trostes. Ich ehre die Vorsicht, aber wenn der Mensch sich selbst gedankenlos stürzt, dann verdient er ja diese Vorsicht nicht. Und was thut denn mein Vater anders, als aus seinen Kindern Elend zögeln? Meinem Oheim zu K*** werde ich schreiben; der soll reden, der muß reden, sonst ist er mein Oheim nicht. Schlafe wohl! Es schlägt zwei Uhr, und noch versagt mir die Natur ihren Zoll.


Amalie.

14. Brief. An Amalie
XIV. Brief
An Amalie

Liebe Freundin! Dein Schiksal ist wirklich wider Dich, und besonders in Rüksicht deiner wirklichen Lage. Schon freute ich mich über deine Ruhe, schon dachte ich, es wird beßer werden, denn sie sind fort von Dem, der sie zu Grunde richten wollte. O Freundin! wie oft täuschen wir Menschen uns doch, und freuen uns über ein Nichts! Das ist gerade der Fall, wenn ich auf Dich zurüksehe; ich möchte Dich so gerne gründlich trösten: aber finde ich wohl hinlänglichen Trost, um Dich zu beruhigen? Ich will thun was mir möglich ist. Wahr ist es, das ungeschliffene Betragen deiner Basen ist und muß für Dich auffallend seyn. Denn deine Bildung und ihre Ungezogenheit sind zu starke Widersprüche, als daß Du dadurch nicht solltest gekränkt werden. Doch was ist zu thun? Aendern wirst und kannst Du sie nicht; dulde sie, so lange es dein Schiksal fodert, beruhige Dich mit einem edlen Stolz, der Dich weit über sie wegsezzen muß. Es giebt Geschöpfe in der Welt, die man nicht einmal einer [29] Verachtung würdiget, und Verachtung ist doch der lezte Grad, mit dem man einen Beleidiger strafen kann. Deine Basen verdienen Mitleid, aber ihre Eltern verdienen Verachtung, denn ihr Betragen ist eine blose Folge ihrer Erziehung. Strafbar sind jene Eltern, die ein so wichtiges Werk versäumen, wovon unser ganzes Leben abhängt; aber noch unglüklicher sind ihre Kinder, wenn sie ein Opfer der dummen Nachläßigkeit ihrer Eltern werden müßen. Dein Vater ist sehr bedaurungswürdig, und ihr armen Kinder seyd es mit ihm. Siehst du, Freundin, daß zu gut nicht gut ist? Ein allzu guter Mensch ohne Ueberlegung gleicht einem trägen Insekte, das sich aus Schlafsucht tretten läßt, ohne seinen Untergang zu fühlen. Nie muß man über Andern sich selbst vergessen. Die Menschheit selbst bürdet uns keine Pflicht auf, wenn sie auf Unkosten unsers eigenen Wohls geht. Es giebt auch blöde Menschen, die man für gut ausgiebt, und im Grunde sind sie es nicht. Ihre Wohlthaten verschwenden sie mehr aus Schwachheit als aus überzeugter Güte. Jede Wohlthat muß ihren Endzwek haben; aber bei solchen Menschen kann sie keinen haben, weil sie sie ohne Vernunft so oft unwürdig verschwenden. Das ist wirklich der Zustand deines Vaters, er macht sich und seine Kinder elend, thut Gutes aus Unbesonnenheit, und nährt das Laster, weil es über seine Schwachheit siegt. Traue auf Den, der die Quelle deines Kummers einsehen muß. Ich bin zu sehr über deinen Gram gerührt, als daß ich Dir mehr sagen könnte. Schreibe mir bald wieder, nie soll es an mir fehlen, Dir ewig zu sagen, daß ich Dich mit Thränen in den Augen heute verlasse. Lebe wohl, Amalie!


Fanny. [30]

14. Brief. An Fanny
XV. Brief
An Fanny

Ich schrieb Dir lange nicht, Beßte, und würde es jezt noch nicht thun, wenn Du nicht ein so gutes Geschöpf wärest. Es muß Dir ja über meinen Ton ekkeln; doch nur mein Schiksal und deine Güte sind Anlas zu meinen Klagen. Ich könnte es nicht allein ertragen, wenn ich es auch nicht mittheilen dürfte. Oft weine ich so in einem Winkel und umfasse eine Säule oder einen Fensterstok und bilde mir ein, er nehme Antheil an meinen Leiden. Könnten wir uns nicht mittheilen, wir wären weit unglüklicher; das ist so etwas, worinn wir fühlen, wie gut unser Schöpfer ist. Stelle Dir nur vor, liebe Freundin, ein neuer Mischmasch von Unordnungen nimmt jeden Tag in unserm Hause seinen Anfang, und endet nicht eher, bis diese Kreaturen sich genug herumgebalgt haben. Ihre Spötteleien, ihre Bosheiten, ihre Tollheiten sind mir unerträglich, sind Sachen, worüber ich den Verstand verlieren möchte. Selbst mein Vater, ihr Wohlthäter, dient öfters zum Gegenstand ihrer Ungezogenheit; kurz, wo ich nur immer hinsehe, sehe ich nichts, als garstige, unflätige Herzen, Kinder, die im Zorne Gottes müßen geschaffen seyn; wie schröklich bange ist mir für meine arme Schwester! Gott im Himmel! was könnte wohl aus einem so zarten Kinde bei einem solchen Beispiele werden? Das Mädchen muß um sie seyn, ich kann es nicht ändern. O könnte ich das, Fanny, könnte ich das! heute noch würde ich sie mir alle vom Halse schaffen; aber Du weißt es, Freundin, ich kann es nicht, gar nicht, denn mein Vater verbot mir die geringste Anmerkung über diesen Punkt und drohete mir dabei so fürchterlich, daß ich es nun nicht mehr wage, meine Thränen an seinem Busen zu verweinen. Auch dieser Trost ist für mich nicht [31] mehr; ich zittre jezt mehr als je vor seinen Blikken und verberge meinen Kummer, der so tief in meiner Seele herumschleicht. Glaube mir, Freundin, jezt schon fangen wir alle an die Folgen einer solchen Last zu fühlen, denn es geht so abgekürzt in unsrer Oekonomie zu, als ob sie schon an Mangel gränzte. Mein Vater sucht es zu verbergen, aber für mich nüzzen solche Kunstgriffe nichts; denn ich allein, vor allen Andern, überrechne unsre Ausgaben, und jammere gewis nicht um des blosen Schattens willen. Könnte mein Gram uns retten, so hättest Du, meine Liebe, heute gewis den lezten Abriß unsers Elends. Lebe wohl! Denke doch an deine


Amalie.

16. Brief. An Fanny
XVI. Brief
An Fanny

Liebe Fanny! Siehe doch, wie geschwind das Menschenschiksal sich ändert! Du weißt, wie sehr ich mich hinwegsehnte, und schon heute erhältst Du diesen Brief aus meiner Vaterstadt. Geschäfte, die Niemand anders besorgen konnte, bestimmen mich hieher. Meinen Vater verlies ich unter tausend Thränen, und ohne seinen Willen wäre ich gewis nicht fort. Er selbst fand es nöthig, ich sah es auch ein, und so reiste ich in Gesellschaft seines Bruders und eines seiner Söhnen ab. Müde bin ich noch ziemlich, denn wir mußten die Reise aus Geldmangel zu Fuße machen. Es war ein kleiner Spaziergang von dreißig Meilen, schlechter Weg und eine hartherzige Gesellschaft dazu. Das Leztere besonders fiel mir schwer, sehr schwer; auch mein Herz empfand eine solche Demüthigung; aber dennoch überhüpfte meine Jugend diese Epoche mit einer Art von Leichtigkeit. Meine Begleiter waren, [32] wie gesagt, hartherzig und unartig; oft verdoppelten sie ihre Schritte, ließen mich stundenlang in den fürchterlichen Gegenden zurük, und dann mußte ich sie athemlos einholen. Ja, Freundin, so muß ich mein Schiksal nachschleppen. Ich gewöhne mich nach und nach an verschiedene Arten von Unbequemlichkeiten, und lerne recht fleißig Sachen ertragen, die nur für Unglükliche bestimmt sind; zum Glükke, daß mein Körper dauerhaft ist, sonst müßte ein Mädchen von meinem Alter gewis unterliegen. Tausend Dank meiner Mutter, daß sie mich ohne Weibersucht erzog. Wenn mich auf dieser Reise meine Einbildung gemartert hätte, wenn ich über ein rohes Lüftchen, über eine Erhizzung, einen Jammer, aus Gewohnheit, andern Leuten zur Last angestimmt hätte, da Fanny, wäre es mir gewis übel ergangen! aber geduldig, wie ein Schulfrazze, mußten mich meine Beine fortschleppen; fort hieß es, und so kamen wir hier an. Ein Vetter und eine Base nahmen mich in ihr Haus auf. Mit Nächstem etwas weitläufiger von dieser Base. Für jezt schlaf wohl, recht wohl! Ich bin


Deine Amalie.

17. Brief. An Fanny
XVII. Brief
An Fanny

Beßte, theuerste Freundin! Wieder ein neuer Auftritt, und für mich ganz neu. Meine Base, die Thörin, ist auf mich eifersüchtig. Was wird mein Vater sagen, wenn ihm das tolle Weib im Taumel ihrer Leidenschaft schreibt? Doch er kennt mich, wird nichts schlimmes glauben. Gewis, Freundin, ich bin unschuldig. Ich konnte ja die kleinen Gefälligkeiten ihres Mannes nicht mit Gewalt von mir abwenden. Oft stund mir der Schweis auf der Stirne, wenn er so[33] auf mich lauerte und nach jeder Gelegenheit haschte, um mir seinen Eifer zu zeigen. Bis jezt kann ich Dir in Rüksicht seiner keinen Bescheid geben, denn wenn er nicht dringender wird, so mag es noch immer hingehen. Indessen kümmert mich doch diese Avantüre, denn zu was ist wohl eine eifersüchtige Frau nicht fähig? Ich wünschte Dich bei mir, um von Dir zu lernen, wie man dergleichen Auftritte mit Vernunft ausharren muß. Jezt noch ein Bischen von meinen hiesigen Verrichtungen: Du weist, daß meine Mutter ein Vermögen hinterlies, so für uns Kinder in Verwahr genommen worden. Du kannst leicht denken, wie es aussehen mag, da mein Vater schon seit zwei Jahren keine Rechnung von unserm Vormunde erzwingen kann. Stelle Dir vor, ich bin hier, um meinen rohen, fühllosen Vormund zur Gewissenhaftigkeit zu zwingen, und das mag wohl eine nicht kleine Unternehmung seyn, denn mein Vormund sieht einem geizigen Advokaten ähnlich, der unter dem Schein der Rechtschaffenheit seinen Beutel spikt. – Er empfieng mich mit einer Staatsmine die an Barbarei gränzt. In wenig Tagen mehr von diesem Toffe. – Jezt rufen mich Geschäften. Lebe wohl, meine Fanny!


Deine Amalie.

18. Brief. An Amalie
XVIII. Brief
An Amalie

Nicht wahr, meine Beßte, meine Kleinmuth, die Du in meinem lezten Briefe magst bemerkt haben, war Ursache, daß Du mir so lange nicht schriebst? – Vergieb mir, ich bitte Dich! – Es war Liebe zu Dir, die mir auf einmal das Herz brach und mich zur armseligsten Philosophin machte. Es giebt gewiße Augenblikke wo man fühlt, daß [34] man Mensch ist, und keine Moral ist in einem solchen Zeitpunkte kräftig genug, unserm Kummer Schranken zu sezzen. Du hieltest mich immer für flegmatisch; aber nicht Flegma war es, sondern eine Art von Philosophie, die ich mir frühe schon eigen machte, um etwas ruhiger die Leiden der Menschheit zu durchwandern. – Doch auch im Auge eines Philosophen steht eine mitleidige Thräne reizend. – Und nun, meine Liebe, bist Du also in deinem Vaterland? – Fürwahr deine Reise war ziemlich mönchenmäßig. – Nicht wahr, Freundin, wie künstlich das Schiksal uns auch an Unbequemlichkeiten zu gewöhnen weis? Hätte Dich deine Mutter in der Erziehung verzärtelt, so würdest Du nicht mit solchem Muth eine Reise vollendet haben, die Dir Ehre macht. Man kann vieles Elend ertragen, wenn es nur nicht durch Lästerzungen verbittert wird. – Einem Menschen von guter Geburt und Erziehung ist die Erniedrigung mehr Qual, als dem Bettler, weil er nie was anders als Bettler war und noch ist. – Aber was, meine Theuerste, was sagst Du? – Deine Base ist auf Dich eifersüchtig? Mein Gott! – Welcher Unsinn! – Ein Mädchen, die nicht die geringste Spur von Ausschweifung an sich blikken läßt; wie kann man die mit Argwohn kränken? – Uebrigens, meine Liebe, hast Du Ueberlegung genug, die Gefälligkeiten deines Vetters zu untersuchen, findest Du sie anstößig, so giebts ja Mittel und Wege, seinen Lüsten zu entgehen. Jedes Mädchen muß so viel Vernunft besizzen, um den Männern Ehrfurcht einzuflößen; wollen sie nicht nachgeben, je nun, so straft man ihre Verwegenheit durch eine tüchtige Satire! – Die Männer sind nun einmal zum Angriffe bestimmt und gewöhnt, und oft kömmt es auf uns Mädchen an, sie durch Delikatesse zu gewinnen. – Giebt ein solcher stürmischer Ritter nicht nach; dann verdient er weiter nichts als einen troknen Verweis. – Das, [35] liebe Freundin, ist mein angenommenes Sistem und meine unmaßgebliche Meinung in Ansehung der Herren Männer. Und ich denke immer, die Angriffe von Seiten der Männer würden seltener seyn, wenn die meisten Mädchen mehr Denkkraft über diesen Punkt im Kopfe trügen. – Nun noch eins, meine Traute; ich bin recht zufrieden über den guten Fortgang deiner Geschäfte; gieb mir bald nähere Nachrichten von ihrem Ausgang und sey indessen der Redlichkeit deiner Fanny gewis.

19. Brief. An Fanny
XIX. Brief
An Fanny

O, meine Beßte! – Ich bin ganz außer mir! Mein hirnloser nervenstumpfer Vormund jagt mir täglich mehr Galle ins Blut. – Unter seiner schwarzen, zerzaußten Perrükke stekt eine große Portion Spizbüberei verborgen. – Du kannst Dir leicht vorstellen, daß dieser Mann uns arme Kinder gewißenlos einem schändlichen Eigennuz aufopfert. Er entwandte uns einige Kleinodien von großem Werthe, und ich armes Mädchen konnte ihm diese Dieberei nicht beweisen, ob ich sie gleichwohl sichtbarlich entdekte. Aber, so wahr Gott lebt! – Er soll es mir gewis unter vier Augen zu verstehen bekommen, wie klar ich seine betrügerische Larve durchsah! – Und nun, meine Theuerste, zu etwas anderm: Du erinnerst Dich doch noch jener eifersüchtigen Base, wovon ich Dir schon einmal schrieb? – Das Weib wird immer wütender, und bald macht sie mir es zu bunt! – Du lieber, gütiger Himmel! – Was diese Kreatur für Bosheiten in sich trägt. – Sie macht selbst Seitensprünge und sucht sorgfältig die Laster in ihrem Manne auf, um die ihrigen damit zu vermänteln. – Jeder Bissen Brod, den[36] ich in diesem Hause genieße, wird mir von ihr verbittert; sie ist ein gallsüchtiges Unthier, nährt sich vom Mistrauen, und lauert dabei auf jeden meiner Schritte. Meine selige Mutter hat viele Wohlthaten an sie verschwendet, und mich lohnt sie dafür mit Undank. Freundin! – Wenn es nicht mehrere gute Menschen in der Welt giebt, als ich bis jezt kennen lernte, so ist ja die Welt ein Sammelplaz von Misgeburten, die sich an der sanften Mutter Natur, versündigen. Möchte sich doch das eifersüchtige Fieber meiner Base von selbst heilen; durch mich soll es wenigstens nicht tödtlich werden; eher brech ich auf, und ziehe weiter. – Zu dem wird ihr Mann gegen mich immer dringender. Seine Sinnen scheinen ganz betäubt, aber die meinigen um desto wachender, und so hat es noch keine nahe Gefahr. Freilich ist das Gewinsel eines solchen Weichlings für mich ekkelhaft, wenn ich so einen Sklaven der Wollust um mich herum muß kriechen sehen. – Doch, Freundin, wundere Dich ja nicht über meine Kälte gegen so viele Versuche auf mein siedheißes Blut; halte sie nicht für Romanenstärke; sie ist die natürlichste Folge meiner noch unentwikkelten Empfindung. – Ich bin zu wenig noch mit dem Gebrauch der Sinnen bekannt, um nach dem lüstern zu seyn, was mein sauberer Vetter mir wider meinen Willen abdringen will. – Mein Herz ist frei von Leidenschaft und Interesse; das sind zwo gefährliche Klippen, woran so viele Mädchen scheitern. – Nicht, daß ich etwa ein Triumphlied über meine Enthaltsamkeit anstimmen will; mich deucht, ich würde dadurch die Menschheit lästern, wenn ich ihre Triebe für unbezwinglich hielte. – Ich glaube zwar gerne, daß einige Mädchen von gelindem Temperamente, gewisse Jugendjahre rein platonisch durchwandern; nur ahndet mir, (ob mich meine Ahndung betrügt, weis ich nicht) daß der dümmere Theil strauchelt, noch eh er Hymens Brautbett besteigt. Ein Mädchen, das [37] nicht denkt, kann ihren Sinnen ja keine Ueberlegung entgegensezzen. – Der Vernunft einiger Romandichter muß es also sehr sauer ankommen, wenn sie durchaus alle Mädchen blos schimärisch engelrein in Romanen handeln lassen. – Mir scheint, dergleichen Bücher bilden aus jungen Leuten Fantasten, und dienen dem Menschenkenner zum Gespötte. – Du wirst mir sagen, ob mein Schluß richtig ist. – Wäre es denn nicht besser, die jungen Mädchen durch eine wahre Schilderung der Welt von Irrwegen abzuhalten, als durch eine erdichtete Romanenmoral ihre Einbildung bis zur Engelssphäre zu spannen, damit sie noch tiefer fallen, wenn ein empfindsamer Schurke an ihrer Seite seine Rolle gut zu spielen weis? – Ich meines Theils würde nicht halb so neugierig seyn; wenn ich ganz wüßte, wie es in der Welt zugeht, und was allenfalls das Verhältnis der menschlichen Kräfte nicht überstiege. – Nicht wahr, Freundin, eine allerliebste Anmerkung, für so ein junges Ding von meiner Art? – Je nun! Bin ich denn nicht alt genug, um über eine Sache zu plaudern, die alle, durchaus alle Mädchen von Fleisch und Blut angeht. – Also nichts für ungut! Und nun gute Nacht von


Deiner Amalie.

20. Brief. An Amalie
XX. Brief
An Amalie

Vortrefliches Mädchen! – Du räsonnirst ziemlich deutsch über einen für euch junge Mädchen so gefährlichen Punkt. – Doch das Mehrere hierüber hernach. – Für jezt wünsche ich Dir Geduld, bis dein verworrener Handel mit deinem Vormund zu Ende geht. Indessen tröste Dich, Theure! – Es giebt ja doch noch viele gute Menschen in der Welt, leider, daß eben die meisten davon unglüklich sind, und sich aus [38] eigenem Elend ihren Mitmenschen nicht bemerkt machen können. Aber nun rathe ich Dir, Mädchen, mache Dich von deinem dringenden Verführer bald los; wir sind Menschen, und eh wir es uns versehen, fühlen wir es nur zu sehr, daß wir es sind. – Gegen unsere Sinnen läßt sichs weder tändeln, noch trozzen; das erstere ist gefährlich, und das leztere lächerlich. – Wohl Dir! Meine Liebe, wenn deine Eimpfindung noch lange unentwikkelt bleibt, sonst würdest Du vielleicht zu bald erfahren, wie schwach wir alle sind. Du kennst Dich selbst und unser Geschlecht zu wenig, wir haben so reizbare Nerven, so feurige Sinnen, eine so baufällige Vernunft und können so leicht überrascht werden, wäre es auch blos aus Gutherzigkeit. – Viele Männer sind undankbar genug, diese Himmelsgabe an uns Weibern zu ihrem Vortheil zu nüzzen. – Was nun den Dichter eines Romans betrift, so will ich Dir sagen; dieser muß seine Heldin engelrein schildern, um zu beweisen, daß er blos als Dichter – und nicht als Mensch schreibt. – In so vielen Duzzend Romanen erscheinen die meisten Heldinnen mit Larven; was darhinter stekt, muß sich der Vernünftige selbst denken, denn die Fälle in der Welt sind zu verschieden und die wenigsten originell geschildert. – Wäre der Stoff des Dichters immer Original, so würde die Welt voll von unschuldigen Mädchen strozzen. – Dergleichen gute Beispiele sollen nun freilich zur guten Nachahmung führen, sie würden auch ihren Zwek erreichen, wenn ihr Verfasser nicht über die Menschheit hinausschwärmte, und nicht unnachahmlich wäre. Wir wissen ja, daß es in der Natur des Menschen liegt, Fehler zu begehen; warum wollen wir sie verläugnen? Und findet man auch zuweilen einige seltene Menschen in der Welt, die beinahe völlig Herren über ihre Sinnen sind, so können doch diese einzelne nicht zum Beweis für viele hundert schwächere dienen, worunter der Haupttheil von gröbern Empfindungen, blos zur [39] Einschränkung ihrer Begierden, nicht aber zu Heldenzügen von gänzlicher Enthaltsamkeit, Anlage in sich fühlt. – Zur Ausübung einer geistigen Schwärmerei gehören ganz eigne Köpfe; bisweilen finden sich solche gleichgesinnte Enthusiasten: Furcht – Neuheit der Liebe – Stolz – Blödigkeit – gegenseitige Schamhaftigkeit und Ehrfurcht schrökken die wärmsten Begierden zurük, ob aber dies reine platonische Feuer nach mehreren Jahren von Umgang rein bleibt? – Diese Frage beantworte ich mir ganz still in mein eignes Ohr, und für Dich junges Mädchen mags so lang ein Geheimnis bleiben, bis Du mir einstens selbst die Frage bejahest oder verneinest. – Liebe, traute Kleine! – Sey während deiner Unerfahrenheit geizig auf die Ruhe deiner Seele und die Reinheit deines Körpers, die Stunden sind selig so lang der leztere schweigt. Tobende Leidenschaft möge Dich nie quälen! das ist der aufrichtigste Wunsch


Deiner Fanny.

21. Brief. Amalie an Fanny
XXI. Brief
Amalie an Fanny

Nun ists entschieden, meine liebe Fanny! – Die Eifersucht meiner Base wurde mir unausstehlich! – Ich verlies dieses Haus, gieng zu einer andern Verwandtin, und nun endlich gar von dem nemlichen Orte weg. – Auch erhältst Du jezt diesen Brief aus dem Hause meines Oheims von mütterlicher Seite, der in L*** wohnt. Auch dessen Weib, ist eine von den Alltagsseelen, die man so häufig gerade unter Blutsverwandten findet. Sie empfieng mich mit einer stolzen Fühllosigkeit, die mich beim ersten Eintritt zurükgeschrökt hätte, wenn mir nicht meine gute Großmutter desto zärtlicher um den Hals gefallen wäre. Die arme alte Frau! – Wie [40] dauert sie mich! Sie hatte die gutherzige Unbesonnenheit, ihr ganzes Vermögen ihrem Sohne und seiner unbarmherzigen Ehehälfte zu überlassen. Wofür sie sich ein Leben voll Zank und Mishandlungen eintauschte. Die junge ausgemästete Schwiegertochter poltert, schreit, lärmt, wie eine Furie, in ihrem Hauswesen, und stopft mit der armen Alten die Dienste einer Kindsmagd aus. – Die bittern Thränen einer grauen Mutter rühren den Sohn nicht, weil ihn sein Weib bei seiner Schwäche pakt, und ihm alle Klagen dieser Frau als Grillen des Alters schildert. – Hier denke ich wohl nicht lange mehr zu verweilen, denn ich kann die allzusauren Gesichter meiner Tante eben so wenig leiden, als die allzusüßen, womit mich mein Oheim beehrt. – Blos um meiner lieben Großmutter willen zögere ich noch einige Tage, denn das Bild meiner verlornen Mutter erneuert sich in mir durch ihren Anblik. – Auch wünscht mich mein lieber Vater, durch seine Briefe, mit jedem Posttage zurük. – Und wie leid thut es mir, daß ich ohne Rechnung von meinem Vormund zurükkehren muß, da dies doch eigentlich die Absicht meiner Reise war. – Muß mich nun mein Vater nicht für nachläßig in diesem Geschäfte halten? – Aber wer kann Schurken zur Redlichkeit zwingen? – Wenigstens konnte ich keine Rechnung von ihm erzwingen. Auch muß ich Dir noch sagen; nicht weit von der hiesigen Stadt, wohnt eine Bekannte von mir, die ich ehemals als ein gutes Mädchen kannte; vorher noch will ich diese besuchen, und dann kehre ich in die Arme meines Vaters zurük. – Dieses Mädchen hat sich erst vor Kurzem verheirathet, und ich bin äußerst neugierig, wie ihr das neue Eheband schmeckt? – Ehemals sprachen wir Beide oft miteinander von Liebe, aber sehr wenig von der Ehe, weil wir zu verschiedene Begriffe davon hatten, und uns oft ein wenig darüber zankten. – Sie hielt den Ehestand für Tändelei, für Blumenfeßeln; ich hingegen hielt ihn [41] für den gefährlichsten Schritt in unserer weiblichen Laufbahne. Sie war eine Schäkkerin von der ersten Gattung, und immer etwas leichtsinniger als ich. Eben darum bin ich begierig, wie es mit ihr ausgefallen ist. – Das nächstemal ein mehreres, lebe wohl, liebe ernsthafte Freundin!


Deine Amalie.

22. Brief. An Amalie
XXII. Brief
An Amalie

Liebe Freundin! – Daß doch fast alle deine Blutsverwandte, ein einiger ausgenommen, so roh dich behandeln! – Was mag wohl für Blut in diesen Geschöpfen rinnen, wenn sie die Stimme dieses Bluts so wenig hören wollen? – Sey froh, daß Du entfernt von der eifersüchtigen Base bist, sie ist deiner zu ihrer Beruhigung los und Du ihrer. Der kalte Empfang deiner Tante ist Hochmuth, und dieser ist fast überall die Folge der Dummheit. Sezze Dich darüber hinweg, dies ist die beßte Rache des Vernünftigen. – Deiner bedaurungswürdigen Großmutter bin ich herzlich gut, und ich wünsche ihr hinlängliche Seelenstärke, die Bosheiten ihrer Schwiegertochter mit Geduld zu ertragen. – Hat denn ihr undankbarer Sohn keine Augen, keine Ohren? oder trägt er diese blos für sein boshaftes Weib? – So einem Halbmann gehört die Ruthe, der sich von seinem Weibe bis zur Hartherzigkeit einschläfern läßt. Was ist das für eine Schande, wenn der Mann ein kriechender Hausknecht seines Weibes ist! – So einer feigen Memme könnt ich mehr gram seyn, als einem in seinen Schranken stürmischen Manne, der sein Hausrecht nicht so leicht vergiebt. Doch genug hievon! Du bist jezt vermuthlich schon bei dem jungen Eheweibchen? – Ich bin sehr neugierig auf Nachrichten von ihrer neuen Verbindung. [42] Der Ehestand wird ihren Leichtsinn schon dämpfen, er ist ein tüchtiges Mittel wider die gute Laune, besonders wenn er nach der alltäglichen Mode gestiftet wird. Zum Ehestand gehört eine große, standhafte Vernunft, um eines Andern Gebrechen und Thorheiten mit Güte zu beßern oder geduldig zu ertragen. Und dann die ewige Gewohnheit, die jedem Dinge den beßten Geschmak raubt, bringt oft im Ehestand Wirkungen hervor, die gräßlich sind, wenn nicht durch beiderseitige Nachsicht und Güte des Herzens alle übeln Folgen verhütet werden. Der Ehestand ist bei den Meisten ein Kaos voll rosenfarbenen Elendes. Du hast Recht, Mädchen, diesen Schritt für gefährlich, für entscheidend zu halten; er reizt, lokt, beglükket und vergiftet eben so geschwind das Leben, je nachdem man's trift; und – leider sind so wenig Treffer in diesem Glükstopfe! – Ich möchte Dir zwar nicht gerne einen übeln Vorschmak von einem Stande beibringen, der auch Deiner wartet. Aber kann ich wohl von einer Sache schweigen, die in unserm Leben eine so unglükselige Epoche ausmacht? – Neigung, Vernunft, Güte des Herzens sollten diese Bande knüpfen, und nicht Eigennuz, Uebereilung, Sinnlichkeit, Konvenzionen, oder Eitelkeit. Die wenigsten Ehen haben wahre Harmonie der Herzen zum Grund, und die jungen Eheleute finden sich eben darum nach dem abgekühlten Taumel getäuscht. Grobe Herrschsucht, Gebieterei des Mannes wekt die Eitelkeit, den Starrsinn des Weibes auf; Zank, Widerspruch, Brausen gegen einander sind die richtigen Merkmale zweier misverstandener Gemüther. Ekkel und beiderseitige Verbitterung, ist die Glokke, welche der Liebe zu Grabe läutet, und das Ende davon, ein schändliches beiderseitiges Lasterleben, unter dem Dekmantel der heiligsten Verbindung. Laß uns abbrechen, Freundin, von so schröklichen Auftritten der Menschheit! – Ein Mädchen, wie Du, darf vorsichtig wählen, aber deswegen sich nicht abschrökken lassen.[43] – Schreibe mir bald wieder und erinnere Dich deiner beßten


Fanny.

23. Brief. An Fanny
XXIII. Brief
An Fanny

Daß ich zu dem neuverheiratheten Weibchen reisen wollte, sagt ich lezthin, und daß ich nun bei ihm bin, sag ich Dir heute. – O Gott! – Wie hat sich dies Geschöpf geändert! – Weg ist aller Leichtsinn, weg alle Lebhaftigkeit, weg alle Freuden der Jugend! – Sie lebt mit ihrem Manne in einer Kälte, die nahe an Gleichgültigkeit gränzt. Sie schweift nicht aus, aber erfüllt mürrisch ihre Pflichten, sie läßt ihn keine Bosheit fühlen, aber zeigt ihm auch kein gutes Herz, sie ist nicht munter, aber auch nicht empfindsam traurig, sie liebt nicht und haßt nicht, kurz sie ist eine freudenlose Maschine. Ihr Mann ist auf sie eifersüchtig und mistrauisch, und sezt dem guten Weibchen gerade auf der rohen Seite zu. Gelinde Vorwürfe sind dermalen schon von beiden Seiten aus ihrem Umgange entfernt, und es wird nicht lange dauern, so bricht eine Rebellion gegen das Bischen Duldung aus, das sie einander aus Wohlstand noch schuldig sind; und dann gute Nacht Hausfrieden, gute Nacht Ehre! – Ich mag jezt der Unglüklichen keine Vorwürfe über den zu leichten Begriff, den sie von der Ehe hatte, machen; sie würde sonst den Betrug und ihr Elend doppelt fühlen. Und zu Dir im Vertrauen, liebe Freundin, ich habe wenig Hofnung zu glüklichern Zeiten für diese zwei jungen Leutchen, denn beide besizzen einen so halsstarrigen Eigensinn, der für den Zuschauer bis zum Ekkel geht. Ueberdies noch sind die Mutter und Schwester des Mannes sehr wider die junge Frau eingenommen, [44] und die schieben Holz zum Feuer, so oft und viel sie können. Uebrigens bin ich hier wohl aufgenommen und gut bewirthet worden. Auch will ich mich einige Tage länger hier aufhalten, und wäre es auch blos um eines gewissen Doktors willen, der mir so ziemlich ans Herz geht. Du weist ja, daß es nur einer schmachtenden, süßen Schwärmerei bedarf, um meiner schon fertig gestimmten Einbildungskraft zu begegnen. Und denk Dir nur, das allerliebste Herrchen scheint mich ganz zu verstehen. Er ist wizzig, schäkkernd, tändelnd, und bringt meiner Eigenliebe manches Opfer. Stürmisch ist er nicht, aber sanft, gut und gefällig; kurz, was weis ich, was meine gährende Einbildung noch alles für Vorzüge in ihm entdekt? – Du wirst mir wieder mit einem tüchtigen Sittenspruch in deiner Antwort entgegen kommen, das weis ich schon zum Voraus. Aber bei einer Träumerin von meiner Gattung, bleibt es leider immer beim Sittenspruch und nicht bei seiner Wirkung. Sage mir aber dennoch deine Meinung darüber; aber, liebe Freundin, nur nicht mehr so strenge. – Ich freue mich auf deine Strafpredigt und küße Dich zur guten Nacht. –


Deine Amalie.

24. Brief. An Amalie
XXIV. Brief
An Amalie

Kannst wirklich froh seyn, ausgelaßnes Dingelchen! daß ich Dir mitten in meinen vielen Geschäften doch antworte. Ohne Strafpredigt wird's zwar nicht ablaufen, das darfst Du Dir nicht einbilden; aber vorher zur Sache des jungen Weibchens. – Die hat sich also so sehr geändert? – Ja, mein liebes Mädchen! – Die Männer im Ehestand bleiben weiter nichts, als Männer, und keine Anbeter, die ehemals [45] auf den Knieen krochen, und jezt mit den Füßen stampfen, wenn das liebe Weibchen nicht hübsch folgen will. Im Ehestand fällt der Schleier von beiden Seiten weg, und man erblikt sich als Mensch, wo man zuvor den Engel sah. Die Wünsche sind befriedigt, und keine Furcht einander zu verlieren, hält die gegenseitigen Ungefälligkeiten im Zaum. Der Mann wird finster, befehlend; das Weib, das ehedessen an tausend Schmeicheleien gewohnt war, raßt, tobt gegen so neue Auftritte, und wird zulezt ein unnachgiebiger Haust****. Fehlt es dergleichen Eheleuten obendrein an Erziehung, dann sind niedrige Schlägereien der tägliche Schluß eines solchen Jaunerlebens. – Doch denke ich, die meisten Ehen würden glüklicher seyn, wenn mehrere Men schen hinlänglich gute Herzen hätten, um dasjenige, was man aus tausend Gründen nicht mehr schwärmerisch lieben kann, doch wenigstens nicht zu verachten und nicht zu kränken. Es giebt eine Art von vernünftiger Duldung, die jede Ehe vor öffentlichen Auftritten schüzt. Es muß aber sowohl vom Manne als vom Weibe dazu beigetragen werden, sonst arbeitet der eine Theil blos, um den andern in der Bosheit zu bestärken. Von beiden Seiten gutwillig nur halb seine Pflicht erfüllen, ist besser, als sie ganz zu erfüllen scheinen, und dabei – besonders von Seiten des Mannes – mancherlei Betrügereien hinter dem Rükken zu spielen. Hinterlist, heimlicher Aufwand von einem lüderlichen Ehemanne, ist tausendmal sträflicher, als seine Unbeständigkeit in der Liebe. Unsere Neigung ist das Spiel eines Augenbliks, und nicht jeder findet liebenswürdige Abwechslung genug in seinem Weibe, um sie ewig fort leidenschaftlich lieben zu können. Aber sein Weib mishandeln, seine Kinder ins Elend stürzen, aus Unbeständigkeit sogar hartherzig werden, so was kann nur ein Schurke thun. Seine Gattin freundschaftlich ehren, sein Hauswesen nicht versäumen, [46] seine Kinder gut erziehen, das hängt von jedem Ehemann ab, er mag übrigens auch noch so flatterhaft denken. Aber sogar, wie es jezt Mode wird, sein Weib verlassen, das ist teuflisch und unmenschlich! – Wie wenig kostet nicht einem vernünftigen Ehemanne Güte des Herzens gegen die ehemalige Schöpferin seiner Freuden? – Ist es nicht Pflicht, ist es nicht Stimme der Natur, daß man seine unglükliche Gattin wenigstens mit einer schönen Lüge schadlos hält? – Und dann sie mit Sanftmuth und Aufrichtigkeit belehren, daß Kälte gegen sie, nicht Mangel an Pflicht, sondern blos in der unbeständigen Menschheit liege, daß zu langer Besiz endlich ermüde und die Einbildungskraft in etwas abspanne? – Jedes vernünftige Weib wird sodann mit ihrem Manne Mitleid fühlen und das nicht mit Gewalt fodern, was ihre Bemühung, durch Großmuth, durch Nachsicht mit den Schwachheiten ihres Mannes, wieder nach und nach zu erlangen hofft. Wie viele würdige Weiber bezauberten schon ihre Männer aufs Neue durch Nachgiebigkeit, durch Rüksichten, die ein Undankbarer nicht vermuthet hätte. Und wie viel, Freundin, könnte ich Dir noch über diesen Punkt sagen. Aber nun zur Geschichte deines Doktors. Ich sage deines, und kann mich doch nicht bereden, daß er dein ist, oder werden wird. Warum? – wirst Du fragen. Aufrichtig, Freundin, um Dir Schwärmerin ans Herz zu gehn, brauchts eben so viel Mühe nicht. Ob aber Du ihm wirklich auch ans Herz gehst? – Ja, das ist nun eine andere Frage. Es braucht ein wenig mehr, als blos lebhafter Wiz, um der Männer ihre ernsthafte Seite zu treffen. Sie tändeln oft statt der Liebe mit unserer Eitelkeit, wir desgleichen mit der ihrigen, bis eine jüngere Tändelei der ältern Plaz macht. – Die Herrchen sind galant, weil es ihnen nur um Galanterie zu thun ist; wizzig, um mit ihrem Wiz zu glänzen; aus Stolz nicht stürmisch, aber desto schlauer im [47] Schleichen. Du verstehst mich doch? – Ueberhaupt, Mädchen, bist Du zu leichtgläubig. Mistrauen am rechten Ort angebracht, ist ein trefliches Mittel für junge unerfahrne Seelen. Lebe wohl, lose Schwärmerin! – Lebe wohl!


Deine Fanny.

25. Brief. An Fanny
XXV. Brief
An Fanny

Herzliebe Freundin! – Du bist ja eine leibhafte Misanthropin geworden – Freudenstörerin will ich eben nicht sagen, denn dazu ließ es dein gutes Herzchen nicht kommen.– Aber sag mir nur, warum bist Du denn so äußerst mistrauisch gegen die Männer? – Die armen Narren dünken mich doch so gut, oder wenigstens scheinen sie es zu seyn. Freilich könnte Leichtgläubigkeit bei mir ein Fehler werden, aber noch ist er es nicht. Ich kann mir doch nicht vorstellen, daß ich gerade das Unglük haben müße, auf einen Modegekken zu stoßen, der mich betrügen will? – Noch hab ich am Doktor keine Spur von Schleicherei bemerkt. Laß mir doch diese liebe Träumerei; ist doch alles Traum, was man Gutes hat auf der Welt! – Wenn ich in der Liebe kein Vergnügen suchen dürfte, wo sollt' ich es denn finden? – Menschen, die nicht lieben, haben Sand im Herzen und Wasser im Gehirne. Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft fodert durchaus Liebe, und alle deine Kernworte werden diese glühende Einbildungskraft vielleicht leiten, aber nicht abkühlen. Der liebe Wohlstand mag es mir nicht übeldeuten, wenn ich ungeheuchelt einem Triebe folge, den ich mir nicht in die Seele gelegt habe. – Alle Einwendungen, die ich mir darüber mache, sind ein schwacher Damm, die den Strom zwar aufhalten, aber desto heftiger anschwellen. Es wohnt in mir [48] nur ein großer, feuriger Gedanke, und wenn ich ihn verdrängen will, so theilt er sich in tausend kleinere, aber husch ist der große Gedanke wieder in meinem Kopfe da und herrscht in meiner Seele. Kurz, Freundin, meine Einbildungskraft muß ziemlich brennen, denn weil ich mir unter Tags Zwang anthun muß, so rebellirt sie desto heftiger bei der Nacht. – Als ich lezthin, Schäkkerei halber, bei meiner Freundin im nemlichen Bette schlief, (ihr Mann war abwesend) begieng ich einen Streich, der mich des andern Morgens schamroth machte. Denk dir einmal: Im Schlaf umfaßte ich meine Freundin, küßte, herzte sie und seufzte laut den Namen des Doktors dazu. Die boshafte Beischläferin störte mich gar nicht in meiner Freude, und als ich aufwachte, schämte ich mich fast zu Tode, denn ich erinnerte mich nur zu gut meines begeisterten Traumes. Läugnen half jezt nichts und der unschikliche Ort, wo ich meine Gefühle ausdrükte, war für mich eine ärgerliche Erinnerung. Was mich aber vor Zorne weinen machte, war der Leichtsinn, mit dem meine Freundin diesen Vorfall dem Doktor erzählte. – Nun ist der junge Herr von meiner Schwachheit ganz überzeugt. – Wirklich Schwachheit, denn meine Neigung ist um viele Grade heftiger, als die seinige. Bin ich nicht eine Thörin, daß ich meinem Gefühl so den Zügel lasse? – Vielleicht wieder für einen Undankbaren lasse? – Nun ja wieder! Liebte ich nicht schon einmal, und das umsonst, ohne Gegenliebe? – Hilf mir der liebe Gott! Was wird aus meinem weichen Herzchen werden, wenn es nicht bald seinen Wiederhall findet? – Und ist denn ein solcher Wiederhall so leicht zu finden? Gegenliebe scheint mir ein so seltenes Ungefähr, daß es einem schaudern sollte, welche zu suchen. Haben denn die Männer in der Liebe wirklich so selten eine ernsthafte Seite? – Was gäbe ich nicht, Freundin, wenn ich ganz mistrauisch seyn könnte! – Wie soll ich es denn anfangen, um es zu werden? – [49] Mein ganzes Wesen ist offen, und immer dachte ich mir andere Menschen auch so. Und besonders Dich, Freundin, kann ich zu meinem Trost nicht anders, als äußerst redlich und äußerst liebevoll denken. –


Amalie.

26. Brief. An Amalie
XXVI. Brief
An Amalie

Wahrhaftig! – Du bist ein tolles Mädchen! In deiner verliebten Schwärmerei sehr gefährlich für deine eigene Ruhe. Es würde Dir sehr übel bekommen, wenn man Dich so deinen Trab fortschlendern ließ. Höre, Mädchen, meine Furcht in der Liebe hat ihre Ursachen, wenn Dir diese Liebe, die bei Dir so herzlich willkommen ist, so oft und so garstig den Kopf verrükt hat, wie mir, denn wirst Du Dich gewiß auch vor ihr hüten. Noch einmal! Du bist zu leichtgläubig gegen die Männer; – oder hast Du etwa mit den Zufällen in der Welt einen Bund geschloßen, daß sie just dich vor einem Modegekken schüzzen? – Dünkt Dich denn die Zahl der bieder Liebenden so groß? – Warum willst Du Dich so leicht von einer Hoffnung täuschen lassen, die so lokkend zum Abgrunde führt, und nur Wenige nicht betrügt? – Blinde Träumerin! – Dein Doktor wird so dumm nicht seyn, und sein Schleichen merken laßen. Dem Feind zur Schlacht Muth machen, thut kein erfahrner Kriegsheld. – Fahre meinetwegen fort, so oft und so lange zu lieben als Du willst, nur nicht zu aufrichtig, zu heftig, eh Du gewis bist, daß man Dich wieder liebt. – Freundin, sey mir nicht zu gutherzig gegen die Männer; die wenigsten verdienen es. Adle deine Neigung mit Mistrauen, hernach darfst Du Dir nicht so vielen Zwang anthun; denn jedes Mädchen, das in der [50] Liebe sich verstellt, stolpert um desto geschwinder, weil Zwang einen feurigern Ausbruch zubereitet. Es giebt Menschen, die eine Zeitlang unterdrükt handeln, aber um so viel närrischer nach der Hand, wenn der Daum wieder wegglitscht, den sie auf die Leidenschaften drükten. – Dein Traum vom Doktor war drolligt; so etwas muß freilich die Eitelkeit eines Liebhabers kizzeln. – Nur hätte deine Freundin ihn nicht wieder erzählen sollen, das war unvorsichtig von ihr gehandelt. – Es taugt gar nicht, daß er nun ganz überzeugt von deiner Liebe ist. Wer weis, ob er bei dieser Gewisheit nicht aufs Neue nach einer andern lüstern wird, wenigstens ist dies die herrschende Krankheit unserer jezzigen Adamssöhnen. – Ich wünsche zum Schluß von Herzen, daß Du bald einen harmonischen Wiederhall finden mögest – für izt kann ich es noch nicht glauben. Lebe wohl!


Deine Fanny.

27. Brief. An Fanny
XXVII. Brief
An Fanny

Freundin! – Die Zeit meiner Abreise kam, ich mußte zurük zu meiner alten Großmama. – Kannst Dir leicht denken wie mir's so bang war, daß ich alle meine guten Bekannten verlassen mußte. – Der Abschied vom Doktor war von meiner Seite äußerst angreifend, er aber zeigte sich kälter und munterer als ich, und das gieng mir durch die Seele. Während als mein Wagen einige Stunden fortrollte, schwärmte ich in einer Hizze fort von dem Zurükgelassenen, und mein Blut war so in Wallung, daß ich gar nicht mehr weis, wie ich in das Haus meines Oheims zurükkam. Der zweite Empfang meiner hochnasigten Tante schien mir etwas milder, ich war aber gar nicht heiter genug, um auf [51] das was vorgieng, hinlänglich aufzumerken, denn mich verlangte nach Einsamkeit; ich trug eine Last im Herzen, die mich sehr drükte. Wenn alle Verliebten sich so lange fühlen, wie ich mich fühlte, so sind sie arme Würmchen, die sich mit Herzensfreude tretten lassen, und sich wenig um die Folgen kümmern. Ich war so ganz voll Qual, voll Unruhe, voll Leiden! – Meine heitere Laune, wo ist sie hingekommen? – Ich wage es kaum Dir zu sagen: der Doktor liebte mich nie. Wäre er nicht noch zum lezten Abschied in meine Arme geflogen? – Er versprach mir heilig nach L*** zu kommen, ehe ich gänzlich diese Gegenden verlassen würde. – Aber der Elende kam nicht! – Heißt das nicht hartherzig seyn? – Auch nicht einmal schrieb er mir. Warum wekte der Leichtsinnige meine Empfindung auf? – Warum reizte er mich zur Liebe? Warum nährte er einen Hang in mir, den kein ehrlicher Mann nährt, wenn er nicht wieder lieben will? – Man sagte mir, er habe schon ein Mädchen vor mir geliebt; sie soll sehr schön seyn; wenn das wahr ist, dann muß ich es leiden. – Muß! – Ein garstiges Wort für freigeborne Menschen! – O meine verwünschte Eigenliebe! die war an der ganzen Geschichte Schuld! – Diese garstige Betrügerin ist es, die mir von Gegenliebe vorschwazte; und nun bin ich getäuscht. Aber mit Blut will ich das Wort Täuschung in mein Herz schreiben, und der es auslöschen will, muß es tausendfach würdig seyn, oder es bleibt stehen. Ich weis auch gar nicht, warum die Männer kühn genug sind, mit uns zu wizzeln, und mit jedem Wort auf Liebe zu zielen, wenn sie denn durchaus nur lügen und nicht lieben wollen. Das sind doch abgefeimte Heuchler, die ihre Lügen mit so vieler Anmuth in ein junges Mädchenherz hineinräsonniren! Mich reut meine gute Laune, mit der ich den Bösewicht so viele Stunden unterhielt. Aufs Gesicht hätt ich's ihm schreiben sollen: Du bist ein Betrüger! – [52] Damit das vor mir betrogene Mädchen noch frühe genug von ihrem Schiksal wäre unterrichtet worden. Ich mag wohl seinem Kopf besser, als seinem Herzen getaugt haben sonst hätte er nicht so viele Stunden mit mir verplaudert. Wäre ich von seiner ersten Bekanntschaft unterrichtet gewesen, so hätte ich ihn wie Gift geflohen, und kein nagender Gram hätte sich meiner bemächtigt. Nun sey es aber geschworen, ich will die Männer von nun an fürchten, ich will sie fliehen, ich will ihnen ausweichen, wenn sie mein Gefühl in Versuchung führen wollen. Aber die verwünschte Verkettung meines Schiksals bringt mich auch immerfort in die Gesellschaft der Männer; es dauert nur wenige Tage, so muß ich schon wieder mit zween andern zu meinem Vater reisen. Aber ich betheure Dir, Freundin, sie mögen gut oder böse seyn, wild oder zahm, mein Herz soll Stein bleiben. Es sollen, so wie ich höre, Kaufleute seyn, denen mich meine ökonomische Tante nur deswegen übergiebt, damit ihre Börse besser geschont werde, denn diese ist ihr Abgott. – Es mag nun bequem oder nicht bequem seyn, meine Reisegefährten mögen höfliche oder unhöfliche Leute seyn, mir ist es gleichviel; nur von Liebe soll mir keiner sprechen, wenn er nicht Zank haben will. Du erhältst bald eine vollständige Reisebeschreibung von deiner beßten


Amalie.

28. Brief. An Fanny
XXVIII. Brief
An Fanny

Vergieb mir, Freundin, daß ich schon wieder an Dich schreibe, eh ich Antwort von Dir erhielt. Du weist, Aufrichtigkeit ist für mich Bedürfnis geworden. Eben mit der nemlichen Aufrichtigkeit muß ich Dir doch zeigen, was ich [53] für ein flatterhaftes Ding bin. – Stell Dir einmal vor, auf der ganzen Reise dachte ich sehr wenig auf den hinterlassenen Doktor. War's Zerstreuung der Reise, oder was war's? – Das ist nun sehr natürlich, jede Schwärmerei muß aufhören, wenn sie nicht erwiedert wird. Aber so geschwind meinem Herzen Richtung zu geben, das habe ich mir nicht vermuthet. Was ich Dir lezthin von Standhaftigkeit gegen die Männer vorschwazte, war ein Vorsaz, wie aller Menschen Vorsäzze sind; feurig, wenn man sie nimmt, aber um desto schwächer, wenn es zur Ausführung kömmt. Denn meine Schwüre, keine Artigkeiten mehr vom andern Geschlecht anzuhören, sind gebrochen. An hartnäkkiger Unglaubigkeit lies ich es Anfangs gegen einen meiner Reisegefährten nicht fehlen, aber sein sanftes ehrerbietiges Wesen reizte mich doch zur Aufmerksamkeit; aber weiter soll es auch nicht kommen. Er ist ein feingebildeter Protestant, ganz Duldung, ganz edler Mensch, ganz voll von allem dem, was diese Art von guten Menschen an sich haben, die mehr empfinden, als sie sagen können. Alle seine Reden waren überdacht, und so mit einer gewissen reizenden Schwermuth begleitet, daß ich ihn bewunderte. Er säumte gar nicht mit seiner Menschenkenntnis einen Blik in mein Herz zu werfen, und wenn ich aus Groll gegen die Männer ganz bittere Säzze vertheidigte, so versicherte er mich, daß das nicht die Sprache eines aufrichtigen, eines redlichen Gefühls wäre, und daß nichts in der Welt existirte, das nicht eine Ausnahme litte. Er traf meinen Sinn so stark, daß ich mit allem meinem Geplauder gutwillig schwieg und nur ihm zuhörte. Dieser Mann, liebe Freundin, ist fürwahr ein ganz neues Original; er hat gar nichts von der grellen Lüsternheit, von der lächerlichen Selbstgefälligkeit, die so viele seines Geschlechts haben. Er ist so viel möglich Herr über seine Begierden, und Mann über seine Eigenliebe.[54] Seine Gefühle sind nicht entlehnt, oder auf Worte geschraubt, sie kommen vom Innern und gehen wieder dahin zurük. Nun auch ein paar Wörtchen von seinem Mitgesellschafter. Dieser gehört ohne Widerrede unter die Alltagsmenschen und empfindet weiter nichts als das Quantum seiner Prozenten. Mich deucht es also wohl nicht der Mühe werth, weiter von ihm zu sprechen. – Endlich kamen wir alle sehr guten Muths in St*** an. Meines Freundes Gattin drükte, küßte mich blos, weil ich in Gesellschaft ihres Mannes war. Ich mußte mit Gewalt einige Tage da verweilen, sah die schöne Gegend ganz, und mir ward recht wohl. Tausend Menschen, die einen ähnlichen Fall nicht kennen, werden es nicht begreifen wollen, daß außer einem schüchternen Mäulchen, mit meinem Freund weiter nichts vorgieng. Ich verehrte den Mann so, daß er mir in wenig Tagen nach meiner Abreise unentbehrlich wurde. Seine Lehren, seine Macht über sich selbst, seine Großmuth, meine Schwachheit nicht einmal prüfen zu wollen, seine Gefälligkeiten nähren in mir ein ewiges, heiliges Andenken! Von seiner Hand geführt, stieg ich ins Schiff, das mich von ihm trennen sollte, er drükte mir mit dem Ausdruk einer kämpfenden Seele einen Kuß auf, unter den Worten: Freundin! Leben Sie wohl, bis aufs Wiedersehen, ist es hier nicht, so ist es dort! Das ausgeredt und verschwunden war er aus meinen Augen. Ich weinte ihm häufige Thränen des Danks nach und empfand um mich herum eine Leere, die meine Reise zur See sehr traurig machte. Denn izt erst lernte ich den Verlust wahrer Menschen kennen. Nun bin ich zu Hause, und gestern traf wider Vermuthen ein Brief von meinem sanften Freunde ein. Vor der Hand hatte ich nicht so viel Zeit gefunden, das Bild dieses vortreflichen Mannes, meinem Vater zu entwerfen. Mein Vater stuzte gewaltig über den Anblik dieses Briefs, weil er überzeugt ist,[55] daß ich ihm nie etwas verhele. Auch hatt' ich nie Ursache ihm etwas zu verbergen, denn er ist äußerst duldend gegen junge Leute. Nur kann er keine Verstellung leiden; denn daher, sagt er, käme das Verderbnis der jungen Herzen. Sehr ernsthaft stellte er mich vor Eröfnung des Briefs zur Rede, aber kaum las er die Züge eines herrlichen Mannes, so freute er sich herzlich über diese Bekanntschaft, und befahl mir, ihm zu antworten. Hier hast Du die ganze Beschreibung dieser Reise, so wie ich Dir's versprach. Lebe wohl, und vergiß dein Malchen nicht.

29. Brief. An Amalie
XXIX. Brief
An Amalie

Ja wohl, Freundin, bist Du ein flatterhaftes Mädchen! Mit einem solchen Grade Ueberspannung über den Verlust eines Liebhabers zu winseln, und dann doch diesen Verlust nicht länger beklagen, als bis sich der Ort aus den Augen verloren, den er bewohnt! – Ich würde Dir Vorwürfe über diese geschwinde Veränderung machen, wenn es der Undankbare nicht um Dich verdient hätte. Siehst Du, wir Menschen alle sind in unsern Handlungen so widersprechend! – Besonders ist die Liebe ein unbeschreibliches Wesen, die von Umständen und Begriffen ihre Karakteristik erhält, und da die meisten Menschen sich in jeder Handlung ihres Lebens so wenig verstehen und mit einander nicht übereinkommen, so muß also auch die Liebe dieser Unordnung und Verschiedenheit der Gemüther ausgesezt seyn. Für nichterwiederte Liebe ist Stolz das beßte Heilungsmittel. Man muß sich seine Ruhe durch stolze Verachtung wieder zurükbringen, die so ein Schandbube vielleicht auf einige Zeit raubte. Doch ist bei einem empfindsamen Mädchen der feste[56] Entschluß, nicht wieder zu lieben, ein elendes prahlendes Nichts, daß bei der ersten beßten Gelegenheit, wie ein Hauch zusammenstürzt. Diese Erfahrung habe ich leider mehrmalen selbst gemacht; und beinahe glaube ich, daß Du, Mädchen, mit der Zeit mehr von diesem Punkt wirst sprechen können als ich; wenigstens ist deine Anlage dazu gefährlicher. Ich habe schon manches betrogne Mädchen während ihren Thränen über einen verlornen Liebhaber aus Eitelkeit lächeln gesehen, wenn ein geschikter Schmeichler ihre schwache Seite zu berühren wußte. Ich kann einmal nicht anders von unserm Geschlechte sprechen; die Güte unserer Herzen und die Reizbarkeit unserer Nerven machen uns zu schwachen Geschöpfen. Ein Weib mit dem beßten Herzen wird am leichtesten überrascht, weil ihre Gutheit in der Liebe keinen Widerspruch kennt. – Blos Religion, Vernunft und Ehre kann uns Weiber im Zaum halten, aber die Liebe spielt über kurz oder lang ihre Rolle, und wir alle spielen mit, mehr oder weniger, doch gerade so viel, als uns Schiksale und Umstände ins Spiel mischen. Indessen freut es mich doch, daß Du Dich mit deinem neuen Freunde so tapfer hieltest, und um so mehr freut es mich, weil es so wenig Männer giebt, welche die Gesellschaft eines reizenden Mädchens bei einer solchen Gelegenheit nicht misbraucht hätten. Dein sanfter Freund muß bessere Grundsäzze haben, als unsere meisten brutalen Mädchenstürmer, die alles, was ihnen unter die Hände kömmt, pflükken wollen. – Doch, Mädchen, erlaube mir auch über deinen Freund eine Anmerkung: Glaube ja nicht, daß ein Mann mit so vielem Gefühl, wie dieser war, lange um Dich herum ohne Leidenschaft hätte ausdauern können. Der strengste Moralist über diesen Punkt ist so wohl Mensch als andere, wenn ein überraschender Augenblik ihn hinreißt. Und wenn er vielleicht seine Gattin blos ehrt und nicht liebt, was würde ihm übrig geblieben seyn, als ein [57] volles Herz und unbefriedigte Wünsche für Dich? – Du bist nun schon in den Jahren, wo man so etwas mit Dir sprechen darf; schaffe Dir das leichtgläubige Zeug aus dem Kopfe und schaue den Männern scharf hinter ihre Larve – und Du wirst Menschen finden. Doch ist ein Mann, der mit seinen Leidenschaften kämpft, viel verehrungswürdiger und reizender, als ein frecher Weichling, der, ohne Rüksicht auf die Person, blos den Trieben seines Temperaments folgt. Es schmeichelt uns Weibern gar zu sehr, wenn wir an unserer Seite einen so stillschmachtenden Liebhaber seufzen sehen, der aus lauter Ehrfurcht sich beinahe zu Tode martert. Die Männer heißen das Koketterie. – Laß Dir aber nichts darüber in Kopf sezzen. Ein Mädchen muß bis zur Ueberzeugung daß es wahrhaft geliebt wird, ein wenig die Kokette spielen, sonst weh' ihrem guten Herzchen, es würde zerrißen, getretten, und äußerst oft betrogen. – Ich weis, daß Dir diese Lehre nicht behagen wird, denn ich kenne deine Liebe zum Romanenmäßigen. Künftig ein Mehreres über dieses Kapitel von


Deiner Fanny.

30. Brief. An Fanny
XXX. Brief
An Fanny

Liebe ernsthafte Freundin! – Du ahndest in deinem Leztern meine Flatterhaftigkeit; aber sag mir nur, was blieb mir bei einer so traurigen Verfassung übrig? – Mußte ich nicht Den vergessen lernen, der mich betrog? – Ganz vergessen hab ich ihn demungeachtet nicht, es giebt dann und wann noch stille ungestörte Augenblikke, wo das Bild des Undankbaren lebhaft vor meinen Augen schwebt. Aber sich so fest an etwas zu ketten, wie ich mich zu ketten pflege, ist [58] Unsinn, ist Höllenmarter! – Doch was nüzt es? ich bin einmal schon so unglüklich gestimmt, und Betrug ist mir so wenig bekannt, daß ich ihn hinter keinem Sterblichen vermuthe. Ja wohl sind wir Menschen widersprechend in unsern Handlungen, ja wohl ist die Liebe eine Sache, die vom Zufall regiert wird. Ich glaube immer, die mehresten Menschen fangen umgekehrt zu lieben an. Wenn unser Geschlecht ein Widerspruch in der Liebe ist, so liegt es gewis in unserer unfesten Erziehung. Bis dahin haben mich die Herren Männer mit Temperamentsversuchen so ziemlich in Ruhe gelassen. Mein sanfter Freund war gerade von Denen einer, die ihre Seligkeit nicht blos im Körper finden. – Und was in Zukunft aus ihm geworden wäre – das hätte ich erwarten müßen. Daß der Kampf eines wünschenden Liebhabers für uns ein Opfer ist, mag wahr seyn; doch, liebe Fanny! – Laß mir meinen Glauben an platonische Liebhaber; es würde übel genug für mich seyn, wenn ich vom Gegentheil überzeugt seyn müßte. Koketterie, heißt in meinen Augen so viel, als seine Empfindungen vertuschen, und Freude an den Martern der Männer haben. Gott bewahre mich vor einer solchen Verstellung! – Ich würde ja mein Herz lästern und die liebe Natur beleidigen, die uns zum Fühlen schuf! Weh dem, der einst mein redliches, aufrichtiges Gefühl nicht erwiedert, und doppelt weh ihm, wenn mich die Rükerinnerung schmerzte, wenn ich mich ihrer zu spät schämen müßte! Hier hast Du meine Gesinnung; noch sind wir um ein ziemliches in unserer Denkungsart von einander entfernt. Vielleicht kömmt ein Tag, wo Du Recht erhalten wirst; aber für jezt laß mir meinen glüklichen Schlendrian in der Liebe. Doch, demungeachtet, höre von mir noch ein Geständniß: – Es wacht in mir seit der Zeit meines hiesigen Aufenthalts ein gewisser avantürischer Geist auf, der mir die einsame Lebensart meines Vaters unschmakhaft [59] macht. Ich möchte so gerne die Welt sehen und mehrere Menschen kennen lernen. Eben aus dieser Ursache wandte ich mich an meinen Oheim in K***, der nichtsweniger als geizig ist. – Er ist mir sehr gut und wird den Mittler zwischen mir und meinem Vater machen; denn mein Vater will von meinem Wunsche (bald wieder in die Welt hinein zu reisen) nichts weiter hören; aber mein Oheim ist desto billiger und wird gewis bald Auswege finden, mich unter fremde Leute zu bringen, damit ich mich in Puzarbeiten so gut als möglich für die Zukunft bilden kann. Giebt mein Vater aber seine Einwilligung nicht, so reise ich nicht, denn ungehorsam war ich nie. Bald schreibe ich Dir wieder, dann kannst Du mir mit einer Mühe zween Briefe beantworten. Deine beßte


Amalie.

31. Brief. An Fanny
XXXI. Brief
An Fanny

Ueber dein Stillschweigen bin ich weiter nicht böse, und um Dich vollkommen davon zu überzeugen, so fiel mir's gerade jezt ein, an Dich zu schreiben; und zwar eine Neuigkeit, die darinn besteht, daß ich mit nächstem nach A*** abreisen werde. – Ich komme dort in das Haus einer Bekannten, um als Kostgängerin Modearbeiten zu lernen. Mein Vater gab, auf das gütige Ansuchen meines Oheims, seine Einwilligung, weil er einsieht, daß alle Arten Arbeiten für ein Mädchen nöthig sind. – Wie es mir dorten gehen wird und was ich auf der Reise für Bemerkungen machen werde, sollst Du alles hören. Es hat sich hier während dieser Zeit ein junger Laffe an mich gemacht, der mir unausstehlich ist. Nur Schade, daß ihn mein Vater gut leiden kann und er uns unter diesem Vorwande öfters besucht. Ich glaube, mein [60] Vater hätte Lust mir dieses Geschöpf zum Manne anzuhängen. Das wäre entsezlich, wenn ich so einem jungen Springer zu Theil würde! Er stüzt seine Neigung für mich auf das Ansehen meines Vaters und wird dabei den Kürzern ziehen, denn in meinen Herzensangelegenheiten kenne ich keinen Zwang. Dieser Mensch hat mir seit mei nem Hierseyn schon manche bittere Stunde gemacht; ich würde mich darüber ärgern, wenn mich nicht der Umgang meines Vetters aus Mainz dafür schadlos hielte. Erinnerst Du Dich noch, was ich Dir einmal alles für gute Sachen von diesem Jungen sagte? – Er war immer mein Liebling und hat sich auf der Universität treflich gehalten. Wir bewohnen einen der schönsten Gärten in unserer Gegend, und oft schleichen wir beide zusammen ganz Gefühl mit einem Buch in dem Garten herum. – Er ist noch weit romanenmäßger als ich, und wären wir beide nicht so nahe verwandt, so gäbe es aus uns ein nettes Pärchen. Der Junge liest so reizend vor, und empfindet so vieles dabei, daß ich ihm mit der größten Wollust manche liebe Stunde zuhöre. Auch sind seine Gefühle so harmonisch mit den meinigen, er fühlt alles so heftig, und wird leider mit seinem Herzen eben so wenig glüklich werden als ich! – Er ist sehr traurig über meine baldige Abreise. Auch meine Schwester ist durch seine Leitung ein artiges Mädchen geworden, nur Schade, daß sie noch so jung ist. O, Freundin, könnt ich doch das Glük dieser Lieben machen! – Sie darben nicht, aber wenn mein Vater sterben sollte, dann weh den Hinterlassenen! – Diesmal verlaß ich meine Familie mit schwerem Herzen. Gott soll meine Ahndung nicht übel ausschlagen lassen! – Ich küße Dich herzlich und bin wie allezeit


Deine Amalie. [61]

32. Brief. An Amalie
XXXII. Brief
An Amalie

Laß Dir mein Stillschweigen nicht auffallen, meine Liebe; Du weist, man kann nicht allezeit wie man will. – Du willst also schon wieder reisen, oder mußt vielmehr zu deinem Nuzzen reisen? – Die Absicht deiner Reise ist gut, nur bin ich böse, daß dein unruhiger Kopf nirgends fest hält. Zu was soll all das Avantürische in deinem Kopfe? – Die verwünschten Romanen haben deine Einbildung mit Schimären angefüllt. Glaube mir, Mädchen, unter jedem Himmelsstriche findet man mehr Böses als Gutes, und ein Mädchen wird heute oder morgen unzufrieden, wenn es sich in seinen Hoffnungen getäuscht sieht. – Dein Wunsch, die Welt zu sehen, wäre so übel nicht, aber daß Du Dir von der Welt mehr versprichst, als Du erhalten wirst, ist für mich ein trauriger Gedanke. Du kennst den Wirrwarr unter den Menschen zu wenig, um nicht davor zu zittern. Leider bist Du eines von jenen Geschöpfen, die wider ihren Willen den Aenderungen des Schiksals ausgesezt sind; aber deine bestimmten Wege vernünftig durchzuwandern, ist nun deine Pflicht. Schreib mir, so oft Dir etwas Widriges aufstößt, Du kennst mein Herz, mit dem ich Dich immer leitete und noch ferner leiten werde. Ich bin in der That froh, wenn Du von deinem schwärmenden jungen Vetter wegkömmst; der würde Dir den Kopf vollends verrükken. Empfindelei und wahres Gefühl sind zwei verschiedene Dinge; das erstere ist schädlich, das leztere für die Menschheit rühmlich. Daß man Dich in dem Hause, worein Du bestimmt bist, lieb haben wird, dafür ist mir nicht bange, denn Du hast eine Art von gutem Willen an Dir, der Jedermann an sich [62] reißt. – Die Stadt, worein du kömmst, ist groß und folglich mit mehreren Verführern angefüllt; Du weist, was ich sagen will, und dessen magst Du Dich erinnern, wenn es nöthig seyn wird. Schreibe deinem lieben Vater oft, damit er nicht Anlaß bekömmt, über Dich zu murren. – Sey rechtschaffen, liebenswürdig und bescheiden, wenn Du deiner Fanny Freude machen willst.

33. Brief. An Fanny
XXXIII. Brief
An Fanny

Vor allem, Fanny, muß ich Dir den ersten Saz deines Briefs beantworten. Ist es wohl meine Schuld, wenn sich eine Art avantürischer Hang in meiner Einbildung festgesezt hat? – Mich deucht, jeder Mensch reitet sein Stekkenpferd, und das ist nun gerade das meinige. Ich würde diesen Hang ganz unterdrükken lernen, wenn mich nicht mein abwechselndes Schiksal darinn bestärkte. Wäre ich zu einem ruhigen, einfachen Leben bestimmt, so würde sich mein flüchtiger Geist nach und nach legen, so aber wird er durchs Reisen und durch die vielen unwillkührlichen Abänderungen genährt. Wenn meine Ahndung wahr spricht, so wartet auf mich eine gewaltig unruhige Zukunft. Wer nicht Meister über seine ökonomischen Umstände ist, der muß sich in der Welt wie ein Ball herumwerfen lassen; und dann bei solchen Lagen, wohl dem Mädchen, das Grundsäzze hat! Daß es so viele böse Menschen in der Welt giebt, habe ich, wie mich dünkt, schon bemerkt; es wird Unglük genug für mich seyn, wenn ich in der großen Welt die wenigen guten eben nicht finde. Ob ich nun meine Schiksale gelassen und vernünftig durchwandern werde – das weis Gott; aber daß meine Schwachheiten nicht zu Bosheiten ausarten sollen, dafür steh ich. – [63] Dann müßte mich alles Gefühl meiner Erziehung verlassen haben, und der Gedanke an eine Freundin nicht mehr in meinem Herzen wohnen, die so nachsichtsvoll mich von jedem Irrwege zurükrufen würde. Mein phantasirender Vetter schreibt mir jezt eben so phantasirende Briefe, und ich gesteh es, seine Schwärmerei ist für mich anstekkend. – Ich bin nun schon einige Wochen hier; der Abschied von meinem Vater war mir diesmal äußerst drükkend; ich weinte bitter, und doch riß mich die Nothwendigkeit von den Meinigen weg; Nothwendigkeit ist ein gräßlicher Tirann unter den Menschen, sie trennt die beßten Geschöpfe. – Ich stieg so traurig, so schluchzend in den Postwagen, daß meine Reisegefährten, die schon im Wagen saßen, darüber stuzten. – Ich fühlte mich zwo Stunden lang äußerst fremd unter dieser Gesellschaft, und mein Herz wollte sich durchaus nicht der Freundlichkeit öffnen, mit der mir alle diese Leute begegneten. Ich weis nicht, war es Zagheit; genug ich war den ganzen Tag für alles kalt, was um mich vorgieng. Die Gesellschaft bestund aus einem Frauenzimmer, zween jungen Offiziers und einem Juristen. Man schäkkerte, lachte, philosophirte, moralisirte durcheinander bis es dunkel ward. Ich blieb bei allem dem stumm, und würde es ferner geblieben seyn, wenn mich der Wohl stand nicht zum Danken genöthigt hätte, indem der Wagen stille hielt, und mich gleich darauf der eine Offizier heraushob. Jezt gieng alles ins Posthaus, das Mädchen an der Seite des einen Offiziers, und ich mit meinem Nachbar, der mir um vieles schüchterner zu seyn schien, als sein Reisegesellschafter. – Man aß, man trank, und während als ich mit meinem Nachbar und mit dem Juristen schwazte, verlor sich jener Offizier mit unserer Reisegefährtin und kamen beide nach einer halben Stunde sehr zerstört zur Gesellschaft zurük. Was zwischen ihnen unterdessen vorgegangen, mag der Göttin der Wollust besser bekannt seyn, [64] als mir. Das Mädchen schien mir an das löbliche Handwerk schon ziemlich gewöhnt, denn sie schäkkerte mit einer Frechheit, die mich erzürnte; doch dünkte sie mich dabei äußerst arm, und eben darum entschuldigte ich sie mit einer Duldung, die jeder Vernünftige seinem Nebenmenschen schuldig ist. Endlich fieng der Postillion an zu blasen, wir stiegen wieder in den Wagen, und rollten so die ganze Nacht durch fort. An meiner Seite saß jezt der stürmische Krieger, dem es vermuthlich nach etwas Neuem gelüstete, weil es ihm an seiner ersten so leichten Eroberung schon zu ekkeln schien. Es war dunkel, und was braucht es mehr um das Zügellose eines solchen Geschöpfes zu reizen? – Der Ritter fieng an, an meiner Seite unruhig zu werden, und zwar so unruhig, daß ich, um mich vor ihm zu sichern, ihm seine neugierigen Hände fast blau zwikte. Schreien wollt ich nicht, denn das schien mir zu affektirt, zu heldenmäßig, und plagen wollt ich mich doch auch nicht lassen; also was glaubst Du wohl, daß ich in dieser kritischen Lage that? – Ich nahm ein Paar Steknadeln zu Hülfe, und peinigte seine Hände so, daß er heimlich darüber zu allen Teufeln fluchte. Das Schnaufen, das Geräusche der Kleider mußten einige im Wagen bemerkt haben, denn die Dirne fieng helllaut an zu lachen und wollte eben zotigte Anmerkungen darüber machen, als der andere sanftere Offizier sich meiner annahm und sagte: Bruder, laß mir deinen Plaz und nimm Du den deinigen wieder; denn gleich und gleich gesellt sich gerne. – Nun wechselte man die Pläzze; ich verkroch mich in eine Ekke des Wagens und hütete mich sehr meinem neuen Nachbar nur mit einem Finger zu begegnen. Zwo Stunden vergiengen ganz ruhig, alles schnarchte wieder, nur ich und mein Nachbar schliefen nicht. Durch ein Ungefähr erhaschte er meine Hand, hielt sie fest und drükte sie an seine Lippen. Mir fieng bei diesem neuen Sturm an bange zu werden; doch als ich merkte, daß [65] er sehr mit sich selbst kämpfte und nicht so unverschämt wie der andere war, schlief ich ruhig ein. – Aber wie das zugieng, weis ich nicht; – genug, als ich erwachte, fand ich, daß mein Kopf an seinen Busen gelehnt war. Ob mich nun das fatale Stoßen des Postwagens in diese Stellung gebracht, oder ob der junge Herr mich im Schlafe selbst hinzog; – ist mir unbewußt. – Doch schlief ich in dieser Lage ruhig und süß, und, wenn ich mich nicht irre, so träumte mir's, als ob mich mein Nachbar im Schlafe recht sanft geküßt hätte. Wir Mädchen sind doch närrische Dinger; nichts reizt uns mehr, als wenn die Männer sanft genug sind, mit ihren eignen Trieben recht lange zu kämpfen und mit uns recht platonisch zu schwärmen. Fanny, löse mir doch dies Räthsel in deiner Antwort auf; ich bitte Dich darum. – Auf diese Art also verstrich der erste Tag meiner Reise, und für heute nichts weiter mehr, als lebe wohl! –


Deine Amalie.

34. Brief. An Amalie
XXXIV. Brief
An Amalie

Mädchen, grüble mir nicht schon wieder in die Zukunft hinein! – Daß Du zu einem abwechselnden Schiksale bestimmt bist, glaube ich selbst; dafür hat Dir aber auch der Schöpfer Geist und Talente gegeben, nun kömmts auch viel auf Dich an, guten Gebrauch davon zu machen. Du hast völlig Recht, daß die ökonomischen Umstände den Menschen in der Welt manchmal zum Unthiere machen. Denn man sagt gewöhnlich: Noth hat keine Gesezze; und der größte Philosoph ist ein elender Wurm, wenn ihn hungert. Mäßig essen und uns standsmäßig kleiden, das müßen wir, wenn aber uns [66] alles das Troz unserer Bemühung versagt wird? – Nicht wahr, dann fallen wir Menschen in die rohe Natur zurük, suchen, wo wir finden, um unsere Bedürfniße zu befriedigen, die wir unwillkührlich an uns haben? – Es giebt nun eine Menge dummdenkender Köpfe, die weder die Welt, noch ihre Zufälle, und am allerwenigsten das heimlich dringende Elend mancher Unglüklichen kennen. Diese Strohköpfe behaupten, es dürfe kein Mensch verhungern, wenn er nur arbeiten wolle. – Der Bettler verhungert auch nicht, wenn er nur täglich seine Kapuzinersuppe genießt. Aber giebt es nicht noch tausend andere Klassen von Menschen, denen sogar diese armselige Suppe versagt ist? – Giebt es nicht Winkel der Erde, wo Schande, Gefühl, Mangel und Verzweiflung an den Herzen der Nothleidenden nagt? – Findet man nicht oft in den finstersten Löchern arme Familien aufs Stroh hingestrekt, die von ihrem Kummer sich nähren, ihren Durst mit eignen Thränen stillen, und dem Zufall fluchen, daß er seine Reichthümer blos an hartherzige Teufel verschwendet hat? – Keine Tugend ist seltener als Menschenfreundlichkeit, und keine wird so wenig geübt, als eben diese. Der Reiche pralt mit diesem herrlichsten Gefühle der Schöpfung, und kennt es nicht, will es nicht kennen, oder wendet dieses Gefühl gerade nicht da an, wo er dazu aufgefodert wird. Der wahre Menschenfreund muß geizig jeden Anlaß suchen, die Thränen der Nothleidenden zu stillen; er muß Gefühl, gutes Herz, Menschenkenntnis besizzen, er muß vom Vorurtheil frei, ohne Rüksicht auf Stand oder Person, das Elend oder die gekränkte Ehre untersuchen, er muß sich vor der ganzen Welt nicht schämen einen zerfezten Elenden an seinem Arm zu führen, wenn er in ihm das gelungene Meisterstük der Schöpfung entdekt hat. – Er muß stolz auf eine solche Handlung seyn, weil sie ihn vom gemeinen Trosse wie einen Gott unterscheidet. Er muß selbst dem Spötter [67] kaltblütig den Rükken zeigen, und sich größer dünken als der tapferste Krieger, der sich durch seine Mordsucht adelt. Er muß im vollen Verstand gut gegen sein Mitgeschöpf seyn und das nur für Zufall ansehen, daß er reicher als sein Nebenmensch ist; auch muß er seine Wohlthaten bescheiden und mit der feinsten, sanftesten Kunst austheilen, sonst martert er das fühlende Herz eines Unglüklichen weit ärger, als ihn der langsam verzehrende Mangel mordete! – Elend ohne Zeugen ist für den Denkenden schwer, aber Elend mit Zeugen ist noch schwerer, besonders für Den, der nicht Vernunft genug hat, sich auch in der Armuth erhaben zu fühlen und den übel ausgetheilten Durcheinander für weiter nichts als Kaos anzusehen. Wenn Du länger in der Welt lebst, meine Liebe, wirst Du noch viele solche dürftige Geschöpfe finden, die aus Mangel an Nahrung mit ihrem Körper Gewerb treiben müßen, doch giebt es mehrere dergleichen Mädchen, die aus Liebe zum Puz, aus Hang zum Wohlleben, aus Gewohnheit und Uebertäubung, aus Faulheit und Unverschämtheit, aus Mangel an richtigem Gefühl und Erziehung, sich im Lasterleben fortwälzen, bis zu gewissen einsamen Stunden, wo der Ekkel der Natur in diesen Elenden aufwacht und ihr Inneres weit ärger martert, weit ärger zerreißt, als Reue über ihre Sünden, deren sie aus Verzweiflung, aus Abscheu gegen sich selbst, keiner mehr fähig sind! – So ungefähr kömmt mir der Zustand die ser Bedaurungswürdigen vor. Denn, wenn weder Gesez noch Religion wäre, so liegt doch wider ein solches Leben etwas Schauderndes in der Natur! – Woher käme sonst die Verachtung, der Abscheu, die Scham, der Ekkel eines abgekühlten Wollüstlings gegen so eine Verworfene? – Ich habe mehr als einmal das Geständnis der größten Weichlinge mit Erstaunen angehört, die mich versicherten, daß der bitterste Haß auf den Genuß folge, und daß der erste Augenblik [68] von Ueberlegung ein bitterer Fluch über sich und die Gehülfin ihrer Ausschweifungen seye! – Was ist nun dieses Erwachen anders, als Scham über sich selbst? – Was ist es anders, als Eingeständnis des Lasters und Meineids an der Liebe? – Was ist es anders, als ein übelverschwendeter Instinkt, der einem jeden ohne Herz, ohne reine Liebe, ohne Empfindung, ohne Dank erwiedert wird. Muß sich da nicht bei kaltem Blute der Stolz eines jeden sich fühlenden Mannes empören, daß er seine Triebe mit so etwas Allgemeinem beschmuzte? – Ist sein eigener Werth nicht dadurch sehr erniedrigt? – Ein Mann, der denkt, opfert seine Triebe einer Herzensfreundin und der Liebe. – Mich deucht, nur Männer, die sich unwürdig fühlen wahrhaft geliebt zu werden, können Schritte thun, wovor sie sich selbst im Innern schämen müßen. – Genug hievon! – Nun zu deiner Steknadelanekdote: Du bist wahrlich eine tapfere Heldin! – Glaube mir, Mädchen, wenn sich alle bösen Buben durch Steknadeln zurükschrökken ließen, so würden ihrer eine Menge mit blutenden Händen umherlaufen. Der Einfall war indessen launigt und fein ausgedacht, nur glaub ich nicht, daß Du immerfort bei jedem Angriffe mit Steknadeln bei der Hand seyn wirst. Daß Stürmer Dir nichts abgewinnen, das weis ich schon lange, aber um desto gefährlicher sind deinem empfindsamen Herzen die sanften Männer. Nimm Dich in Acht, Malchen, und schlafe mir ja nicht so leicht ein, wenn Du wieder an die Seite eines solchen Nachbars zu sizzen kömmst! Die Männer lauren immerfort, und heucheln sich zuerst in unser Zutrauen, damit sie hernach mit einem unwiderstehlichen Feuer uns um desto sicherer überraschen können. Heute deucht mich genug geplaudert zu haben. Lebe wohl, Beßte! –


Deine Fanny. [69]

35. Brief. An Fanny
XXXV. Brief
An Fanny

Traute, liebe Freundin! – Ich habe Dir in meinem lezten Briefe vieles von meiner zurükgelegten Reise vorgeplaudert, daß ich Dir gar nichts in Rüksicht des Hauses, darinn ich mich gegenwärtig aufhalte, sagen konnte. Die Familie, bei der ich wohne, besteht aus Vater, Mutter und einer erwachsenen Tochter. Von dem Karakter der beiden Alten läßt sich eben nicht viel Gutes, aber auch nicht viel Böses sagen. Sie folgen beide dem gewöhnlichen Schlendrian alter Leute, der in Andächtelei und pedantischer Moral besteht. Die Tochter aber lebt schon auf einem aufgeklärteren Fuß, und liebt mich eben so herzlich als ich sie. Wir schäkkern und lesen oft zusammen und schwazzen überdies von unsern kleinen Liebeshistörchen. Lezthin erlaubte uns Frau Mama, nach vielen Bitten, das Schauspielhaus zu besuchen. Für mich war's ganz was Neues; denn in meinem Leben hatte ich noch kein Schauspiel gesehen. Wie stark aber dieses erste auf meine Nerven wirkte, kann ich Dir nicht sagen. – – Ich weinte... staunte... fühlte... und das Bild der Liebe, das darinn erschien, riß mich bis zum Entzükken hin! – Ich habe die Tage meines Lebens keine Unterhaltung gefunden, die für mich mehr zur Leidenschaft werden könnte, als eben diese. Als wir beiden Mädchen wieder zu Hause waren, sprach ich den ganzen Abend durch kein Wort, aß nichts, und träumte unaufhörlich von dem, was ich gesehen hatte. Die Vorstellung war ein Trauerspiel, Romeo und Julie genannt. Ob die Schauspieler gut spielten, kann ich Dir nicht sagen, weil meine Kenntnis in diesem Fache noch klein ist. Aber so viel weis ich, daß mir die Liebe des guten, liebevollen Romeo äußerst ins Herz[70] drang, und daß ich vollkommen das ängstliche, ungeduldige Sehnen und Warten der Julie mitfühlte, wenn sie voll Liebe und Wollust, voll Furcht und Zärtlichkeit, bange nach ihrem Geliebten seufzt! – Unter so vielen unangenehmen Dingen, denen die Menschen unterworfen sind, deucht mich für einen feurig, ungeduldig wünschenden Kopf das Warten das allergrausamste. Wie schröklich mag es wohl erst für Verliebte seyn, wenn furchtsame Phantasien ihre Augenblikke zu Jahrhunderten schaffen! Ich muß jezt von dem Artikel der Liebe abbrechen, sonst würde er zu sehr auf mein Herz wirken; und nun zu einigen Stellen deines Briefs gerükt! Deine Aeußerung, daß die Noth so viel Unheil unter den Menschen stiftet, erfüllte mich mit Traurigkeit. Bald hätte ich Lust mit Dir die Einrichtungen in der Welt zu verwünschen, welche die Menschen aus Eigennuz erfunden haben. Die Natur fodert doch so wenig, und giebt uns alles, was wir am nöthigsten brauchen. Hätte sich nicht Politik und Herrschsucht unter uns eingeschlichen, so wüßte man nichts vom Reichthum, nichts vom Vorzug, nichts von überflüßigen Wünschen; aber so müßen die Menschen gleichsam in einer Kette durcheinander geschlungen leben, wovon dem einen ein großes Stük, dem andern aber gar nichts zu Theil wird. – Und hat denn der Arme, der vom gleichen Stoff, wie der Reiche, geschaffen ist, nicht Ursache sich zu beklagen? – Was kann er dafür, daß ihm seine Eltern in einem Augenblikke des Vergnügens sein Daseyn gaben, um ihn durch unverdiente Armuth von dem Schiksale martern zu lassen. Unsere Geburt ist unwillkührlich, und die Last unserer Schiksale drükt uns so oft unschuldig, aber desto schröklicher! – Ich will gerne glauben, Freundin, daß es Dummköpfe giebt, die das heimliche Elend so vieler Menschen nicht kennen. Ueberfluß macht den Reichen faul, gedankenlos und hart. Wenn die lüsternen Wünsche des Reichen befriedigt sind, dann wird er [71] schläfrig, unthätig, auch ist die Vernunft und das Gefühl da am wenigsten zu Hause, wo Taumel von aller Art Wollust herrscht. – Fast gar keine Reiche giebt es, die mitten im Wohlleben der Menschheit eine Thräne zollen. Du hast, meine Liebe, das Bild eines Menschenfreundes so vortreflich entworfen, daß sich selbst der Schöpfer darüber freuen müßte, wenn er Viele unter seinen Geschaffenen fände, die diesem Bilde glichen! – Auch muß die Wollust, die der Menschenfreund nach einer schönen That empfindet, die größte Seligkeit seyn. – Kein Andenken in der Welt gräbt sich tiefer ins fühlende Herz, als Menschenfreundlichkeit und die Erinnerung an eine gute Handlung; alle übrigen wezt die Zeit aus, aber der Gedanke, einen Elenden unterstüzt zu haben, bleibt ewig, und muß dem Wohlthätigen in seiner lezten Todesstunde Vorgeschmak des Himmels seyn! – Die Thränen des Danks... Die Freude eines Geretteten... Die Verlängerung seines Lebens... sind lauter Lorbeeren, die sich der Menschenfreund um sein Haupt sammelt, die seine Todesstunde versüßen und ihn triumphirend zum gerechten Richter führen! Wie viele Laster kann der Menschenfreund verhindern, die oft von Generation zu Generation erblich sind, wenn Armuth die Quelle davon war. Den Großen der Erde und ihren Vertrauten käme es zu, in ihren Städten jeden Stand in Klassen einzutheilen, und Alles, was darinn lebt und webt, durch vernünftige Anstalten so viel möglich vor Mangel zu schüzzen. Warum richtet man nicht für so viele müßige Freudenmädchen eine Art von Fabrikke auf, wo jede ihrem Stand angemessene Beschäftigung bekäme? – Dirnen, die aller Besserung unfähig wären, wärfe man, nach allen nur möglichen vorhergegangenen Versuchen, an den Ort, der für öffentliche Bedürfnisse privilegirt wäre. – Dann bekäme doch das Laster lauter freiwillige Auswürflinge und keine Unschuld mehr durch Armuth verführt zum [72] Raub! – Ueberhaupt, um bessere Grundsäzze der Jugend einzuflößen, als sie oft bei ihren nichtswürdigen Eltern bekommen, wäre ein allgemeines Erziehungshaus für arme Kinder der zuträglichste Ort, von dem unsere Nachkömmlinge bessere Sitten zu hoffen hätten. Wider den Willen der Eltern hätten die Großen das Recht, nach befundener übler Erziehung und Armuth, für das Wohl der Jugend zu sorgen und sie in besagtes Haus aufzunehmen. Gewalt zum Guten hat jeder regierende Herr. – Wenn von der Erziehung nicht so viel geschrieben und mehr ausgeführt würde, so bekäme die Menschheit eine ganz andere Wendung. Denn in der Erziehung liegt Glük oder Verderben. – So ungefähr, meine Freundin, denke ich mir die Sachen. – Lebe wohl, meine Beßte! –


Deine Amalie.

36. Brief. An Amalie
XXXVI. Brief
An Amalie

Mich freut es außerordentlich, liebe Amalie, daß Du Dich bei so redlichen Leuten befindest. – Laß dem Alter immer seine Gewohnheiten, dafür sind wir jung um diese Schwachheiten zu ertragen. – Du warst also in dem Schauspiele? – Will es gerne glauben, daß es deinen Sinnen auffiel. Du hast ja ohnehin Ueberfluß an Gefühl, ein unverdorbenes Herz, und Sinnen, die reizbar sind. Und nichts bringt diese Sinnen mehr in Gährung, als eben das Schauspiel. – Es ist der Weg zur Bildung für junge Leute, wenn es nicht von einer falschen Seite genommen wird, aber auch zur Ausschweifung. – Uebrigens hast Du ganz Recht, meine Freundin, Armuth und Noth sind die herrschenden Leiden in dieser Welt, und es wird so wenig über diese zween Gegenstände [73] nachgedacht, daß es unglaublich scheint, wenn so viele Elende, Verlaßne, ohne bemerkt zu werden, heimlich ihr Grab finden! Der überflüßige Aufwand ist nun einmal eingeführt, wer ihn nicht bestreiten kann und der Tugend getreu bleiben will, wird verspottet, verachtet und verhönt. – Kein Wunder, wenn sich so viele Schwache an der Armuth zu rächen suchen und nur zu oft auf Irrwegen nach Hülfe schnappen. Der einzige Trost, der einem Armen übrig bleibt, ist Religion; diese allmächtige Mutter kann Stärke, kann Seelenkraft geben, und wo diese nicht ist, tritt Ausschweifung und Verzweiflung an ihre Stelle. – Was könnte sonst den darbenden Armen vom Selbstmord abhalten, wenn er nicht auf eine bessere Belohnung hoffen dürfte? Er müßte gegen die Vorsicht murren, statt, daß er sie im Herzen segnet; er müßte über sein Leben bitter eifern, wenn er nicht eine Seele hätte, die auf dauerhaftere Glükseligkeit Ansprüche machen könnte. – Religion macht den Armen duldsam, den Elenden standhaft, den Verfolgten erhaben, den Gekränkten stark, den Verlassenen muthig, überall hofft der Unglükliche von seinem Schöpfer Hülfe. – Er überläßt sich der Vorsicht, und grübelt nicht über ihre herrlichen Fügungen nach, weil er sie verehrt. Daß es nun in der Welt so wenig Menschenfreunde giebt, ist auch wieder Mangel an Religion. Liebe Gott und deinen Nächsten, sind Worte, die man der katholischen Jugend zu wenig ins Herz schreibt. Ueberflüßige Bigotterie, sinnloses Gebet, Frazzereien, damit wird ein junges Herz angefüllt. – Liebe, Gefühle und Duldung für seine unglüklichen Mitgeschöpfe wird es nicht gelehrt. Daher so viele Afterchristen, die ihre Religion zum Handwerk machen, und grausame Unthiere statt liebender Brüder werden. Wie kann der Mensch in seinen alten Tagen menschlich handeln, wenn er in seiner Jugend nicht hat fühlen gelernt? – Wie kann er Mitleid empfinden, wenn er nicht gelernt hat, [74] seine Brüder zu lieben? – Wie kann die Stimme der Religion auf ihn Eindruk machen, wenn er nicht durch sie überzeugt wird, daß wir alle Brüder und Schwestern sind? – Auch der niedrigste Pöbel hat wenigstens ein Fünkchen Gefühl für seinen Mitmenschen im Herzen, wenn es durch die Lehrer der Religion erhalten, statt erstikt wird. – Aber Unmenschlichkeit, Menschenhaß, Höllenfluch, ist meistens die Sprache der bigottischen Lehrart; ihr Eigensinn, ihre Dummheit macht der Natur Schande, die uns doch alle für einander schuf. Ist es nicht ein häßliches Vorurtheil, daß man den gemeinen Katholiken das Lesen so vieler vortreflichen Bücher verbietet, oder seine Leichtgläubigkeit durch Sündenfurcht abschrökt? – Wenn der Mensch fühlen will, so muß er zuerst denken lernen, und wie kann der gemeine Mann bei den Katholiken über die Pflichten der Religion und Menschenliebe denken, wenn er so selten durch ein gutes Buch, durch eine vernünftige Predigt, oder durch die sanfte Anweisung seines Seelsorgers dazu geleitet wird? – Gebt dem gemeinen Manne so viel Aufklärung, als er nöthig hat, und er wird ein gutherzigerer Mensch und ein besserer Christ werden. – – Aber nun, meine Beßte, will ich dir das Uebrige deines Briefs beantworten: Du hast Recht, meine Freundin, die Großen der Erde könnten alles, was unter ihrer Obsicht steht, vor Mangel schüzzen, wenn sie nur wollten, oder wenn sich ihre Vertrauten weniger in der Wollust herumwälzten, damit es ihnen zu dergleichen rühmlichen Projekten nicht an Zeit fehlte. – Den großen Schwarm von Freudenmädchen zu vertilgen, stünde blos in der Gewalt der Großen, weil durch ihre Schuld so viele tausend Menschen vom Tode hingerafft werden, und durch deren Abschaffung oder Verminderung diesem Uebel gesteuert würde. – Wenn man die häufigen Opfer in mehreren Städten Deutschlands bedenkt, die an Lustseuchen elend dahin sterben, so [75] möchte man bis zu Thränen gerührt werden! – Dein Vorschlag, meine Liebe, Fabrikken zu errichten, könnte für die Zügellosigkeit unseres Zeitalters trefliche Dienste thun, wenn sich die Großen der Erde mit Ernst darein mischen wollten. Doch müßten diese Häuser mit den mildesten, vernünftigsten Gesezzen geziert werden, damit Vernunft und Religion, durch anständige Freiheiten, die man diesen Mädchen zukommen lies, über sie den Sieg erhielten, der vielleicht noch bei vielen zu finden wäre, die aus Armuth und Verführung zum Lasterleben hingerissen wurden. Man dürfte nur die Verfertigung und den Verkauf der Puzwaaren außerhalb diesen Fabrikken verbieten, und es würden dadurch die Einkünften hinlänglich genug, alle Mädchen nach ihrem Stande zu nähren, zu kleiden und zu beschäftigen. – Die Mädchen müßten nach Maaßgabe ihrer Aufführung Freiheit genießen. – Den vernünftigen Aufseherinnen stünde es dann zu, die Mädchen zu untersuchen, ob mit Sanftmuth, oder mit Gewalt mehr auszurichten wäre? Die, welche Troz aller Ermahnungen die Stimme der Ehre überhörten, müßten dann einer schärfern Züchtigung übergeben werden. – Fremde und Einheimische könnten in einem solchen Hause zu einer Besserung ihres Schiksals gelangen. O, meine Beßte! – Welch eine Wonne wäre es für uns, wenn diese unsere gute Meinung in die Hände eines Menschenfreundes fielen, und irgend einem Großen der Erde zum Wohl der Menschheit übergeben würden. Lebe wohl, meine Liebe! – –


Deine Fanny. [76]

37. Brief. An Fanny
XXXVII. Brief
An Fanny

Wenn ich Dich so lange Zeit auf einen Brief warten lies, so schreibe diese Nachläßigkeit nicht auf Rechnung meines Herzens. Die vielen Modearbeiten gaben mir und meiner Freundin so viel zu thun, daß ich mein Lieblingsgeschäft, Dir zu schreiben, hintansezzen mußte. Ich habe seither im Puz wakker arbeiten gelernt, und Frau Mama lies mich zur Belohnung meines Fleißes öfters das hiesige Schauspielhaus besuchen. Da sah ich allerhand Zeugs und besonders mehr schlechte als gute Stükke. – Meine Kenntniße in diesem Fache fangen nun an sich zu entwikkeln, weil ich jede Vorstellung in Gesellschaft von Kennern mitansehe und beobachte. Da wird denn nun vieles über diese Kunst gesprochen und kritisirt, bei welcher Gelegenheit ich mir immer das Wichtigste merke. Das Schauspiel ist mir nun nicht mehr so neu, als da ich es zum erstenmale besuchte, und eben darum sind jezt meine Urtheile mit kälterm Blute abgefaßt und wie mir dabei dünkt, richtiger, als zu Anfang, wo meine lebhafte Einbildungskraft alles gierig verschlang, was ich vorher noch nicht gesehen hatte. Der Direktor der Gesellschaft ist Herr Sch***, ein schöner junger Mann; Schade nur, daß seine Gesundheit durch ein unregelmäßiges Leben auf der Neige steht. – Eine gewiße M*** spielt die Rolle einer Liebhaberin auf der Bühne mit viel treuer Schwärmerei; wenn sie nur außer der Bühne nicht das Gegentheil behauptete! – Des Direktors Weibchen ist ein lebhaftes, feuriges Ding, handelt aber wie die meisten Schauspielerinnen, denen es an Erziehung fehlt, ohne Grundsäzze, blos sinnlich. – Mangelt es bei solchen herumreisenden Gesellschaften dem Haupte davon [77] an guten Sitten, so weis man, was sich von den Uebrigen denken läßt. Während der Zeit, daß diese Schauspielergesellschaft sich hier aufhielt, fielen unter ihnen einige merkwürdige Auftritte vor, die dem Zuschauer jede Moral, die aus dergleichen Leute Munde kömmt, unwahrscheinlich machen muß. So feurigen Hang ich in mir fühle, mich einstens dieser Kunst widmen zu können, so sehr schrökt mich der zügellose Wandel dieser Leute davon ab. – Ist es nun zu verwundern, wenn der gesittete Mann die Thüre vor solchen Geschöpfen schließt? – Ist es zu verwundern, daß der gemeine Mann, der nicht Einsicht genug hat, hie und dort eine Ausnahme zu machen, den Schauspieler bei lebendigem Leibe für verdammt hält? – Ich finde es unverzeihlich, daß die Obrigkeit auf reisende Schauspieler kein wachsameres Auge hat. Sie machen doch einen wichtigen Gegenstand aus, und sollten eben darum, weil sie zu Verbeßerung der Sitten bestimmt sind, zu einem exemplarischern Lebenswandel, als andere Menschen, gehalten werden. Doch jezt zu andern Neuigkeiten! Ich schrieb meinem Vater von hier aus schon einige Briefe, und lezthin antwortete mir der junge schwärmerische Vetter B**** im Namen meines Vaters. Ich kann Dir nicht genug sagen, wie sehr er meine Schreibart erhebt. Lies einmal eine Stelle aus einem seiner Briefe, die ich Dir hersezzen will. – Du bist ein theures vortrefliches Geschöpf, und wirst einstens manchem von unserm Geschlecht den Kopf verdrehen! Dein Geist bildet sich täglich mehr, und welche Wonne für Den, der Dich einstens mit deinen Engelsvorzügen ganz besizzen wird! – Ei, du kreuzbraver Schmeichler! dachte ich mir bei Lesung seines Briefs, und antwortete ihm mit einer beissenden Satire. – Aber, nicht wahr, meine Freundin, er hat sie verdient? – Warum schreibt mir der Junge Albernheiten von der Art? – Die gefährlichen Jungens, wenn sie kaum lallen können, so fangen [78] sie schon an uns zu schmeicheln, und wißen recht gut, daß das bei den meisten Mädchen der Weg zum gefallen ist. Zu allem Unglük für uns hat uns die Natur weich genug gemacht, diesen Weihrauch mit Güte des Herzens zu erwiedern. Ich wünschte, daß alle Mädchen philosophisch dächten, um jedes Gefühl vom andern Geschlecht für Betrug anzusehen und die Männer so lange mit Ungewisheit zu kränken, bis sie uns beßer und treuer behandelten. Ueberall findet man so viele von beiden Geschlechtern betrogen. Woher kömmt denn doch ein so ungeheures Kaos von beiderseitigem Betrug? – Ich bin so böse, wenn ich die wechselseitigen Lügen betrachte, die man sich in der Liebe so leicht, so ungezwungen hinsagt. – In meinen vaterländischen Alpen, da geht's nicht so zu, man sagt einander nie was von Liebe, wenn man es nicht fühlt, aber wenn man es sagt, dann hält man sich auch Wort. Mich deucht, nur standhafte Liebe allein kann das Band der Glükseligkeit im menschlichen Leben knüpfen, und ich freue mich so herzlich, wenn ich so von ungefähr auf zwei Verliebte stoße, ich möchte alsdann den Schöpfer laut loben, der der Urheber dieser beiderseitigen namenlosen Gutherzigkeit ist, die zwei Zärtliche so gränzenlos mit einander theilen! – Länger kann ich aber heute nicht mehr mit Dir schwazzen, und außer einem Mäulchen, das ich dir aufdrükke, sag ich blos noch, daß ich bin


Deine Amalie.

38. Brief. An Amalie
XXXVIII. Brief
An Amalie

Hättest Du mir noch einen Monat länger nicht geschrieben, so würde ich mich schon bei Dir selbst gemeldet haben, denn mir war für dein Schiksal bange. – Uebrigens, meine Liebe, [79] bin ich mit deinen Bemerkungen über das Schauspiel sehr zufrieden, und will Dir izt auch meine Meinung darüber sagen: Die Sitten reisender Schauspieler sind fast durchaus verdorben. Der Grund davon liegt in unendlichen, wovon ich nur den Haupttheil berühren will. Die Bühne ist der lezte Zufluchtsort aller Gattung verlaßner Menschen. Die meisten sind lüderliche Bursche, oder ausgelaßne Mädchen, die die Kunst blos zum Dekmantel wählen. Die allerkleinste Anzahl davon sind wahre Unglükliche, die aus Schiksal, aus Mangel diesen Stand wählten. Wenn nun diese erstere Klasse von Menschen ohne Erziehung, ohne Ehrengefühl, mit gränzenlosen Leidenschaften begabt, eine Bahn betreten, wo so viel tausend Gelegenheiten diese Leidenschaften reizen, so müßen solche Menschen weit ausschweifender werden als andere, die in den engen Schranken ihres bürgerlichen Lebens nichts vom Neid, nichts vom Eigennuz und nichts von der Wollust wissen. Schwäche der Seele, wenige Moral bei so häufigen Versuchungen sind die Fehler dieser Unglüklichen, die sich den Lüsten eines Jeden darstellen müßen und nicht Stärke genug haben, den Angriffen auszuweichen, die das Vorurtheil so frei, so allgemein, besonders bei den Schauspielerinnen wagt. Man rechnet diese Frauenzimmer unter die allgemein buhlenden, und die meisten leider beweisen es auch mit der That, daß man ihnen nicht Unrecht thut, sie darunter zu rechnen. Veränderung der Lage, Armuth, weibliche Eitelkeit, Liebe zur Verschwendung, die durch schwärmerische Rollen gereizte Nerven, Neuheit der Bekanntschaften, wozu diese Leute auf ihrem Herumreisen verleitet werden, alles das zusammen genommen, bringt diese Schwachen zu so vielen Ausschweifungen; und da die meisten aus ihrer Kunst ein Handwerk machen, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die Moral, die sie täglich auf der Bühne im Munde führen, auf sie selbst nicht mehr wirkt. Ich habe Schauspielerinnen gekannt, [80] die es so weit im Mechanismus brachten, daß sie hinter den Koulissen manche der Moral widrige Handlungen trieben, und einen Augenblik hernach mit allem möglichen Schein auf der Bühne ernsthafte Empfindungen und eine Art Träume nachahmten, daß der gröbere Theil des Publikums ihnen sogar Beifall zuklatschte. – Der Kenner sieht nun freilich durch so eine Larve hindurch, und weis recht gut zu unterscheiden, was für Gefühle Mutter Natur in eine Schauspielerin gelegt hat, oder nicht. – Es ist kein richtigerer Weg um die hervorragenden Züge der Karakteristik eines Schauspielers zu entziffern, als sein Spiel selbst; besonders bei dem Frauenzimmer kann man es beinahe auf den Wink errathen, welcher Karakter im bürgerlichen Leben ihnen eigen ist, wenn man sie lange und ohne Vorurtheil beobachtet. Die Kokette wird in der sanftesten Rolle mit einer gewissen Frechheit hervorblikken, und das gutgezogene Mädchen wird im Gegentheil in der ausschweifendern Rolle der Kokette doch hervorschimmern. – Und gesezt, beide von dieser Art Schauspielerinnen hätten es auch in ihrer Kunst so weit gebracht, die Täuschung fast glaubbar zu machen, so ist es doch für den ächten Menschenkenner nichts Unmögliches, so eine Person in Rollen, die sie blos als Künstlerin liefert, zu karakterisiren und ihren sittlichen Wandel zu entdekken. Wenn der Kopf einer Schauspielerin in Rollen, die nicht auf ihren Karakter passen, allein arbeitet, so merkt es der feinfühlende Kenner recht gut, daß das Herz dabei fehlt. – Wenn gewisse Sinnen des empfindsamen Zuschauers nicht durch das vollkommene Spiel des Schauspielers befriedigt werden, so wird er über kurz oder lang das Fehlende am Schauspieler entdekken, woraus er die Hauptleidenschaften seines Karakters von seiner spielenden Rolle unterscheiden kann. – Der Schauspieler selbst, so weit er es auch im Studium gebracht hat, muß es an sich fühlen, daß ihm entweder der Ton, das Gefühl, [81] oder das Wahre fehlt, wenn er in einer Rolle spielt, die nicht mit seinem Karakter harmonirt. Erinnere Dich, meine Liebe, dieser Bemerkungen, und sie werden Dich zu Kenntnißen führen, die blos in der Natur liegen und also untrüglich sind. Es gehört aber lange Erfahrung und eine genaue Beobachtung dazu, sonst kann man sich leicht irren; besonders junge Mädchen, die des Schauspielers sittlichen Karakter blos aus der glänzenden Rolle beurtheilen, und ihm eben die Tugenden außerhalb der Bühne zuschreiben, die ihnen ihre Neigung für sein Spiel (es mag gut oder schlecht seyn) eingiebt. Man ist auch gar zu sehr geneigt, den Karakter im sittlichen Leben nach der Güte einer Rolle abzumessen und man betrügt sich nur zu oft gräßlich, denn die Moral ist auch in dem Munde eines Nichtswürdigen geduldig, und sträubt sich nicht, ob sie ein guter oder böser Mensch auf die Welt bringt. Dazu gehört aber tiefe Kenntnis der Kunst, wenn man unterscheiden will, ob der Spielende der Natur seines Karakters gemäß arbeitete; ob er die Moral als trugloser Heuchler so darstellte, daß man es für Harmonie mit seinen Tugenden halten kann; oder ob er blos durch die Kunst eine glänzende Larve trägt, die durch Festigkeit auf der Bühne, durch seine eigne Einsicht für den Zuschauer so täuschend wird, daß man das für die Sprache der Tugend hält, was blose Gewohnheit im Handwerk ist. – Manchem unschuldigen Mädchen glitscht so ein moralischer Pasquillant unvermerkt ins Herz, und reizt mit seinem Flitterstaat ihr Auge so sehr als ihr Zutrauen. Denn dem Mädchen oder dem Jungen ohne Erfahrung ists unbegreiflich, daß es Schauspieler geben könne, die mit der Moral so vertraut sind, und doch dabei so ausschweifend handeln. Die Jugend ist gar zu sehr geneigt für die Schauspieler und Schauspielerinnen Leidenschaften der Liebe zu empfinden, weil ihre vortheilhaften Rollen und überhaupt ihr ganzes Aeußerliches unendlich[82] reizt! – Nun zum Beschluß ein warmes Mäulchen von deiner Freundin!


Fanny.

39. Brief. An Fanny
XXXIX. Brief
An Fanny

O theure, Beßte! – Schlag, auf Schlag donnert das Elend meine Jugend nieder! – Noch kann ich die entsezliche Nachricht kaum fassen, die mich vollends zur Waise machte! – Mein Vater ist todt, und mit ihm alle Freuden der Schöpfung, die mich durch die vertrauten Bande der Natur noch an sie fesselten. So schnell, so früh hat sie ihn mir entrißen, die Hand des Schiksals! – Und mich nebst meiner noch unerzognen Schwester zu verlaßnen Waisen gemacht! – Alle Menschen, die um mich herum waren, suchten mit dem äußersten Gefühl des Mitleids mir diese herzerschütternde Neuigkeit zu verbergen, weil man die Heftigkeit meines Grams kennt. O, das war ein grausam barmherziger Aufschub! – Denn die Ungewisheit, die ich auf allen Gesichtern im Hause las, folterte meine Seele um so mehr, weil ich zum Voraus von der Krankheit meines Vaters unterrichtet war. Sinnlose Betäubung, so behutsam diese Menschenfreunde ihre Nachricht einkleideten, schlug mich zur Erde hin!!! – Und als ich zum neuen Menschenelend wieder erwachte, war anhaltender Gram mein Loos! – Die Trennungen des Bluts sind die schröklichsten in der Natur; wenn diese Urheberin unsers Daseyns einen Theil ihrer schönsten Harmonie von uns reißt, dann fühlt sich der übrig gebliebene einem kränkelnden Blümchen ähnlich, das blos noch zur marternden Strafe sein Leben behält. Ich dünke mich jezt elternlos so verloren in der ganzen weiten Schöpfung! –[83] Gepeinigt von dem drükkenden, für glükliche Menschen so unbegreiflichen Kummer, und erst jezt bin ich überzeugt, daß Furcht, Zagheit und äußerster Jammer das Erbtheil des nervenschwachen Weibes sind! – Meine Schwester! – Das unschuldige Opfer des Zufalls! – Meine Schwester! Was wird aus ihr werden? – Ihre Erziehung, die ich aus Mangel an Glüksgütern nicht besorgen kann, ist ein Gegenstand mehr, der mir meinen Kummer noch verbittert! – Gott im Himmel, wie mich der Gedanke durchzittert! – Daß vielleicht ihre junge, weiche Seele aus Zwang in die Hände ihres Vormunds fällt, unter die Aufsicht eines Manns, der zwischen Thier und Mensch blos den Unterscheid der Gestalt trägt. – Ich muß hin zu meiner Schwester, ich will sie ihm aus den geizigen Klauen reißen, diese arme verwaiste Unschuld; deren verwahrloste Bildung mich einstens schröklich in meiner lezten Stunde drükken würde! – Die Natur hat mir Jugend, ein gutes Herz, Kopf und Gesundheit gegeben, ich muß dies alles mit meiner Schwester theilen, das sagt mir die wohlthätige Stimme der Natur, das sagt mir mein Gewissen, das sagt mir der Geist meines Vaters, der mich diesem Kinde zur Trösterin, zur Mutter hinterlies! – Wie viel bittere Thränen wird das arme Mädchen auf dem Grabe ihres Vaters verweinen! – Was sie jammern wird, die Verlaßne, um meine Zurükkunft! – – Was ihrem jungen Gefühle die Bilder des Grams für Wunden schlagen werden! Kaum öfnet sich ihr zartes Herz den Eindrükken der Freude, und schon wird diese Freude durch Angst und Leiden getrübt! – O Schiksal! – Du bist manchmal gegen deine Untergebenen zu hart, daß du nicht einmal die blühende Unschuld verschonst! – Fanny! – Wenn ich mir das Kind, neben dem kalten Leichnam meines Vaters, blaß und verweint denke, wie sie da steht, einsam und verlassen, seine starre Hand ergreift, sie tausendmal [84] küßt, und nicht weis, an welches fühlende Menschenherz sie sich wenden soll, weil ihr mit dem Vater Alles starb, woran sie sich ketten konnte! – Ich muß mich wegwenden von diesem schröklichen Bilde, sonst beugt es mich zu tief! – Gott! – Wie elend ist der Mensch, wenn er das Bischen Freude wegrechnet, das er während seines unschuldigen Puppenspiels genießt! – Mit ihm wird Gram und Drangsal geboren und die Freude über seine Geburt ist der Tod seiner Zufriedenheit. Traum des menschlichen Glüks, du bist es, der das hervorragende Elend nur mehr vergiftet! – Weil du die lüsterne Sinnen der Menschen auf einige Minuten zu belügen weißt! – Immer behält das Unglük unter der Menschheit die Oberhand, und wer sich auf etwas besseres freut, hält sich an eine Seifenblase, die mit jedem Hauche wieder verschwindet. Bei meinem Alter sollte mich die Natur von allen Seiten anlachen, und doch ist finsterer Tiefsinn das Loos, was sie mir zuwarf! – Nicht einmal ein wenig Leichtsinn gab sie mir, diese Mutter ihrer Kinder; nein! – So barmherzig war für mich die Natur nicht; sie hat mich dafür tief fühlen gelehret, sie hat mir weiche Nerven gegeben, damit ich die Härte meiner Schiksale weit schröklicher als ihre Lieblinge empfinde, die mit ihren kalten Herzen eben dieser Natur nicht einmal eine Thräne des Danks zu weinen im Stande sind! Theuerste! – Du allein bist Zeuge meiner unglüklich verlebten Tage, sey also auch Zeuge meines Dankes, den ich jezt knieend dem Schöpfer bringe, der mich zu allen diesen Martern bestimmt hat! – Bitte mit mir, Fanny, den Vater im Himmel um seinen Beistand für meine trostlose Schwester und mich! – Gerne würde ich jezt beim Troste der Religion mit Dir verweilen, aber man ruft mich wegen einem Brief, der vom guten Oheim aus K*** eintraf. Ich muß hineilen, vielleicht enthält er Trost! Und dann, meine Liebe, bin ich bald wieder bei Dir...... [85] Fanny! – Das Herz meines Oheims in K*** ist einer Krone werth! – Ist es möglich, daß der Mann bei seinen wenigen Einkünften die reiche Tiegerbrut meiner übrigen Anverwandten in der Großmuth so sehr beschämt! – Im Kloster S... G..... lebt noch ein reicher Oheim zu mir. – Ein Mann, der heimliche Schäzze besizt und sich aus Fühllosigkeit in die Kutte wikkelte. – Kalt, hartherzig, voll Bigotterie und Pfaffenstolz ist seine Seele. Geiz und Eigennuz haben die Unmenschlichkeit in ihm erzeugt, – auch nicht eine Thräne dringt von uns armen Waisen in sein Felsenherz, das er mit Heuchelei der leidenden Menschheit verschließt. Und dieser Unmensch, der der geistlichen Würde Schande macht, ist eben sowohl mein leiblicher Oheim als der in K***. Lezterer hat ihn zur Hülfe für uns elternlose Kinder aufgefordert, und ein lügenhaftes Kazzengeschrei von geschworner Armuth und dergleichen Gaukeleien war seine Antwort. Es ist doch bewiesen, daß dieser harte Mann jährlich eine ansehnliche Summe Spielgeld von seinen Obern erhält, die er freilich mit mehr Sinnlichkeit verschwenden wird, als wenn er es für die hinterlassenen Kinder seines gegen ihm so wohlthätig gewesenen Bruders anwenden würde. Es scheint unbegreiflich, daß so verschiedene Herzen durch das nemliche Blut belebt werden können. – Auch mein theurer, gütiger Oheim in K*** ist ein Diener Gottes, aber zur Ehre dieses Gottes gefühlvoll und menschlich, wohlthätig, aufgeklärt, barmherzig, ohne Heuchelei, und nicht wie jener unreine Priester der Religion, der aus Eigennuz die Stimme der Natur erstikket. – Vergieb mir, meine Liebe, wenn ich keine Larve leiden kann, die mancher gutherzige Thor nicht so leicht durchsieht, wenn sie ihm unter dem Dekmantel der Andächtelei aufgetischt wird. Tugend an einem Gesalbten zu vermissen, kränkt mich weit mehr, als an andern Menschen, weil er als ein treuer Diener der Tugend, wenigstens nur [86] öffentlich, erscheinen soll. – Wahr ists, der würdige Priester hat, bei den so sehr verdorbenen Sitten der Priesterschaft, Stärke der Vernunft nöthig, um das Vorurtheil zu beschämen, und verdient Lorbeeren, wenn er seine Moral aufs gute Beispiel und auf das Wohl der Menschheit festsezt. In diese leztere Klasse gehört gewis mein würdiger Oheim in K***. Er steht in Diensten seines Fürsten, hat keine andere Einkünften, als die Belohnung seiner Dienste, und ist doch dabei so überschwenglich menschenfreundlich, als ob ihm das Schiksal überflüßige Glüksgüter zugeworfen hätte. – Reich an gutem Herzen wird dieser Mann von allen Unglüklichen verehrt, geliebt und, ich darf es wohl sagen, als eine feste Stüzze der Religion, als ein duldender Christ, als ein sanfter biederer Freund der Elenden beinahe angebetet. – O, dieser Gute! – Er beschwört mich, über den Verlust meines Vaters nicht meine Gesundheit aufs Spiel zu sezzen, er wundert sich über meine übertriebene Kleinmuth und öffnet mir sanft sein neues Vaterherz, drükt mich in Gedanken tröstend an seinen Busen, und ist willig, sein Aeußerstes für uns arme Waisen zu thun. Nur bittet er um Zutrauen, um Beruhigung, um Schonung meiner Gesundheit. In wenig Tagen reise ich auf seinen Wink zu dem Grabe meines Vaters und in die Arme meiner beßten einzigen Schwester. – Vergiß deine gebeugte Amalis nicht! –

40. Brief. An Amalie
XL. Brief
An Amalie

Liebe, theure, unglükliche Freundin! – Wenn mich in meinem Leben jemals, mit all meiner Religion, ein Schiksal gebeugt hat, so ist es das deinige! – So anhaltend – [87] so unaussprechlich, wie es Dich verfolgt, – so Kummer auf Kummer – ist meinem Gefühle unbegreiflich. – Die feurigste Einbildungskraft des geschiktesten Dichters wäre zu schwach, um das hartnäkkige Unglük so hinlänglich zu ersinnen, wie die Wahrheit deines bittern Schiksals es mit sich führt. – – So bist Du denn zum Leiden geboren? – Bist Du denn geboren, um Alles neben Dir unglüklich zu machen, was mit Dir harmonirt? – Die gütige, sonst so mitleidige Natur rächt sich wahrlich an Dir, denn sie gab Dir ein schmelzendes Herz, einen unglüklichen Schwung der Einbildungskraft, Weiberschwäche und ein unendliches, ineinander gewebtes, unerbittliches Schiksal! – Aber sie gab Dir auch Vernunft, eine Vernunft deren Stärke über die leidenden Theile des Körpers mächtig zu herrschen im Stande ist. – Laß sie immer auf den gekränkten Busen rinnen, die Thränen des schwächlichen Körpers, laß es ausklopfen das bange, vom Schiksal geängstigte Herz, es ist das Loos der unvollkommnen Menschheit, es ist die Versicherung künftiger Belohnungen, wenn wir mit Christenstandhaftigkeit die Hand küßen, die uns dazu bestimmte. Wenn der Tod einen Vater oder eine Mutter vom Kinde reißt, so läßt dieser traurige Verlust einen Wiederhall zurük, der die ganze Natur im Kinde erschüttert! – Trift es nun ein fühlendes, bebendes, schwaches Mädchen, dann schleppt er sie hin, der zehrende Gram zum Altar der Thränen und der Wehmuth! – Ich begreife deinen Jammer, fühle ihn mit, und wenn warme Thränen der innigsten Theilnahme Linderung schaffen können, nun so drükke ich Dich an mein Herz, Amalie, und diese Thränen seyen Dir so lange geweint, bis es Dir leichter wird ums kranke Gemüth. – Du mildes, gutes Geschöpf! – Mit welcher Engelsgüte sprichst Du von dem Wohl deiner Schwester! Er wird deine Seufzer hören, der mächtige Vater der Waisen, er wird sie aufzeichnen [88] ins Buch der Ewigkeit, die Güte deines unverbesserlichen Herzens! Wenn deine Schwester das Ebenbild deiner Güte wird, so seyd ihr zwei Mädchen, die der Schöpfung zur Ehre ihr Daseyn erhielten. Ich will Dir nicht schmeicheln, aber innigst gerührt über den großmüthigen Zug deiner Sorgfalt wegen der Erziehung deiner noch unmündigen Schwester, möchte ich es die ganze Welt wissen lassen, was Du für ein Mädchen bist! – Vortrefliche Freundin! – Die schönste Gabe Gottes ist dein Herz, ein Geschenk, worinnen für Dich und Andere tausendfaches Wohl liegt! – Wohl für Andere, weil es sich so gränzenlos mittheilt, aber auch Weh für Dich, weil es zu unaussprechlich tief fühlt! – Bei dem festen Band unserer Freundschaft beschwöre ich Dich, verkürze die Tage deines Lebens nicht durch übermäßigen Gram! Lerne Dich selbst schonen um deines beßten Oheims, um meinetwillen! – Die Stunden unsers Traums sind so kurz, und warum willst Du in der Blüte deiner Jahre mit gewaltsamer Hand ihren Lauf hemmen? – Deine Schwermuth ist Dir zur Wollust geworden, ich gönne sie Dir gerne, diese Schmeichlerin des leidenschaftlichen Tiefsinns, ich selbst opfere dieser Göttin der denkenden Leiden oft genug mit blutendem Herzen, aber nur überlasse Du Dich nicht zu viel dem schmeichelnden Gifte, das deine Gesundheit untergräbt. – Ich kann zwar die allzu lustigen Mädchen auch nicht leiden, denn ihr Leichtsinn macht ihre Seele stumpf und verjagt jedes Gefühl, was zum ernsthaftern Glükke der Menschheit beiträgt. – Eine zum stillen Leiden gewöhnte Seele ist allen Eindrükken der Tugend offen, nur muß Wiz und Laune bei einem ganz liebenswürdigen Mädchen durch eigne Ueberlegung die Wunde der Schwermuth zuweilen ausheilen, die durch die Kenntniß des menschlichen Elends in ihr ist aufgerissen worden. Dein Oheim in S... G..... ist das, wozu ihn der Eigennuz umschuf; das abscheulichste aller Laster! – [89] Ein Laster, das alle andere überwägt und den Menschen zur gräßlichsten Hartherzigkeit verleitet. Siehst Du nun, meine Liebe, die gute Mutter Natur hat Schatten ins Licht geworfen, da sie ihn und seinen herrlichen Bruder schuf, damit der Leztere das in der Religion verherrliche, was der Andere, der gleichfalls ihr Beschüzzer seyn sollte, an ihr versäumte. Die Priester sind Menschen wie wir, und hangen, was ihren moralischen Karakter betrift, von der Erziehung, vom Beispiel und von ihren Leidenschaften ab, die nur darum auf Unkosten ihrer Nebenmenschen gehen, weil man so wenig Priester in ihrer Jugend fühlen und unterscheiden lehrt. Deinem Herzen muß freilich ein solcher grausamer Mann Zentnerschwer auffallen! – Aber, glaube mir, ein einziger guter Geistlicher, der sein Herz vor Religionshaß, vor Dummheit und Vorurtheil verwahrt, hält uns für alle übrigen schadlos. In jedem Stande findet man eine größere Anzahl Sünder als Tugendhafte, nur ist dieser geheiligte Stand mehr den Vorwürfen ausgesezt, weil er von der Religion zum guten Beispiel bestimmt ist. – Die Beschreibung deines edeldenkenden Oheims in K*** versüßte mir den Aerger wieder, den mir dein anderer Oheim verursachte. Was für ein trefliches Herz, was für gute Grundsäzze muß dieser Menschenfreund nicht haben? – So ein glänzendes Beispiel der Menschheit sollte billig die Verehrung eines jeden gränzenlos genießen. Tausend Segen dem Wohlthätigen, und Dir tausend Küße von


Deiner Fanny. [90]

41. Brief. An Fanny
XLI. Brief
An Fanny

So wie ich Dir lezthin schrieb, reißte ich von A... nach W... und diese gefühlvolle Thräne, die jezt in meinem Auge glänzt, hat sich auf dem einsamen Grabe meines Vaters darein gedrängt! – Wie war es mir möglich diesen schaudernden Anblik zu ertragen, als ich in das fürchterlich stille Zimmer trat, wo blos der Geruch des Todes und meine arme, weinende Schwester mich bewillkommten? – Das arme Kind fiel mir hastig um den Hals und stotterte etwas vom Papa und dergleichen. – Dieser Auftritt der sprechenden Natur würde jedem eine Thräne des Mitleids entlokt haben, wenn er anders zum geheiligten Tempel der Empfindung jemals Zutritt gehabt hätte. – Ein treues, gutes Dienstmädchen, die sich schon lange bei uns aufhält und meine Schwester leidenschaftlich liebt, entzükte mich bei dem Eintritt ins Haus durch den herzlichen Antheil, den sie an unserm Schiksal nahm. Gewis, Fanny! – Auch unter gemeinen Leuten giebt es Seelen von höherm Schwung der Empfindungen, und manches gute Menschengefühl geht im niedrigen Stande verloren, weil es so selten Anlaß bekömmt sich zu üben. Der junge Vetter B*** ist auch noch hier, empfieng mich aber flüchtiger, als ich vermuthet hatte. Man sagt der gute Junge hienge an dem Umgang eines Weibs, die eben nicht viel taugte, und daher mag wohl sein ehmaliges Gefühl für Freundschaft und Wohlwollen einen kleinen Stoß erlitten haben. Indessen war er doch äußerst gebeugt über den schnellen Hintritt meines Vaters und seines Wohlthäters. – Man versicherte mich, daß er beim Begräbniß desselben, in ein lautes, fürchterliches Stöhnen ausgebrochen wäre. Der Bedaurungswürdige verlor mit mir Unterstüzzung und Trost, [91] und wird eben so wohl als ich dem flüchtigen, ungewissen Schiksale Preis gegeben. Noch ist unser Aller Schiksal unentschieden. Unser Oheim in K*** befahl sein Gutdünken darüber abzuwarten. Was mich aber sehr kränkt, ist der verachtungswürdige, niederträchtige Vormund, der so bald er den Todesfall erfuhr, unverzüglich hieher reiste, vermuthlich um seine intereßirte Grausamkeit aufs Aeußerste zu treiben. Er überraschte mich mit der schröklichen Nachricht, daß er entschloßen wäre, meine Schwester mit sich zu führen und von den Interessen unsers Vermögens im Kloster erziehen zu lassen. Ich verbat mir diese Unternehmung aufs Ernsthafteste und berief mich auf die Entscheidung unsers Oheims, der jezt Vaterstelle bei uns Kindern vertretten würde. – Großer Gott! – Freundin! – Was höre ich? – Was ist das für ein Lärm, der mein Ohr erschüttert? – Ich muß nachsehen; mein Herz schlägt ängstlich! – Bald bin ich wieder bei Dir. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O, bei dem Allmächtigen; das ist zu viel! – Zu viel in einer Christenheit, die uns Gerechtigkeit vorheuchelt und dabei Barbarei ausübt!!! – Ha! – So hat er es denn mit Gewalt weggerißen, das Opfer seines unersättlichen Geizes! – O, meine Schwester! – Meine Schwester! – Du bist auf ewig für mich verloren! – Theure, einzige! – So bist du denn wirklich in der Gewalt dieses hungrigen Satans, der zu sehr Andächtler ist, um kein Bösewicht zu seyn! Barmherziger Richter der Gekränkten! – In diesen, von den Thränen armer Waisen feuchten Händen liegt also die ewige und zeitliche Glükseligkeit meiner Schwester! – Wenn mir dieser einzige Gedanken nicht meine Seele zerreißt, o! dann hat diese Seele Heldenstärke, um mehrere Angriffe von dergleichen Scheusalen zu ertragen! Verzeihe, [92] Liebe, dem Schwindel meines Kopfs und den Bangigkeiten meines Herzens, wenn ich in Wildheit ausarte! – Wenn mir jezt die Sinnen nicht ihren Beistand versagen, so will ich Dir erzählen, was ich gesehen, was ich gehört habe: Als ich mich dem Auftritt nahte, der mich im Schreiben dieses Briefs unterbrach, fand ich wegen der Uebergab meiner Schwester den heftigsten Streit zwischen Vetter B*** und meinem vor Galle rasenden Vormund. Wir alle sträubten uns bis zum Entsezzen gegen sein Vorhaben, wir hielten das Kind fest, das er uns mit Gewalt wegreißen wollte, B*** eilte nach Hülfe, mich riß in dem entscheidenden Augenblik meine Heftigkeit zur Sinnlosigkeit hin. – Gewalt gieng während dieser Pause über Recht; er schleppte das wehrlose Kind zum Wagen, und führte sie mit sich ins Kloster. – Die Natur hatte mir während dieser Ohnmacht nicht den lezten Stoß gegeben; ich mußte noch einmal zum neuen Elend erwachen! Heulend lief ich zum Richter, foderte meine Schwester; aber seine Fühllosigkeit gieng so weit, daß er sie in den Händen dieses Mannes für besser versorgt hielt, als in den meinigen, indem er mir meine Jugend und meine wenige Erfahrung vorwarf. Gebeugt bis zum Unsinn kehrte ich jammernd in meine Wohnung zurük, und nun mag der Menschenvater aus mir machen, was er will, ich bin meiner nicht mehr Meister!!! – Deine bitterweinende


Amalie.

42. Brief. An Fanny
XLII. Brief
An Fanny

Ich zittre, liebe Freundin, Dir die Verstimmung meiner Seele zu entdekken; sie ist nur allein mir begreiflich, an jedem andern Kaltblütigern glitscht sie ab... muß abglitschen! – [93] Eine fürchterliche Kleinmuth, ein feuriges Sehnen nach Auflösung, kühne, wollüstige Reize, die nach glüklichern Gegenden verlangen, sezzen meine gräßlich arbeitende Phantasie in Bewegung. Die Angst des Todes scheint sich von mir zu entfernen und der Gedanke meiner Rettung tritt verführerisch lokkend an ihre Stelle. Die Religion allein hält noch die schwachen Bande, da es blos eines muthigern Augenbliks bedürfte, um sie zu zerreißen! – Der Selbstmord ist nicht immer Zagheit der schwachen Seele, er ist nur gar zu oft ein Räthsel, das in dem ewigen Kaos verborgen liegt. – Jemehr die Einbildungskraft feurigen Schwung hat, jemehr naht sie sich jener unglüklichen Sphäre, wo die Vernunft vom Gram übertäubt, nicht mehr mächtig genug ist, dem Sturm zu gebieten. Der Schwermüthige sieht hoffnungslos dem Labyrinthe seines Elends entgegen, träumt sich in einer andern Welt bessere Zeiten und nährt den lindernden Gedanken einer augenbliklichen Zernichtung so lange in seinem jammernden Busen, bis der schwindelnde Kopf sich vergißt – und den innerlich tobenden Leidenschaften zum Ausbruch den Weg öffnet! – Der Hang zur Schwermuth liegt bei vielen Menschen im Temperamente, nur wird er durch Nachsinnen und durch harte Schiksale mehr in einem Herzen genährt, daß sich von allen Seiten gepeitscht, zerfleischt, und getretten sieht. – Der heimliche Wurm, der im Innern frißt, ist dem Gesunden, dem Nichtschwermüthigen so fremd, als dem Schwermüthigen die Freuden sind, die von seinen stumpfen, kranken Nerven zurükprellen. – O wenn nur kein diknerviges Menschengeschöpf diesen Brief einstens zu lesen bekömmt, die Empfindung darinn würde mich noch in der Ewigkeit reuen! – Es giebt leere Köpfe genug, die den Zustand eines Schwermüthigen nicht fassen können; – die es sogar wagen über solche Unglükliche zu spotten. – Mir sind diese Art Märtirer ihrer Leidenschaften, [94] ihres feinen Gefühls nicht neu. – Verrükkung der Sinnen ist ja eine Krankheit, die man so häufig in der so vielen Gebrechen unterworfenen Menschheit erblikt. – Und braucht es denn mehr, als einen Augenblik Verrükkung um einen Selbstmord zu begehen und dem kochenden Blute Luft zu machen, das wie sprudelndes Feuer sich nach dem Gehirne drängt? – Eine Melankolie, die schon zur Krankheit geworden, hat ihre reifenden Zeitpunkte; rasch steigt manchmal durch eine Gährung die würkende Galle auf – und geschehen ists um das Leben eines Menschen, auf dessen Vernunft man Häuser gebaut hätte. Ich zeige Dir heute mit Vorbedacht die Spuren meiner kränkelnden Vernunft, damit Du sie, durch deine milde, sanfte Güte wieder in die Schranken zurükbringst, worinnen sie als Führerin des duldenden Menschen ihren Wohnsiz zum Triumph der Religion behaupten soll. Ja, meine Liebe, scharfe Vorwürfe würden mir jezt tödtendes Gift seyn!!! Denn nichts in der Welt ist delikater zu behandeln und leichter zu Grunde zu richten, als ein schwermüthiger Mensch, dem man roh begegnet. Wenn bei solchen Elenden das Fieber sich meldet, wenn fürchterliche Stöße das schwellende Herz bäumen, wenn die Nerven sich verdähnen, wenn die Thräne aus dem Auge flieht, wenn der Zustand der eiskalten Fühllosigkeit, dem dikken Blute seinen Lauf hemmet, wer kann denn da die Gefahren des Selbstmords begreifen, wenn er diesen Zustand nicht schon selbst empfunden hat? – Und es giebt leider nur zu viel Menschen in der Welt, deren Seelen eben so bengelstark als ihre Nerven sind, und Weh dann dem Schwermüthigen, wenn er in solche Gesellschaft geräth! – Solche Klözze von Menschen opfern oft aus Mangel an Menschenkenntniß und Gefühl manches unglükliche Wesen dem Selbstmord. – Erst kürzlich hat ein liebekrankes Mädchen sich in die kalten Arme des Todes gestürzt. – Das ruhigere, kälter gestimmte Gefühl [95] ihres Liebhabers ahndete nichts Arges, hielt ihre Schwermuth für Romanensprache und trauete einer weichgeschaffenen Weiberseele den Muth nicht zu, eigenmächtig ihren Kerker zu sprengen. Du wirst Dir's leicht vorstellen, meine Theure, warum der finstere, melankolische Ton von mir heute so unendlich verfolgt wird; – warum ich mich so lange bei Schilderungen aufhalte, die meinem armen Herzen so eine gewisse Erleichterung geben? Das ungewisse Schiksal meiner so sehr geliebten Schwester, die kalte Begegnung des jungen B***, der tükkische Troz seines protegirten Weibes, das frische Grab meines Vaters, die unendlichen Gefühle meiner herumirrenden Seele, Alles das wird Dir hinlänglich seyn, um mich heute zu verstehen.


Deine Amalie.

43. Brief. An Amalie
XLIII. Brief
An Amalie

Zween Briefe auf einmal will ich Dir heute beantworten! doch ist der erstere nicht so wichtig für deine Ruhe, als der leztere. – Um Gotteswillen, reiß Dich weg, Freundin, von dem Grabe deines Vaters; – dies traurige Andenken wütet zu sehr in deinem Innern! – Eben darum will ich Dich so viel möglich von diesen Gedanken abzuleiten suchen. Und nun zu einer andern Stelle deines Briefs! – Freilich, meine Beßte, giebt es manchmal unter gemeiner Gattung Menschen recht gute Herzen, weil die Natur sie einförmig und ohne Falten schuf. – Auch sind die Wünsche gemeiner Menschen mäßiger, als derjenigen ihre, welche seit ihrer Geburt an Ueberfluß und Bedürfniße gewöhnt worden sind. Menschen von gemeiner Gattung bleiben meistens ohne raffinirten Eigennuz, ohne Forderungsgeist, ohne Lüsternheit, unverdorben und zufrieden mit jener Lage, worein sie ihre niedrige [96] Geburt sezte. Doch weiter! Wahrhaftig, meine Liebe, der junge B*** muß seinen Verstand verloren haben, daß er Dir nicht mit derjenigen Sanftmuth und Liebe begegnet, die deinem blutenden Herzen so nöthig ist. – Es ist in der That unstreitig; die Leitung eines Weibs, kann den Mann gut oder schlimm machen. – Das Wort Mann verfängt sich so leicht in den Schlingen der Wollust und verliert durch einen einzigen hinreißenden Blik seine Stärke. Denn nie ist das Herz eines Mannes zur Tugend und zum Laster empfänglicher, als wenn er in den Armen der Liebe schwelgt. – Sonst wäre es schon mancher Buhlerin nicht gerathen, ganze Länder zu Grunde zu richten. Ich verzeihe zwar diesem Jungen eine Schwachheit gerne, aber nur soll er nicht ein Mädchen roh behandeln, das die Schonung aller Menschen verdient. Weist Du noch, was der Junge Dir ehemals für enthusiastische Briefe schrieb? – Und das Alles sollte blos Federwiz gewesen seyn, wovon sein Herz keine Silbe wußte? – Aber so machen sie's die Helden der Falschheit; schwärmend schreiben sie ihre Moral, ohne ihr Herz zu fragen, ohne Ueberlegung aufs geduldige Papier hin, üben ihren Wiz, und ihr Herz bleibt nicht länger an diesen schönen Lügen kleben, als bis der Brief aus ihren Händen ist. Es ist mir wirklich unbegreiflich, wie man so von Grundsäzzen, von Moral, von Großmuth, von Liebe und Standhaftigkeit in Briefen windbeuteln kann, ohne darnach zu handeln. – Ich selbsten habe mich einstens sechs Monate lang von dergleichen giftigen Lokspeisen hintergehen lassen; und als ich nach der Hand die Briefe gegen den Handlungen abwog, da entsezte mich der Abstand, und ich zitterte für junge Mädchen, die sich so gerne und so oft solche gefährliche Speise auftischen lassen, – um nach der Hand zu rasen, wenn das Zutrauen gegen ihren Liebhaber durch seinen Wankelmuth in Koth sinken muß! – Jezt ein Paar [97] Worte von deinem Vormunde! Mir graute über sein Betragen. Aber beruhige Dich, Beßte, er wird nicht Unmensch genug seyn, um deine Schwester darben zu lassen. Du kannst Dich ja bisweilen unter der Hand nach ihr erkundigen, oder dein Schiksal ändert sich vielleicht während dieser Zeit, damit Du sie selbst retten kannst. Der tobende Ausbruch deiner leidenschaftlichen Schwesterliebe über die Christenheit, war von Dir sehr stark, sehr feurig. Du fängst an stark kolerisch zu werden. An deinem Feuer gienge ein Mann verloren, Du würdest aus Liebe zur Rechtschaffenheit manchem lokkern Buben die Hölle warm gemacht haben. – Doch nun zur Beantwortung deines leztern Briefs, den Du sicher nicht mit gesunder Vernunft schriebst! – Aber Liebe und Güte seyen allein meine Wegweiserinnen zu deinem gepreßten Herzen, zu diesem Herzen, dessen Leiden einen großen Theil seiner Veredlung ausmachen. – Du bist eine duldende Streiterin für das unsterbliche Wohl deiner Seele, und nie wirst Du es wagen über unsere sterbliche Hülle zu murren, die nach einem schnell hineilenden Traume des Lebens sich von selbst losreißt! – Laß, meine Traute, deinen Geist nicht bis zur Schwachheit heruntersinken, er ist zu großen Opfern bestimmt, und schimmert erst alsdann mit wahrem Glanz, wenn ihn keine gemeine Tugend adelt. So, meine Amalie, kenn' ich den Werth deiner Seelenstärke, und so, meine Freundin, wollen wir einst eng aneinander geschloßen hin zum barmherzigen Richter, wenn dieser Richter endlich die Feßeln der rebellischen Menschheit von uns lößt. Sanfte, gute Seele, kniee hin vor den allmächtigen Tröster der Unglüklichen, ruf ihm deine Leiden mit warmer, feuriger Zuversicht zu, laß sie ausbrechen, die lindernden Seufzer der Wehmuth; weine laut, weine so lange, bis es Dir leichter wird! – Denn der gütige Vater im Himmel läßt auch nicht eine Thräne unvergolten! – Ich weis es recht [98] gut, daß der Schwermüthige bei der kalten alltäglichen Moral nur noch schwermüthiger wird, daß er seinen eignen, den verrükten Sinnen angemeßnen Ton haben will, wenn er von dem schaudernden Scheideweg unverlezt zurükkehren soll, der zwischen seinem verhaßten Daseyn und dem Tode liegt. – Der Selbstmord könnte ganz gewis öfter verhütet werden, wenn Menschen für Menschen aufmerksamer, vernünftiger und sanfter handelten. Derjenige, welcher am meisten denkt und nachsinnt, nährt auch diese Krankheit am meisten in seinem Körper, und gesellt sich dann die hinreißende Wirkung eines gallsüchtigen Temperaments noch dazu, so wird sie zur gefährlichen Hypochondrie, deren Folgen oft durch Lebhaftigkeit des Temperaments die gefährlichsten sind! – Fast überall wirket die Sorgfalt der Aerzte in jeder andern Krankheit zur Ehre ihrer Kunst; aber in dieser Art Krankheit sind noch wenig ausgezeichnete Kuren gemacht worden. So viele Aerzte kennen nicht einmal das heimlich schleichende Gift der innern Schwermuth, und werfen dabei keinen Blik in die stille Seelenkrankheit, die beim ruhigsten Puls um sich frißt und manchmal plözlich den Faden des Lebens abreißt, eh sichs der Arzt versieht. – Ich fodere durchaus, daß ein Arzt ein vorzüglicher Menschenkenner seyn muß. – Ich fodere, daß er die Theile der verschiedenen Leidenschaften bei jeder Gattung von Krankheiten genau kennen muß. – Ich fodere, daß er die verschiedenen Grade der Reizbarkeit der Nerven zu unterscheiden weis. – Ich fodere, daß er solche Patienten so gelassen, so gefühlvoll, so sanft, so gutherzig, wie ein Kind, behandelt; denn wenn der Arzt den Grad der Krankheit nicht durch Zutrauen zu erfahren sucht, wenn er blos den dummen, troknen, Pulsverkündiger beim Krankenbett vorstellt, so prellt seine Kur am melankolischen Kranken ab und er bleibt Doktor fürs Geld und weiter nichts. – Ich bin weit in der Welt gekommen, [99] und die meisten Aerzte, die ich antraf, waren entweder alte, steife, eigensinnige Pedanten, deren Gefühl eben so rostig als ihre Beurtheilungskraft aussah, oder junge, flüchtige, schwindelnde, unerfahrne Gekken, die ihre Kunst eben so handwerksmäßig trieben, als ob es in der lieben Natur eine Lüge wäre, daß alle Krankheiten nach den Verschiedenheiten der Temperamenten müßten behandelt werden. Einsicht, Kenntniße der menschlichen Leidenschaften, Ueberlegung, genaue Untersuchung des herrschenden Temperaments werden immer die Wege seyn, die einem schlußfähigen Mann seine Kuren bei Melankolischen erleichtern. – Eine starke Gemüthsbewegung, wilde Konvulsionen, eine Erstarrung der Glieder, dumpfes Aechzen, die Ergießung des Bluts durch Mund und Nasen, und dann die darauf folgenden Schwachheiten sind lauter Grade der Krankheit, denen besonders das weibliche Geschlecht unterworfen ist, und die dem forschenden Auge des Arztes nicht entgehen dürfen. Nur ist es leider traurig, daß die Herren Doktoren dergleichen Krankheiten manchmal nicht zu unterscheiden wissen, von welchen Leidenschaften sie eigentlich herrühren, – und das öfters für Mannssucht halten, was im Grunde die tiefste, eingewurzeltste Schwermuth ist, deren Wirkung von der Verschiedenheit der Schiksale herkömmt. – Unvermerkt eilt der Raum dieses Briefs zu Ende, und Du, meine Beßte, hättest Ursache über seine Länge zu klagen, wenn Du mich nicht liebtest. –


Deine ganz eigne Fanny. [100]

44. Brief. An Fanny
XLIV. Brief
An Fanny

Dank, Millionen Dank, meine Wertheste, für den Trost, den Du mir in deinem leztern Brief mittheiltest. – Du wälztest mir durch deine vortrefliche Moral den Stein der drükkenden Schwermuth vom Herzen. Wie künstlich Du mir in meinem verstokten Zustand des Schmerzens Thränen abzulokken wußtest! – Wie Du hineindrangst in die schwache empörende Natur, wie Du sie hervorsuchtest, die wankende Tugend aus dem gefährlich kranken Körper! Gott lohne deine Mühe, deine Güte! – Laß nicht ab, Freundin, mich von den Abgründen zurükzurufen, denen mich mein tirannisches Schiksal Preis giebt. – Dort in jenen ruhigen Gefilden wirst Du den Lohn deiner Bemühungen einärndten. O, Freundschaft! Gütige Wohlthäterin der Menschheit! – Dein Besiz ist Götterseligkeit für den Unglüklichen! – Mit einem Herzen voll unaussprechlicher Güte, mit einem Kopf voll Sorge und Wachsamkeit über den innerlichen Zustand des der Freundschaft anvertrauten Guts, hängst du dich fest an die Seite des jammernden Freundes, ruhst nicht eher, als bis der Friede wieder in seine Seele zurükkehrt, woraus ihn namenlose Leiden verbannten. Dieser unendliche Hang des beiderseitigen Wohls, dieses Zittern bei irgend einer Gefahr seines Freundes, diese unersättliche gegenseitige Gutheit, diese lautschreiende, nachsichtsvolle Stimme im bekümmerten Herzen gegen die Schwachheit eines Freundes, dieses Echo der unauflößlichen Harmonie, ist Uebereinstimmung der Seele, ist Freundschaft, ist Wohlthat, die der Schöpfer nur Wenigen ertheilte. – Kein Alter, kein Stand ist von dieser festen Vereinigung ausgeschloßen; es braucht nur ein [101] unverdorbenes Herz, gleiche Grundsäzze dazu, und geknüpft ist der Knoten der unzertrennlichen Freundschaft. So gar Lasterhafte fühlen eine Art von Entzükken in ihren Verbindungen, und wie weit seliger müßen die Reize seyn, wenn Rechtschaffenheit, wenn Religion, wenn Streben nach dem Zwekke unserer Bestimmung, wenn standhaftes Dulden, wenn Menschenpflichten dieses Band unauflößlich durcheinander schlingen, bis der Tod zur ewigen Dauer es auf wenige Zeit von einander reißt, um es sodann vor dem gütigen Schöpfer desto fester auf ewig zu binden! Die Menschen sind blind, daß sie mehr nach dem Taumel der sinnlichen fieberhaften Liebe greifen, als nach der zweklosen, unveränderlichen Freundschaft. – Die Menschen sind rasend unbesonnen, daß sie so kalt, so wenig aneinander gekettet, so freudenlos, ohne Freundschaft ihr Leben verschlummern. Die Freundschaft hat ihren Wohnsiz im Heiligthum des Herzens, die meiste Liebe klebt am Körper und stirbt ohne Freundschaft für alle Menschen nach der Sättigung. – Nur Freundschaft kann sie zur Beständigkeit anfeuern. Der Kopf des Liebenden muß in dem Gegenstand seiner Liebe, durch Betrachtung seiner moralischen Vorzüge, Beschäftigung finden; seine Verehrung muß für diesen Gegenstand zunehmen, so wie die Neuheit der Sinnlichkeit sich verliert; die Reize der Seele müßen die Wollust zu neuen Entzükkungen auffodern; es muß nach dem Genuß der Liebe eine ausgedähnte Freundschaft daraus entspringen, sonst scheitert die Standhaftigkeit mit dem Rausche der Liebe, und das Ende davon ist tolle abscheuliche Flatterhaftigkeit von beiden Seiten. Doch, meine Freundin, rede ich hier nur von denkenden Menschen, denn die übrigen gehören unters Vieh und werden wie Mißethäter von dem Tempel der Freundschaft ausgeschloßen. So viel sagt mir meine natürliche Vernunft, so viel sagt mir mein Herz, das zur freundschaftlichen Liebe ein unstreitiges Recht behaupten [102] will. – Wenn also je ein Glük in der Welt noch auf mich harret, so will ich es in der Freundschaft erwarten. Doch wie kann ich vom Warten sprechen? Fand ich dieses Glük nicht schon überschwenglich in Dir? – Bist Du nicht meine Führerin, meine Wohlthäterin, meine Freude, mein Alles? – Sind wir beide nicht blos eine Seele, blos ein Gedanke? – Gießt sich nicht mein ganzes Daseyn mit dem schröklichsten Gewebe seiner Leiden in deinen für mich offnen Busen? – Laß uns dieses Ineinandergießen mit dem feurigsten Kuß versiegeln; laß uns einander unaufhörlich auch in den Stunden unserer Verirrungen mit der offenherzigsten Aufrichtigkeit begegnen, und die Wirkung dieses Betragens wird mächtiger auf unsere schwachen sündhaften Anlagen zur Besserung wirken, als das donnernde Gebrumm im Beichtstuhl eines gewalthätigen, unduldsamen, halsstarrigen Priesters, der von der schwachen Menschheit oft ohne Einsicht, ohne Ueberlegung, ohne in die Natur der Dinge zu dringen, mit Feuer und Schwerd, als strenger Theolog, mehr fodert, als er selbst in der nemlichen Lage zu vollbringen im Stande wäre. Auch im Beichtstuhl, so wie am Krankenbette, meine Freundin, gehört tiefe Menschenkenntnis und viele, sehr viele Unterscheidungskraft den Schwachen von dem Boshaften, den Bigotten von dem wahren Andächtigen, den vernünftigen Mann von dem leichtgläubigen, phantastischen Bürger zu unterscheiden. – Auf das Herz, auf den guten Willen des Menschen, auf seine Begriffe von der Sünde muß der einsichtsvolle Priester einen Blik werfen, da muß er hineindringen, und das Laster nach dem Grade von Zutrauen seines Beichtkindes zu vertilgen wissen. Er muß nicht Einen wie den Andern mit der nemlichen feuerspeienden Moral behandeln: Der Pöbel will sklavisch sein Urtheil hören, der Vernünftige will überzeugte Beruhigung haben. Aendert doch so oft bei dem weltlichen Richter der kleinste [103] Umstand, der zur Entschuldigung des armen Sünders angeführt werden kann, das Todesurtheil; warum denn nicht im Beichtstuhl, wenn die Fehler aus der Natur der Dinge in etwas können entschuldigt werden? – Die Protestanten beichten freiwillig und öffentlich ihre Fehler, und diese Fehler werden von ihnen keinem schwachen, gebrechlichen Nebenmenschen dem Detail nach zur Schau aufgetischt. – Und doch dringt wahre Reue dieser Christen sowohl und oft viel besser zum Schöpfer, als wenn die Reue blos aus Furcht der Höllenstrafe bei den Katholiken von ihren Priestern erpreßt wird. Man lasse dem katholischen Pöbel die Ohrenbeicht, weil es einmal heißt, daß die Gewohnheit hie oder dort einige Schamhafte von der Sünde abhält; – doch gehört diese mechanische, diese von der Politik erzwungne Tugend in die Reihe jenes pöbelhaften Verdienstes, das nicht aus freiwilliger Pflicht das Böse unterläßt. Wenn der Priester in der Beicht nicht künstlich in das menschliche Herz zu schleichen weis, wenn er den Grund desselben nicht zu erforschen sucht, wenn er nicht hartnäkkige Laster von Schwachheit, Gleisnerei und Mechanismus von der wahren innigen Zerknirschung des Sünders zu unterscheiden weis, was nüzt denn dem Lasterhaften und dem Schwachen ein solches einförmiges Geschwäz von Zuspruch, das an dem Erstern aus Gewohnheit abglitscht und den Leztern gar nicht rührt? – Ueberhaupt, meine Freundin, ich könnte Dir über diesen Punkt noch vieles sagen, was meinem Verstand unbegreiflich ist, wenn ich nicht dächte, daß dergleichen Spekulationen für andere Köpfe als die unsrigen gemacht sind. – Und nun zu einer Neuigkeit: – Mein lieber Oheim in K*** hat sich entschloßen mich bei einem anverwandten Landgeistlichen zu Besorgung seines Hauswesens unterzubringen. – Eine Aussicht zu deren Ergreifung mich die Nothwendigkeit zwingt, auch weil mir der hiesige Aufenthalt beim [104] jungen B*** täglich saurer gemacht wird. Du weist ja, daß mein Oheim keine eigne Wirthschaft führt, sondern am geistlichen Hofe lebt und mich nicht zu sich nehmen kann. – Von dem Karakter dieses Landgeistlichen weis ich Dir nichts zu sagen, aber so viel weis ich, daß sich mein Oheim sehr lange bedachte, eh er sich entschloß, mich ihm zu übergeben. Er hätte gewis nicht darein gewilligt, wenn ich ihn nicht so dringend um die Abänderung meiner verdrüßlichen Lage gebeten hätte. – Der junge B*** taumelt jezt blind fort in den Armen seiner Buhlerin. Glük der Liebe kann es für diesen Jungen nicht seyn, denn sie stekt sein Herz zur Verderbnis an. Ich bedaure ihn herzlich und wünschte, daß ihn ein würdigeres Geschöpf von dieser garstigen Leidenschaft heilte, die ihm diese künstliche Kokette einzuflößen wußte. Für heute genug des Geschwäzzes; und nun lebe wohl, Beßte, Einzige, Liebe aller Lieben!


Deine Amalie.

45. Brief. An Amalie
XLV. Brief
An Amalie

Liebes, gutes Malchen! – Dein lezter Brief freute mich unendlich, weil er das Gepräge der wieder heranrükkenden Heiterkeit auf deiner Stirne an sich trug. – Deinem Herzen ist Antheil nöthig. Ich fühle es, ich bin es überzeugt, daß Du die ganze Zeit deines Lebens nicht ohne Etwas wirst aushalten können, woran Du Dich nicht in deinen Trübsalen ketten kannst; das ist das Schiksal jedes gefühlvollen Herzens, jedes feurigen Kopfes; sie müßen sich ergießen, sie müßen sich mittheilen können, sonst geräth dieses Herz und dieser Kopf aus Mangel an Mittheilung auf Abwege, die nach dem Gang des Temperaments schon manchmal in gefährliche [105] Leichtgläubigkeit ausarteten. Dein Temperament ist nun eben nicht das glüklichste, es gränzt zu sehr an Schwermuth. Doch laß es gut seyn, meine Freundin, und arbeite ihm wakker entgegen, diesem Feind deiner heitern Stunden. Dein warmes Herz ist ja zu allem Guten offen, und wie unendlich sind diese Gefühle fürs Gute und Schöne in der lieben Natur, die deine Aufmerksamkeit beschäftigen können. Der Denkende hat nie Langeweile; der Denkende fühlt jedes Glük doppelt; der Denkende ist auch einsam zufrieden. – Nur hüte Dich, Dir zum Denken solche Gegenstände zu wählen, die deine Schwermuth reizen und dein Temperament in Gährung bringen. Deine Empfindungen über die Schwermuth sind meisterlich aus deinem Herzen entworfen. Mit Wollust las ich diesen herrlichen Schwung von Einbildungskraft, mit Entzükken wiederholte ich diese Gefühle der innigsten, vertrautesten Freundschaft unter uns, und bedaure die Menschen, denen dieser Vorgeschmak des Himmels nicht zu Theil wird. – Wie ist es möglich, daß man das Wort Freundschaft in der Welt so mishandelt? – Der Schurke, der Heuchler, der Lasterhafte, der Fühllose, der Dumme, der Niederträchtige, Jeder verschwendet dieses heilige Wort so leichtsinnig an den ersten Beßten, der ihm begegnet. Es wird zur gemeinen Waare herabgewürdigt, ein Schleichhandel des Eigennuzzes wird damit getrieben, Betrügereien angesponnen, Gutherzige damit hintergangen, Unschuldige verführt, Weinende auf lügnerische Art getäuscht, und das alles unter der Larve der Freundschaft! – Warum ist doch diese sanfte Leiterin der menschlichen Fehler so selten unter den Menschen? – Fehlt es denn in der Welt so sehr an Gutmüthigen, an Verständigen, an Tugendhaften? – Mich dünkt, der Jüngling ist aus Uebermas seiner zügellosen Leidenschaften nicht so leicht der Freundschaft fähig; wird er zum Mann, dann hält ihn Eigennuz und mürrische Laune [106] davon zurük; wird er zum Greis, o dann ist sein Herz vollends kalt für diese herrlichste der Gaben! – Und bei unserm Geschlecht, da, meine Beßte, sieht es vollends traurig um die Freundschaft aus. Das junge tändelnde Mädchen hascht gieriger nach einem Kopfpuz als nach einer Freundin. Der Neid, die Eitelkeit, die Verläumdungssucht halten frühe schon eine weiche Weiberseele in ihrem Nezze, und erstikken jedes Gefühl für Wohlwollen und Freundschaft, noch ehe der junge Verstand reift. Die meisten Weiber haben ihren angewöhnten Ton unter sich, feiner oder gröber, nach der Art ihrer Erziehung; doch ist es immer der kalte Komplimententon, das abgeschmakte Alltagsgeschwäz, das am Ende doch immer mit Verläumdung aufhört. – So wenig Weiber wissen liebenswürdige Lebhaftigkeit in Gesellschaften ohne Koketterie, Offenherzigkeit ohne Ziererei, Anstand ohne Sprödigkeit, Freimüthigkeit ohne sklavische Furcht anzubringen. Da sizzen sie zusammengeschraubt, an die fade Etikette gebunden, an teuflische Verstellung und Politik gewöhnt, falsch eine gegen die andere, aus Hochmuth, aus Dummheit, oder aus Eifersucht. – Der Mund ist süß, die Komplimenten zierlich und das Herz eiskalt und zurükhaltend. – Würden die Weiber ihrem Leben durch natürlichen, wizzigen, gesellschaftlichen Umgang, mehrere Nahrung geben, so würden beide Geschlechter glüklicher seyn, und die Verläumdung müßte aufhören, wenn man bei den Weibern etwas mehr, etwas besseres, als bloßen Genuß ihres Körpers suchen könnte. – Aber so lange es so wenig unterhaltende Weiber im Umgange giebt, eben so lange wird die Vernünftige an der Seite ihrer Besuche mit all ihrer Unschuld unter die Buhlerinnen gerechnet. – Die meisten zur guten Gesellschaft unfähigen Weiber kennen nur zween Wege im Umgang, den fleischlichen oder den gleichgültigen. Daher kömmt der Unglauben an den reinen Umgang einer vernünftigen Frau [107] mit Männern. – Doch nun wieder zur Freundschaft zurük: – Da nun die Verläumdungssucht den dummen Weibern so sehr anhängt, so sind sie ohne Grundsäzze für Menschenliebe, ohne Standhaftigkeit im Karakter, ohne Gefühl fürs wahre gesellschaftliche Leben; blos Insekten, die sich untereinander vertilgen, so oft sie können, und durchaus mit solchen Denkungsarten zur Freundschaft unfähig. – Die Weiber theilen sich mit ihren Thorheiten und Bosheiten in Klassen ein, und jede Klasse hat ihr Anstößiges, woran die Bande der Freundschaft scheitern. Die Wizzige ist nasenweise und verschließt ihr zu wenig gutes Herz aus Stolz. – Die Eitle opfert der Misgunst ihr Herz für ihre Moden, für ihre Stuzzer; wagt es eine andere in der Gestalt einer reizenden Freundin ihren Neid zu empören, o dann stößt die Eitle den blutigen Dolch der Rache der Freundschaft, die ihr begegnet, tief ins Herz! – Die Geschwäzzige naht sich der Freundschaft mit dem leichtsinnigen Geplauder einer faselnden, unsinnigen Thörin, beschimpft die Tugend der Freundschaft durch niedriges Gassengewäsch... und so wird auch die Geschwäzzige als eine Unwürdige von jedem fühlenden Herzen zurükgestoßen. – Die Fühllose schleppt ihr Maschinenherz in der Welt herum, und wird, von der Freundschaft ungesucht, dem elenden Schlendrian ihres ungeselligen Lebens überlassen. – Die ganz Dumme ist todt für die Natur, todt für die Freundschaft, todt für die Liebe, und ein unerträgliches Unthier, das jede Gesellschaft mit ihrer Dummheit zum Stillschweigen zwingt. – Die Spielerin erstikt durch ihren Eigennuz die wohltätige Freundschaft und sezt ihrer göttlichen Großmuth Geldbegierde entgegen. – Die Kokette misbraucht die arme Freundschaft in lauter Lügen, sie zerfezt sie, und wirft die Theile davon verschwenderisch überall hin, und wird doch am Ende, als eine unwürdige Tochter derselben, aus dem Tempel der Redlichkeit und der Freundschaft [108] verbannt. – Die Buhlerin ist ohnehin schon von der Natur von jedem Genuße des feinen Gefühls ausgeschloßen, und folglich auch von der Freundschaft. – Die Heuchlerin entsezt sich bei den offnen, freien Blikken der Freundschaft und kriecht beschämt zum heimlichen Laster zurük. – Die Andächtlerin ermüdet dieselbe mit ihrer Afterreligion und erhascht zu ihrer Geisel einen skrupulösen Schwarzrok zum Vertrauten ihres Aberglaubens. – Die freudenlose, finstere Hausmutter wagt es auch nicht, sich den Freuden zu nahen, die sie verschafft, und wird von der geselligen Freundschaft zum Umgang ihrer Bosheits-vollen, pöbelhaften Dienstboten verdammt. – Die adeliche Dame versagt dem unadelichen ehrlichen Manne nur zu oft aus Ahnenstolz ihre Freundschaft, und geräth, zur Schande ihrer wenigen Philosophie, aus Langerweile, aus Bedürfniß, in die freundschaftlichen Arme ihres unadelichen Kammerdieners. – Ist es nicht traurig, meine Freundin, daß es unserm Geschlecht so sehr an einer guten, zur Freundschaft fähigen Denkungsart fehlt, die doch das Glük der meisten Weiber machen würde? – Ich staune über mein Geschlecht, bemitleide es, und schweige. Doch nun zur katholischen Beicht: – Der Menschenkenner, der Philosoph im Beichtstuhl ist mir immer verehrungswürdig, aber den übrigen Lastträgern der Bigotterie sollte man dieses Amt durchaus verbieten. Sie machen den gemeinen Mann zum Märtirer seiner Sünden, und haben nicht Kopf genug, das Zutrauen des Denkers zu gewinnen. Warum wählt denn die weltliche Obrigkeit die Mitglieder ihres Gerichts, so viel möglich, aus der aufgeklärten Klasse von Menschen? – Nicht wahr, blos darum, damit keinem Schuldigen zu wenig und keinem Unschuldigen zu viel geschehe? – Eben so gerecht sollte es im Beichtstuhl aussehen. Die Vernunft muß da ohne Vorurtheil mit offnen Augen hinblikken, das Ohr muß mit Weltkenntniß zu unterscheiden wissen, und das [109] weiche Herz des Priesters muß da Mitleid fühlen, wo es selbst vielleicht schon oft mit der nemlichen Schwachheit gefehlt hat. – Nun aber, meine Liebe, will ich abbrechen, mit dem Gefühl der ewigen festen Freundschaft –


Deine Fanny.

46. Brief. An Fanny
XLVI. Brief
An Fanny

Ha! – Meine Freundin! – So ist denn alles Betrug, Heuchelei und Verführung, wo ich nur immer meinen Fußtritt hinsezze! – Der Oheim in K*** rief mich vor kurzem zu sich und übergab mich mit Thränen der Rührung jenem weitschichtigen geistlichen Vetter, wovon ich Dir lezthin sprach. Du hättest sie hören sollen, die seelendringende Moral, mit der mich mein Oheim diesem schwarzrökkichten Heuchler empfahl. – »Sie kennen meine Lage, sagte er zu ihm; Sie wissen, daß ich dieses Mädchen nicht bei mir behalten kann, handeln Sie großmüthig, handeln Sie edel an ihr, sie ist eine Waise, und in den Jahren, wo sie Schuz, wo sie Hülfe benöthigt ist. – Die Rechtschaffenheit dieses Mädchens sey Ihnen heilig! Sie ist lebhaft, aber hat dabei ein gutes Herz. – Rein und unverdorben ist ihr Karakter, er theilt sich mit vollem Zutrauen Andern mit. – Sie hat Vernunft, aber nicht hinlängliche Menschenkenntnis. Sie ist gerade in den Jahren, wo jeder Trieb in ihr zum Kampf und jede Leidenschaft zur Gefahr wird.« – So dringend sprach dieser Edle dem Verführer ins Herz. – Endlich reiste ich in seiner Gesellschaft ab. – Die Reise gieng nach einem benachbarten gräflichen Hofe, wo eben dieser Geistliche noch zuvor den [110] Grafen, seinen Freund, besuchen wollte. Arglos, voll Zutrauen saß ich neben ihm im Wagen, dachte an nichts, als an meinen zurükgelaßenen Oheim. – Der Stern, den dieser Elende auf der Brust trug, glänzte mächtig, aber um destoweniger das Herz, das darunter schlug. Seine prächtige Equipage, die vielen Bedienten, die auf jeden Wink von mir lauerten, um ihn zu erfüllen, kurz der große Ton, auf den wir reisten, gefiel meiner Eitelkeit unbeschreiblich, bis mir endlich auf einmal die schleichenden Gefälligkeiten dieses Weichlings verdächtig wurden. Ich hätte eher die Welt verwettet, als von so einem Manne Absichten auf mich armes verlaßenes Ding vermuthet. Und doch, meine Fanny, fiel es diesem Verworfnen ein, mich mit Reden zu ängstigen, die mir die ganze Abscheulichkeit seiner Seele verriethen. Gott! – Was werden das für Tage werden, in der Gewalt eines solchen Weichlings! – Zwar ist mir mein freier Wille und mein Abscheu fürs Laster Bürge für jeden Fehltritt, wenn derselbe auch zu unverschämt dringend würde. Ein Mädchen, das Ehrengefühl und Kopf hat, läuft wohl Gefahr geplagt, aber nicht so leicht überrascht zu werden. Doch weiter: Wir blieben also etliche Wochen an obbemeldtem Hofe. Die Tage, die ich daselbst verlebte, waren mir zur Last. Ich sahe da die Falschheit mit Schmeicheleien, mit Büklingen und mit Küßen verschwistert; ich sahe die Lüge im goldenen Kleide prangen; ich sahe Wollust, Hartherzigkeit, Eigennuz, Betrug, Heuchelei vom Morgen bis in die späte Nacht in voller Bewegung. Dummheit, Neid, Thorheit, Verläumdung wurden in das Gewand des Wizzes gehüllt. Redlichkeit, Gefühl, Menschenliebe hatte der Ueberfluß sogar aus dem Herzen des untersten Küchenjungen verjagt. Diese Höflinge schwelgten wie unsinnig im Laster und waren unter einander so wenig vertraut, daß sich Einer vor dem Betrug des Andern fürchtete. Du kannst Dir leicht denken, was bei diesem [111] Gaukelspiel das arme simple Naturmädchen für eine alberne Rolle spielte. Man gaffte mich an, ich machte es wieder so, man lachte, ich weinte, und als man mich um die Ursache fragte, war meine Antwort, in meinem Lande wäre es gebräuchlich, die Verrükten aus Mitleid zu beweinen: – und doch küßte man mir für diese aufrichtige Grobheit die Hand. – Diese Begegnung gab mir Muth bei jedem andern lächerlichen Anlaß ohne Herzdrükken zu räsonniren. – Es geschah rundweg, schweizerisch, wie ich mir es dachte. – Einige Zofen rümpften zwar bisweilen die Nase darüber, aber die Männer hielten mich dafür ziemlich schadlos. Es ist doch immer wahr, daß es leichter ist mit Männern fortzukommen als mit Weibern, besonders wenn die leztern einmal anfangen ins Antike zu gehen, dann mischt sich die Schlange Eifersucht gleich ins Spiel. Auf einmal hatte nun dieser Hofbesuch ein Ende und wir reiseten der Pfarrei zu. Der Ort besteht aus einem großen Schloß, das Dorf ist eine halbe Stunde weit davon entfernt. – Diese Pfarrei hat sieben Kirchen unter sich, ist groß, und ihre Einkünften beträchtlich. Sieben Kapläne sind zur Besorgung der Pfarrei bezahlt. – Sie halten sich im Schloß auf, speisen mit uns und verfaullenzen ihre übrigen Stunden auf ihren einsamen Zimmern. Ich kann Dir die wenige Lebensart und den Mangel an Aufklärung dieser Klözze nicht hinlänglich beschreiben. Ihr Verstand ist verwildert, ihre Sitten sind pöbelhaft, ihre Andacht maschinenmäßig und ihr Umgang bis zum Entsezzen roh und bäurisch. Es scheint sogar, daß sie ihr Bischen auf den Schulen gelernten Studentenwiz vergessen haben, denn sie reden die ganze Tischzeit entweder gar nichts, oder doch alles mit einem solchen gravitätischen Tone, den sie sich gewis bei den Bauren müßen angewöhnt haben. Wenn mir so von ungefähr die Namen Gellert, Geßner u.s.w. entwischen, o dann rasen diese Bigotten vollends und nennen mich öffentlich [112] einen Freigeist. Ich habe die Wuth des Despotismus nirgends fürchterlicher gefunden, als sie hier in B** unter diesen Söhnen der Dummheit herrscht. Menschenscheu, ungesellig, mürrisch leben sie, alle von einander entfernt. – Einer von diesen Kaplänen ist dem Geize bis zum Entsezzen ergeben. Er verbirgt sein zusammengescharrtes Geld in alte Scherben von zerbrochnen Krügen, er trägt, so wie unsere Bedienten sagen, bei der Sommerhizze kein Hemde, um die Wäsche zu ersparen, und läuft im bloßen Schlafrok im Zimmer herum. Er rafft auf der Straße die kleinsten Stükchen Papier zusammen und schreibt seine Predigten darauf; – brennt kein Licht und hört fleißig Beicht, weil sie hier in B** bezahlt wird. – Er hält sich eine alte Rosinante von Pferd, um beim schlimmen Wetter auf die Pfarre und beim guten Wetter zu den Bäurinnen auf die Sammlung zu reiten. Sein Anzug besteht aus einem uralten Kapotrokke, aus einem schmuzzigen Häubchen, aus dem man Oehl sieden könnte, aus selbstgeflikten Schuhen, die Peitsche in der Hand und den Sporn im Kopf, macht er manchen solchen Ritt, und kömmt nie ohne Beute zurük. – Ich erstaunte, als ich diese Priester sahe, die unmöglich zur Ehrfurcht reizen können. Sie haben lezthin über mich und meine kleinen Spöttereien meinem Vetter, dem Pfarrer, heimlich in die Ohren geflüstert, als stünde ich mit meiner Lebhaftigkeit auf dem geraden Weg zur Hölle. – Wunderlich! – Als ob die Tugend nirgends, als in einem geschraubten Wesen stekken könnte. – Ich habe sie alle zusammen bei Tische für diesen Einfall büßen gemacht, ich nekte sie dafür, bis ich satt war, die Herren in Harnisch kamen, mürrisch aufstanden und brummend meine Gesellschaft verließen. – So einsam dieser Ort ist, so unterhält mich doch die drolligte Karakteristik dieser Herren mit Herzenslust. So viel also, [113] meine Liebe, für heute. Lebe wohl, und erinnere Dich deiner beßten


Amalie.

47. Brief. An Fanny
XLVII. Brief
An Fanny

Du mußt gewis auf deinem Landgut seyn, meine Freundin, daß Du mir meinen lezten Brief so lange unbeantwortet läßest; oder es halten Dich vielleicht deine vielen Geschäften ab. – Bei mir ist es nun ganz anders, ich habe dann und wann ein müßiges Stündchen, das ich Dir schenken kann, und meine Leidenschaften haben in meiner Seele nicht allein Plaz, sie müßen sich ergießen können. Wirklich liefert mir mein Schiksal hinlänglichen Stoff, um täglich davon schreiben zu können. Stell Dir vor, unsere Haushälterin bekam aus Eifersucht auf einmal den Raps, davon zu laufen. Nun so muß mich denn der Neid immer und ewig verfolgen? – Ich habe diesem Geschöpf nichts zu Leide gethan; es müßen Heimlichkeiten dahinter stekken, sonst hätte sie nicht den Muth gehabt, mich, als Anverwandte, um kleine Vorzüge zu beneiden, die mir der Herr des Hauses einräumte. Ich habe nun um ein anderes Mädchen geschrieben, der dieser Dienst sehr willkommen seyn wird. Es wird mir in jedem Betracht sehr lieb seyn, wenn diese neue Haushälterin bald eintrift. – Denn der Herr Pfarrer, mein Vetter, wird täglich stürmischer gegen mich, und sein Betragen schmerzt mich um so mehr, weil es das Zutrauen meines Oheims hintergeht. Ich wage es nicht, diesem Wohlthäter etwas von den zügellosen Absichten dieses Mannes zu melden, es möchte ihn zu sehr schmerzen. Ich studiere Tag und Nacht, um diesem Verführer mit Vernunft auszuweichen. Meine hülflose Lage, [114] entfernt von meinem Oheim, fodert durchaus eine gemäßigte Sprödigkeit und doch die strengste Rechtschaffenheit, wenn er es zu weit triebe. Unglük macht den Menschen überlegen, und nöthigt ihn zu handeln, wie es die Klugheit fodert. Leib und Seele zittern mir oft, wenn er mich zur Ausrede umsonst und um nichts auf sein Zimmer rufen läßt. Ich habe immer, eh ich dahin komme, eine Treppe zu steigen, auf welcher ein Kruzifix steht. Die Gefahr des drohenden Fehltritts empört sich in mir bei dem Anblikke dieses Bildes unsers Erlösers. – Mein unverdorbnes Herz wallt der religiösesten Empfindung entgegen, und noch immer flehte ich knieend vor diesem Bild um Muth, um Standhaftigkeit in diesen Versuchungen. Schamhaftigkeit und Ehrengefühl haben mich bis jezt noch nie verlassen, und ich kann es nicht begreifen, warum just ich, ohne schön zu seyn, doch die Sinnen reizen muß? – Just ich, muß durch solche Gefahren laufen, da mir die Natur reizbare Nerven und ein fühlendes Herz in den Busen gab. – Doch ist wahrlich der Kampf eines jungen Mädchens, die ihr Herz frei hat, kein so großer Triumph, wie ihn die Romanendichter schildern, denn der Widerstand gegen einen Ungeliebten streitet mit keiner Neigung, und die Verachtung gegen den Verführer erwekt in dem Mädchen hinlänglichen Ekkel, der es zu jenem halsstarrigen Eigensinn der Widerspenstigkeit bringt, den ein solches Mädchen mehr der Disharmonie der Gemüther als der Tugend zu verdanken hat. – Meine Sinnen habe ich so ziemlich durchs Denken in Ordnung gebracht, und wenn mich Liebe einstens nicht überrascht, dann glaube ich schwerlich, daß es andere Wege dahin bringen werden. Es ist übrigens ein trauriges Schiksal um dasjenige eines Mädchens, der die Natur keine Glüksgüter zuwarf. Armuth ist fast immer das Grab der Unschuld, und ein armes Mädchen muß äußerst aufmerksam die lokkenden Wünsche zum [115] Wohlleben aus ihrem Herzen zu verbannen suchen, wenn ihre Enthaltsamkeit nicht wanken soll. Gestern erhielt ich einen Brief von meiner lieben Schwester: Der Vormund hat sie ins Kloster gestekt, wo sie zwar ordentlich bedient wird, aber wenig Hoffnung zur Bildung ihres Geistes haben kann. Sie beschreibt mir mit sehr naiven Zügen die steife Erziehungsart der Nonnen, und bittet, ich möchte sie so bald als möglich aus diesem Hause der Sklaverei erretten. Bitter nagt der Gedanke der Unmöglichkeit an meinem Herzen. Mit der feurigsten Wollust würde ich es thun, wenn es in meiner Gewalt stünde. Wenn ich mich je einstens zu einer Heirath entschließe, geschieht es blos um den Schuz dieses Mädchens auszumachen. Nun, meine Beßte, schreibe mir bald, deine Briefe sind für mich alles, was man Entzükken in den Stunden der trüben Einsamkeit nennt. – Lebe wohl bis dorthin! Das wünscht Dir dein trautes


Malchen.

48. Brief. An Amalie
XLVIII. Brief
An Amalie

Schon wieder, meine gütige, nachsichtsvolle Freundin, lies ich zween Briefe von Dir zusammenkommen; aber da Du meine Familiengeschäften kennst, so wirst Du mir es gewis nicht übel deuten. Dein Schiksal, liebes Malchen, haßt Dich entsezlich, daß Du immerfort auf unrechte Menschen stößest, gerade als ob alle blos auf Dich lauerten, nur um Dich zu kränken und zu martern. – Du hast Dich indessen unverbeßerlich in einer Lage gezeigt, wo jedes Mädchen vielleicht gestrauchelt hätte. Bleib standhaft, meine Freundin, der Tag der Rettung ist vielleicht nicht mehr ferne. – Mit Abscheu durchdrang mich die Schilderung jenes Mannes, [116] der deinem Oheim hoch und theuer versprach Vaterstelle an Dir zu vertretten; – jenes Mannes, der mit der heiligsten Würde seine Begierden nicht zu bemeistern weis; jenes Mannes, der mit seinem grauen Kopfe auch graue Leidenschaften in sich nährt. Glaube mir, meine Liebe, wenn sich die katholischen Geistlichen begatten dürften, so geriethen sie auch minder auf Abwege. Die Natur ist eine mächtige Bestürmerin des menschlichen Herzens und wenig Menschen sind ihrer Triebe mächtig. Ich begreife nicht, warum man in dem Menschen durch Gesezze Empfindungen erstikken will, die dem Schöpfer und seiner Macht Ehre machen. Der Mensch ist ein Thier, dessen Willen der Vernunft untergeordnet ist, er hat durch diesen Willen seine thierischen Triebe einzuschränken, zu verfeinern gelernt, aber aus dem Körper ganz vertilgt sind sie darum nicht, diese Triebe der schwachen Menschheit; – und eben darum verdienen die Menschen, die man zwingt den Keim der gährenden Menschheit zu unterdrükken, mein wahrhaftes Mitleid. – Nur müßen Geistliche von gewißem Alter, wie dein Verführer ist, nicht darunter gerechnet werden, denn da sind es nicht mehr Wallungen der hinreißenden Jugend, es sind Ueberbleibsel der sich angewöhnten Wollust. – Du hast vollkommen Recht, Dich so gegen diesen Mann zu betragen, wie es deine Grundsäzze erlauben. – Die Tugend verdient erst alsdann eine Krone, wenn sie von der Vernunft einen strengen und wichtigen Sieg erhält. Die Beschreibung deines Hoflebens war lebhaft. Am Hofe findet man freilich das meiste Verderbnis. – Häufig eilen da die Herzen der Fäulnis zu, die Vernunft wird durch das Geräusch verjagt, die Ueberlegung vom Taumel übertäubt, und die Sitten durch das Beispiel vergiftet. Kaltblütig lernen da die Menschen lügen, der Leichtsinn ist die herrschende Triebfeder, Galanterie die Sprache der Gewohnheit, und so weicht das Menschengefühl [117] für Wohlwollen und Tugend aus dem Herzen eines Höflings. Mistrauen wird einem jeden Höfling zur Regel, weil er selbst schwarze Falschheit im Busen trägt, und eben darum fürchtet er diese Falschheit mit so vieler Ueberzeugung an Andern. Wenn dann unter diese Menschen hinein ein unverdorbnes Herz geräth, so wird es von ihnen gleich einem Fremdlinge betrachtet. Die Weiber buhlen bei Hofe bis es ihnen die Natur versagt, und die Männer werden durch frühe Ausschweifungen zu jungen Greisen. Doch weiter zu deinen poßierlichen Kaplänen. – Nimmermehr hätte ich mir in einem Winkel der Erde solche Originale geträumt. Ist es möglich, daß man sie duldet, ist es möglich, daß das Vorurtheil noch so in voller Stärke da thront? – Diese Menschen müßen gar nicht denken, sonst würde sie die Natur selbst der Aufklärung etwas näher bringen. Ich bilde mir ein, daß diese Geschöpfe ihre Stunden so gleichgültig wegschlummern, so lange sich die Maschine, in der sie stekken, fortwälzt. Unwissenheit ist ihnen zu vergeben, denn es ist Mangel an Erziehung, an Einsicht; aber Eigensinn, Verdammungsgeist, Theologenwuth, ist sträflich, ist Meineid an der Natur, die alle Menschen von jeder Religion zum ewigen Frieden schuf. – Der Mensch kömmt unwillkührlich zur Welt, der Mensch wird in der Folge das, was seine Eltern aus ihm ziehen; und wer wollte es da wagen, dem Unschuldigen die Belohnung abzustreiten, die ihm von der Vorsicht in seiner Religion geöffnet wurde? – Wozu denn Eigensinn und Zänkereien in der Religion, wenn es dem mächtigen Richter im Himmel selbst gefiel, mich in dieser oder jener Religion geboren werden zu lassen? – Das Kind in Mutterleib ist das Werk der Allmacht; seine Geburt macht es zum Menschen, die Erziehung zum Christen, und die gute Ausübung seiner Pflichten zum Seligen. Man lasse jedem, was ihm zur Beruhigung dient, und zanke sich [118] nicht blos untereinander, um den gegenseitigen Hochmuth zu empören. Die Religion braucht keine Vertheidiger, sie vertheidigt sich in ihren wichtigsten Punkten selbst. – Jeder Schulfuchs glaubt sich an Dinge wagen zu dürfen, die blos dem Vernünftigen, dem Hellsehenden zur Entscheidung überlassen werden müßen. Die Kopfrebellion ist die gefährlichste, weil die Dummheit am meisten in den Köpfen stekt. Duldung für Alle ruft uns der Schöpfer zu, und wer seine Stimme überhört, sündigt gegen die Rechte der Religion und Menschheit. Der Kern der Moral ist einfach, ein jeder genieße ihn nach seiner Weise. Der Willen steigt zum Ewigen, das Uebrige ist das Werk der unruhigen Köpfe. Und nun auch noch ein Wörtchen von deinem geizigen Kaplan. – Ich habe mich über diese Schilderung fast krank gelacht. Daß doch die Leidenschaften überall ihren Wohnsiz haben! – So ein Mann hat ja sein Auskommen, warum wagt er es, sich und seine Würde durch Geiz zu erniedrigen? Was sagt denn der Pfarrer zu dieser Aufführung? – Oder ist es vielleicht schon so stark zur Gewohnheit geworden, daß man diese Unanständigkeiten gar nicht mehr ahndet? – Ueble Gewohnheiten fassen tiefe Wurzeln, die der Wohlstand nicht so leicht mehr ausrottet, wenn sie verjährt sind. – Spare übrigens deinen Wiz nicht gegen solche Menschen; vielleicht läßt sich einst noch ein Schein von Empfindung blikken. – Was Du mir nach der Hand von der Eifersucht der Haushälterin erzählst, ist mir nicht unbegreiflich, ich kenne dieses Ungeheuer, das immer tief in dem Herzen der Weiber wohnt. Wenn die neue Haushälterin eintrift, so gieb Acht, sie ist gewis kaum warm, so wirds das Nemliche seyn. Schone deinen Oheim noch mit der Nachricht von den Verfolgungen, die Du duldest, es ist noch Zeit genug, ihm Kummer zu machen, wenn Dir sonst keine Rettung mehr übrig bleibt. – Zum Beschluß eine feste Umarmung, und gute Nacht!


Fanny. [119]

49. Brief. An Fanny
XLIX. Brief
An Fanny

Drei volle Monate schrieb ich Dir nicht, weil mich seither die Schwermuth, die Verwirrung meines Schiksals davon abhielt. Dafür sage ich Dir aber auch heute sehr vieles. – Erstens hat deine Prophezeihung bei der Haushälterin eingetroffen. Der Anlaß zu dieser Frechheit liegt in einem Geheimnis, das Du leicht errathen kannst. Wenn die Herren ihre Untergebenen zu Vertrauten machen, denn ist es immer schlimm in einem solchen Hause zu wohnen. Ich habe dieses Mädchen aus dem Staub des Elendes gezogen, ich habe ihr Brod verschafft, und nun ist sie samt dem Pfarrer meine erklärte Feindin. Wo des erstern Verfolgung herrührt, weißt Du schon lange, und die Feindschaft der leztern liegt in der Herrschsucht, im Eigennuz, in der weiblichen Eitelkeit. Sie arbeitet mit aller Macht ihrer Reize wider mich. Was nun der fühllose, unmoralische Pfarrer weiter aus mir machen wird, weis ich nicht. – Wir haben jezt eine Menge Gäste in unserm Hause, worunter sich auch der junge Vetter B*** befindet. Seine Donna hat ihn betrogen, beschimpft und verlassen. Das ist so das gewöhnliche Ende von unvorsichtigen Liebeshändeln. Die übrigen Gäste bestehen aus einer adelichen Familie von M***, die hier der freien Landluft genießen. – Mann, Frau und Stieftochter des erstern. Der Vater ist ein ausschweifender Mann, der sein liebes Stieftöchterchen zur Verzweiflung der Mutter mit schändlichen Absichten verfolgt. – Die Mutter ist ein Weib in ihren beßten Jahren, voll Gefühl und Menschenliebe; das Fräulein ein junges vortrefliches Mädchen und ganz das Ebenbild ihrer Mutter. Der junge schöne Vetter B***, die Einsamkeit auf [120] dem Lande, die schwärmerischen Bücher, das einfache Landleben, das wallende Blut eines feurigen Mädchens, rissen diese liebenswürdige Unschuld bald zu den Gefühlen hin, die dem Vetter B*** und ihrer Mutter sehr willkommen waren, aber um desto wüthender raste im Stillen der Stiefvater darüber. Der Umgang wurde nun diesen beiden jungen Leuten von demselben untersagt, die Leidenschaften bäumten sich um desto heftiger, und jezt sah man sich heimlich, aber desto öfter. Diese durch einander geflochtene Intrigue von Eifersucht und Liebe, von Stolz und gährenden Leidenschaften, bringt manchen bittern Streit unter dieser Familie hervor. Der Vater widerspricht, die Mutter widerspricht, und die Tochter kämpft fürchterlich mit dem Gefühl der Liebe und des Gehorsams. Das Mädchen ist mir in die Seele gewachsen, wir schlafen beide in einem Zimmer. Sie weint ganze Nächte durch, die arme Gekränkte. Ihr Zustand wirkt auf den meinigen, die Leiden des Unglüks sind für mein wundes Herz anstekkend, und wir beide sind durch die Bande der theilnehmenden Freundschaft unzertrennlich aneinander gekettet. Sie ist nun freilich als ein Stadtfräulein eitler als ich, aber unsere Seelen harmoniren durch gleiche Grundsäzze. Und dann hängt die Arme, wie eine eigensinnige Klette, immer an meinem Halse, wenn es ihr nicht gegönnt ist, den jungen B*** zu sehen. Die liebe Schwärmerin sagt, ich wäre sein Bäschen, und sie glaubte an meinem Busen sein Herz schlagen zu hören. Die Mutter ist ganz die Vertraute dieser Leidenschaft, und wünscht dem jungen Vetter B*** bald eine gute Versorgung, um das Glük ihrer Tochter zu machen. – Das Mädchen und der junge Mann sehen hoffnungslos einer finstern Zukunft entgegen, und doch fühlen sie sich zu ohnmächtig, ihre schröklich herrschenden Leidenschaften zu unterdrükken! Ich bin trostlos für meine Freundin, ich leide mit ihr! – Sie nährt in ihrem Busen eine zehrende Schwermuth, und das Mitleid ihrer [121] Mutter brachte sie auf den Einfall, mich zur tröstenden Gesellschaft auf einige Zeit vom Pfarrer auszubitten. Noch hat er ihr es nicht zugesagt. Wenn es diese Dame dahinbringt, so warten auf mich in der großen lebhaften Stadt M*** einige Tage Erholung für ein Jahr voll ausgestandner Leiden. – Schon vor einigen Wochen drang der eifersüchtige Vater meiner Freundin auf die Abreise, aber die vernünftige Gattin wußte es mit Anstand zu verhindern, denn seither ist sie noch immer mit Entwürfen beschäftigt, die jungen Leute zu verbinden und ihre Tochter den Augen des sträflichen Stiefvaters zu entziehen. – Eben dieser Mann ist gar mein Freund nicht, weil ihn das Vertrauen seiner Tochter zu mir ärgert. – Er blikt mit einem gewissen kalten Stolz auf mich herab. Er ist der Busenfreund des Pfarrers, weil gleiche Grundsäzze, gleiche Laster die Harmonie ihres Umgangs befestigen. Man begegnet mir in diesem Hause jezt schröklich erniedrigend; es scheint, als ob man mir mit jedem Blik die wenigen Wohlthaten vorwerfen wollte, die man mich so aus ungefährer Barmherzigkeit genießen läßt. – So ist denn überall die Tugend den wüthenden Fußtritten des Lasters ausgesezt! – Wird sie denn so fortdauern diese feste, aneinanderhängende Kette von unendlichen Verfolgungen? – Bei Gott! – Es ist unbegreiflich, daß ich rastlos und ohne Aufhören, wo ich nur hinkomme, Menschen finde, die mich durch und durch peinigen und verfolgen! Dieses hartnäkkige, unleidentliche Schiksal muß mit mir zur Welt gekommen seyn, sonst könnte es mich nicht so gräßlich anhaltend verfolgen! Manchem würden diese schnell aufeinander folgende Unglüksfälle unbegreiflich scheinen, und doch sind es lautere, reine Wahrheiten. Wer kann in das unendliche Kaos der Schiksale hineindringen? – Wer kann es fassen, daß eine Waise von der ganzen Natur gehaßt wird? – Wem wird es glaublich scheinen, daß die Jugend eines elternlosen Mädchens der Tirann [122] ihrer Ruhe ist? – Will so ein Mädchen der Stimme ihrer rechtschaffenen Erziehung folgen, will sie, ohne ins Abentheuerliche zu verfallen, ihr Herz rein behalten, was für Stürmen ist sie da nicht ausgesezt? – Es giebt ja der Niederträchtigen so viele, die auf die Verfolgung einer schwachen, wehrlosen Waise ein Recht der Unverschämtheit zu haben glauben. – Die Menschen sind fast alle verdorben, und nach dem Sturze desjenigen lüstern, der sich durch seine Unschuld auszeichnet. Wenn der ewige Vater nicht über mich wacht, so weis der Himmel was in der Zukunft noch aus mir wird. – Wer bürgt mir für Standhaftigkeit in gränzenlosen Verfolgungen, in unbeschreiblichen Lagen? – Romanenheldinnen doch nicht? – Die Menschheit bleibt Menschheit, und der Gebeugte unterliegt oft da am ersten, wo er sich sicher glaubt. Ich habe bisher alle Gründe der Moral streng zu meiner Beruhigung hervorgesucht, ich habe mich fest an sie gekettet, ich habe jede Lage wohl überdacht; aber wer steht mir bei drohendem Mangel für die Zukunft? – Mein Oheim ist gütig, aber nicht reich; meine Schwester lebt von meinen Zinsen, die gerade für sie hinlänglich sind; durch Händearbeit zu leben, dazu brauchts Ueberlegung, Geld um sich dazu einzurichten, und hinlängliche Kunst sich mit Prahlerei zu empfehlen. Du kennst meine Schüchternheit, Freundin, besonders da sich bei so einem Gewerbe eine gewisse Art Schamhaftigkeit bei mir einschleicht. Ich bin nicht dazu geboren; nur das Schiksal würde mich dazu erniedrigen. Zwar tausendmal beßer als lasterhaft werden, aber doch immer ein schwerer Kampf für die Eitelkeit eines Mädchens von gutem Hause. Wahrlich, meine Theure, ich würde noch einen solchen Brief anfüllen, wenn ich Dir die Gedanken über mein künftiges Schiksal ganz hersagen sollte, wie sie in meinem Kopf herumirren. Nahrungssorge ist eine schrökliche Sache für ein denkendes Mädchen! Du wirst so gut seyn und mir nicht eher schreiben, [123] als bis Du wieder einen Brief von mir erhältst. Ich möchte etwa während dieser Zeit abreisen und der Brief in unrechte Hände kommen. Lebe wohl!

Deine Amalie.

50. Brief. An Fanny
L. Brief
An Fanny

Wie wirst Du aufspringen vor Wuth, meine Fanny! wenn Du hören wirst, was seither mir begegnete! – Die unbarmherzigste, gräßlichste Handlung ist nun an mir vollendet! – Von jenem geistlichen Vetter vollendet, der mich aus Rache verstoßen, hülflos, ohne Geld, der Verführung, dem Elend und der großen Welt Preis gab! – Schröklich wird der Richter einst von ihm Rechenschaft fodern für eine junge Seele, die er auf eine so niederträchtige, schlechte Art in die Welt hineinstieß. – Die Verzweiflung mag nun aus mir machen, was sie will, so geht es auf Rechnung dieses Ungeheuers, der mich gewissenlos und heuchlerisch von sich entfernte. Er hat die Pflichten der Menschheit leichtsinnig zerrißen, er ist meineidig geworden an meinem Oheim, er hat an Gott und an mir ein Verbrechen begangen, das man nur bei Barbaren und nicht unter gesalbten Christen suchen würde. Sein Groll, die Anstiftung seiner Haushälterin, die gute Gelegenheit mich mit einer schiklichen Ausrede vom Halse zu bringen, alles half dazu, seine giftigen Anschläge zu erfüllen. – Sie waren gut ausgesonnen, diese Schlingen der überdachten Bosheit. Man lies mich ruhig und ohne daß ich je diese Falschheit hätte merken können, mit der Dame und ihrer Familie nach M*** abreisen. Wir alle argwohnten nichts, saßen zufrieden beisammen im Wagen, und vollendeten in zween Tagen unsere kleine Reise. [124] Ein feiler Schurke von Bedienten wurde mir unter dem Vorwand, daß er mich bedienen sollte, mitgegeben. Kaum waren wir in M***, als dieser Bote des Lasters mir ein Billet folgenden Innhalts von seinem Herrn zustellte:


»Madememoiselle! Sie haben sich durch ihre wenige Verträglichkeit ihres hiesigen Aufenthaltes unwürdig gemacht. Wenn man nicht viel Vermögen hat, muß man sich in alle Menschen schikken können. Schreiben Sie sich nun alle Folgen selbst zu. Sie sind jung, schön, gesund und wizzig; suchen Sie nun ihr Glük in der großen Welt. – Das Versprechen, das ich Ihrem Oheim that, war willkührlich, und folglich in meiner Gewalt es aufzuheben. Wenn Sie Ihren eignen Vortheil verstehen, so werden Sie in dem Hause Ihres jezzigen Aufenthalts so lange schweigen, bis sich Ihnen einige Aussichten öffnen, damit Sie nicht zu frühzeitig das Recht der Gastfreiheit verscherzen. Der Bediente hat Ordre unter einem politischen Vorwand zurükzukehren, und von ihm werden Sie auch ihre wenigen Kleidungsstükke zu Ihrem Gebrauche erhalten. Ich wünsche, daß Ihr Köpfchen geschmeidiger werde, und mehr können Sie doch wahrhaftig nicht von mir fordern.«


Ihr ergebner Diener

******


Ha! – Fanny! – Ich glaubte zu versinken, als ich diese Beweise der marmorherzigen Grausamkeit las! – Ich warf mich wie unsinnig aufs Bett! – Ich fühlte die Trostlosigkeit eines Fremdlings, der, wie ein überflüßiges Mitglied, von keinem Menschen geschäzt und geliebt, freudenlos in der Natur herumwandelt! Meine Börse war so schlecht bestellt, daß sie mir für keinen Monat Unterhalt bürgte. Unentschloßen der Dame vom Haus etwas zu entdekken, mistrauisch gegen ihren Mann, niedergebeugt und schüchtern gegen [125] das junge Fräulein, verlebte ich zween schrökliche Tage. – Meine Schwermuth lag mit hellen Zügen auf meiner Stirne; Thränen glänzten in meinen Augen, so oft man mich um die Ursache dieser Schwermuth fragte. Die Verstellung, die Unterdrükkung meines Kummers preßte meine Seele zusammen, mein Kampf machte Aufsehen, und die Dame drang in mich. – Antworten konnte ich durchaus von Anfang nicht, denn die Wehmuth erstikte mich beinahe. Ich gab ihr das empfangene Billet und harrte zitternd auf ihren Entschluß. Zu allem Glük beruhigte mich diese Menschenfreundin so gut sie konnte. Nur sagte sie mir, daß dieser Vorfall ihrem Gemahl noch ein Geheimnis bleiben müßte, bis sie die Entscheidung meines Schiksals von meinem Oheim, dem sie den ganzen Vorfall berichten wollte, erhielte. – Das Fräulein, die bei dieser Unterredung zugegen war, braußte feurig auf über die schlechte Behandlung eines Verwandten, eines Geistlichen. Mit dem heftigsten Feuer der beleidigten Freundschaft eilte sie zur Feder, und schrieb diesem Unmenschen einen sehr beissenden, empfindlichen Brief. – Sie lies ihn alle die Verachtung fühlen, die er verdiente. So harre ich ungewis und bange, bis zu ferneren Nachrichten von meinem Oheim. Gewis, meine Liebe, nichts ist quälender, als wenn man es weis, wenn man es fühlt, daß man der Menschenhülfe bedarf. Ich saß oft mit marternder Furcht bei Tische, wagte es kaum, das Bischen Gastfreiheit zu genießen, weil ich alle Minuten ahndete, daß der Herr des Hauses meine Lage erfahren und mich für einen überflüßigen Gast ansehen könnte. Er war ohnehin kalt und mürrisch gegen mich, und das bloße Wiedervergeltungsrecht für die bei dem Pfarrer genoßenen Höflichkeiten hielten diesen Mann noch in den Schranken des Wohlstandes. Auf diese Art, meine Freundin, ist deine arme Amalie für diesmal in den Händen des Ungefährs. Ob es mich nun in Abgrund hinschleudert oder[126] nicht..... das sollst Du bald hören von deiner unglüklichen


Amalie.

51. Brief. An Amalie
LI. Brief
An Amalie

Ich würde lügen, meine Theure, wenn ich diese schändliche Entehrung der Menschheit kaltblütig übergehen könnte! Ha! – Religion! – Ha! – Tugend! – Ha! – Menschlichkeit! – Was ist aus euch geworden? – So seyd ihr denn von einem Strafbaren auf einmal heruntergewürdigt, der nicht einmal den Schein seiner Würde zu behaupten wußte. So hat er es denn ohne Bedenken gewagt, dieser Elende, deine Jugend, deine Schwachheit dem Laster und seinen Lokkungen entgegen zu stoßen? – Mir steht vor Kummer der Verstand stille, wenn ich das Getümmel der großen Welt überdenke, dem er Dich ohne Rüksicht, ohne Mitleid, ohne Gewissensangst, ohne Vorwurf blosgab! – Mit Abscheu ist meine Seele für so ein Andenken angefüllt! – Und ein Priester wagte es, die Unschuld den Verführungen des Lasters zu opfern? – Wo soll die Tugend Trost finden, wenn er ihr von den Dienern der himmlischen Moral versagt wird? – Ist so ein Aergerniß nicht tausendmal mehr Sünde, als das strafbarste Laster, das doch wenigstens vor den Augen der Welt verborgen bleibt! Wenn Nächstenliebe in so einem Mann ihren Wohnsiz nicht hat, wo soll man sie denn finden? – So hat denn die Unschuld keinen Retter, die Tugend und Menschheit keine Stimme mehr? – Kein Vieh läßt sein Junges verhungern, und Menschen begegnen sich einander so fühllos? – Menschen, die durch die Vernunft ihre Pflichten kennen, mit dem Mund vor den Augen Gottes Wahrheit schwören, und dabei eine garstige, rachsüchtige [127] Seele im Busen tragen! – Ich bin hingerißen vom Gefühl der äußersten Traurigkeit, über die Bosheit, die in dem Herzen der Menschen sich heimlich einnistet. Es ist ein trostloser Gedanke für den Guten, wenn er seinen Nebenmenschen bis in Staub der Niederträchtigkeit gesunken neben sich erblikt. In welchem Sturm der zerrütteten Leidenschaften mag dieser harte Mann wohl das für dich drükkende Billet geschrieben haben? – Verblendung für jene Dirne muß ihn hingerißen haben, sonst wäre es unmöglich, daß er mit einem Herzen im Leibe so hätte gegen Dich handeln können. Ich will Dir gerne glauben, meine Inniggeliebte, daß Dir dieser lezte unvermuthete Streich des gebrandmarkten Zutrauens bis in die Seele stürmte! – Nichts ist gräßlicher, als auf unsere Unkosten das Lasterhafte zu entdekken, wo ein geheiligtes Ansehen uns für das Gegentheil bürgte. Falschheit, Mishandlung, böses Herz, drükken den Verfolgten weit ärger, wenn sie unerwartet erscheinen. Nun, meine Liebe, halte Dich indessen an jene Dame, die nun deine einzige Beschüzzerin ist. – Wie entzükte mich der gütige Eifer des wakkern jungen Fräuleins. – Unverdorbene Menschen müßen über die schwarzen Handlungen von Bösewichtern brausen, weil es ihnen schwer fällt, fremdes Laster zu dulden, wovon ihr eignes Herz so rein ist. Wie beschämend ist die Moral eines so jungen Mädchens für einen Mann, der nach seinem Berufe eben diese Moral Andern predigen sollte. Wenn dieser Verdorbene diese Stimme der Warnung fühlen könnte, wenn er merken wollte, daß ihm der Himmel eben durch die Moral dieses Fräuleins Beßerung zuruft! – Aber wie kann er es fühlen, wie kann er es merken, wenn die Gewohnheit schon die Gewißensbisse übertäubt hat? – Doch überlaßen wir ihn der ängstlichen Stunde des Todes, da mag er dann ringen um die gränzenlose Barmherzigkeit, die der gütige Schöpfer Keinem versagt, [128] wenn er sein Laster wahrhaft bereuet. Uebrigens, meine Liebe, sind die wenigen Wohlthaten, die Du bei dieser Familie genießest, nur so lang Wohlthaten, bis sie dein Oheim bezahlt, welches denn auch geschehen wird. Genieße sie also nicht mit so großer Zaghaftigkeit, Du möchtest dadurch dem unartigen Hausherrn zum Argwohn Anlaß geben, eh es Zeit ist. – Heitere Dich auf, Amalie, noch ist keine nahe Gefahr, daß Du Dich mit Handarbeiten abgeben mußt. – Du wirst sehen, daß die Hülfe am nächsten, wenn das Unglük am größten ist. Und nun ein Kuß von deiner theilnehmenden


Fanny.

52. Brief. An Fanny
LII. Brief
An Fanny

Heute, meine gütige Fanny, kann ich Dir schon etwas Mehreres von meinem Schiksal sagen. Der liebe Oheim will in Zukunft für meinen Unterhalt sorgen. Doch wünschte er mich in dem stillen Aufenthalt eines Klosters zu sehen. Ich bin seinem Wunsche gar nicht entgegen; mich verlangt selbst nach Einsamkeit, nach Ruhe. Nur fürchte ich, daß die Stille des Klosters zu stark auf meinen lebhaften Geist wirken wird, und daß sich meine Leidenschaften erst dann zu empören anfangen werden, wenn der Mangel an Freiheit sie aufwekt. Dieser Aufenthalt wird mir Anfangs ein Grab scheinen, wo man leblos den Freuden der Natur entsagt, und sich der Schöpfung nur verstohlner Weise in den traurigen Winkeln der Zellen freuen darf. Nie würde ich mich entschließen, ein Mitglied dieses unsinnigen Vorurtheils zu werden. Aber so als Zuschauerin, als Beobachterin dieser heimlich Unzufriedenen auf einige Zeit einen solchen Aufenthalt zu wählen, dient [129] mir zur Menschenkenntnis. Da mich mein Oheim nicht dazu zwingt, so ist meine Neugierde die Triebfeder meines freien Willens. Man wollte mich versichern, daß es in solchen Gefangenschaften eben so viel Zufriedene, als Unzufriedene gebe.– Dies kann ich unmöglich glauben; bald sollst Du hierüber mein Urtheil aus Erfahrung hören. Der Mann meiner Wohlthäterin hat nun meine Lage durch ein Ungefähr erfahren. – Dieses und die fortdauernde Liebe des Fräuleins mit meinem Vetter B*** hat ihn so sehr in Harnisch gejagt, daß er mir es derb fühlen ließ. Seine Frau wußte diesem Groll vorzubeugen, und gab mich in das Haus ihrer Schwester. Das Fräulein und ihre Mama eiferten freilich wider meine Klostergedanken – und haben mir zu einer Heirathsabsicht die Bekanntschaft eines Mannes angezettelt, der jezt eine ansehnliche Stelle beim hiesigen Hofe begleitet. Dieser Mann hat Talenten, stund ehedessen in spanischen Diensten als Offizier. Er hat Amerika, Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und mehrere Länder durchreist. – Das stille bürgerliche Leben will nun freilich seinem unruhigen Geiste nicht behagen, er wird nächstens in andere Kriegsdienste treten, und dieser junge Mann buhlt um meine Liebe. Sein Blik ist etwas finster und untersichgeschlagen, er hat Lektur genug, um von Moral zu plaudern. Was übrigens für Leidenschaften in ihm herrschen und wie sein Herz aussieht, weis ich nicht, denn er ist mehr verschloßen, als offen in seinem Wesen. – Frau von D***, das Fräulein und meine Hausfrau loben ihn übrigens mit vielem Affekt. Er scheint in seinen Briefen einen fliegenden Enthusiasmus zu behaupten, denn er schrieb mit feurigem Schwung der Liebe wegen meiner an meinen Oheim. – Wenn ich mich je entschließen könnte, so ein Band zu knüpfen, so wäre meine liebe Schwester die Hauptursache davon. Denn ich muß das Mädchen bald in meine Arme rufen, sie ist es satt, eines Kerkers satt, den sie aus [130] Zwang wählen mußte. – Indessen bleibt mein Entschluß für jezt fest, mich auf einige Zeit nach A*** ins Kloster zu begeben. Vielleicht entscheidet die Vorsicht bald mein Schiksal, wenn mein Freier mit Standhaftigkeit auf meine Liebe dringt. Er hat zwar nicht vollkommen das an sich, was die Eitelkeit eines Mädchens befriedigen könnte. Doch ist er ohne häßlich zu seyn, nur etwas steif und kalt, nach spanischer Art. – Wenn ich nun sein Herz besser kennen lernen wollte, so müßte das meinige weniger gut seyn, denn eben dieses zu gute Herz macht mir bei jeder kritischen Anmerkung einen Dunst vor die Augen, der am Ende mein Unglük machen könnte. – Ich bin durchaus nicht im Stande Menschen zu untersuchen, weil es mir an Erfahrung und hinlänglicher Kälte fehlt, die Menschen zu erforschen. Ich finde aus angeborner Gutheit überall mein Echo, bis die leidige Ueberzeugung von Menschenfalschheit mich leider zu spät immer vom Gegentheile überführt. – Noch warte ich deine Antwort ab, und dann fort ins Kloster. Bis dorthin


Deine Amalie.

53. Brief. An Fanny
LIII. Brief
An Fanny

Freundin! – Dein Malchen wird zur Lügnerin, ich muß Dir noch, eh Du mir schreibst, vor meiner Abreise die gefährlichen Auftritte für mein Herz erzählen. – Das ist ausgemacht, entschieden, und ich bins auch jezt zum erstenmale in meinem Leben überzeugt, daß die Liebe beim ersten Anblik einer Person hinreißt, bis zur süßen Schwermuth hinreißt! – Mein Unglüksstern führte mich gestern ins Schauspiel, ich kam gerade neben einem schwarzbraunen [131] schönen Jungen zu sizzen. Kaum war der düstere Nebel, von dem man gewöhnlich beim Eintritt überfallen wird, meinen Augen entflohen, so stieg mir auf den ersten Blik, den ich auf meinen Nachbar warf, eine brennende Röthe ins Gesicht! Wir saßen beide sprachlos, wie angenagelt, nur zuweilen begegneten wir uns mit Blikken. – Er fieng endlich zu sprechen an, ich antwortete ihm so gut ich konnte, und dabei bat er mich um die Erlaubnis, mich bis an meine Hausthüre zu begleiten. Schon wartete ich auf den Antrag einer Bekanntschaft, aber mit einer getäuschten Hofnung, die mir durch die Seele zitterte, sah ich mich auf einmal betrogen. – »Lange schon, fieng er nun an, liebe ich Sie, mich deucht, daß sie erwiedert würde von Ihnen, diese Liebe, wenn mich die Ehre nicht davon abhielt, nach einem Gut zu greifen, dessen Entbehrung mich vielleicht eben so schröklich für immer verdammt! – Ich bin arm, unversorgt, um ihre Hand buhlt ein Anderer, der Sie wenigstens durch seinen Stand glüklich machen kann. Gott segne Sie beide, und mir gebe er Ruhe, oder.... Tod!« – Rasch flog dieser Jüngling von mir, und ich sah ihn seither nicht wieder, auch weis ich nicht einmal wer er ist. Sein Andenken ist ein schleichender Wurm in meinem Herzen, und meine schmeichelnde Eigenliebe sagt mir immer, er hätte nicht entfliehen sollen, der Undankbare! – Während dieser Zeit wuchs die Leidenschaft meines Freiers bis zum Grade, daß er Mitleiden verdient. – Der obige Auftritt hat mein Herz in etwas gegen ihn verstimmt, und da er mit seiner Leidenschaft vorbeieilte, ohne auf den Grad der meinigen zu achten, so sind wir beide noch um ein ziemliches von einander entfernt. – Mitleiden wallt in meinem Herzen für ihn, aber Mitleiden ist noch lange nicht Liebe. – Er hat übrigens einen Anschein von stiller Gemüthsart, wenn es Solidität ist, dann wäre schon ein starker Grad meines Zutrauens gewonnen. [132] Die Leute, die mit aller Ueberredungskunst auf diese Heirath dringen, behaupten durchaus, daß es wirklich ein fester, gebildeter Karakter seye. Furcht, Angst und Begierde nach Versorgung, um meine Schwester zu retten, streiten in meinem Kopfe. – Ich bin das elendeste Mädchen unter der Sonne, wenn sich mein gutes Herz leichtgläubig ins Spiel mischt, ehe die Vernunft und ihre Ueberlegung den Rath zu dieser Heirath giebt. Du weist, ich habe noch ein artiges Vermögen, auch spricht er mir davon, daß er welches besäße... Doch was kümmert mich Vermögen, wenn nur mein armes Herz Ruhe bei ihm fände! – Ich bin traurig bis zum Tiefsinn! – Lebe wohl! Deine schwermüthige


Amalie.

54. Brief. An Amnalie
LIV. Brief
An Amalie

Nun so verfällst Du denn schon wieder ins Abentheuerliche, meine Beßte! – Ich muß Dich zanken über deinen Klostergedanken. Vielleicht kömmt dieser Brief zu spät, und dann gute Nacht heitere Täge meiner Amalie! – Du, mit deiner Anlage zur Schwermuth willst die Einsamkeit suchen? – Du, mit deiner Lebhaftigkeit willst Dich unter die Kostgängerruthe beugen? – Du, mit deinem Freiheitssinn willst heucheln lernen.... oder Dich hassen lassen? – Du, mit deiner Anlage zum Natürlichen, willst Dich in das Joch des Ueberspannten werfen? – Du, mit deinem Herzen voll Liebe, willst zwischen Riegel und Gitter die Männer entbehren? – O! Du wirst gewis auf meine Gründe der Warnung denken! – Ich wette, was Du willst, dein Bräutigam siegt in dieser Lage über deine Liebe. Du bist dann entfernt von allen andern Männern; dein Herz muß Beschäftigung haben, [133] und die Nothwendigkeit wird gewis das Loos auf deinen Freier lenken. – Wenn mir je eine Uebereilung im Geiste vorgeht, so ist es gewis diese hier. – Und warum wähltest Du denn dieses Leben, da dein Oheim es nicht geradezu foderte? – Nicht wahr aus Dankbarkeit, um diesen lieben Mann auch nicht mit einem Winke zu widersprechen? – O! Ich kenne deine Großmuth; Du bist aus Freundschaft und Dankbarkeit großer Handlungen fähig. – Was würdest Du erst aus Liebe thun, wenn Dich Einer recht zu bezaubern wüßte. – Es ist ewig Schade, daß der braune Junge so schnell von Dir ablies. Ihr zwei würdet euch fest aneinander gekettet haben. Harmonische Liebe wäre das Losungswort gewesen, und eine glükliche Ehe die Belohnung für deine Drangsalen. – Daß doch die beßten Menschen arm seyn müßen! – Daß es dort liegen muß, das elende Metall, auf einem Haufen an der Seite des fühllosen Dummkopfs. – Doch, Freundin! – Hänge dem Verlust dieses Jünglings nicht zu sehr nach; er war Dir nicht von der Vorsehung beschieden. Was nun deinen Freier betrifft, so hast Du mich fast durch einige Anmerkungen über ihn erschrökt. – Wenn mich anders nicht die Versicherung deiner Wohlthäterin in Betreff seines Karakters beruhigt hätte, so würde ich dieses zurükhaltende Wesen in ihm für verborgene Heuchelei halten. Sey vorsichtig, die Frau von D*** kann mit dem beßten Herzen mit Dir betrogen werden. – Du kannst leicht die Züge seines Karakters unrecht deuten, und das für Ruhe nehmen, was oft böses Gewissen oder tükkisches Wesen ist. Ueberhaupt, Menschen, die keinen offnen Karakter haben, sind gefährlich. Ich will lieber Spuren der Leidenschaften in einem Mann erblikken, so kann man doch untersuchen, wie weit diese Leidenschaften gehen. – Dasjenige, was verschloßen ist, wütet beim Ausbruch desto heftiger. Ich zweifle gar nicht, daß Du seine [134] Begierden entflammt hast. – Ein so hübsches, schlankes, vollbusigtes, lebhaftes Schweizermädchen, kann schon Zerrüttungen in den Sinnen eines Mannes stiften. Doch wäre es mir weit lieber, wenn dein Anbeter minder heftig und mehr mit Ueberlegung liebte. Treibt man die Leidenschaften zu hoch, dann spannen sie sich um desto geschwinder ab. – Untersuche deine Wünsche wohl, prüfe Dich selbst, ob Du ihn lieben könntest? – Denn die Ehe ist ein ewiges Band, und knüpft auch ewiges Verderben, wenn nicht Liebe den Grund dazu legt. – Lebe wohl in deiner Einsamkeit, wenn Du allenfalls schon darinnen seyn solltest! – Deine treue


Fanny.

55. Brief. An Fanny
LV. Brief
An Fanny

Dein lezter Brief, meine Liebe, wurde mir ins Kloster nach A*** nachgeschikt. Mit allem Fleis hab ich ihn einen ganzen Monat bis zur Beantwortung liegen lassen. – Um Dir jezt desto besser sagen zu können, wie mir meine Einsamkeit behagt. – Du hast alles errathen, meine Freundin! – Die fürchterlich stillen Mauern reizen mich zum tiefsten Nachdenken. Das von Menschen entfernte Leben häuft Empfindungen in meinem Herzen, die in eine völlige Sehnsucht der Mittheilung ausbrechen. Ich finde, daß die Natur durchaus keinen andern Zwang leidet, als den, der von der gesunden Vernunft gebilligt wird. – Ein Herz, das mit gesunden Gefühlen und mit einem heitern Kopfe geschaffen worden, muß etwas haben, wo es sich anschmiegen kann. Liebe ist nun freilich das erste, nach welchem ein solches Herz greift, und wenn es dann im Kerker des Vorurtheils eingesperrt nichts erhaschen kann, was zur Befriedigung seiner [135] Leere beiträgt, dann ist es lebendig todt, dieses Herz. – Unzufrieden, mit einer todkranken Seele schleichen die armen Nonnen dem Grabe zu, das ihrer Jugend von Naturfeinden, von Menschenhassern so frühzeitig ist gegraben worden. – Das ist nun der erbärmliche Zustand so mancher gefühlvollen Nonne, die aus Leichtgläubigkeit oder Uebereilung auf ewig der Liebe und ihren Seligkeiten entsagte! – So manches gute Mädchen welkt da mit den tobenden Trieben der Natur im Busen als eine Märtirin der Grausamkeit dahin! – Die ganze Natur erinnert sie im düstern Klostergarten an Freiheit, an Liebe; mit Wehmuth sieht sie die kleinsten Insekten sich paaren, und schröklich schwer drükt dann der Gedanke der Unmöglichkeit ihr unglükliches Herz. – Sie flucht im Stillen der Schöpfung, weil sie ihr Triebe gab, die ihr zur lebenslänglichen Marter dienen. – Zwang reizt ohnehin jede Schwachheit zum Laster, und eine gute Seele braucht keine Schranken, weil sie sie selbst hinlänglich zu sezzen weis. – Dummköpfe und von der Natur Verwahrloste schleppen blind die Kette des Vorurtheils, und kleiden ihre Ausschweifungen in die Maske der Heimlichkeit ein. - - - - Es ist zum Entsezzen, was man da leblose, gebeugte Mädchen an den hohen fürchterlichen Klostermauern herumschleichen sieht. – Die Unglüklichen können sich der Natur nicht freuen, weil sie ihnen eine fürchterliche Tirannin scheint, der sie mit tausend Kämpfen, mit tausend Thränen entgegenstreiten müßen. – Natur und Vernunft können recht gut miteinander bestehen, und die leztere giebt der erstern mit gewisser Mäßigung nach. Aber Dummheit, Vorurtheil, Bigotterie und Natur sind von jeher die schröklichsten Feinde gewesen. – Mich deucht, die Einsamkeit des Klosters ist der Tugend eben so schädlich, als das große Getümmel der Welt. Das leztere überstimmt die Tugend, und führt aus Taumel, aus Zerstreuung, aus Beispiel zum Laster, und [136] die erste aus Langerweile, aus Mangel der nöthigen Erholung, wozu die Natur uns schuf. – Aber im mittelmäßigen Bürgerleben, entfernt von den Thorheiten, frei vom Zwang in den Armen eines Gatten, (scheint mir) ist der Weg zur zeitlichen und ewigen Glükseligkeit. Der Mensch braucht in diesem mühsamen Leben Aufmunterung, und wo findet er sie besser, als in den Armen der tugendhaften Liebe? – Weich gestimmt ist dann seine Seele, und selten wird man einen wahrhaft Liebenden lasterhaft sehen. Zufrieden im Zirkel seiner Wünsche arbeitet er fleißig, flieht das Geräusch, und lebt ohne übrige Leidenschaften, blos für sich und seine Familie. – O meine Theuerste! – Die Liebe hat für mich unendlich viele Reize. – Noch kenne ich zwar ihre Schiksale nicht ganz, aber wenn sie sich meinem schönen Ideal nur halb nahen, dann verlasse ich diese Mauern in aller Eilfertigkeit, so bald sich die Liebe meldet. Zum Denken ist mir zwar dieser Ort reizend, aber das Denken macht wollüstig, und eben dadurch fühlt ein junges Herz die traurige Leere desto heftiger. Ich habe hier eine Freundin; sie ist schon seit einigen Jahren Nonne. Jung, feurig und voll Schwärmerei mußte sie aus tollem Eigensinn ihrer Eltern den Schleier ergreifen. Sie kann weder dem Gefühle der Liebe, noch der Frömmigkeit opfern; ihr Wille ist zwar der Sklave ihrer Handlungen, aber ihr Herz, ihr Kopf murrt bis zum Grausen über die vorgesezten Regeln, womit man die Natur tirannisirt. – Die Frömmigkeit, die man in Gesezze einkleidet, ist immer das Werk der träumenden Bigotten, und nicht des freiwilligen Herzens. – Wenn das arme menschliche Herz nicht von selbst aus Ueberzeugung nach Moral greift, so ist das übrige ein erpreßtes Opfer aus Gewohnheit, aus Menschenfurcht. – Andacht und Laster haben ihre Extremen, beide werden zur kalten Gewohnheit, und manchmal ist das leztere nicht weit vom erstern, wenigstens [137] in Gedanken. Mich deucht, man kann in der Welt eben so gut das Gute üben und das Böse lassen, wie in Klöstern, und vielleicht besser, denn wer will in diesen Häusern des Haders dem Neid und der Feindschaft entgehen? – Es giebt ja in Klöstern vollkommene Sündenerfinderinnen, die in ihren phantastischen Köpfen an ihrem Nebenmenschen Alles als strafbar verdammen. Kurz, unser Geschlecht ist zu seicht im Kopfe, um die reine Moral nicht ins Abentheuerliche zu verwandeln. Ebendeswegen sollte man durchaus keine solche Pflanzschulen des Aberglaubens dulden. Die Weiber, die sich auf ein Häufchen sammeln, sind zu blödsichtig, um das Ehrwürdige der Religion nicht auf lächerliche Abwege zu leiten. Ihre Absicht in den Mauern, der Natur zum Troz, aus Selbstbezwingung zu vergrauen, mag für kurzsichtige Weiberköpfe gut seyn, aber für hellere taugt sie nicht. Die Tugend, die keinen öffentlichen Streit auszuhalten vermag, hat keinen Werth. Die Gelegenheit zur Sünde, die man in der Welt freiwillig meidet, verdient weit mehr Belohnung, als die Aufopferung seiner Begierden in Klöstern, die nie anders als durch eigne Gedanken gereizt werden. – Wenn ein Mädchen in der Welt frühe ans Denken gewöhnt wird, wenn ihre Leidenschaften geordnet, ihr Herz gefühlvoll und gut ist, dann wird sie triumphirend mit ihrem Ehrengefühl durch das Verderbnis der Welt hinwandern, und wenn sie auch zuweilen strauchelt, so versöhnt ihre empfindsame Reue den Schöpfer weit besser, als jene monotonen Bußgebeter der Nonnen, die nur die Oberfläche von den bei ihnen im stillen wütenden Leidenschaften berühren. – Du wirst über meine Anmerkung lachen, und beinahe glauben, daß ich diesen Aufenthalt blos wählte, um die darinn herrschenden Thorheiten auszukundschaften. – Ganz Unrecht hast Du darinn wohl nicht. Lebe wohl! Deine


Amalie. [138]

56. Brief. An Amalie
LVI. Brief
An Amalie

Es freuet mich, meine Liebe, daß bei Dir meine Prophezeihung in Ansehung deines Klosterlebens eingetroffen hat. Nun siehst Du doch, daß meine Ueberlegungen eben nicht die unrichtigsten sind. – Das Einförmige, die wenige Beschäftigung in Klöstern nährt überhaupt alle Leidenschaften. Die Wünsche haben da mehr Macht in den Herzen der Menschen zu toben, weil keine Hofnung, diese Wünsche jemals zu erfüllen, diese Macht hindert. Unzufriedenheit, nagende Schwermuth ist das Erbtheil dieser unglüklichen Schlachtopfer. – Melankolie, Hypochondrie, sezt sich in ihrem Busen fest, und wählt zum Gegenstand ihrer Nahrung, diese oder jene Leidenschaft. Doch ist Liebe die allgemein herrschende Qual für solche arme Mädchen. Sie opfern der Liebe oft im Stillen ihre Ruhe, ihre Gesundheit, ihre Seligkeit auf, denn Verzweiflung ist gewöhnlich die Nachbarin der Sklaverei. – Selbst die reinste, unerfahrenste Unschuld fühlt nicht so leicht Hang zum Laster, aber doch Hang zur Liebe, zur Begattung. – Die größte Schwärmerei der Religion ist nicht vermögend einen Trieb zu besänftigen, der so unwillkührlich im menschlichen Körper wohnt. – Auch die größten Bigotten halten im Stillen Liebe nicht für sträflich, und wenn sie über diese große Menschenbezwingerin siegen, so ist es tief eingewurzeltes Vorurtheil, Heuchelei, oder glükliches Temperament. – Der Mensch hat da keinen freien Willen, wo die Natur ihr Recht fodert: aber diese Natur nicht durch gesezwidrige Ausschweifungen zum Gegenstand der Zügellosigkeit zu machen, dazu hat der Mensch vom Schöpfer freien Willen erhalten. Jedes Mädchen hat doch wenigstens [139] bisweilen einige Spuren der urtheilenden Vernunft in sich. Eben diese Spuren werden ihr in den Stunden der Langweile laut ins Ohr rufen: Thörin! – Die Natur hat Dich frei geschaffen, und Du wagst es zu deiner eigenen ewigen innerlichen Qual, Dich von Unwißenden in das Joch einer gezwungenen Enthaltsamkeit werfen zu laßen! Die Religion selbst billigt Liebe, und zwischen Liebe und Laster ist ein großmächtiger Unterschied. – Die Klostermenschen versäumen immer die erstere, und haschen nach dem leztern. Die Weltkinder hingegen vertauschen wahre Liebe mit Wollust, mit Sinnlichkeit. Liebe hat ihre besondere Gesezze, und das ist eben nicht Liebe, was man ohne Vereinigung der Moral, blos zur Befriedigung der Begierden genießt. Wenn die Nonnen von ihren Eltern den wahren, würdigen Gebrauch der Liebe gelernt hätten, wenn sie gelernt hätten diesen Alles belebenden Trieb mit Vernunft, mit Ueberlegung, ohne Absichten, blos zur Seelenentzükkung zu genießen, welche Nonne würde nicht über die Mauern hinaus ohne Sündenfurcht in die Arme der Liebe springen? – Die Begriffe, die man diesen armen Kindern beibringt, gehen meistens auf Unkosten der tugendhaften Liebe; man malt diesen unerfahrnen Mädchen Ausschweifungen statt gemäßigten Trieben vor, man zeigt ihnen Laster, statt Tugend, in der wahren Liebe. – Man schreit über die böse Welt, und endlich überrascht von solchen schwarzen Schilderungen, eilt das junge leichtgläubige Mädchen hin zum Altar, und von diesem – in ewige Feßeln. – So verlieren aus Gewohnheit, aus Uebermas der Andächtelei, die wenig zufriedenen Nonnen, die etwa noch in Klöstern zu finden sind, ihr Gefühl für Gott und die Menschen. – Denn wer für Wohlwollen, für die Natur, für das gesellige Leben kein Gefühl hat, der hat auch keines für seinen Schöpfer. Unnüz fürs Gute, leben diese Geschöpfe blos der Nahrung, dem Schlaf, dem Neid, der Weiberei, und der mechanischen Religionsübung, [140] die sie eben so wenig verstehen, als die Erziehung der Kinder, mit der sich einige Klöster zum Unheil der Menschheit beschäftigen. Du hast Recht, meine Liebe, ein mittelmäßiges Leben ist dem Kloster und dem Geräusch der großen Welt vorzuziehen. Beides ist überspannt, beides gefährlich. Indessen mußt Du Dir in den Armen eines Gatten nicht lauter Himmel versprechen; es kömmt erst darauf an, in wie weit deine Wahl gut ausschlägt. – Nicht jeder Jüngling hat gutes Herz genug, in der Ehe die beiderseitige Zufriedenheit zu befestigen. Du weißt, was Du mir selbst lezthin über jenes junge Weibchen schriebst. – Für dein Herz, für deine Vernunft steh ich gut, wenn Du nur an Jemanden geräthst, der dieses Herz mit Güte zu leiten weiß. – Nur, meine Freundin, sind die beßten Herzen immer die schwächsten, und gerathen sehr leicht auf Irrwege, wenn ihnen Rohheit, oder brutales Betragen entgegengesezt wird. – Du bist lebhaft, meine Theuerste! – Du hast einen hellen Geist und sehr wenig Vorurtheil; zu welchen Exzessen wärest Du nicht aufgelegt, wenn Dich ein Gatte übel behandeln sollte! – Ueberlege deine Heirath wohl, und versage deiner Freundin das Zutrauen nicht.


Fanny.

57. Brief. An Fanny
LVII. Brief
An Fanny

Theuerste, beßte Fanny! – Ich muß mich heute schon wieder ans Klosterleben halten, denn dieses liefert mir täglich mehr Stoff zum Lachen und zum Erbarmen. Zwar sind diese Sammelpläzze der Dummheit in den kaiserlichen Ländern jezt sehr vermindert; aber um desto schröklicher schmachten die armen Nonnen in andern Gegenden ohne Rettung, umsonst nach [141] Freiheit, und beneiden jene um das Glük ihrer Sklaverei entledigt zu seyn. Nun will ich Dir doch das Wichtigste vom Klosterleben entwerfen. Gehorsam und unverlezte Keuschheit ist der Nonnen Hauptregel. Die geringste Uebertretung des erstern wird unter ihnen frazmäßig gestraft. – Da kann man alle Tage Nonnen am Kazzentischchen, andere mit hölzernen Kochlöffeln im Munde, wieder andere auf der Erden sizzend sehen, u.s.w. Zwanzigjährige Mädchen müßen da wie Kinder vor der Ruthe ihrer Mutter zittern; müßen der Vernunft widrige Strafen dulden, die ihnen durch Weibergesezze aufgelegt werden. – Müßen einer kindischen Moral folgen, die ihren Kopf zum Starrsinn, und ihr Herz zur Fühllosigkeit bringt. – Steif zusammen gedrängt, trauen sich die armen Kinder kaum Gottes freie Luft zu genießen. Denn wohin reicht nicht das scharfe Auge einer stolzen, aufgeblasenen würdigen Mutter? – Der Neid und die natürliche Schwazhaftigkeit der Weiber dringt in den Klöstern bis zu den geringsten Fehlern des Nebenmenschen. Man besucht sich unter einander, blos um Anmerkungen unter sich zu machen; man plaudert zusammen, um Neuigkeiten zu erfahren; kurz man macht willkührlich Jagd auf die Vergehungen Anderer, um sie zu verachten und der Misgunst Nahrung zu geben. Was nun die Keuschheit betrifft, diese wird in Heuchelei eingekleidet, so gut es einer Jeden möglich ist. – Freilich sind ihre Gedanken dabei zollfrei. – Nun wollen wir ihre Andachtsübungen untersuchen. – Die Nonnen beten viel, und doch nichts. Sie beichten oft, aber immer, aus Gewohnheit, kalt. Der Schlaf wird bei ihnen um Mitternacht gestört, aber desto träger, desto untüchtiger sind sie in ihren Empfindungen zum Lobe des Schöpfers, weil es ihrem Körper an der nächtlichen Ruhe mangelt. – Bei Tische genießen sie die Früchten der gütigen Natur mit milzsüchtiger Laune, denn ihre melankolischen Vorlesungen hemmen die Säfte der Verdauung. Ein [142] barbarisches Stillschweigen... man denke sich das Wort Weib hinzu... martert ihre Seele, und macht sie jede Fröhlichkeit vermissen, die der gute Gott blos zur Erholung der Tugendhaften schuf. Speis und Trank muß ihnen zur Last seyn, weil sie es unter der Obsicht der Tirannei genießen. Es ist zum Entsezzen, wie erfinderisch der Unsinn da jede Freiheit vergiftet, die der liebe Vater im Himmel, uns Allen zur Erholung, der leidenden Menschheit mittheilte. Die Erholungsstunden der Nonnen bestehen aus Gaukeleien, aus Kinderspielen, worüber die Vernunft weinen möchte. – Die jungen Nonnen unterhalten sich aus Raserei, aus Langerweile, mit dergleichen läppischen Poßen, weil ihnen jede geschmakvollere Unterhaltung untersagt ist. Die alten Nonnen verkriechen sich mürrisch in ihre Zellen, und freuen sich sehnsuchtsvoll auf ihren Tod. Bücher sind durchaus bis auf ein Paar Kapuzinerautoren bei hoher Strafe verboten. Schreiben darf keine Nonne ohne die Erlaubnis ihrer Oberin. Alle Briefe werden von dieser versiegelt, und auch die Antworten wieder von ihr gelesen. – Das ist doch eine unverzeihliche Nasenweisheit! – Das beweist doch recht, daß man den Nonnen jeden Weg abschneidet, freiwillig im Kloster zu bleiben und freiwillig sich der Enthaltsamkeit zu opfern. So verleben diese Armseligen im ewigen Streit ihrer Leidenschaften, mit dem herznagenden Hang zur Freiheit ihre Tage, entfernt von allen Freuden des Lebens, entfernt von der gesunden Vernunft, entfernt von den Rechten der Menschheit. Unwißenheit, Menschenhaß, Vorurtheil, Einfalt begleitet die Vorsteherin solcher Häufchen überall. – Ja wohl, meine Freundin, ist Klostererziehung die abgeschmakteste von der Welt. Wie können die Frauenzimmer, denen es selbst an Welt-und Menschenkenntnis fehlt, junge Seelen bilden? – Wie können sie in jungen Mädchen Leidenschaften erforschen, wenn sie über ihre eigenen nicht nachdenken dürfen? – Wie können sie die [143] rohe Natur in Kindern zu verfeinern suchen, wenn sie die Stimme derselben in sich selbst erstikken und mit übertriebener Selbstverläugnung brandmarken müßen? Wie können sie das Temperament eines Kindes nach seiner gehörigen Art zur Tugend ordnen, wenn in ihren eigenen Köpfen nichts als Rohheit, verwirrte Leidenschaften und wütender Gähzorn herrscht? – Unzufriedene Menschen sind überhaupt mürrisch, und unfähig das zarte Herz eines weichen Kindes zu bilden. Wie viele zufriedene Nonnen haben wir denn, denen es nicht an Geduld zur Erziehung fehlte? – Diese Eigenschaft, die, nebst eigener Erziehung, zu diesem Geschäfte höchst nöthig ist, mangelt den Nonnen vorzüglich. – Das wenige Menschengefühl, das sie ins Kloster bringen, wird durch Vorurtheil unterdrükt, verdorben, oder gar ausgerottet; – und im Gefühl liegt doch der größte Keim der Tugend. – Aber um zu fühlen, muß man zuerst denken lernen, und um gut zu handeln, muß man fühlen lernen. Es ist ein wahres Elend, wenn man die an Seel und Sitten schwachen Klosterkostgängerinnen betrachtet. – Unerfahren, steif, blöde, ohne Herz, ohne wahren Begriff von Gott, ohne Menschenverstand, schüchtern wie Hasen, trippeln sie mit abgemeßenen Schritten, in der Schule umher. Jeder Keim von aufsteigendem Wiz wird in diesen Schülerinnen zurükgeschrekt. – Die Lebhaftigkeit der Kinder wird in tükkisches Wesen verwandelt. – Sie lernen heucheln, lügen, sie lernen sich aus sklavischer Furcht verstellen, sie lernen Falschheit und Bosheit. – Man spricht den Kindern von Lastern, und öffnet ihnen dabei den Weg, darüber nachzudenken. Man lehrt sie die Mannspersonen ohne Ausnahme verabscheuen; Liebe zu ihnen schildert man den jungen Zöglingen als Verbrechen. Sie lernen dieses Geschlecht nicht anders als mit Vorurtheil kennen; bleiben von ihm entfernt so lange die Natur schweigt, überlassen sich dann aber desto zügelloser den Schmeicheleien der [144] Stuzzer, wenn sie in die Welt tretten, und nehmen in ihrer Leichtgläubigkeit das für baare Münze an, was ihnen jeder Gek vorlügt. Unerfahrenheit, Neuheit, wachsende Leidenschaften, Eitelkeit, Liebe zum Weihrauch, sind die baufälligen Säulen ihrer Klostertugend. Ihr Lärvchen blendet den Wollüstling, und ihr Körper wird allen Denen zu Theil, die den Muth haben, sie zu überraschen. – Ein dummes Mädchen ist tausendmal schwächer, als ein vernünftiges. Wiz, Wohlstand und Beurtheilungskraft sind für junge Mädchen durchaus nöthige Dinge, wenn sie nicht das Spiel eines jeden Angrifs werden will. Und wie ist es denn möglich, meine Beßte, daß ein Mädchen zwischen den Mauern die Welt kennen lernen kann? – Wie ist es möglich, daß man Nonnenerziehung nicht völlig abschafft? – Sie taugt zu nichts, kann zu nichts taugen. Jezt nur noch etwas weniges von meinem Freier: Er schreibt mir so schwärmerische Briefe, die gewis jedes andere Mädchen zur unheilbarsten Leidenschaft hinreissen würden. So viel mich deucht, liebt mich der Mann mit einiger Leidenschaft; nur thut es mir leid, daß diese Leidenschaft ihn so sehr martert. – Denn man schreibt mir, daß er seit meiner Abwesenheit kränklich seye. Was nun aus dieser Bekanntschaft noch werden wird, sollst Du bald hören von deiner ewig treuen


Amalie.

58. Brief. An Fanny
LVIII. Brief
An Fanny

Ich konnte unmöglich Deine Antwort abwarten, denn heute habe ich Dir viele und wichtige Dinge zu sagen. Meine arme Schwester schreibt mir und ruft mich im Tone des äußersten Jammers um Hülfe an! – Der Vormund [145] ist im Begrif sie wider ihren Willen zur Nonne zu machen. Die übrigen Nonnen, die um sie herum sind, wenden alle Kunstgriffe an, dieses unschuldige Geschöpf zum Vortheil ihres Klosters zu erobern. – Sie schreibt, sie vermuthe ganz sicher, der Vormund habe mit den Nonnen einen gewissen Kontrakt geschlossen, kraft dessen der vierte Theil ihres Vermögens dem Vormund in Händen bliebe, der Ueberrest aber dem Kloster bestimmt wäre. Eigennuz muß doch dahinterstekken, sonst würde mein Vormund nicht so gewaltig auf die Einkleidung meiner Schwester dringen. – Sie lebt wirklich aus Zwang in den Tagen der Prüfung, und schaudert vor Furcht, wenn man sie zu einem Schwur zwingen sollte, wovon ihr Herz durchaus nichts wissen will. – Ewiger Gott! – Ich würde rasend, wenn ich sie müßte hinschleppen lassen, diese arme Waise, zum Altar, und schwören lassen, die schwärzeste Lüge! – Stürmen wollte ich den Altar, und laut ausrufen: Betrüger gebt mir sie zurük! Wie doch die lasterhaften Kreaturen aus Eigennuz um das Unglük einer Seele buhlen! Wie sie da stehen die Heuchlerinnen, mit Zukkerbrod, um das leichtgläubige Mädchen in das gräßliche Joch einer ewigen Gefangenschaft zu lokken! – Wie die Frazzenpriesterinnen der Tugend dem Kinde mit täuschender Wahrscheinlichkeit blos das wenige Gute des Klosterlebens schildern, und dabei das Uebermaß der Plagen verschweigen! – Wie sie die Laster der Welt herzählen, und dabei ihre eigene verbergen! – Nein! – Beim Allmächtigen! ich kann meine Schwester nicht einer so gränzenlosen Verzweiflung zueilen lassen! – Ich will, ich muß auf Rettung denken, und wenn es auch auf Kosten meiner eigenen Ruhe wäre! – Der Kopf möchte mir bersten, weil ich mir ihn durch unaufhörliches Projektiren beinahe verrükte. – Seit dieser Nachricht ist der Schlaf aus meinen Augen entflohen; so wie ich das Bett besteige, ist marterndes Nachsinnen [146] meine unzertrennliche Gesellschaft. – Den Anbruch jedes Tages erlebe ich mit offnen Augen. Matt von den Anstrengungen einer schlaflosen Nacht, sind meistens bittere Thränen mein erstes Frühstük. Fanny! – Fanny! – Was wird es noch werden mit deiner armen Amalie? – Wie werde ich mich herausreißen aus diesem neuen Auftritt meines unglükseligen Lebens? – Alles stürmt wieder mit neuen Kräften auf mich los! – Mein Oheim in K*** ist mit seinem Fürsten auf sechs Monate in entfernte Länder verreißt, und kömmt zu meiner Schwester Verderben zu spät zurük. – Er befahl mir in meinem jezigen Aufenthalt bis zu seiner Zurükkunft ruhig zu harren. Noch will er nicht zu meiner Verheirathung seine Einwilligung geben, und mein Freier dringt jezt mehr als jemals auf meine Entscheidung. Seine Klagen über Ungewisheit zerreißen mein Herz! – Es ist mir unmöglich, jemanden um meinetwillen leiden zu sehen! Er war vor einigen Tagen heimlich hier, und jammerte so fürchterlich, daß mein banges Herz darüber laut pochte! – Ich bin äußerst traurig über seinen Zustand; seine Leidenschaft erwekt in mir jene taumelnde Unruhe, die so oft an Liebe gränzt. – Ich fühle, daß ich ihm mehr, als blos gut bin.... Die Entfernung von andern Männern, sein eifriges Bestreben, sein weiches Herz, die Hofnung, daß ich durch diese Verbindung meine unglükliche Schwester retten könnte; o diese Hofnung ist es, die einen Wunsch in mir nährt, den ich mir kaum einzugestehen traue. – Ich will ihn zum Vertrauten meiner Leiden machen, diesen rechtschaffenen Mann, ich will ihn bitten, sich meiner Schwester anzunehmen, und er wird es thun. – Dann meine Liebe, dann gebe ich ihm zum Lohne meine Hand. – Frau von D*** schreibt mir, daß ich die Hofnung dieses jungen Mannes nicht länger martern sollte. Sie schreibt, daß er seit unserer lezten Zusammenkunft weit unglüklicher herum [147] irre als vorher. Daß er zum Spotte der Menschen, wie ein bleicher Schatten herumschleiche, und daß sie es mir auf mein Gewissen gäbe, wenn ich die Verbindung nur noch um einen Monat verzögerte. – Aber um Gotteswillen, die Frau muß nicht wissen, daß mein Oheim abwesend ist, und daß mir seine Befehle heilig sind! – Sie muß nicht wissen, daß ich keinen Schritt aus dem Kloster wagen darf, der meine Ehre, meinen guten Namen, und das Zutrauen meines Oheims entheiligen würde! – Warum will mich denn die Frau zu einem Verbrechen zwingen, um die schmachtende Leidenschaft eines Mannes zu befriedigen, der mein Mitleid, meine Liebe ohnehin schon hat? – Die Frau hat für diesen Mann viel gutes Herz; sie hat alles angewandt, meine Eitelkeit für ihn in Gährung zu bringen. Sie schilderte mir ihn so reizend, als es ihr nur möglich war. Sie schreibt, daß er wirklich wieder in Kriegsdienste getretten wäre, und daß er mir in der niedlichen Uniform gewis mehr als vorher gefallen würde. Das ist wohl eine böse Frau von D***! Nicht wahr, Fanny? –


Amalie.

59. Brief. An Amalie
LIX. Brief
An Amalie

Liebstes, beßtes Malchen! – Ich bin Dir zwo Antworten schuldig. Aber Du sollst sie heute reichlich ersezt bekommen. Also zum Voraus zu deinem erstern Briefe, in welchem Du mir so treffende Klosterschilderungen lieferst: Du bist glüklich, daß Du nicht unter die Klasse von armen Nonnen gehörst. Menschen, die sich mit gesundem Körper begraben! – Menschen, die es wagen, aus Eigendünkel der Schöpfung zu widersprechen! – Menschen, die aus Fantasterei ihren Leib[148] kasteien, und dabei ihre Seele zu Grunde richten! – Menschen, die dem Ewigen freventlich ins Richteramt greifen! – Kurz, arme, bedaurungswürdige Menschen, die blind nach Feßeln, nach ewiger Unzufriedenheit haschen! Möchte es doch jedem Monarchen einfallen, Bande zu lösen, die unmöglich zur Seligkeit dienen können. Möchten die Großen der Erde mit forschendem Blik hineinschleichen in die von Thränen der Unzufriedenen feuchten Mauern des Klosterkerkers! – Möchten sie fühlen, möchten sie hören, wie der wütende Gram so vieler Nonnen laut wimmert! – O daß eine milde Hand diese nach Freiheit seufzenden Mädchen trösten und retten möchte! – O, daß diese Hand rächen möchte die misbrauchten Rechte der Natur! – Dies, meine Theuerste, sind gewis die wärmsten Wünsche meines Innern! – Was nun die Erziehung anbelangt, die in Klöstern gegeben wird, so ist es leicht zu begreifen, daß sie die Kinder mehr verderbt, als bessert, Weiber, die aus Vorurtheil sich untereinander selbst martern, können unmöglich gute Menschen bilden. Das leidige Vorurtheil ist das Grab der Vernunft, der Tod der Tugend und des guten Herzens. Man muß hell sehen, selbst empfinden und viel denken, wenn man Kinder erziehen will. – Es erfodert den schärfsten Blik, die reifste Ueberlegung und die richtigsten Kenntnisse der menschlichen Leidenschaften, die in jedem Kinde verschieden wirken. Besonders sollten die Nonnen einen mitleidigen, nachsichtsvollen Blik mehr auf mannbare Mädchen werfen, bei denen sich der erste und heftigste Trieb der Liebe zu melden pflegt. Sie sollten sich dieser jungen Mädchen Zutrauen zu erwerben suchen; dies wäre der einzige Weg, sie durch eben diesen Trieb der Liebe sanft zu ihrer Pflicht zu führen. Aber wie roh, wie unmenschlich, wie strenge werden von den Nonnen eben diese armen Mädchen behandelt. Man bewacht ihre Handlungen, aber nicht ihre Begierden, man droht ihren Leidenschaften, [149] und macht die Liebe zum Eigensinn ausarten, man kerkert sie ein, und zeigt ihnen dadurch den Weg zu heimlichen, frechen Zusammenkünften. Die Nacht muß alsdann die Stelle des Tages vertretten, und tollkühn besteigt das feurig verliebte Mädchen die hohen, festen Mauern der Unempfindlichkeit, schwelgt, von dem Verbote gereizt, in den Armen ihres Lieblings. Liebe kann auch die beßten Herzen zu Grunde richten, wenn ihr Züchtigung oder häßlicher Kontrast entgegengesezt wird. Das unverdorbene Mädchen kämpft willig mit ihrer Leidenschaft, aber eine theilnehmende, vernünftige Vertraute muß ihr Aufmunterung und Hülfe darbieten. – Heftig brennt das Feuer der ersten Liebe, und gewaltsame Mittel fachen es nur noch mehr an. Vernunft! – möchte ich laut diesen Schulvorsteherinnen zurufen! – – Nun zu deinem zweiten Briefe: – Das Schiksal deiner Schwester liegt auf einer gefährlichen Wagschale; sie steht am Scheideweg, die Arme, ihres ewigen Unglüks! – Man will ihr barbarisch eine Freiheit rauben, deren Werth in dem Buche des gerechten Richters mußte verrechnet werden! Der Vormund und die Nonnen sind leichtfertige Menschen, daß sie sich an den Willen eines Mädchens wagen, dem selbst der Schöpfer Freiheit gab. – Es ist unverantwortlich, den freigebornen Menschen auf Zeit Lebens mit Leib und Seele dem Eigennuz zu verhandeln! Die Nonnen geben zwar diesem Freiheitstausche einen ganz andern Namen, sie nennen es Beruf, wenn ein junges unwissendes Mädchen aus Furcht, aus Mangel an Selbstkenntniß, gereizt von falschen Lokspeisen ein zaghaftes Ja daherstottert. Der freie Willen eines Mädchen wird vom öftern Zureden übertäubt; ihre Vernunft ist noch zu schwach, um den Folgen nachzudenken; sie sieht nur das Gegenwärtige, und will Denen, die über ihr sind, nicht gerne widersprechen; sie kann aus Mangel an Erfahrung nicht urtheilen, und hält das selbst [150] für Beruf, was ihr Leben vergiften wird! – Das was die Nonnen Noviziat nennen, ist keine wahre Prüfung, sondern eine bloße Spiegelfechterei ihrer eigennüzzigen Absichten. Das schüchterne, an tausend Bußen gewöhnte Mädchen kann ihre Geduld in diesen Prüfungstagen nicht viel mehr auf die Probe sezzen, als in der Kostgängerschule, wo sie eben so oft beten, fasten und auf dem Boden sizzen mußte. Blos zu Rettung ihres guten Namens brauchen die Nonnen bei der Aufnahme einer Schwester diese Zeremonie, damit die Welt glauben solle, daß jedes Mädchen seinen eignen Willen dazu gäbe. Nun kann doch ein Mädchen vor fünf und zwanzig Jahren zu einem solchen Schwure keinen freien Willen haben, besonders, wenn sie die Welt gar nicht kennt, und mehr Böses als Gutes von ihr weis. – Ich bleibe bei meinem Saz. Jede Einkleidung eines jungen unerfahrnen Mädchens ist ein mörderischer Raub an dem Menschengeschlecht. – Raffe Dich auf, Freundin! und schleppe sie weg vom Altar, deine arme Schwester, wenn es je so weit mit ihr kommen sollte! – Dein Oheim ist abwesend, Du bist diesem Kinde Elternpflicht schuldig. Doch beschwöre ich Dich, handle mit Vorsicht, und begehe keine Uebereilung. – Ich kenne deinen hizzigen Kopf, und zittere für Dich! – Schreibe Dir diese Worte tief ins Herz, meine theure, unglükliche Amalie! – Jezt auch noch ein Wörtchen von deinen Herzensangelegenheiten: Du liebst also deinen bestimmten Bräutigam? – Doch nicht mit der lebhaften Leidenschaft glaub ich, wie er Dich liebt. – Eben dieser Unterschied, meine Liebe, verspricht mir von deiner Seite mehr Standhaftigkeit, als von der seinigen. – Man will behaupten, was in der Liebe zu überspannt seye, müße brechen. – Doch in der Liebe ist nicht leicht zu rathen, ich muß Dich für diesmal schon deiner eigenen Führung überlassen, weil ich den Mann nicht kenne, der sich mit Dir verbinden will. [151] Nur scheint er mir – vergieb mir meine Aufrichtigkeit – durch seinen zügellosen Wunsch, Dich so bald zu besizzen, etwas verdächtig. Ist es Furcht Dich zu verlieren? – Du bist ja im Kloster gut verwahrt! – Ist es reine gränzenlose Liebe! – Nun, sie wird ihm ja erwiedert! – Aber, meine Liebe, wenn es blos Begierde nach Genuß wäre? – Wenn es ein stürmisches Sehnen nach Sättigung seiner Wollust wäre? – Ich würde unsinnig, wenn Du Dich täuschtest! – Sey vorsichtig! – Das ruft Dir zu deine liebe


Fanny.

60. Brief. An Fanny
LX. Brief
An Fanny

Meine Beßte! Es seye nun in der Welt wie es wolle, wir Menschen hängen unstreitig von gewißen Augenblikken ab: Gestern trat er zu mir ins Zimmer, der liebe Junge! – Du mußt aber auch wissen, daß ich außer der Klausur wohne, und folglich unter der Aufsicht meiner Aufseherin den Besuch meines Bräutigams annehmen darf. Also gestern sah ich ihn in seinem völligen Glanze. Er war gepuzt wie ein Engel, und die Uniform steht ihm göttlich! – Wie sie da stund vor mir die symmetrisch gepuzte Puppe, meinem Auge so reizend, und meiner Eitelkeit so lokkend. Der stille Gram der Liebe hat sein Gesicht gebleicht: und dieses schmachtende Aussehen stimmt ganz mit seinen langen blonden Haaren überein. – Meine Sinnen hiengen heute zum erstenmal an der äußern Seite eines Jünglings, und irrten verschwiegen und wollüstig auf seinen Reizen umher. Man mag mir sagen was man will, ein artiger Junge in der Uniform ist für das Auge eines Mädchens gefährlich, besonders wenn kein zügelloser Wildfang [152] darinnen stekt, der zu wenig der Delikatesse der Mädchen schont. – Es ist nichts reizender, als ein milder, denkender, empfindsamer, gutgezogener, bescheidener junger Offizier. – Ueberrascht von einem so seltenen Funde, muß jedes freie Mädchenherz schmelzen, wenn es anders die rohe Wildheit, die ungezogene Brutalität, die Verläumdungssucht der meisten übrigen Offiziers kennt. – Ich fodere nicht, daß ein Krieger Weib seyn soll. – Aber an der Seite seines Mädchens, in den Armen der Liebe gewinnt seine Lebhaftigkeit unendlich, wenn weiches Gefühl der Dankbarkeit, wenn sanfter Affekt seine fühlende Seele adelt! – Stürmerei im Umgang, Unverschämtheit der Sitten, ist doch immer die Sache des gemeinen Mannes, und läßt in der Uniform gar nicht. – Ich habe schon mehrere Offiziere von diesem Schlag in Gesellschaft gefunden, und es schien, als ob ihnen die Uniform ein Recht zur Ausgelaßenheit gäbe. Sie erhoben öfters ihren gebietenden Hochmuth über die Tugend eines armen Mädchens, gerade als stünde diese Tugend unter der Subordinazion ihrer Begierden. Doch mein zukünftiges Männchen ist artiger, wenigstens hat er sich bis daher sehr liebevoll betragen. Du sprichst mir zwar in deinem Brief von Begierde nach Genuß. O du lieber Gott! – Wer kann die Absichten eines Liebhabers so genau bestimmen? – Er zeigt sich immer auf der beßten Seite, und weis unsere Leichtgläubigkeit so täuschend zu beruhigen. Ich versichere Dich, meine Beßte, je mehr man den Liebhaber studirt, je weniger kennt man ihn. Ich schmeichle mir doch auch ein Bischen Gehirne zu haben, und doch bin ich mit meiner unendlichen Bemühung ihn zu untersuchen nicht weiter gekommen, als bis dahin, wo er mich vielleicht mit voller Ueberlegung wollte kommen lassen. – Denn der Mann hat Kopf. – Was ist nun zu thun? – Wie übel ist derjenige daran, der zwischen Liebe und Furcht zu wählen hat.? – Die erstere ist bisweilen so übereilt, so geschwind entschlossen, [153] daß keine späte Reue den Schritt mehr zurük thun kann, den sie vielleicht unbesonnen, blos aus Uereilung wagte. – Mit banger Aengstlichkeit werde ich mich vielleicht einer Verbindung nahen, die mich zum glüklichen Weibe, oder zum elendesten Wurm machen kann. – So eben erhalte ich durch einen expreßen Boten einen Brief von meiner Schwester. Ich will ihn lesen, und wenn er Wichtigkeiten enthält, so werde ich ihn Wort für Wort hier einrükken. – – – –

Ja wohl enthält er Wichtigkeiten dieser Brief! – Die schröklichsten, die wir Beide uns je denken könnten! – Lies – und schenke ihr eine Thräne, der Verfolgten! .....

»Liebe, gute Schwester! – – Schreibe mein langes Stillschweigen auf die Rechnung meiner Gefangenschaft, in der ich seit deinem leztern Briefe halb verzweifelt schmachte! – Du hieltst diese Pause meines Schiksals vermuthlich für eine gute Wendung; aber Du irrst Dich, denn mein Elend ist aufs Höchste gestiegen! – Meine Prüfungszeit geht in wenig Tagen zu Ende, und dann will man mich hinschleppen zu jenen fürchterlichen Gebräuchen der Einkleidung! – Sie haben mir meine Einwilligung abgezwungen, die grausamen Mörder meines Seelenheils! – Ich werde mich in die finstere Todtengruft unter die rasselnden Knochen, meiner verweseten Vorfahrerinnen verbergen, wenn Du, einzig geliebte Schwester, mich nicht rettest! – Meine Gesundheit ist ohnehin angegriffen; aber doch möchte ich die wenigen Tage meines Lebens nicht unter dem Drukke einer schändlichen Lüge verseufzen! – O meine verstorbene Eltern! – Hört, hört eure nach Hülfe schreiende Tochter! – Steigt hervor aus dem Grabe ihr schleichenden Schatten meiner Erlösung! – Reißt es weg, das Leichentuch, wenn man es mir nahe am Altar der milden Gottheit über meinen Kopf wirft! – Ich will den Kranz meiner Unschuld, den Brautschmuk [154] meines Hochzeittages in Stükken zerfezzen, denn mein Schwur ist gezwungen, und folglich ungültig! – Ich bin eine Waise; Alles ist taub für mein Geschrei! – Man wußte meine Zunge durch Furcht und Zagheit zu binden. Die Gutherzigkeit einer verliebten Nonne half mir zu dieser Gelegenheit an Dich zu schreiben. Zögerst Du nur noch auf wenige Tage, so ist auf ewig für Dich verloren deine jammernde Schwester Louise von B***.«

Verloren auf ewig für mich! – Fühle diesen Schlag, der mein Herz zerreißt, wenn Du kannst, und laß mich!!! – –

61. Brief. An Fanny
LXI. Brief
An Fanny

Es ist geschehen, meine Freundin! – Zittere nicht; deine Amalie ist vermählt! – Und nun ist sie aus dem Kloster entflohen. – Die harten Nonnen haben mir meine Bitte abgeschlagen, zu meiner Schwester zu reisen, und was war mir in einer so dringenden Lage anders übrig? – Ich bin undankbar an meinem Oheim geworden, ich habe pflichtlos an ihm gehandelt, und den Nonnen einen Streich gespielt, an [den] sie denken werden! – Ich habe einem Mann mit Zittern die Hand gegeben, dessen dürstende Leidenschaft den entscheidenden Zeitpunkt zu benüzzen wußte! – Ich habe vielleicht unsinnig, rasend gehandelt, und das alles aus Liebe zu meiner Schwester! – Aber eigennüzzig hätte mein Gatte meine Hand nicht erschleichen sollen; es verräth zu viel Liebe zur Befriedigung. Doch, was konnte ich da in so verwirrten Augenblikken viel untersuchen? – Ich sah meine Schwester im Todtengewande vor meinem Bette knieen, ich sah sie im Sarg liegen, sprang hastig aus meinem Schlafzimmer, und kroch im Dunkeln über Stiegen und Brükken, öffnete mit [155] Kühnheit Schlößer und Thüren, achtete nicht des nächtlichen Grausens, das mir durch die Glieder schauerte; und so kam ich eine Stunde vor unserer Abrede in den Klostergarten. Schweiß und Kälte lag auf meiner Stirne, das Rauschen eines jeden Blattes folterte mein Gewißen bis zur Todesangst! – Ich fluchte der Erde, ihren Bewohnern und dem Schiksal! – Ich fühlte Rache gegen die Nonnen im Herzen, weil sie mir meine Bitte abschlugen; und doch zitterte ich vor dem Anblik dieser Schwestern der Fühllosigkeit. – Bang, wie ein entspringendes Reh, irrte ich im finstern Garten herum. Mein Freund Mond hatte sich verhüllt, um meinen Frevel zu bedekken, den ich aus Schwesterliebe begieng. Bald sah ich vor meinen Augen den durch mich gekränkten Oheim, bald den funkelnden Zorn der beleidigten Nonnen, die mir mit Bigottengrausamkeit nachfluchten, sobald sie meine Flucht entdekten. – Mit Seelenangst erwartete ich jede Minute meinen Liebhaber! – Fürchterlich, bis zum Entsezzen tobte der Gedanke der Ungewisheit in meinem Busen. – Wenn er dich nicht heirathet! – Wenn er dich blos entführt und entehrt! – fuhr mir dann bei seinem langen Ausbleiben donnernd durch den Kopf! – Schon hob ich den Fuß um ins Zimmer zurükzukehren, wo das Andenken meines Vergehens unauslöschlich eingeprägt bleiben wird. – Aber eine heilige sympathetische Macht hielt mich zurük. Ich sah meine Schwester mir wieder leibhaft nachschleichen; ich fühlte gleichsam wie sie mich am Rokke festhielt; ich sah sie ihre Hände ringen; ich hörte ihr dumpfes Aechzen; sie bat mich um die lezte schwesterliche Umarmung; ich haschte nach ihr mit leidenschaftlicher Phantasie, als auf einmal der Wurf eines Steines meinen Sinnen wieder Richtung gab! – Ich eilte schnell dem Orte zu, da dieses Zeichen gegeben worden – sank ohnmächtig.... wohin? – in die Arme meines Geliebten! – Mein Herz schlug heftig an seinem[156] Busen; ich bat ihn um Schonung und um Rettung meiner Schwester! – Kampf, Furcht, weniges Zutrauen durchkreuzten meine Seele. – Ich hatte leichte Kleider an, war ohne Schuhe, und der Morgenthau überfiel mich mit einer fieberhaften Kälte. – Meinem Liebhaber war für meine Gesundheit bange; er schwur mir vor Gott, noch eh der Tag anbräche mein Gatte zu werden! – So ließ ich mich fortschleppen, um das unauflösliche Band des Ehestandes zu knüpfen. Er hielt auch Wort; denn ehe zwo Stunden vergiengen, waren wir vermählt. – Berauscht von Liebe und Wollust, taumelten wir einige Stunden fort! – Doch gränzte mein Entzükken mehr an Wehmuth, als an das gewöhnliche Entzükken junger Eheleute! – Mein Gatte machte sich Tages darauf fertig zur Reise nach dem Kloster, wo meine Schwester mit Angst seiner wartete. Er hatte den Entschluß gefaßt, sie gutwillig oder mit Gewalt den Händen der Grausamkeit zu entreißen. – Jede Stunde erwarte ich Briefe von ihm, und schröklich ängstlich sehne ich nach der Entwiklung dieses traurigen Romans! – Theure! – Bleib doch meine Freundin, meine Vertraute im Kummer! Solltest Du in meiner Handlung Schwachheit entdekken, so ahnde sie mit Nachsicht; denn sie kömmt gewiß aus dem beßten Herzen


Deiner Amalie.

62. Brief. An Amalie
LXII. Brief
An Amalie

Mädchen, Du läßt mich Dinge erleben, die mein Herz angreifen! – So wirst du denn immer und ewig fortbrausen im Wirbel deiner hizzigen Leidenschaften? – Ich möchte die Klosterweiber bei den Köpfen kriegen, daß sie Dir die [157] Ausführung einer Handlung versagten, die deinem guten Herzen Pflicht war! – Warum hast Du ihn aber auch gewählt, diesen Aufenthalt der eigensinnigen Bosheit? – Ich wußte es schon vorher recht gut, daß dein Temperament durchaus keinen Widerspruch dulden würde – und besonders da nicht, wo Natur, Theilnahme und Rechtschaffenheit Dich zur Rettung auffoderten. Ewiges Weh über die Nichtswürdigen, wenn dein übereilter Schritt übel ausschlägt! – Gutes unbegreifliches Geschöpf! – Aus Gutherzigkeit opferst Du Dich selbsten auf, um deine Schwester zu retten. Aus Gutherzigkeit wagst Du Ehre, guten Namen und vielleicht die ganze Ruhe deines Lebens! – Wer kann so ein Herz begreifen? – Wer kann es bezahlen? – Wer kann ihm an Güte gleichkommen? – Es ist wahr, der Brief deiner Schwester dringt bis ins Innerste! – Aber Freundin! – Freundin! – Wie kühn und männlich wagtest Du es, aus einem Kloster zu entspringen, da unbeschreibliche Schande dein Loos gewesen wäre, wenn man Dich eingeholt hätte! – Du bist rasch in deinen Unternehmungen, Du bist standhaft in deinen Entschlüßen, Du bist fürchterlich in deinem Zorne, wenn man ihn reizt! – Darf ich es sagen, ohne Dich zu beleidigen? Du besizzest große Tugenden, hast aber auch zugleich Anlage zu großen Ausschweifungen. Blos dein Herz bürgt mir dafür, daß die lezteren nie zum Ausbruch kommen werden, wenn es so geführt wird, wie ich es wünsche. Also jezt, liebes Malchen, bist Du in den Armen deines Gatten, ruhst unter dem Schuzze Dessen, der dir Alles seyn muß? – Amalie! – Darf ich Dich wohl mit wenigen Worten um Nachsicht, um Sanftmuth, um die strengste Erfüllung deiner Pflichten gegen ihn bitten? – Erwarte in deinem Mann blos den Menschen mit allen seinen anklebenden Gebrechen, und Du wirst Dich dadurch weniger selbst täuschen, Du [158] wirst Geduld mit seinen Fehlern haben. Die Männer sind oft launigt, mürrisch und roh. Fasse Dich auf alles, liebes Kind, dann wirst Du jeder seiner Leidenschaften mit Vernunft begegnen. – Wenn dein Mann seine Pflichten erfüllt, so bist Du ihm die der deinigen doppelt schuldig – als Gattin und als dankbare Freundin. – Und wirst Du endlich einst Mutter, o dann theile mir deine Freude mit, laß mich sie mitempfinden diese reizende Hofnung deines verjüngten Ebenbildes. – Gerne würde ich mich heute länger mit Dir unterhalten, aber die Krankheit meiner Mutter hält mich davon ab. – Lebe ruhig – glüklich – und mir hold. – Das wünscht deine ewig zärtliche Freundin


Fanny.

63. Brief. An Fanny
LXIII. Brief
An Fanny

Von tiefem Schmerz angeschwollen ist mein Herz über die Streiche meines grausamen Schiksals! – Sie ist hin, meine innig geliebte Schwester, sie ist todt! – Der Gram hat sie geopfert! – Sie haben ihren Zwek erreicht, die Mörder ihres Lebens! – Sie haben sie so lange gequält, gemartert, gepeinigt, bis der schwache Körper mürbe war zum Grabe, das man ihr vorsezlich grub! – – Menschen-Grausamkeit geht über allen Ausdruk, denn sie ist so manchfaltig, und hat so viele heimliche Triebfedern zu ihrer Ausübung. – Ich glaube, daß der Richter einst nichts so unbarmherzig strafen wird, als die Thränen, die man seinem Nebenmenschen abpreßt. – Wenigstens scheint in der Natur nichts sträflicheres, als dieses! – Und doch richten sich die Menschen untereinander lachend zu Grunde! – Also habe ich denn jezt Alles mit dieser einzigen Schwester verloren, was meinem [159] Herzen theuer war? – Nun so bin ich denn hingeworfen, in die weite, für mich trostlose Schöpfung! – Vater, Mutter, Schwester, alles ruht in der unendlichen Ewigkeit! – Sie haben mich zurükgelassen, die Grausamen, in einer Welt, wo vielleicht keine Seele mehr mein Herz zu schäzzen weis. In einer Welt, wo ich, ohne von den Banden des Bluts gefesselt zu seyn, verlassen herumirre. – Nichts werde ich diesen Theuren mehr mittheilen können, jede Last muß ich jezt allein tragen! – Zutrauen, Mittheilung, Linderung im Kummer, in welchem Menschenherz werde ich euch wieder finden? – Wenn mein Gatte mein unendlich fühlbares Herz verkennte, wenn er mit Leichtsinn darüber hinweghüpfte? – Wenn ihm die Feinheit meiner Empfindungen unbegreiflich wäre? – Wenn ich mich irren sollte in seinem Karakter? – O Tod! – Tod! – wie willkommen wärst du mir dann! – Noch ist er nicht zurük, dieser einzige Mann in der Natur, auf dem mein Wohl oder mein Elend beruht. – Er schrieb mir, daß er meine Schwester mitten im hizzigen Fieber angetroffen hätte, daß ihr erster und lezter Laut mein Namen gewesen wäre, daß es ihn fast vor Wehmuth erstikt hätte, diese Unschuld, diese Jugend am Rande des Grabes zu finden! – Daß die Nonnen die Ursache ihrer Krankheit läugneten, und daß der Vormund mehr als jemals den Heuchler spielte. Mit Engelssanftmuth starb diese Dulderin der Menschenbosheit! – Mit inniger Seelengüte drükte sie meinen Mann, statt meiner, an ihre sterbenden Lippen. – Mit der heiligsten Wahrheit einer Sterbenden beschwor sie ihn, mir Alles zu werden, was zu meinem Trost gereichen könnte! – Und so, meine Fanny, flog ihr Geist in die Arme ihres Erlösers. Ewig wird mir diese einzige geliebte Schwester unvergeßlich bleiben! – Ich liebte sie eben so leidenschaftlich, wie ich überhaupt ohne Unterschied des Geschlechts zu lieben pflege. Denn meine Liebe ruht in der [160] Güte des Herzens und nicht in der Wollust. Mit brennender Sehnsucht, mit marternder Ungeduld, kann ich den Tag kaum erwarten, wo mein Gatte zurükkehren wird. – Er wird mein Vermögen mitbringen, und wie glüklich bin ich, daß ich dadurch das seinige vergrößern kann! – Bis jezt hab ich aus Verwirrung der Umstände nicht im geringsten Einsicht in seine ökonomische Lage bekommen. Wenn er ein Betrüger seyn wollte, er könnte sein Vermögen ganz verschwenden, ohne daß ich den geringsten Anspruch darauf machen könnte, denn ich habe mich in der rasenden Angst blos an seine Ehrlichkeit verheirathet. – Glaube mir, Fanny, der Mensch gehört in gewissen entscheidenden Augenblikken nicht sich selbst zu. Ist meine Heirath nicht ein Beweis davon? – Die Leidenschaft des Mitleidens bemächtigte sich meiner, und die kalte Ueberlegung bei einem so gewagten Schritt kam da zu spät, wo die Schwesterliebe so mächtig sprach! – Ich habe gelernt das Elend Anderer tiefer zu fühlen als das meinige. Ich habe ein Herz, das nur dann zufrieden ist, wenn Andere es auch sind, Nächstenliebe war mir von Jugend an heilig und feurig ins Herz geschrieben, und wenn es etwa eine Strohseele gelüsten sollte, meine Handlung für übertrieben anzusehen, die will ich auf das Gesez Gottes zurükweisen, das uns laut zuruft; Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! – Und wer war mir näher als meine Schwester? – Wen liebte ich dazumal feuriger als meine theure Louise? – O du holder verklärter Schatten blikke zuweilen herab mit Mitleiden auf deine hinterlassene Amalie! – Sey mein Schuzgeist im Leiden, meine Führerin auf den felsigten Wegen der gefährlichen Welt! – Deine Unschuld sey meine Fürsprecherin vor dem Throne des Allmächtigen! – Deine Tugend meine Begleiterin, und dein Andenken halte mein Herz der Rechtschaffenheit offen. Traurig ohne Dich werden meine Tage dahinschleichen; aber [161] die Hofnung, Dich einstens dort wieder zu sehen, wird mir Stärke und Muth verleihen. Die Thränen, die ich jezt während dieses Briefs weine, seyen deiner Liebe geweiht, die Du mir in deinem lezten Athemzug noch zuhauchtest. – Liebste, beßte Fanny! – Schreibe es meiner Lage zu, wenn ich deine Seele mit Bildern der finstern Schwertnuth anfülle. Wer sollte nicht darüber nachdenken and empfinden? – wenn eben diese Lage mein Herz von allen Seiten angreift! – Hab Geduld, habe Nachsicht mit deiner unendlich leidenden


Amalie.

64. Brief. An Amalie
LXIV. Brief
An Amalie

Liebe, gute Amalie! – Die neue Wunde, die Dir wieder dein Schiksal schlug, muß tief in dein Herz gedrungen seyn! – Aber ist es nicht der Vorsehung Werk? – Beruhige Dich um Gotteswillen, du bist es Dir, Du bist es deinem Gatten, Du bist es deiner Fanny schuldig! – Ich will Dir ja mit einem fühlenden Herzen Alles seyn, Schwester, Mutter und Freundin! – Kannst Du in einer an guten Menschen darbenden Welt mehr fodern? – Mein Geschik ist zwar neidisch genug, mich nicht an deiner Seite zu lassen. – Aber Trost, Freundschaft, Rath, Thränen, Mitleid, das alles, mit Dir, auch in der Entfernung zu theilen, ist für mich Götterwollust! Laß es austoben dein hartes Schiksal, es kann nicht immerfort so rasen, es muß brechen, wenn seine Wut auf den höchsten Gipfel gestiegen ist. Tröste Dich mit dem Leiden Anderer, es giebt noch weit Unglüklichere. Es giebt Menschen in der Welt, die im Stillen am tiefsten Gram dahinzehren. Die sich nicht einmal können, [162] nicht einmal dürfen mittheilen, die finster, in sich geschlossen zurükgeschrökt von der Menschheit, durch die Folter ihrer Ruhe bis zum Grabe hingeschleppt werden! Verlust der Ehre, des guten Namens, Gefangenschaften, verfolgte oder betrogne Armuth, Falschheit der Freunde, Todesfälle, unglükliche Ehen, böses Gewissen, sind so ungefähr die herrschenden Plagen dieser Welt, auf die wir uns gefaßt halten müßen. Schon hast Du mehrere dieser Klassen durchwandert, und Dir dadurch einige Stufen zum ungestörten Leben jenseits gebaut. – Ist diese Hofnung nicht reizend? – Ist sie nicht ein starker Schuz gegen die Kleinmuth? – Sagt Dir nicht deine Vernunft, es eilt dahin dies träumende Leben zu einem bessern? – Werden nicht alle irrdischen Hofnungen in dem unglüklichen Menschengehirn gestört? – als gerade diese nicht, wenn sie in einem Herzen liegt, das sich der Religion öffnet. Diese Stimme, die jeden Christen bei den Abgründen seines grausamen Schiksals zurükruft, muß untrügliche Warheit seyn, denn sie ist zu mächtig, zu tröstend für den armen Wanderer! – Sey billig, meine Freundin, gegen die Fügungen des Schöpfers. Empfinde sie, aber murre nicht. Dein Herz ist zu groß, deine Seele zu erhaben, um nicht über kurz oder lang mit Standhaftigkeit eine Aenderung abzuwarten. Anhaltendes Unglük untergräbt freilich unsere Gesundheit, wenn die Natur uns schwache Nerven gab, aber es bildet das Herz, veredelt die Seele, klärt den Verstand auf, und macht uns zu wahren denkenden Menschen. Unsere Empfindung wird durchs Unglük feiner, unser Herz mitleidiger, und unsere Tugend erhabner. – Ich glaube immer, der wahre gute Mensch muß wenigstens einmal in seinem Leben unglüklich gewesen seyn, sonst kann er nicht wahrhaft gut seyn, denn Befriedigung aller Wünsche im menschlichen Leben stumpft die Seele ab, erwekt Ekkel und Hartherzigkeit. Die Menschen, die in ungestörten Freuden [163] des Lebens dahin taumeln, mit nichts zu kämpfen haben, besizzen wenig Seelenkräfte, und besonders gar keine Standhaftigkeit, wenn es darauf ankömmt Andern zu helfen oder mit ihnen zu fühlen. Sie sind Maschinen, die, wenn sie dem Wohlleben entrißen werden, nichts weiter empfinden, als den Verlust ihrer unbefriedigten Sinnlichkeit. Im Unglük lernt man denken und moralisch handeln, denn kein Herz das einmal selbst geblutet hat, wird ein anderes zum bluten bringen. Man muß die Leiden selbst empfunden haben, wenn man Andere damit schonen will. Man muß schon mehrmalen das Opfer der Untreue, der Falschheit, der Niederträchtigkeit gewesen seyn, um sie nicht an Andern auszuüben. Kurz, das Herz wird unstreitig durchs Unglük besser. Streite also muthig, Freundin, mit deinem Schiksale. Nimm es auf, wie es die Absicht des gütigen Schöpfers ist. Hättest Du nicht mit so unendlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, wer weis, ob nicht Leichtsinn und Ausschweifung bei deiner äußersten Lebhaftigkeit Dir zu Theil geworden wäre. – Wer weis, ob Du nicht schon als ein Opfer der Wollust auf dem Krankenbette jammertest. – Wer weis, ob dein Herz nicht stolz, ob alle deine Leidenschaften nicht über den Kopf geherrscht hätten. – Komm, meine Amalie, laß uns fest entschloßen, mit aller Tugend der Sanftmuth, mit aller Ergebenheit für die Geheinmiße des unbegreiflichen Schiksals, bis zu jenen schaudernden Augenblikken fortwandeln, wo die Natur ihr Nichts wieder zurükfodert, und der Schöpfer eine Seele erwartet, die er zu seiner Verherrlichung in einen zertrennlichen Körper legte. Das ist unser Endzwek, meine Theure; das übrige, was in dem menschlichen Leben vorgeht, ist ein Traum, der länger oder kürzer dauert. –


Deine Fanny. [164]

65. Brief. An Fanny
LXV. Brief
An Fanny

Du liebe Freundin wirst über mein Stillschweigen gestaunt, gezittert und unabläßlich der Ursache davon nachgeforscht haben. Ich weis, daß ich dadurch dein Herz zerrißen, deine Freundschaft beleidigt und deiner Seele Kummer gemacht habe. Es war nicht meine Schuld, Fanny; halte es zurük dein Verdammungsurtheil! – Ich habe deinen leztern Brief wohl tausendmal gelesen, eben so innig gefühlt, und ihn bei seiner Durchlesung durch Thränen des guten Willens völlig aufgezehrt. Bei Gott sey es geschworen, meine Freundin! – Ich habe alles versucht, mein neues Unglük, das deine ganze Vernunft niederdonnern wird, zu dulden! – Ich lebte vier ganzer Monat ohne Trost mit der Gelassenheit einer Christin; aber nun harre ich nicht länger in der entsezlichen Lage aus, ich muß mir Luft machen! Du sollst es erfahren, was mit deiner Amalie vorgeht; Du sollst mich in der Welt allein bedauern, denn von Andern mag ich nicht bedauert seyn! – Ich kann ihn nicht wieder zurükthun, diesen Schritt, der mir eine schaudervolle Zukunft verspricht! – Er ist geknüpft vor dem Altar der Knoten meines ewigen Kummers! – Und nun höre wie deine Freundin für ihr gutes Herz belohnt wird. – Ungefähr einen Monat nach der Zurükkunft meines Mannes, genos ich noch selige, wonnevolle Tage, doch die Täuschung wurde kurz hernach in eine schrökliche Aussicht verwandelt. Ich entdekte in meinem Manne den leidenschaftlichsten Spieler, den je die Erde trug! – Er war schon so tief in diesem Laster gesunken, daß er mich in dem zweiten Monate meiner Ehe ganze Nächte durch von ihm verlassen mit der Verzweiflung ringen lies. [165] Ich versuchte alles, um ihn durch Sanftmuth davon abzuhalten, anfänglich schien es auf ihn zu wirken, er versprach mir Besserung, aber der Schwache täuschte sich selbst, denn er war wieder auf dem alten Weg, eh er mir nur Zeit lies, neue Kunstgriffe der Zärtlichkeit gegen ihn anzuwenden. Die Gewohnheit des Spiels half ihm zur Verstellung, zur Lüge, er täuschte meine Leichtgläubigkeit mit Unwahrheit, wenn er sein langes Ausbleiben mit nichts anders zu entschuldigen wußte. Er ist kalt, rauh, leichtsinnig, nachläßig in seiner Pflicht durchs Spiel geworden. Er nährt nur den Endzwek des Eigennuzzes, und diesen verfolgt er auf Kosten seiner Ehre und seines guten Namens. Er war von jeher Spieler von Profeßion; und die niederträchtigen Stifter meiner Ehe, sagten mir es nicht, oder wußten es vielleicht selbst nicht. – Aus Barmherzigkeit, Freundin, gieb mir Rath, gieb mit Auskunft, wie ich mich in dieses Elend finden soll! – Mein Mann herrscht unumschränkt über unser beiderseitiges Vermögen, und ist schon so weit verwildert, daß er mir keinen Blik in seine ökonomische Lage erlaubt. Er befriedigte zwar bis jezt die Bedürfniße des Hauses, lies es mir an nichts fehlen, aber ist übrigens verschloßen und geheimnisvoll. Ich habe ihn beobachten lassen; er verspielt täglich große Summen und gewinnt selten; er hat noch überdies die rasende Sucht an sich, das Spiel zwingen zu wollen, und nichts bringt ihn vom Spieltisch weg, wenn er sichs in den Kopf gesezt hat zu gewinnen. Gott! – Gott! – Wie kann ein fühlender Mensch seine Ruhe, die Liebe seines Weibs, die Glükseligkeit seines Hauses dem eigensinnigen Glük des Spiels entgegensezzen? – Lokkere Gesellen sind sein Umgang, eine Art kalter Sorglosigkeit seine Philosophie, Ekkel an Allem, außer dem Spiel, scheint seine Seele zu bemeistern. Sein Herz dünkt mich nicht ganz böse, aber seine Grundsäzze sind nicht weit her. Er scheint mich mehr im Taumel seiner [166] Leidenschaften zu vergessen als zu verachten. Seine Liebe sucht nicht die moralische Nahrung in meinem Herzen, die unser Beider Glük ausmachen könnte. Er sieht mehr auf die Befriedigung körperlicher Pflichten bei mir, als auf die Beruhigung meines verstimmten Gemüths. Er hat nicht unbefangenen Geist genug, um in den innern unglüklichen Zustand meines Herzens zu dringen. Er hält mein sprachloses Leiden für Schüchternheit, meine Thränen für Schwachheit, meine Gutheit für Einfalt, mein Nachgeben für Sklaverei, meine Liebe für überspannt. So beurtheilt er mich, und so bin ich sein Geschöpf, aus dem er machen kann, was er will. Heimliche Raserei hat sich schon oft meiner bemächtigt, oft war ich im Begrif bei Erblikkung der nächsten lebenden Kreatur in lautes Geheul auszubrechen und ein Menschenherz zu suchen, das Antheil an meinen Leiden nähme! Blos die Schonung unsers beiderseitigen guten Namens hielt mich bis jezt noch von Entschlüßen ab, die fürchterlich ausfallen könnten! – In vier Wochen kömmt mein Oheim von seiner Reise zurük; wie werde ich mein Verbrechen vor ihm entschuldigen können? – Wie werde ich erscheinen, vor einem Manne, der Freude an mir zu erleben glaubte? – Wie werde ich beben, ihm das Geständniß meiner übel getroffenen Ehe zu entdekken! – Wie gräßlich wird mein selbstgewähltes Schiksal seine Vorwürfe erschweren! – Er wird mich von sich stoßen, er wird mich meinem Gram überlassen! – Ich werde erliegen unter der Last meines Elends! – O Freundin! – Mitleiden – Mitleiden mit deiner äußerst schwermüthigen


Amalie. [167]

66. Brief. An Amalie
LXVI. Brief
An Amalie

Du hast mich, meine Liebe, während dieser vier Monaten manche Thräne vergießen machen! – Nichts ist quälender, als Ungewisheit über den Zustand einer Freundin, die man so liebt, wie ich Dich liebe. – Oft nahm ich mir vor, Dir zu schreiben, aber doch wagt ich es nicht, weil ich eine Ahndung im Herzen fühlte, die mich zurükschrökte! – Wer weis, in welcher Lage sie lebt? – Wer weis, ob sie Briefe ohne Aufsehen empfangen kann? – Wer weis, ob sie ihrem Gatten diese geheime und offenherzige Korrespondenz anvertraut hat? – So, und dergleichen sagt ich mir wohl tausenderlei vor, bis endlich dein Brief kam, der mich bis zum unbegreiflichsten Gefühl beugte! – Ueber jedes andere Laster, das dein Gatte an sich haben möchte, wäre ich nicht so erschrokken, als über seine Spielsucht, denn diese ist das entsezlichste unter allen! – Ein Spieler vergißt Gott, Natur und Menschen! – Jedes Laster der Männer kann gesättigt werden, wenn ein vernünftiges Weib den Zeitpunkt zu nuzzen weis, wo die Leidenschaften den Mann zum Kinde machen. Aber Spielsucht ist ohne Sättigung, ist beinahe untilgbar aus dem Herzen eines Mannes, der das Spiel zur Hauptleidenschaft werden lies. Der Wollüstling kehrt zurük, wenn die Nachsicht seines Weibs ihn zur Ueberlegung zwingt, wenn er einzusehen anfängt, daß er das reine Herz seiner Gattin mit dem feilen Körper einer Buhldirne vertauschte. Der Trinker entsagt manchmal dem Trunk, wenn ein vernünftiges Weib seine Ehre vor den Menschen hinlänglich zu reizen weis, oder wenn er durch den Trunk seine Gesundheit in Gefahr sieht. Der Geizige vergißt aus Liebe zu seiner [168] Gattin den Reiz des Geldes, und überläßt ihr willig seine Oekonomie, wenn sie sich sein Zutrauen zu gewinnen weis. Der Brausende mildert sein Feuer, wenn eine verstohlne Thräne im Auge seiner Gattin ihn entwaffnet. Der Unthätige wird fleißig, wenn er sein liebes Weibchen dankbar dafür sieht. Der Leichtsinnige lernt denken, wenn ihm die Tugenden seiner Gattin so häufig begegnen, daß er ihnen selbst folgen muß. – Aber der Spieler ist fast für alles fühllos, denn der Reiz des Gewinnstes versüßt ihm die Gefahr des Verlusts und tilgt in ihm den Vorwurf der Verschwendung. Sein lasterhaftes Ideal ist auf eine trügerische Hofnung gegründet. – Die Gewohnheit macht kühn, die Kühnheit im Spielen unternehmend, und nicht selten ist Verzweiflung, Dieberei und andere Niederträchtigkeiten, das endliche Loos eines leidenschaftlichen Spielers. Es schmerzt mich schröklich theure Amalie, daß ich Dir alles das sagen muß, es geschieht auch blos um Dich anzufeuern, dein Alleräußerstes zur Besserung deines Mannes anzuwenden. Wer weis, vielleicht hat diese Leidenschaft nicht gar zu tiefe Wurzeln! – Vielleicht ist es Langweile oder Verführung! – Mache ihm ja keine Vorwürfe darüber, Du würdest ihn in dieser Gewohnheit stärken. Such ihn zu Hause in Gesellschaft guter Freunde zu unterhalten. Vielleicht vergißt er nach und nach seine übrigen Bekanntschaften. Zeig ihm nicht zu viel Gutheit, aber auch keinen Troz; suche seine Vernunft durch ein muntres Gespräch zu fesseln; laß nur unvermerkt ein Wort in Betreff seiner üblen Gewohnheit fallen. Vielleicht gelingt Dir ein Meisterstük der Besserung an ihm. Ich hoffe alles von deinem Kopfe und Herzen. Ich weis, daß, wenn er sich nicht bessert, es gewis nicht deine Schuld ist. Darum bitte ich Dich, Liebe, Theure, laß deinen Gram nicht zu hoch steigen! Es ist ja nicht deine Schuld, wenn er durchaus mit vollen Schritten dem Verderben zueilt. – Du verkennst [169] übrigens das Herz deines Oheims, wenn Du Bitterkeiten von ihm erwartest, die gewis nicht in seinem Karakter liegen. Er wird freilich ein wenig über deinen Ungehorsam zürnen, aber nie wird er ihn auf Rechnung deines Herzens schreiben. Ein Mann, wie dieser, kann keine Handlung verdammen, die aus Ueberfluß des Gefühls unternommen wurde. Er wird über deinen Ehestand trauren, weinen, aber Dich nie aus einem Herzen verstoßen, worinn Du so tief eingegraben bist. Sey ruhig in Ansehung dieses, meine Liebe; Du kannst es seyn, Du darfst es seyn! Schreib mir, ich bitte Dich, bald wieder, denn meine Angst um dein Wohl ist nicht klein. – Mitleiden gegen deinen Mann und Liebe für Dich, erfüllen meine ganze Seele, und stündlich flehe ich den Himmel an, Dir in deiner traurigen Lage Geduld zu verleihen. –


Deine Fanny.

67. Brief. An Fanny
LXVII. Brief
An Fanny

Vier Wochen sind wieder vorbei, und ich habe sie durchgeweint und durchgeseufzt! – Es ist aus, meine Fanny, mit der Beßerung meines Mannes! – Ich habe Alles angewandt, Alles versucht, und nichts hat auf ihn gewirkt! – Er fängt an über meine Sanftmuth mürrisch zu werden, er bleibt jezt des Nachts länger als jemals aus. Wenn er dann zu Hause kömmt, so beherrscht ihn eine Laune, die mich durch und durch erschüttert! – Schlaflos, voller Furcht, unter banger Erwartung schleichen meine Stunden des Nachts dahin, bis ich die Thüre öffnen höre. Mein ganzer Körper fängt an zu zittern, noch eh er sich mir naht. Erwürgen möchten mich beinahe der innerliche Schmerz über beleidigte [170] Liebe, der Verdruß und Aerger über seine Zügellosigkeit; und doch wagte ich es noch nie, nur eine Silbe von Vorwurf gegen ihn fahren zu laßen. – Ich bin gewis, daß in dieser kurzen Zeit unser halbes Vermögen verspielt worden ist. Dieser Gedanke an seine Verschwendung tobt fürchterlich in mir; ich betrachte ihn als einen Niederträchtigen; der mich unsinnig dem Elend Preis geben wird. – Du weißt, Freundin, wir sind Menschen, wir haben Galle... und wenn Du empfändest wie eiskalt mir seine Schmeicheleien, denen er sich bisweilen aus Temperament überläßt, durch den ganzen Körper schaudern, Du würdest Dich entsezzen, und für meine Liebe zittern! – Ich habe sein Herz, seinen Antheil an mir verloren, und nichts ist mir übriggeblieben, als die Bedürfniße seines Temperaments. O das ist eine abscheuliche Entheiligung der Liebe, wenn ihre Triebe nicht aus gutem Herzen quillen! – Und wie kann sein Herz gut seyn, wenn er mich mit sich zur Dürftigkeit hinschleppt? – Wenn er mich hinschleppt zu jenen Abgründen der Armuth, die das wohlgezogene Weib entweder zum Grab führen – oder wenn sie nicht standhaft genug ist, wenn sie glitscht, die Elende, in die Arme der Ausschweifung. Gott! – Ich kann den Ueberrest unsers Vermögens durch keine Zwangsmittel verwahren laßen. Ich laufe Gefahr von seiner Wut mishandelt zu werden! – Und wer läßt überhaupt gerne die Streitigkeiten der Ehe wissen? – Gutgezogene Menschen scheuen sich ihr Unglük öffentlich bekannt zu machen; denn der Mitleidigen sind wenige, aber desto mehr der Verläumder, besonders bei einer unglüklichen Ehe, wo die Stimmen so getheilt sind. Oft trag ich in Gesellschaft, worein mich der Wohlstand zwingt, die lachende Gestalt der Freude, und im Herzen sieht es finster wie die Nacht aus. – Der Kummer welkt meine blühende Farbe, sie sind beinahe abgepflükt vom Gram, die Rosen des Frühlings. Alles neigt sich bei mir immer mehr [171] und mehr zur Schwermuth. Jede Kleinigkeit rührt mich bis zu Thränen, jeder Hauch erschüttert mich, jeder Schatten macht mich zittern; sie fangen an zu sinken die weichen Nerven der weiblichen Natur! – Und wenn ich denn vollends einen Blik auf mein Kind werfe, das ich unter dem Herzen trage, o dann wacht alles Feuer der Leidenschaft wieder in mir auf, ich möchte ihm dann um den Hals fallen, dem Vater meines Kindes; ich möchte so lang an seinem Halse hängen bleiben, bis mein Schluchzen die Natur erweichte! – Kurz war die Freude, die diese Nachricht meiner Schwangerschaft auf sein Herz machte; kalt ist dieses Andenken des Entzükkens in ihm; übertäubt ist sein Gefühl vom Eigennuz. – Kein Mitleid, keine Schonung, keine Sorgfalt für die Mutter seines Kindes läßt er blikken. Das Spiel macht ihn grausam, hart und unmenschlich! – Gott! gieb mir Mässigung! – Ich fürchte, ich fürchte, wenn meine Heftigkeit einstens losbricht, daß ich dann die Schranken der Gattin übertretten werde!!! – Lange läßt sich der Wurm tretten; aber wenn er sich loswindet, so sind seine lezten Krümmungen die schrekhaftesten! – Blos um meines Kindes Willen trag ich die Last mit der möglichsten Duldung. Aber wer bürgt mir für die Standhaftigkeit dieses Vorsazzes? – Wer ist fühlloser Mensch genug, mich zur andauernden Marter zu verdammen? – Fanny! – Fanny! – Ich bin in der gefährlichsten Stimmung! – Nur die Religion ist mir noch ehrwürdig, sonst würde ich sie zerreißen diese Bande der Barbarei, die den Pflichtlosen an den Unschuldigen, zu des Leztern Verzweiflung, ketten! – Mein Oheim ist zurük; er hat mir vergeben, und fodert Rechenschaft von meines Mannes Verhalten. Weh mir! – Was kann ich ihm sagen, als .... o Gott! Laß mich nicht murren, laß mich dulden, so lange es Dir gefällig ist!


Deine Amalie. [172]

68. Brief. An Fanny
LXVIII. Brief
An Fanny

Gegenwärtiger Brief wird meinen leztern an Gram übertreffen, denn er hat seither in meinem Herzen Wurzeln gefaßt, dieser Gram, ist gewachsen und reif geworden! – Alles stürmte auf mich los! – Und ich wagte in der Verzweiflung einen Schritt, den nur eine Wahnsinnige wagen kann. – Lebhafte Temperamente sind die Mörder der Ueberlegung; man rast der ersten beßten Aussicht entgegen, die man sich im Anlauf der Galle so willkommen sieht! – Hizzige, gallsüchtige Köpfe, denen es an guten Herzen fehlt, nehmen meistens ihre Rache an dem Beleidiger; aber ich nahm sie an mir selbst, an meinem Kinde, an meiner Gesundheit, an meiner Ehre, an meiner Familie! – Es ist freilich wahr, ich wurde mit mörderischer Hand mishandelt! – Mein Kind ist durch Grausamkeit vertilgt worden aus dem Schoos ihrer Mutter! – Sie ist dahin die Frucht meiner süßesten Hofnungen! – Ein wütender Augenblik meines Mannes hat mich bis zu dem Rande des Todes geschleppt, dem ich mit entzükkender Erwartung entgegen sah! – Ich will Dir diesen Auftritt seiner abscheulichen Leidenschaften schildern, um Dir, wenn es möglich ist, nur einen Schatten meines Elendes zu zeigen! – Mein Mann blieb einstens, wie gewöhnlich, bis spät in die Nacht hinein in seiner Spielgesellschaft. – Was ich während diesen langen sechs Stunden, die ich schlaflos auf ihn vergebens harrte, ausstund, das läßt sich nicht beschreiben! – Angst, Furcht, Schrekken, gräßliche Bilder der Zukunft, der hofnungslose Gedanke seiner Beßerung, die Kälte meines Oheims, den er durch Heuchelei zu gewinnen wußte, Sehnsucht nach einem andern beßern Herzen, die Herannahung [173] der drohenden Dürftigkeit machten meine Seele in einem Labyrinth des unbegreiflichsten Schmerzens verirren! – Ich konnte weder weinen, noch klagen, ich konnte weder schlafen, noch wachen, ich träumte fort bis es mein Gehirn angriff, und der trostlose Zustand meiner Lage mich beinahe ums Leben brachte! – Auf einmal hörte ich Lärm und Gepolter; ein kalter Schauer durchzitterte meine Nerven, mein Mann stürzte rasend, mit zerrissenen Haaren, ins Zimmer, ich bebte, er sprang auf mich zu, faßte mich an und fluchte schröklich! – Die Todesangst trieb mich aus dem Bette, ich suchte ihn zu entwaffnen, stürzte zu seinen Füßen, aber seine Raserei wurde immer heftiger, er wand meine langen Haare um seine Hand und schleppte mich barbarisch im Zimmer herum! Ich schrie nicht, ich klagte nicht, und das machte ihn noch boshafter, denn er hätte gern eine Furie in mir getroffen, um seiner Wut mehr Nahrung zu geben. Er tobte über meine Gelassenheit, und sehnte sich nach Anlaß, mir mit Recht so begegnen zu können. – Meine Standhaftigkeit, meine Seelengröße schien seine Wut zu verdoppeln! – Er schäumte nach einer Mordthat, und wußte nicht, ob er sich oder mich zuerst umbringen sollte! – Meine Natur und meine Leibesfrucht wurden über diesem Auftritt erschüttert! – Ich sank in Betäubung hin, und er ließ mich mehrere Stunden sinnlos ohne Hülfe liegen. – Keine Seele von unsern Bedienten durfte ins Zimmer, worinn ich mit ihm war. Endlich fiel ihm der Gedanke an sein Kind ein und erweichte ihn in etwas; er nahte sich mir und fragte um meinen Zustand? – Die erste Thräne zitterte jezt seit so vielen Stunden aus meinem Auge! – Ich verhelte ihm die Gefahr meiner Frucht und meines Lebens; fragte ihn sanft um sein Befinden und um die Ursache seiner Krankheit? – Er gestand mir, daß er diese Nacht beinahe das ganze Vermögen verspielt hätte, daß Verzweiflung sich seiner bemächtigt hätte, die ihn am Leben ekkelnmachte, [174] daß er mich in dem Augenblik gehaßt hätte, weil ihm mein Anblik eine tödtende Erinnerung seiner Ausschweifungen gewesen sey! – Er gestund es selbst, daß ihn ewig und ewig nichts von der Spielsucht retten könnte! – Er schien mich zu bedauern, und gieng doch wieder aufs Kaffeehaus, seiner Neigung entgegen. Während dieser Zeit verließen mich meine Kräften, ich verlor mein Kind, und niemand zweifelte an meinem nahen Tode. – Man hinterbrachte ihm diese Nachricht, er schien darüber zu stuzzen, aber kam demungeachtet mehrere Tage nicht nach Hause. Die Sorgfalt der Aufwärterin und meine Jugend beförderten bald wieder meine Gesundheit. Man rieth mir, meinen Mann zu verlaßen, um mein Leben zu schonen, das bei ihm in augenbliklicher Gefahr stünde. Ich hielt diesen Rath anfangs für abscheulich, bis ich endlich überlegte, daß die Pflichten gegen sich selbst immer die ersten sind, und verließ ihn heimlich, zwar ohne Plane, blos mit der kleinen Hofnung auf die Hülfe meines Oheims; und so harre ich schon seit mehreren Wochen auf das Gutdünken desselben. Wie's weiter mit mir gehen wird, weis ich nicht, aber so viel weis ich, daß ich die Elendeste unter den Sterblichen bin! –


Amalie.

69. Brief. An Amalie
LXIX. Brief
An Amalie

Arme, bedaurungswürdige Freundin! So ist denn immer und ewig wahr, daß Du die Unglüklichste unter den weiblichen Geschöpfen bist! – Gräßlich ist deine Lage, grausam das Betragen deines Mannes, tirannisch dein Schiksal; ich möchte weinen, bis mir das Herz bräche, ich möchte trauern, bis zum Tage deiner Auflösung, wenn ich der Stimme ganz [175] Gehör geben wollte, die mir laut zuruft: Herr Jesus! – Wie wird mit deiner Amalie gehandelt! – Man martert Dich bis auf den Tod! – Man raubt Dir Gesundheit und Seelenruhe! – So jung, und so unendlich unglüklich! – So jung, und so erbärmlich mishandelt! – Mein Gott! – Mein Gott! – Wenn ich nur bei Dir seyn könnte! – Wenn ich sie nur auffangen könnte, die Streiche deines schröklichen Schiksals! – Wenn ich nun vollends deine Lebhaftigkeit bedenke; wenn ich denke, daß ein beleidigtes gutes Herz zu Allem fähig ist; wenn ich denke, daß Dich einst Verzweiflung zu Allem verleiten könnte; o dann schwindelt mir vor der Zukunft! – Aber wie? – Auch dein guter Oheim ist für Dich nicht mehr das, was er war? – Nein, das ist unmöglich, Malchen! – Die Heuchelei deines Mannes hat blos die Oberfläche berührt, sie ist nicht in sein Herz gedrungen. Ich kenne sein Menschengefühl, ich kenne seine Liebe für Dich. Vaterliebe, Gewißen, Vernunft, Mitleiden, werden bald wieder an die Stelle dieser Kälte tretten; Du wirst siegen über ihn, dein Mann mag ihm geschrieben haben, was er will! – Hat dieser Oheim Dich nicht erzogen? – kennt er nicht die innersten Falten deines Herzens? – Liebt er Dich nicht innig und warm? – Getrost, Liebe! bald wird dein Oheim Dich selbst trösten. – Herr Gott im Himmel! – Wie der Gedanke an deinen Mann wieder von neuem in meinem Kopf stürmt! – Und dieses Ungeheuer hatte den Muth, Dich arme Dulderin bey den Haaren herumzuschleppen? – Und Du Engel der Sanftmuth, ließest Dich ohne Murren, ohne den geringsten Laut von Dir zu geben, so teuflisch behandeln! – O diese Standhaftigkeit ist unbegreiflich, ist die größte Seelenstärke, die je in einem Weibe wohnte! – Auftretten mag sie, das Weib in der Schöpfung, wenn es noch eine giebt, und mit Dir um Preis einer solchen Tugend ringen! – Malchen! – Malchen! – Du mußt schon Ueberdruß [176] an deinem Leben fühlen, sonst könntest Du nicht mit der Gelaßenheit die Gefahr Deiner Gesundheit ertragen. – Herrliche, brave Seele von einem Weib! – Schone Dich um Gottes Willen, kehre zurük zu den Freuden der Natur! – Höre auf, Dich selbst zu tödten! Welches Gesez wird es billigen? – Höre auf, dein Leben zu Grunde zu richten! – Natur, Gott und Menschen sind nicht so grausam, daß sie eine Unschuldige mit den Ausschweifungen eines Lasterhaften geißeln wollen! – Dein Mann ist verloren, keine Beßerung ist mehr zu hoffen! – Sein Gefühl ist weg für Dich, für ihn selbst! – Wer könnte Dir rathen an der Seite eines Barbaren zu schlafen, der alle Augenblikke bereit ist, dein Mörder zu werden! – Wer wäre unempfindsam genug, ein holdes weibliches Geschöpf länger unter der Tirannei eines Verrükten zu laßen? – So ein armes schwaches Weibchen sollte, bei dem geringsten Geräusche, bei dem mindesten Knarren der Wand, zittern, beben, und Todesangst fühlen? – sollte sich gutherzig unter den Klauen eines Unsinnigen würgen laßen? – Und warum? – Weil ihre Gutheit an einen Unglükseligen gerieth, der sie nicht zu schäzzen weis! – An einen Mann, der seine Uebermacht blos darum fühlt, weil seine Frau nicht pöbelhaft genug ist, bei dem Richter Hülfe zu suchen. – Bei Gott! – Das wäre wider die Menschheit! – Da sinkt sie hin in einem Winkel des Zimmers, das Opfer der schröklichsten Grausamkeit, kämpft mit der augenscheinlichsten Lebensgefahr, schreit zu Gott um Beistand, ringt die Hände, und bittet im Stillen ihren Henker um den lezten Todesstreich! – So ein armes, schwaches, empfindsames Weib sollte noch länger ihre feinen Glieder peinigen laßen! – O menschliches Gesez, ich würde dich verabscheuen, wenn du das fodern wolltest! – Du hast wohl gethan, Freundin, Dich zu entfernen, jede Pflicht ist nur dann heilig, wenn unsere Selbsterhaltung nicht darunter leidet! – Wie kann die Religion, [177] wie können die Gesezze von Dir ein so theures Opfer fodern? – Ist Deine Entfernung nicht Klugheit? – Nimmermehr kann ich zugeben, daß Du Dich neuen Auftritten blosgiebst. Laß ihn fortwandeln, den Verworfnen auf dem Wege, der zum Abgrunde führt! – Bleib seinem Auge verborgen; sorge für deine Gesundheit, und bitte den Allgütigen um Standhaftigkeit in deinem Entschluß. O Amalie! – Was wäre Dir bevorgestanden, wenn Du geblieben wärest! – Mord und Tod wäre vielleicht das Ende dieser unglükseligen Ehe! – Wer weis, ob Dich nicht Raserei zu einem blutigen Entschluß verleitet hätte! – Ich kenne den Grad deiner Leidenschaften und deiner Melankolie. Dank dem Ewigen im Himmel, daß Du weg bist! – Nimm hin tausend Küße von Deiner


Fanny.

70. Brief. An Fanny
LXX. Brief
An Fanny

Dein lezter Brief traf mich etwas ruhiger. Nimm meinen wärmsten Dank für dein Mitleiden. Noch nie hab ich Dich mit solchem Feuer mein Wohl vertheidigen gehört. – Noch nie hast Du Dich unterstanden, als aufgeklärte Philosophin, Pflichten gegen Andere mit der gesunden Vernunft abzuwägen. – Die Liebe zu mir riß Dich hin, die Liebe zu mir lies Dich vergessen, daß kleine Tugend kleines Opfer, und große Tugend großes Opfer fodert. – Was wäre es denn auch gewesen, wenn er ihn zum Krüppel gestoßen hätte, diesen elenden Körper, der über kurz oder lang doch zu Staub werden wird? – Seine Mishandlung war doch im Grunde blos Uebereilung und Krankheit des Gehirnes. Wäre ich so glüklich nur eine Spure von Beßerung in ihm zu entdekken, so müßten tausend solche Mishandlungen nichts gegen [178] meine Geduld seyn! – Die ganze Welt sollte mich dann nicht von ihm trennen, die ganze Menschheit nichts über mich vermögen, und alle Leiden meines kranken Körpers würde ich für lauter Andenken ansehen, die mir halfen über mich selbst zu siegen. Tugend ist in wahrhaft tugendhaften Menschen eben so äußerst standhaft, als groß das schwelgende Laster beim Niederträchtigen ist. – Unverdorbene Menschen können unmöglich mit Willen lasterhaft werden, denn die Leidenschaften unterjochen ihre Begierden, aber nicht ihren Willen. Noch hängt mein gutes Herz an dem bedaurungswürdigen Gegenstand der schröklichsten Erinnerung. Noch kann ich mir den Gedanken der süßen Wiedervereinigung nicht aus dem Kopfe bringen. Was wird er machen? – Wie wird er gerast haben über meine plözliche Entfernung? – Wie wird ihn in einsamen Stunden das Andenken an sein Weibchen ängstigen? – Wie werden beissende Vorwürfe seinen Schlaf stören und sein Leben vergiften! – O du gütiger Gott im Himmel, und an allem dem bin ich Schuld! – Warum verlies ich einen unglüklichen Gatten, den die Leidenschaft des Spiels zu Boden drükte, um diese Frazze von einem jugendlichen Gesicht, um diese mürben Knochen zu schonen? – Ha! – Ich bin eine Verworfene! – Eine Pflichtlose! – Eine Nichtswürdige! – Wie konnte ich mich so zur gemeinen Gattung von Weibern herabstimmen? – Wie konnte Rache in meinem Herzen Plaz finden, das blos der Pflicht offen stehen soll? – Freundin, deine Philosophie mag gut seyn, aber sie beruhigt weder mich, noch mein Gewissen! – Laß mich hineilen in die Arme meines Gatten, der mir gewis verzeihen wird! – Handlungen, die nicht aus bösem Herzen kommen, verzeiht man ja so leicht! Auch mein Oheim wünscht unsere Wiedervereinigung. – O Gott! – Wenn das Zurükkehren nur schon überstanden wäre! – Ich schäme mich vor meinem Manne zu erscheinen, der jezt [179] Beweise von meiner wankenden Tugend hat. – Nun habe ich sein Zutrauen verloren, ich Arme! – Sieh herab, Vater meines Schiksals, sieh herab auf mich Elende, erfülle meinen feurigsten Wunsch, wieder zu meinen ehemaligen Pflichten zurükkehren zu können! Sünde ist ja nur das, was mit Vorsaz und Bosheit geschieht; und davon weis ich nichts. – Schwachheit ist das Erbtheil eines gefühlvollen Herzens; aber Tugend wohnt darinn, wenn der Gram es nicht verwildert. O hätte mein Gatte Ueberlegung genug, dränge er mit tiefer Untersuchung in mein Herz, wie glüklich könnte er seyn! – Ich fühle mich so ganz Nachsicht gegen seine Fehler, so ganz Gutheit gegen sein wildes Wesen, so ganz Sorgfalt für sein Wohl! – Es sollen nicht zween Tage vergehen, so bin ich wieder bei ihm, diesen Schritt bin ich den Augen der Welt und meiner Pflicht schuldig. Ist es wieder nicht von Dauer, so habe ich mir doch nichts vorzuwerfen, so bin ich doch nicht sträflich. Siehst Du, Freundin, so kämpft der Mensch auf dieser armseligen Erde mit Tugend und Laster, mit Leben und Tod, mit Elend und Glükseligkeit, mit Rechtschaffenheit und Versuchung, bis sie heranrükt die Stunde, wo wir Rechenschaft geben müßen, und wo der barmherzige Richter alles selbst untersucht. Wohl mir, wenn ich einst vor ihm mit reinem Herzen erscheinen kann; wohl mir, wenn er nur Schwachheit und kein Laster in mir entdekt; und doppelt wohl mir, wenn mir die Belohnung zu Theil wird, die auf alle guten Seelen wartet! – Lebe wohl Fanny! – Antworte mir nicht, bis Du wieder Nachrichten von mir hast. Es küßt Dich innig


Deine Amalie. [180]

71. Brief. An Fanny
LXXI. Brief
An Fanny

Seit wenigen Wochen bin ich wieder an dem Orte meiner Bestimmung. Mein Mann holte mich selbst zurük. Er schien Reue über sein Betragen zu fühlen. – Er bleibt nun Nachts nicht mehr so lange aus, wie sonst; aber ich denke, daß seine leere Börse die Ursache davon ist; denn er läßt mich jezt förmlich darben. Bald wird mir meine Haushaltung den Spott der Dienstboten zuziehen; bald werde ich außer Stand gesezt seyn, mit Anstand vor der Welt zu erscheinen. Einige Nichtswürdige von seinen Freunden nahmen sich die Kühnheit heraus, mir Unterstüzzung anzubieten. Wenn das eine Probe von Seiten meines Mannes ist, so könnte ich ihn verachten! – Und eine Probe muß es seyn, denn sonst hätten diese Elenden den Muth nicht, so etwas zu wagen. Armuth ist ohnehin für Tausende eine Klippe; aber für mich ist sie es nicht, denn ich habe denken und entbehren gelernt. Ich bin auf Alles gefaßt; ich murre über nichts, als über den Verlust seines Herzens! – Tödtliche Langeweile plagt ihn jezt sehr oft, Geldmangel versagt ihm das Spiel, und so sizt er oft acht ganzer Tage in stummer Hypochondrie zu Hause; sorgt für nichts, arbeitet nichts, und scheint heimlich sein Schiksal zu verfluchen! – Es ist traurig, wenn zween Menschen zur beständigen Gesellschaft so aneinander gekettet sind, um sich das Leben zu verbittern. Er rast und tobt nicht mehr mit mir, aber dagegen lebt er so unempfindlich fort, ohne an sein Daseyn oder an meine Ruhe zu denken. Wenn ich ihm schmeichle, so stößt er mich mit einer geschikten Ausrede von sich. Und ich muß gestehen, Freundin, daß mein Herz seit dem leztern Auftritt eine gefährliche [181] Wunde bekommen hat, die ich in der Abwesenheit nicht so fühlte, und die mir nichtsweniger als Abneigung schien. So bald Eheleute gegen einander die Achtung verlieren, dann ist Liebe und Zärtlichkeit ebenfalls dahin. Diese Achtung allein beherrscht das Herz, den Kopf und die natürlichen Triebe. So bald es unter Eheleuten zu niedrigen Auftritten kömmt, so mischt sich eine Art von Haß ins Spiel, man vergißt wohl die Mishandlung, aber der Eindruk bleibt doch, und der beiderseitige Stolz ist unversöhnlich beleidigt. Ich vergebe meinem Manne von Grund der Seele, aber Mistrauen, übler Begrif ist an die Stelle der Achtung getretten, mit der ich einen sanften, guthandelnden Gatten verehren würde. Ein gutgezogenes Weib ist in diesem Punkt äußerst delikat. – Mit guter Art, mit wohl eingerichter Behandlung kann ein Mann von Erziehung alles mit einem solchen Weibe ausrichten. – Aber wenn er sich durch sein Betragen bis zum Pöbel erniedrigt, wenn er sich an ihren Körper wagt – o dann duldet das gute Weib, aber entsezt sich dennoch über so ein gemeines Betragen. Doch weg davon, Liebe! Ich hoffe, daß er sich nicht so leicht wieder vergessen wird, denn in weniger Zeit reisen wir beide zu meinem Oheim, er ist dorten für die Werbung bestimmt. Mein Oheim lernt ihn bei dieser Gelegenheit näher kennen: denn, ich muß Dir sagen, dieser gute Oheim ist, dem Vorgegangenen ungeachtet, noch sehr für meinen Mann eingenommen; er läßt sichs nicht aus dem Kopf reden, daß er nach seinen Briefen mehr Gefühl haben müße, als ich ihm zugestund. Er erwartet uns beide mit Verlangen. Niemand ist darüber froher als ich. Da ist denn der Ort, wo sich mein Unglük dem Auge meines Oheims klar zeigen wird. Vielleicht bessert dieser gute Vater meinen Mann durch seinen Umgang. – Vielleicht öffnet er sein Herz, seinen Karakter, die so sehr verschloßen sind; vielleicht erhalte ich seine Liebe wieder. – Ach! – Wie viele [182] Vielleicht wüßte ich mir noch zu sagen, um meinem kranken Herzen Freude zu machen. – Aber leider, daß es nur bloße Vielleicht, und keine Gewisheiten sind! Ich muß Dir noch einen Sturm erzählen, den mein Herz durch einen Leichtfertigen ertrug: Jener Junge, den ich vor meinem Mann kannte, und der mich so großmüthig zum Altar hinschleudern lies, hatte die Kühnheit, mir einen sehr schwärmerischen Brief heimlich zuzuschikken. – Er klagt über die Heftigkeit seiner jezt aufwachenden Leidenschaften; er flucht den Banden, die mich fesseln; er erfuhr mein Unglük, und verabscheut seinen Urheber. Der Unglükselige macht mich zu einer heimlichen Verbrecherin, indem er jenes alte Feuer der Leidenschaft wieder anfacht, und in einer Lage anfacht, wo es nur zu gerne und zu geschwinde in helle Flammen ausbrechen könnte. – Mitleid, Misvergnügen, Anlage zu schwärmerischen Neigungen, Leere meines Herzens, der Wunsch leidenschaftlich beklagt zu seyn, alles das reizte mich unwiderstehlich zum Antworten. Er ist zwar von mir entfernt, aber bin ich dadurch minder strafbar? – Das Herz eines empfindsamen Weibes ist doch ein unbegreifliches Räthsel, das sich so leicht und so strafbar auflößt. – Da sezte ich mir so philosophische Säzze in Kopf, und bildete mir ein, daß sie nicht erwiedert würde meine Liebe, die ich für meinen Mann nährte – und hielt sie also für Verschwendung. Undank schmerzt schröklich, und unbelohnte Liebe ist Hölle für ein zur Liebe geschaffenes Weib. – So viel heute von deiner unzufriedenen


Amalie. [183]

72. Brief. An Amalie
LXXII. Brief
An Amalie

Du bist also wieder bei deinem Manne, und mein Brief, worinn ich Dich so innig bat, von ihm weg zu bleiben, that auf Dich keine Wirkung? – Liebes, liebes Malchen, diese Tugend ist übertrieben, aber sie macht demungeachtet deiner Denkungsart Ehre. Gott gebe, daß es lange bei ihm gut thun möge! Wenn ich aber aufrichtig reden soll, so zweifle ich sehr daran. – Ihr beide habt nun einmal eure Herzen gegen einander verstimmt, und schwerlich werden sie sich wieder finden. Ist es möglich, dein Mann vernachläßigt sein Hauswesen und läßt Dich darben? – Wahrhaftig Stoff genug zur vollkommenen Abneigung! – Ein Herz dessen Güte durch die Noth muß auf die Probe gestellt werden, hält selten die Probe aus. Ich zweifle nun nicht an der Güte deines Herzens, aber Mangel macht doch den willkührlichen Urheber desselben verabscheuen. – Wenn es in einer Haushaltung zu fehlen anfängt, o dann kommen tausend unerwartete Verdrüßlichkeiten dazu, die dem beßten Menschen seine Geduld benehmen. Schulden, Troz von Seiten der Dienstboten, Kummer für Nahrung beugen ein empfindliches Herz zu sehr, als daß es nicht oft in üble Laune ausarten sollte. Man fühlt sein Unglük weit lebhafter, wenn man die Ursache davon vor Augen sieht; die Galle wirkt heftiger, sobald ihr der Stoff dazu alle Augenblikke aufstößt. – Gute Herzen sind zwar nicht unversöhnlich, aber wenn gute Herzen zu stark beleidigt werden, dann werden sie gleichgültig. – Daß Dir in deiner harten Lage niederträchtige Mannspersonen Unterstüzzung anboten, darüber wundere ich mich keineswegs. Es giebt ja [184] eine Menge solcher Elenden, die ein kummervolles, zerrißenes Herz blos um ihrer teuflischen Wollust willen unterstüzzen. Wie kann man doch an einem Körper Freude haben, wenn die Seele darinn blutet? – Wie kann der reiche Schwelger um sein Geld bei armen, aber fein denkenden Frauenzimmern Gunstbezeugungen genießen, wenn jeder Angrif von ihm ein Schlangenbiß für so eine Unglükliche ist? – O Menschen, wie lange wird es noch dauern, bis ihr denken lernt, und dadurch euer Gefühl verfeinert? – Doch, um jezt auf was anderes zu kommen: ja wohl ist es traurig, meine Freundin, daß oft so disharmonirende Karakter in der Ehe ewig an einander gefesselt bleiben müßen! – Wir haben doch nur eine Glükseligkeit im menschlichen Leben, die in der Zufriedenheit eines mit uns gleichdenkenden Geschöpfs besteht, und wenn wir nun gerade das Unglük haben, an etwas Unrechtes zu gerathen, so ruht der Fluch einer zeitlichen Verdammniß schwer auf unserm Herzen. Sie schleichen dahin, die schröklichen Tage des Haßes, in Gesellschaft einer Person, mit der man nichts gemein hat, als den Zwang sich einander zur Last seyn zu müßen. So lange die Eltern nicht in der Wahl für ihre Kinder vorsichtiger werden, so lange die Mädchen und Jungens nicht denken und absichtlos, blos aus Güte des Herzens und mit Ueberlegung lieben lernen, eben so lange werden die vielen unzufriedenen Ehen nicht aufhören, und die Menschheit wird durch dieses göttliche Band mehr unglüklich als glüklich seyn. Galanterie schleicht sich an die Stelle der Liebe, Eigennuz an die Stelle der Güte, Verstellung an die Stelle der Redlichkeit, Widerspruch an die Stelle der Nachsicht, Falschheit an die Stelle des Nachdenkens; und so leben diese Miethlinge des Lasters mit entferntem Herzen, blos zum Schein, in einer entlehnten und nie empfundenen Glükseligkeit ihre Tage fort, ohne Vergnügen, ohne Zutrauen, ohne wechselseitigen Antheil, kalt gegen einander bis ins Grab. [185] Die adeliche Dame schämt sich des Worts Mann, sie nennt ihren Gatten den Herrn von .... Sie mag der Redlichkeit keine Lüge aufbürden, wenn sie ihren Gatten nach deutscher biederer Art ihren Mann nennen würde. – Der vertrauliche Ton der gefühlvollen Gutherzigkeit ist aus den adelichen Ehen verbannt. Komplimenten, steife Zurükhaltung, süße Betrügereien, affektirte Zierereien, ist der Gang ihrer beiderseitigen Lebensart. – Der Mann schläft in der vordern Ekke des Hauses voll Projekten für das Wohl seiner Konkubinen; die Frau in der hintern Ekke voll Beschäftigung für die Erhaltung ihrer Sklaven. Keines kümmert sich um das Andere. Die Kinder, wenn je der erste Taumel der Triebe noch welche erzeugt hat, werden wie Fremdlinge, weit von Vater und Mutter erzogen, lernen, wenn sie wieder zu ihnen kommen dürfen, Stolz und Fühllosigkeit vom Vater, Thorheit und Eitelkeit von der Mutter. – Das sind die sogenannten adelichen Verbindungen, wo bei der Wahl weder gesunde Vernunft noch Neigung, sondern blos Eigennuz und Konvenienz herrscht. Doch nun wieder auf deine Ehe zurük: Du bist wirklich geschaffen das Glük eines guten Mannes zu machen. Mußtest Du denn gerade auf so einen Wildfang stossen, der dein Herz verstimmt und deinen Kopf widerspenstig macht? – O Schade! – Schade, Amalie, für Dich! – Das will ich Dir wohl glauben, daß seine rohe Behandlung deine Neigung verkleinert. Wenn sich der Stoff zur Hochachtung für einen Mann durch sein Betragen verliert, was bleibt denn dem guten Weib übrig, als Mitleid und Abneigung? – Wir Weiber sind in diesem Stük zu tieffühlend, um den Mann schwärmerisch fortzulieben, der sich selbsten unserer Hochachtung unwürdig machte. Wir bleiben einem solchen Manne wohl so treu, als möglich, aus Pflicht; aber Pflicht ist doch noch lange nicht das entzükkende Opfer der Liebe! – Ein Opfer, das sonst ein schwärmerisch liebendes Weib so frei, [186] so feurig ihrem Gatten bringt! Wenn es den Männern geräth ein Weiberherz zur wirklichen Liebe zu reizen, o dann darf, bei Gott, keiner besorgen, daß sie ihm untreu werde. – Aber er muß Vernunft, Leidenschaft, Güte des Herzens besizzen und das Ehrengefühl eines Weibes anfachen können, auch manchmal kleinen Grillen auszuweichen wissen, und dann möchte ich das empfindsam denkende Weib sehen, die so einen Gatten nicht blos lieben, sondern anbeten würde! Versteht sich, wenn anders ihr Herz noch von Modesucht und Lastern frei ist. Die angeborne Güte eines Weibes ist so leicht für die Glükseligkeit eines Mannes zu gebrauchen, wenn der Mann Feinheit genug hat, diese Güte zu seinem Vortheil zu nüzzen und ihren Schwachheiten mit männlichen Grundsäzzen zu Hülfe kömmt. Das Weib ist nicht als Furie geboren, sie wird erst zur Furie gemacht, wenn ihre Güte durch Mishandlung verhärtet, ihre Schwachheit durch Bosheit gereizt, und ihre Sanftmuth durch Undank beleidigt wird. Das, meine Liebe, wäre gerade dein Fall, Du würdest das beßte, getreueste, herrlichste Weibchen auf Gottes Erdboden seyn, wenn deine Güte erkannt und nach Verdienst behandelt würde. Harre standhaft meine Traute, vielleicht knüpfest Du einst ein anderes Band, das Dir doppelte Seligkeiten verspricht. – Doch noch Eins: Brich den Briefwechsel mit dem Jungen ab, der an Dich schrieb; er ist ein undankbarer Tollkopf, der zu spät an deine Rettung dachte. Die Liebe ist erfindsam, sie zwingt zwar nicht immer die Umstände, aber bei kalten, furchtsamen Menschen zwingen immer die Umstände die Liebe. Ein Weibergeklatsch, das Gebrumm der Verwandten kann leicht einen haasenfüßigen Liebhaber wanken machen. Aber so etwas, das wanken kann, war nie Liebe – es war Lüge, es war Betrug, es war elender Alltagskram! – Warum ließ denn der Einfältige von Dir ab, sobald er fand, daß Du das Mädchen wärest, welches sein Leben beglükken [187] könnte? – Warum überließ er ein junges, unerfahrnes Mädchen dem Ungefähr der Lage? – Warum überdachte er nicht statt Deiner die Folgen deiner Verbindung? – Du gabst ihm ja Nachricht von deinen Aussichten; hätte er sich nicht wenigstens als Menschenfreund, um den Karakter deines Mannes erkundigen sollen? – Er brachte Dir aus Stolz ein Opfer seiner Leidenschaft, und ließ sich dabei fühllos, unvorsichtig einem Abgrund zugängeln, worein er sich jezt selbst gerne noch stürzen möchte. Brich ab, Amalie, mit diesem unvernünftigen Geschöpfe, und erinnere Dich deiner Dich liebenden


Fanny.

73. Brief. An Fanny
LXXIII. Brief
An Fanny

Zürne doch nicht, Herzensfreundin, daß ich Dir erst jezt Nachricht von mir und meinem Schiksal gebe. Gerade so, meine Traute, wie ich Dir lezthin schrieb, kam es mit dem Werbungsgeschäft zu Stande; ich und mein Mann sind dermalen schon bei meinem Oheim in K... Du würdest staunen, Liebe, wenn ich Dir die vielen Verdrüßlichkeiten hinlänglich beschreiben könnte, die mir aus übler Wirthschaft meines Mannes noch vor meiner Abreise über den Hals fielen. – Ich glaube, es kann keine verdrüßlichere Lage in der Welt seyn, als die, wenn man Schulden bezahlen soll, und es aus Unvermögen nicht kann. – Ich meines Theils, wüßte mich in diese Lage gar nicht zu finden. Mein Mann kümmerte sich gar nichts darum, lief aus dem Hause, und überließ mich armes schüchternes Ding leichtsinnig den Grobheiten des Pöbels. Du glaubst nicht, was ich da für eine einfältige Figur spielte, als man Anforderungen an mich machte, zu [188] stolz, um eine solche Erniedrigung nicht zu fühlen, und zu redlich, um unsere Gläubiger mit Lügen abzuweisen. – Endlich raffte ich mein Bischen Geschmeide zusammen, zahlte wie ich konnte, und wir reisten in Gottes Namen ab. Daß uns nun mein Oheim mit aller Wärme empfieng, das versteht sich von selbst, und davon bist Du auch zum Voraus überzeugt, weil Du sein Herz kennst. Daß aber mein guter Oheim beim ersten Anblik meines Mannes blind war, das wirst Du wohl nicht ganz begreifen können? Es war wirklich ein sonderbarer Auftritt! – Denn Du weißt, mein Mann trägt die untrüglichste Larve eines sehr soliden Mannes an sich. Der feinste Menschenkenner hat Mühe verborgene Leidenschaften auf seinem Gesichte zu entdekken. Er scheint gleichgültig gegen alle Versuchungen des Lasters und trägt das Ansehn eines tiefdenkenden Philosophen auf seiner Stirne. Als ihn nun mein Oheim mit dieser Maske zu sehen bekam, rief er mir bei Seite, und flüsterte mir ins Ohr: Malchen, Malchen! Du hast mir die Unwahrheit geschrieben; dein Mann sieht zu redlich aus, um das zu seyn, was du behauptest... Nur Geduld, lieber Oheim, sagt ich ihm wieder ganz leise zurük – es wird sich schon zeigen, wenn Sie ihn einst näher kennen. – Jezt wurde mein Mann auf unsere geheime Unterredung aufmerksam, und wir kehrten beide wieder zur Gesellschaft zurük, die sich eben versammelt hatte. – Dann fieng man zusammen an zu essen, zu trinken und sich wechselseitig über unsere Ankunft zu freuen. Ich saß sehr nahe an der Seite meines guten Oheims, griff nach seiner Hand, so oft es sich schikte, und küßte sie mit Entzükken! Mein Herz klopfte diesem herrlichen Manne bei jeder Bewegung entgegen, und ich ärgerte mich über die eiskalten Gespräche von Reisen und dergleichen, mit denen man sich während der Essenszeit unterhielt. Mein von Dankbarkeit volles Herz war unter dieser Zeit zum Weinen, zum Küßen gestimmt. – Ich hätte [189] gerne mit der feurigsten Liebe alles gethan, was nur ein fühlendes zärtliches Kind zu thun im Stande ist, wenn es nach einigen Jahren seinen Wohlthäter, seinen Erzieher, seinen Vater wieder findet. Allgütiger im Himmel, wie glüklich ich mich da dünkte! wie ich mich auf die Tage freute, die ich nun an der Seite dieses guten Vaters verleben würde! – O liebe, liebe Freundin, der Mann ist gar zu sanft, gar zu gut gegen mich, ich verdiene es beinahe nicht. Aber schröklich stark fühlte ich den Abstand zwischen der Behandlung meines Mannes und ihm. Was der liebe Vater sich meiner freute; wie er jedem Ausdruk von mir holden Beifall zulächelte; wie er heimlich stolz war auf mein Herz, dessen Bildung sein Werk ist; wie er mit Vergnügen sahe, daß ich seit einigen Jahren Abwesenheit so gewachsen seye, und wie er dann wieder sein Auge von wir wegwandte, um einer melankolischen Thräne Luft zu machen! Gott! dabei muß ihm das Unglük meines Ehestandes eingefallen seyn! – – Und denk Dir nur, meine Gute, alle diese Auftritte sah mein stoischer Mann mit einer fühllosen Kälte mit an. O du lieber Gott, was es doch für Menschen in der Welt giebt! – Nichts rührte den Empfindungslosen, als blos die vorzüglich gute und höfliche Behandlung, mit der ihm mein Oheim und die Uebrigen des Hofes begegneten. Sehr natürlich mußte so etwas seiner Eitelkeit schmeicheln, denn der Fürst selbst hatte, in Rüksicht meines Oheims, viele Gnaden für ihn. Den nemlichen Abend gieng mein Oheim um unserer Gesellschaft willen, nicht zur fürstlichen Tafel. – Wir speisten alle zusammen auf seinem Zimmer, und kaum waren wir einige Minuten zusammen, so versammelten sich mehrere Kavaliers, und freuten sich über unsere Ankunft. Baron Sch... war auch einer davon; wahrlich, ein sehr herrlicher junger Mann! Er ist der beßte Freund meines Oheims, und so ganz gefühlvoller Mensch, ohne Ahnenstolz, ohne Forderungsgeist; nebst einer großen [190] Seele trägt er ein vortrefliches Herz im Busen und den lebhaftesten Geist im Kopf, der ihn weit über alle Andern erhebt; es ist ein Mann ohne Vorurtheil, der blos der Freundschaft, der Redlichkeit und der Tugend lebt. Er ist sanft ohne Schüchternheit, gut ohne Schwachheit, lustig ohne Wildheit, erhaben ohne Hochmuth, wizzig ohne Ziererei; kurz das Muster eines sehr würdigen Kavaliers. Die übrigen, so zugegen waren, sind muntere Herrchens, denen man es ansieht, daß es ihnen nicht am Wohlleben fehlt. – Du kannst Dir nicht vor stellen, liebe Fanny, wie aufgewekt den nämlichen Abend mein Oheim noch geworden ist. Ich säumte gar nicht meinen ganzen Wiz aufzubieten, um alles so gut als möglich zu unterhalten. – Du kennst ja meine Lebhaftigkeit, wenn ich anfange munter zu werden? Schon oft wurde ich nachher über mich selbst ärgerlich, wenn meine Ueberlegung mir sagte, daß eben diese Lebhaftigkeit mir den Schein des Leichtsinns gäbe, der doch gar nicht in meinem Karakter liegt. – Aber ich bin nun einmal schon so, und kann nichts halb geniessen, sondern alles ganz, alles äußerst. Doch freut mich in Gesellschaften nichts mehr, als wenn ich Anlaß bekommen kann, die Männer recht tüchtig zu satirisiren. Oefter treffen mich dann dabei auch tüchtige Hiebe; und, Fanny, ich bin Dir dann Mäuschenstille dazu, wenn man mir wieder die Wahrheit zurüksagt. Ueberhaupt gefällt mir der fein-satirische Ton in Gesellschaften unendlich. Er muß zwar an keine Beleidigungen gränzen, aber er muß munter, vernünftig frei, nach Laune handeln dürfen. Es ist in Gesellschaften eine wahre Freude, wenn man die Stunden, so unter frohem Gelächter dahineilen sieht. O möchten sich doch die Frauenzimmer mehr aufs Gesellschaftliche verlegen! – Möchten doch die langweiligen, unnüzzen Geschöpfe lernen die Männer mit etwas Besserem, als mit ihrem blosen Körper zu unterhalten. Ausschweifung und Verachtung würde dann weniger [191] obwalten, wenn die Männer nicht an der Seite der Weiber zur erstern aus Langerweile, und zur leztern aus Ueberzeugung schreiten müßten. – Es ist eine ewige Schande, daß die Männer bei den Weibern, blos Genuß suchen können, und daß die Weiber nichts Besseres zu geben wissen. Daher kömmt die gewaltige Mishandlung der Männer, weil so wenig Weiber den guten Ton der Gesellschaft verstehen. Lebe wohl, beßte, liebste meiner Freundinnen! –


Deine Amalie.

74. Brief. An Fanny
LXXIV. Brief
An Fanny

Da bin ich Dir schon wieder, meine Theuerste, und will mich recht herzlich mit Dir unterhalten. Wenn Du mir aber so oft antworten müßtest, als ich Dir schriebe, so würdest Du wahrlich nicht viele andere Geschäfte darneben treiben können. Indessen will ich es mit Dir nicht so genau nehmen, wenn Du mir auf drei Briefe nur eine Antwort zukommen lässest, so bin ich völlig zufrieden. Genug ich habe es mir einmal vorgenommen, Dir so oft und so viel zu schreiben, als es mich gelüsten wird. Und auf diese Art, sollst Du heute schon wieder etwas von meinem ungezogenen Mann zu lesen bekommen. – Bedenke einmal, kaum sind wir Beide einige Wochen hier, und schon fängt der Leichtsinnige seine alten Ausschweifungen wieder an, ohne sich Schranken zu sezzen. – Mein guter Oheim hat ihm mit dem besten Zutrauen Geld vorgestrekt; das war gerade sein Verderben, weil er wieder damit aufs Neue zu spielen anfieng. – Ich habe bis jezt seine Aufführung mit allem Fleiß – blos um nachher meinen Oheim desto augenscheinlicher davon zu überzeugen – verborgen gehalten. – Wenn der Elende aber so fortfährt, [192] so wird er sich selbst bald in einem Lichte zeigen, worüber mein Oheim staunen wird. – Da er nebst dem so viele Werbungsgelder in Händen hat, so ängstige ich mich fast zu Tode, denn es sind lauter Reize fürs Spiel. – Auch ist er sehr unordentlich und nachläßig in seiner Pflicht. – Gott! wie kann bei so einem Betragen sein guter Name vor den Stabsoffizieren ohne Argwohn bleiben? – Selbst seine Untergebnen murren über seine Lüderlichkeit; und Militärdienste sollten doch heilig seyn; die geringste Nachläßigkeit darinn ist ein Verbrechen. – Will denn um Gotteswillen dieser Mann nicht begreifen lernen, daß er ganz anders handeln muß, wenn er seiner Uniform Ehre machen will? – Allgütiger, gieb ihm doch Vernunft und Rechtschaffenheit! – O möchte er als ehrlicher Mann sein Leben durchwandeln! Möchte es mir nie an Geduld fehlen, seine Aufführung zu ertragen; denn bessern werde ich ihn doch nimmermehr! – Nun aber, holde Fanny, will ich von diesem Punkte abbrechen, sonst werde ich wieder schwermüthig, und schade meiner Gesundheit. – Also zu etwas anderm! – Und das wäre? Was meinst Du wohl? – Eine kleine Beschreibung vom hiesigen Orte will ich Dir jezt liefern: Der Hof ist ein altes adeliches Stift, das aus lauter stiftsmäßigen Kavalieren besteht. Sie erwählen unter einander selbst ihren eigenen Fürsten, der zugleich souveräner Herr seines Landes wird. – Dieser Fürst hält sein eigen Militär und alle Zierden eines vornehmen Hofes, ist aber nebst den übrigen Stiftsherren einem geistlichen Orden zugethan, zu dessen Pflichterfüllung einige Stunden des Tages in der Frühe gewiedmet werden. – So bald nun diese Stunden der Andacht vorüber sind, so genießen die Geistlichen alle möglichen Freuden eines weltlichen Hofes. Sie halten große Tafel, fahren, reiten, haben prächtige Zusammenkünften, ergözzen sich auf ihren Landgütern, stellen Jagden an, u.s.w. Doch geschieht [193] dies alles, wie ich glaube, mit Erlaubnis ihres Fürsten. – Ich muß überhaupt die ganze schöne Einrichtung dieses Hofes loben; nur eines gefällt mir nicht; und es will mir durchaus nicht in den Kopf, daß zwischen diesem Hofe und der so nahe daran gebauten protestantischen Stadt, bei unsern aufgeklärten Zeiten, noch ein Bischen Religionshaß Plaz findet. – Aber leider ist es nur zu wahr, man nekt sich von beiden Seiten; man ist gegen einander mehr kalt als brüderlich, mehr mistrauisch als gütig, mehr böse als christlich, und das alles aus eingewurzeltem Vorurtheil, das sich wie Klettensamen in den Familien fortpflanzt. – Uebrigens haben bei allem dem die schönen Wissenschaften auch in der Stadt ihren Wohnsiz. – Versteht sich, wie in den meisten Reichsstädten, nur in einigen Häusern. Eben das ist auch die Ursache, warum der vortrefliche, aufgeklärte junge Baron Sch..., so wie mein Oheim, sehr freundschaftlich mit diesen Häusern verbunden ist. Es herrscht unter diesen Denkern, troz der Verschiedenheit ihrer Religion, eine Harmonie des Geistes, die kein katholischer Bigottismus und kein protestantischer Eigensinn zerstören kann. – Preßfreiheit, Duldung der beßten Schriften ist auch da zu Hause; und was braucht es mehr, um sich einstens die herrlichste Aufklärung von beiden Seiten zu versprechen? – Mein Oheim arbeitet unermüdet an der beiderseitigen Duldung. Ueberall erblikke ich in ihm den thätigen Menschenfreund. Wirklich hat er auch einen jungen Anverwandten bei sich, den er selbst erzieht. Was der neunjährige Knabe für Talenten zeigt, ist nicht zu beschreiben; und dann die liebevolle, schöne Art meines Oheims ihn zu bilden, läßt mir von diesem Jungen alles Gute hoffen. – Er ist jezt schon frei und natürlich in seinem Betragen, offenherzig, gut und sanft, sein Herz öffnet sich allem Guten, das in der lieben Natur liegt. Der wakkere Junge liebt seinen Oheim eben so sehr, als ich [194] ihn liebe. So viel für heute, traute, liebe Fanny, von deiner Dich gewis liebenden


Amalie.

75. Brief. An Amalie
LXXV. Brief
An Amalie

Willkommen, liebe Freundin, mit deinen herzigen zween Briefen! – Armes bedaurungswürdiges Malchen, so quält Dich denn dein Mann noch immerfort! – Der Unbesonnene, konnte Dir vor eurer Abreise durch seine Schulden noch Plagen verursachen! – Weis denn der Fühllose nicht, daß, um Schuldner zur Geduld zu verweisen, eine gewiße Unverschämtheit oder Schamlosigkeit erfodert wird, die Du gewis nicht in deiner Gewalt hast? Fast immer ziehen mit Schulden beladene Menschen, denen es an Kühnheit mangelt, den Kürzern, und werden von eigennüzzigen Gläubigern aufs empfindlichste beleidigt. – Besonders, wenn sie es mit Pöbel, oder noch weit ärger, wenn sie es mit jüdischen Kaufleuten zu thun haben. – Nichts macht den Kaufmann hartherziger als Eigennuz. – Man wird sehr wenig wahre gutherzige Leute in dieser Menschenklasse finden. – Der hassenswürdige Eigennuz macht die meisten von ihnen grausam, unempfindlich und stolz. – Um dieses Lasters willen haben die wenigsten Kaufleute Gefühl für Großmuth und fürs gesellschaftliche Leben. An den Eigennuz gewöhnt, fühlen sie nicht den Mangel An derer; von dem Geize beherrscht, tirannisiren sie ihre Nebenmenschen; im Ueberfluß vergraben, kennen sie die Empfindungen der Armuth nicht; und so bleiben sie von der Gesellschaft zurükgezogen für sich, stolz auf ihr Geld, und unerträglich für den Vernünftigen. Kann man etwas Widrigeres sehen, als einen alten Geizhals von [195] Kaufmann, der steif wie Holz und mürrisch wie ein Menschenhasser, hinter seinem Geschäftpult neben seinem Geldkasten sizt? – Taub für das Elend der Dürftigen, lebt derselbe blos für seinen Eigennuz. Möchte sich doch dieser Stand mehr für Menschenfreundlichkeit bilden! Möchten die lieben Leutchen in ihren Reichsstädten aufhören ihre steife Etikette zu behaupten, welche sie zum Spott für Fremde und zur Ehre ihrer Geldkisten beibehalten. – Männer und Weiber aus diesem Stande verfallen fast immer auf zwo Extremitäten: Die erstern sind entweder kahle, pedantische, unerträgliche Murrköpfe; oder aufgeblasene französirende, junge Gekken. Und so geht es gerade mit den Weibern auch: Ein Theil opfert der Alfanzerei und dem Vorurtheil, und der andere dem Hochmuth und der Koketterie. Ich kenne keinen dümmern, hervorstechendern Stolz, als den Stolz einer Kaufmannsfrau. – Bald werden sie anfangen sich in Gesellschaften ihre Kapitalien vorzurechnen, um dadurch den ersten Plaz auf einem Sofa zu erringen. Wem dies etwa unglaublich scheint, dem mag folgende wahre Geschichte zum Beweise dienen:

Zwei hochmüthige, auf ihr elendes Geld stolze Kaufmannsweiber, befanden sich vor einigen Wochen in einem Schauspielhause, und nahmen den Plaz einer dreisizzigen Loge ein. Die Loge war nicht geschlossen, sondern fürs Geld dem ersten Beßten zu Befehl. Ein braves munteres Weibchen, die Gattin eines Tonkünstlers, gerieth aus Zufall in diese nemliche Loge, und wollte den dritten noch unbesezten Plaz einnehmen. Die Kaufmannsweiber, von sinnloser Eitelkeit hingerißen, weigerten sich dieser Frau Plaz zu machen; aber unser Weibchen, die als Künstlersfrau sich besser fühlte, als diese seichten, lieblosen Seelen, bestund auf dem begehrten noch freien Sizze, und lies sich für ihr Geld nicht abweisen; nach langem Zanken mußten die Kaufmannsweiber [196] dennoch rükken; – aber jezt gieng es unter ihnen an ein Ohrenflüstern, das gar kein Ende nahm. Unser liebes kleines Weibchen aber dachte indessen auf Wiedervergeltung für diese abgeschmakte Aufführung; und siehe da, auf einmal wußte sie die schönste Ohnmacht zu fingiren, die ihre Nachbarinnen nicht wenig erschrökte. Nun trat Heuchelei bei diesen Frazzenseelen an die Stelle der Menschenliebe, und geschwind wurde der Ohnmächtigen mit Riechfläschchens zu Hülfe geeilt. – Das Weibchen wurde gerüttelt, aufgeschnürt und mit wohlriechenden Wassern begossen, bis sie sich wieder erholte und die eine Kaufmannsfrau sie fragte: Madame, wird Ihnen noch nicht besser? O Sie haben uns sehr erschrökt! – Ach nein! – erwiederte die boshafte Kranke – Ach nein! – Es kann mir hier unmöglich besser werden, denn es riecht zu stark nach Stokfischen, nach Oehl, nach Sardellen, u.s.w. Im nemlichen Augenblikke erscholl von den Umstehenden ein lautes Gelächter, und jede Ekke des Theaters war mit dieser Anekdote in einem Hui angefüllt. – Alles, was im Schauspielhause war, fieng an zu zischen, zu stampfen, und zu pfeifen, bis die zwo Huldgöttinnen der Dummheit von einer Menge Buben begleitet nach Hause eileten. – Die Künstlersfrau aber trug das Lob eines wizzigen Weibes davon, und würde um diesen Preis wohl gerne noch mehr solche Ohnmachten ausstehen.

Und nun, meine Beßte, hast Du hier den wahren Beweis meines obigen Sazzes, über den hervorragenden Hochmuth der meisten Kaufmannsweiber. – Doch jezt auch ein Paar Wörtchen über die Liebe zu deinem Oheim: – Dieser Edle muß nun ganz gewis seine Herzenslust an Dir gehabt haben, wenn Du so glühend von Dank an seiner Seite saßest. – O wie sehr verdient dieser Vortrefliche deinen Dank, und Du das namenlose Entzükken danken zu können. Uebrigens, Theuerste, kümmere Dich nicht in Gesellschaften über das [197] Vorurtheil in Ansehung deiner Lebhaftigkeit. Der Umgang eines denkenden Mädchens muß Feuer, muß Freiheit haben, sonst thut er keine Wirkung, und macht die Männer in Gesellschaften gähnen. Munterkeit und ein Bischen wildes Wesen an einem Mädchen ist reizender, als der geschraubte, ängstliche Ton der Blöden, die unter dem Wort Wohlstand ihre wenige Beredsamkeit und ihre flegmatische Dummheit verbergen. Gerade diese Mädchen müßen die Männer lehren den blosen Schein vom Laster selbst zu unterscheiden. – Sie müssen sie lehren einen Blik ins Innere eines Mädchenherzens zu werfen. Sie müßen über alles das die Männer lehren, daß nichts als ein liebenswürdiger Umgang das ächte Mittel ist, die Männer vom Thierischen abzuhalten. – Die herrlichste aller weiblichen Künsten ist, die Männer mit Kopf zu unterhalten. – Dieser Vorzug gehört der Häßlichen so wie der Schönen, und nur zu oft welkt die leztere durch Krankheit frühe schon dahin, dahingegen die erstere mit ihren untilgbaren Reizen ihr ganzes Leben hindurch glänzet. O Mädchen, Mädchen! wie lange wird es noch dauern, eh ihr die Kunst, durch Vernunft zu gefallen, so hinlänglich werdet studirt haben, daß die Männer (den Körper ausgenommen) über euern Umgang nicht mehr die Nase rümpfen? – So eben unterbricht man mich. Noch einen Kuß, und jezt ein warmes Lebewohl von

Deiner Fanny.

76. Brief. An Fanny
LXXVI. Brief
An Fanny

Liebe, traute Freundin! – Muß mich doch gleich hinsezzen und Dir dein Leztes beantworten: – der Stoff, den Du darinn über den Stolz der Kaufmannsweiber berührst, verdient [198] wirklich meine Aufmerksamkeit. Deine Gedanken darüber sind richtig; ich selbst habe es auf meinen Reisen erfahren, wie trokken, ungesellig, hochmüthig und von oben herab einer Fremden in den meisten Handelsstädten begegnet wird. Und was mich noch dabei am empfindlichsten ärgerte, ist die niedrige Behandlung ihrer Dienerschaft. – Wenn ich so von ungefähr einen Blik in ein Komptoir that, was ich da für dummen Stolz erblikte! – Dieser unzeitige Despotismus der Kaufleute gegen ihre Bedienten schien mir ungerecht und verachtungswürdig. – – Jeder Untergebene gehört in der Menschheit in eine gewisse Klaße; aber daß die Kaufmannsbedienten nicht in die Livereiklaße gehören, ist doch gewiß Jedem begreiflich. – Kann der große vorurtheilsfreie Kaiser Joseph zu dem lezten seiner Beamten Sie sagen, so dünkt mich, wirds der Kaufmann gegen seine Bedienten auch thun können, wenn er anders nicht beim blosen Häringsfang ist erzogen worden. Der Kaufmann und sein Bedienter verrichten beide die nemlichen Geschäfte, und wenn der erstere den größten Nuzzen davon zieht, so sehe ich gar nicht ein, warum er dem leztern grob begegnen soll. – Der Unterschied zwischen dem Herrn und seinem Diener besteht nicht in der niedrigen, sklavischen Behandlung, wohl aber in der gegenseitigen Achtung, die sich beide verhältnismäßig und nach Masgabe des beiderseitigen Betragens schuldig sind. Geld und Glük giebt uns kein Recht, auf minder Glükliche verächtlich herabzusehen. Verdienste, Fleis und Talente sind unserer Achtung würdig, sie mögen wohnen in welcher Gegend der Erde sie wollen. Es muß einem Handlungsdiener von gutem Hause äußerst empfindlich seyn, wenn er mit den Livereibedienten per Er behandelt wird. Woher hat ein Kaufmann das Recht seinem Mitgehülfen so viel Uebergewicht fühlen zu lassen? – Vorurtheil ist es, vom Stolz erzeugtes Vorurtheil, das ohnehin harte Schiksal eines Untergebenen [199] nicht erleichtern zu wollen. – Wenn der Herr sein Ansehen auf keine gelindere Art, als durch dergleichen Herabsezzung zu behaupten weis, dann ist er mit seinen Untergebenen zu beklagen, weil der erstere die ihm gehörige Ehrerbietung sklavisch erzwingt, und der leztere aus Zwang blos mürrisch seine Pflichten erfüllt. – Der Kaufmannsstand sollte sich in unsern Gegenden so viel möglich von den Sitten des Pöbels zu unter scheiden suchen. – Es ist ein würdiger, nüzlicher Stand; Fleiß und gute Einrichtung sind seine ersten Pflichten; schmuzziger Eigennuz aber, Rohheit und Hochmuth erniedrigen ihn. – Es ist mir unbegreiflich, wie man unter diesem Stande, bei so häufigen Glüksgütern, doch so wenig Bildung des Herzens und der Sitten trift? – Der Fehler liegt in der Erziehung. Kaufmannssöhne werden in ihrer ersten Jugend als Ladenjungen zu Knechtsarbeiten verdammt. – Mancherlei niedrige Verrichtungen und schmuzzige Arbeiten sind ihre Beschäftigungen. In Gesellschaft von Knechten und Mägden vergessen sie ihr Herkommen, lernen eine pöbelhafte Lebensart, in welcher sie sich noch zu vervollkommnen suchen, weil es ihnen Pflicht scheint, sich in diese Gesellschaft schikken zu müssen. – Endlich geht in so einem armen Jungen alles Ehrengefühl verloren, erhabene Begriffe werden bei ihm erstikt, er lernt nicht denken, nicht empfinden, und lebt wie ein gutwilliges Lastthier auf seiner unwürdigen Laufbahn fort, bis ihn sein Schiksal zum Bedienten erhöht. – Da sizt er nun wieder vom Morgen bis in die späte Nacht am Schreibtisch wie angenagelt, krizzelt seinen troknen Schlendrian fort, und zittert wie ein Gefangener, wenn ihn sein roher, eigennüzziger Gebieter in einer augenbliklichen Erholung überrascht. So viele mit Vorurtheil bestrikte Herren nehmen sich sogar die Freiheit heraus ihren Bedienten nüzliche Bücher zu verbieten, und schränken junge Leute bei müßigen Stunden zuchthausmäßig ein. O der steifen Dummheit, die ihrem Nebenmenschen [200] jeden Weg zur Weltkenntniß und zur Bildung abschneidet! Wie kann so ein junger Mensch Geist und Denkkraft erhalten? – Wie kann er ein taugliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden? Wie kann er als Herr einst vernünftiger gegen seine Untergebenen handeln, wenn er selbst so elend ist behandelt worden? – Pöbelhafte Sitten, Unempfindlichkeit, Grobheit, Vorurtheil müßen bei ihm ewig hervorscheinen, weil es die ersten Eindrükke sind, die er, als sogenannter Hundsjunge, in seiner frühen Jugend einsog. – Väter und Mütter, laßt euere Kinder Zuschauer von allen Beschäftigungen werden, die zu diesem Stande gehören; aber hütet euch wohl, sie außer einem Nothfall selbst an niedrige Arbeiten zu gewöhnen, sie kommen dadurch mit dem Pöbel in Gemeinschaft. – Ladenkehren, Einheizen, Kinder herumschleppen, Betten machen, u.s.w. sind lauter unwürdige Beschäftigungen, die ihr Herz und ihre Bildung verunedeln. – Bald schreib ich Dir wieder mit eben dem Herzen, das nur Dir gehöret.


Amalie.

77. Brief. An Fanny
LXXVII. Brief
An Fanny

O meine gutherzige Freundin! – Das war wieder für mich ein entsezlicher Auftritt! – Ein Auftritt, der jedes warme, fühlende Menschenherz zum innigen Mitleiden hinreißen muß! – Ich will Dir ihn schildern diesen Auftritt, wenn ich es vermag: – Vor einigen Tagen mußte mein Mann einen Transport Mannschaft nach G.... liefern. – Mein Oheim befürchtete diese Mannschaft möchte in den Händen der Unteroffiziere eben nicht am sichersten seyn. – Aus diesem Grund rieth er meinem Mann, er möchte aus Vorsicht selbst mitreiten.[201] – So sauer nun diese kleine Reise meinen Mann ankam, so durfte er meinem Oheim doch nicht widersprechen, und es geschah. – Er machte sich nebst seinem Bedienten auf den Weg, gerieth aber auf der Rükreise in eine Spielgesellschaft und – Gott erbarme sich seiner und meiner! – – Er verspielte in eben dieser Gesellschaft Pferd, Geld und alle übrigen Kostbarkeiten, die er bei sich führte. – Ha! – Meine Fanny! Wie erschrak ich, als sein Bedienter mit dieser Nachricht bei mir anlangte! – Der Kerl versicherte mich, daß Verzweiflung auf dem nächsten Dorf sich seines Herrn bemächtigt hätte! – Starrend, staunend sah ich dem Burschen ins Gesicht, konnte weder denken noch handeln, alle Faßung hatte mich verlassen! – – Es war mir unmöglich dieses Elend meinem Oheim anzukündigen! – Ich sah jezt seine Wuth, seine Verwünschungen zum voraus! – Und konnte ich es ihm verdenken diesem guten Manne, der sein ganzes Vermögen, seine Ruhe, seine Gesundheit an einen lüderlichen Spieler gewagt hatte? Ja, Fanny, Alles, Alles, blos aus Liebe zu mir, aus Menschenfreundlichkeit, aus Hofnung, daß er sich bessern würde. Er gab diesem Undankbaren was er nur immer entbehren konnte; und nun betrogen, von einem Elenden, dessen Aufführung ihm und seiner Ehrenstelle bald öffentliche Schande gedroht hätte! – Jesus Christus! Ich komme fast von Sinnen, wenn ich die Folgen bedenke, die unserer Familie zur ewigen, unauslöschlichen Beschimpfung durch diesen Leichtsinnigen noch bevorstehen. Trostlos kämpfte ich lange mit fürchterlicher Bangigkeit, unentschlossen irrte ich im Hause herum, mehr als zehen Mal nahte ich mich der Treppe, um diese Nachricht meinem Oheim zu bringen; aber umsonst, es war mir geradezu unmöglich! – Was? – den größten Wohlthäter unter den Sterblichen soll ich so schröklich beugen! – Dies fuhr mir dann wieder durch den Kopf. – Endlich fieng ich an zu rasen, zu wüten, mit den Zähnen zu [202] knirschen, warf mich aufs Bett, rang die Hände, bis meine sinnlose Betäubung meine Qual einschläferte. – Ich phantasirte, rief meinem Mann mit gräßlicher Stimme – so viel erzählte man mir nachher – Rette dich, armer Sünder! – schrie ich – rette dich – vor den Händen der Henker! – Siehst du, wie sie dich pakken wollen! – Siehst du! Haltet ein! um Gotteswillen haltet ein! – Hier ergriff ich den Bedienten beim Halse, der jammernd an meinem Bette stund, und riß ihm in der Verzweiflung seinen Halskragen in Stükke. – Der arme Junge wand sich von mir los, und lief mit Angstschweis bedekt nach Hofe zu meinem Oheim. Gott! wie dieser gefühlvolle Mann zusammenfuhr, wie er hereilte zu meinem Krankenbette! – Mit aller Wärme eines leidenden Freundes bemühte er sich lange umsonst, mich ins Leben zurükzurufen. Gräßlich schwer drükte der Anblik meines so schnelldrohenden Todes sein blutendes Herz! – Dieses ängstliche Gefühl schien den Eindruk zu lindern, den er durch die pflichtvergessene Aufführung meines Mannes tief empfunden hatte. – Wenn mehrere Leiden auf den Sterblichen zusammenstürmen, sagte er mir nach der Hand, so sind doch immer diejenigen am stärksten, wofür sich die Stimme des Bluts verwendet! – Meine kalte, konvulsivische Erstarrung dauerte noch so lange, bis die Thränen und Küße meines Oheims mich wieder zum Leben erwekten. – In seinen Armen öffnete ich meine Augen, an seinem Herzen fühlte ich das meinige wieder zum ersten Male klopfen. Hoch pochte mein Busen auf, aber sprachlos war meine Zunge, bis mein Oheim mich versicherte, daß er von Allem unterrichtet wäre. Jezt fieng bei dieser Erklärung neuer Schrekken an durch meine Glieder zu schaudern; alle Umstehenden zitterten vor einem Rükfall der Krankheit, und mein Oheim beschwor mich um seiner Liebe willen, ruhig zu seyn! – Die Natur hatte sich ermattet, ein schwermüthiger Schlaf gab mir die wenigen [203] Kräften wieder, die sich noch in meinem kränkelnden Körper zu neuen Leiden befanden. – Als mich nun mein Oheim etwas stärker glaubte, fieng er mit Männerkraft an über die Zügellosigkeit jenes Ehrvergessenen auszubrechen: Er ist ein Betrüger! – Er mordet dich und mich! – Wir wollen dieses Ungeheuer der menschlichen Gesellschaft verabscheuen! – Fliehe ihn, meine Tochter! Fliehe ihn! – Er hat muthwillig, mit Vorsaz alle Bande zerrissen! – Ach! um seines Seelenheils willen, mein Oheim, nur diesmal noch Verzeihung! – Nur diesmal! – Heilige Mutter Gottes, hilf mir bitten! – Nur diesmal noch! – Strafbares, zu gutherziges Weibchen, versezte er, soll ich seine Laster durch neue Unterstüzzung nähren? – Soll ich mich der Gefahr aussezzen, Schimpf und Schande an einem Buben zu erleben, der die Kühnheit hatte, fremde Gelder anzugreifen? – Soll ich mein Ansehen, meinen guten Ruf, meine geistliche Würde dem Tadel Preis geben, verstokte Sünder durch unbesonnene Gutheiten im Laster gestärkt zu haben? – Gewis, liebes Malchen, ich bin es bei Gott müde, länger einen Undankbaren zu schonen! – Er hat meine Ruhe zerstört, er hat dich, meinen Liebling, dem Grab zugeschleppt; er hat mich an Glüksgütern entblöst; was will er denn mehr, der Verwegene? – Um der Barmherzigkeit Gottes willen, mein Oheim, nicht weiter! – Sie tödten mich! – Vergieb, arme gute Seele, vergieb! Der Eifer riß mich hin! – Siehst Du, mein Kind, Dir zu Gefallen will ich jezt Mann seyn, und aus Liebe zu Dir, Herzens-Malchen, will ich auch diesmal auf Mittel denken, unsere allerseitige Ehre zu retten. Nur hüte Dich, daß mir dein Mann nicht zu frühe unter die Augen kömmt; denn noch blutet die Wunde, die der schwärzeste Undank mir schlug! – Noch siehst Du blaß aus, wie der Tod, meine Arme, und trägst die Zeichen der Grausamkeit auf deinem Gesichte! – Ich gab diesem Edeln mein Wort, [204] daß ich dafür sorgen würde, meinen Mann seinem Anblik zu entziehen, und so verlies mich der gute sanfte Vater. – Es dauerte aber nur wenige Stunden, so folgte eine Summe Gelds die dieser Herrliche auf seinen Kredit hin geborgt hatte, zum Ersaz für meines Mannes Rükstand. Tages darauf kam der niedrige Sklave seiner Leidenschaften wie ein Verdammter von seiner Reise zurük. Sein Gesicht war zerstört, seine Züge in Unordnung, seine Augen hohl, seine Farbe gelb, seine Haare zerrauft, seine Kleider kothigt, und seine Laune stumm. – Rasch trat er ohne Gruß ins Zimmer! – Angst, Seelenangst überfiel mich Armselige! – Er schien weder meine Krankheit, noch meinen Gemüthszustand bemerken zu wollen. Der beleidigte Hochmuth empörte sich in ihm bei dem Gedanken sträflich zu seyn, und übermannte ihn so sehr, daß er sich einen ganzen Tag lang ohne Speise zu sich zu nehmen in sein Zimmer verschloß. Er schien gar keine Reue zu fühlen. Die Nothwendigkeit, wieder von meiner Seite Hülfe annehmen zu müßen, machte ihn beinah rasend! – Und doch zwangen ihn seine Werbungsgeschäften, daß er mir durch seinen Diener Geld abfodern lies. Ohne den mindesten Vorwurf schikte ich ihm die ganze Summe. Seit dieser Zeit sah ich ihn mit keinem Auge. Mein Unglük ist meine einzige Gesellschaft! – O Fanny! Warum nicht auch der Tod? Wenn es in einer solchen Lage Verbrechen ist, ihn zu wünschen, o so vergieb Allsehender, der gebeugten


Amalie.

78. Brief. An Amalie
LXXVIII. Brief
An Amalie

Holdes, liebes Malchen, es würde mir Sünde scheinen, Dich in deiner wirklichen Verstimmung nicht zu trösten. [205] Meine Amalie, ich schrieb eine Lüge! Denn welches menschliche Wesen hat in einer solchen Lage Trost für Dich? – Keine Macht, keine Gründe, keine bittende Freundschaft vermögen Dich von einem Unthier zu trennen, das Dich mit Hohngelächter zum Abgrunde hinschleppt! – Bist Du denn seiner Mißhandlungen noch nicht müde? – Hängt dein Herz noch immer an einem Barbaren, der Dich lebendig tausendfach würgt und doch nicht tödtet! – O das Weiberherz ist eine geringe Waare, die jeder Schandbube misbrauchen kann, wenn er sie einmal im Besiz hat. – Theure Märtirerin der unaussprechlichsten Leiden, komm in meine Arme; verlaß ihn den verabscheuungswürdigsten Unmenschen; er ist für Dich und für die Tugend unwiederbringlich verloren! – Wo Ehre weicht, weicht alles was zum rechtschaffnen Mann gehört. – Gott im Himmel! – Er stürzt Dich und deinen Oheim ins Verderben! – Sey vorsichtig, entferne Dich, dieweil es noch Zeit ist! – Deine Standhaftigkeit ist eine Sünde, die Du auf Kosten deines Lebens und deiner Gesundheit begehst. – Warum hörtest Du nicht schon lange auf meine Warnungen? – Warum folgtest Du nicht meinem Rathe? – Warum öffnetest Du ihm wieder ein Herz, das der Leichtfertige in Stükke zerreißt? – Du bist Weib im vollen Verstande, ein schwaches Weib, sonst würdest Du deinem Mörder nicht selbst den Nakken darbieten. Deine sträfliche Gutherzigkeit ist anstekkend, Du bethörst damit deinen Oheim, reißest ihn mit ins Verderben! Grausames, unbesonnenes Geschöpf! Höre die Wahrheit deiner Dich liebenden Freundin, und folge der Stimme der Vernunft! – Ich bitte, ich beschwöre Dich jezt zum lezten Mal, folge meinem Rath! – Wer kann, wer darf ihn tadeln? – Ist er nicht der Menschheit angemessen? – Grausamkeit zu dulden, kann kein Gesez fodern! – Verhärtetes Laster muß hier oder dort [206] gestraft werden, sonst weh dem Unschuldigen, wenn Niemand seine Klagen hören will! – Und, gesezt denn auch, die Ohren der geistlichen Richter wären unter euch Katholiken für so ein Elend taub, so dürfen es doch die deinigen nicht seyn, gegen ein Leben, dessen Verkürzung Du einstens schwer deinem Schöpfer wirst verrechnen müßen! Was könntest Du wohl länger einem Schurken an seiner Seite nüzzen, der sich mit Lasterwut im Kothe herumwälzt? – Oder sind Spielsucht, Mordsucht und Betrügerei etwa nicht hinlängliche Gründe zur ewigen Trennung? – Wenn der eigene Mann sein angetrautes Weib durch Spielsucht der Armuth und ihren Versuchungen Preis giebt; ist er denn nicht sträflicher, als der gekannte Böswicht, der nicht wie dieser öffentlich, sondern im Stillen, unter dem Dekmantel der Religion Seelen mordet? – Wenn so ein Meineidiger der am heiligsten Altar Fleis, Sorgfalt und alle Arten von Pflichten schwur, wenn so ein heuchlerischer Lügner mit Satans Grausamkeit, durch Hunger, selbstverursachten Mangel und Mißhandlung die Gesundheit seiner Gattin schwächt, und ihr Leben verkürzt: O dann sagt mir, ihr eiskalten Richter, wo giebt es unter der Sonne einen verdammungswürdigern Mörder, als in einer solchen Ehe? – Wie er dann im Dunkeln das an ihn gefesselte Weib dahinwürgt! – Wie er als Mann überall den Stärkern behaupten kann; wie die Menschen geneigt sind, Männerhärte zu entschuldigen, und wie sie dann schreien und wimmern kann, die arme gepeinigte Unschuld, bis der Tod sie von Banden befreit, die leider nur bei den wenigen vernünftigen Protestanten, auf dieser Erde gelößt werden können. – Beim Himmel! – Meine Freundin, zu wenig kann das Auge des Richters in die verschloßene Mauern so vieler unglüklichen katholischen Eheleute dringen, wo Tirannei des Mannes und sanfte Duldung des gekränkten Weibes, das leztere hinwelken machen, weil dasselbe [207] zu viel Ehrengefühl besizt, um zur Schande des erstern, ihr Hauskreuz öffentlich bekannt zu machen! Es ist doch die schröklichste Unmenschlichkeit, daß Tugend und Laster in einer solchen Ehe in einem Hause wohnen, an einem Tische speisen und in einem Bette schlafen muß! – Wie leicht kann eine unerfahrne junge Waise, aus Umständen, aus Uebereilung, mit einem leidenschaftlichen Bösewicht ein Band knüpfen und sich dadurch für die ganze Zeit ihres Lebens eine Hölle bereiten! – Bei jeder Klage, die über üble Ehen vor den Richter kommt, sollte derselbe genau alle Umstände der beiderseitigen Unzufriedenheit untersuchen: Oft sind es disharmonirende Gemüther, oft Ausschweifungen und verhärtete üble Gewohnheiten, die eine Ehe ohne Hofnung, daß sie besser werden könnte, vergiften. – Wir haben in katholischen Ländern kein häufigers Uebel, als unzufriedene Ehen. Würde man die vielen menschlichen Teufel, die einander täglich, stündlich wie Furien plagen, ohne Umstände von einander scheiden, so gäbe es minder boshafte Kinder und minder unglükliche Ehen. – Der Richter muß Menschenkenner genug seyn, um ins Innere zweier Gemüther zu dringen, er muß mit Ueberlegung untersuchen, ob wegen Verschiedenheit der Herzen, der Temperamenten, der Gemüthsarten, der Grundsäzze, alle Hofnung verloren ist, solche Leute je wieder zu vereinigen, daß kein Rükfall zu befürchten ist. Eingewurzelte, überwiesene Ausschweifung oder Sorglosigkeit des Mannes sind auch Ursachen, die durchaus Ehen für immer scheiden sollten; besonders dann, wenn keine Kinder vorhanden sind. Man urtheile nur selbst, ob nicht die Religion weit mehr durch die Unmöglichkeit der Trennung eines Bandes entheiligt werde, welche oft beide Eheleute zur Verzweiflung bringt, und sie in ihrem heimlichen Lasterleben nur noch hartnäkkiger und verstokter macht, als durch die Lösung desselben, vermöge welcher vielleicht noch Besserung für den einen oder den andern Theil [208] zu hoffen ist. – Zwang nährt überhaupt alle Laster, aber freiwillige Tugend macht der Religion und ihren sanften Banden Ehre. – Es geschieht dann doch im Stillen in solchen Ehen so viel Uebels, als man sich kaum denken kann. Und ist denn bei dergleichen Entdekkungen das Aergerniß nicht weit sträflicher als die Trennung? – Sollen denn zwei abgeneigte, verbitterte Gemüther wie Kettenhunde so lange mit Wut an ihren Ketten nagen, bis sie von selbst zerbrechen? – O Menschheit! – Menschheit! Wenn werden deine Gesezze anfangen der lieben Vernunft und der schönen Natur Ehre zu machen? – Aber nun, meine bedaurungswürdige Amalie, sey Dir das genug gesagt, von einem Gesez, das auch Dich unglüklich macht! – O, meine Arme, wach auf aus deinem gutherzigen Schlummer, suche Ruhe, suche Zufriedenheit; Du bist nicht dazu geschaffen, Dich durch eines Andern Laster in Staub tretten zu laßen. Amalie! ich fühle dein Elend jezt wieder aufs Neue zu tief... um Dir etwas weiter zu sagen, als daß ich mit Dir unglüklich bin! Deine fühlende


Fanny.

79. Brief. An Fanny
LXXIX. Brief
An Fanny

Ja wohl, meine einzige, vortreflichste, gutherzigste Freundin! Ja wohl, scheint mir Alles in meiner Lage trostlos! – Nicht taub gegen deine Bitte, nicht taub gegen die Vernunft, aber unfähig zu jeder Unternehmung, schleppe ich meine Geschikke von Gedanke zu Gedanke, und kann keinen finden der mich beruhigt. – Ob ich der Mishandlungen meines Manns nicht müde bin? – O meine Beßte! – Mein schwacher Körper ist es schon lange, aber mein Herz ist es nicht. – Laß es immer an dem Pflichtvergessenen hängen, dieses zu gute Herz; [209] mag er es bis zum lezten Schlage peinigen, so bleibt ihm die Strafe und mir die Belohnung dort oben übrig! Und wenn denn doch Schandbuben so leicht aus teuflischem Leichtsinn das Herz eines guten Weibes zerfleischen können, so muß es unter unserm Geschlecht auch Weiber geben, die es bei ihnen so lang als möglich auszuhalten wissen. Wo bliebe sonst das sanfte, gutherzige Gefühl der Natur, das blos dem Weibe zur Zierde von dieser gütigen Führerin zugetheilt wurde? – Mein Gatte ist nun auf ewig für mich verloren! aber werde ich glüklicher seyn, wenn die Entfernung von ihm an meiner Seele noch schröklicher nagt? – Er hat mich arm gemacht, in Schande gestürzt, aber bin ich denn bei seiner Abwesenheit reicher? – Ha! – Meine Fanny, ich will Dir folgen, wenn Du mir die Seelenruhe wieder geben willst, deren Verlust mich sonst martern würde! – Meine Standhaftigkeit wäre Sünde, sagst Du? – O, dann ist seine Behandlung teuflisch und mein Nachgeben himmlisch! – Doch pfui! was meine Eigenliebe mir da wieder vorgaukelt! – O, ich schäme mich! – Das zu thun, wozu wir verbunden sind, verdient kein Lob, sonst verliert es seinen Werth. – Aber wahrlich, wahrlich, Du hast Recht, liebenswürdige Denkerin, ich bin ein schwaches, schwaches Weib, die gutwillig ihrem Tod zueilt! Bei Gott! das Weib ist, wie es alle Menschenkenner sagen – entweder Engel oder Teufel. – Und nun auch zum lezten Mal, meine Freundin: laß ab von deiner Foderung, ich kann, ich darf ihn nicht verlaßen! Was würde die Welt, was würden meine Feinde sagen? Die Richter meinst Du? – O, die Richter unserer Religion sind blos Maschinen, die vom Vorurtheil oder vom Eigennuz in Bewegung gebracht werden! – Soll ich mich ihren fühllosen Untersuchungen und wenigen Einsichten Preis geben? – Mein Schmerz würde mich vor ihrem Angesichte stumm machen, da indessen der kaltblütige, beredtere Ehemann seine Sache unter dem [210] Schuz der Bigotterie mit Nachdruk vertheidigen würde. Sollte ich unverschämt genug seyn können, ihm vor Andern seine Fehler vorzurükken, und mir selbst durch seine Galle vergrößerte andichten laßen? Nur gemeine Weiber können in den Gerichtssaal hinstehen und ihre Männer mit sich öffentlich beschimpfen! – Und wenn sie dann auch zu meinem Vortheil vollendet würde diese Scheidung, was würde es mir bei meiner Religion nüzzen? Bin ich hernach freier? – Kann ich meine Hand einem Andern geben, die ewig durch Kirchengesezze gefesselt bleiben muß! – O des gräßlichen Gedankens, der mir jezt zentnerschwer aufs Herz fällt! – Hinstürzen möchte ich zu den Füßen eines Josephs, und seine Weisheit, sein Menschengefühl mit aufgehobnen Händen anflehen! – Dieser große Monarch, der die bigottische Tirannei von dieser Art auch im Einzelnen untersucht, der ohne Geld, ohne Nebenwege gedrängten Eheleuten zu Hülfe eilt. – – Ha! – Meine Fanny! Das war blos ein kleiner vorübereilender Trost, der mir in meiner kummervollen Lage nichts hilft. – Zaghaft ist jeder Unglükliche, und selten wagt es ein Weib sich dem Throne eines Fürsten zu nahen, wenn es auf Unkosten eines Gatten gehen soll. Und nun sage selbst, meine Freundin, was bleibt mir übrig? Soll ich mich an geistliche Richter wenden, die eine unglükliche Ehe kaum dem Namen nach kennen? – Soll ich diesen harten ans Zölibat gewöhnten Menschen meine Leiden vorjammern, die nur zu oft fremdes Elend gar nicht einmal begreifen. – Angejocht an ihren geistlichen Stand, tragen sie zu wenig Kenntnis der Welt in ihrem umnebelten Kopfe, um sich hinlänglich in die Lage einer unglüklichen Ehe hinein denken zu können. Und wenn denn auch unter diesen Richtern zuweilen ein denkender Kopf ist, der von keinem Vorurtheil sein Gefühl erstikken läßt, was würde mir dieser einzelne nüzzen, da hingegen so viele andere zum Unheil der Menschheit ihre eingeführten grausamen Rechte [211] behaupten müßen! O! für mich ist in dieser Welt keine menschliche Hülfe mehr! Ich bin an Bande gefesselt, die Menschendummheit so enge, so unauflöslich bei meiner Religion zusammenknüpfen! – Es ist schröklich, schröklich, die ganze Zeit seines Lebens lebendig todt ans Laster verheirathet seyn zu mußen; aber doch ist es nun einmal so, und der gütige, gerechte Gott im Himmel gebe mir Stärke, das fürchterliche Verhängnis zu dulden, das mir seine Geschöpfe auflegten! Glaube mir, Fanny, wenn unsere Geistlichen sich begatten dürften, so würde hie oder dort einer fühlen, wie übel ausgeschlagene Ehen das Leben zur Hölle machen können. Ha! – Wie würden sie eilen diese nun so kurzsichtigen Schwärmer, um ein Band zu lösen, unter dessen Druk auch sie schmachten müßten. – Nun aber leben diese vom Vorurtheil selbst gefolterte Menschen schwer – schwer ihrer erzwungenen Enthaltsamkeit nach, und befriedigen ihre Triebe im Stillen, mehr oder weniger, nach der Anlage ihres Temperaments und vermöge ihrer Grundsäzze. – Mich deucht, daß nur durch langes – langes Nachdenken und durch strenge Beobachtung ihrer selbst in ihnen können Triebe erstikt werden, denen so viele Tausend unterliegen. Der Körper wird beim bequemen Leben, bei nahrhaften Speisen so leicht Herr über die Seele, wenn er nicht durch äußerste Aufmerksamkeit fleißig bewacht wird. So viel gestund mir lezthin ein helldenkender, braver junger Geistlicher selbst. – Doch, liebe Fanny, wo gerathe ich hin? ich moralisire über Andere und vergesse mein eigenes Elend. – Vergessen? – O gewis nicht – gewis nicht! – Meine theilnehmende Freundin! es drükt zu schwer in dem Herzen deiner armen, armen


Amalie. [212]

80. Brief. An Amalie
LXXX. Brief
An Amalie

Meine theuerste Amalie! Was kann ich Dir auf deinen lezten Brief weiter sagen, als was ich Dir schon zu wiederholten Malen gesagt habe? – Du bist zu gut, zu nachsichtsvoll gegen Fehler, die einer dritten Person Abscheu erwekken müßen. Nicht immer, meine Freundin, ist Gutheit Tugend. Wenn diese Gutheit das Laster nährt, dann wird sie sträflich. Erschöpft sind beinahe meine Worte, Dich zu einem Entschluße zu bewegen, den Du über kurz oder lang doch ergreifen mußt. Ich wollte mein Leben daran sezzen, daß dein heilloser Mann Dich noch einstens von selbst verläßt! – Gieb Acht, wenn die Hülfsmittel erschöpft sind, an denen er sich bis hieher erholte, was dann geschieht? – Ich sehe ins Innerste seines Herzens: Eigennuz hält ihn noch an Dich, und sonst kein anderes Gefühl. – Dein Heldenmuth, Dich im Stillen martern zu lassen, ist überspannt. – Der gütige Gott im Himmel fodert von seinen Geschöpfen kein so theures Opfer, das dieselben zernichtet. – Er schuf uns zur Eintracht, und wenn wir in der Welt unglüklich genug sind, diese Eintracht unter unsern Mitbrüdern nicht zu finden, dann ist es unsere Pflicht, die Verfolger zu bedauern, aber nicht unsere gebrechlichen Körper unter ihre leichtsinnigen Bosheiten zu schmiegen. Ein jedes getrettene Thierchen sucht Rettung und Hülfe; und wenn es sich dann zur Vertheidigung zu ohnmächtig fühlt, dann ist Flucht der erste Trieb dem es folgt. Und kann denn etwas Hüfloseres unter den Menschen gefunden werden als ein Weib, die in Ansehung der Stärke sogar bei ihrer Schöpfung den Kürzern zog? – Wenn Sanftmuth und Thränen das Herz eines Mannes nicht zum Mitleiden bewegen, was bleibt ihr dann übrig, einen so mächtigen Wütrich zu besänftigen?[213] Das Vorurtheil hat schon von Anbeginn der Welt seinen Thron aufgeschlagen; der Mann fühlt sein Uebergewicht und läßt es so oft dem armen schwächern Weib auch wieder fühlen. – Aber jezt, meine Werthe, komme ich auf den Punkt, ob Du in der Entfernung von deinem Manne glüklicher seyn wirst oder nicht. – Hier sagt mir meine Vernunft: Ja, Du wirst glüklicher seyn. Ist es nicht besser, blos das traurige Andenken seiner Mißhandlungen zu tragen als die Mißhandlungen selbst? – Und wie kann Dir dein Gewissen über einen Schritt Vorwürfe machen, zu dem er Dich selbst durch sein Betragen reizt? – Du verläßt ja keinen Gatten, Du verläßest einen Peiniger, der Dich nur desto ärger martert, weil er deine Muthlosigkeit kennt. Ich wette alles, daß er sich in lokkern Stunden, über deine Gutherzigkeit noch tapfer lustig macht. – Ich kenne das menschliche Herz: hat es einmal einen übeln Bug, dann ist es zu tausend Verwirrungen fähig. – Wenn das Herz eines Gatten an kleinen Gefühlen, die zur häuslichen Glükseligkeit gehören, keine Freude mehr hat, so ist in einer solchen Ehe der Friede auf ewig verloren! – Rechnen wir einmal die großen Laster deines Mannes hinweg, und bleiben wir blos bei den Kleinigkeiten stehen, die ein sorgender Mann seiner Gattin schuldig ist: – Aber weh uns, meine Freundin! – Ich finde nicht einen Zug in ihm, der von Menschlichkeit zeugte! – Ist er nicht mürrisch, gebieterisch, starrsinnig, unordentlich in seinem ganzen Wesen? – Mußt Du ihn nicht wie einen achtjährigen Knaben pflegen? – Bist Du nicht seine Magd, die aus Gutherzigkeit seine Erziehungsfehler mit Engelsgeduld erträgt? – Genug davon, Amalie, ich weis tausend Dinge, die Du mir nicht einmal schriebst, und die Dich in meinen Augen zur unbegreiflichsten Märtirerin machen! – Uebrigens, meine Freundin, was kümmert Dich das Gezisch deiner Feinde, bei einer Trennung, die jeder Vernünftige nach genauer Untersuchung billigen muß? – Die Welt und deine Feinde, geben Dir ja deine Gesundheit nicht wieder, wenn Du vor Gram da liegst, am Rande deines jungen Lebens! – Daß Du Dich nun, [214] meine Liebe, in deinem Unglük keinen geistlichen Richtern anvertrauen willst, billige ich recht sehr. Sie würden Dir unstreitig dein Elend noch schwerer machen, wenn Du bei Menschen Hülfe suchen wolltest, die Dir sie am Ende des Prozesses doch nur zur Hälfte reichten. Du hast selbst Vernunft und edles Herz genug, um in dieser Sache dein eigner Richter zu seyn. Wozu brauchst Du Erlaubniß zu einer Trennung, die die natürlichste Folge einer so unglüklichen Ehe ist? – Laß sie auftretten, die strengen Richter, und deine Standhaftigkeit bei solchen ausgestandenen Leiden mit der ihrigen abwägen, und ich will verloren seyn, wenn einer davon Dir den Sieg streitig machen würde? – Was nun, traute Amalie, die Art bei euch Katholiken Ehen zu scheiden betrift, kraft welcher man Unzufriedene von Tisch und Bett trennt, so gefällt mir dieselbe durchaus nicht. – Die gegenseitigen oft vorkommenden skandalösen Klagen, sind für denkende Zuhörer solcher Prozeßführungen ekkelhaft, und die Kosten solcher Prozesse zu groß, um eine blose Trennung von Tisch und Bette dadurch zu erhalten. – Diese Art Trennung macht, im Grunde genommen, Eheleute noch weit unglüklicher. Sie entgehen freilich dadurch vielen Zänkereien, aber nur zu oft werden feurige an Ehestand gewöhnte Temperamente noch weit unzufriedener. – An solche harte Fesseln gebunden zu seyn, die Natur für alle Triebe wegen diesen Fesseln erstikken zu müßen, fühllos gegen alles zu werden, was uns aus Liebe das Leben versüßt, mag so ein Zustand nicht eine schleichende Verzweiflung hervorbringen? – Doch, Liebe, jezt kein Wort weiter mehr über einen Zustand, der mich für Dich, arme, gedrängte, gefühlvolle Seele, so manche Thränen kosten wird! – Sey stark, meine Beßte, bring darinn der Tugend ein Opfer, das mehr werth ist, als tausend heuchlerische Ordensgelübde einer Gattung Menschen, die sich so leicht der Enthaltsamkeit wiedmen können, weil ihre Gefühle abgestorben sind. – Doch bei dieser Gelegenheit etwas mehr über die Geistlichen von deiner Religion, wozu mir dein Anmerkung Anlaß giebt: Erst seit einigen hundert Jahren [215] trauern diese Armen unter der Last des Zölibats. Vorzeiten war es ihnen erlaubt an dem sanften Busen einer Gattin hinzuschmelzen und im Gefühl der Liebe ihren Schöpfer zu preisen, der Natur zu danken, und ihr Herz wärmer zu stimmen für Religion und Rechtschaffenheit, die sie jezt ehelos und kalt treiben müßen. – Es ist eine wahre Freude, wenn man den zärtlichen, den warmen, gefühlvollen protestantischen Geistlichen betrachtet; wie er sein von Gattenliebe angefülltes Herz jedem seiner Nebenmenschen öffnet, wie er weich ist für Religion und Pflicht, wie er als Vater seiner Kinder, als guter Bürger seine Tage in den Armen seines liebevollen Weibes dahineilen sieht. – Da indessen der katholische Geistliche sein Gefühl tirannisirt, von Langerweile gemartert wird, die Religion kalt und unzufrieden ausübt, oder gar aus Menschenschwäche auf ärgerliche Irrwege geräth. – Gott! – Gott! – Warum duldest Du im Menschen so viele Erfindungskraft, sich unter einander selbst zu Grunde zu richten? Warum legtest Du Gefühle in die Natur, deren mäßiger Gebrauch uns unaussprechlich glüklich macht? – Und warum werden denn diese Gefühle von versengten Menschengehirnen uns zum Laster angerechnet? O du guter Gott! – Besser bist Du in deinen Geboten, als es die Menschen sind! – Du strafst nur den Misbrauch deiner Wohlthaten. Du schufst uns ja zur Liebe, zur Begattung; und Menschen wollen es wagen deine Schöpfung zu tadeln, Triebe zu unterdrükken, die uns doch so weich zum Guten machen. – Es ist unstreitig wahr, meine Amalie, nur tugendhafte, auf Grundsäzze befestigte Liebe macht den Menschen zum wahren Menschen. O, was man da alles fühlt! In den Armen der Liebe ist Seligkeit genug, um jede andere Leidenschaft mit leichter Mühe zu unterdrükken! Aber so lange die Menschen nicht lieben, und nicht durch das Lieben denken lernen, eben so lange wird das Laster noch überall seinen Wohnsiz behaupten. Lebe wohl für heute, theures Malchen!


Deine Fanny.– [216] [1]

Zweiter Band

81. Brief. Amalie an Fanny
LXXXI. Brief
Amalie an Fanny

Liebenswürdigste! –


Ich habe Dir heute eine sehr interessante Begebenheit zu erzählen, und kann mich also nicht an die Beantwortung deines lezten Briefs binden. Zudem ist ja der Inhalt desselben auch schon beiderseits beantwortet, also nichts weiter davon! Es wird Dir aber fast unbegreiflich scheinen, wenn ich Dir sage, daß mein Mann zu seinen übrigen Fehlern auch noch Tollkühnheit hinzusezt. – Eine Tollkühnheit, die vom wahren Muth zu weit entfernt ist, um Lob zu verdienen. – Aber nun höre! – Ganz von Ungefähr lief vor einigen Tagen durch unsere Unteroffiziere die Nachricht ein, daß sich an dem jenseitigen Ufer des hiesigen Flußes sechs sehr wohlgewachsene Desertörs aufhielten, die auf einen fremden Werboffizier paßten, der sie anwärbe und übers Wasser brächte. – Eigennuz und Unbesonnenheit rißen meinen Mann bei dieser Nachricht bis zum kühnsten Entschluße hin! – Er wagte es ohne Ueberlegung, mit seinem Bedienten in falscher Uniform ein fremdes Gebiet zu betretten, wodurch er Ehre und Leben aufs Spiel sezte, wenn mich nicht die Vorsicht noch frühe genug zu seiner Rettung gesandt hätte. – Ich beschwur ihn mit ängstlicher Ahndung, einen Schritt zu unterlassen, der mein ganzes Wesen erschütterte! – Aber es half nichts; er lief wie ein Rasender von der Werbungswut beseelt zu einem [3] Schiffer an unserm Ufer. Donnernde Offiziersdrohungen und Geld beschleunigten eine Fahrt auf deren Unternehmung mit Militärpersonen der Verlust des Kopfes steht, wenn ein Schiffer es wagt solche Dienste zu leisten. – Aber genug, die kleine Reise gieng vor sich, und bald kam mein Mann an den Ort hin, wo diese Unglüklichen mit heißhungriger Rettungsbegierde seiner warteten. – Er fand sie in einer Scheune aufs Stroh hingestrekt, mit Verzweiflung und Hunger ringend. – Schon mehrere Tage harrten die Elenden unter Kummer und Jammer auf den nahen Tod, den ihnen Verzweiflung oder Strafe drohten, wenn sie entdekt würden. – Muthlos lagen die Kerls mit dem ängstigenden Gefühl des Verbrechens im Herzen da. – Blos mit leichten Leinwandkitteln bedekt starrten ihre sonst nervigten Glieder vor dem rauhen Frost des herannahenden Winters. – Die Furcht erkannt zu werden, machte sie diesen armseligen Anzug wählen. Einige davon fluchten jezt bei reiferer Ueberlegung ihrem Schiksale, das sie sich selbst so unbesonnen zugezogen; andere würden gerne den Rükweg angetretten haben, wenn sie nicht die Furcht der Strafe davon zurükgeschrökt hätte. – Endlich kam mein Mann und kündigte ihnen eine Erlösung an, bei der er selbst alles wagte, um sie zu Stande zu bringen. – Nun wurde die Abrede genommen und der Entschluß gefaßt, erst bei der dunkeln Nacht den Weg ihrer Rettung miteinander anzutretten. Das Schwelgen raubte nun Allen die Besinnungskraft, und keiner davor ahndete das nahe Unglük, das ihnen wegen der herumstreifenden Häscher drohte. Meines Mannes Bedienter allein blieb bei gesundem Verstand, und eilte, so geschwind er konnte, auf seinem Pferd zu mir zurük. – Todesfurcht hatte unterdessen meine Einbildungskraft gefoltert! – Schon sah ich meinen Mann in den Händen der Gerechtigkeit für sein Vergehen bluten! – Der Bediente [4] traf mich in einer Verstimmung an, die an stumme Verzweiflung gränzte! – Seine Erscheinung ohne meinen Mann drang mir ein lautes Geschrei ab, denn er schien mir ein Bote des Unglüks zu seyn. Der gute Kerl beschwur mich um Gotteswillen meine Sinnen zu sammeln, und auf eilige Mittel zu denken, seinen Herrn aus dieser schröklichen Gefahr zu retten! – Unglük macht erfinderisch, und die Angst bringt oft gute Köpfe in der Eile zu den beßten Entschlüßen. – Von der Furcht getrieben riß ich schnell meine Kleider vom Leibe, zog bürgerliche Mannskleider an, lies mir ein Pferd satteln und meine Frauenzimmerkleidung dem Burschen in den Mantelsak stekken. Wie wir beide eilten, kannst Du leicht denken, und daß unsere Eile nöthig war, ist unstreitig; denn kaum waren wir ein halbes Stündchen vorwärts galoppiert, so begegneten uns jene fürchterlichen Diener der Gerechtigkeit, die auf dem Lande herumstreiften, um Strafbare aufzufangen. – Diese schnurrbärtigen Männer hielten den guten Lorenz an, und fragten nach meinem Namen, da ich gerade eine Strekke Weges vorausgeritten war. Aber der brave, treue Kerl hatte Muth genug, ihnen trozzig zu erwiedern: »Mein Herr ist ein Jurist aus dieser Gegend, der sich mit einem Spazierritt erlustigt.« Doch ohne ihre Antwort abzuwarten, spornte er sein Pferd, und wir kamen in einer Stunde an den Ort, wo mein verwegner Mann ruhig im Taumel des Schlafes schnarchte. – Kaum vermochte ich so viel über den flegmatischen Wagehals ihn leise zu bereden meine Kleider anzuziehen, seine Uniform mit Steinen beschwert ins Wasser zu werfen und auf meinem mitgebrachten Pferde zurükzureiten. Zum Glükke schliefen die berauschten Desertörs hart genug, um von unserer Unterredung nichts zu vernehmen, sonst wären sie aus hofnungsloser Verzweiflung vielleicht die ersten Verräther an meinem Manne geworden. Denn nun war für diese Armseligen alle [5] Hofnung der Rettung verloren. – Sie mußten entweder ihren Rükken der Spiesruthe bieten, oder sich ins Wasser stürzen, da sie ohne Beistand eines Schiffmanns nicht überkommen konnten. – Während dieser geheimnisvollen Umkleidung mußte der wakkere Lorenz Wache halten; dabei sah er mit bebendem Herzen die Häscher in der Gegend umher lauern. – Mein Mann stund izt in Bürgerskleidern bereit zum Rükweg, und ich hatte nun auch meine mitgebrachten Frauenzimmerkleider wieder angezogen. – Endlich sezte sich mein Mann aufs Pferd und sprengte mit Lorenz in diesem Aufzug unerkannt vor den herumschwärmenden Häschern vorbei! – Meine List hatte den erwünschtesten Erfolg, man sah ihn jezt für mich an. Laut pochte aber mein Herz bei dieser gewagten Unternehmung, die vor meinen Augen eine fürchterliche Wendung hätte nehmen können, weil man schon lange zuvor bei ähnlichen Anläßen der Kühnheit meines Mannes nachgespürt hatte. – Ich folgte mit bebenden Schritten hintendrein zu Fuße, und sah meine Flüchtlinge den Zoll ohne Anstand paßiren. Das Glük war auch meiner Verkleidung günstig, und bei meiner glüklichen Nachhausekunft dankte ich feurig dem Vater im Himmel für diesen Muth bei Drangsalen von so besonderer Art! – Mein Mann schien sich der überstandenen Gefahr zu freuen; aber doch wurmten ihm noch die schönen hinterlassenen Rekruten im Kopfe. Statt des Dankes erhielt ich von ihm ein unzufriedenes Gebrumm über übereilte Zagheit eines furchtsamen Weibes und so weiter. Mein Oheim hingegen drükte und küßte mich für diese Handlung. – Du, meine Fanny, sollst mich aber bei Leibe nicht darüber loben. – Hörst Du, Liebe? Besser, gar keine Antwort auf diesen Brief! Denn Du weist ja, Lob verderbt nur zu gerne das ohnehin so sehr zur Eitelkeit gestimmte Herz eines Weibes. – So denkt Dein


Dein Malchen. [6]

82. Brief. Amalie an Fanny
LXXXII. Brief
Amalie an Fanny

Innigstgeliebte Freundin! –


Fünf volle Wochen schrieb ich Dir keine Zeile! – Gewis, meine Theuerste, ich wollte Dir durch die Nachricht von meiner sehr wankenden Gesundheit keinen Kummer verursachen. Ein schleichendes Fieber hat mich seither keinen Tag verlassen. Die Aerzte bezweifeln mein Aufkommen, und behaupten, es wäre verschloßner Gram, der im Innern wütete. – Mein Zustand gleicht jezt einem im Stillen lodernden Feuer, das heimlich um sich frißt. Bei mir sind die Leiden nun so hochgespannt, daß ich weder weinen noch klagen kann. Eine sprachlose Kälte für alles was in der Natur ist, hat meine Seele eingenommen, und beherrscht mich von frühe bis Abends. Diese stumme Fühllosigkeit – sagen die Aerzte – seye meiner Gesundheit weit nachtheiliger als das in laute Klagen ausbrechende Gefühl, das sonst bei geringern Leiden, als die jezzigen sind, bei mir gewöhnlich war. Mich dünkt, eine heimlich nagende Verzweiflung hat sich in meiner Seele eingeschlichen, und der lezte empfindliche Streich, den mir mein Mann ohnlängst versezte, wird vielleicht auch der lezte Stoß seyn, den er meinem Leben gab! – Ich fühle so etwas Drohendes in diesem kranken Körper, das mir izt sehr willkommen seyn würde, wenn es lindernde Ankündigung meiner nahen Auflösung wäre! – Aber ach, eine so schnelle und glükliche Erlösung gönnt mir die Natur nicht! – Sie hat sich an mir vergriffen, da sie meinem Körper dauerhafte Anlage schenkte, diese unbarmherzige Erhalterin meines Lebens! – [7] Sie hat mich zur anhaltenden Verzweiflung geschaffen, und ahndete wohl nicht, daß gränzenloses Elend meine armseligen Tage verbittern würde! – Doch wozu diese Klagen für ein Herz, das nicht einmal mehr die süße Wonne der Mittheilung fühlt? – Sonst war es mir Linderung, Dir Thränen vorzuweinen, die mir das Unglük abnöthigte. Aber nun ist sie vertroknet die Quelle dieser Erleichterung; aller Trost ist unvermerkt aus meiner Seele gewichen, und dumpfe Raserei an seine Stelle getretten! – Ich will Dir izt mit dem eiskalten, verstokten Gefühl einer Trostlosen die barbarische Grausamkeit erzählen, die ich wieder aufs Neue von meinem Manne duldete! – Eines Abends hatte das Spiel denselben wie gewöhnlich, gehaßt. Schon rükten die schwermüthigen Dämmerungsstunden heran, und noch harrte ich seiner, von bangen Ahndungen gemartert, am Fenster. Tausendmal blikte ich mit hochangeschwollenem Herzen den schönbeleuchteten Himmel an, als ob ich seine Gestirne um Mitleid anflehen wollte! – Die schauerliche Stille der Nacht harmonierte so ganz mit dem Kummer, der schwer auf meinem Herzen lag! – Eine wollüstige Schwermuth riß mich zu Träumen hin, die man gedankenlos genießt, wenn der leidenschaftliche Gram in dem Herzen eines Melankolischen ein Kaos von unnennbaren Ideen erzeugt. Nur bisweilen wekte mich die schauervolle Erinnerung meines abwesenden Mannes aus diesem fürchterlichen Schlafe! – Ich sah ihn jezt am Spieltische fremde Gelder in leidenschaftlicher Hizze darwerfen, zur Befriedigung des schändlichen Eigennuzzes seiner lokkern Mitgesellen! – Meine Thränen rollten auf seine sträflichen Hände, und flehten um Mitleid, um Erbarmung! – Erschrokken blikte der Leichtsinnige um sich, und sah sein vom Kummer blaßes Weib vor seinen Augen stehen! – Das Gefühl schien einige Minuten seine Rechte behaupten zu wollen, aber rasch, von dem übermannenden Laster hingerißen, [8] vergaß er im nemlichen Augenblikke wieder seine leidende Gattin, die zitternd am Spieltische ihr Schiksal erwartete! – So, meine Freundin, schwärmte meine herumirrende Phantasie fort, bis das Knarren meiner Thüre mich darinn störte, und der Bediente Licht brachte. Es war schon neun Uhr vorbei, und noch schwelgte mein Mann in den Armen des Lasters, da indessen meine Thränen stromweise floßen! – Ich hatte nicht den Muth mich um ihn zu erkundigen, denn wie leicht würde sein vom Spiel gereizter Zorn mir Tod und Verderben gedroht haben! – So oft nun die Glokke eine neue Stunde anzeigte, eben so oft fuhr mir ein schmerzhafter Stich der grausamsten Ungewisheit durch die Seele! In dem Drang meiner unbeschreiblichen Marter eilte ich zu meinen Büchern, und wählte Cäciliens Leiden zur Zerstreuung. – Der Jammer dieser Dulderin milderte auf einige Minuten den meinigen. – Ich sah dieses gutherzige Mädchen als eine Gehülfin meiner Leiden an, die durch gleiches Schliksal an mich gekettet, meine Drangsalen mit mir theilte! Ganz in diese für mich so passende Lektüre vertieft, durchblätterte ich mehrere Stellen dieses so herrlich schönen Buchs, das so ganz meinem Kummer Nahrung gab! – Auf einmal öffnete sich die Thüre des Zimmers, und mein Mann erschien in der Furiengestalt eines Wütrichs! – Kaum vermochte ich mich aufrecht zu halten! – Noch staunte ich ihn zitternd an, als er rasch mit verbißner Wut das aufgeschlagene Buch vom Tische auf den Boden warf! – Wie eine unschuldige zum Gericht verurtheilte arme Sünderin hob ich das Buch mit gänzlicher Ergebung wieder vom Boden auf! Ich fühlte den Angstschweiß auf meinem Gesichte; doch, ohne den geringsten Laut von mir zu geben, erwartete ich jeden Augenblik den lezten willkommenen Druk von einem Rasenden, der seine Vernunft verloren hatte! – Auch hatte das Leben für mich wirklich zu wenig Reize mehr, um [9] wegen dieser elenden Last nach Hülfe zu rufen. Ich schämte mich seiner Ausschweifungen zu sehr, um ihre schändlichen Folgen fremden Leuten zu offenbaren. Ehrengefühl übertäubte jezt in mir die Furcht des Todes, und so sehr sich auch mein junges Blut gegen diese vielleicht plözliche Zernichtung sträubte, so war doch meine Seele stolz genug, mit Männerstärke den Ausgang dieser Mörderszene ohne das geringste Winseln abzuwarten! – Kaum hatte ich dem Schöpfer einen reuigen Seufzer über meine Sünden zugeschikt, so ergriff mich das Ungeheuer beim Halse, und war zum Morden bereit!!! – Jesus sey mir gnädig! – rief ich ihm halb röchelnd zu! – Dieser halb erstikte Schrei brachte ihn wieder zur Vernunft, und er lies ab von einer Handlung, die ihn in Henkershände würde geliefert haben, wenn er sie vollendet hätte! – Die Todesangst mit all ihren Bangigkeiten trieb mich Arme jezt von einem Zimmer ins andere! – Ueberall suchte ich Erbarmen und Rettung! – Bis ich endlich auf einmal dem Ausgang der Thüre zutaumelte, forteilte zu meinem Oheim, und mehr todt als lebendig zu seinen Füßen hinstürzte! – Ich lag bis den andern Morgen betäubt im Blute, das durch die heftige Wallung durch Mund und Nase sich drängte! – Die geschwinde Oeffnung einer Ader kühlte aber auch bald wieder die fieberischen Zukkungen ab, welche diese Angst mir zugezogen hatte. Doch kaum konnte ich meinen Mund vor Schwachheit wieder öffnen, so war mein erstes Wort: Verzeihung dem Unsinnigen, der blos aus kranken Sinnen nach meinem Blute dürstete! – Noch stand mein Oheim versteinert an meinem Bette, als diese Erinnerung ihn schnell aufwärmte zur feurigsten Rache!!! –

»O des marmorherzigen Mörders! – schrie er jezt – Ha! – Bei meiner Priesterwürde seys geschworen, ich will ihm durch meinen Fürsten Schranken sezzen lassen, diesem [10] gräßlichen Unthier! – Ich will hineilen zu den Füßen meines Fürsten; meine grauen Haare sollen meiner Forderung das Gewicht der Wahrheit geben! – Ich will ihm diese brennenden Thränen eines Greises auf sein Herz weinen; er wird mich hören, er wird ihn aufsuchen laßen, den Böswicht, der meine alten Tage mit der unmenschlichsten Grausamkeit vergiftet! – Laß mich, mein Kind! – laß mich! – Bald sollst du von deinem Vertilger befreit werden! –«

Schon wollte der gefühlvolle Mann aus meinen kraftlosen Händen sich loswinden, als ich meine lezten Kräfte sammelte, und mich ihm fest an den Hals warf! – Mein heulendes, dumpfes Schluchzen tönte unserm nahen Freunde gräßlich in die Ohren! – Ganz unvermuther kam jezt Baron von Sch.... ängstlich ins Zimmer geeilt, und fand uns beide in dieser erschütternden Stellung! – Aber doch war dieser würdige Mann stark genug, meine fest angeklammerten Hände von dem Halse meines Oheims zu lösen. Er wandte alle Künste der Beredsamkeit an, ihn zu besänftigen.

»Nein, mein Freund, – sagte er – Sie müßen sich nicht durch ihn beschimpfen, wenn Sie seine Schande dem Richter aufdekken. Trennen Sie Amalien auf ewig von ihm, und überlaßen Sie den Verworfenen seinem eigenen Verhängnis! –«

Nun, liebste, theuerste Fanny, hast Du hier eine Nachricht, die Dir gewis willkommen seyn wird. Gott gebe mir Kraft zur Ausführung, und Dir gebe er glüklichere, zufriedenere Stunden, als deine Amalie erlebt! – –

[11]
83. Brief. Fanny an Amalie
LXXXIII. Brief
Fanny an Amalie

Meine Beßte!


Wollte der Himmel, daß alle Martern deiner sinkenden Kräfte deinem abscheulichen Manne auf die Seele fielen, damit er büßen möchte für deine Gesundheit, die er Dir so mörderisch raubte! – Gott! verzeihe mirs! – Noch nie hat mein Herz Böses gewünscht. Aber wäre es denn auch möglich, den Werth und die Leiden einer Amalie zu kennen, und nicht Dem zu fluchen, der so einen Engel mishandelt? – O meine gutherzigste Dulderin! – Wenn Du mich je liebtest, so raffe Dich auf von den Gefahren des Todes, die so drohend deiner warten! – Um Gotteswillen pflege mit aller Vorsicht deiner Gesundheit! – Bei meiner Liebe, bei den heiligsten Banden der Freundschaft beschwöre ich Dich, muntere Dich auf, verscheuche durch Zerstreuung den Kummer, der dein armes Herz benagt! Der Gedanke, Dich vielleicht zu verlieren, ist für mich eine folternde Angst, und reißt mich zur tiefsten Wehmuth hin! – So selten findet man auf Erden ein Herz wie das deinige, und wer würde mir denn die Wonne der süßesten Vereinigung wiedergeben, wenn Du für mich hinwelktest in den Staub der Verwesung? – Ha! – deine fürchterliche Schwermuth hat mich durch und durch erschüttert! – Was doch dein Schiksal ein unglaubliches Labyrinth ist! nur wenige Menschen würden seine andauernde Härte begreifen. – Ich selbst mit all meiner Ueberzeugung stand schon oft staunend dabei stille, und schlug die Hände über mir zusammen, wenn mir die Erfahrung für die Wirklichkeit bürgte. [12] Die meisten Menschen würden deine Geschichte für das Hirngespinste irgend eines melankolischen Dichters halten, wenn sie ihnen unter die Augen käme, denn man ist zu sehr gewöhnt, in Romanen Lügen zu finden. Auch fehlt es den meisten Menschen zu sehr an Erfahrung, um das so mannigfaltige heimliche Elend ihrer Mitmenschen zu glauben. – Bosheit und Verfolgung wird unter ihnen zu heuchlerisch getrieben, um den Umfang ihrer Vertilgung zu kennen. – Nur dem Auge des Menschenkenners sind solche Schiksale begreiflich, der große Haufen hüpft darüber weg, sobald er das Unglük nicht auf dem öffentlichen Markte ausgeschrieen findet. – Besonders gehen in der Liebe und Ehe oft Dinge unter beiden Geschlechtern vor, die man bei den wildesten Nazionen kaum antrift. – Es scheint, als ob alle Güte des Herzens bei Männern und Weibern in der Liebe und Ehe verschwunden wäre. Man findet gerade da die unmenschlichsten Grausamkeiten, wo die sanften Bande des Gefühls ihre beßte Wirkung thun sollten. – Da doch aber Liebe und Ehe in dem menschlichen Leben die größten Epochen ausmachen, so sollten sich die Moralisten besonders Mühe geben, die gegenseitigen, so sehr einreißenden Mishandlungen durch gute, vernünftige Lehren zu verhindern. Wenn die Liebe den Menschen zum sanften Nachdenken hinreißt, warum sollte die Liebe nicht auch in jedem Stand Gutherzigkeit und Vernunft hervorbringen? – Aber leider wird in unsern verdorbenen Zeiten die Liebe zur Buhlerei herabgewürdigt! – Man knüpft ihre tugendhaft seyn sollende Bande nur körperlich, und dann bleibt ihr nichts mehr übrig, als Sättigung. Selbst die Romanendichter entheiligen die Liebe mit ihren unächten Schilderungen. – Sie machen diese vortrefliche Lehrmeisterin zur empfindelnden Sucht, oder im Gegentheil zur heuchlerischen Heldin, die in der schwachen Menschheit keine Nachahmer findet. Die Menschen würden ihre beiderseitigen Betrügereien in der Liebe weit eher [13] unterlassen, wenn das Männer- Herz durchs Denken moralischer, besser, und das weibliche stärker würde. – Von übelm Beispiele angestekt, scheut sich kein Jüngling mehr, die Liebe durch Leichtsinn zu entweihen, und eine weinende, genoßene Unschuld barbarisch der öffentlichen Schande zu opfern! – Eben so wenig als eine diebische Kokette es für Verbrechen hält, ganze Reihen voll Jünglinge an Seel und Leib zu Grunde zu richten. Gerade so sündhaft geht es in den jezzigen meisten Ehen zu. Der Mann brutalisirt das schwächere Weib, und sie beschimpft ihn dafür im Dunkeln in den Armen eines Eheschänders! – Doch weg, meine Freundin, von einem Gemälde, das jezt gar nicht für dein blutendes Herz taugt. Könnt ich Dich doch mit etwas Beßerm trösten, als mit der Hofnung einer glüklichern Zukunft, die Dir in diesem Leben noch alles versüßen muß, was Dich bisher so gräßlich peinigte! – Ha! – Wie gerne würde ich all meine Vernunft zu diesem Vorsaz aufbieten, die meiner Freundin vielleicht Linderung verschaffte! – Aber wir arme Menschen sind so ohnmächtig in unsern Unternehmungen, und können weiter nichts als blos wünschen. – Doch sey ruhig, mein liebes, gutes, sanftes Malchen, und freue Dich über ein wohlwollendes, freundschaftlich pochendes weibliches Herz, weil Du keines unter den Männern fandest, das feurig genug für Dich schlug! Ist dieses Andenken in einer so feindseligen Welt nicht Trost genug, um die Stunden deines Harrens zu erleichtern? – Fasse Dich, meine sanfte Amalie! Fasse Dich, und wähle Dir je eher je lieber einen ruhigern Aufenthalt, wo bessere Tage deiner warten, als in dem Umgang eines blutdürstigen Tiegers, der Dich in seiner Gallsucht unmenschlich würgte! – Tausend Segen, Theuerste, zu deiner Trennung – und von mir Millionen Küße mit einem Herzen voll schwesterlicher Liebe! –


Deine zärtliche Fanny. [14]

84. Brief. An Fanny
LXXXIV. Brief
An Fanny

Sie ist vollbracht die Trennung, meine Fanny, die meinem Herzen doch noch so viel Mühe kostete! – Mich dünkt, es ist für eine gute Seele leichter, sich martern zu laßen, als Jemand zu kränken. Mein Herz bleibt mir ein ewiges Räthsel! – Wenn alle Weiberherzen so viel Schwachheit besizzen, dann wundere ich mich nicht mehr über die vielen gutherzigen Fehler, die unserm Geschlechte so häufig ankleben. Kannst Du es begreifen, meine Freundin? Ich habe bei seinem Abschiede noch Thränen der äußersten Wehmuth vergoßen. Er schien mir jezt ein hingeworfenes Opfer, das auf dem schlüpferigen Pfade des Lasters ohne Freunde dem Abgrunde zustrauchelt! – Der Friede wurde geschloßen, die Werbungen eingeschränkt, und er mußte zu seinem Regimente zurük. – Mein Oheim verließ den Armseligen mit einer empfindsamen Bitterkeit, die seinem so sehr beleidigten männlichen Karakter leicht zu vergeben ist.

»Nimmermehr – sagte er lezthin – soll er es wieder wagen, dich oder mich zu beunruhigen! –«

Er hat aber auch diesen guten Oheim fast ganz an Glüksgütern entblöst, und nun zwingt ihn die Noth, die Hülfe eines Freundes zu meiner fernern Unterstüzzung anzurufen. – Ich habe mir selbsten eine Art Kloster zu meinem Aufenthalte gewählt, dessen Orden mehr ans Weltliche gränzt. – Ich werde bald mit gewißen kleinen Vorbehältnißen dorten als Kostgängerin meine traurigen Tage verleben. Die Welt ist mir jezt zu verhaßt, um ihrer Reize zu genießen, denen mein armes Herz sich gewis nicht öffnen würde. Wenn die Schwermuth einmal Wurzel gefaßt hat, dann hat sie ihre stillen Entzükkungen, [15] und man genießt ihrer im einsamen Nachdenken. Ich kann oft heftig zürnen, wenn es Jemand wagt, mich in einer Seligkeit zu stören, die ich in den stillen, sanften Stunden einer denkenden Schwermuth genieße! – Traurigkeit wird durch Gewohnheit zu einer Leidenschaft, die überall Stoff zur Nahrung findet, wenn sie in einem fühlenden Herzen ihren Wohnsiz hat. Das Unglük macht denken, das Denken wehmüthig, und diese Wehmuth vergilt dann wieder mit süßer, unaussprechlicher Wonne den Eindruk des ersten Schmerzens. Wenn die Menschen das entzükkende, stille Gefühl einer schleichenden Melankolie recht zu empfinden wüßten, sie würden es gerne mit den wilden, rauschenden Vergnügungen vertauschen, die nur den gröbern Theil des Menschen sättigen. O Fanny! – Ich will mich laben an meiner Lieblingslaune in den stillen Mauern der Einsiedelei! Kein Zwang wird mich dann wie ehmals nach den Freuden der Welt lüstern machen. Ich werde freiwillig einer Unterhaltung entsagen, deren Genuß in meiner Willkühr stünde. Du wirst Dich wundern, Fanny, ich darf Besuche annehmen, und auch wieder geben, nur alles unter gewißen Einschränkungen. Auch will ich in meinen Büchern schon Unterhaltung genug finden, die mich sättigen wird an Leib und Seele; und denn wird es ja doch im Kloster etwa eine gute Seele geben, an die ich mich werde ketten können, sonst würde ich die Leere wohl nicht aushalten, das für empfindsame Herzen eine völlige Unmöglichkeit ist. – Ich will dann auch, meine Fanny, Dir zu Gefallen einer Gesundheit so viel möglich pflegen, von welcher deine Ruhe so sehr abhängt. Das Andenken meiner vorigen Tage soll mir dann die Ruhe der gegenwärtigen schmekken lassen – und sollten sich dann auch meine übrigen lebhaften Leidenschaften melden, die so stark in meinem Körperbau liegen, dann sey Du, meine Freundin, der Schuzengel, der mich leitet. Du hast einen so aufgeklärten Verstand, daß [16] ich Dir nicht einmal meine Fehler verschweigen würde, weil ich deine sanfte Leitung kenne. – Aber nun, meine Theuerste, Reiseanstalten machen den heutigen Brief etwas kürzer! Doch nichts in der Welt soll im Stande seyn, ein Herz mit Kälte zu erfüllen, das ewig, ewig nur an Dir hangen wird.

Amalie.

85. Brief. An Amalie
LXXXV. Brief
An Amalie

Millionen Glükwünsche zu deiner Erlösung, gutes, sanftes Weibchen! – Die Nachricht davon erfüllte mich mit unbeschreiblichem Entzükken! – Meine Freude über deine Rettung brachte mich in einen Taumel von Seligkeit, dem ich mich nachher freiwillig überlies, um mich von der Wirklichkeit derselben ganz zu durchdringen. – O du gute, vortrefliche Seele, vergoßest noch Thränen bei dem Abschiede eines Undankbaren, der Dich vielleicht für die ganze Zeit deines Lebens unglüklich gemacht hätte! – Aber, meine geliebte Amalie, deine gutherzige Schwachheit ist demungeachtet weit von jener sinnlosen Schwäche verschieden, die man bei unserm Geschlechte leider so oft findet! – Ein Weib, das nicht denkt; – und wie viele denken denn? – Ein Weib ohne moralisches System, ist ein Wesen ohne Grundfeste, das der blose Hauch des Lasters zu jeder Ausschweifung hinreißen kann. Wenn der Kopf eines Weibes ihrer Reizbarkeit nicht Grundsäzze entgegensezt, dann ist sie verloren für Ehre und Tugend. – Mangel an Denken macht sie bei ihrer ohnehin schwachen Anlage wankelmüthig, leichtsinnig, eitel, und bereitet ihr am Ende manchmal unwillkührlich das Grab ihrer Tugend. Bei den meisten Weibern wird Liebe und Freundschaft verwahrloset oder gar verrathen, wenn ihre angeborne [17] Schwachheit durch Gewohnheit zum Laster ausartet. Ihr Herz führt sie ohne Beistand des Kopfs bei den geringsten Versuchungen irre. Das weibliche Herz ist von der Natur zu weich geschaffen, und ist durch seine Schwäche, wenn es nicht durch Vernunft zum Nachdenken geleitet wird, allzu empfänglich fürs Böse. – Die Ausschweifung der Weiber hat von jeher an Größe und Mannigfaltigkeit die Tollheiten der Männer übertroffen. Man wird immer weit mehr sträfliche Weiber als sträfliche Männer finden; denn der Kopf taugt bei den wenigsten Weibern etwas, und dann sinken sie gedankenlos hin in alle Fehler der Menschheit, die sich ihrer Schwachheit darbieten: Bosheit, Dummheit und Eitelkeit sind ihre mächtigsten Triebfedern zu allen übrigen Ausschweifungen. Die meisten Weiber sind zu wankelmüthig, um in der Liebe und Freundschaft jene Standhaftigkeit zu behaupten, die das Glük derselben ausmacht. Aus Romanensucht verliebt sich wohl hie und dort ein Mädchen; aber kaum hat sie die Hinderniße der Liebe überstiegen, so gelüstet es ihrem lekkern Gaumen schon wieder nach etwas anderem. – Das Wort Weib ist ein ewiges Geheimnis, dessen Karakteristik nie kann entwikkelt werden. Ich habe manches Weib durch Liebe sehr glüklich gesehen, die in den Armen ihres Gatten alle nur mögliche Glükseligkeit zu genießen schien, und doch war oft der elendeste Stuzzer im Stande, die geheiligten Bande eines Biedermannes zu beflekken. Die abscheuliche Eitelkeit macht so viele Weiber zu tändelnden Kindern, denen man so leicht Flittergold, statt dem ächten, in die Hände drükken kann. Das nichtdenkende Weib bleibt blos am Sinnlichen hangen und ist samt seinem weichen Herzen nur zu oft das Opfer eines schöngewachsenen Schandbubens. Schmeichelei und Eigennuz macht den größten Haufen von Weibern zu elenden Werkzeugen der Wollust, dessen sich jeder Bösewicht bedienen kann, wenn er Kunst dazu besizt. – Siehst Du, [18] Amalie, so ist unser Geschlecht beschaffen. Ein Geschlecht, dem die meisten männlichen Schriftsteller so vielen Weihrauch streuen, so daß es sich nicht einmal bessern kann, wenn es auch schon wollte. – Fehler aus Höflichkeit nicht aufdekken wollen, war nie meine Sache, und das Bestreben die Mängel meines eigenen Geschlechts zu verbergen, würde mich zu jener elenden Eigenliebe herabwürdigen, die so leicht an kriechendes Wesen gränzt. – Wenn ich mir denn auch das Nasenrümpfen meiner eitlern Mitschwestern dadurch zuziehe, so ertrage ich es weit leichter als die Beschuldigung einer heuchlerischen Schilderung, die mir von Kennern zur Last gelegt werden könnte, die mit Aufmerksamkeit unser Geschlecht studiert haben. Giebt es nun unter unserm Geschlechte zuweilen auch Ausnahmen, so mögen mir diese Wenigen durch ihr ruhiges Gewissen beweisen, daß sie über eine Wahrheit nicht böse seyn können, die nur die Schuldigen trift. – Keine Würdige wird sich so leicht in meine Schilderung eindringen, dahingegen eine Getroffene sich vielleicht von selbst aus beleidigter Eitelkeit verräth. Aufrichtigkeit war von jeher mein erster Grundsaz, und ich kann unmöglich durch dieselbe meine Mitschwestern beleidigen, wenn bei ihnen die Verstellung nicht schon ganz die Aufrichtigkeit verdrängt hat. – Zu dem kümmere ich mich auch um unser Geschlecht zu wenig, als daß sein Zorn mich kränken könnte. Weiberzorn ist ja oft so ungegründet, und gränzt so sehr an tausendfache Dummheit! – Der Neid meines Geschlechts war von meiner ersten Jugend an mein Gegner, und meine Gespielinnen verfolgten mich oft aus Gewohnheit, aus Langerweile, aus Hang zur Verläumdung, aus Misgunst, nie aber aus Ueberzeugung eines an mir entdekten Lasters. Ich liebte sie als Menschenfreundin alle, wie sie mir aufstießen, aber schäzzen konnte ich, wegen ihren abgeschmakten Bosheiten, nur wenige. – Wirklich, meine Amalie, außer [19] Dir wird wohl mein Herz ewig der Freundschaft und Achtung für dieses Geschlecht verschloßen bleiben. – Aber, nicht wahr, meine Theuerste, heute verweile ich zu lange bei einem Punkte, der fast den ganzen Raum dieses Briefs anfüllt? – Nun will ich aber auch geschwind wieder zu dem Aufenthalt deines Klosters zurükeilen: Ich zittere für deine Gemüthsruhe, meine Liebe; ich entdekte in deinem Briefe zu viel Schwermuth, um diese einsamen Mauern nicht als deine heimlichen Mörder zu betrachten, die Dich durch ihre betrügerischen Reize zur tödtlichen Melankolie hinreißen werden! – Es liegt eine gefährliche Anlage zur Verrükkung der Sinnen in Dir; Du nährst mit Wollust einen Hang, den das Unglük schon so tief in deiner Seele Wurzel fassen lies, um ihn wieder so leicht ausrotten zu können. Hüte Dich, Amalie, vor zu langwieriger Einsamkeit, sie würde in kurzer Zeit dein Blut vollends verdikken. – Und dann, wenn ich noch die Bedürfniße deiner Empfindsamkeit bedenke, o, so möchte ich laut aufrufen: O gütiger Allvater im Himmel! schenke meiner Amalie bald wieder einen andern, bessern Gatten, in dessen Armen sie für Leib und Seele Nahrung findet! – Lebe wohl, liebenswürdiges Weibchen, und vergiß nicht deine traute


Fanny.

86. Brief. An Fanny
LXXXVI. Brief
An Fanny

Seit vierzehn Tagen bin ich hier, bei den sogenannten englischen Fräulein. – Das Kloster ist ein sehr altes Gebäude, hat aber einen sehr hübschen Garten. – Die Damen dieses Stifts sind meistens adeliche, die aus Familienverdrüßlichkeiten, aus Hang zur Einsamkeit, oder sonst [20] aus geheimen Ursachen diesen Aufenthalt wählten. Auch nach dem Gelübde haben sie immer noch die Freiheit zu heirathen. Ihr Orden scheint blos eine Geburt des weiblichen Eigensinns zu seyn, um unter Müßiggang und verschiedenen Zänkereien ihren Launen abzuwarten. Die ältern Fräulein hängen sich an Bigotterie und ihre häßlichen Folgen; die jüngern ergeben sich den schönen Wissenschaften und der Liebe. Doch muß ich es gestehen, es giebt unter diesen Damen, troz den vielen männlichen Besuchen, selten auffallende Szenen, die ans Aergerliche gränzten. Sie misbrauchen ihre Freiheit nicht, sondern folgen willig der weisen Leitung einer vernünftigen Oberin, wenn sie das Glük haben, eine solche Führerin zu besizzen. – Die Beschäftigung einiger Damen ist Erziehung der Jugend, und die Schulen, worinnen mehrerlei Sprachen gelehrt werden. Aber auch da hat das Vorurtheil in der Erziehungsart seine Stelle eingenommen; freilich nicht so stark, wie in andern Nonnenklöstern; aber dennoch werden die Kinder steif und abgeschmakt erzogen. – Ein mechanisches Einerlei ist die Beschäftigung ihrer Kostgängerinnen von frühe bis Abends. – Die Arbeiten dieses Häufchens von jungen Mädchen theilen sich unter Nähen, Strikken, Beten, Essen, Schlafen, Schwazzen und die Erlernung eines unregelmäßigen Dialekts der französischen Sprache. – Die Schulaufseherinnen geben sich zu wenig Mühe, die aufkeimenden Gefühle der Liebe in ihren schon etwas erwachsenen Kostgängerinnen zu studieren. Das achtzehnjährige Mädchen wird eben so strenge als das achtjährige bewacht, und muß seine Gefühle heuchlerisch unterdrükken. Männer statten bei ihren Lehrmeisterinnen Besuche ab, und reizen dadurch die Einbildungskraft eines empfindsamen Mädchens, die bei ihrer harten Einschränkung sich das nemliche Vergnügen wünscht. Und dann die Verschiedenheit der Herkunft dieser Mädchen, die alle beisammen wohnen und schlafen [21] müßen, ist die gefährlichste Lage für ein gutartiges Gemüth, das, vom übeln Beispiele hingerißen, alle Unsittlichkeiten einsaugt, die durch Kinder aus dem Pöbel getrieben werden. Die jüngern werden von den ältern in allerhand Untugenden unterrichtet, und lernen oft vor der Zeit die Triebe der Natur kennen. Schwazhaftigkeit, Neid, Boshaftigkeit und andere üble Gewohnheiten, keimen unter ihnen im Stillen, durch böses Beispiel erzeugt, hinter dem Rükken ihrer Lehrmeisterinnen auf, die ihre kurzsichtigen Augen nicht überall haben können, um so viele Kostgängerinnen in ihren einzelnen Leidenschaften zu beobachten. Die Tochter eines Edelmanns wird oft von der Tugend eines Bürgermädchens beschämt, und dann im Gegentheil wieder die Tochter eines Edelmanns durch das rohe Laster eines Bürgermädchens verdorben, ohne daß es ihre Lehrmeisterin einmal gewahr wird. Keine von diesen Mädchen erhält ihrem Stand angemessene Bildung. – Mich dünkt, der blose Eigennuz ist der Endzwek dieser Erziehungsanstalt; denn mehrmalen wird eine reiche unartige Bürgerstochter im Schooße ihrer bestochenen Lehrmeisterin verzärtelt, da indessen die ärmere adeliche unter der rohen Behandlung des großen Haufens mitlaufen muß. Man untersagt zwar den Kindern die Lesung guter Bücher nicht, aber man lehrt sie über kein Buch urtheilen; öffentliche Vorlesungen, durch welche die Kinder so viele Vortheile auf einmal erhalten, sind gar keine hier gebräuchlich. Man sucht den Kindern blos das Gedächtnis durch Auswendiglernen zu überladen, ob sie dann mit oder ohne Gefühl lesen, das ist den Lehrmeisterinnen völlig gleich. – Diese mechanische Lesart erzeugt Dummköpfe, welche in der Zerstreuung hastig und eintönig die schönste Moral hinwegplappern, wobei sie gar nicht denken, und also ihrem Geiste wenig oder gar keine Nahrung dadurch geben können. Wer nicht beim Lesen denken lernt, kann nichts verstehen, und wer [22] nichts versteht, der fühlt auch nichts. – Das laute Vorlesen beschäftigt fast alle Sinnen und giebt jedem eine regelmäßige Richtung. Die Fertigkeit im Lesen, der edle Ausdruk, werden unvermerkt einer solchen Schülerin zur Gewohnheit; da indessen ihr Herz, ihr Verstand, ihr Gefühl, ihre Beurtheilungskraft auch unendlich viel dabei gewinnen. – Man lege den jungen Mädchen Fragen über das Vorgelesene vor, damit solche von einer jeden nach ihren Begriffen schriftlich beantwortet werden; und dann wird die Lehrmeisterin entdekken können, wer mit Vortheil gelesen oder zugehört hat. – Diese Art junge Seelen unterhaltend zu bilden, ist die größte Kunst, Menschen leicht denken und schließen zu lehren. – Es giebt auch bei Tische und in den Erholungsstunden so viele nüzliche Unterhaltungen, die den jugendlichen Geist lehrreich und angenehm beschäftigen; aber freilich dazu gehört ein Bischen mehr, als blos ein weiblicher Klosterkopf, um so eine Unterhaltung zum Nuzzen anzuwenden. Jedes Alter unter denen Kostgängerinnen sollte seine besondere Lehrmeisterin, seinen besondern Tisch und seine besonderen Zimmer haben. Kinder müßen wieder kindisch und spielend zum Denken und Fühlen angeleitet werden; hingegen Mädchen von gewißen Jahren müßen durch ernsthaftere Anweisung, die gerade zu den sich allmählich entwikkelnden Ideen paßt, geführt werden. Liebe, Freundschaft, Großmuth, Ehestands- und Mutterpflichten, Religion und Lebensart müßen ihnen im reinen Lichte ohne Fantasterei, ohne Vorurtheil vorgelegt werden, damit sie untereinander durch solche ungezwungene Unterredungen erhaben denken und handeln lernen. Alle Moral hat für die Jugend ihre Reize, wenn sie ihr sanft und offenherzig genug, so wie es der gütige Schöpfer haben will, ins Herz geprägt wird. – Die Lehrmeisterinnen dürfen an einem Zögling in Rüksicht auf Liebe durchaus keine Verstellung dulden, sie [23] lehrt heucheln, und ist der erste Grund zum Verderben eines jungen Herzens. So bald aber die jungen Mädchen einsehen lernen, daß reine, wahre Liebe nicht sträflich ist, so haben sie sich nicht eines Triebes zu schämen, der öfters blos aus Zwang ausartet. – Die zu scharfen Verbote einer sinnlosen Lehrerin in Ansehung der Liebe verderben die beßten Herzen. – Ohne Zutrauen gegen ihre strenge Führung folgen dann solche Mädchen heimlich ihren Wünschen, und finden den Weg zum doppelten Laster, zur Lüge, und zur fleischlichen Befriedigung. – Das Verbot macht ihnen die Sünde kennbar, wo eine bessere Leitung in der Liebe sie zur Rechtschaffenheit geführt hätte. – Doch genug, meine Fanny, von einer Erziehungsart, die unter Weibern ewig nie zu Stande kommen wird. – Warum? – Das beantworte Dir selbst! Und nun für heut ein recht warmes Mäulchen von


Deiner Amalie.

87. Brief. An Fanny
LXXXVII. Brief
An Fanny

Meine Traute! –


Ich kann unmöglich deine Antwort abwarten, die Zeit würde mir sonst tödtlich lange werden! – Ich habe Dir lezthin die hiesige Erziehung in etwas entworfen. – Aber wie viel Stoff wäre noch vorhanden, um sie auszumalen, diese elende Erziehungsart. Täglich erwekt sie mir mehr Ekkel. – Wo ich nur hinblikke, fallen meinem Auge neue Mängel darinn auf. – Kaum kehrt die Lehrmeisterin ihren Zöglingen den Rükken, so geht es an ein Hadern, an ein Schreien unter diesen Mädchen, daß man gehörlos werden möchte. Schwazhaftigkeit [24] ist ohnehin von Natur der Fehler unsers Geschlechts. – Man denke sich nun so ein Häufchen weiblicher Geschöpfe in ihrer Freiheit zusammen, die in Gegenwart ihrer Lehrmeisterin keinen Laut von sich geben durften. – Da sizzen sie dann die armen Schlachtopfer der Dummheit, flüstern sich einander heimlich in die Ohren, und zittern bei dem geringsten Wort ihrer mürrischen Lehrerin. – Durch das strenge Verbot gereizt, werden sie lüstern nach Freiheit, und hängen dann in Gedanken dieser Lüsternheit so sehr nach, daß ihr Geist unfähig wird zum Lernen. – Unter einer vernünftigern Einschränkung frei und munter begreifen die Kinder mit unendlich weniger Mühe. Der gute Willen eines Kindes durch Ehre angefeuert, erfüllt weit leichter und besser seine Pflichten, und führt dem Zwekke näher, als die rauhe Art, womit man sie dazu zwingen will. – Sie werden durch eine solche strenge Art verstokt, hinterlistig, verschmizt, und lernen nie aus eigenem Trieb ihre Pflichten kennen. – Auch die Art, die etwas ältern Mädchen zu bestrafen, will mir durchaus nicht gefallen! – Durch öffentliche kindische Züchtigungen wird das Ehrengefühl eines solchen armen Mädchens mehr verdorben als gebessert. – Sobald das erwachsene Mädchen mit dem Kinde einerlei Strafe dulden muß, so wird ihm diese kindische Beschämung zur Gewohnheit, und erstikt in ihr jene edle Begriffe von wahrer Schamhaftigkeit, die für ihre Jahre die erste Triebfeder zum Guten werden könnten. – Doch weg hievon, meine Fanny; und in den Speisesaal dieser Kostgängerinnen: Du wirst Dich wundern, wie sie ihr französisches Tischgebet so kalt und flüchtig daherschnattern, daß es dem lieben Gott im Himmel gewis nicht gefallen kann. – Weder ihr Herz, noch ihr Kopf sind von den dankbaren Gefühlen durchdrungen, die wir doch Alle so warm dem Ewigen schuldig sind! – Gemein weg, wie man es unter so vielen Katholiken antrift, sind ihre Begriffe von Gott; nie [25] das, was sie seyn sollten. Ihr Religionsgefühl ist der seichten Lehrart ihrer Vorsteherinnen angemessen. Sie werden Christinnen ohne Empfindung, blos dem Munde nach. – Der Mangel ihres Gefühls läßt sie nicht weiter über die Größe Gottes nachdenken, als ihre Begriffe ihn fassen können, diesen so gütigen Gott, dessen Allmacht sie nicht einmal aus der Natur einsehen und verehren lernen! Weinen möchte man darüber, daß der heiligste Gegenstand der Religion in der weiblichen Erziehung so verstümmelt wird! – Bei ihren Mahlzeiten genießen diese armen Kinder Gottes gütige Gaben mit der äußersten Schüchternheit. Keine Silbe von Gespräch, durch welches man die Denkungsart der Kinder so leicht kennen lernt, darf in Gegenwart ihrer Lehrmeisterin unter ihnen geführt werden! – Sie lernen nicht einmal mit Anstand, ohne Zwang ihre Speisen genießen; die Furcht schraubt sie in jeder ihrer Bewegungen wie Dratpuppen zusammen. Nach Tische besteht ihre Erholung in einem Spaziergang im Garten; aber auch hier dürfen sie nicht einmal der lieben Freiheit genießen. Wenn nun zwo sympathisirende Freundinnen sich einander gerne allein ihr Herz mittheilen möchten, so werden sie wie ein Bliz von der mistrauischen Lehrmeisterin getrennt, weil sie befürchtet, ihr Herz möchte sich dem Gefühl der Freundschaft öffnen. Sonntags müßen die Zöglinge paarweis in Gesellschaft einer Lehrerin, den Jünglingen zur Schau, eine Hauptkirche besuchen. Ganze Reihen junger Mannsleute stellen sich ihnen alsdann in den Weg, und reizen die schon zu fühlen beginnenden Mädchen zu heimlichen Leidenschaften. Diese sklavische Behandlung bringt sie nach und nach zur schändlichsten Erkältung in der Religion. – Hingerissen beim Kirchengehen vom Wohlgefallen am männlichen Geschlecht, opfern sie bei ihrer Andachtsübung eher dem Gott der Liebe, als dem Allgewaltigen im Himmel! – Kann man die Religion den jungen Mädchen gefährlicher einkleiden, [26] als in solche gleißnerische Bigotterie? – Kurz, meine Fanny, überall finde ich, daß dieser Erziehungsplan gar nicht zum Wohl der Menschheit entworfen ist. Wäre ich auch mit Kindern überhäuft, so würde ich sie lieber an meiner Seite einfach, nach dem schönen Wink der Natur erziehen, als an solche Orte hingeben, wo jedes gute Gefühl in ihnen erstikt wird. – Die Erziehung ist ja so wichtig für unsere Glükseligkeit; und doch giebt es Eltern, die sogar ihr Vermögen daran wenden, ihre Kinder an solchen Orten verderben zu lassen. – Kein Monarch sollte Erziehungshäuser dulden, wenn sie nicht vorher strenge untersucht worden sind. Vorurtheil, Religionshaß, Bigotterie und Weibergrille sollten da durchaus nicht ihren Wohnsiz haben, wo es darauf ankömmt, liebenswürdige Gattinnen, vernünftige Mütter und rechtschaffene Bürgerinnen zu bilden. – Aber was meinst Du wohl, Fanny, wenn die Weiber unter einander es wüßten, daß ich es wage Anmerkungen über sie zu machen? – Hu! – wie würde mich ihre gereizte Eitelkeit verfolgen! – Doch, Misbräuche mit Wahrheit anfeinden, darf eine jede Denkerin. Ich schwöre Dir, daß ich es ungerne thue, Dinge zu entdekken, die unserm aufgeklärten Jahrhundert nichts weniger als Ehre machen. – So viel für heute von


Deiner Amalie.

88. Brief. An Amalie
LXXXVIII. Brief
An Amalie

Deine beiden Briefe, meine Freundin, bestätigen ganz meinen Grundsaz, daß mit den wenigsten Weibern etwas vernünftiges anzufangen ist. – Ich kann nicht begreifen, wie man ihren Köpfen, die beinahe alle verdorben sind, das Werk der Erziehung anvertraut. – Die Nonnen erschleichen sich [27] durch den Schein der Frömmigkeit das Zutrauen der leichtgläubigen Eltern, auf Unkosten der armen Jugend. Die Eltern sind gewohnt, das Kloster als eine sichere Festung der Tugend für ihre Kinder zu betrachten. – Riegel und Schlösser scheinen solchen blödsichtigen Leuten das beßte Mittel, das jugendliche Feuer eines raschen Mädchens einzuschränken. Die Kurzsichtigen begreifen nicht, daß gerade das der Weg ist, ihre Töchter dem Abgrund zu nähern, dem sie an der Seite einer guten Mutter leichter entgehen würden. Lebhafte Temperamente bahnen sich durch Einsperrung den Weg zum hartnäkkigen Laster. – Das beßte Mädchen wird dann durch Zwang zur boshaften Dirne, und befolgt nur widerspenstig ihre Pflichten. Klostererziehung ist eine verderbende Seuche, die durch schiefe Leitung die beßten Herzen zur Fäulnis bringt. Doch ist die üble Lehrart unter diesen Weibern nicht so sehr Nachläßigkeit, als Mangel an Einsichten. – Dumme Erziehung pflanzt sich von einer Nonne zur andern fort, und nur selten giebt es ein Weib, die Fähigkeit genug besizt, Menschen (im ganzen Verstande dieses Wortes) zu bilden. Ihr Despotismus ist gerade das gefährlichste Mittel, junge Seelen zu Grunde zu richten. Gutheit, Sanftmuth, Vernunft, Nachdenken, Ergründung der Temperamenten ist zwar nicht die Sache einer Jeden, weil ihr dieser Weg, aus Mangel an eigener Erziehung, selbst fremd ist. Solche Nonnen arbeiten meistens fürs liebe Brod, und kümmern sich wenig um das einzelne Wohl eines Zöglings, der für sein Geld sich seinen Untergang eintauscht. – Wäre es diesen Weibern um das Glük ihrer Zöglinge zu thun, so würden sie nicht mehr Kostgängerinnen annehmen, als sie übersehen können. Die Vernünftigste unter ihnen kann denn doch in ihren Mauern die nöthige Erfahrung nicht haben, um ein Mädchen mit Welt- und Menschenkenntnis zu erziehen. Wo findet man unter den Weibern so leicht selbsterworbene[28] Menschenkenntnis? – Ihre Köpfe sind mit etlich Duzzend Alltagssäzzen angefüllt, und auf diese gründet sich ihre ganze Erziehung, ohne Rüksicht auf die Verschiedenheit der Temperamente. Die klügern Protestanten lehren ihre Kinder in keinem Kloster, sondern im Kindersesselchen schon die Pflichten gegen Gott und ihre Nebenmenschen kennen; da hingegen die katholischen Klosterzöglinge manchmal ihr ganzes Leben hindurch kaum ihr Daseyn fühlen. – Das Buch der göttlichen Offenbarung ist ihnen eben so fremd, als das schöne Gefühl der lieben Natur, worinn die Allmacht des Schöpfers so kennbar geschrieben steht. Gellert, dieser vortrefliche Lehrer der erhabensten Begriffe von der Herrlichkeit Gottes ist in den Augen der meisten Nonnen ein Kezzer. Ihre rasende Ignoranz geht bis zum Abscheu! – Die Wut des Vorurtheils sizt mächtig stark in ihren elenden Köpfen; und so pflanzen sie die Unerträglichkeit auch in ihren Zöglingen fort. Die Protestanten sind weit gutherziger, und sorgen feuriger für das Wohl ihrer Kinder. – Ich selbst war einst Augenzeuge, daß die katholischen Starrköpfe von Nonnen ein protestantisches junges Mädchen nicht in ihre Verpflegung aufnehmen wollten. – Kann man den unsinnigen Haß weiter treiben? Wer giebt diesen Boshaften das Recht, eine andere Religion anzufeinden? – Die Elenden wagen es, ihrem unschuldigen Nebenmenschen Liebesdienste zu verweigern, die der Heiland selbst nicht versagte! – Von elenden Grillen angestekt, wandeln sie auf dieser Erde den verdienstlosen Weg fort, der ihnen von einem gallsüchtigen Gewissensrath vielleicht in der Beicht ist angewiesen worden. Wie kann denn ein junges Herz bei so einem Beispiel Menschenliebe lernen? – Wer das Unglük seiner Mitbrüder nicht erleichtert, wer sie nicht liebt, sie mögen auch hingehören, wo sie wollen, der wird meineidig am Schöpfer! – Und nun genug von einer Sache, die wir doch nicht ändern [29] werden! Lebe wohl, gutes Malchen! – – Lebe wohl! –


Fanny.

89. Brief. An Fanny
LXXXIX. Brief
An Fanny

Theuerste! –


So einsam mein Aufenthalt auch immer ist, so findet sich doch immer etwas zum plaudern. Durch meine Beobachtungen erweitere ich meine Kenntnisse, und erhalte dadurch eine Beschäftigung, die mich vor Langerweile schüzt. Unter den Menschen findet man überall Stoff genug zum Denken. Unvermerkt lernt man Tugend von Gleißnerei, Schwachheit vom Laster unterscheiden. Wie nüzlich wäre jedem Frauenzimmer Menschen- und Sittenkenntnis. Wie unterhaltend ist dieses Studium für ein denkendes Weib! Die Frauenzimmer wären in der Glükseligkeit zu beneiden, wenn sie ihre müßigen Augenblikke dazu verwendeten. Sie würden eigene Fehler durch fremde kennen lernen, und überall den schlechten Zustand des menschlichen Herzens entdekken. Sie würden auch ihre Stunden weniger mit Puz an der Toilette tödten, und dadurch ihrer sträflichen Eitelkeit eine Nahrung benehmen, die so oft in Laster ausartet. – Sie würden dann aufhören ihre übrige Zeit mit verläumderischer Schwazhaftigkeit zu brandmarken. – Kurz, sie würden denken lernen, und durchs Denken fühlende, nüzliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden. Weibliche Tändeleien, die den Kopf stumpf und das Herz zum Biedersinn unfähig machen, sind die unrühmlichen Beschäftigungen, womit sich unser Geschlecht [30] abgiebt. – Die Weiber sind oft in ihrem fünfzigsten Jahre noch unmündige Kinder, die in ihren eiteln Puz verliebt, vom frühen Morgen bis Nachts damit spielen; leer im Kopf, und fühllos fürs Moralische im Herzen, freuen sie sich einer Arbeit, die blos dem thörichtsten Gott der Mode opfert. – Schöpfer und Pflichten werden über diesen allwichtigen Punkt ihrer Eitelkeit vergessen, und nur selten bleibt ein junges eitles Weib blos eitel. – Ist doch eine Modekleinigkeit im Stande ihr schwaches Herz zu entzükken, um so viel leichter wird es die Schmeichelei eines Stuzzers zum Laster bereden. Die Liebe zum Puz wird unter den Frauenzimmern zur umsichfressenden Seuche, und raubt, unterstüzt vom Eigennuz, ihnen ganz gewis Ehre, Tugend und guten Namen. So viele Weiber machen aus Eitelkeit die Schande ihrer Männer, den Fluch ihrer Eltern und den Abscheu eines ganzen Publikums aus! – Sie wollen durch Verschwendung ihre Larve zum gefallen zwingen, und erkaufen sich diese Reize durchs Laster, um sie wieder zum Laster zu benuzzen. Es ist zum Erbarmen, wenn man unser Geschlecht betrachtet, wie erfinderisch es sich bemühet, durch Körper zu gefallen! – Die Männer werden gleichsam gezwungen, nur nach dem lokkenden Körper zu haschen, weil sie darinn fast überall eine edle Seele vermissen. Die ganze Zeit ihres Lebens an physische Reize gewöhnt, läugnen die Männer sogar die seltene Tugend der Frauenzimmer rundweg. Würden die Frauenzimmer nicht ihre Verehrer blos durch blendende, sinnliche Reize an sich ziehen, so gäbe es nicht eine so große Menge Lotterbuben, die durchgehends dem blosen Genus nachjagen. O Freundinnen! – Bei dem geheiligten Gefühl der Mutterliebe beschwöre ich euch, um das Wohl euerer künftigen Töchter, leitet das verwöhnte Männergeschlecht durch moralische Vorzüge zu der Achtung zurük, die es unserm Geschlecht schuldig ist! – Lehrt es die wahre Liebe im Glanz ihrer göttlichen Zufriedenheit [31] kennen! – Macht das durch Brutalität verwilderte Männerherz sanft, empfänglich für eine Liebe, die der Schöpfer zur Triebfeder alles Guten so wonnevoll in den Bau unsers Körpers legte! – Liebe Freundinnen! – denkt über die Anträge der Männer selbst nach, und lernt genau, Liebe von Wollust, Gutherzigkeit von Galanterie, Temperament von wirklicher Zärtlichkeit unterscheiden. Beide Geschlechter werden dann aufhören unter dem Vorwand der Liebe einander zu hintergehen, und gegenseitige Treue wird in der wahren Liebe das blose schändliche Bedürfnis beschämen, das man außer dieser so thierisch untereinander befriedigt. Gewis, meine Fanny, wenn ich den traurigen Zustand der gegenwärtig herrschenden Mishandlungen, von Afterliebe erzeugt, überdenke, so kostet es mich Thränen, wenn ich sehen muß, daß so viele Unschuldige den schändlichsten Betrügereien ihren Nakken aus Leichtgläubigkeit darbieten. – Jeder Betrug wird doch von den Gesezzen scharf bestraft, aber Betrug in der Liebe ahndet keine Seele, da er doch unter jungen Leuten um tausend Grade stärker als der andere getrieben wird. Man wechselt jezt unter beiden Geschlechtern blos Körper um Körper, und kein leichtsinniger Schurke bedenkt, daß oft die Seligkeit eines beschimpften Mädchens auf dem Scheideweg steht zur ewigen Verdammnis! – Befriedigt sind nun seine Triebe im Schoose einer vertraulichen Unschuld, die, durch Schwüre erweicht, das hingab was an ihr heilig seyn sollte, um dann durch seinen gebrochnen Eid reif zu werden, als Kindermörderin, zum Schaffot! – Schröklich wird Gott einst so einen Bösewicht richten, der mit Tiegergrausamkeit zwei Geschöpfe auf einmal mordete! – Wie er dann da stehen wird, der meineidige Ehrendieb eines gutherzigen Geschöpfs, die von Kunstgriffen besiegt, ihm eine lange Ewigkeit durchflucht! – Gott! – Gott! – wie mich dieser Gedanke hinreißt zum heftigsten Eifer! – Ich muß abbrechen, Fanny! – [32] Mein Herz fühlt zu viel, bei einer Sache, die man in der Welt so häufig antrift. – Gute Nacht für diesmal! – gute Nacht! –


Amalie.

90. Brief. An Amalie
XC. Brief
An Amalie

Herzens-Weibchen! –


Du hast in deinem Brief mit Wahrheit und Nachdruk über den beiderseitigen Betrug in der Liebe gesprochen, und ich stimme Dir von Grunde des Herzens darinn bei. Nur zuerst noch ein Wörtchen von der weiblichen Eitelkeit: – Ja, meine Freundin, diese abscheulichste aller Thorheiten beherrscht das weibliche Geschlecht bis zur Sträflichkeit. – Auch das dümmste Weib ist selten zum Puz zu dumm. Es scheint, als ob die Eitelkeit im Mutterleibe schon auf die Töchter fortgepflanzt würde. Diese sträfliche Neigung hält unser Geschlecht vom Denken ab, und macht aus Menschen blos Affen, die sich nach der Modegrille drehen. So viele Weiber taumeln träumend, mit ihrer Eitelkeit beschäftigt, die Tage ihres Lebens durch, und erinnern sich erst auf dem ungepuzten Sterbebette, daß sie Diebinnen der kostbaren Zeit waren. – Der Fehler rührt von der Mutter her, weil sie durch eigenes Beispiel ihrer Tochter leichtsinnig den Weg des zeitlichen und ewigen Verderbens zeigt. Ein elender Wunsch zu gefallen, macht die alte Matrone eben so erfinderisch im Puzze, als das junge schlecht erzogene Mädchen, die unter der Leitung ihrer koketten Mutter ihre größten Pflichten über der Mode versäumt. – Die erfinderischen eiteln Frauenzimmer haben [33] die Reinlichkeit in kostbaren Staat verwandelt, der Ehemänner zu Grunde richtet, und Jungfrauen zu Buhldirnen macht. Dieser abscheuliche Hang öffnet das Herz eines Weibes dem Neid und der Misgunst. – Ehrabschneiderei hat unter den Frauenzimmern am meisten ihren Aufenthalt, weil ihre eiteln Herzen so leicht über den schönern Puz ihrer Gespielinnen bluten. Kurz, Eitelkeit ist für ein schwaches weibliches Herz der erste Wegweiser zu allen Ausschweifungen. Kein Laster hält schwerer unter den Weibern auszurotten, als gerade Eitelkeit. – Eben durch diese wird oft im ehrlichsten Weibe eine heimliche Eroberungssucht genährt, die über kurz oder lang ihren Mann gewis beschimpft. – Nur die liebende Gattin unterhält mit Geschmak und mäßigem Aufwande ihre reinlichen Kleider, und gefällt ihrem liebenden Manne weit besser, als die übertünchte Kokette ihrem buhlenden Stuzzer, dessen flatternder Neigung sogar am schönsten Puzze ekkelt. – Würden die Weiber über ihre Bestimmung mehr nachdenken lernen, so bliebe ihnen zur verschwenderischen Eitelkeit keine Zeit übrig, die sie dann mit Buhlen oder Schminken tödten müßen. Sie tragen ja blos ihre verhunzte Larve zu Markte, und kümmern sich nicht, um den leichtgläubigen Käufer, wenn er nur ihre Eitelkeit, ihren Eigennuz befriedigt. – Die Männer haschen mit ihren feurigern Trieben blos nach dem, was sich ihnen so leicht darbietet, und vergessen im Taumel ihrer Befriedigung, daß sie eine öffentlich feile Waare vor sich haben. Eine Menge solcher feiler, eitler Weiber sind nicht im Stande, eine Männerseele zu reizen, und mitten im Genuß schon verlieren sie des Mannes Achtung. – Dann eilt dieses Männervolk auf den Flügeln der Wollust und Galanterie von Körper zu Körper, und vermißt bei so vielen Weibern das, wodurch er zur ernsthaften moralischen Liebe gefesselt werden könnte. Gewis, Freundin! – Viel ist es auch die Schuld [34] der Weiber, daß die Mannsleute überall hin flattern und so oft der bloßen Schale nachjagen. Die üble Gewohnheit, nur Bedürniße zu befriedigen, reißt unter jungen Leuten so sehr ein, daß sie darüber Menschenliebe, Ehre, gutes Herz und Rechtschaffenheit aus der Acht lassen. Wenn ihre rohen Triebe gesättigt sind, dann kümmern sie sich wenig um das Geschehene, und wenn es auch die gräßlichsten Folgen nach sich zöge! Der vorbeieilende Taumel des Temperaments verhärtet das Herz eines Jünglings gegen das Weheklagen eines Gegenstandes, der seinem Körper blos augenblikliche Dienste leistete. Kopf und Seele wird bei einer solchen Handlung zu wenig in dem flattern den Jüngling intereßirt, als daß eine solche Gehülfin durch ihren Dienst auf einige Schonung und Rüksicht hoffen könnte. Die blos thierische Befriedigung ist der äußersten Hartherzigkeit fähig. Jünglinge, die ihre Leidenschaften nicht durchs Denken verfeinern, verkennen am Rande des Grabes noch ihr eigenes Blut; und nur zu oft fließen die Thränen einer verführten Unschuld für ihren angewöhnten Leichtsinn ohne sie zu rühren; leicht vergessen ist von den Grausamen ein Mädchen, die sich ihren Lüsten anvertraute. – Treulosigkeit in der Liebe ist ein so gemeines Laster, daß man es unter den Menschen schon ohne Ahndung duldet. Der Fehler dieser Unbeständigkeit liegt auch sehr viel im weiblichen Geschlechte, weil es die Männer aus Mangel am Denken zu nichts Besserm gewöhnt. – Leichtsinn in der Liebe ist so üblich unter den Mannsleuten geworden, daß ein rechtschaffenes Frauenzimmer bei einem Liebesantrag eher zwanzig Jünglingen ins Gesicht schlagen sollte, ehe sie es wagte, Einem zu glauben. – Die gutherzigsten Mädchen werden gerade am meisten betrogen, weil ihnen Unbeständigkeit fremd ist. Wie manche gute weibliche Seele überläßt ihr ganzes Daseyn einem heuchlerischen Schurken, der schlechtes Herz genug hat, sie nach dem Genuß zu verlassen. Aber [35] alle Flüche der Erde sind eine zu leichte Strafe, für so einen Lügner, der die Kühnheit hat, die ganze Ruhe eines armen Geschöpfs zu zernichten! – Galere und Gefängniße sollten für dergleichen Ungeheuer eben so wohl offen stehen, als für andere Mißethäter, die vielleicht nie mit Vorsaz ein gutes Herz zerfleischten! – Wenn der vertrauliche Umgang eines ehrlichen Frauenzimmers so schändlich misbraucht wird, so hat die Arme das Recht einer Natur zu fluchen, die ihr Triebe gab, um sie aus Gefühl und Gutherzigkeit zur ewigen Schande von einem Ehrenräuber misbrauchen zu lassen. – So bald der Ruf eines Frauenzimmers untadelhaft ist, so begeht ein Jüngling das größte Verbrechen, wenn er sie nach dem Genuß verläßt! – Dieses enge, entzükkende Band der seligsten Wonne, kann von einem denkenden Jüngling nie ohne Meineid gebrochen werden. So wie es ihm bei der feilen Befriedigung keine Pflichten, nur Abscheu auflegt; eben so unzerreißlich muß es ihn in den Armen eines ehrlichen gefühlvollen Frauenzimmers binden, die voll Zutrauen ihre Ehre, ihre Ruhe, ihre ganze Seligkeit einem Geliebten überlies. – O der unmenschlichen Grausamkeit! nach so einem warmen Zutrauen, nach so vielen Entzükkungen diejenige zu verlassen, welche die Schöpferin eines Vergnügens war, das man ewig nie in den Armen einer feilen Dirne findet. – Möchten nun Jünglinge und Mädchen über meine Beobachtung nachdenken, Sie würden hineilen in die Arme der Liebe – und Schwelgerei, Eitelkeit und Bedürfnis nur den Lasterhaften überlassen. – Nächstens ein Mehreres von deiner Dich liebenden


Fanny. [36]

91. Brief. An Fanny
XCI. Brief
An Fanny

Liebes Fannchen! –


Ich habe Dir heute einen komischen Auftritt zu beschreiben, der Dich gewis unterhalten muß! – Was thut doch das Vorurtheil nicht; besonders unter einer gewißen Art Menschen, die ohnehin einen teuflischen Eigensinn besizzen! – Vor einigen Wochen fühlte ich große Anlage zu meiner gewöhnlichen Schwermuth. Ich fiel darüber auf den Gedanken, mir mit unsern Kostgängerinnen einen nüzlichen Zeitvertreib zu verschaffen, um durch Zerstreuung dieser Krankheit vorzubeugen. – Du kennst nun meinen großen Hang zu Schauspielen. – Schon lange hätte ich darinnen gerne meine Anlage geprüft, aber bis izt hatte es sich noch nie schikken wollen. Zwo von unsern aufgeklärten jungen Damen, wovon die Oberin eine ist, billigten mein Vorhaben, und halfen mir in den Anstalten zur Aufführung eines Trauerspiels, – worinnen ich nebst einigen wenigen von diesen Kostgängerinnen zu spielen bestimmt waren. Ich unternahm da eine Sache, die mit nicht wenigen Schwierigkeiten verbunden war; denn ich mußte mich dazu entschließen, Mädchen für Mädchen abzurichten. Die wohlgebautesten wählte ich zu männlichen Rollen, und die übrigen zu Nebenrollen. Das war für mich eine schwere Unternehmung, denn keine von den Mädchen hatte im mindesten Kenntnis vom Schauspiel. Einige darunter haben ihre ganze Lebenszeit kein Schauspielhaus betretten. Natürliche Anlage, den Dichter bei Lesung zu verstehen, und ihn wieder richtig auf die Welt zu schaffen, war bei keinem von diesen Mädchen zu finden. – [37] Demungeachtet nahm ich mir vor, durch fleißigen Unterricht die Mädchen wenigstens mechanisch nur zu einer einzigen Rolle tauglich zu machen. Ich theilte unter ihnen die Rollen so gut als möglich nach ihren Temperamenten aus; und befahl, daß sie dieselben blos leise in Gedanken recht fest memoriren sollten. – Eine solche Arbeit war den jungen Mädchen sehr willkommen, und sie befolgten auch willig meine Vorschrift. – Nun nahm ich eine um die andere auf mein Zimmer, und lies sie ihre Rolle ohne die mindeste Deklamation blos eintönig herunterbeten. Meine Absicht war, zu entdekken, ob sie gut memorirt hätten, um daß sie nach der Hand bei Erlernung der Deklamation nicht irre würden. – Die Mädchen waren izt bald in ihren Rollen fest, aber plapperten sie auch erbärmlich eintönig herab. – Nach diesem ersten Schritt in der Kunst, unterstrich ich in ihren Rollen diejenigen Worte, wo der Nachdruk hingehörte. Dann mußten sie mir diese Unterscheidungswörter des Sinns, aufs Neue memoriren. Endlich schritt ich mit ihnen zur lauten Deklamation, und lies sie fast alle Stellen so lange wiederholen, bis sie den ächten Konversazionston in etwas trafen. – Das war für mich nun freilich eine unbeschreibliche Mühe, und doch glükte es mir, diese Mädchen in Zeit von einem Monat, ohne eigene Kenntnis, blos papageimäßig zu einer erträglichen Vollkommenheit zu bringen. – Ihren Gang, Bewegung und Mienenspiel, reinigte ich so viel möglich von lächerlicher Stellung, von Grimassen und falschen Gesten. Genug, die Kinder machten mir die äußerste Freude. – Ich lies sie öfters in ihren bestimmten Mannskleidern probieren, um durch die Uebung eine Gewohnheit zur Natur zu machen. Das vielfältige Wiederholen brachte sogar in diesen Mädchen Empfindung hervor, und schon fiengen sie an ihre Worte mit besserm Gefühl herzusagen. – Ihr Herz nahm an der Handlung einigen Theil, so wenig [38] auch ihr Kopf davon verstund. Jede Stelle des Stüks erklärte ich ihnen so richtig, als es seyn konnte, und hielt mit den Mädchen Vergleichungen aus dem menschlichen Leben, um ihnen den Sinn des Autors begreifen zu machen. Die wizzigsten davon fanden eine tausendfache Unterhaltung in dieser Beschäftigung, und die dümmern brachten mir, aller Mühe ungeachtet, eine Menge oratorischer Mistöne hervor, und ich hatte außerordentlich viel Arbeit, um wenigstens die wichtigsten Stellen vor falschem Sinn und Monotonie zu schüzzen. – Mein mühsames Werk war nun beinahe vollendet – und Niemand, außer den zwo Damen, wußte im Kloster ein Wörtchen davon. Bei dieser Verschwiegenheit bis zur Aufführung glaubte ich den Verdrüßlichkeiten desto leichter zu entgehen, die mir zum voraus ahndeten. Ich hatte ziemliche Unkosten gehabt, und aus meiner Börse im großen Gartensaal ein artiges Theater aufrichten lassen. Der Tag, der zur Aufführung des Stüks bestimmt war, rükte heran; die lezten Hauptproben wurden gehalten; die Noblesse der Stadt dazu eingeladen; kurz, alles war jezt richtig. – Als auf einmal der Satan zwei alte Fräulein mit Furien-Zorn zur Oberin führte, die darwider feierlich protestirten. – Man lies mich zur Oberin rufen, und ich mußte von den Weibern Dinge anhören, die mich bis zur Tollheit ärgerten! – »Was? – fiengen die Betschwestern an – was? – Sie wollen unser Kloster durch solches Teufelszeug entehren? – Sie wollen junge Mädchen in Beinkleider stekken, und ihnen mit uns Anfechtungen bereiten? – Sie wollen der ganzen Stadt Anlaß geben, über unsere Aufführung zu lästern? – Sie wollen Komödiantinnen aus unsern Mädchen ziehen, damit sie samt Ihnen der Hölle zufahren können? – O du keuscher, heiliger Aloysius! Steh den armen Kindern und uns bei, gegen die Versuchungen des Fleisches! – – Nein, Madame, [39] das geschieht gewis nicht! – Eher wollen wir unsern Schuzpatron bitten, daß er das ganze Haus samt der Teufelskapelle, worinn sie spielen wollen, abbrennen lasse. – Ei – das wäre schön! – fuhren die Weiber in einem Athem fort – ei, das wäre schön! daß Sie uns durch ihre Komödie den Weg zur Unkeuschheit zeigten! Wir haben ohnehin genug Feinde! und kaum betritt ein ehrwürdiger Pater unsre Schwelle, so schreit die Welt gleich, er sey unser Liebhaber; da wir doch noch so rein, wie Kinder im Mutterleibe sind.« – Zehenmal wollte ich diese hizzigen Schnattergänse unterbrechen, aber erst nach einer halben Stunde kam ich zum Wort. Meine Damen, fieng ich an: legen Sie meine Absicht nicht so schwarzgallicht aus; ich kann Sie versichern, sie ist gut. Ich will weder Andere, noch Sie dadurch verführen, wenn Sie nicht schon lange ohnehin zum Verführen reif waren. Die Beinkleider können für Sie, meine Damen, keine Versuchung seyn, wenn Sie noch unschuldig genug sind, ihr Herkommen nicht zu kennen! – Wer heißt Sie über die Vorzüge der Beinkleider nachdenken? – Wer nöthigt Sie, den Unterschied zu bemerken, ob sie einen weiblichen oder männlichen Körper bedekken? – Ihre Tugend muß sehr schwach seyn, wenn der blose Anblik von Beinkleidern Sie wanken macht. Lernen Sie erst Ihren Gedanken gebieten, wenn Sie den Willen in Ihrer Gewalt haben wollen, sonst gebe ich für ihre Enthaltsamkeit nicht einen Heller, die beim blosen Beinkleideranschauen schon lüstern wird. Aber sehen Sie, meine Damen, ehe Sie die Beinkleider fliehen, müßen Sie zuerst dem Männerbesuch entsagen, denn Versuchungen von der Art sind weit gefährlicher, als die Beinkleider an Mädchenkörpern. »O, du heiliger Antonius von Padua! –« wollte mich jezt eine davon, vor Galle schäumend, unterbrechen. – Erlauben Sie, Madame! – versezte ich kalt – [40] daß ich ihre Vorwürfe vollends beantworte! – Glauben Sie nicht, daß vernünftige Leute in der Stadt über die Aufführung eines moralischen Stüks lästern werden! Diese Beschäftigung gehört ja zur Erziehung, und bildet in den Zöglingen Herz, Kopf und Verstand. Auch wird keine davon so leicht eine öffentliche Schauspielerin werden. – Und, gesezt denn auch! so wird sie alsdann blos ihre Aufführung, nicht aber ihr Stand zur Hölle liefern. – Wenigstens geräth eine wohlgesittete Schauspielerin nicht so geschwind, wie Sie, in Versuchung über unschuldige Beinkleider. – »Aber ums Himmelswillen! – schrie die eine – so hören Sie doch einmal auf diesen sündlichen Namen zu wiederhoholen! – Wahrhaftig, Sie machen mich ganz weich zum weinen! –« Doch nicht aus Schamhaftigkeit, Madame? – Aber nun genug, meine Damen! – Ich habe die Erlaubnis der Oberin – und werde von meinem Vorhaben nicht abstehen, Sie mögen meinetwegen mit Bigottenwut das Kloster bestürmen, es gilt mir gleich viel! – Jezt brannte das Feuer aufs Neue über mich los! – »So fahren Sie denn hin, verstokte Sünderin, ins.... Gott verzeihe mir! – bald hätte ich geflucht! – Aber daß Sie es nur wissen, schrieen die Weiber zusammen – daß Sie es nur wissen, unsere Oberin hat nicht Macht, so was zu erlauben! – Und kurz und gut, wir wollen gewis Mittel finden, diese Kezzerei zu hintertreiben! – Gott bewahre uns! – Unser Gotteshaus soll nicht so angefochten werden von einer Freigeistin! – Nein, das soll es nicht! –« Und so rasten die Furien zur Thüre hinaus, und schlugen sie hinter sich zu, daß alle Wände zitterten. – Der armen Oberin wurde izt ein Bischen bange; – sie lief hinter ihnen drein, um sie zu besänftigen; – kam aber bald wieder zurük, um mir einen Vorschlag zu machen, der mich beinahe vor Lachen erstikt hätte. –

[41] So weit treibt es das Vorurtheil! – Die Weiber ließen mir durch die Oberin den Vorschlag machen – ich sollte den Mädchen wenigstens Schürzen vor die Beinkleider hängen; dann sollt ich ihrentwegen das Stük aufführen – sie wollten schon den Himmel bitten, daß der Teufel nicht sein Spiel dabei triebe. – »Madame! die Fräuleins sind neidisch, sie beneiden sogar Andere um diesen Anblik. – Nein, das kann ich unmöglich eingehen, liebe Frau Oberin; ich würde mich und das Trauerspiel lächerlich machen! – Für heute schlafen Sie nur ruhig, morgen ein Mehreres von ihrer ergebensten Dienerin!« – Und so verlies ich sie. – – Du sollst nächstens den Ausgang der Geschichte erfahren. – Das verspricht Dir

Deine Amalie.

92. Brief. An Fanny
XCII. Brief
An Fanny

Denk um aller Welt willen, liebe Fanny! – Denk, das Weibergeschmeiß hatte den Muth mich beim hiesigen Bischoff wegen der Aufführung des Trauerspiels zu verklagen. Die bissigen Schlangen raunten heulend und schluchzend diesem Manne manche Lüge ins Ohr, die ihren Klagen über mich sicher Gewicht gegeben hätten, wenn sie nicht zum Glükke an einen würdigen, vorurtheilfreien Mann gerathen wären. – Dieser brave, unpartheiische Richter lies unsere Oberin nebst mir zu sich rufen, und foderte mit Sanftmuth und Menschenliebe Beruhigung über eine Sache, der man den Schein des Bösen angehängt hatte. – Was mir die Kühnheit dieser Weiber im Kopfe wurmte! O das kann ich Dir nicht genug sagen! Demungeachter aber antwortete ich dem Bischoff mit einer satirischen Fassung, die mehr an Spott [42] als an Bitterkeit gränzte. – Der vernünftige Vorsteher lachte am Ende selbst über die tolle Grillenfängerei, womit die Weiber ihn bestürmt hatten. – Nun durfte ich frei eine Unternehmung fortsezzen, auf der ich jezt eigensinniger als jemals beharrte. – Die Andächtlerinnen verkrochen sich während dieser Zeit brummend in ihre Zellen. Eine lief izt zur andern, und es gieng an ein heimliches Flüstern, daß der Himmel sich darüber hätte erbarmen mögen! – Ebenfalls von Galle gereizt, lies ich diesen Friedensstörerinnen geradezu den Eintritt in mein Schauspiel verbieten, und kümmerte mich wenig um die ihrige, die sie jezt untereinander über mich versprüzten. – Alle meine Anstalten zum Stük waren so lärmend, so pompös, daß ich dadurch nicht wenig, ungeachtet ihres Zorns, die Neugierde dieser Bigotten reizte. – Kaum hatten die schönen Vorbereitungen ihren Anfang genommen, und die glänzende Gesellschaft von Zusehern sich versammelt, als eine nach der andern, aus Neugierde hinzuschlich, und sich unter der Menge versteckte. – Der Saal war enge angefüllt von Zusehern, welche größtentheils die Begierde zu spotten hergetrieben hatte, weil sie hier hinlänglichen Stoff dazu zu finden glaubten. – Schöngeister, Stuzzer, Muttersöhnchen, Maulaffen, Komödianten, allerhand Zeugs hatte sich ungeachtet der guten Anstalten unter die Zuseher gedrängt. Nur die Noblesse saß voll nachsichtlicher Erwartung stille an ihrem angewiesenen Orte – und machte ihrer Erziehung nicht durch voreiligen Spott Schande; wenigstens geschah es nicht laut. Schon bei den Proben hatte ich von Kennern zu vielen Beifall in einer Rolle erhalten, die zu sehr zu meiner Schwermuth paßte, als daß mich izt Bangigkeit hätte überfallen können. Auch selbst meine Schülerinnen waren zu gut geübt, um nicht weit erträglicher zu spielen, als so viele hölzerne Schauspieler, die mit ihrer stumpfen gefühllosen Seele so manches gute Publikum verstimmen.[43] – Endlich war das Stük aufgeführt, und Vernünftige waren mit uns zufrieden, Fühlende weinten, Spötter schwiegen, und einige gegenwärtige eitle Gekken schlichen beschämt davon. – Mehrere Personen kamen zu mir hinter die Koulissen, und küßten mich wegen meiner wohlgespielten Rolle mit einer Begeisterung, die mich entzükte. – Ich fühlte aber auch ohne Eigenliebe mit meiner eigenen Theaterkenntnis, daß uns Allen, außer gehöriger Einrichtung des Theaters, nicht viel zur guten Aufführung eines Stüks gefehlt hätte, dessen Gang rasch auf einander folgte, so wie es die Leidenschaften erfoderten. Selbst die boshaften Frazzengesichter von Nonnen weinten über die richtige Vorstellung des Gefühls. – Reichlich durch den allgemeinen Beifall für die Verdrüßlichkeiten belohnt, die ich vorher auszustehen gehabt hatte, verlies ich mit innigem Vergnügen den Gartensaal. Gewis, Freundin! – Es kostet mich Mühe, diesem leidenschaftlichen Hang fürs Theater zu widerstehen. – Aber der Himmel bewahre mich ja vor seiner Befriedigung an öffentlichen Oertern! Nein außer der dringendsten Noth würde ich nie so einen Schritt wagen! – Zu viel kenne ich die jezzige schändliche Verfassung der meisten Bühnen, als daß mich nicht eine solche Aussicht abschrökken sollte! – Leb für izt tausendmal wohl, gute, beßte, liebste Freundin!


Amalie.

93. Brief. An Amalie
XCIII. Brief
An Amalie

Theuerste, liebste Amalie! –


Ich habe mich satt über deinen Weiberkrieg gelacht! – Der Sieg, den Du aber auch davon trugst, war herrlich! – Du hast [44] es gewagt, dem Vorurtheil und seinen Anhängern zu beweisen, daß man ihnen trozzen kann, wenn man anders den Muth dazu hat. Aber nimm Dich in Acht, Amalie, Du wirst überzeugt werden, daß diese Geschichte Dir unter dem Weibsvolke Feindseligkeiten zuziehen wird. Die Nonnen werden Dich durch tausend Nekkereien so lange quälen, bis Du ihr Kloster gerne freiwillig verlässest. Die Verfolgung der Bigotterie ist anhaltend hartnäkkig, und ruht nicht eher, als bis der verfolgte Gegenstand sie von selbst flieht, oder zu Boden liegt! – Wie viele brave Männer haben leider dies Schiksal schon erlebt! – Der äußerste Winkel der Erde war oft keine sichere Freistätte für solche Märtirer der Wahrheit, die es wagten, den Misbräuchen und Vorurtheilen die Stirne zu bieten. Kaiser Joseph und König Friedrich waren die Schuzgötter so vieler von der Andachtssucht ins Elend verwiesener Unglüklichen, die mit der Aufrichtigkeit eines ehrlichen Mannes die Heuchelei entwaffneten, womit gutherzige Christen so viele Jahre durch geprellt wurden. Sei vorsichtig, meine Liebe! die Schlingen unter dem Dekmantel der Religion gelegt, sind weit gefährlicher, als Du Dir vorstellst. Weißt Du nicht, Weiberhaß ist gränzenlos, er erreicht erst dann sein Ende, wenn die so ihn besizt in den lezten Zügen liegt. Also vorsichtig, mein Malchen! – Doch nun zu der Unterrichtung deiner Kostgängerinnen, die mir äußerst wohlgefiel. Es dürfte sich wohl mancher Vorsteher einer deutschen Schauspielergesellschaft diese Art merken, damit er sein Häuschen erträglicher stimmte, als die vielen herumschweifenden schlechten Gesellschaften, die außer dem Schuldenmachen und der Buhlerei nicht das geringste von der Kunst verstehen. Du hast es durch deine Bemühung bewiesen, daß die Kunst blos durch starke Uebung und Fleis zu einer gewissen Vollkommenheit zu bringen ist. Aber noch immer verfehlt die deutsche Bühne ihren Endzwek; noch immer [45] stiftet sie mehr Schlechtes als Gutes, schaffet mehr unerträgliches Zeugs als Unterhaltung. Noch immer nicht ist diese Bühne rein von schlechtem Lebenswandel und abscheulichen Lastern. Noch immer predigt die Ausschweifung selbst eine verdächtige Moral, die im Munde des lüderlichen Schauspielers entheiligt wird. Ordnung und Gesezze zieren nur ganz wenig einige Nazionaltheater; unmöglich sind diese wenigen gutgesitteten Theater im Stande, den moralischen Nuzzen zu ersezzen, der von so vielen herumziehenden Dieben und Diebinnen der Tugend durch ihr übles Beispiel geraubt wird. Man möchte vor Entsezzen schaudern, wenn man das herumstreichende verkappte Laster in den kleinsten Städten willkommen sieht. – Keine Obrigkeit scheint sich um diese heimlichen Stifter des Verderbens zu kümmern. Würde man nur wenige Bühnen dulden, und diese wenigen durch scharfe Gesezze in Ansehung der Sittlichkeit im Zaume halten, so hätte die kleinere Anzahl gesitteter Schauspieler bequemeres Brod zu genießen, und die übrige Menge von Landstreichern würden in ihre schändliche Atmosphäre zurükkehren, woselbst sie dem Zuchthause gewis nicht entgangen wären, wenn sie nicht bei einer solchen Gesellschaft Zuflucht gefunden hätten. – Amalie, um Gotteswillen thue nur in der äussersten Noth diesem Hang zum Theater Genüge! – Du würdest Dir unbeschreibliche Leiden über den Hals laden. Denke nur einmal dem giftigen Neide nach, der Dich armes gefühlvolles Mädchen so geschwind ins Grab drükken würde. – Ewig nie würdest Du, eben so wenig als ich, mit deiner Aufrichtigkeit die wetterläunische Gunst der boshaften Theaternimphen erhalten; gerade so wenig, als Du mit deiner Beinkleidergeschichte den Anmerkungen einiger alten Zieraffen von Weibern entgehen wirst. So naiv, launigt und wahr Du sie skizzirtest, so wird sie doch ihrer Heuchelei, mit der sie gewohnt sind, ihre Keuschheit zu übertünchen, ein großes [46] Hindernis seyn. Diese heimlichen Sünderinnen scheuen sich nur, öffentlich von Beinkleidern zu sprechen, und sättigen dann ihre verborgene Lüsternheit unter vier Augen. – O, man traue nur keinem Weibe, wenn sie Ziererei affektirt! denn dadurch verräth sie gerade Kenntnis des Lasters. – Ein schuldloses Geschöpf giebt jedem Kleidungsstük den einfachen Sinn, und findet ohne Erfahrung des Gegentheils nicht leicht eine Zweideutigkeit darinne. – Glaube mir, Beßte; die Frauenzimmer, welche am ersten über ein anstößiges Wort in Gesellschaft schreien, hören es am liebsten, und entdekken nichts Neues darinn. Die wahre Tugend bleibt mitten in allen Versuchungen kalt, und hängt unerschütterlich fest an den Grundsäulen ihrer Reinheit. – Das Frauenzimmer, das beim übeln Beispiel zwischen Verachtung und Wohlgefallen einen Mittelweg findet, ist gewis das vernünftigste und tugendhafteste. Ein feiner Scherz entehrt ein Frauenzimmer eben so wenig, als ganz gewis eine grobe, kühne Zote sie in Gesellschaften beschämt. – Aftertugend herrscht so allgewaltig in diesem Punkt unter den Frauenzimmern, und nur wenige wissen sich durch feinen Wiz die Achtung eines Menschenkenners zu erwerben, der heuchlerische Ziererei von der Aechtheit des Karakters zu unterscheiden weiß. – Wenn die Weiber über ihr Loos nachdenken wollten, sie würden bis zu ihrer lezten Stunde nicht fertig. – Doch, meine Beßte, für heute muß ich von Dir Abschied nehmen, weil es meine Geschäfte erfodern. – Leb indessen ruhig, zufrieden, bis deine Fanny Dir bald wieder sagen wird, wie sehr sie Dich liebt! – –

[47]
94. Brief. An Fanny
XCIV. Brief
An Fanny

Liebste, Theuerste! –


Laß mich an deinem Busen ausweinen, und hilf mir dann tragen! – Der Kummer fängt wieder aufs Neue an in mein Herz zu schleichen – und meine Schwermuth rükt an ihre vorige Stelle. – O des elenden Kerls von einem Manne! Er schreibt seit seiner langen Abwesenheit auch nicht eine Zeile des Dankes an meinen Oheim. Er kümmert sich mehr um seine Hunde, als um sein armes Weib. Dürftigkeit und Gram könnten mich hinraffen, ehe der Undankbare nur einen Laut von Erbarmung von sich hören ließe. Das Herz dieses Ruchlosen ist verstokt; er hat mich izt auf ewig verlassen. Nun so lebe denn wohl, grausamer Störer meiner zeitlichen Ruhe! – Genieße dein leichtsinniges Leben, Bösewicht, bis wir uns einst an jenem Tage wiedersehen, wo der Allgewaltige dir die Last meines Elends vorwägen wird! – Gott möge an dir die Flüche nicht ahnden, die dein Leichtsinn mir abzwingt! – Du – du Verworfener! – wußtest mich in Ketten zu lokken, die ich nun mein ganzes Leben hindurch verzweiflungsvoll nachschleppen muß! – Gebunden ist izt meine Freiheit an dich, Sünder! – O Freundin! – verloren sind in der Zukunft für mich alle Freuden der Liebe! – Erstikken soll ich meine Gefühle für fremde, aber bessere Herzen. Widerspenstig gegen dieses Gebot werde ich hinwelken, bis mein Blut aus Raserei stokt! – Gott im Himmel! – Sieh herab auf meine Kämpfe! – Erbarme dich meines Händeringens! – Sieh, wie ich ringe und streite, um der Menschen grausame Gesezze zu befolgen! – Sieh, wie [48] die Wallung meines jugendlichen Bluts mir Angstschweis kostet! – Schon in meinen Kinderjahren war Liebe für mich das einzige Geschenk deiner Güte, das für mein fühlendes Herz so sehr paßte. Liebe war die einzige Empfindung, nach welcher ich so feurig haschte! – Mein ganzes Wesen schien nur Liebe zu athmen. Alle meine Glükseligkeit suchte ich blos in ihr; und die seligste Wonne, mich an etwas Liebendes vertraut schmiegen zu dürfen, wurde mir dann zum Bedürfnis. Feurig klopfte mein warmes Herz einem zukünftigen Gatten entgegen, und.... O Allmächtiger! – wie gräßlich fand ich mich betrogen!!! – So soll ich denn auf immer meine Stunden so einsam verwimmern? Soll ich gänzlich entsagen allen meinen schönsten Hofnungen, die mir dieses irdische Leben in den Armen eines gutdenkenden Gatten schon zum voraus zum Paradiese schufen! – Und das alles um eines Bubens willen, der mich so künstlich zu einem unzerbrechlichen Schwur vor dem Altare lokte! – Ha! – weh mir! – weh mir! – Ich werde entweder rasend, oder unterliege! – Außer der Liebe ist für mich alles zu einsam, zu leer; eine tödtliche Langeweile richtet mich zu Grunde! – Meine unbeschäftigte Einbildungskraft kann sich an nichts mehr halten, was ihr in der Liebe Schwungkraft zu allem Entzükken gab. O, die Augenblikke des herrlichsten Vergnügens, wo die stärkste Liebe um noch stärkere gegenseitige zu erringen sich bemühet, dürfen sich mir von nun an nicht mehr nähern! – Ich kann nicht hinsinken an den Busen eines andern Gatten, um dorten unter wollüstigen Thränen meinen Kummer zu verschwärmen! – Das feurigste Verlangen nach einer andern harmonischeren Vereinigung darf in meinem Herzen nicht auflodern! Ich bin verbannt aus dem Vergnügen der seligsten Gattenliebe, für immer und ewig! Man würde mich sonst als eine Verbrecherin mit Schande belegen, bei einer Religion, die keinen mislungenen Schritt [49] zurükthun läßt! – Und wenn ich darüber meinen Verstand verlöre, so muß ich Fesseln tragen lernen, die mir meine gutherzige Leichtgläubigkeit aufbürdete! Gott! – Gott! – wie werde ich mich in einen Zustand schikken können, der alle meine Gefühle für Liebe in mir lebendig begraben soll? – Freundin! – Der hiesige Aufenthalt ist mir izt schröklich zur Last! Die Nonnen schleichen um mich herum, wie falsche Kazzen. Schon bei ihrer Erschaffung theilte die Natur diesen Weibern den Fluch der Unempfindlichkeit mit; und ich verachte sie um ihres wenigen Gefühls willen. – Auch nicht einer einzigen davon möchte ich eine Thräne anvertrauen! – Ihr kalter, dummer Trost würde mich vollends unsinnig machen. – Das Blut in ihren Adern ist zu eingefroren, um dem meinigen harmonisch zu begegnen. Nur die wenigen gefühlvollen Nonnen haben meine Achtung, wenn sie wonnetrunken an dem Busen ihrer Lieblinge schwärmen. – Doch auch diese Auftritte reizen mich izt zum schröklichsten Fluche über mein wirkliches Loos! – Ich beneide die Freuden dieser Glüklichen, und empfinde dann meine Leiden desto schwerer!!! – Gerechter Himmel! – nimm zurük ein Leben, das ich nicht länger mehr zu schleppen vermag. – – Liebe Fanny! – o habe Mitleiden mit


Deiner kämpfenden Amalie.

95. Brief. An Fanny
XCV. Brief
An Fanny

Meine Beßte! –


Vor einigen Tagen hat man mir auf die lezten Pulsschläge gewartet! – Daß Krankheit in mir lag, mußt Du aus [50] meinem lezten Briefe schon gemerkt haben. – Daß es aber so weit in dieser Krankheit mit mir kommen würde, hätte ich selbst nicht geglaubt. – Kaum war der Brief aus meinen Händen, so überfiel mich ein unüberwindlicher Menschenhaß! – Ich floh alles im ganzen Kloster, gieng nicht zum Tische, und saß ganze Täge allein auf meinem Zimmer. Von frühe bis Abends dachte ich in einer unbeweglichen Stellung blos der Schröklichkeit meines Schiksals nach! – Selbst die Nonnen durften es nicht wagen, meine stille Schwermuth zu stören. Ich verriegelte mit der größten Entschlossenheit meine Thüre, und blieb einstens einen Tag lang ohne Nahrung. – Sie schrieen und pochten umsonst. – Ich blieb troz ihrem Gelärme fest auf meinem Stuhl, wie angenagelt, und hörte aus Uebermacht des Grams nicht weiter auf ihr Geschrei. – Endlich entschlossen sie sich vermittelst einer Leiter in mein Zimmer zu steigen, weil sie mich für todt hielten. – Kaum aber erblikte ich am Fenster den Kopf einer Nonne, so brach auch auf einmal meine schlummernde Wut los!!! Sie hatten Mühe mich von Gewaltthätigkeit abzuhalten! – Ich pakte sie an, aber man bemächtigte sich meiner! – Meine gallsüchtige Raserei stieg von Minute zu Minute, bis zu einem Grad, daß mich die Nonnen wirklich an Ketten legen wollten! – Der eilends beschikte Arzt war während dieser Zeit auch gekommen, und verbot den Nonnen ihre fürchterliche Unternehmung. – Schon hatten diese Unbesonnenen meine Hände gefesselt, und eine blaurothe Farbe auf meinen schwachen Knochen bewies die Schwere dieser drükkenden Eisen. – Der Arzt zögerte izt nicht lange, mir zwo Adern auf einmal zu öffnen, und lies das sprudelnde Blut so lange herauslaufen, bis Kraftlosigkeit meine Raserei entwaffnete! – Ohnmächtig sank ich dann in seine Arme; und Dank sey es seiner Sorgfalt! bald erhielten meine Sinnen wieder ihre vorige Richtung. – Dieser Mann war bescheiden genug, [51] nicht in das Geheimnis meines Kummers zu dringen, ob er gleichwohl eine starke Gemüthskrankheit in mir entdekte. – Er schrieb sogleich durch einen Expressen an meinen Oheim. – Was? – das weis ich bis auf die jezzige Stunde noch nicht. Zween Täge darnach kam der Bote zurük, und stellte mir ein Briefchen von meinem guten Oheim zu, worinnen er mir schrieb, daß ich mich zu Herstellung meiner Gesundheit entschließen möchte, eine Lustreise zu unternehmen. Die Wahl einer Stadt, in Italien oder Frankreich, überlies mir dieser gefühlvolle Mann. – Doch wäre ihm das erste Land weit lieber, weil er mich dort Anverwandten empfehlen könnte, u.s.w. – Freudig dankte ich izt dem gütigsten der Menschen für diesen neuen Beweis seiner Liebe, und beschäftigte mich von nun an mit Reiseanstalten. Die Nonnen hatten Befehl, mir in der Eile für ein Dienstmädchen zu sorgen, und es dauerte nicht lange, so brachten sie mir zu dieser Absicht eine etwas ältliche Figur aufs Zimmer. – Das Gesicht dieses Mädchens gefiel mir ganz und gar nicht, aber die gute Empfehlung der Nonnen und meine Eile machten bald alle Schwierigkeiten vergessen. In etlichen Tagen reise ich nebst ihr von hieraus mit dem Postwagen nach Venedig. – Ein kühner Entschluß für meine Jugend, nicht wahr? – Aber doch nicht zu kühn gegen meine Grundsäzze, die mir auch außer den Mauern eines Klosters für alles bürgen. – Du weist übrigens, daß ich die italienische Sprache hinlänglich spreche, um durchzukommen; auch meine Börse hat der gute Oheim in den nöthigen Stand gesezt; und nun fehlt mir nichts als die völlige Herstellung meiner Gesundheit, um Dir bald eine umständliche Reisebeschreibung zuschikken zu können. – Lebe indessen wohl, meine ewig geliebte Freundin, und nimm hin diese Küße auf Abschlag, bis deine Amalie wieder nach Teutschland zurükkehrt! –

[52]
96. Brief. An Amalie
XCVI. Brief
An Amalie

Ich eile, meine theure Amalie, Dir deine zween Briefe zu beantworten: Holdes Weibchen! – Vergiß doch einmal deinen abwesenden Henker! – Hast Du denn je von ihm was anders erwartet, als daß Dich der Verabscheuungswürdige nicht auch ganz vergessen wird? – Du armes gutherziges Kind willst immer den Wiederhall deines guten Herzens finden, – und wirst dann am Ende schröklich betrogen! Tilg ihn aus diesen unwürdigen Namen aus deiner Brust, in der ihm zu wohnen nicht mehr vergönnt seyn soll! Laß deinen Muth nur nicht sinken, Beßte, Liebste, die Freuden der Liebe können Dir einst wieder werden, wenn ihn sein ausschweifendes Leben hinruft in die Arme des frühen Todes. – Der Schöpfer gab Dir nicht umsonst ein Herz voll Liebe, seine weisen Absichten werden Dir auch Trost geben. All dein Jammer muß Dir noch an dem Busen eines edlern Gatten vergolten werden. – Dein Herz hält izt die größte Prüfung aus, und sein Werth wird durch seine Leiden erhöht. – Nur nicht zaghaft, liebe Kleine! – Schiksale, die wir nicht ändern können, werden durch zu vieles Nachdenken nur noch unerträglicher. – Du zerrüttest deine Gesundheit, härmst Dich ab, und erweichst doch nicht die unbarmherzigen Gesezze. – Deine Thränen und dein Jammer dringen nicht ins Priester-Ohr, das sich für Dich, und andere Unglükliche so eigenmächtig verschloß! – Der Heiland selbst würde in der Ehe gutherziger richten, wenn er wieder auf dieser Erde in Menschengestalt herumwandelte. Dieser gute Menschentröster im Himmel kann nichts dafür, daß seine Geschöpfe seinen Willen nach ihrem eigenen Kopf drehen. Er gab ihnen zum urtheilen Vernunft, und wenn sie nun [53] die Stimme derselben aus Eigendünkel überhören, so muß ganz gewis auf diese Unbiegsamen das schröklichste Strafgericht warten! – Alle Unglüklichen von der Art, werden sich einstens versammeln, und dann jenen grausamen Priestern ewigen Fluch zuwerfen! – Diese kühnen Starrköpfe sind es, die es wagten, aus einem bürgerlichen Vertrag unzertrennliche Bande zu machen. – Können die Priester durch Ansehen und Geld die katholischen Ehen lösen, warum denn nicht ohne dieses schändliche Hülfsmittel? – Selbst der Schöpfer urtheilt von der schwachen Menschheit mit Ausnahme, warum denn nicht seine Gesalbten bei übereilten Ehen? – Hat der Aermere ein stärkeres Herz, die Leiden einer fehlgeschlagenen Verbindung zu ertragen, die von der andern Seite mit Betrug, blos aus Absichten, geknüpft wurde? – Es ist zum Erstaunen, wenn man dieser Ungerechtigkeit bei deiner Religion nachdenkt! – Wer nicht Glanz oder Vermögen hat, muß lebenslänglich an etwas Widersprechendes gefesselt bleiben; und doch giebt es so viele Unschuldige, die unter diesem Joch seufzen. – Aber laß uns abbrechen von einer Sache, die mir Abscheu erwekt. – Sag mir, liebe, theuerste Amalie, ob es nun um deine Gesundheit besser steht. – Ob Du mir versprechen willst, es durch Nachgrübeln nie mehr so weit kommen zu lassen. – Ob Du mich noch hinlänglich liebst, um diese Bitte zu erfüllen. – Ob Du izt wohl schon auf der Reise bist. – Und ob Du auch überall das Bild deiner Freundin im Herzen trägst, die Dich mit Millionen Küßen durch die ganze Welt begleitet. –


Deine beßte Fanny. [54]

97. Brief. An Fanny
XCVII. Brief
An Fanny

Schon aus Venedig, meine Traute, erhältst Du diesen Brief. – Ja, ja, aus Venedig schon! – Nicht wahr, das heißt zugefahren? – Aber mein armer Körper fühlt es auch tüchtig! – O! der abscheuliche Postwagen stieß mir fast alle Rippen entzwei! – Demungeachtet soll mich die äußerste Müdigkeit nicht abhalten Dir meine Reise zu beschreiben. – Nun wo blieb ich denn im lezten Brief an Dich stehen? – Ach – Ha! – weiß schon! Als nun die ältern Nonnen den Tag meiner Abreise festgesezt sahen, so fiengen sie an, mich mit Skapuliren, Amuleten, und mit mehr dergleichen Kinderpossen schwer zu beladen. »Ja, – sagten diese einfältigen Närrinnen: – Ja, auf der Reise, da haben die Hexen just am meisten Gewalt! und glauben Sie sicher, Madame, daß Ihre lezte Krankheit gar nicht natürlich war; selbst der grundgelehrte Pater Guardian hat es bestättigt, als wir ihm Ihre Krankheit beschrieben. Gott segne von heute an alle ehrlichen Mutterkinder! – Hier schikt Ihnen der Pater Guardian ein Päkchen hochgeweihtes Pulver, das Sie täglich vor Sonnenuntergang nebst einem heiligen Sprüchelchen mit Weihwasser gemischt, einnehmen müßen.« – Ich mußte mit Gewalt diesen Schwachköpfen ein bereitwilliges Ja zunikken, blos um ihrer los zu werden. Endlich stieg ich unter ihren murmelnden Einsegnungen in den sündhaften Postwagen, der – nach ihrer Prophezeihung – einstens mit samt den Passagieren schnurstraks zur Hölle fahren würde! – Es saß ein junger und ein alter Italiener im Wagen, die ich beide für Kaufleute hielt. Aber lange wurde meine Neugierde nicht befriedigt, [55] weil ein allgemeines Stillschweigen herrschte; ich beschäftigte mich indessen mit Nachdenken. Jemehr ich den jungen schwarzbraunen Mann betrachtete, desto minder konnte ich entdekken, zu welchem Stande er eigentlich gehörte! – Sein Wesen war höflich, aber dabei geheimnisvoll. Sein Betragen mehr kriechend, als edel stolz, und seine Reden gar nicht zusammenhängend. Kurz, sein Karakter schien mir ein seltsamer Mischmasch zu seyn. Uebrigens war er nicht ungesellig, aber dennoch äußerst verschloßen, niemand konnte errathen, wohin seine Reise gienge. – Der alte Kaufmann hingegen gestund uns allen mit der äußersten Offenherzigkeit, daß er ein Bürger aus Verona wäre, und dorthin zu reisen gedächte. Dieser Mann gewann bald meine Achtung, und, so viel ich sah, ich auch die seinige. – Zuweilen ärgerte sich der gute Alte freilich ein Bischen, wenn der jüngere Reisegefährte mir höflich begegnete; da gab es dann wechselsweis grimmige Augen. – Doch schien mir, als wäre der junge Held zu feige, um laute Anmerkungen über den Kaufmann zu machen; daher lies er mich auch ruhig mit demselben fortplaudern, und, um sich schadlos zu halten, schäkkerte er unterdessen mit meinem Kammermädchen. Das alte affektirte Ding fand sich ganz wohl dabei, und glaubte ganz sicher, daß ihre abgestandenen Reize mit Beihülfe der Kloster-Reliquien Mirakel gewirkt hätten. Fast hätte mich beinahe selbst die Kraft des Klosterfrauen-Krams in Erstaunen gesezt; bis auf einmal die gesunde Vernunft mir ins Ohr flüsterte: Der junge Ritter heuchelt blos aus Neugierde dem verrunzelten Gesichte Schmeicheleien vor! So strenge ich nun auch dieser alten unkeuschen Dirne das Vertrautthun mit dem jungen Menschen verwehrte, so konnte ich es doch nicht verhindern, daß sie nicht zusammen beim Aussteigen einen ganz kleinen Seitensprung machten. Doch da mir ihre Häßlichkeit für alle Folgen bürgte, so störte ich sie [56] auch nicht weiter in ihrer mirakulösen Eroberung. – Indessen rollte izt unser Wagen unter starken Erschütterungen weiter; schon waren wir über einen guten Theil eines Tirolerbergs weg. – Ein schneidender Wind bewillkommte uns alle, und hurtig wikkelte mich der sorgfältige alte Kaufmann in seinen Pelzrok ein. – Meine Kammerzofe fieng izt auch an über Kälte zu winseln, und geschwinde versah man sie mit einer Dekke. Doch das Geschöpf gebärdete sich demungeachtet, als ob ihre Haut von Fließpapier wäre. – Ich ärgerte mich nicht wenig über so viel Ziererei, und durfte doch um des Wohlstandes willen meiner Galle nicht Luft machen. – Endlich und endlich kamen wir in der Stadt T... an, wo jeder Mitreisende aufs Neue bezahlen mußte. Das unbarmherzige Stoßen des Wagens hatte alle so schwindelnd gemacht, daß keiner beim Aussteigen ohne Taumel einen Fuß auf die Erde sezzen konnte. Es herrschte izt eine allgemeine Zerstreuung unter uns, und der junge Mensch benuzte diesen Zeitpunkt zu seinem Vortheil recht herrlich. – »Mein Freund! – (rief er dem Kaufmann zu) sind Sie doch so gütig, und bezahlen einstweilen meinen Plaz auf der Post bis Verona. Ich komme im Augenblik wieder. Ein kleines Geschäft nöthigt mich geschwinde irgendwohin zu gehen! –« Der truglose Mann gab ihm sein Jawort, und flugs verschwand unser Ritter durch die Gasse. – Wir beide eilten nun dem Postamt zu, und bezahlten unsere Pläzze. – Noch hatte der Postillion nicht geblasen, und die nächste Wirthsstube mußte uns indessen vor Kälte schüzzen. Ich lies mir izt den süßen Tirolerwein recht gut schmekken! – Selbst das verjährte Blut meines alten Begleiters wurde durch diesen herrlichen Trank aufgewärmt. Wir beide schwazten nun mit geläufigerer Zunge über verschiedene moralische, philosophische Gegenstände, und der gutherzige Alte taumelte vor Entzükken über mein Bischen Unterhaltung. Er trieb [57] seine Zufriedenheit so weit, daß er so gar darüber die Forderung an den jungen Menschen vergaß, der während dessen auch wieder zu uns gekommen war. – Wir fuhren nun ab, und unterwegens machte mir der Alte einen Lobspruch um den andern, worinn der junge Bursche feurig beistimmte. – Holla! – dachte ich izt bei mir selbst – der Vogel pfeift mit aus Eigennuz, und ist vielleicht gar ein Betrüger! – Doch auf einmal sahen wir unter muntern Gesprächen die Stadt Verona vor uns liegen. – Der Postillion klatschte, und der Wagen hielt stille. Ein schmuzziger Wirth, dem der italiänische Eigennuz auf der Stirne geschrieben stund, hob mich unter vielen Büklingen aus dem Wagen; schnell haschte der gute Kaufmann nach meiner Hand und führte mich die Treppe hinan. Während dieser kleinen Pause machte sich der junge Ritter aus dem Staube, und prellte den guten Kaufmann um sein ausgelegtes Geld. – Es schien diesen alten ehrlichen Mann gar nicht zu befremden; er zükte kaltblütig die Achseln, und eilte dann in die Arme seiner Familie. – Nun nahm ich mir vor, diesen Rasttag recht nüzlich in dieser berühmten Stadt zuzubringen. Schon schlich ich in Gedanken bei den Alterthümern Veronens umher, als plözlich das laute Geheul meines Mädchens mich in diesem Traum störte: Sie gab vor, das Heimweh überfiele sie, und that dabei wie halb verrükt! – Ich fragte sie hin und her, was ihr wäre. – Lange wollte sie nicht mit der Sprache heraus; als ich aber der Dirne Ernst zeigte – dann fieng sie an die reine Wahrheit zu beichten: »Ach! – Herzens-Madame! (schluchzte sie) ich glaube, der junge Mensch hat mich um mein halbes Geld betrogen!« – Ei, (schrie ich lebhaft) warum hast du dich betrügen lassen? »Ja, – versezte sie – Sehen Sie nur diese Brieftasche an! – Er gab mir sie zum Unterpfand. Da, sehen Sie nur ein Bischen hinein!« (das Leder war auf einer Seite etwas zerschnitten, um den Betrug glaublicher [58] zu machen) »Schauen sie nur; es sieht wirklich einem Freimäurerpatent ähnlich! – Aber reißen Sie das Schloß bei Leibe nicht auf! ich darf es bis zu seiner Zurükkunft nicht erbrechen; die Freimäurer würden ihn sonst lebendig rädern lassen, wenn sie erführen, daß dies Patent in Weiberhände gefallen ist! – Es ist sein einziges Hab und Guth, fuhr sie fort – und wer weiß, ob der arme Mensch wirklich so...« Plözlich sprang ich izt mit beiden Füßen auf das Schloß der Brieftasche, und die arme Alte fiel darüber fast sinnlos auf die Erde hin, als sie lauter altes Papier herausrollen sah! – Nun gieng es bei ihr an ein Schimpfen, an ein Fluchen, an ein Schreien, daß ich ihr aus lauter Angst eilfertig die Geschenke des Pater Guardians auf die Stirne band. – Doch für diesmal half es nicht. Ich glaube, wenn ich ihr den frommen Pater Guardian selbst in eigener hochwürdiger Gestalt aufgebunden hätte, es würde bei dieser wütenden Furie wenig genüzt haben. – Seine kräftigsten Benediktionen wären gewis an der wilden Kreatur abgeprellt, so sehr tobte sie! – Ich wußte mir nun nicht mehr anders zu helfen, als ich versprach ihr, um sie zu besänftigen, den Verlust ihres Geldes zu ersezzen. Plözlich riß dann die eigennüzzige Kreatur mit eigenen Händen alle Heiligthümer von ihrer Stirne los! – – Gewis, Freundin! ich bin sonst nicht feindselig gegen meine Dienstleute; aber dieses Mädchen scheint mir eine alte Kupplerin zu seyn, die ehedessen vom Handwerk lebte. – Ich kann sie gar nicht ausstehen, und wünschte sie gern wieder nach Teutschland zurük. – Morgen erhältst Du die Fortsezzung meiner Beschreibung; – izt unterbricht mich der Wirth! –

[59]
98. Brief. An Fanny
XCVIII. Brief
An Fanny

Hinaus mit dir, elender Kuppler! – schrie ich dem italienischen Wirth nach – und schlug die Zimmerthüre hinter seinem Rükken zu, daß die Fenster zitterten! – Was sich der infame welsche Kerl nicht alles unterstund! – Was? – mir, einer biedern, ehrlichen Teutschen, italienisches Laster anzubieten? – Dafür hab ich ihn auch wakker heruntergehudelt, den bestochenen Schandbuben! – Hu! was meine Alte über diesen Auftritt für große Augen machte! – Sie hat gewis die liebe goldene Zeit zurükgewünscht, wo sie der Unzucht noch um baare Münze Opfer bringen konnte; aber sie durfte sich bei allem dem nicht unterstehen, einen Laut von sich zu geben, sonst hätt ich sie wahrhaftig die Treppe hinuntergeworfen. – Es ist übrigens doch sehr traurig, daß ein Frauenzimmer nicht allein reisen darf, ohne sich dem Vorurtheil auszusezzen. Die Menge herumziehender feiler Dirnen ist daran Schuld. – Ein Frauenzimmer muß nur in solchen Fällen nicht blöde seyn, sonst spottet das freche Laster der Unschuldigen ins Gesicht, und hält sie für eine Romanenheldin. Diesmal kam mir mein Feuer recht gut zu Statten, sonst hätte mich der Wirth und die Alte gewis heimlich verkuppelt. – Die übrigen Stunden meines Aufenthalts hielt ich mein Zimmer verschlossen, und die Alte durfte mir nicht von der Stelle. – Der Morgen meiner Abreise rükte heran; ich eilte dieses Haus zu verlassen, ohne Veronens Merkwürdigkeiten gesehen zu haben. – Es gieng nun unter uns Zweien ganz einförmig zu, denn der Postwagen war außer uns ganz leer. – Unter Denken, Grillenmachen und Schlafen kamen wir endlich in der schwarz gemauerten Stadt Padua an. – Das nächste beßte Wirthshaus mußte uns bis zur Abfarth [60] des Marktschiffes für einen Tag lang zum Aufenthalt dienen. – Von essen und trinken war ich satt, Schlaf hatt ich keinen, und Madame Langeweile fieng an mich gräßlich zu martern. Gretchen! schrie ich, pak meine Mannskleider aus, und zieh meine Amazone an! – »Ei, Madame, was wollen Sie?« – Nicht lange gefragt, Jungfer! unterbrach ich das neugierige Ding. Sie brachte mir dieselben, und in wenig Minuten waren die Kleider am Leibe, der Mantel nach Stuzzerart bis über die Nase geschlagen, und so schlenderten wir beide einem Kaffeehause zu. – Alle Gäste lachten bei meinem Eintritt über die alte Matrone, und mich armen jungen Lekker schien man herzlich zu bedauern. Da es aber in Italien eine Menge dergleichen hungeriger Burschen giebt, die den alten Damen ums Geld ihre süßen Gewohnheiten forttreiben helfen, so lies man mich auch in diesem Betracht ruhig. Ich sezte mich ganz getrost an ein Tischchen und stellte meine Beobachtungen über die versammelten Gäste an. Bescheidenheit läßt mir nicht zu, zu sagen, aus wie vielen Klassen dieselben bestunden, und es würde demjenigen unglaublich scheinen, der nicht selbst Augenzeuge davon war. – Jeder von dieser schönen Gesellschaft paßte mit begierigen Augen auf seine Kundleute, um den Hunger zu stillen. – An diesen Tischen wurde gebuhlt, an jenen moralisirt, wieder an andern einander geheimnisvoll ins Ohr gelogen, oder laut die Ehre abgeschnitten. Hier wucherte ein alter Geizhals mit den Reizen seiner Tochter; dort verschwendete ein ungerathner Sohn die vom Vater gesammelten Reichthümer; – da hörte man plumpe Grobheiten; dort höfliche Lügen; – einer rauchte, der andere schnarchte, der dritte fluchte, der vierte seufzte, der fünfte schwadronirte, u.s.w. – Es war ein jämmerlicher Durcheinander. – Was in einem so großen Narrenhaus alles gelogen, betrogen, geheuchelt, gekuppelt und gewindbeutelt wird, ist nicht zu beschreiben. – [61] Selbst meine gute Alte verlor fast ihre Sinnen über dem Schwarm von Müßiggängern und Stuzzern, die aus Neugierde um uns herumflatterten. – Diese frechen Tagdiebe redeten mich mit einer Kühnheit an, als ob es zwischen uns Brüderschaft gälte. – Ho! Ho! dachte ich mir, und blieb wie ein fester Teutscher auf meinem Stuhle sizzen, bis ich endlich ihre Neugierde mit fremden Sprachen ermüdete, die sie nicht verstunden. Nun bekam ich auf einmal Luft meinen Kaffee in Ruhe auszuschlürfen. (In Italien ist es Mode den Kaffee auszuschlürfen.) Aber was? schon neun Uhr? – Hurtig, Gretchen, laß sie uns eilen! Und nun trippelten wir dem Gasthause zu; – aber hernach? – ins Bett, meine Liebe! –

Madame, belieben Sie doch aufzustehen, sonst versäumen wir das Marktschiff! (raunte mir das Mädchen schon sehr frühe ins Ohr.) Husch, flog ich aus dem Bette, trank meinen Thee, bezahlte meine Zeche, und eilte mit meiner Alten dem Ufer des Kanals zu. Schon war das Schiff über und über mit Leuten angefüllt. – Dienstfertige Nimphen, die ihren Fleischhandel hin und her trieben, alte Seelenverkäuferinnen, Juden, Bonzen, Mausfallkrämer, Fleischhakker, Murmelthierträger, welsche Sbirren und eine große Menge ausländischer vertriebener Spizbuben eilten izt mit den übrigen der freien Republik Venedig zu. – Ich sah hin und her um ein gutes abgesondertes Pläzchen zu finden. – Endlich erblikte ich ein Seitenstübchen, worinn sich vermuthlich die Stiftmäßigen dieser löblichen Versammlung aufzuhalten schienen. Nu, nu, das ist eine saubere Gesellschaft! – Ei was? Dachte ich mir, Noth hat in dringenden Fällen kein Gesez! – Also kurz und gut; und ich befahl dann meinem Mädchen ins Seitenstübchen zu steigen. – »O du heiliger Johann von Nepomuk, steh mir bei!« rief sie laut, indem sie sich hartnäkkig weigerte. – Poz alle tausend und ... wollte ich schon anfangen, als ich mich plözlich faßte, und einem Lastträger herbeirief, [62] der mir sie mit Gewalt ins Schiff schleppen mußte. – Izt riß die ganze Versammlung über meine Entschlossenheit Augen und Nasen auf! – Ueberall bot man mir (vermuthlich aus Neugierde) Plaz zum sizzen an; was konnte ich in dieser Lage besseres thun, als mein Gesicht in Falten ziehen, um das freche Laster abzuschrekken, das sich so gerne an reisende Frauenzimmer wagt. – Doch, dem finstern Gesichte ungeachtet, wagte es ein landstreicherischer Abbe meine ernsthafte Stille mit süßen Fragen zu unterbrechen. – Ich konnte diesen Zudringlichen durchaus nicht los werden; er plapperte vieles von fremden Ländern; kramte seine Zeugniße so bereitwillig aus, als ob er mir seinen verdächtigen Kredit mit Gewalt aufzudringen suchen wollte. – Ich fieng an dieses Kerlchen mit einigem Beifall zu beglükken, und er glühete darüber vor Entzükken. – Schon glaubte der Windbeutel meine Leichtgläubigkeit überredet zu haben, als ich ihm plözlich mit bitterm Spotte das Gegentheil bewies. Nichts destoweniger bat er mich dringend um den Namen meines Absteigquartiers. – Und siehe da, der Graf Sakonello (so war sein entlehnter Name) war in wenigen Tagen vor meiner Hausthüre, von welcher er aber recht höflich abgewiesen wurde. – Doch, lassen wir diesen Einfaltspinsel ein Bischen stehen, um ans Ufer zurükzukehren! – Alles drängte sich da noch haufenweis unter sumsen, lärmen und schreien aus dem angekommenen Marktschiffe. Es herrschte lauter Getümmel und Verwirrung; nur der Herr Abbe und ich blieben ganz ruhig bei dieser komischen Auswanderung im Schiffe an unserm Orte sizzen, bis mir auf einmal die am Ufer stehenden, mit prächtigen Uhrketten behängten und vergoldeten Herrchen in die Augen fielen, welche gierig auf jeden aussteigenden Weiberrok lauerten. –

Was mögen denn dies für Maulaffen seyn? fragte ich den Abbe; der mir dann ganz geheimnisvoll ins Ohr flüsterte: [63] »Es sind lauter Kuppler, die auf fremde Mädchen passen, um sie durch künstlichen Betrug in Bordels zu verhandeln. Nehmen Sie sich in Acht, Sie sind auch jung und nicht häßlich!« – Herr Graf, erwiederte ich, jeder kehre vor seiner Thür! – und so stieg ich ans Ufer, und er, er bükte sich, und gieng; ich hingegen miethete eine Gondel, und fuhr darinn sanft bis an die Behausung meiner Anverwandten. – Und?... Nicht zu viel gefragt, meine Freundin! Morgen das Weitere! –

Endlich, meine Liebe, hat das Küßen und Herzen unter uns so ziemlich ein Ende, um auch wieder mit Dir plaudern zu können: Die Lage meiner Wohnung ist ganz nach meinem Geschmak. Das Haus liegt in einer einsamen Gegend und wird von einem Garten geziert, dessen Aussicht auf den lebhaften Kanal geht. Da sizze ich dann am Fenster dieses Gartens, und manche liebe Stunde durch betrachte ich die vielen vorbeischwimmenden Gondeln, die große Welt samt ihren großen Thorheiten. Zu Wasser und zu Lande findet man Verschwendung und Luxus; überall beherrscht der Menschen Eitelkeit, Wollust und Schwelgerei. – In Teutschland fahren die Vornehmen in prächtigen Wägen, und hier in gezierten Gondeln; dorten ziehen rasche Pferde ihre Herrschaft, und hier die ausgelassenen Gondolieri; bei uns schmükk man die Pferde mit Silber und bunten Federbüschen, hier die Gondolieri mit weiten Pumphosen und buntschäkkiger Kleidung. – In Teutschland sind die Pferde die unwissenden Kuppler ihrer Herrschaft, und hier sind es die Gondolieri mit Vorbedacht. Hier ist es durchaus nöthig, daß der Gondolieri die Kupplerei aus dem Grunde versteht; bei uns überläßt es der Kutscher dem Bedienten oder dem Kammermädchen. – In Venedig kann kein Bursche sich auf den Dienst einer Dame Hofnung machen, wenn er nicht gefällig und à Tempo den Vorhang in einer Gondel zu ziehen weis; in [64] Teutschland hingegen begnügen sich die Damen mit einer langsamern Bedienung. Hier muß der Gondolieri die Schwelgereien seiner Gebieterin geduldig abwarten, und bei uns gebietet der begünstigte Lakai seiner Dame, wenn er sie mit einem vielbedeutenden Blik an ihre heimlichen Schwachheiten erinnert. In Venedig jagen die Damen den Fremdlingen nach; in Teutschland sind sie mit ihren einheimischen Leuten zufrieden. – Ländlich, sittlich! – dachte ich mir bei der Verschiedenheit dieses Geschmaks. – Die Weiber sind ja in allen Ländern in allen Stükken eigensinnig, folglich auch in der Wahl ihrer Bedienten. – Doch sind die hiesigen Damen in ihren Bequemlichkeiten weit mehr zu beneiden: Sie schwimmen ganze Täge in den Armen ihrer Lieblinge unbemerkt herum; da hingegen unsere guten Damen ohne Rüksicht auf ihre adelichen Schwachheiten so leicht wegen ihren heimlichen Ausschweifungen unter dem Pöbel verschrieen werden. – Was zahlte nicht bei uns manche Dame für so eine allerliebste Gondel, vermittelst welcher sie ihre minder verborgenen Schlupfwinkel entbehren könnte! Selbst der Puz der hiesigen Damen wird in diesen sanft fortschleichenden Behältnißen weniger verschoben, als in einem engen Gefärthe in Teutschland, wo der schmachtende Nachbar unwillkührlich durch das Stoßen des Wagens vom Strichrok bis zum Kopfpuz alles in Unordnung bringen muß. – Auch bedienen sich hier die Damen keiner Schminke mehr, weil die dunkle, verschlossene Gondel und der wohl abstechende Anstrich derselben ihre Wangen ohnehin schon hochroth färbt! – Es ist eine allerliebste Erfindung um die Gondeln! – sagte lezthin ein flatterhafter Ehemann zu mir, dem unter dem mitleidigen Schuz derselben manche galante Unternehmung geglükt war; – und bei uns, schrie eine verbuhlte, leichtsinnige, hizzige italienische Brunette, bei uns kann kein beleidigter Ehemann seine Equipage mit eifersüchtigen Augen verfolgen; denn bei uns sind die [65] Gondeln alle gleich; sie tragen die feurige Prinzeßin mit ihrem Liebling eben so geheimnisvoll, als die ausschweifende Opersängerin mit ihrem ausgemergelten Prinzen. Bei Ihnen (fuhr sie fort) müßen die armen Damen ihre Kammermädchen, Bedienten, Weiber, oder gar Kupplerinnen um schweres Geld zu jeder kleinen Lustpartei erkaufen, und hier in Venedig versieht die Gondel den gleichen Dienst weit geringer. – Ueberall herrscht hier Freiheit und Liebe zur zeitlichen Freude. – Selbst die andächtigste Dame schwimmt hier, ohne sich dem mindesten Verdacht auszusezzen, mit ihrem Gewissensrath in die Kirche... oder in seine Arme. – Belieben Sie einzuhalten. Madame! – (unterbrach ich sie) In Teutschland schleicht das Laster nur kaltblütig unter den Menschen herum, und hier in Italien galoppiert es aus allen Kräften, besonders unter der Maske der Frömmigkeit! Bei uns ist man aus übelm Beispiel oder aus Zufall lasterhaft, und bei Ihnen aus natürlicher Anlage und weniger Kultur. – Hier vergießt der Eigennuz täglich Blut, und bei uns treibt er es selten zu so einem Schritt. – Bei Ihnen liegt Falschheit und Mordsucht im Herzen, und bei uns kommen sie blos zuweilen durch üble Erziehung oder Verführung hinein. – Ihre Damen beten viel und buhlen viel. – Die unsrigen beten weniger, aber buhlen auch weniger. – Das welsche Frauenzimmer ist betrügerisch, rachgierig, ausgelassen und wild; das teutsche wohlthätiger, sanfter, aber desto mehr koket. – Die teutschen Damen foppen mit ihren kalten Temperamenten die Männer nach Herzenslust, und die Italienerinnen wollen Sieg – oder Mord. – Uebrigens ist Modesucht, Eigenliebe, Grillen und Ziererei unter unserm Geschlecht bei allen Nazionen zu finden. – Wenn es aber unter den Weibern auf Betrügerei und Verstellung ankömmt, so läuft in dieser Kunst doch immer die Italienerin der Teutschen den Rang ab. – Unser Geschlecht ist zwar überall ziemlich verdorben, [66] nur verleitet die angeborne Gutherzigkeit eine Teutsche weniger zu Betrug. Das, Madame, sind meine unmaßgeblichen Gedanken! – Und nun leben Sie wohl! – sagte ich zu dem brunetten Frauenzimmer, und trollte mich gerades Weges nach Hause. – Bald das Mehrere von

Deiner Amalie.

99. Brief. An Amalie
XCIX. Brief
An Amalie

Meine theuerste Amalie! –


Ich durchlas deine Reisebeschreibung mit innigem Vergnügen, und freute mich herzlich über deine muntere Laune, die mir wieder für die Herstellung deiner Gesundheit bürgte. – Du bleibst doch immer das alte feurige Mädchen, das überall geschäzt werden muß. – Aber weißt Du auch, daß Du dabei eine recht lose Schäkkerin bist, die ihre Anmerkungen in den launigsten Wiz einzukleiden weis? – Hätten die Nonnen nur die Oberfläche deiner Grundsäzze gekannt, ich wette, sie würden Dich nicht mit ihren gesegneten Gaukeleien beladen haben. – O Aberglaube, der du die Menschen so verfinsterst, verrükke doch die armen Nonnen nicht weiter; – und du ehrwürdige gesunde Vernunft, sey ihren fantastischen Köpfen gnädig! – Laß ihre schwache Leichtgläubigkeit nicht ferner durch schmarozzerische Mönche anfachen. Ist es möglich, daß die wahre Religion in ihrer schönen natürlichen Gestalt durch solche Possen so tief kann heruntergesezt werden? – Ihr bonzischen Mörder der gesunden Vernunft, jagt dem schwachen Volke Furcht und Angst ein, blos um euere Bäuche zu mästen! – Gesegnet sey Kaiser [67] Joseph, der in seinem Lande auf einmal diesem Puppenspiel ein Ende machte! – Doch izt vorwärts zu der Geschichte deines jüngern Reisegesellschafters: Jeder Reisende (dachte ich bei dieser Geschichte) muß im Postwagen Augen, Ohren, Herz und Börse wohl in Acht nehmen, wenn er nicht betrogen seyn will, denn fast immer sind die Postwägen von dergleichen Rittern und Ritterinnen angefüllt, die darauf Jagd machen; – indessen ist es (die Unbequemlichkeit weggerechnet) im Postwagen äußerst unterhaltend zu reisen. Die Verschiedenheit der Gesellschaft unterhält den denkenden Kopf, und nirgends wird lebhafter raisonnirt und mehr geschäkkert, als in den Postwägen. Madame Neugierde ist da die Beherrscherin aller Herzen. – So viel über diesen Punkt! – Aber nur Geduld, Leichtsinnige, nur Geduld! Der Pater Guardian wird sich einst schon an Dir rächen! Mache Dir ja auf die ganze Zeit deines Lebens auf keinen Kapuzinersegen Rechnung; hörst Du! – Was? – Du hattest die Kühnheit über seine dikke Unwissenheit zu spotten? – Warte nur, böses Weibchen, der rachsüchtige Bonze wird Dich bald behexen, und nicht enthexen, so sehr hast Du seine hochwürdige Dummheit angegriffen! Aber nun laß uns auch ein Bischen von dem italienischen Wirth schwazzen: Recht gethan! – recht gethan, daß Du ihn aus dem Zimmer jagtest! Ehrengefühl ziert das Weib eben so schön, als den Mann. – Glaub's wohl, daß deine Alte über diesen Auftritt die Augen verzerrte, denn unser Geschlecht hat zu wenig gelernt die Tugend außer den Mauern ohne Affektation zu behaupten. – Suche Dir die Alte vom Halse zu schaffen, sie taugt für deine Denkungsart eben so wenig, als jene saubere Kaffeehausgesellschaft. – Siehst Du nun, meine Liebe, wie es in der großen Welt drunter und drüber zugeht? – Wenn junge Leute noch unverdorben in solche Versammlungen eintretten, wie leicht können sie dann an solchen Orten durchs üble Beispiel ihre Unverdorbenheit [68] verlieren! – Aber um Gotteswillen, meine Liebe! hüte Dich in Venedig, daß Dir deine Aufrichtigkeit nicht etwa Verdrüßlichkeiten zuziehet! – Laß ja kein Wörtchen wider den Staat fahren, sonst bist Du ohne Rettung verloren! – Auch sind die Italiener verschmizte Bursche, die einer Teutschen mit leidenschaftlicher Hizze nachzustellen wissen, um sie ins Garn zu lokken. – So unverschämt und zudringlich die Männer in Venedig sich aufführen, eben so tollkühn treiben es die Weiber mit teutschen Jünglingen: ihr hizziges Naturel macht sie zu jedem Laster fähig. Gott segne Dich und wache über Dich, meine Amalie! –

100. Brief. An Fanny
C. Brief
An Fanny

Also, wie gesagt, meine Beßte, als ich die Gesellschaft der brunetten Dame verlies, gieng ich nach Hause, legte mich zu Bette, und schlief herrlich, bis mich meine Base des andern Morgens aufwekte. –

»Kommen Sie, Sie müßen heute mit meinem Mann den Markusplaz besehen!« – (sagte sie mir ganz sanft ins Ohr.) Ich rieb mir noch etliche Mal die Augen, und taumelte dann hin zur Toilette. – Nun wollte mich die gute Frau nöthigen eine Maske vor mich zu nehmen, aber ich sträubte mich tapfer dagegen! – Nicht doch, Frau Base! – Warum soll ich das Gesicht, das mir Gott gegeben hat, verkappen? – Darf ich dasselbe nicht sehen lassen? –

»O ja, mein Kind! – Aber Sie müßen sich maskieren, es ist hier zu Lande durchaus nöthig, um den Nachstellungen der Mannsleute zu entgehen.« – –

Ei was Mannsleute! – die werden mich doch nicht mit Gewalt am hellen Tag anpakken! – Nein, so wahr ich eine Teutsche [69] bin, Frau Base, ich verdekke mein Gesicht nicht! – Und so zog ich meinen Vetter mit mir zur Thür hinaus. – Aber kaum hatten wir ein paar schmale Gäßchen durchwandert, so streiften schon eine Menge Masken sehr nahe und unglimpflich an mir vorbei. – Ich schob dieses Betragen auf die Rechnung des engen Raums der Straße, bis mein Vetter auf einmal zu brummen anfieng, und mich überzeugte, daß seine Frau Recht gehabt hätte. – Die hiesigen Masken nehmen sich gegen ein fremdes unmaskiertes Frauenzimmer die ungezogensten Frechheiten heraus. – Eine Fremde muß sich in Mannskleider stekken, wenn sie ungestört über die Straße gehen will. – Bei uns sezt diese Art Verkleidung ein Frauenzimmer in übeln Ruf, und hier dient sie zu seiner Vertheidigung. – O Vorurtheil, du widersprechendes Wesen! – sagte ich zu mir selbst – als wir gerade unter den gedekten Seitengängen auf dem Markusplaz anlangten. – Hu! – wie mir da der Kopf zu schwindeln anfieng, als ich die Menge Masken erblikte, die auf Strohsesseln vor den Kaffeebuden saßen, und mich dabei so starr angafften, daß es mir ganz heiß in die Wangen stieg. Fast alle meine Sinnen waren über und über beschäftigt. – Ich sah izt in den offenen Kaffeebuden verwegen spielen, unverschämt buhlen, und jedes lasterhafte Gewerb in voller Uebung treiben. Auf allen Seiten unterhielten sich diese beschäftigten Müßiggänger mit ihren Modelastern. Spionen lauerten; Spieler zankten; Buhlerinnen schäkkerten emsig mit ihrer feilen Waare; – Andächtlerinnen seufzten über die Unerträglichkeit ihrer Keuschheit; alte Weiber brummten an der Seite ihrer ungetreuen Anbeter; junge Damen warfen nach ihrer Gewohnheit ihre Nezze aus; Bonzen liebäugelten; Schurken lehnten sich tiefsinnig an die Seitenwand, und dachten auf spizbübische Anschläge; Stuzzer strikten Filet, fremde junge Windbeutel trugen ihre Figur zu Markte, und Ausländer, die kaum dem [70] Galgen entronnen waren, genoßen hier der goldenen Freiheit! – Alles war in lebhafter Thätigkeit, und jeder schwelgte nach seiner Weise. – Mit zerstreuter Verwunderung schlenderte ich einigemal an dem Arm meines Vetters den Seitengang hin und her. – Der überraschende Lärm hatte meinen Körper in etwas aus seinem Gleichgewicht gebracht. – Ich schmiegte mich nahe an die rechte Seite meines Führers, und lehnte meine rechte Hand rükwärts auf meine Hüfte. – Schon glaubte ich in dieser Stellung unter dem Getümmel unbemerkt durchschlüpfen zu können; schon fieng ich an über alle diese Tollhäuser philosophisch nachzudenken, als ich plözlich meine rükwärts gelehnte Hand feurig gepreßt fühlte! – Aergerlich blikte ich hinter mich, und sah... lauter gleich gekleidete Masken. – Es schien mir in diesem Falle schwer den Thäter zu unterscheiden; ich zog daher meine Hand ganz stillschweigend aus dieser Stellung. – Um Streitigkeiten zu verhindern, verschwieg ich diese neue Unverschämtheit meinem Vetter, indem ich glaubte nun sicher und ruhig an seiner Seite fortwandeln zu können. Aber umsonst, kaum hatte ich einige Schritte vorwärts gethan, so tändelte schon wieder eine Maske an meinen Haaren, die bis über meine Hüften hinunter hiengen. – Endlich zwang mich die Nothwendigkeit mit meinem Vetter in eine Gondel zu steigen, um nach Hause zu fahren. – Hier hast Du nun die Geschichte des heutigen Tags von

Deiner beßten Amalie.

101. Brief. An Fanny
CI. Brief
An Fanny

Wenn wir gutchristlichen Katholiken in eine fremde Stadt gerathen, so eilt sonst gewöhnlich unser erster Schritt der [71] Kirche zu. – Bei mir war es zwar nicht der erste, aber der lezte soll es gewis seyn! Ich begab mich in eine Kirche; aber die schändliche Aufführung der italienischen Nazion im Tempel Gottes hat mich sehr geärgert! – Als ich in den Vorhof der Kirche trat, drängten sich die alten Bettelweiber haufenweis auf mich zu, und baten zur Liebe des heiligen Antonius um ein Allmosen. Ich gab hin so viel ich konnte, ob ich gleichwohl beim Weggehen einige von diesen nemlichen alten Weibern besoffen in Winkeln liegen sah. – Die Kirche war dicht angefüllt; alles murmelte mit verkehrten Augen Gebete daher. Die Damen zerschlugen sich aus Andacht die Brust, und die Männer schwizten heuchlerisch im Gedränge. Die ganze Versammlung behauptete den Schein einer außerordentlichen Frömmigkeit. – Schon fieng ich an mich über diese eifrigen Diener des Herrn zu freuen; schon beklagte ich die kalten Teutschen, die in der Verehrung des Schöpfers so wenig Feuer im Aeußerlichen zeigen. – O! dachte ich, welch ein Unterschied! – Hier strozzen die Kirchen an Werktägen von Andächtigen, und bei uns kaum an Sonntägen; und so würde ich weiter Vergleichungen angestellt haben, wenn mich nicht der verstohlne Seitenblik einer eifrig betenden Nachbarin darinn gestört hätte. – Die gute fromme Scheinheilige schien nach etwas begierig zu schmachten, bis sich auf einmal ein frecher Bursche zu ihr hindrängte, und in ihr Gebetbuch ein Liebesbriefchen stekte. – Sie nahm dann ihr Buch zu sich, klopfte ans Herz, rief einigemal: O Dio santo! dazu, und verlor sich. – Als dieser Auftritt, den die übrigen frommen Christen nicht einmal bemerken wollten, sein Ende erreicht hatte, wollte ich nach meiner Uhr sehen, aber siehe da – man hatte mir sie gestohlen! – Ich sah ganz natürlich links und rechts nach dem Dieb, und erblikte nichts, als Grimasse der Frömmigkeit. Was blieb mir nun außer der christlichen Geduld übrig an einem Orte, wo jeder Heuchler [72] der Religion Ehre zu machen schien? – Demungeachtet drängte sich mein Blut häufig dem Kopf zu, und es war mir unmöglich mich länger in einem Hause aufzuhalten, wo Andächtelei dem Laster den Schein der Ehrlichkeit borgen muß. – Ich drängte mich hin und her durch alle Lükken durch, um in die freie Luft zu kommen. Eine alte cara Mama zupfte mich rükwärts am Arme, und schien mir zu folgen. – Was mag denn die wollen? – fuhr mir durch den Kopf, indem ich sie aufmerksam betrachtete. – Sie brummte ihre Gebeter halb laut fort, hielt ihren Rosenkranz fest, sties andächtige Seufzer aus, und folgte mir bis an die Treppe. – Carissima bella Signorina! – redete sie mich an. – Geh zum Henker, Alte, mit deinen Schmeicheleien! – schrie ich ihr zu, als sie mich ganz andächtig bei Seite zog, und mir einen förmlichen Antrag zu einer Lustparthie machte: – Schandlose Heuchlerin! – laß mich mit Friede, oder... auf einmal war sie izt weg und wieder in der Kirche. – So geht es also hier im Tempel Gottes zu! – Das ist das fromme, andächtige Volk! – sagte ich unwillig zu mir selbst – und besuchte aus Neugierde mehrere Kirchen nach einander. – Alle fand ich eben so voll wie jene. – Gott im Himmel! wie viel falsches Scheinopfer bringt man dir! – seufzte ich dann laut – und kehrte zurük nach Hause. –

Ja, meine Fanny! – die Geschichte in der Kirche hatte mich so sehr erzürnt, daß ich mehrere Tage keinen Schritt aus dem Hause thun wollte. – Auf einmal wurde meine üble Laune dem guten Vetter zur Last, und ich mußte ihm mit Gewalt in eine adeliche Gesellschaft folgen.

Aber ums Himmels willen, lieber Vetter, ich bin ja nicht stiftmäßig; die Damen werden Bedenken tragen, mich unter sich aufzunehmen! – sagte ich ihm sträubend. –

»Ei was stiftmäßig! – antwortete mein Vetter, hier braucht ein Fremder das nicht; geben sie unserer Noblesse [73] nur ihren Exzellenz-Titel, und Sie sind gewis mit Ihrer Lebensart willkommen.« –

Genug ich lies mich aus Neugierde bereden, und besuchte mit ihm eine solche Versammlung. – Als wir in Cassino anlangten, so wimmelten schon die Vorzimmer voll Bedienten. Ich streifte mit philosophischem Unwillen an diesem schimmernden Ungeziefer vorbei, das sich kriechend bis zur Erde beugte; dann stellte man mich einigen Damen vor. Ich muß gestehen, ich fand einen himmelweiten Unterschied zwischen ihnen und unsern aufgeblasenen, stolzen Nasenrümpferinnen in Teutschland: Sie empfiengen mich mit einer vernünftigen Güte und Leutseligkeit, die so willig eher dem Verdienst als einer blos zufälligen Geburt ihre Arme öffnen. – Sie marterten mich mit keiner steifen Etikette, womit man Fremde in Teutschland zu quälen pflegt. Freiheit, Munterkeit und gute Laune herrschten überall in dieser Gesellschaft. – Die Damen flüsterten einander keinen Ahnenstolz in die Ohren, und fielen mir nicht mit naseweisen Fragen zur Last; eben so wenig, als ich von ihnen geschraubte, hochmüthige Antworten erhielt. – Keine gaffte mich mit teutscher Grobheit an, als ob sie sagen wollte: – »Selbst dein Anzug ist nicht einmal hochadelich! –« In wenig Minuten achtete ich mich in dieser Versammlung schon nicht mehr fremde. – Man lies mir Freiheit, ohne mich aus Verachtung zu vergessen, und man schien mich zu vergessen, blos um mir Freiheit zu lassen. – Niemand zwang mich zum Spiele. – Jedem stund es frei, sich mit Kopf und Herz nach seiner Weise zu unterhalten; – weder Eifersucht noch Misgunst trübte die Damen unter einander. – Jede hielt ihren Liebling fest, ... und störte nicht durch Koketterie die Ruhe einer andern.–Alle hatten für sich hinlängliche Herzens-Beschäftigungen. – Kurz, die hiesigen Damen sind selbst bei ihren raschen Leidenschaften weit erträglicher als die in Teutschland. – Liebe übertäubt alle [74] ihre übrigen Leidenschaften; und was Liebe nicht angreift, das beleidigt sie auch nicht. – Sie haben überhaupt im Durchschnitt mehr Kultur als die Männer. Mutter Natur war ihre Leiterin. Ziererei – Vapeurs – und Grillen scheinen sie gar nicht zu kennen. – In Gesellschaften handeln sie viel freier als die Teutschen, und bei Weitem nicht so geschraubt. – Die Hizzigkeit ihres Temperaments gestehen sie offenherzig, und verderben nicht ihr Herz durch heuchlerische Verstellung. – Unsere teutschen Damen hingegen verbergen ihre Herzens-Angelegenheiten, und werden dabei doppelte Sünderinnen. – Hier rechnen sichs die Damen zur Schande, mehr als Einen zu lieben, und bei uns schämen sie sich dieser einfachen Zahl, und tändeln mit allen, die ihnen aufstossen, aus Schwachheit, aus Ueberraschung oder aus Zufall. Liebe wird bei den Italienern zum ernsthaften Geschäfte, bei den Teutschen hingegen zur Galanterie, oder Heuchelei. – Wechsel ist hier Verbrechen, der den Stolz einer Dame beleidigt – und bei uns wechselt man mit der Liebe eben so gleichgültig, wie mit Handschuhen. – Die hiesigen Damen lernen außer ihrer Muttersprache selten eine andere, und saugen nicht, wie bei uns, mit der französischen Sprache zugleich französischen Leichtsinn ein. Sie studieren fleißiger ihre Muttersprache, als manche teutsche Dame, welche die ihrige kaum buchstabieren kann. – Auch Eigennuz verunstaltet ihre Seele nicht so leicht, weil sie weniger als bei uns dem Spiel, sondern mehr der Liebe nachhängen. – Verläumdungssucht ist ihnen fast durchaus fremde, denn sie verschäkkern ihre Stunden meistens in der Gesellschaft ihrer Liebhaber. – Selbst Eitelkeit hat sie weit weniger vergiftet, weil die Einförmigkeit ihrer Masken keinen so großen Aufwand erfodert. Wären nur die hiesigen Damen ihren Männern getreuer, verschwelgten sie nur weniger ihre Gesundheit in den Armen der Wollust, man könnte diese Engel [75] von Weibern nicht besser wünschen, als man sie hier unter dem adelichen Stande findet. – So weit gieng meine heutige Beobachtung. Morgen auch etwas weniges von den hiesigen Männern; und nun gute Nacht, meine Liebe, von

Deiner Amalie.

102. Brief. An Fanny
CII. Brief
An Fanny

Wort halten, ist Pflicht! – ruft uns die alte teutsche Redlichkeit zu. Also muß ich wohl heute ihrer Stimme folgen, und Dir, meine Fanny, mein Versprechen erfüllen. So eben komme ich wieder aus einer adelichen Gesellschaft zu Hause; und ich kann Dich versichern, daß die hiesigen Edelleute männlichen Geschlechts fast durchaus über eine Form gemodelt sind. – Ich fand in einem die andern alle. Ihr Wesen ist einfach, und ihre Nazional-Mundart ist dem einen wie dem andern eigen. Selbst Liebe, die doch bei der italienischen Sprache sehr gewinnt, wird durch ihre Nazionalsprache verunstaltet. – Schon einige haben es versucht, auf mein Herz Ausfälle zu wagen, aber sie prellten ab. – Das Zuhausesizzen versagt ihnen die nöthige Kultur. Sie besizzen die hochmüthige Grille, daß keiner von ihnen ohne fürstlichen Aufwand reisen dürfe; und doch haben die wenigsten davon Glüksgüter genug, um diese Grille zu befriedigen; also bleiben sie lieber an ihrem Kaminfeuer sizzen, und gewöhnen sich dabei an eine simple nazionale Lebensart, daß es dem Fremden schwer wird, den Edelmann vom Lakaien zu unterscheiden. – Sie lesen wenig, studieren (ihre Landesgesezze ausgenommen) fast gar nichts, und bleiben bis an ihr Ende gutwillige Pagoden zur Bedienung ihrer aufgeklärteren Damen. – Ihre besondere Höflichkeit, ihr [76] hübscher Körperbau und ihre feurige Liebe für unser Geschlecht, sind noch die einzigen kleinen Vorzüge, die sie erträglich machen; demungeachtet sind sie sehr zur Schwelgerei geneigt. Wenn ein junger Venezianer ohne Liebesfesseln lebt, dann lebt er gewis bis zum Ekkel ausschweifend. – Nun so ist denn doch Ausschweifung immer das gewöhnliche Extrem eines Gelehrten oder eines Dummkopfs! – (fuhr mir bei dieser Anmerkung durch den Sinn...) Doch weiter! – Wiz besizzen sie gar keinen, aber desto mehr Nazionalsprüchelchen. Vernunft findet man noch am meisten unter den Advokaten, weil sie ihnen Geld einträgt. – Gekken sind sie fast alle, denn ihr Müßiggang macht sie dazu. Stolz auf ihre Freiheiten erlauben sie sich in ihren Masken viele kindische Thorheiten. Bigottismus und Wollust schlürfen sie ohne den mindesten Vorwurf aus einem Becher, weil sie gewohnt sind, ihre Rechnung alle Monate wenigstens einmal in dem Beichtstuhl abzulegen. Der Grundzug ihres Karakters bleibt so lange gutherzig, bis er von einer Leidenschaft auf die Probe gestellt wird; alsdann erst artet er in feurige Rachsucht aus. – So bald man ihren vaterländischen Stolz nicht beleidigt, so ist gut mit ihnen auszukommen. Litteratur und schöne Wissenschaften verrosten gänzlich unter ihnen; aber desto fleißiger üben sie Rechtsgelahrtheit und Handelschaft. – Sie machen gutwillig die Küchenjungen ihrer Weiber; aber nie die Sklaven ihrer Vorgesezten. – Ein Venezianer läuft leichter mit dem Gemüskorb auf den Markt, als daß er nur um ein Haar seine Freiheit verlezzen ließe. Sie lieben auch die Fremden, aber trauen ihnen nicht gerne. – Eine große Menge Advokaten leben da auf Kosten ihrer Klienten, deren Rechtssache sie auf dem Rathhause öffentlich vertheidigen müßen. Die Landestracht wird von dem Nobili und Advokaten nur an Gerichtstägen getragen, und besteht aus einer Knotenperükke, einem langen schwarzen Rokke mit einer [77] silbernen Kette um den Leib. – Der Staat unterhält nur wenig Soldaten, aber destomehr Sbirren. Man behauptet, daß der Magistrat durch die Geschiklichkeit dieser Sbirren in kurzer Zeit den Namen und das Gewerb eines Fremden wissen kann, wenn ihm die Neugierde ankömmt. – Hm! hm! – Wie mag denn das zugehen? – (fragte ich mich selbst) da man doch hier zu Lande keinen Fremden mit dem Namenaufschreiben tirannisirt? – Aber desto aufmerksamer ist unsere Polizei, die den Unschuldigen nicht statt des Schuldigen plagt! – (flüsterte mir mein Vetter ins Ohr, der mein Selbstgespräch mußte gehört haben). Liebschaften, Mätressen, und alles, was ins Reich der Frau Venus gehört, steht nicht unter dem mindesten Zwang, – wenn nicht Mordthaten, oder Diebstähle damit verknüpft sind. – Wer sich in öffentlichen Häusern beschmuzzen will, kann es ohne Hindernis wagen. Doch laufen bei aller dieser Freiheit die hiesigen Männer weit weniger diesen Oertern zu, als bei uns, wo Vorurtheil, Fraubasen-Geklatsch, oder der bestochene Polizeirichter die Liebschaften von besserer Gattung so unbarmherzig stören. – Jeder unterhält sich hier sein eigenes Liebchen nach dem Maasstab seiner Einkünfte. Die öffentlichen Bedürfnishäuser werden meistens nur von Fremden, oder von den allerlüderlichsten Einheimischen besucht. – Ich habe diesen Saz meinem Vetter nicht glauben wollen; aber morgen, sagte er, müßen Sie Beinkleider anziehen, und ich will Sie davon überzeugen. – Lebe wohl unterdessen, meine Beßte!


Deine Amalie. [78]

103. Brief. An Amalie
CIII. Brief
An Amalie

Liebste, Beßte! –


Ländlich, sittlich! – so sagtest Du lezthin selbst, und doch weigertest Du Dich, Dich zu maskiren; wie kömmt denn das? – O Du eigensinniges Weibchen, Du! – Verhülle in Zukunft dein blühendes Gesichtchen, sonst läufst Du Gefahr ferner beunruhigt zu werden. – Es muß übrigens doch für eine Fremde ein sonderbarer Anblik seyn, wenn sie das lebhafte Gemische so vieler Masken erblikt! – Mir würde zwar dieses Getümmel nicht behagen; Mitleiden und Abscheu würden mich zur tiefsten Traurigkeit hinreißen! – Schröklich ist es, meine Freundin, zu hören, daß selbst der geheiligte Tempel Gottes vom Laster nicht geschont wird! – Christen sollen das seyn? – Christen, die die Größe und Allmacht ihres Schöpfers weder fühlen, noch kennen! – Christen, die aus keinem reinen Unterricht gelernt haben, die Gegenwart Gottes zu fürchten! – Diese Verworfenen beten zu oft, um mit wahrer Zerknirschung des Herzens, mit wahrer Andacht beten zu können. – Ihr kaltes, flüchtiges, abwesendes Herz wiedmet sich aus Langerweile unter ihrem mechanischen Gebet blos sündhaften Nebenbeschäftigungen. Sie hüllen ihre Laster in Andachts-Uebungen ein, um desto freier ausschweifen zu können. – Bigottismus ist der Sünden Schuz, und ihr gleißnerisches Gebet ist ein gräßliches Verbrechen an der Majestät Gottes! – Schein der Frömmigkeit ist bei den Italienern fast immer der Vorbote des Lasters. – Man hält in diesen Ländern vieles auf äußerliche Gebräuche, aber desto weniger auf das innere Gefühl eines denkenden Christen, [79] der mit einem Worte seinen gütigen Schöpfer anzubeten weis. – Da zwingt man die Menschen zum Gottesdienst; sie müßen Predigten anhören, beichten, und alle Gebräuche mitmachen, wenn sie der Bonzen Wut entgehen wollen. – Der freie Willen wird unterjocht, und öffnet dann das Herz der Heuchelei und der Falschheit. – Wenn der Diener seinem Herrn nur aus Zwang unterwürfig ist, dann entfernt sich sein Gefühl weit von dem guten Willen, der das Lob seiner Herrschaft verewigen sollte. – Die Katholiken werden mit Gewalt zur Religions-Uebung geschleppt, und ihr widerspenstiges wildes Gefühl artet dann bei diesem Zwang in Lüge aus, die sie blos zum Schein dem Allmächtigen täglich vorheucheln. – Man verschließe diesen Afterchristen die Kirche, um sie erst den Werth Gottes fühlen und kennen zu lehren! – Man rufe ihnen die donnernde Allmacht des Ewigen feurig ins Ohr, um sie aufmerksamer zu machen auf die Herrlichkeit Gottes, der blos auf das Herz des Menschen sieht! – Mit gefühlvoller Beredsamkeit sollten es die Seelsorger versuchen, ihr angewöhntes kaltes Gebet in warme, innige Empfindung zum Lobe des Allgütigen umzustimmen! – Priester! – ihr seyd die Seelen-Hirten der Christen, ihr seyd die Abgesandten des Weltheilandes! – Euch kömmt es zu, mit Eifer ins menschliche Herz zu dringen; euch ist es Pflicht, das Gefühl für den Urheber der Natur darinnen aufzuwekken und es zu reinigen von falschen Empfindungen! Dringt mit Kunst, mit Menschenkenntnis, mit Güte und Sanftmuth hinein; macht es willig zum Dienste Gottes! – Rührt den freien Willen des Menschen, und ihr werdet siegen! ...................

Ei, da bin ich ja gar zum Prediger geworden, und nahm mir doch vor recht launigt zu schreiben. – Laß sehen, ob ichs jezt wieder dazu bringen kann! – Ich für mein Theil, meine Liebe, will mich eher mit Ruthen streichen lassen, als in die [80] Gesellschaft unserer adelichen Damen tretten. – Ein fühlendes Geschöpf muß sich da mit Leib und Seel entsezzen über den stolzen, schnippischen Blik, womit sie empfangen wird, – wenn es ihr anders noch gelingt in eine solche Versammlung zu kommen. – Es ist gar zu drolligt, wenn manchmal der aufgeklärte Kopf einer Bürgerin dem adelichen Strohkopf mit einer tiefen Verbeugung zunikt! – Ist es möglich? – So muß denn das wahre Verdienst des Herzens vor der Dummheit im Staube liegen bleiben? – Natur, Nächstenliebe und Menschlichkeit werden von diesen Weibern erstikt. – Wer nicht das Glük hat, Ahnen zu zählen, muß mit dem edelsten Herzen, mit dem aufgewektesten Geiste im Winkel stehen bleiben und die adelichen Gänschen bewundern. Würden die Weiber sich durch Tugend und Bildung auszuzeichnen suchen, dann möchte es wohl mancher Dame nicht gelingen, ihr Herz mit einer Unadelichen im Gleichgewicht zu halten. – Der unerträglichste Ahnenstolz verrükt das kranke Gehirn so vieler teutschen Damen, die sich aus Mangel an eigenem Verdienste durch dieses Unding allein wichtig machen müßen. Geburt ohne Philosophie ist ein Geschenk, das so gerne durch Hochmuth bis zur Unmenschlichkeit ausartet; denn wie oft vergessen nicht die Adelichen die Stimme des Mitleidens gegen ihre Untergebenen? – Wenn das Andenken verdienstvoller Voreltern unter den Söhnen zur Aufmunterung fortgepflanzt werden kann, so geht es doch die Töchter nichts an. Ihre ganzen Heldenthaten bestehen, wie die der Bürgerin, im Heirathen, Kindergebähren und Sterben. Sind das nicht Thörinnen, die mit entlehntem Verdienste prahlen wollen? – Herablassung! – Herablassung, meine adelichen Damen, ruft ihnen der gesunde Menschenverstand zu! – Blos Geistesvorzug, Talenten, Menschenfreundlichkeit und edles Herz werden sie wahrhaft in aller Welt Augen adeln; alles übrige ist Eigensinn, Eitelkeit oder Hirngespinst. – –

[81] Doch laß uns izt auch noch ein Bischen die unterscheidenden Vorzüge der jungen Kavaliers untersuchen: – So simpel, gutherzig und albern die Venezianer auch immer seyn mögen, so sind sie doch gewis erträglicher, als unsre spöttischen, dummdreisten, naseweisen Stuzzerchen, die mit boshaftem Herzen in Gesellschaften ihren geborgten französischen Wiz auskramen. – So ein gereister Zieraffe hat Dreistigkeit genug, das ehrwürdige Alter eines biedern Mannes lächerlich zu machen. – Ihre geistlichen Hofmeister, die sie meistentheils begleiten, lassen über der Neuheit der großen Welt das Herz ihrer Zöglinge aus der Acht, und genießen mit ihnen die Süßigkeiten der Schwelgerei. – Uebles Beispiel, unerfahrne Hofmeister und Ueberfluß verderben auf Reisen so viele junge Leute. Flatterhaftigkeit, Laster, Galanterie-Krankheiten, Weichlichkeit, sind fast immer die Früchten ihrer Reisen. Nur selten kehrt ein junger Edelmann aufgeklärt, als wahrer Patriot und muthiger Held zurük. – Das ganze Verdienst dieser verwöhnten Muttersöhnchen besteht in der Windbeutelei und französischem Unsinn. – Diese wollüstigen Gekken verstehen die allerliebste Kunst, den Damen Strumpfbänder zu knüpfen, wohlriechende Wasser zu versprüzzen und mit Herzhaftigkeit eine Fliege todt zu schlagen, wenn sie es wagt auf eine hochadeliche Nase zu sizzen. – Der Kriegsdienst, dem sich unsere Edelleute wiedmen, macht sie gar zu oft brutal und unverschämt. – Wie oft wird ihr stumpfes, verdorbnes Gefühl von den bessern Empfindungen eines gemeinen Soldaten übertroffen! – Unschuldige Mädchen verführen, den guten Namen ehrlicher Weiber verschreien, sich mit Gassennimphen beschmuzzen, Schulden machen, Bürger prügeln, ist alsdann die Beschäftigung, die sie in der Uniform in voller Uebung treiben. – So roh unsre alten Teutschen auch immer waren, so hielten sie doch auf Zucht und Ehre, und befolgten als Biedermänner strenge ihre [82] Gesezze, die nach ihren Begriffen gut waren. – Aber izt, meine Freundin, ist alte Redlichkeit in Staub gesunken! - Milchbärte haben ihr Andenken entehrt! – O das ist traurig, meine Amalie! Doch ich muß schließen! Ewig

Deine Fanny.

104. Brief. An Fanny
CIV. Brief
An Fanny

Denke nur, meine Liebe, mein Vetter lies mir nicht eher Ruhe, bis ich mich entschloß, mit ihm in Mannskleidern öffentliche Lusthäuser zu besuchen; – er wollte mir durchaus die Wahrheit seines Sazzes beweisen; – und er behauptete ihn mit Recht; denn wir fanden in diesen öffentlichen Lusthäusern mehr Ausländer, als Einheimische. – Da es eines Abends anfieng dunkel zu werden, führte er mich in eines dieser Häuser. Eine sehr dunkle Treppe leitete uns in ein Vorzimmer, worinnen ein altes Weib saß, die laut betete. – Sie lies uns gerade so lange stehen, bis sie noch einige Korallen ihres Rosenkranzes hin und her geschoben hatte; dann schlug sie das Kreuz über die Brust, gieng ohne ein Wort zu reden ins Nebenzimmer, und eilte bald wieder mit der Antwort zurük: »Daß ihre Tochter bereit wäre, uns zu empfangen.« – Gerechter Himmel! schon wieder eine solche heuchlerische Satans-Christin, die ihre lasterhafte Tochter unter frommer Lüge verkuppelt! – So wollte ich eben laut seufzen, als wir gerade in das Zimmer der Buhlerin eintraten. – Die Dirne empfieng uns mit einer frechen, zuversichtlichen Miene, und war schon so in ihrer schändlichen Kunst erfahren, daß sie mein Geschlecht auf den ersten Blik entdekte. – »Mit Ihnen, junger Herr, ist wohl [83] nicht viel zu unternehmen; und du alter Kamerad, (redete sie uns an) du bist der Freude auch schon abgestorben; also muß ich wohl auf andere Mittel denken, euch zu unterhalten! –« Dann warf sie eiligst ihre schlampigten Kleider vom Leibe, und machte die schändlichsten wollüstigen Stellungen. – Das Blut stieg mir wie Feuer ins Gesicht; ich wandte meine Blikke von dieser Schandmezze weg; – sie merkte meine Verlegenheit, und spottete laut über die blöde Schamhaftigkeit der Teutschen. – Gott! welcher Abscheu durchschauderte meine Seele! – Thränen des Entsezzens rollten über meine Wangen! – Die ganze Natur empörte sich in mir! – Ich griff hastig nach meiner Börse, und warf dieser elenden Kreatur etwas Geld hin, wornach sie heißhungerig schnappte. – Mein Vetter konnte mich kaum mehr trösten, so schröklich hatte mich dieser gräßliche Auftritt verstimmt. – Gebeugt, schwermüthig, durchirrten wir einige Straßen; als uns plözlich das laute Weinen einer weiblichen Stimme aufmerksam machte. – Der Schall kam aus einem Stübchen, dessen Fenster nicht hoch von der Erde waren; die ganze Wohnung hatte das Ansehen eines Bordels, worinnen das Laster sich durch Armuth selbst zu strafen schien. Die Neugierde trieb uns hinein; wir fanden den Hauswirth im heftigsten Streite mit einem jungen Mädchen, das verzweiflungsvoll die Hände rang! – Als dieser Kerl uns erblikte, stimmte er augenbliklich seinen Ton um, kneipte das betrübte Mädchen in die Wangen, wünschte uns kriechend gute Unterhaltung, und verlies das Zimmer. – Das arme Geschöpf warf sich dann jammernd zu unsern Füßen, bat um Barmherzigkeit, um Schonung! – So sehr auch diese Art Mädchen die Gewohnheit an sich haben, ganze Romanen zu erdichten, um ihren Lebenswandel zu entschuldigen, so fand ich doch bei dieser eine geheime Stimme der Wahrheit, die mein Herz zum warmen Mitleid rührte. –[84] Mein Gott! – fuhr mir in teutscher Sprache über die Zunge, – als die Arme mit feurigem Entzükken laut ausrief: Gott sey Dank! Sie sind ein Teutscher; Sie werden mich retten! Mit kurzen Worten erzählte sie mir nun ihre Geschichte. – Sie ist eine Kaufmannstochter aus A....; ein Böswicht entführte sie, und überlies sie dann in einem fremden Lande dem Mangel. – Sie gerieth durch Kuppelei in die Hände dieses Wirths, dessen Eigennuz sie mit ihrem noch ungewöhnten Körper nicht hinlänglich befriedigte, und der sie eben deswegen schon seit einiger Zeit tirannisch behandelte. Sie rang in dieser Gefangenschaft des Lasters schon lange mit der äußersten Verzweiflung. – Ihr Flehen rührte keinen Wollüstling, keiner schonte ihrer Tugend, alle genossen die Sträubende mit teuflischer Lust, und achteten nicht der heissen Thränen, die auf ihre gewaltthätige Hände brannten! – Großer Weltbeherrscher! – warum zögerte deine Strafe über diese Schänder der Menschheit? – Warum gefiel es der unendlichen Barmherzigkeit nicht, sie augenbliklich auszurotten? – O menschliches Gefühl! wo sind deine Rechte? – Wo ist deine Stimme? – Kommen Sie, lieber Vetter, ich kann es nicht mehr aushalten! – Ich küßte die Bedaurungswürdige auf die Stirn – versprach ihr Hülfe, – empfahl ihr Verschwiegenheit – und eilte nach Hause. – Daß ich dann noch in der nemlichen Stunde an ihre Eltern schrieb, wirst Du gewis von meinem Herzen hoffen, dessen Empfindungen Du so genau kennst. – Lebe wohl, meine Theuerste! – Lebe wohl! –


Amalie. [85]

105. Brief. An Fanny
CV. Brief
An Fanny

Ich wundere mich sehr, meine Theuerste, daß Du mich so lange ohne Nachrichten läßt. – Doch keine Vorwürfe! – Vielleicht kreuzzen sich unsere Briefe, oder Du hast Geschäften, welche Dich abhalten. – Freue Dich mit mir, beßte Fanny, jenes unglükliche Mädchen, von dem ich Dir im lezten Briefe sprach, ist gerettet! – Sie ruht nun im Schoose ihrer ausgesöhnten Familie! – Dir Allgütiger! sey dafür ewiger Dank gesagt, daß Du mir Gelegenheit gabest, einem meiner Nebenmenschen zu dienen. – O! dieses selige Gefühl hält mich izt für alle Leiden meines Lebens schadlos! – Venedig soll mir um dieses Glüks willen nie aus meinem Andenken schwinden, so wenig ich sonst hier Unterhaltung für Kopf und Herz fand. – Selbst im Schauspiel genoß ich keine Geistes-Nahrung, weil es so äußerst schlecht bestellt ist. – Ton- und Tanzkunst ausgenommen, sind die hiesigen Schauspiele keinen Heller werth. – Elende Harlekinaden, Marionettenspielereien, Possenreissereien, damit wird der Zuschauer bis zur Langeweile eingeschläfert. – Ich habe keine einzige Komödie gesehen, deren Verfasser mit gesundem Kopfe geschrieben hätte. – Goldoni's Burlesken werden hier so zotenmäßig vorgestellt, daß man es dabei nicht aushalten kann. Trauerspiele hat man fast gar keine, und die wenigen schlechten, die man hier giebt, werden durch frazhafte Episoden bis zum Ekkel heruntergesezt. – Man möchte toll werden, wenn man die steife, empfindungslose Opernsängerin wie eine Dratpuppe in einem Trauerspiel agieren sieht. – Sie arbeitet so viel mit ihren Händen, deklamiert so widersinnig, als ob Kopf und Herz mit dem kalten Fieber behaftet wären. – Eine hiesige Opernsängerin ist so [86] sehr Maschine, daß sie sich blos hinter der Gardine hören lassen muß, wenn sie nicht will, daß fast alle Sinnen des Zuschauers, außer dem Gehör, ihre Ankläger werden. – Was kümmert mich eine helle Kehle, wenn ihre Besizzerin nicht die Kunst versteht, die Töne durch Seelen-Affekt in mein Herz zu gießen? – Ein bloses musikalisches Instrument thut mehr Wirkung auf die Empfindung der Zuhörer, weil das Auge dabei keine Foderung machen darf. – Ich höre hier allen Opernsängerinnen mit geschlossenen Augen zu, um mir den Aerger über ihre hölzerne Geschmaklosigkeit zu ersparen. – Schade ist es für eine so feurige Nazion, daß ihr die noch nöthige Kultur fehlt; sie könnte große Fortschritte in der Schauspielkunst machen, wenn sie durch Lektur und gute Anleitung geführt würde. Ich habe diese Bemerkung in ihren Balletten gemacht, die mir noch am beßten gefielen. – Die Lebhaftigkeit giebt ihr einen so feurigen Schwung der Affekten, daß ich ihre leidenschaftlichen Pantomimen mit Vergnügen bewunderte. – Uebrigens sind die Sitten dieser Leute noch fast verdorbener, als bei uns. – Die Mutter einer Schauspielerin wuchert ganz öffentlich mit der Unschuld ihrer Tochter, und bewahrt ihr Kind den Meistbietenden auf. – Bei jedem Theatereingange findet man eine Menge von andern Freudenmädchen, und zur Seite des Schauspielhauses ganze Reihen von Bordellen. – Die Thüren sind zu ebener Erde, eine jede davon ist numerirt, und mit einem Marienbildchen, nebst einem kleinen Wachslichte geziert, welches alle Sonnabende von der Nimphe angezündet wird. Diese Kreaturen stehen am Eingang der Thüre, um die Vorübergehenden zur Verführung zu lokken; und da die Gassen sehr enge sind, so schlüpfen viele Mannspersonen (vermuthlich aus Furcht zerdrükt zu werden) in diese unreinen Winkel. - Wenn aber eine von diesen Nothhelferinnen des Lasters ohne Bekehrung schnell dahinstirbt, so wird sie in einem Sak ins Meer geworfen. – Jede [87] davon trägt einen Dolch zur Vertheidigung bei sich. Man hat mich versichert, daß es Männer gegeben habe, die nach Befriedigung ihrer viehischen Begierden ihre Raserei so weit aus Abscheu getrieben hätten, daß sie ihre Gehülfin auf der Stelle ermordeten. – Bisweilen sezt es wegen Bezahlung oder Dieberei Streitigkeiten ab, daß man schon mehrmalen dergleichen Weibsleute oder Mannsleute todt antraf. – Was nun die Einrichtungen ihrer Gesundheits- Umstände betrift, so soll man in Berlin weit bessere getroffen haben. – Die hiesige Polizei mischt sich nicht so scharf in diese einzelnen Umstände, und überläßt es dem verdorbenen Geschmak eines Jeden sich der Gefahr auszusezzen. – Gerade ruft mich mein Vetter zu Tische. Nimm also diesen eiligen Kuß von


Deiner Amalie.

106. Brief. An Amalie
CVI. Brief
An Amalie

Liebes, gutes Malchen!


Eine kleine Lustreise hielt mich bis izt ab, deine lezteren Briefe zu beantworten! Du schreibst es doch nicht auf Rechnung meines Herzens? – O ich habe wohl unterdessen recht oft an Dich gedacht; und dein erster Brief überraschte mich gerade in dieser liebevollen Beschäftigung. Ich durchlas ihn mit innigem Vergnügen; nur befürchtete ich dabei zu sehr, daß Du Dich durch dein offenherziges Betragen einigen weibischen Lästermäulern blosgeben möchtest. Sie werden nicht begreifen wollen, daß auch ein Frauenzimmer als Philosophin reisen kann, und daß es ihrem kritischen Auge ebenmäßig erlaubt ist, Stoff zum Denken zu suchen. – Aber [88] richtiger werden dafür die wenigen Vernünftigen urtheilen, die kein gallsüchtiges, neidisches Herz im Busen tragen. – Was kümmert uns übrigens das Vorurtheil einiger abgelebten Matronen, die ohnehin blos zum Ofensizzen und Gänsehüten geschaffen sind. Du lernst dadurch das menschliche Herz kennen; und das ist einem jeden Vernünftigen Pflicht, der in der Welt nicht unthätig leben will. – Aber noch staune ich, meine Amalie, über den italienischen Bigottismus, der, mit dem Laster verschwistert, einer Religion Schande macht, die im reinsten Gewande prangen könnte, wenn verdorbene Begriffe sie nicht zur Heuchelei entstellte. Giebt es denn in Venedig keine Priester, die solche abscheuliche Misbräuche zu verhindern wissen? – Warum duldet man dergleichen Gebräuche? – Ist das die reine Lehre Christi, die das menschliche Herz veredeln sollte? – Die Italiener müssen den Werth der Religion eben so wenig kennen, als die Häßlichkeit des Lasters, sonst würden sie ihn nicht zur Ausübung solcher Misbräuche anwenden. Den Priestern käme es zu, Religion und Laster im ächten Lichte den Menschen zu zeigen, und dann es ihrem Herzen zu überlassen, wenn es noch boshaft genug seyn könnte, beides nach erlangter Kenntnis mit einander zu vermengen. Wer sich dann troz diesem den öffentlichen Bedürfnißen Preis geben wollte, der könnte es auf Unkosten seiner eigenen Ruhe wagen. – Die Gewissensstimme wäre denn der verborgene Tirann, der so ein Herz bei müßigen Stunden grausam zerfleischte! – Nicht immer unterdrükt Schamlosigkeit den Ekkel der Natur. Es giebt Augenblikke, wo das Bildnis einer langen Ewigkeit so eine Kreatur gräßlich martert! – Indessen kann ich doch diese Häuser nicht ganz misbilligen. Sie verhüten größere Ausschweifungen, und bieten dem verdorbenen Geschmak der Menschen Befriedigung an. – Die Triebe der Natur arten blos durch Weichlichkeit und Bosheit zum Laster aus. – [89] Der blose Instinkt strebt nur nach genugsamer Befriedigung, aber die Einbildungskraft der Menschen schafft ihn zur ausschweifenden Wollust um. – Man betrachte das Thier; es hat nur seine gewisse Zeiten zur Befriedigung; aber der Mensch, dieser edlere Theil der Schöpfung, ist in seinen Lüsten unersättlich, weil er der Einbildungskraft den freien Zügel läßt. – Die meisten Menschen denken zu wenig, um ihre Begierden einschränken zu können. Ihre Sinnen verirren sich so leicht bei jedem neuen Gegenstande, wo hingegen das Thier keinen Unterschied kennt, um außer seiner gehörigen Zeit lüstern zu werden. – Gott gab den Menschen Vernunft, um ihre Handlungen nach der Mäßigkeit einzurichten; aber die wenigsten hören auf ihre Stimme, sondern folgen, vom Beispiel hingerissen, den Reizen des Lasters auf Kosten ihrer Ehre, ihrer Gesundheit. – O! die Menschheit ist ein unglükseliges, schwaches Wesen, das so leicht ausglitscht, wenn nicht genaue Aufmerksamkeit über sich selbst und Religion dieselbe leitet. – Man darf sich nur einen geringen Fehler nicht vorwerfen, dann eilt man schnell bis zum äußersten Grade des Lasters. – Fleißige Selbstbeobachtung ist der erste und sicherste Weg zur Tugend. So bald aber der Mensch leichtsinnig alles Gefühl in sich erstikt, dann wird er gerade so verstokt, so lasterhaft, wie jene Wollüstlinge, die das arme teutsche Mädchen im Bordell wider derselben Willen genießen konnten. – Gott segne die Gerettete in den Armen ihrer Familie, und Dich lohne er dafür einstens mit unaussprechlicher Glükseligkeit! dein Herz verdient es in der That! –

Aber izt weiter zu deinem zweiten Brief: – Daß es in Italien außer der Malerei und Tonkunst mit den übrigen Wissenschaften schlecht bestellt ist, wußte ich schon lange. – Die Nazion muß äußerst träge seyn, daß sie Schauspielkunst und Lektur so sehr vernachläßigt. - Sie ist von jeher in der Aufklärung [90] eine der lezten gewesen, und hat in der Litteratur von ihren Geistesfrüchten wenig aufzuweisen. – Wenn ihr Gefühl durch Denken verfeinert würde, dann könnte sie nicht zu dem äußersten Grade des Lasters fähig seyn. – Roh und gedankenlos folgt sie blos der Stimme ihres leidenschaftlichen Bluts, und überlegt aus Mangel der Bildung zu wenig ihre feurigen Handlungen. – Lebhaftigkeit führt zur Tugend oder zum Laster, je nachdem sie geleitet wird. – Eigennuz ist auch ein Hauptfehler dieser Nazion; um ihrer Befriedigung willen sind sie in Possenreissereien so erfinderisch. – Selbst bei uns belustigen sie einige teutsche Fürsten mit unsinnigen Frazzen. Mancher Hof bezahlt schweres Geld für eine welsche Opersängerin, die in Italien ums Allmosen in Kaffeehäusern ihre schmuzzigen Liedchen heruntertrillerte. – Bald werden die italienischen Landstreicher mit ihren Murmelthierchen auf teutschen Bühnen ihr Glük machen, da es einmal so sehr Mode ist, welsche Insekten zu dulden. – Keine auswärtige Nazion lokt die unsrige zu sich und füttert sie. Wir gutherzigen, schwachen Teutschen allein bezahlen ausländischen Unsinn und ungesittete Aufführung. – Und warum? – Aus Vorurtheil! – So lange der Teutsche dem inländischen Talent Schuz und Aufmunterung versagt, eben so lange bleibt er ein alberner Affe, der nach der verstimmten Pfeife eines Fremdlings tanzen muß. – O! die Großen, die Großen könnten vieles anders einrichten, wenn sie wollten! – Ist es nicht Schande, daß man fremde faule Waare auf Unkosten der fleißigern, aufgeklärtern einheimischen duldet. – Einige Höfe strozzen voll italienischer Comte und Markisse, die es durch Speichellekkerei so weit zu bringen wußten, daß man ihre zerlöcherten Adelsbriefe nicht einmal in Verdacht hat; besonders wenn sie das Glük hatten, irgend einer empfindsamen Fürstin zu gefallen. Diese Abentheurer machen sich der teutschen Gutherzigkeit zu Nuzze, und wandern häufig aus ihrem [91] Vaterland, um den Hunger zu stillen und die beßten Aemter verdienstvollern Patrioten wegzukapern. – Bisweilen mislingt ihnen dann ihre Rolle, und der Herr Comte verwandelt sich in einen Lakaien, der seinem Herrn mit dem Adelsbriefe als ein Betrüger entfloh. – Teutschland ist mir der Aufklärung ungeachtet in vielen Stükken ein Räthsel! – So viel von

Deiner beßten Fanny.

107. Brief. An Fanny
CVII. Brief
An Fanny

O Vorsehung! wie wunderlich sind doch deine Wege! – Unverhofft, Freundin, bin ich auf einmal, wenigstens in einem Punkt glüklich, ruhig an Seel und Leib, denn ich habe meine Freiheit wieder! – Der Tod hat meinen ausschweifenden Mann früher hingerafft, als es von seinem Alter zu vermuthen war. – Er ist dahin; Gott gebe seiner Seele Friede, und mir die vorige Gesundheit wieder! – Nichts hat er mir hinterlassen, als eine Menge Schulden, wofür mein guter Oheim noch bei seiner Lebzeit bürgte. – Dieser zu frühe Hintritt kann vielleicht doch für meinen Oheim und für mich üble Folgen haben. – Gott! – Wenn ich dadurch die fernere Unterstüzzung meines Oheims verlöre! – Ich kränkle ohnehin eine Zeit her, und werde wohl nimmermehr meine völlige Gesundheit wieder erhalten! – Schon seit einigen Wochen verlasse ich mein Zimmer nicht. – Die große Welt ist mir zur Last, ich sehne mich von ihr hinweg! – Das unruhige Getümmel füllt mein leeres Herz nicht aus! – Du kannst nun leicht einsehen, daß Schwermuth für mich eine Nahrung ist, der ich aus Langerweile nachhängen muß. – Mein Mistrauen gegen die Männer geht izt bis zur Menschenfeindlichkeit; ich würde keinem trauen, und wenn er sich in [92] der Gestalt eines Engels zeigte. – Daß mich doch meine Vernunft nie verlassen möge; daß sie mir beistehe bei Begebenheiten, wie ich lezthin eine erlebte! – An einem Morgen meldete mir mein Gretchen, daß ein Fremder mich zu sprechen verlange; ich lies ihn, so wie ich es in Ansehung der Mannspersonen immer that, abweisen. Er beharrte aber auf seiner Bitte, und lies mir melden, daß er Briefe von meinem Oheim zu übergeben hätte. – Die lebhafteste Freude durchströmte mich bei dieser Nachricht; ungeduldig wartete ich izt seiner; er kam, zog eilig seine Brieftasche heraus, und übergab mir den Brief. – Hastig, ohne die Schrift zu unterscheiden, riß ich das Petschaft auf – und fand.... einen buhlerischen Antrag vom römischen Konsul! – Versteinert stand ich da, faßte mich aber eilig wieder; griff nach einem Terzerol, und jagte den Kuppler aus meinem Zimmer! – Dann sah ich Gretchen ihm nachschleichen, welches mich vermuthen ließe, daß sie mit ihm einverstanden sey! – Täglich wird mir diese Kreatur verhaßter! – Sie darf ohne meinen Befehl mit keinem Fuß mein Zimmer betretten; demungeachtet wagte es die freche Plaudertasche mich durch kahle Entschuldigungen zum Zorne zu reizen! – Sie trieb es in Lügen so weit, daß ich ihr aus Aerger ein Glas nachwarf! – Die Uebereilung war hizzig, ich gesteh es selbst; aber derjenige, welcher weis, wozu mich die beleidigte Güte meines Herzens bringen kann, entschuldigt sie leicht! – Morgen erst schließe ich diesen Brief. –


Des andern Tags.

Nun so muß ich denn immer Schlangen im Busen nähren! – So ist es denn mein ewiges Geschikke an Nichtswürdige zu gerathen! Mein undankbares Dienstmädchen hat mich nun gar bestohlen! – Ich fand den Beweis in der Rechnung, als ich meine Börse untersuchte. – Die Dirne läugnete anfangs hartnäkkig, bis ich sie überwies; alsdann erst flehte sie[93] kniefällig um Schonung. – Sie soll von dieser Stunde an meinen Anblik meiden, und so mag sie, bis ich selbst abreise, bei mir bleiben. Ich werde ohnehin vermuthlich in wenig Wochen nach Teutschland zurükkehren müßen. – Dann kann ich Dir, liebe Fanny, vielleicht mündlich sagen, wie warm mein Herz für Dich schlägt. –

Amalie.

108. Brief. An Fanny
CVIII. Brief
An Fanny

Schon einige Wochen sind vorüber, und ich schrieb nicht an Dich! – Die Erzählung meines Abentheuers soll Dich aber für diese kleine Nachläßigkeit recht sehr entschädigen. Du magst dann entscheiden, ob ich mich nicht dabei verhielt, wie es mir zustand? – Vor einiger Zeit führte mich mein Vetter Abends in sein gewöhnliches Kaffeehaus. – Um bei diesen lezten Karnevalstägen dem Schwarme der häufigen Masken auszuweichen, eilten wir beide einem Seitenstübchen zu. Es waren daselbst nur wenige Masken zugegen; die einen davon spielten, die andern plauderten, die übrigen schliefen auf den Bänken herum. – Ich hatte eine Kouriersmaske an, und sezte mich mit den plumpen Stiefeln so derbe zwischen zwo schlafende Masken, daß sie darüber aufwachten. Nun fiengen die Masken an sich die Augen zu reiben, träge Töne herauszustammeln, und ihre Larve vom Gesicht zu lüpfen, um mich desto bequemer betrachten zu können. – Questo è una Donna! sagte die eine Maske; nein, erwiederte die andere, es ist kein Frauenzimmer. – Sie zankten sich wegen meiner aus Neugierde hin und her, bis die eine davon folgendes Gespräch mit mir anfieng: –

[94] Die Maske
Schöne Maske! – hätten Sie nicht Lust, unsern Streit durch Ihr eigenes Bekenntnis zu entscheiden? –
Ich
Wenn ich erkannt seyn wollte, würde ich mich nicht maskiert haben. –
Maske
O! Ihre Stimme verräth Sie! - Sie sind ein Frauenzimmer. –
Ich
Aber demungeachtet doch nicht gemacht, um ihre Neugierde zu befriedigen. –
Maske

Wenn wir Sie aber recht freundlich bitten, uns ihr liebes Gesichtchen zu zeigen; würden Sie uns diese Gefälligkeit abschlagen? –

Ich

Es ist wider meine Gewohnheit, mit meiner Larve zu prahlen, um so weniger würde ich es wagen, da mein Gesicht dem Wuchs nicht das Gleichgewicht hält.

Maske

Das ist unmöglich! – Verzeihen Sie, schöne Maske; auf so einem zierlichen Körper muß auch ein hübsches Gesichte ruhen. - - -

Ich
Ihr Schluß leidet Ausnahme; denn die Natur hat an mir nicht so verschwenderisch gehandelt. –
Maske

Klagen Sie Ihre Wohlthäterin nicht an! Mich dünkt, sie hat Ihnen Alles gegeben; Schönheit und Gefühl. Warum handeln Sie denn so neidisch mit ihren Gaben? –

Ich

Weil ich diese Gaben, wenn ich sie auch besäße, nicht der Gefahr aussezzen will, übel belohnt zu werden.

[95] Maske
Sie halten uns also für Betrüger?
Ich

Das nicht; aber für Leute aus der großen Welt. –


Hier wurde mir für diese Wendung so feurig die Hand geküßt, daß der laute Schall davon plözlich mehrere Masken herbeilokte. Aber die vorige Maske lies sich nicht stören, und fragte mich weiter: –

Maske
Sie sind also unerbittlich – und wollen uns das Glük Ihrer Bekanntschaft durchaus nicht gönnen? –
Ich

Es ist erst noch die Frage, ob es für Sie ein Glük seyn würde; ich möchte nicht gerne meine Eigenliebe auf eine so gefährliche Probe sezzen; denn wer weis, in welche Vorzüge Sie eigentlich Ihr Glük sezzen? –

Maske

Auf die, die wir schon zum voraus an Ihnen bemerken. – Wagen Sie es kühn, ihr Gesicht sehen zu lassen, wenn es auch nicht ganz unserm Ideal entspräche; Ihre übrigen Verdienste halten uns gewis schadlos. –

Ich

Genug meine Masken! der gefaßte Entschluß bleibt fest, ich demaskiere mich nicht; weil Sie sich doch blos nach einer glatten Haut sehnen, so mögen Sie für diesmal neugierig schlafen gehen; - mir ist um keine Eroberung zu thun.


Unser Gespräch fieng an hizzig zu werden. Alle umstehenden Masken streuten mir Weihrauch; jede drängte sich an mich hin, um ihre Neugierde zu befriedigen. Nur die Maske zu meiner Linken hatte bis izt ohne den mindesten Laut an meiner Seite gesessen. – Ein verschwiegener, sanfter Händedruck war alles, was sie zuweilen gegen mich wagte. – Schon war [96] ich im Begrif mein Gespräch an sie zu wenden, als mich wieder auf einmal die vorige Maske unterbrach. –

Maske

Sie sind eine Dame von der beßten Erziehung, das fühlen wir Alle, und Sie sollen sehen, daß wir Sie zu schäzzen wissen! – Nur eine Bitte versagen Sie uns nicht, bei deren Erfüllung Sie mehr gewinnen als verlieren! –

Ich
Und worinn bestünde denn diese Bitte? –
Maske

Einige von uns werden sich die Freiheit nehmen an Sie zu schreiben. Versprechen Sie uns nur unsern Brief an einem dritten Orte abholen zu lassen; und dann mögen Sie selbst entscheiden, wer unter uns Ihrer Bekanntschaft würdig ist! –

Ich

Nun denn so viel verspreche ich Ihnen; aber sehen Sie nur, mein Vetter gähnt; er hat Schlaf. - Bona sera! – sagte ich zu meinem Nachbar zur Linken, der bei meinem lezten Wort tief seufzete, und gieng dann mit meinem Vetter nach Hause. –


Der ganze Vorfall war mir des andern Morgens aus dem Kopfe verschwunden; als auf einmal mein Vetter lachend mit drei Briefen in der Hand bei mir erschien. –


»Da lesen Sie einmal Bäschen! - Lesen Sie doch! Ich habe diese Briefe aus Spaß am dritten Orte abholen lassen. –«


Er drang so launigt in mich; ich mußte sie erbrechen. – Zween von diesen Briefen enthielten lauter unsinnige Schmeicheleien; aber geschwind flogen sie dann auch aus meiner Hand ins Kaminfeuer. – Nur der lezte hielt mich seiner sonderlichen Sprache wegen für die übrigen schadlos. – Hier hast Du ihn; – ich habe seinen Inhalt ins Teutsche übersezt. –


[97] Verehrungswürdige Dame!


»Die vielen kriechenden Schmeichler, die gestern um Sie herum flatterten, machten mich an Ihrer linken Seite stumm. – Sie müßen mein Stillschweigen bemerkt haben, sonst wären Sie die Denkerin nicht, die Sie sind. – Nur im Stillen überströmte mein Herz von der Hochachtung, die ein Jeder Ihren Vorzügen schuldig ist. – Ein biederer Mann, der sich in den Augen einer solchen Menschenkennerin nicht verdächtig machen will, konnte bei dieser Gelegenheit nichts anders thun, als schweigen und fühlen. Ich trage ein redliches Herz im Busen; bin Advokat; wohne bei meinen Eltern in Campo Sant Crisostomo. Wollen Sie mir auf diese Versicherung hin das Glük Ihrer Bekanntschaft schenken, so verbinden Sie durch dieses Zutrauen unendlich«


Ihren

ehrfurchtsvollsten Diener

Geronimo Lustrini, Avocato.


Ist dieser Brief nicht allerliebst naiv? – Lies einmal meine Antwort! –

Mein Herr!


»Mit Mitleid sah ich gestern auf die Schmeichler herab, die durch alltägliche Kunstgriffe meiner Eitelkeit Schlingen legten, um dadurch ihre lüsterne Neugierde zu befriedigen. – Ich kenne die Welt, und halte aus Erfahrung mehr auf Gefühl, als auf leere Worte. – Hätte ich nun das Glük ein erträglicheres Gesicht zu besizzen, so würde ich keinen Augenblik anstehen, ihre Bekanntschaft zu machen. – Aber leider, so flüstert mir meine weibliche Eitelkeit ins Ohr, daß ich bei diesen traurigen Umständen in Ihren Augen unendlich verlieren würde. – Die meisten Männer hangen doch am Sinnlichen, und blose Seelenvorzüge machen [98] Sie über kurz oder lang kalt. - Um also diesem empfindlichen Streich auszuweichen, muß ich mir die Ehre ihrer Besuche verbitten. –«


Amalie von ***


Nicht wahr, Fanny, das heißt fein gequält? – Aber genug, ich bleibe bei diesem Vorwand; und eh er nicht die Probe ausgehalten hat, soll er mit keinem Fuß mein Zimmer betretten. Lies folgenden Briefwechsel, und dann urtheile von meiner Standhaftigkeit!


Madame!


»Sie rechnen mich also auch unter die Wollüstlinge, die der blosen Schönheit nachjagen? – Hab ich dies wohl bei meinem ernsthaften Betragen um Sie verdient? – Was kümmert mich Ihr Gesicht, wenn ich in Ihrem Umgang Nahrung für meinen Kopf und mein Herz finde? – Ich dünke mich Philosoph genug, um es der weiblichen Eitelkeit nie fühlen zu lassen, daß ihr Gesicht von der Natur ist vernachläßigt worden. – Und warum wollen Sie mir demungeachtet ein Vergnügen versagen, das meine Glükseligkeit ausmachen würde? – Empfangen Sie mich zu allen Zeiten, maskiert, wenn Sie wollen, und ich willige ein; – wenn Sie aber über diesen Vorschlag meinen feurigsten Wunsch noch länger nicht befriedigen, so bringen Sie mich auf den Gedanken, daß Sie auf Ihre Seelenvorzüge sehr neidisch sind. – Sie haben das Wort Mann misbraucht! – Nicht Männer, sondern Lekker hängen blos dem Körperlichen an, und werden kalt, wenn eine andere Neuheit sie reizt. – Doch ist ungefähr meine Meinung mit der wärmsten Bitte vereinigt, mich nicht länger nach ihrem liebenswürdigen Umgang ringen zu lassen, den Sie einem jeden Rechtschaffenen gönnen müßen, wenn Sie anders nicht als Nonne sterben wollen. –«


Ihr ergebenster Verehrer,

G. Lustrini.


[99] Mein Herr!


»Ich bin sehr weit davon entfernt, Sie für einen Wollüstling zu halten; sonst würde ich wahrlich nicht gesäumt haben, Ihren Brief mit den übrigen ins Feuer zu werfen. - Ihr Betragen hat das Ansehen eines Denkers, der mich verstehen kann, wenn er mich anders verstehen will. Nur müßen Sie mich dann auch gründlicher zu überzeugen suchen, daß Ihnen an meinem Gesichte sehr wenig gelegen ist, denn daß Sie aus bloser Gefälligkeit meiner weiblichen Eitelkeit schonten, könnte meinen Stolz doppelt schmerzen. – Was sagen Sie? – Ich sollte Sie beständig in der Maske empfangen? -Bedenken Sie einmal die große Unbequemlichkeit, die damit verknüpft wäre; und könnten Sie denn über alles das so unartig seyn, und mir durch diese Verkappung das Andenken meiner Häßlichkeit fühlbarer machen? – Wer weis, ob Sie selbst Ihre Philosophie schon auf eine so schlüpfrige Probe stellten? – Oder wollen Sie den Triumph genießen, sich mit eigenen Augen von meiner unglüklichen Gestalt zu überzeugen, damit Sie mir nach der Hand Ihr philosophisches Mitleiden zuwerfen könnten? – Ist es etwa für ein weibliches Herz nicht genug, mit Aufrichtigkeit gegen sich selbst zu sprechen? – Könnten Sie wohl um Ihres Wunsches willen fodern, daß ich Sie gar der Gefahr aussezte, bei meinem ersten Anblik aus dem Zimmer zu fliehen? – Ich bin auf meine Seelenvorzüge nicht neidisch, aber außer der Maske weis ich sie in der großen Welt nirgends hinzustellen, wo sie nicht eine barmherzige Figur machen würden. Ohne körperlichen Empfehlungsbrief prellen sie gewis überall an der menschlichen Thorheit ab, die so sinnlich selbst bei manchem Philosophen ihren Wohnsiz hat. – Man hat wenig Beispiele, daß Philosophen sich an ein verunstaltetes weibliches Gesichte nahten, um seine Abscheulichkeit [100] zu lieben. – Diese Herren lieben entweder gar nicht, oder suchen doch wenigstens ein mittelmäßiges Gesicht; – wenn ich es mit meinen Seelenvorzügen nur so weit bringe, in der Entfernung von einem Philosophen geliebt zu werden; wäre ich dann nicht eine Thörin, auf Unkosten meiner Eitelkeit mehr zu fodern? – Was kann ich für das Wort Weib, dessen Loos es ist, durchaus gefallen zu wollen? – Stekt nun hinter Ihren Wünschen keine sinnliche Neugierde, so werden Sie mit meinem Briefwechsel eben so zufrieden seyn, als ich es mit dem Ihrigen bin. – Philosophen sollen ja so leicht ihre Sehnsucht unterjochen können, hat man mir gesagt. – Uebrigens denke ich, nicht als Nonne, sondern vielmehr als Philosophin zu sterben. –«


Ihre Ergebenste

Amalie von ***.


Madame! –


»Sie sind eine schalkhafte Sophistin, die mich ganz aus meiner philosophischen Ruhe herausschleudert! – Wären Sie minder Spötterin, so wollte ich Ihnen von einem Gefühl vorsagen, welches Sie überzeugen könnte, wie äußerst nöthig Ihr Umgang für meine Glükseligkeit ist. – Noch einmal beschwöre ich Sie, mir nichts ferner von Ihrer unglüklichen Gesichtsbildung vorzusagen! – Ich ertrage sie gerne, sie mag aussehen, wie sie immer will! – Lieben könnte ich sie so gar bei ihren andern bessern Vorzügen, wenn ich die Erlaubnis dazu erhielte. Mein Herz ist gewohnt, in solchen Fällen willig meinem Kopf zu folgen. Seyen Sie versichert, Madame, Sie sollen mein Mitleiden nicht erbetteln! – Bald werde ich aber wohl das Ihrige anflehen müßen, so sehr erhizzen Sie durch Ihren Widerstand meine feurige Einbildungskraft! – Ha! mit welcher Zufriedenheit würde ich vorbereitet zu Ihnen eilen! – Ihr Herz, Ihr Verstand, Ihr Wiz, sind [101] Verdienste, die mich weit über die Gestalt Ihres Gesichts erheben! – Lassen Sie doch auch einmal für mich Ihr Gefühl sprechen, und sorgen Sie dann nicht um das Uebrige! – Ich wäre glüklich genug, Sie lebenslänglich blos mit verbundenen Augen schäzzen zu dürfen; wenn mir dann nur Ihr Mistrauen nicht vergönnte, an Ihrer Seite zu sizzen, Sie zu hören – und zu bewundern! – Warum verdammen Sie mich eigensinnig zu einer Entfernung, die mir täglich bitterer wird? – O, gelänge es mir doch Sie zu überzeugen, daß ich nur ihre schöne Seele anbete! – Wollen Sie denn unerbittlich meinen sehnsuchtsvollen Kummer Ihrer grausamen Eitelkeit opfern? – Gott sey mein Zeuge, daß ich es nie an der gehörigen Hochachtung werde gegen Sie ermangeln lassen! – Das versichert Sie mit wahrem Gefühl«


Ihr

redlicher Freund und wahrer Verehrer

G. Lustrini.


Mein Herr!


»Kann man wohl in diesem flatterhaften Jahrhunderte Sophistin genug seyn, um nicht betrogen zu werden? – Wie konnte ich Sie aus Ihrer Ruhe herausschleudern, da ich nichts von Ihrer Liebe wußte? – Nie werde ich über Gefühl spotten; nur ist es mir unbegreiflich, daß Sie sich täglich mehr nach meinem häßlichen Gesichte sehnen. – Könnte ich doch mein Gesicht während Ihres Umgangs in ein Winkelchen hinlegen, dann würden wir heute noch einig! – Aber so bin ich verzagt genug, zu glauben, daß Sie wohl keinen zweiten Besuch mehr bei mir machen würden, wenn Sie mich gesehen hätten. – Und überdenken Sie dann den Zustand, in dem Sie mich zurükließen? – Hätte ich nicht Ursache meine unbesonnene Leichtgläubigkeit zu verwünschen? – Nein, mein Herr! so weit soll meine Uebereilung nicht gehen, so sehr Sie sich [102] auch darum mit Feinheit bemühen. Sagen Sie mir doch, wie kann ich durch einen Widerstand Ihre Einbildungskraft erhizzen, da es Ihnen doch blos um meine moralischen Verdienste zu thun ist? – Können Sie diese nicht hinlänglich auch abwesend schäzzen? – Ich glaube nicht, daß Herz, Vernunft und Wiz Sie an meiner Seite so zufrieden stellen könnten, als es meine weibliche Eitelkeit verlangen würde, wenn Sie mir auch gleichwohl zuvor Ihr Wort gegeben hätten, an meiner Seite ganz auf mein Gesicht zu vergessen. Mein Gefühl würde dann von Ihnen Nachsicht fodern, und das Ihrige mir Sie gerne gewähren, wenn... ja, wenn Ihre andern Sinnen sich nicht so mächtig gegen diese Nachsicht sträubten. Wissen Sie nicht, daß das Auge sehr stark auf die übrigen Sinnen wirkt? – Es kann freilich beim Philosophen durch die Einbildungskraft viel nach seinen Wünschen geleitet werden; – wenn aber die Einbildungskraft gar nichts in einem entstellten Gesichte findet, woran sie sich halten kann, dann muß sie nebst dem Auge bis zum Ekkel scheitern. – Opfern Sie Ihren Kummer der Klugheit auf, ich will den meinigen der Vorsichtigkeit opfern; und so werden wir immer bei aller Entfernung die beßten Freunde bleiben. –«


Amalie von ***.


Madame!


»Kann man wohl ein grillenhafteres Frauenzimmer finden, als Sie sind? – So bald Sie mir den Karakter eines ehrlichen Mannes zutrauen, so muß die Furcht, betrogen zu werden, bei Ihnen auch wegfallen. – Ich Thor, habe Sie meine Liebe schon zu viel merken lassen, um nicht tirannisirt zu werden! – Sie befriedigen mit Herzenslust ihre unersättliche Eitelkeit an meinem Gram! – Alle meine Gründe werden auf Worte geschraubt und fein abgewiesen. – Immer geben Sie die Häßlichkeit Ihres [103] Gesichtes vor, wenn ich Sie gleich immer mit Wärme versicherte, daß mein Herz diesem unerachtet schon so leidenschaftlich an Ihnen hängt! – Laben Sie sich nur ferner an meiner marternden Sehn sucht; es liegt in der weiblichen Natur, Unschuldige aus Eigensinn zu kränken! – Noch einmal betheure ich Ihnen, daß, wenn Sie auch bis zum Abscheu häßlich wären, so würde mich doch Ehre zurükhalten, Sie nur mit einem Schatten zu beleidigen! – Ihr Mistrauen kränkt meine Seele, und doch sehnt sie sich noch mitten unter dem Schmerz nach Ihrem Umgange! – Sie zertretten bei Gott ein Herz, dessen Werth Sie nicht einmal kennen! – Schäzte ich Ihren Karakter nicht so unendlich hoch, bald würde ich vermuthen, daß kokettische Kunstgriffe Sie so hart machten. – Gott! – was fuhr mir da über die Zunge! – Verzeihen Sie es einem Gepeinigten, der wie verloren herumirrt! –«


G. Lustrini.


Nun hatte ich Zeit einzulenken; der junge Herr fieng an trozzig zu werden; und da es mir doch in etwas um seine Beruhigung zu thun war, so schrieb ich ihm folgendes Briefchen:


Mein Herr! –


»Um Ihre Achtung nicht zu verlieren, die Sie mir schenkten, muß ich wohl ihrem Troz nachgeben. So schwer es mich auch ankömmt, mein Gesicht Ihrer Entscheidung darzustellen. – Bringen Sie ja eine starke Porzion Philosophie mit, damit ich nicht Ursache haben möge, mein Geschik zu beklagen. – Und nun leben Sie wohl, bis ich Ihnen mündlich sagen kann, mit welcher Achtung ich bin


Ihre Ergebenste

Amalie von ***.


[104] Kaum erhielt er diese wenige Zeilen, so eilte er zu mir, mit der völligen Gewisheit, die häßlichste Gestalt auf Gottes Erdboden zu finden! – Noch sehe ich ihn an meiner Zimmerthür staunen über ein Gesicht, das eben nicht schön, aber doch auch nicht häßlich ist. –

»Und Sie konnten mich so auf die Probe stellen? – So konnten Sie mich hintergehen?«– rief er mir entgegen.

Ich mußte laut lachen, unterhielt ihn aber dafür mit einer guten Laune, die ihn hinlänglich für meine Schäkkerei zu entschädigen schien. – Innigste Zufriedenheit lächelte auf seinem Gesichte; – und doch war er so bescheiden, seinen ersten Besuch abzukürzen. – Aber ich, meine Fanny! ich muß wohl diesen Brief auch abkürzen, sonst wird er zu lange.

Deine Amalie.

109. Brief. An Amalie
CIX. Brief
An Amalie

Innigen Dank dem Allmächtigen, daß er Dir durch deines Mannes Tod wieder die vorige Freiheit schenkte! –

Richte Dich auf, meine Liebe, vielleicht ruhest Du bald wieder an dem Busen eines bessern Gatten! – Kümmere Dich nicht zu viel über die Zukunft, es schwächt deine Seelenkräfte! –

Du wirst zwar in der großen Welt nie die sanfte Ruhe finden, deren Du bedarfst. – Sie ist für Herzen von unserm Schlage nicht gemacht. – Redlichkeit und Tugend trägt da die Larve der Verstellung, deren wir unfähig sind! – Daß Du aber, meine Theuerste, keiner Mannsperson mehr trauen willst, ist eine Lüge, die Dir blos deine Schwermuth in düstern Stunden eingiebt. – Vielleicht hat Lustrini [105] izt schon dein Herz in Versuchung geführt! – Du hast den guten Jungen doch äußerst gemartert. – Er wird sich schon rächen, wenn es ihm gelingt deine Neigung zu reizen. – Handle ja aufrichtig gegen mich über diesen Punkt, wenn Du mir wieder schreibst. – Um Dir mit gutem Beispiel vorzugehen, sollst Du izt offenherzig etwas von meinem Karl zu hören bekommen. –

Ja, ja, Amalie! – von meinem Karl, von dem ich Dir noch kein Wort schrieb. – Schon seit langer Zeit hielt er die größten Prüfungen der Standhaftigkeit aus. – So sehr mir auch das Andenken betrogener Liebe noch im Kopfe schwirrte, so konnte ich doch dem guten Jungen nicht länger widerstehen. Er liebt mich mit einem Feuer, das einstens meine Glükseligkeit ausmachen wird, weil es ihm gelang, die Wunden ganz zu heilen, die mir ein Treuloser schlug. –

Liebe hat troz der kältesten Vernunft eine so unumschränkte Gewalt über das menschliche Herz, daß es den größten Philosophen nicht immer gelingt ihr zu entgehen. – Mein Karl und ich sizzen oft ganze Stunden beisammen und plaudern von Dir. – Er ist im Umgang ein allerliebster Junge, hat Kopf, Herz und vieles Gefühl. Möchten doch unsere Glüksumstände eine bessere Wendung nehmen – um Dich deinem ungewissen Schiksale entreißen zu können! – Du wirst doch nicht vorbeireisen, ohne bei uns einzukehren? – Aber bringe uns dein Gretchen nicht mit, sie taugt nicht unter uns. – Schaffe sie Dir mit Anstand vom Halse, sie ist ein verdorbenes, elendes Geschöpf. –

Du magst es bei deiner Ankunft entscheiden, ob ich es aufs Neue wagen darf, ein Band zu knüpfen, das Karl so leidenschaftlich wünscht! – Wenn er nur keine Stiefmutter hätte! – Wenn er nur schon mit mir am Altar stünde! – Wenn.... Ha! – Ich habe der Wenn noch so viele, die mir Kummer machen! – Schreib mir [106] doch noch vor deiner Abreise, und sey meiner freundschaftlichen Liebe versichert, mit der ich immer seyn werde

Deine traute Fanny.

110. Brief. An Fanny
CX. Brief
An Fanny

Ausgelacht, schöne Philosophin! Ausgelacht! – Endlich hat Herr Amor auch wieder einmal sein Spiel mit Dir! Ei, Ei! – so etwas hätte ich mir doch nie träumen lassen! – Glük zu, Fanny! – Ich wünsche Dir mit deinem Karl allen Segen des Himmels, aber auch ein Bischen Eifersucht dazu, wenn ich bei Dir eintreffe, und deinen Karl mit gewissen Augen betrachte, die seine hochgepriesene Standhaftigkeit in Versuchung führen sollen. –

Was meinst Du wohl, darf ich es wagen? – Wirst Du Philosophin genug seyn, um eine junge Wittwe nicht zu fürchten, die blos den siebenden Tag in der Woche in ihrer Gewalt hat, um in Gesellschaft nicht den Kopf zu hängen; die sich über die geringste Kleinigkeit mit ihrer zügellosen Einbildungskraft ganze Täge langen Kummer schafft; die manchmal alles flieht, was menschliche Töne von sich giebt, sich menschenfeindlich in ihr Zimmer verschließt und der Schwermuth nachhängt? – Dünkt Dir so ein Weibchen nicht gefährlich? – Sey nur ruhig! ich habe zu viel mit mir selbst zu schaffen, um Andere stören zu können. –

Lustrini trägt für mich starke Leidenschaft im Busen, das merke ich täglich mehr. – Als ich ihm meine Abreise ankündigte, änderte sich seine Gesichtsfarbe; der gute Junge dauert mich! – Aber kann ich mein Schiksal ändern? – Darf ich darinn meinem Oheim widersprechen der es so gut mit mir meint? –[107] Der arme Junge suchte mich auf alle nur mögliche Weise zu bereden, in Venedig zu bleiben; er wollte so gar an meinen Oheim selbst schreiben; bis ich ihm die Unmöglichkeit seines Wunsches durch Gründe bewies; dann verlies er mein Zimmer in tiefster Traurigkeit. –

Der gute Junge hat das Unglük, eine sehr wankende Gesundheit zu besizzen. – Verschiedene Schiksale und ein fühlbares Herz sind die Ursachen davon. – Daß doch die beßten Menschen auf dieser Welt so sehr leiden müßen! – Daß sie austrinken müßen bis auf den lezten bittern Tropfen den Becher des Schiksals! –

Morgen, meine Theuerste, reise ich von hier ab. – Ich kehre über Padua zurük, und schikke dann mein Mädchen seitwärts über K.... nach ihrer Vaterstadt, aus der ich sie zwar nicht mitnahm; demungeachtet will ich ihr die Wohlthat erweisen, und sie frei dahin zurükliefern; dann mag sie zusehen, was aus ihr wird! – Behalten kann ich sie nicht mehr. –

Noch eins! Ich mache für diesmal meine ganze Reise in Mannskleidern aus Bequemlichkeit und aus Eigensinn. – Bald erhältst Du wieder eine Reisebeschreibung von deiner beßten

Amalie.

111. Brief. An Fanny
CXI. Brief
An Fanny

Theuerste! –


Wenn mir doch nur der Himmel kein so weiches Herz gegeben hätte! denn es ist die Quelle unendlicher Leiden. –

[108] Lustrini weinte wie ein Kind beim Abschiede – ich weinte ganz natürlich auch mit! – Gott segne den braven Dulder, der glüklicher zu seyn verdiente, als er ist! – Traurig schlich er vom Ufer hinweg, als meine Gondel seinen Blikken entfloh. – Ich kann meinem damaligen Zustand noch keinen Namen geben. Ohnehin zur Schwermuth geneigt, kränkten mich die Leiden des Hinterlassenen bis zur tiefsten Melankolie! – Warum mußte ich denn die lezten Tage meines Aufenthalts noch diese gute Seele kennen lernen? – Ohne ihn würde ich Venedig gleichgültig verlassen haben; – und durch ihn wird mir doch das Andenken an diese Stadt theuer. – Bald wird er mir schreiben, ich werde ihm mit Vergnügen antworten. Dies ist doch alles, was ich in dieser Lage für ihn thun kann! –

Unter solchen finstern Phantasieen langte ich in Padua an. Aus Zerstreuung eilte ich ins Schauspiel, und fand es eben so schlecht bestellt, als in Venedig. – Da der Wagen erst des andern Morgens spät abfuhr, so trieb mich die Langeweile in die Kirche des heiligen Antonius. Das Gebäude ist majestätisch schön, groß, aber etwas düster. – Das Grabmal des ebengemeldten Heiligen bietet sich dem Auge dar, sobald man eintritt. – Meine Kenntniße in der Baukunst sind zu gering, um dessen Werth beurtheilen zu können. – Die heilige Stille, die in dieser Kirche herrschte, riß mich zur andächtigsten Empfindung hin! – Ich würde sie mit einer tief gefühlten Seelenruhe verlassen haben, wenn mich nicht an der Kirchenthüre die Bettelweiber, Kupplerinnen und andere lüderliche Waare durch ihre unverschämte Zudringlichkeit verstimmt hätten. Dieses Ungeziefer trieb zuvor allerhand ausgelassenes Gespötte, sobald es mich aber über der Schwelle erblikte, so mußte ihm der Namen Gottes zum Mittel dienen, um durch Bettelei meine Ungeduld zu reizen. –

Der italienische Pöbel ist äußerst eigennüzzig; ums Geld ist er zu jeder Niederträchtigkeit fähig. – Die Armuth mag [109] wohl die stärkste Triebfeder dazu seyn; denn mich dünkt, es sind in diesem Lande zu wenig gute Anstalten, um dem Hunger vorzubeugen. – Unter dergleichen und mehr Gedanken kam ich mit Gretchen zu dem Postwagen. – Keine andere Seele saß darinne, ich hatte bis Verona Muße genug meinen Grillen nachzuhängen. – Der alte Kaufmann war von meiner Ankunft unterrichtet, und empfieng mich sehr artig. – Ich bat ihn, mich in die sogenannte Recca zu begleiten. Ein großes Thor führte uns an den Ort, wo die Alten ehedessen ihre öffentlichen Thierhezzen hielten. Der Anblik dieses großen runden Plazzes durchschauderte meine Seele! – Lebhaft zeigte mir da meine Einbildungskraft die von Christenblut gefärbte Erde! (Denn man sagt, daß hier die Christen mit den wilden Thieren kämpfen mußten.) Mitten darinn ist ein tiefer Brunnen, und rings umher sind stufenweise gebaute Mauern, worauf die Zuschauer saßen, und deren Gewölber die tiefsten Kerker in sich schließen. Ich wagte es mit einem Blik diese fürchterlichen Gefängniße zu übersehen. – Aber Entsezzen überfiel mich bei dem Andenken jener Unglüklichen, die vorzeiten als Märtirer da büßen mußten! – Von da giengen wir auf die Akademie, die bei ihrem kleinen Umfange doch sehr artige Alterthümer enthält. Am Ende sah ich dann in einem Bürgershause ein prächtiges Naturalien-Kabinet, dessen Sammlung ausnehmend schön, und wie mich dünkt, so ziemlich vollständig ist. – Da es aber anfängt spät zu werden, so muß ich wohl meine Reisebeschreibung für heute beschließen. –


Am folgenden Tage.

Diesmal war der Postwagen dicht angefüllt. – Einige Kaufleute, eine italienische Dame, nebst einem barmherzigen Bruder aus M.... waren meine Gesellschafter. Die Dame war jung, schön und feurig, schien aber nicht in den beßten ökonomischen Umständen zu seyn. – Sie saß an meiner [110] Seite und schmiegte sich nahe an mich hin. – Die muß eine große Liebhaberin von teutschen Milchbärten seyn: fiel mir dabei ein, und ich lies sie bei ihrer Täuschung. – Einige aus der Gesellschaft erriethen unerachtet meiner Verkleidung bald mein Geschlecht; nur die Dame und der barmherzige Bruder schienen mich für einen Jüngling zu halten. – So oft wir ausstiegen, hieng mir das Weib am Arme. – In jedem Gasthause fieng ich an mit den Aufwärterinnen zu schäkkern, um der Verlegenheit zu entgehen, in die mich ihre Zudringlichkeit sezte. Aber auf einmal überhäufte mich die eifersüchtige Italienerin mit Vorwürfen.

Sie sprach: Wenn alle Teutschen so grob sind, gemeine Dirnen Damen von Stande vorzuziehen, dann wünsche ich mir lieber einen italienischen Handwerkspurschen an die Seite! –

Ich
Madame! – Meinen Sie mich? –
Dame
Wen sonst, als Sie? – Sie zeigen sehr wenig Erziehung. –
Ich

Madame! – Ich bin frei geboren, philosophisch erzogen, und halte nur dasjenige für grob, wozu keine Zudringlichkeit uns zwingt; da ich nicht das Glük habe mit Ihnen in einiger Verbindung zu stehen, so kann ich auch leicht der Ehre entbehren, der Vorgänger eines italienischen Handwerkspurschen zu werden. –

Dame

Höflichkeit steht aber einer jeden Nazion gut; Sie sollten sich schämen, das für Zudringlichkeit zu halten, was vielleicht ein anderer für sein größtes Glük schäzzen würde. –

Ich

Was Andere thun, geht mich nichts an; auch hat das Glük bei Frauenzimmern gar verschiedene Farben. Uebrigens glaube ich gerne, daß Madame Verdienste besizzen, [111] die meine blöden Einsichten überwägen. – Schieben Sie mein Betragen auf die Kälte meines Temperaments, das den meisten Teutschen angeboren ist. – – Was? den Teutschen angeboren? – schrie ein junger Gek aus vollem Halse aus einer Ekke der Stube hervor, und lies dabei auf die Dame einen feurigen Blik schießen. – Da irren Sie sich sehr, mein Herr! – Es giebt Teutsche, denen es nicht am Feuer fehlt. – – – Dreissig, vierzig, fünfzig, sechszig Zekini und meiner Margreth einen Unterrok, wenn wir des Handels einig werden wollen! – So träumte izt ein schlafender Kaufmann. – Ein allgemeines Gelächter unterbrach nun unsern Streit, und die Dame kneipte mich zum Zeichen der Aussöhnung in die Bakke. Sie schien mein Feuer durchaus nicht bezweifeln zu wollen. – Die Neigung dieses Weibes fieng an mir zur Last zu werden; ich zitterte vor ihrer Rache, und hatte doch nicht den Muth ihr mein Geschlecht zu entdekken; ich dachte hin und her, wie ich mich, ohne öffentliches Aufsehen zu erregen, aus der Schlinge ziehen möchte, als sich auf einmal jener junge Gek, der zuvor das teutsche Feuer vertheidigt hatte, zu ihr hinschlich, und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Es muß meine Verkleidung betroffen haben, denn sie warf mir einen grimmigen Blik zu, und eilte an seinem Arm schnell in ein Seitenzimmer. In wie weit sie da ihren Streit über die Kälte des teutschen Temperaments entschieden haben, kann ich nun nicht mehr erfahren, denn ich nehme Extrapost, schikke mein Gretchen seitwärts, und eile zu Dir. – Du erhältst diesen Brief noch ehe ich ankomme. Lebe indessen wohl, meine Theuerste, und liebe


Deine Amalie. [112]

112. Brief. An Fanny
CXII. Brief
An Fanny

Theure Herzens-Freundin! –


So bin ich denn wieder auf einmal deinen liebevollen Armen entrissen! – Wie kurz dauerte dieser entzükkende Traum; und wie viel Wonne genoß ich doch in diesen wenigen Tagen an deinem Busen! – Sag deinem Karl alles Schöne von mir... O es ist ein vortreflicher Junge, ganz deines Herzens würdig! – Gäbe doch der Himmel euch beiden bessere Aussichten, so wäre auch mein ungewisses Schiksal gehoben. – Wien gefällt mir recht wohl; nur wird mein hiesiger Aufenthalt durch ökonomischen Kummer getrübt. – Meine Ahndung ist erfüllt! – Lies hier den Brief meines Oheims. –


Liebste Nichte!


Mein Vaterherz möchte zerspringen, wenn ich die Umstände überdenke, die mich außer Stand sezzen, dich fernerhin zu unterstüzzen. Die hinterlassenen Schulden deines Mannes sezzen mich täglich mehr in Verlegenheit. Sie dringen auf Bezahlung und da ich Bürgschaft leistete, so kann ich ohne mein Ansehen zu verlezzen, sie zu keiner Geduld mehr verweisen. – Du weißt, daß die Summe groß ist, und ich werde mich lange einschränken müßen, um sie wieder einzubringen. – Fasse dich, meine Liebe, und suche irgendwo als Gouvernantin unterzukommen. – Hier und da werde ich trachten, dir noch kleine Unterstüzzungen zufließen zu lassen, aber deine Bedürfnisse standsmäßig zu bestreiten, steht leider nicht mehr in meiner Gewalt, so sehr ich es auch mit meinem gefühlvollen Herzen wünsche!


Dein beßtgeneigter Oheim,

.....


[113] Siehst Du, meine Freundin, wie das Schiksal mich Schlag auf Schlag verfolgt? – O, meine Fanny, der Kummer preßt mich heute zu sehr, um Dir mehr sagen zu können, als daß ich mit Schwesterliebe bin


Deine Amalie.

113. Brief. An Fanny
CXIII. Brief
An Fanny

Ich habe Dir mit Vorbedacht schon einige Wochen nicht mehr geschrieben, um Dir doch etwas mehreres von meinem Schiksal berichten zu können. – Glaubst Du wohl, daß es mir hier mit einer Gouvernantenstelle gar nicht glükken will? – Troz aller Mühe, nebst den beßten Empfehlungen werde ich überall abgewiesen. – Der einen Dame bin ich zu jung, der andern zu teutsch, der dritten zu lebhaft, der vierten zu belesen, u.s.w. O! was ich mich über diese adelichen Dummköpfe ärgerte! – Ich gehe izt ganz von dem Gedanken ab, je wieder solche Dienste zu suchen, wo man so sehr mit Weiberdummheit zu kämpfen hat. – Und was meinst Du wohl, was für einen Stand ich izt wählen will und wählen muß, aus dringender Noth wählen muß! – Erschrekke nicht bei dem Wort Theater; habe Mitleiden mit mir, und urtheile ohne Vorurtheil. – Du kennst meine gute Anlage so wie meinen leidenschaftlichen Hang zu dieser Kunst. – Nun kömmt gar das Schiksal noch dazu; wie kann ich also in einer solchen Lage anders? – Mich Jemanden anzuvertrauen, wäre für mich zu bitter. – Ich muß, meine Fanny, ich muß; mir bleibt sonst nichts übrig, als die äußerste Dürftigkeit. – Sey versichert, daß es meinem Herzen nicht schaden soll. – Es ist freilich ein Plaz, wo jeder gute Karakter Gefahr läuft verdorben zu werden: – aber bei meinen festen Grundsäzzen [114] darf ich es kühn wagen. Der Anblik so vieler Ausschweifungen wird mich noch mehr zum Denken leiten; und Denken ist der sicherste Weg zur dauerhaften Rechtschaffenheit. Täglich erwarte ich die Erlaubnis meines Oheims zu diesem Schritte. – Er ist ein Mann ohne Vorurtheil, und so schwer es ihm auch ankömmt, so wird er es doch bei diesen dringenden Umständen zugeben. – Auch dein Gutdünken erwartet


Deine beßte Amalie.

114. Brief. An Amalie
CXIV. Brief
An Amalie

Gott im Himmel! – was ist das? – Du auf die Bühne? – Du aus Noth an einen Plaz hingestellt, wo jeder Weichling seinen wollüstigen Scherz an Dir kühlen wird! – O, das hat mich ganz zu Boden geschlagen! – Ich verwünschte im ersten Augenblik dein und mein Schiksal! – Ich war untröstlich, weil ich die bittern Folgen zum voraus sah, die Du wirst dulden müßen. – Nicht Vorurtheil gegen den Stand, aber gegen die, die ihn zum Dekmantel brauchen, ist es, was mich darwider eifern macht. Gott! – was wirst Du da alles ertragen müßen! – Neid, Verfolgung, Unterdrükkung und alle erdenkliche Mishandlungen werden dein Loos seyn. Dein Herz wird zwar nichts dabei verlieren; Du kennst die Welt zu viel, um Reize an ihr zu finden. Aber bedenke einmal die schröklichen Kabalen, die oft unter dem Publikum herrschen, wenn eine Schauspielerin sich nicht jedem Wollüstling Preis giebt, – und dann die schlechten ökonomischen Umstände, in denen sich die meisten Schauspielerinnen durch ihre schlechten Besoldungen bei herumirrenden Gesellschaften befinden. – Sie erhalten ja kaum so viel, um sich ernähren zu können; – und wo[115] bleibt denn der Puz, den sie bestreiten müßen? – Gehört da nicht ein fester Karakter dazu, um sich über das alles wegsezzen zu können? – O Amalie! – Amalie! – Bedenke es wohl! – Könnte ich Dich an meinen Busen zurükrufen! Wäre ich unabhängig, wie bald solltest Du bei mir seyn! – Ist Dir mit einer kleinen Hülfe gedient, so will ich Dir mein Spielgeld schikken. – Großer, gütiger Gott! warum bin ich izt noch nicht die Gattin meines Karls! –

Wenn es doch nicht anders seyn kann, so waffne Dich mit Standhaftigkeit; sey munter, und betrette die Bühne mit einem edeln Selbstgefühl; damit Du Dich auszeichnest von jenen unverschämten Buhlerinnen, die mit frecher Stirne auf Eroberung ausgehen. – Es muß in dem Wesen einer gutgezogenen Schauspielerin ein gewisses Etwas liegen, das den meisten Zuschauern Hochachtung einflößt. – Sanfte Bescheidenheit entwischt dem Auge des Kenners nie. Du hast ohnehin zuweilen einen tiefsinnig leidenden Blik an Dir, der den Zuschauer für Dich einnehmen wird. – Laß deine Lebhaftigkeit nicht zu viel hervorblikken, sie könnte Dir den Schein des Lasters geben. Und dann wandle hin mit meinem Segen an einen Ort, an den ich nicht ohne Thränen denken darf! –

Fanny.

115. Brief. An Fanny
CXV. Brief
An Fanny

Edle Freundin! –


So sehr mein Herz blutet, meinem Schiksale folgen zu müßen, so will ich Dir dennoch eine sehr komische Unterredung zwischen mir und dem Direktor der Gesellschaft erzählen, unter der ich nun bald werde aufgenommen werden.

[116] Ich
Mein Herr! ich bin Schauspielerin, und wünsche bei Ihnen aufgenommen zu werden.
Direktor

Legen Sie ihren Mantel ab und lassen Sie sehen, ob Sie keine Kissen in der Schnurbrust tragen, ob Sie gut gewachsen sind, ob Sie einen schönen Fuß, eine schöne Hand haben. –


(Nun drehte er mich rund um, und fuhr fort) Ihr Wuchs mag gut seyn! – Aber schminken müßen Sie sich, denn ihre dunkelrothen Wangen sind bäurisch. –

Ich

Mein Herr! Sie scheinen Fleischhakker gewesen zu seyn, daß Sie mich von oben bis unten so betrachten, als ob Sie mich zur Schlachtbank führen wollten.

Direktor

Ja, meine schöne Madame! – das müßen Sie sich nicht verdrießen lassen! Unser einer muß gar genau auf eine schöne Figur sehen, wenn er sein Geld nicht einbüßen will.

Ich
Sie handeln also mit schönen Körpern, und treiben die Kunst blos zur Ausrede? –
Direktor

Die Sprache ist mir zu hoch, und ich nehme nicht gerne so schnippische Aktrisen an. – Wenn Sie bei mir bleiben wollen, so müßen Sie nicht böse werden, wenn ich auch noch mehrere Untersuchungen anstelle. –

Ich
Nur keine wider den Wohlstand, dann erlaube ich Ihnen jede andere Frage. –
Direktor

Sind Sie schon auf einer andern Bühne gewesen? – Wo? – Wie lange? – Und was haben Sie denn da gespielt? –

[117] Ich

Ich stund schon zwei Jahre in St... (das mußte ich sagen, um nicht als Anfängerin gehunzt zu werden,) und spielte immer erste Rollen. –

Direktor

Ja! erste Rollen, die kann ich Ihnen nicht immer geben! – Doch wir wollen sehen, ob Sie dem Publiko gefallen. – Was wollen Sie Besoldung? –

Ich
Wöchentlich neun Gulden. –
Direktor
Sind Sie toll? – Ich gebe keinen Heller mehr als sechs Gulden, und wenn Madame Sakko selbst käme!
Ich
Darum wollen wir uns nicht streiten; nur bitte ich mir mehr Zutrauen aus! –
Direktor
Zutrauen! – Ja, das sollen Sie haben; aber können Sie auch lesen? –
Ich
Herr!!! –
Direktor

Nur nicht so hizzig! Ich habe noch selten eine Aktrise gehabt, die lesen konnte. Und hier zu Lande können ohnehin die wenigsten lesen. Der Souffleur muß Ihnen die Rollen eintrichtern.

Ich
Ha, ha, ha! –
Direktor
Nu! was lachen Sie denn so? –
Ich

Ueber die sauberen Schauspielerinnen, die ihr Talent der Barmherzigkeit des Souffleurs abborgen! – Das[118] müßen doch allerliebste Schulfrazzen seyn, die alles aus einem andern Hirnkasten mechanisch daherplappern. –

Direktor
Und ich kann Sie doch versichern, daß meinen Aktrisen allezeit rasend Beifall zugeklatscht wird.
Ich
Ja, mein Herr! das glaub ich gerne; aber der Beifall gilt nur selten der Kunst. –
Direktor

Genug, wenn Sie Lust haben, so komme ich morgen mit einem Theaterkenner zu Ihnen, und wir sprechen das weitere. –

Ich
Ich will Sie erwarten. – Leben Sie wohl! –

Warte Dummkopf, du sollst es bekommen; und den nemlichen Abend machte ich noch folgenden Aufsaz. –

»Wenn ein Schauspiel-Unternehmer seiner Bühne mit Ehre und Vortheil vorstehen will, so muß er die Schauspielkunst selbst aus dem Grunde studiert haben, sonst scheitert in der ersten Woche schon seine Ehre nebst dem Kredit. – Streng muß er unter seinen Leuten auf Zucht und gute Sitten halten, – sonst versäumt er den moralischen Endzwek und wird ein privilegierter Bordellwirth. – Gute Wirthschaft muß er nicht mit dem Schweis seiner Untergebenen treiben, die ihm eben darum blos aus Hunger arbeiten, und das gute Publikum um sein Geld betrügen. –

Partheilichkeit im Rollenaustheilen, Kabale, Feindschaft soll er durch sanfte, vernünftige Leitung zu verhindern suchen, sonst stürzt sein ganzes Gebäude zu sammen, eh es völlig aufgeführt ist. – Wenn ein Unternehmer nicht selbst Lektur genug hat, um gute Stükke und wakkere Schauspieler zu wählen, so gebe ich für seine ganze Unternehmung nicht einen Kreuzer. – Leider sind dermalen [119] nur zu viele Unternehmer, die Oberherren einer Zigeunerbande, die auf schmuzzige Abentheuer herumzieht. – –«

Fertig ist jezt mein Aufsaz, und morgen soll der Tölpel tüchtig für seine tolle Frage dadurch beschämt werden! – O ich kann den morgenden Tag kaum erwarten! – – – Holla, man pocht.... Nur herein! – – –


Ah ha! – Sind Sie es Herr Direktor? – Noch so spät habe ich die Ehre? – Ich habe Sie erst morgen erwartet. –

Direktor

Ja, morgen habe ich zu viel Geschäfte; und ich habe die Ehre Ihnen diesen Abend noch diesen Herrn aufzuführen. Lassen Sie uns hören, ob wir des Handels einig werden können. –

Ich

Zweifle gar nicht daran; – nur erst eine Bitte! – Da hat man mir heute diesen Aufsaz zugeschikt; wollten der Herr Direktor wohl die Gefälligkeit haben und mir ihn vorlesen.

Direktor
Ich Madame? – Ich? –
Ich
Ja, Sie! – Wenn Sie so gut seyn wollen. –
Direktor

Ja, sehen Sie... ich... ich... (jezt rieb er sich die Augen) ich kann die kleine Schrift nicht lesen; – denn meine Augen sind etwas schwach.

Ich

Ei was Augen! – Ei was kleine Schrift! – Kommen Sie, kommen Sie; stellen Sie sich doch gerade, als ob Sie nicht lesen könnten. –


Dann hielt ich ihm den Aufsaz mit Gewalt vor die Nase, und er fieng an zu lesen:


[120] We...nn ... We...nn ... We...nn e...in ... ei...n ein Unter... Unter... nehmer... Unternehmer –


Der Fremde lachte izt aus vollem Halse, nahm den Auffaz, und las ihn selbst vor. – »Eine schöne Moral! – merken Sie sich's, Herr Direktor, und fragen Sie Madame nicht weiter unüberlegt; Sie sehen izt, wie viel Talent dieses Frauenzimmer hat. – Handeln Sie würdig gegen sie; sie verdient es. –«


Ach ja! – (seufzte der gute Jost von Bremen) – und beide empfahlen sich. – Bald hörst Du das Weitere von


Deiner Amalie.

116. Brief. An Fanny
CXVI. Brief
An Fanny

Meine Liebste! –


Die Abreise der Schauspieler-Gesellschaft wurde festgesezt, der kleine Zug gieng nach S.... Ich genoß den Vorzug mit dem Direktor und seiner Favoritin zu fahren. Die Reise endigte sich mit ziemlichen Anstand. – Das erste Stük wurde gewählt, und die Hauptrolle darinn mir bestimmt. – Ich hatte diese Rolle zum voraus schon studiert, um glauben zu machen, als ob sie von mir schon anderswo gespielt worden wäre. – Die Favoritin, eine kleine dikke Kokette, die den Direktor unter ihren Pantoffel schiebt, hat die Direktion dieser Gesellschaft. – Sie zeigte ihre Herrschsucht besonders bei den Proben; machte dummdreiste Anmerkungen, hunzte die Schauspieler, lies aus Bosheit Szenen wiederholen, u.s.w.; nur mich ganz allein schonte sie, weil ich ihr fühlen lies, daß ich ihrer Führung gar nicht bedürfte. – Der Abend war herangerükt, das Schauspielhaus angefüllt; mir [121] pochte das Herz; meine Rolle nahm ihren Anfang, aber kaum hatte ich eine Stelle geendigt, so schallte schon lauter Beifall über und über. – Die feierlichste Aufmerksamkeit herrschte während meines Spiels. – Die Rolle harmonierte mir meinen Leidenschaften, sie war tiefsinnig schwärmerisch. – Diese Uebereinstimmung der Affekten war es, die in mir alle Theaterfurcht übertäubte. Ich genoß jene Wonne, die ein heimlich Leidender immer genießt, wenn der innere Gram durch heftigen Ausbruch Luft bekömmt.

Kein Mensch kam auf den Einfall in mir eine Anfängerin zu vermuthen. Das Publikum vergaß über dem Feuer meiner Deklamazion die Unrichtigkeit des Theaterspiels. – Meine zu Boden gesenkten Augen hielt man für die Folge einer hervorragenden Schwermuth, die mir durch Temperament eigen zu seyn schien, und die so gut zu der traurigen Rolle paßte. – Nun gieng das Schauspiel zu Ende, der Direktor kneipte mich in die Bakke, seine Favoritin rümpfte die Nase, die Schauspielerinnen flüsterten ihren Neid hinter den Koulissen aus – und ich gieng demungeachtet vergnügt auf mein Zimmer. – Der Beifall des Publikums schmeichelte mir zu sehr, um ihre Misgunst zu fühlen. – Aber wenig Tage hernach mußte ich eine etwas kältere Rolle spielen, worinnen meine heftigen Leidenschaften keine hinlängliche Beschäftigung fanden; dann fühlte ich zum erstenmal die Furcht einer Anfängerin in mir. – Doch verlies mich die Gegenwart des Geistes nicht, und niemand wußte, was in mir vorgieng. – Ob es aber in Ansehung der Oekonomie in die Folge bei dieser Gesellschaft Dauer haben wird, daran zweifle ich sehr. – Weiberregiment und schlechte Anstalten drohen ihr den baldigen Sturz; – bis izt erhielte ich meine richtige Bezahlung; aber: – aber... – Die eitle Favoritin spielte lezthin eine meiner Rollen, wurde aber durchs misvergnügte Publikum mit Auspfeifen zu Hause geschikt. – Nun rast sie furienmäßig, [122] und schreit es für angezettelte Kabale meiner Anbeter aus, ob ich gleichwohl noch keine männliche Seele auf meinem Zimmer sah. – Das Laster ist gar zu sehr geneigt, seines gleichen zu suchen. – Unter der ganzen Gesellschaft ist nicht eine Seele, mit der ich Umgang haben möchte. – Sie schrieen mich meiner einsamen Lebensart wegen für stolz aus, und nekken mich hier und da so viel sie können. – Gott gebe mir Standhaftigkeit, es ferner zu ertragen. – Sollte während dieser Zeit eine Veränderung vor sich gehen, so sollst Du es erfahren von deiner Freundin

Amalie.

117. Brief. Fanny an Amalie
CXVII. Brief
Fanny an Amalie

Beßte Amalie! –


Du hast ihn also wagen müßen den Schritt zum Theater! – Du, ein Mädchen von gutem Herkommen, mußtest Dich dem Urtheile eines Dummkopfs Preis geben, um eines Bissen Brodes willen, der Dir nebst deiner harten Arbeit noch schröklich vergällt wird. – Gott! – wie verschieden sind doch Menschenschiksale! – Kann es eine größere Demüthigung geben, als aus Noth, der Dummheit, dem Neid, der Bosheit, dem Laster, der Verfolgung seinen Nakken darbieten zu müßen? – Und dies, armes Weibchen, ist jezt dein Loos! – Doch wann der Mensch Vernunft besizt, so weis er auch dieses zu ertragen; er wird mit Gewalt philosophisch. – O Theuerste! – die Vorsicht wacht über Dich, laß dich nicht beugen.

Der Beifall, den Du bei deinem Debut erhieltst, freut mich eben so sehr, als mich der Neid schmerzt, der Dich schon [123] im Anfange zu verfolgen beginnt. – Dieser abscheuliche Entehrer der Menschheit wütet beim Theater am ärgsten! – Ich glaube nicht, daß bei der Bühne in die Länge ein einziges Herz unverdorben bleiben kann. – Führt nicht der Neid immer eine Reihe anderer Laster mit sich? – Gar zu selten trift man einen Schauspieler, dessen Herz nicht voll Vertilgungsgeist ist; besonders sind die Weiber beim Theater äußerst zur Bosheit geneigt. Sie hängen sich gerne an die Wollust des Direktors, um andere Schauspielerinnen desto gräßlicher verfolgen zu können. – Die schmuzzigste Buhlerin wird nur zu oft der wahren verdienstvollen Schauspielerin vorgezogen. – Es geschehen Dinge beim Theater, die schnurstraks der gesunden Vernunft und der guten Ordnung zuwider sind. –

Möchtest Du, Edle, nie mehr erfahren, als Du izt schon weißt! – Möchtest Du bald wieder diesem elenden Stande entsagen können! – O wie feurig wird deine Freundin den Himmel um diese Wohlthat anflehen! – Deine liebende

Fanny.

N. S. Mein Karl grüßt Dich herzlich. –
118. Brief. An Fanny
CXVIII. Brief
An Fanny

Gott wolle mich ferner vor dergleichen Schauspieler-Gesellschaften bewahren! – Ich gerieth unter ein wahres Gesindel. – Einige davon wagten es sogar unter einer Ausrede in mein Zimmer zu schleichen, von meiner Toilette Silberzeug wegzukapern, Geld und Kleider von mir auszuleihen, wofür ich von diesem Lumpengepak nie wieder einen Ersaz zu hoffen habe. Das Elend dieses Volks hat seinen äußersten Grad erreicht. – Meine Ahndungen sind erfüllt. Der Direktor hat Bankrott gemacht. – Die Schuldner nahmen [124] ihm sogar seine Garderobe hinweg. Einige von der Gesellschaft können kaum mehr ihren Hunger stillen; und doch läßt sich dieses Volk durch einen teuflischen Leichtsinn beherrschen. – Ich würde unsinnig, wenn mich die Schande alle träfe, die diesem Gesindel von seinen Gläubigern zu Theil wird. –

Der Pöbel ist doch ein unverschämtes Wesen; wälzt sich im Kothe, ohne es zu fühlen. – Unser Direktor mit seinem Konkubinchen gedenket wieder nach Wien zurükzukehren. – Auch ich führe das Nemliche im Sinn, und will Dir in wenig Tagen, ehe ich diesen Brief schließe, das Weitere von meinem gefaßten Entschluß melden. –

Das gute Glük schikte dem Direktor eine Retourkutsche zu, und ich entschloß mich in seiner Gesellschaft zu fahren. – Als wir drei kaum im Wagen saßen, machte uns ein lauter Lärm aufmerksam. – Wir strekten unsere Köpfe heraus, und sahen einen tollen Auftritt. –

Zween von unsern Schauspielern balgten sich mit einigen Handwerksmännern gewaltig herum. – Ein Schuster hatte dem einen die unbezahlten Stiefel ausgezogen, und ein Schneider dem andern die Weste. Nun stunden die lokkern Hallunken halb entkleidet da, und schämten sich nicht vor den Gassenbuben, die sie mit Koth warfen. – Um der öffentlichen Schande, die uns alle traf, ein Ende zu machen, rief ich die Gläubiger vor den Wagen hin, und bezahlte die kleine Summe; – dann liefen diese Bursche singend und pfeifend neben unserm Wagen her, bis wir den ersten Gasthof erreichten, wo es dem Direktor zukam seine hungerigen Gäste zu füttern, ob er gleichwohl nicht einen blutigen Heller in der Tasche hatte. – Der leichtgläubige Strohkopf verlies sich auf die Börse seiner Favoritin; aber die Mahlzeit war geendigt, und sie blieb ihm verschlossen. – So zeigt sich im Nothfall das Herz einer Kokette! – sagt ich ihm ins Ohr – und drükte dabei eine kleine Summe in seine Hände. – Der [125] Mann fühlte innig meine Handlung! – Sein Dank hätte mich beinahe verrathen. –

So gering diese Ausgaben auch waren, so fühlte ich sie in meiner Lage doch. – Eine kleine Unterstüzzung, die ich von meinem Oheim erhielt, hat mich wieder dafür entschädigt. – In wenig Tagen reise ich nach P.... vielleicht gelingt es mir auf einem großen Theater besser; und ich kann Dir dann in Zukunft vergnügtere Nachrichten mittheilen.

Deine Amalie.

119. Brief. An Fanny
CXIX. Brief
An Fanny

Wie ich nach P.... kam, brauchst Du wohl nicht zu wissen, die Reise ist zu klein und zu unbedeutend; was aber da mit mir vorgieng, mag jede brave Schauspielerin zur Warnung lesen, damit sie sich vor einem solchen flegelhaften Direktor hüten möge, wie mir einer aufsties – Als ich in seine Wohnung eintrat, schnurrte mir ein Bedienter im Vorzimmer entgegen. –

»Mein Herr ist heute nicht zu sprechen! –«

Und warum denn nicht? –

»Weil der Namenstag der Mad. K... gefeiert wird. –«

Ei! wer ist denn die Mad. K...?

»Eines andern dummen Kerls sein Weib – aber izt die Favoritin des Direktors und eine sehr gute Komödiantin, sie spielt alle ersten Liebhaberinnen.«

Daß dich doch! – so finde ich denn überall lauter Favoritinnen! – Nun da komme ich wieder schön an. – Hier, mein Freund, etwas weniges für seine Aufrichtigkeit; – aber sag er mir doch, war diese Mad. K... nicht ehmals Mätresse eines gewissen Kardinals? –

[126]

»Ja freilich ist das die nemliche – aber Sie müßen mich nicht verrathen; sie hat diesen Kardinal völlig ausgesogen, er stekt izt in Schulden bis über die Ohren – und sie mag ihn nun auch nicht weiter. – Dann kam sie hieher, schikte sich fürs Geld in alle Stände, niedrig und hoch, wie sie kamen; Bedienten, Kavaliere, Handwerkspursche, Fuhrknechte, Pfaffen, Studenten, Juden, Alles hatte freien Zutritt; bis sich endlich unser Herr – der sein armes Weib in Hamburg im Elend sizzen läßt, in sie verliebte. – Und nun thut sie den ganzen Tag nichts – als uns arme Teufel plagen, dem Herrn Hörner aufsezzen, mit dem Grafen K.... spazieren fahren, von den andern Schauspielerinnen Handküße mit stolzer Miene empfangen – und spielt alle Rollen, die ihr gefallen. –«

Genug für einmal! – dachte ich mir, und gieng nach meinem Gasthof. – Des andern Tags lies mich der Grobian von Direktor erst eine Stunde im Vorzimmer passen, eh es ihm gefiel mir seine plumpe Herrlichkeit zu zeigen, die noch äußerst nach der Werkstätte roch, wo er ehedessen im Eisen gearbeitet hatte. – Endlich öffnete sich auf einmal der Tempel des Hochmuths; ich sah eine aufgeblasene, hochnasigte, vierschrötigte Figur im Sessel sizzen, die mich kaum des Dankes würdigte. –

»Herr, ich bin Schauspielerin! –« fuhr ich zornig heraus, weil mir der Handwerksflegel keinen Stuhl anbot.

»Kann wohl seyn, daß sie Schauspielerin ist« (antwortete der unverschämte Kerl, der sich der einzige geschikte Schauspieler zu seyn dünkt – und seine Rollen doch dabei so affektirt herunterschnarrt, wie der ärgste Stuzzer, der bei der Toilette einer eiteln Dame durch diese Mode-Gewohnheit sein Glük machen will. Alles, was dieser Hasenfuß spielt, trägt das Gepräge des Hochmuths an sich, in jeder Rolle sieht man diese Leidenschaft hervorblikken. – Despoten, stolze Narren [127] spielt er mit vieler Natur; ob er gleich den Muth hatte unsern unsterblichen Schröder in seiner Kunst anzugreifen, und ihm aus Neid den Beifall in Wien streitig machen wollte. – Doch nun wieder auf meine Antwort, die ich ihm gab:)

»Herr! wollen Sie bewiesen haben, daß ich Schauspielerin bin, so lassen Sie mich debutiren. –«

»So etwas erlaube ich bei meiner Bühne durchaus nicht.«

»So despotisch kann nur ein Monarch sprechen, und kein Direktor, der vom Publiko abhängt! –« In vollem Zorn schlug ich ihm die Thüre vor der Nase zu, und gieng zu Herrn von H..., der mir ohne Anstand einen Debut zusagte. O dann fieng der Direktor und sein Kebsweib vollends zu rasen an, zettelten unter dem Publikum Kabalen wider mich an, so viel sie nur konnten. Ich lies dem boshaften Kerl verschiedene Stükke vorschlagen, worinnen gute Rollen waren, aber sie wurden mir unter verschiedenen Ausreden von ihm versagt. – Ich mußte am Ende in einer Rolle auftretten, die nicht so empfehlend für mich war, als ich sie gewünscht hatte. – Demungeachtet entschloß ich mich troz aller Kabale zum Debut. Der Zufall wollte es, daß sich gerade zu dieser Zeit die meisten Herrschaften auf dem Lande befanden, und die Zuschauer bestunden meistens aus zügellosen Offiziers und Schulbuben; nur in den vordern Logen schienen stille Kenner des Theaters zu sizzen. Wie man mein Spiel aufnahm, sollst Du hernach hören; izt zur Probe des Stüks zurük, die am gleichen Tage meines Debuts gehalten wurde. – Als ich in das Schauspielhaus eintrat, saßen die mitspielenden Personen in der Garderobe, und bewillkommten mich mit lautem Gelächter. – Eine gewisse Kreatur Namens R..., und ihre Konsortin Z... spieen ihren giftigen Geifer gerade so zügellos über mich aus, wie es einer ausgeschämten Zuchthaus-Kandidatin eigen ist, die einige Jahre zuvor zum Schubkarrenziehen nach Temeswar mit andern H.... verurtheilt [128] war. – Es erinnern sich einige Leute noch recht gut, wie eben diese saubere R... wegen lüderlicher Aufführung P... verlassen mußte. – Es ist zu wünschen, daß sie sich izt in Rußland besser aufführt. – Wer beim Theater sein Brod suchen muß, hüte sich vor den zwei Schandweibern R... und Kr... Selbst die Hölle speit keine schwärzern Kreaturen aus, als diese zwei Weiber sind. Die leztere wird zwar für ihr Lasterleben hinlänglich gestraft, sie zigeunert als Thaliens Lastträgerin bei kleinen Gesellschaften im Lande herum. –

Doch izt zu meinem Debut. – Kaum erblikte man meinen Kopf, – noch hatte ich kein Wort gesprochen, so gieng es schon an ein Räuspern, an ein Sumsen im Parterre, als ob die Kabale Luft hätte, mir den Hals umzudrehen, noch eh ich zu spielen anfieng. – Ich gestehe es offenherzig, die Angst stokte meinen Athem, ich spielte nicht so gut, wie ich es sonst in der Gewohnheit hatte; aber die Kabale trieb es auch so teuflisch, das jedes Menschenfreundes Herz geblutet haben muß! – Kaum klatschten einige mir Beifall zu, so trieben die bestochenen Buben so lange ihren Unfug, bis sie den Beifall übertäubt hatten. – Möchte sich jedes fühlende Herz in meine damalige Lage versezzen können und den Jammer empfinden, der meine Seele durchwühlte! – Ich war in einer wilden, verzweiflungsvollen Laune! – Hätte es die Kabale bis zum öffentlichen Auspfeifen getrieben, mein Ehrengefühl würde mich in der Wut zu einer Mordthat verleitet haben. – Doch zum Glük ließ man mich mit getheiltem Beifall durchschlüpfen; besonders wurde meine Geistesgegenwart in einer Stelle äußerst applaudirt, wo die boshafte Z..., als mein Kammermädchen, mir in der Sterbszene den Stuhl wegzog, um diesen Auftritt durch mein Bodensinken ins Lächerliche zu bringen; aber kaum hatte ich die tödtliche Wunde empfangen, so blikte ich rükwärts, gab meinem Körper ein gutes [129] Gleichgewicht, und sank so künstlich auf den Boden hin, daß das Bild unendlich viel dabei gewann. –

Ich duldete mehrere dergleichen Streiche, unter andern spielte der Herr Direktor an meiner Seite den Liebhaber mit halb weggewandtem Gesichte, u.s.w. Endlich gieng das Schauspiel zu Ende, und ich eilte mit zerrissenem Herzen nach Hause.

Ein gewisser Direktor Seipp schreibt mir izt aus Temeswar, und begehrt mich zu seiner Gesellschaft. – In wenig Tagen reise ich dahin ab. Lebe indessen wohl, meine gütige Freundin, und grüße mir deinen Karl tausendmal! –

Amalie.

120. Brief. An Fanny
CXX. Brief
An Fanny

Noch ehe ich P... verlies, konnte ich mich nicht enthalten, folgendes Briefchen an dortigen Direktor zu schreiben. –


Mein Herr!


»So unverschämt und pöbelhaft Sie und Ihre Rotte mich auch immer behandelten, so kann ich doch den hiesigen Ort nicht verlassen, ohne noch ein Paar Wörtchen mit Ihnen zu sprechen. Glauben Sie sicher, Sie hatten es mit keiner Hüttenspielerin zu thun, bei der Sie es wagen durften, ihren lächerlichen Hochmuth blikken zu lassen. Zu Ihrem Stolz stünde bessere Erziehung recht gut; dann würden Sie vielleicht Ihre lüderlichen Untergebenen in den Schranken der Ehrbarkeit zu erhalten wissen, womit Sie fremden Leuten begegnen sollten. Bei den kleinsten Schauspielergesellschaften findet man kaum ein solches boshaftes, [130] muthwilliges Zigeunergesindel, wie das, wovon Sie, mein Herr, das Oberhaupt sind. – Gott möge nie wieder eine gute Seele unter Ihre ausgelassene Bande gerathen lassen! Verzweiflung würde sonst bei so einer schandvollen Behandlung das Loos einer Jeden seyn, die weniger Selbstgefühl im Busen trägt, als ich. – Sie, Herr Direktor, nähren ein Häufchen Lasterhafte, deren gebrandmarkte Herzen einstens zu ihrer Schande ganz aufgedekt werden müßen. – Bühnen, wie Sie eine unterhalten, sind die wahre heimliche Pest in einem Staat, die unter dem Vorwand der Sittenverbesserung jede Moral untergraben. – Blos um in Zukunft einer andern ärmern reisenden Schauspielerin den bei andern Theatern gewöhnlichen Debut auch bei Ihrer Bühne zu eröffnen, habe ich an höhern Orten mit Gewalt auf eine Rolle gedrungen. – Theilen Sie mein mir angehöriges Geschenk unter die Armen aus, damit sie den Himmel um Verbesserung Ihres Herzens anflehen mögen; – überdies schenke ich Ihnen noch den Ersaz der Ausgaben, die mir die Anschaffung des zu meiner gespielten Rolle nöthigen Puzzes verursachte, und die ich über mich zu nehmen gezwungen ward, weil sie mir aus Neid von Ihrer Favoritin versagt wurde. – Ich weis recht gut, daß sie sogar Leute anstiftete, um mich zum Gespötte des Publikums zu einer widersinnigen Kleidung zu bereden. – Aber sowohl diese Kabale, als so viele andere sinnreiche Streiche prellten an mir ab. – Wäre ich Mann, so würde ich für alle die äußerst gallsüchtigen Beleidigungen auf eine andere Art Genugthuung fodern; aber so begnüge ich mich mit der Verachtung, die Sie und Ihre Anhänger verdienen, und die Ihnen hiemit in vollem Mase zusichert«


Amalie *****


[131] So bald ich dieses Briefchen dem Direktor zugeschikt hatte, so reiste ich ab. – – –

Wenn Du die Gegenden in Ungarn kennst, so wirst Du leicht begreifen können, wie langweilig meine Reise war. – Eine sehr schlechte Reisegesellschaft, üble Bewirthungen und die bangste Furcht, als ich über die unermeßlichen entvölkerten Haiden fahren mußte, wurden mir zu Theil. – Wir trafen in den Wirthshäusern meistens Kerls an, die alle Räubern ähnlich sahen. – Menschen, die sich wie das rohe Vieh in ihrem Schafpelz im Schnee hinlagern, und nur bei der Nacht in ihre Hütten kriechen, die alle tief in die Erde gebaut sind. Unter heftiger Kälte und andern Unbequemlichkeiten kam ich endlich in Temeswar an. Herr Seipp nebst seinem Weibchen empfiengen mich sehr gut. – Sie ist ein Fräulein von K.... aus P... und verräth viel Erziehung; – er, ein vernünftiger, einsichtsvoller, auf Ehre haltender Mann, ein braver Schauspieler, hält streng auf gute Ordnung, versteht das Theaterwesen vollkommen, ist selbst Dichter und der Erfinder der beßten Einrichtung, die ich noch jemals bei einem Theater antraf. – Einige lüderliche Schauspieler wollen ihm keine Gerechtigkeit wiederfahren lassen, weil er ihre Sitten sowohl, als ihre elenden Fähigkeiten zu verbessern suchte. – Ich kann Dir aber auf Ehre versichern, daß er und sie meine völlige Hochachtung gewonnen haben. – Sie ist ein gutes wirthschaftliches Weibchen – liebt ihren Mann – hat Theatertalent und Kopf. Kurz, beide sind ein wahres Muster moralischer Sitten, woran sich so viele andere spiegeln könnten; sie söhnen mich wieder ganz mit der Bühne aus. – Gespielt habe ich hier noch nicht, weil die Gesellschaft gerade auf dem Punkt steht, nach Herrmannstadt abzureisen. So bald wir dorten sind, beschreibe ich Dir unsere Reise. – Schreib Du auch bald wieder

Deiner beßten Amalie. [132]

121. Brief. An Amalie
CXXI. Brief
An Amalie

Um Gottes willen, Freundin! – was hast Du seither nicht alles erlebt, und wie weit bist Du izt von mir entfernt! – Nicht wahr, meine Gute, ich habe Dir die schröklichen Theaterschiksale zum voraus verkündigt. – Alle nur möglichen Niederträchtigkeiten scheinen diesen Leuten von Natur anzukleben; sie lassen ihre Herzen so tief im Morast versinken, daß ihnen alle Laster zur kalten Gewohnheit werden, womit sie Tugendhafte tirannisiren, wenn diese das Unglük haben unter sie zu gerathen. –

In diesem Stande sind gute Ausnahmen von rechtschaffenen Seelen so äußerst selten zu finden, weil sich bei den vielen Bühnen eine Menge Pöbel zusammenrottet, und den Freiheiten dieses Standes einen ewigen Schandflek anhängt. – So manche Schauspieler-Gesellschaft gleicht einem Schwarm streifenden Ungeziefers, das sein Gift überall zurükläßt; daß man aber die Bosheit und Schadenfreude so weit treiben könnte, wie es das Häufchen Buben und Bübinnen in P... gegen Dich trieb, hätte ich doch nie vermuthet. – Mein Karl sagte: »Unter den Hunden giebt es tausendmal bessere Herzen.«

Von der Erzbuhlerin R.... habe ich schon öfters abscheuliche Streiche erzählen gehört. Sie ist in der halben Welt als die ärgste Mezze bekannt, die die Obrigkeit wieder aufs Neue ins Zuchthaus stekken sollte. – Was wäre denn aber auch von einem Schustersweibe besseres zu erwarten, deren Mann um den Uebermuth seines Weibes willen, den Leist verlassen mußte. – Er soll ein braver komischer Schauspieler gewesen seyn; Gott gönn ihm izt in jener Welt die Ruhe, die er hier an der Seite seines ehrvergessenen Weibes nicht genoß. – [133] Auch sie – sagt man – spiele die Rollen niederträchtiger Weiber, unverschämter Buhlerinnen, komischer Kupplerinnen, boshafter, zänkischer, lasterhafter Kreaturen mit vieler Natur; ... nur in edeln Karakteren, in den Rollen moralischer, guterzogener Mütter, wäre sie unausstehlich. – So viel erzählte mir lezthin ein unpartheiischer Theaterkenner selbst. –

Gott schenke Dir izt bei Seipp alles Vergnügen, das Du verdienst; weil er selbst Talenten besizt, wird er gewis die deinigen nicht verkennen. Nur Dummköpfe unterdrükken aus Neid die Vorzüge an Anderen. – Daß dieser brave Mann unter seiner Gesellschaft so tapfer auf gute Sitten hält, freut mich unendlich; – nur der Kummer wegen deiner gefährlichen Reise ängstigt mich noch ein Bischen, bis ich einmal weis, daß Du glüklich angekommen bist! Man versichert mich, Siebenbürgen wäre ein wahres Räuber land. –

Ich und mein Karl wünschen Dir allen Segen von Gott, und uns dabei eine geschwinde Nachricht von deiner glüklichen Ankunft. – Hier diesen Kuß zum Zeichen meiner unveränderten Liebe. –

Fanny.

122. Brief. An Fanny
CXXII. Brief
An Fanny

Gott sey ewiger Dank gesagt, daß auch diese Reise vollendet ist! So äußerst elend habe ich noch keine zu machen gehabt. – Die Straßen waren abscheulich schlecht; je tiefer wir unter die Wallachen hineinkamen, desto gräßlicher wurde unsere Furcht und alle Arten von Unbequemlichkeiten. –

Die Räuber schonten uns, der Himmel sey gepriesen! ob es gleich hier zu Lande sehr gewöhnlich ist, ganze Rotten von dreißig bis fünfzigen zu treffen, die alle mit vierfachem Schießgewehr [134] versehen sind. – Da sie sich auch gerne in Wirthshäusern einnisten, so zwang uns die Klugheit, uns mit Militärorder zu versehen, um bei Dorfrichtern Herberge zu nehmen, und zogen aus dieser Ursache vor auf Heu zu schlafen, selbsten zu kochen, u.s.w. Es war eine allerliebste Wirthschaft! – Unsre Mannsleute mußten Geflügel zuschleppen, die Wallachinnen gaben uns Spek, und wir Weiber besorgten die Küche. – Seipp sorgte ohne Eigennuz, als wahrer Vater, für seine Kinder; sein armes schwangeres Weibchen duldete auf dieser Reise sehr vieles mit Standhaftigkeit; nur ein einzigesmal überfiel sie Wehmuth, die dann der rechtschaffene theilnehmende Gatte mit warmer Zärtlichkeit zu zerstreuen wußte. – O, diese zwei Leutchen lieben sich wie die Engel; ein liebenswürdiger dreijähriger Knabe knüpft das Band ihrer Gattenliebe noch enger. – Sie gehören zur protestantischen Religion, und sind eifrige Christen; in ihrem Betragen herrscht überall Pünktlichkeit, und ihre Aufführung ist untadelich. – Seipp duldet unter seinen Leuten keine von schlechten Sitten. – Die Mitglieder der Gesellschaft sind aber auch so geehrt, daß jedem davon der Eintritt in die angesehensten Familien offen stehet.

Schon seit vier Jahren durfte wegen schlechter Aufführung keine Schauspieler-Gesellschaft mehr über die hiesigen Gränzen; nur unserm braven Seipp gelang es durch Empfehlungen von etlichen Ministern, durchzudringen. Alle lieben und schäzzen ihn. Das Publikum stürmt zahlreich ins Schauspielhaus, und verläßt es wieder mit enthusiastischem Beifall. Wir bekommen Alle richtige Bezahlung, und stehen gut, weil es hier äußerst wohlfeil zu leben ist. –

Lezthin spielte ich zum erstenmale, und wurde recht gut vom hiesigen Publiko aufgenommen. Ich laß es aber auch nicht am Fleiß mangeln, und arbeite mit Lust, weil uns keine Stuzzer hinter den Koulissen stören dürfen. – Es ist [135] allen jungen Leuten untersagt, weder bei den Vorstellungen selbst, noch bei den Proben auf Abentheuer hinter den Koulissen herumzuschleichen. Auch keiner der Mitspielenden darf es wagen, über einen andern nur eine Miene von Anmerkung zu machen. – Seipp weis den Neid in Schranken zu halten. – Sein enthusiastischer Eifer für die Richtigkeit der Schauspielkunst macht ihn freilich manchmal ein Bischen hizzig, aber nicht pöbelhaft, wie es seine Feinde vorgeben. – Ich gedenke mich recht gut in seine Anführung zu schikken, und verehre seine Kenntnisse mit inniger Zufriedenheit.

Und nun, liebe Fanny, küße mir deinen Karl, und danke ihm in meinem Namen für seine Sorgfalt!

Deine Dich liebende Amalie.

123. Brief. An Fanny
CXXIII. Brief
An Fanny

Zürne doch nicht, liebes Fannchen, daß ich Dir einige Monate gar nicht schrieb. Mein Direktor überhäufte mich seither mit einer Menge Rollen. – Sein Weibchen ist nahe an ihrer Niederkunft, und mich trift es izt, ihre Rollen ganz allein zu spielen. Es bleibt mir außer meinen Berufsgeschäften kaum so viel Zeit übrig, zuweilen ein kleines Briefchen an meinen Oheim zu verfertigen. Uebrigens lebe ich recht zufrieden. Das Publikum ist mir hold; der Direktor behandelt mich gut; was will ich also mehr? – Nur ein einzigesmal überraschte mich sein gewöhnlicher Eifer für die Kunst etwas feuriger als sonst, bei einer Probe; der gute Mann kannte mein zu weiches Herz nicht, und wurde erst nach der Hand überzeugt, daß seine rasche Zurechtweisung mich im Spielen noch blöder machte. – Ich nährte dadurch heimliches Mistrauen [136] gegen mich selbst, und Zagheit bemeisterte sich meiner während meines Spiels; nur seine sanftere Leitungsart rief mich wieder in das Geleise zurük, woraus mich eine gewisse bange Furcht gebracht hatte. – Er sah wohl ein, daß es für meinen Kopf und mein Gefühl nur des kleinsten Winkes bedürfe, um mich nach seinem Willen abzurichten. – Der Mann besizt außerordentlich viele Kenntnisse, dringt mit seinem Fleiß bis ins Innerste der Kunst, und ich bin stolz darauf, Seippens Schülerin zu seyn! – Es ist unbegreiflich, was er sich mit einigen beinahe unbrauchbaren Mitgliedern unserer Gesellschaft für Mühe giebt, um sie zu belehren; er hält ordentliche Schulen, gießt ihnen die Rollen so zu sagen ein, studiert den Hang eines Jeden, giebt ihm angemessene Rollen; alle unter seiner Gesellschaft stehen an ihren rechten Pläzzen; da erblikt man keine Spur von Partheilichkeit. So oft das Schauspiel zu Ende ist, tritt er unter die Schauspieler hinein, sagt einem jeden sein und auch des Publikums Urtheil mit biederer Wahrheit ins Gesicht. – Lezthin kam die Reihe zuerst an mich. – »Madame! (sagte er.) Mit Ihnen ist man durchaus zufrieden, bis auf die wenige Schüchternheit, die ihre Stimme unterdrükt, und sie etwas unverständlich macht.« – »Und Sie, Mademoiselle! – (sagte er zu einer andern) Sie haben in ihrem Kammermädchen durch Ihre unbescheidene Manieren blos dem Pöbel gefallen, u.s.w.«

Ist so ein Vorsteher nicht zu verehren? – Würde die Bühne nicht bald der Wohnsiz der Rechtschaffenheit seyn, wenn es mehrere dergleichen gäbe? –

Noch ein Anekdötchen von ihm: – Einige Stuzzer, welche die Schauspielerinnen blos für feile Geschöpfe ansehen, zu denen ihre Begierden ein volles Recht hätten, sagten einstens zu ihm:

»Aber Herr Seipp, Sie haben ja gar kein einziges recht [137] schönes Frauenzimmer unter ihrer Gesellschaft!« – Worauf er antwortete: – »Meine Herren, alle meine Frauenzimmer sind hinlänglich schön, um in ihren Rollen jene Täuschung zu erwekken, die dazu erfodert wird. – Ich bin der Unternehmer einer gesitteten Schauspieler-Gesellschaft und keiner Fleischbanke, wo jeder Wollüstling seine Bedürfnisse hinzutragen Lust hätte. – Meine Frauenzimmer sollen blos zu Schauspielerinnen und nicht zu Lustnimphen taugen.« –

Von dieser Zeit an wagte kein Weichling mehr die mindeste Anmerkung zu machen; wir leben alle in dem unbescholtensten Rufe. – Aber sage mir jezt auch, meine Liebe, was macht denn dein Karl? – Werde ich euch zwo theure Seelen auch bald wieder zu sehen bekommen? – O ich hätte wohl noch recht viele Fragen, wenn mich nicht die Pflicht zu meinen Geschäften riefe. –

Lebe wohl, Theure, Einzige. –

Ich bin ewig Deine Amalie.

124. Brief. An Amalie
CXXIV. Brief
An Amalie

Theuerste! –


Endlich hat unser Kummer ein Ende, und wir wissen, daß Du gut versorgt bist. Karl war entzükt über diese Nachricht; daß ich es auch bin, das weißt Du ohnehin. – Wir beide haben ein Projekt zur Sitten-Verbesserung der Bühnen entworfen, und theilen es Dir zur gütigen Einsicht mit.

Unser große Kaiser Joseph hat über alle Gegenstände in seinen Ländern gute moralische Anstalten getroffen, und [138] wir hoffen, daß er auch noch auf die Reinigung der Bühnen kommen wird, wenn es ein Patriot einmal wagt ihm den wahren Zustand derselben zu schildern. – Bis izt streifen noch immer schwarmweis kleine Schauspieler- nicht doch – Komödianten-Gesellschaften dem Bürger zur Last und den Sitten zur Schande in unsern Ländern herum; – führen das abscheulichste Leben, verbreiten Zoten, sind der Zufluchtsort so vieler Tagdiebe, Herumstreicher, verjagter Friseurs, lüderlicher Studenten, fauler Handwerkspursche, verloffner Dienstmädchen, u.s.w.

Erstens ist ihre Aufführung ärgerlich, und verbreitet, bestärkt das Vorurtheil über besser gesittete Schauspieler, benimmt dem Publikum den Glauben an jede Moral, die auf gesittetern Bühnen vorgetragen wird, weil die Menschen daran gewöhnt werden, zu glauben, daß dort wie da – der Fuchs blos den Gänsen predigt. –

Zweitens führt diese hungerige Komödianten-Waare schandlose, ärgerliche, sündliche Frazzen auf, und verwildert dadurch die Sitten des Pöbels noch mehr, der ohnehin schon zügellos genug ist. –

Drittens kommen sie durch ihre Schwelgerei in Schulden, betrügen den Bürger, verführen seine Söhne und Töchter, fahren in allen Bierschenken herum, nähren im gemeinen Volk Aberglauben und Vorurtheil, verleiten es zu Abentheuern, Schazgräbereien, Taschenspielereien, und dergleichen; durch ihre Ausschweifungen pflanzen sie also auf alle Schauspieler den schmuzzigen Begriff fort, den man ehedessen von den öffentlichen Possenreissern und Marktschreiern hatte. – Zur Schande der Schauspielkunst verderben sie das leichtgläubige Herz des Bürgers, und würden ihrem Landesherrn unter der Muskete gewis bessere Dienste leisten.

Sobald der Monarch überzeugt ist, daß eine gesittete Bühne zur Aufklärung beiträgt, so wird er auch bei großen und kleinen [139] Bühnen jeden Schein auszurotten suchen, der diesem moralischen Endzwek wider spricht. – Bei der übersezten Menge von kleinen fliegenden Gesellschaften sollte nothwendiger Weise Musterung gehalten werden, damit es dem fähigern Schauspieler nicht an Versorgung fehlte, die diese Herumstreicher ihm mit einer geringern Besoldung hier oder da vor dem Munde wegschnappen. Zu viele Gesellschaften in einem Lande richten einander selbst zu Grunde, weil das Publikum sie nicht alle zu nähren vermag. – Nur in den ansehnlichsten Städten jeder Provinz sollte eine gute Schauspielergesellschaft geduldet werden, auf deren sittliche Aufführung die Obrigkeit ein wachsames Auge haben sollte – und den übrigen kleinen herumziehenden Gesellschaften sollte bei Strafe das Land verboten werden. Die Direktoren sollten verbunden seyn, miteinander alle Jahre ihren Ort zu verwechseln, damit jede Provinzstadt um ihr Geld Abwechslungen zu sehen bekäme. –

In der Hauptstadt Wien sollte von Professoren oder sonst unpartheiischen Theaterkennern eine Art Prüfungsschule errichtet werden, wo jeder brodsuchende Schauspieler seine Probe ablegen müßte; – wo man die Fähigkeiten und Lebensart der Schauspieler einige Zeit prüfte, und sie dann mit einem guten Zeugniße einem Provinz-Theater zuschikken könnte, dessen Direktor verbunden seyn müßte sie anzunehmen, und nach dem Masstab ihrer Talenten zu besolden. – Viele hundert Halunken beiderlei Geschlechts würden diese Prüfung scheuen, und weniger ihre Zuflucht zum Theater nehmen. – Ein würdiger Schauspieler hätte dann nicht mehr Ursache aus Unterdrükkung und Kabale am Bettelstab herumzuirren; das Publikum würde besser bedient; die Sitten dieser Leute würden nach und nach reiner; der gute Endzwek der Schaubühne erfüllt, und die Herren Direktoren vor so vielen Bankrotten gesichert, die ihnen meistens durch die Kabale dieses herum schwärmenden Volks zugezogen werden. – Nur müßten [140] die Aufseher der Prüfungsschule nicht aus Schauspielern bestehen, sonst liefe sicher Partheilichkeit mit unter; denn der größte Schauspieler trägt immer heimlichen Neid im Busen, und kann in einer solchen Sache nie als Richter dienen. Ueberhaupt sollten alle Schauspieler strenger als andere Bürger in ihrem Lebenswandel gehalten werden, um das Vorurtheil auszurotten; der Moral, die sie predigen, Ehre zu machen, um durch ihr so öffentliches Lasterleben unter dem Volk nicht so viel unverantwortliches Aergernis zu erregen. –

Was hältst Du von meinem Gedanken? – Ich habe ihn nur so obenhin entworfen! – Möchte ihn ein Menschenfreund besser überdenken – ausarbeiten – und dem großen Kaiser Joseph vorlegen, wie glüklich wollte ich mich schäzzen! – Die Einrichtungen deines jezzigen Direktors gefallen mir sehr wohl. – Es muß ein würdiger Mann seyn! – Der Himmel segne ihn und seine Familie! – Schreibe mir mehr von seiner guten Führung; ich höre es äußerst gerne. – Karl und ich wollen Dich dann recht herzlich dafür küßen – wann wir Dich einst wiedersehen. – Das verspricht Dir

Deine Fanny.

125. Brief. An Fanny
CXXV. Brief
An Fanny

Daß Dich doch! – Schon wieder eine Reisebeschreibung? – wirst Du deinem Karl ins Ohr flüstern. – Ja, meine Liebe; und überdies eine recht artige Geschichte, die mir mit einer ganz fremden Dame begegnete, über die meinetwegen Spötter lachen mögen; genug – ich bürge für ihre Wahrheit.

An einem Tage mußte unsere ganze Gesellschaft in einer elenden Hütte ihr Mittagsmahl halten. – Die Wirthsleute waren äußerst arm, und hatten kaum so viel, um den Hunger [141] unserer Pferde zu stillen. – Ich will Dir die Unruhe von etlich dreißig Personen nicht schildern, wovon nur wenigen ein hartes Stükchen Fleisch, den andern gar nur troknes Brod zu Theil wurde. –

Ganz niedergeschlagen saßen einige von uns an einem Tische – und staunten auf die hölzernen Bestekke hin, die uns vorgelegt wurden; als plözlich ein Wagen mit vier Pferden den Hof hereinrasselte und uns die Neugierde aus dem Zimmer trieb. – Zween Bediente hoben ein Wesen aus dem Wagen, das seiner Kleidung nach einer Mannsperson glich. Eine Art Kaput, Stiefel und Hut war seine Kleidung. – Der Fremdling blieb einige Minuten stehen, sah uns alle nach der Reihe an, besonders aber mich... und flog mir mit einem Mal feurig an den Hals! – Ich erschrak, hielt es für Frechheit, und wollte mich loswinden. – »Fürchten Sie nichts, meine Beßte! – (hörte ich eine Weiberstimme sagen) Ihre Phisiognomie gefällt mir; wollen Sie meine Freundin seyn?« – Dann zog sie mich in das Kämmerchen, wo die hölzerne Bestekke lagen, befahl ihren Bedienten unsern Tisch mit Silbergeschirr zu bedekken, Wein und Essen aus dem Wagen hereinzutragen, um uns auf die freundschaftlichste Weise zu bewirthen. – Während der Mahlzeit liebkoste sie mir wie einem Kinde, und wiederholte öfters: »Haben Sie nicht Lust nach Siebenbürgen zurükzukehren? – Welcher Zufall brachte Sie zu diesem Stande? – Schreiben Sie mir doch, hier haben Sie meine Addresse!« – Am Ende beschenkte sie mich noch mit verschiedenen Sachen, und stieg dann weinend in den Wagen. –

Sie ist eine gewisse Baronesse von L... aus Klausenburg, ihr Betragen ist lebhaft, aber mit einer heimlichen Schwermuth durchwebt; ihr Gesicht trägt die Spuren der Redlichkeit. Nur Schade, daß ich die Liebenswürdige so bald verlassen mußte, die sich aus wahrer Sympathie meinem Herzen [142] näherte. Seither hat sie mir schon einmal geschrieben, und mit einer Wärme, die ganz ihrem edeln Herzen eigen ist. –

So viel von dieser Geschichte. – Nun endlich auch einmal zur Beantwortung deines leztern Briefes.

Wie vortreflich, meine Theure, ist dein Entwurf; und wie vielen moralischen Nuzzen könnte es bei den jezzigen so zügellosen Theater-Sitten schaffen, wenn er ausgeführt würde! – Es wundert mich sehr, daß noch kein Moralist auf diesen Gedanken gerieth; daß man die Reinigung der Bühnen so lange anstehen ließ, bis ihre moralischen Sitten schon fast bis in Grund verdorben sind; wo Jeder dabei treiben kann, was seinem Laster gelüstet; wo man ungeahndete Freiheit genießt, sich in jeder Weichlichkeit herumzuwälzen; wo sich die wenigsten Polizeien um die Aufführung des Schauspielers kümmern; wo die meisten Direktoren blos Pflanzschulen der schändlichsten Ausschweifungen unterhalten; wo Religion, Ehre und Redlichkeit keinen Wohnsiz haben. – Und solche Bühnen werden nicht untersucht; es werden ihnen keine Schranken gesezt? –

Kaum ist es begreiflich; da doch schon so viele würdige Schriftsteller darüber jammerten und all ihr Gefühl anstrengten, um den Staat aufmerksam darauf zu machen. – Nur einige Fürsten gaben in Rüksicht dessen kluge Gesezze heraus, und ließen sie in öffentlichen Blättern einrükken, um sie überall bekannt zu machen und um Nachahmer zu finden. – Möchten diese edeln Absichten von mehreren genehmiget wer den! – Möchten Minister und Polizei-Räthe von keinem Privat-Interesse verleitet werden, ausschweifende Schauspielerinnen zu schonen, und es nicht ferner verhindern, daß die Stimme der bessern Einrichtung so selten bis zum Ohr des Herrschers dringen kann. – So denkt

Deine Amalie. [143]

126. Brief. An Fanny
CXXVI. Brief
An Fanny

Liebe Herzens-Freundin! –


Heute muß ich Dir wieder einmal deinen Willen erfüllen, und Dir etwas mehreres von den guten Einrichtungen unsers wakkern Seipps schreiben. – Bedenke nur einmal diesen Hauptpunkt, der durch seine Klugheit unter uns Weibern so herrlich Statt findet: – Seine eigene Frau spielt neben mir erste Rollen; und doch sezte es unter uns noch nicht den geringsten Streit ab. –

Der unpartheiische Mann weis für uns beide die Rollen so gut einzutheilen, daß auch selbst die ehrgeizigste Schauspielerin nichts dagegen einzuwenden wüßte. – Madame Seipp spielt unschuldige, naive, leidende junge Mädchen allerliebst! – Ihr niedlicher kleiner Wuchs, ihr natürliches Gefühl, ihr Fleiß, ihre durch Lektur erhaltene Kenntnisse machen sie zur guten Schauspielerin. – Hätte sie das Glük eine stärkere Brust zu haben, sie würde sich auch in heftigen, affektvollen Rollen vielen Beifall zu versprechen haben. – Sie hat bei andern Bühnen aus Kabale nur unbedeutende kleine Rollen zu spielen bekommen, wo ihr Talent, so wie das von mancher ihrer Mitschwestern, unerkannt blieb. – Aber seit der Direktion ihres Mannes darf sie es in ihren unschuldigen Rollen kühn wagen, sich jedem Kenner zu zeigen; denn seither wurde das vergrabene Talent in Uebung gebracht, das fähig ist dem Publikum Freude zu machen, – Feurige Heldinnen, rasche Liebhaberinnen, und überhaupt Rollen, worinnen heftige Leidenschaft herrscht, und wozu starke Brust erfodert wird, wurden mir zugetheilt. – Herr Seipp [144] spielt alle Rollen erträglich – aber äußerst gut spielt er feine Intriken-Rollen, gefühlvolle Männer und Väter. – Gott! wie viel der Mann in seiner Deklamazion Natur behauptet! – Was er hineinzudringen weis in die feinste Kunst, um sie durch den herrlichsten Konversazionston zur unleugbaren Natur zu machen! – Wie lebhaft er seine Leidenschaften mit den unbegreiflichsten Abwechslungen hervorbringt! – Wie er seine Organen nach dem Sinn des Autors und nach seinem Gefühl zu stimmen weis! – Wie er die schwersten Erzählungen so ausdruksvoll, von aller Monotonie entfernt, dem Zuschauer vormalt! – Wie er Seele, Gefühl, Feuer, Stimme, Körper, Wendung, Uebergang in seiner Gewalt hat, um das Publikum in gewissen Rollen bis zum lezten Grad der Wahrheit zu täuschen! – Selbst den schiefen Sinn eines schwülstigen Autors, weis er während seines Spiels zu verbessern. – Es ist eine wahre Freude an der Seite dieses braven Schauspielers zu agieren. – Wie oft schmolz sein Gefühl in das meinige über, wenn ich an seiner Seite die Rolle der Tochter spielte, und wie oft gab er meiner arbeitenden Leidenschaft den Nachdruk, der sich dann noch mächtiger in das fühlende Herz des Zuschauers übergoß; und doch ist dieser gute Schauspieler bis izt noch so wenig für seine Verdienste belohnt worden! – Er mußte immer im Dunkeln arbeiten, ohne daß ihn der Posaunenklang hervorzog! – Ei! – Ei! – Theaterglük, wie räthselhaft bist du! –

Doch nun weg von dem, und auch ein Bischen etwas vom hiesigen Orte: – Temeswar ist unstreitig troz des kleinen Umfangs eine der lebhaftesten Städte. – Man ist hier äusserst zum Wohlleben geneigt. Das viele Militär, die Menge gutbesoldeter Beamten, die wohlfeile Nahrung, tragen zu den hiesigen Lustbarkeiten unendlich vieles bei. – Unsere Leute müßen sich ordentlich verstekken, oder wichtige Beschäftigungen vorgeben, wenn sie nicht täglich zu einem Gastmahl [145] wollen gezogen werden. Hier herrscht in Rüksicht der Stände nicht das geringste Vorurtheil. Man lebt untereinander in der zufriedensten Freiheit. Wenn der lange hagere Mann mit seiner Sense nicht so oft und so gräßlich durch die beständig herrschenden Fieber in den Familien Zerrüttungen anstellte, nichts würde den Freiheitssinn unter diesen Leuten trüben. – Bis auf diese Stunde ist, außer der guten Madame Seipp, bei unserer Gesellschaft noch Alles gesund. Hier ist es große Mode Chinarinde statt Tabak zu schnupfen, und wer überdies nicht im Stande ist dreißig bis vierzig Doses China in Zeit zwei Tagen zu verschlingen, der bleibe von Temeswar weg – sonst kömmt er auf den Kirchhof. –

Gieb deinem Karl für mich ein recht warmes Mäulchen, und denke öfters an deine beßte

Amalie.

127. Brief. An Fanny
CXXVII. Brief
An Fanny

Daß doch das Unglük nur immer rechtschaffene Seelen verfolgt. – Ich kann Dir den Jammer nicht hinlänglich beschreiben, der sich izt bei unserer Gesellschaft eingeschlichen hat. – Schon seit sechs Wochen liegen alle bis auf mich am kalten Fieber darnieder. – Nur erst seit wenig Tagen macht dieser häßliche Gast izt auch bei mir seinen täglichen Besuch. – Du solltest mit deinem gefühlvollen Herzen sehen, wie die Leute aus Liebe für ihren guten Direktor ihre lezten Kräften anstrengten, und ohne daß er es einem zumuthet, von selbst aus gutem Willen mitten im Fieber spielten. – Bis izt wechselte das Fieber unter einigen ab, und nicht alle wurden gerade zu der Stunde der Vorstellung davon überfallen, sie konnten daher unter einander mit Spielen abwechseln, [146] so daß unser Schauspielhaus an den bestimmten Tagen nicht verschlossen bleiben durfte. – Aber nun hat das täglich anhaltende Fieber die Kräften eines Jeden so abgemattet, daß sie alle zum Spielen untauglich sind; alle Hofnung ist nun verloren, fernerhin Vorstellungen geben zu können. – Der menschenfreundliche Direktor zahlt seinen Leuten schon seit einiger Zeit große Summen, ohne die geringste Einnahme zu haben. – Endlich aber wird dieser brave Mann aus Liebe für seine Familie gezwungen die Direktion völlig aufzugeben, um mit seiner kranken Gattin zu seiner Swiegermutter nach P... zu reisen. – Höre seine vortreflichen Anstalten in einer Lage, wo jeder minder fühlende Direktor gewis nicht so edel handeln würde: – Er liefert auf seine eigenen Kosten die ganze Gesellschaft bis Wien, giebt jedem noch sechs Wochen Gage obendrein, und empfiehlt sie der Vorsehung. – Kann der würdige Mann bei einem solchen starken Verlust mehr thun? – O, es schmerzt mich unendlich, diese brave Familie verlassen zu müßen! –

In wenig Tagen reisen wir alle zusammen von hier ab. Gott! wenn nur diese Reise schon ihr Ende erreicht hätte! – Denke Dir einmal ein solches Häufchen kranker Leute zusammen, die alle durchs Reisen noch kränker zu werden befürchten müßen. – Der Allmächtige möge unser Geleitsmann seyn! – Ei, das ist doch ärgerlich! – Schon wieder schaudert der Fieberfrost durch meine Glieder, und ich muß wegen starken Kopfschmerzen aufhören mich mit Dir zu unterhalten. – Kümmere Dich nicht um meinetwillen, meine Freundin, es wird besser werden; – ich habe seit einigen Tagen schon außerordentlich viel China zu mir genommen.

So bald ich in Wien anlange, und mich nicht über häufte Geschäften daran hindern, erhältst Du wieder Nachricht von meiner Gesundheit. – Sollte sie sich noch mehr verschlimmern, so laß ich Dir durch jemand andern schreiben. [147] Sey also ruhig, und liebe fernerhin deine arme kranke Freundin

Amalie.

128. Brief. An Fanny
CXXVIII. Brief
An Fanny

Meine Liebste! –


Wirklich hat die Wiener-Luft meine Gesundheit völlig wieder hergestellt. Ich eile, um Dir diese gute Nachricht zu melden: Als ich hier anlangte, nahm ich mir fest vor, Niemanden meinen Schauspieler-Stand zu entdekken. Der Zufall leitete mich bei meiner Ankunft zu einer alten Obrists-Wittwe, bei der ich auf einen Monat ein Zimmer zu miethen suchte: –

Diese alte Dame mußte sich wegen eingeschränkter Pension mit Vermiethung solcher Zimmer abgeben; – war aber ein Weib, das gute Erziehung genossen hatte. – Uebrigens soll es außer ihrer Gewohnheit gewesen seyn, je ein junges Frauenzimmer in ihr Haus zu nehmen, wie man mich versichert hat. – Sie mag ihre Gründe gehabt haben, die vermuthlich darinn bestunden, damit kein Frauenzimmer von schlechter Lebensart ihr Haus in übeln Ruf bringen möchte. – Ich weis nicht, war es meine offene, glükliche Gesichtsbildung, oder was sonst; genug, die Dame liebte mich beim ersten Anblik, und nahm mich ohne das geringste Vorurtheil in ihr Haus. – Sie drang in mich, um etwas genauer mit meinem Schiksal bekannt zu werden, ich hielt an mich so lang es mir nöthig schien, bis ich ihr endlich meinen Schauspieler-Stand offenherzig eingestand, und sie mir versprach, ihn vor Jedermann geheim zu halten. – Aber auch nur [148] einige Wochen hielt sie Wort, und in weniger Zeit wurde der Direktor vom hiesigen Kärnthnerthor-Theater Herr über ihr Geheimnis. – Ihm war um eine gute Schauspielerin zu thun, weil er eben im Begriffe stand mit einer neuen Gesellschaft seine Bühne zu eröffnen, und er ihrer sehr bedurfte. – Die Dame und er wandten alle Schmeicheleien an, um mich zu einem Debut zu bereden. Man versprach mir glänzende Besoldung, und alle mögliche Vorzüge. – Kurz, die zwei Leutchen drangen so lange in mich, bis ich endlich nachgab. – Da ich aber den Gang der Wienerischen Kabale kannte, so handelte ich vorsichtig. –

Hier ist es nicht gebräuchlich den Namen der Schauspieler auf den Anschlagzettel zu sezzen. – Ich benuzte dies, und der Herr Direktor G..... durfte weder meinen Namen, noch weniger die Ankündigung meines Debuts darauf bekannt machen. Theils wollte ich das Publikum mit meinem Bischen Fleiß überraschen, theils mochte ich mich keinem Vorurtheil Preis geben, das jeder von einer unbekannten Schauspielerin zum voraus hegt. – Der Tag meines Debuts wurde festgesezt, die Stunde rükte heran; schon war der erste Aufzug des Schauspiels geendigt, und einige Mitspielende ausgezischt worden, als ich noch in tausendfacher Angst hinter den Koulissen harrte, bis die Reihe zu spielen an mich käme. – Meine Rolle war kurz, aber in ihrem innern Werth eben so empfehlend, als mein äußerlicher Anzug. – Ich stellte die Gattin eines Helden vor, die aus Leidenschaft für ihren Mann in Mannskleidern bis ins Lager drang, um ihn aus der Gefangenschaft zu retten. – Das Feuer, womit ich aus der Koulisse herausstürzen mußte, verjagte auf einmal alle meine Furcht, und ich fühlte mich in dem Augenblik ganz das, was ich vorstellte. – Noch war mein erster Dialog nicht zu Ende, als mir Seine Königl. Hoheit Prinz Maximilian ein lautes Bravo zuriefen, dem[149] das ganze Publikum folgte, ohne daß eine Seele darunter meinen Namen wußte. – Wenn je ein Beifall unpartheiisch war, so war es gewis dieser. – Wäre der Direktor ein besserer Wirth, so würde es mir bei dieser Gesellschaft gefallen; der Mann hat Kenntnisse, und schäzt die Kunst. –

Was mit mir ferner geschieht, sollst Du bald hören von deiner Freundin. –

Amalie.

129. Brief. An Amalie
CXXIX. Brief
An Amalie

Es scheint, meine Liebe, daß das Unglük auch auf mich loszustürmen anfängt! – Kaum erhielt ich die Nachricht von deiner Krankheit, so wurde auch mein Karl mit einem hizzigen Fieber überfallen. – Der arme Junge war dem Tode und ich der Verzweiflung nahe! – Jesus Christus! – wie ich da mit der äußersten Trostlosigkeit rang, als die Aerzte mir alle Hofnung seiner Herstellung absprachen! – Hätte ich ihn verloren, den Mann meines Herzens, ein freudenloses, elendes, jammervolles Leben würde dann meiner gewartet haben! – Ich wäre in der häuslichen Glükseligkeit an jedes Andern Seite zur ärmsten Bettlerin geworden! – Denn außer meinem Karl ist für mich unter den Menschen keine Harmonie mehr; – ob uns gleich das Schiksal noch nicht ganz vereinigt hat, so sind doch die wenigen Stunden, die wir izt schon mit einander verlebten, ein Vorgeschmak des Himmels, der uns einstens bei näherer Verbindung erwartet! – O! diese Bilder der seligsten Zukunft wären dann durch seinen Verlust alle auf einmal zusammengestürzt! – Ha! – Ich würde es nicht überlebt haben! –

Allgütiger! dir sey ewiger, inniger Dank gesagt, daß du [150] mir ihn wieder schenktest! – O, was der gute Junge in seiner Krankheit für Engels-Geduld zeigte! – Wie ich an seinem Krankenbette mit nassen Augen ganze Nächte durch wachte und alle seine Schmerzen doppelt fühlte! – Bei einem solchen Anlaß kann der Werth eines guten Herzens am beßten erkannt werden. – Da ist der Zeitpunkt, wo eine Geliebte durch tausend kleine Gefälligkeiten ihre Gefühle an Tag geben kann. – Selbst mein Karl sagte während seiner Krankheit, daß die geringste Wohlthat in solchen Fällen dem Kranken Himmels-Wonne wäre, die er von der gutherzigen Hand einer Geliebten erhielte. – Noch ist er sehr schwach, der Gute, aber ganz außer aller Gefahr, und grüßt Dich herzlich. –

Seippens Misgeschik, das Dir einen so guten Direktor entriß, hat uns Alle sehr gebeugt. –

Gott! Wie sehr wünsche ich, daß Du des unbeständigen Theater-Lebens bald satt seyn und doch einmal mit Ernst auf eine andere Versorgung denken mögest. – Das beßte Theater-Schiksal ist doch fast überall mit Galle und Gift untermengt, die der Neid auf eine oder andere Art einmischt. – Du wirst vielleicht keinen Seipp mehr finden; und doch, meine Amalie, und doch, ungeachtet der unerträglichsten Beschwerlichkeiten, die dieses Leben mit sich führt, nährst Du noch in deinem Herzen einen leidenschaftlichen Hang dafür? – Laß ab, meine Freundin, von diesen falschen Freuden des Beifalls, die meistens ihr Ende erreichen, so wie der Vorhang fällt. – Wäge das Bischen Schmeichelei mit den vielen Kabalen ab, die Dir bei jedem andern Theater drohen, und es bleibt Dir gewis nichts übrig, als ein blutendes Herz, das die Bosheit zerfleischte! – Die Theater-Sitten sind noch lange nicht das, was sie seyn sollten. – Weh dem, der mit einem fühlenden Herzen das Opfer dieser verdorbenen Sitten wird! –

[151] O, meine Freundin! wenn Du deine Leidenschaft für die Bühne nach und nach zu unterdrükken trachtetest; wenn Du irgendwo einen Freund suchtest, der Dir ein ruhigeres, zufriedeneres Leben anböte, der Dich diesem Herumirren entzöge! wie glüklich wärest Du nicht? – Du bist zu empfindsam, um ferner die Mishandlungen, Ränke und Kabalen zu ertragen. – Suche doch, meine Liebe, deinem Schiksal bald eine andere Wendung zu geben, und Du wirst um vieles beruhigen

Deine beßte Fanny.

130. Brief. An Fanny
CXXX. Brief
An Fanny

Beßtes Mädchen! –


Wie sehr bedauerte ich Dich, als ich vernahm, daß das unbarmherzige Schiksal Dir gedroht hatte deinen guten Karl zu entreißen. – Ich kann mir den Kummer lebhaft vorstellen, den Du dazumal mußtest gefühlt haben! – Wenn man seine ganze zeitliche Glükseligkeit auf einen einzigen Gegenstand sezt, und das Schiksal uns denselben zu entziehen drohet, ist es nicht, als ob wir einen Theil unseres Selbst verlieren sollten? –

Aber nun muß ich Dich doch auch ein Bischen über einen andern Punkt zanken: – Was hattest Du denn dazumal für eine abscheuliche hypochondrische Laune, als Du mir wegen meiner Leidenschaft fürs Theater eine so derbe Lektion zuschriebst? – Ist denn meine Leidenschaft so unheilbar, oder ist sie auf tollen Eigensinn gegründet, daß du so kräftig darüber losziehest? – So lange mir das Verhängnis keine bessere Bestimmung gönnt, so lange das Theater meine einzige [152] ökonomische Aussicht bleibt, muß ich ja diese Leidenschaft nähren, denn sie spornt doch immer den Fleiß an, der mir außer ihr gewis mangeln würde. – Einem Stand, den man nicht ändern kann, muß man doch wenigstens Ehre zu machen suchen. – So reizend und lokkend meine Leidenschaft fürs Theater auch immer ist, so beraubt sie mich doch bei ruhigen Stunden der Ueberlegung nicht. – Ich sehe dann recht gut ein, daß sie mit der Zeit auf Kosten meiner Seelenruhe und Gesundheit in eitle Thorheit ausarten könnte.– Auch nicht der Beifall des Publikums ist es, der mich in dieser Leidenschaft stärkt. – Er muntert mich zwar auf; aber ich sehe ihn nie für eine hinlängliche Belohnung für die Erduldung der grausamen Streiche des Neides an, denen jeder Schauspieler von seinen Nebenarbeitern ausgesezt ist. – Meine innerlichen heftigen Affekte sind es, die diesen Hang in mir nähren, weil sie durch schwermüthige Rollen Anlaß zum Ausbruch bekommen. – Die Ergießung meiner Melankolie verschafft mir dann jene Erleichterung, die meinem gepreßten Herzen so nöthig ist, worinnen so stürmische Leidenschaften toben! – Kennst Du denn die Lebhaftigkeit meines Temperaments und meiner Einbildungskraft noch nicht genug? – Kannst Du denn nicht begreifen, daß ich entweder auf der Bühne in einer Rolle, oder außer dieser an dem Busen eines Freundes schwärmen muß? – War ich denn je eine von jenen trägen Seelen, deren Gefühl sich so willig in die engen Schranken ihrer frostigen Einbildungskraft einkerkern läßt? – Meine Gefühle sind feurig, sie haben sich emporschwingen gelernt, sie lassen sich nicht gerne einschränken, sie müßen Beschäftigung, sie müßen einen Gegenstand haben, woran sie sich halten können. – Ehedessen war Liebe meine Hauptbeschäftigung, aber seitdem ich ihre Bitterkeiten kostete, ist es der Hang zum Theater geworden. – So bald mir das Schiksal wieder einen andern Ausweg zeigt, will ich ihm ja gerne folgen. – So [153] viel, meine Freundin, verspreche ich Dir in die Zukunft! – aber für izt kann ich einmal nicht anders; ich muß noch eine Zeitlang bei der Bühne bleiben. –

Das hiesige Theater ist nun völlig eingegangen. – Eine fremde reisende Dame bot mir bis F... einen Plaz in ihrem Wagen an. – Ich werde mitreisen, und mir dann bei dieser Gelegenheit einen andern Direktor suchen. – Hier in Wien ist ohnehin keine fernere Aussicht für mich mehr zu hoffen. – Beim Nazionaltheater ist alles übersezt, und zu einer kleinen Gesellschaft mag ich mich nicht anwerben lassen. –

In F... soll sich dermalen ein guter Direktor aufhalten. Ein hiesiger, angesehener Mann, giebt mir ein Empfehlungsschreiben an ihn mit. –

Lebe indessen gesund, Theuerste, und grüße mir Karln recht herzlich! –

Deine Amalie.

131. Brief. An Fanny
CXXXI. Brief
An Fanny

Die Dame, mit welcher ich hieher reiste, ist eine unausstehliche Prozeß-Krämerin. Sie hat mir den ganzen Weg über nichts als von ihren Streitigkeiten vorgeplaudert. – Ich mußte alle nur mögliche Geduld zusammennehmen, um nicht aus dem Wagen zu springen; so sehr hat sie mir die Ohren voll geschrieen. – Was das Weib noch überdies ihre armen Dienstleute grillenhaft quälte, wie die guten Geschöpfe immerfort von ihr geschimpft und gehudelt wurden, ist wahrlich unverantwortlich. –

Nichts ist unerträglicher, als an der Seite einer gewissen Art adelicher Damen zu sizzen, die besonders auf der Reise ihre Untergebenen bis auf den Tod zu plagen im Gebrauch [154] haben. Was man da für ein Schreien, für ein Gezänke, für ein Gewinsel anzuhören hat, wenn dem Schooshündchen oder der gnädigen Grillenfängerin etwas zustößt, und ihre Sklaven nicht gleich bei der Hand sind! O der belachenswürdigen Verzärtlung dieser Thörinnen, die so gerne mit der lieben Natur hadern möchten, daß sie ihre bequemen Körper nicht nach einem andern Modell gebaut hat, damit sie nicht die Gebrechen der Menschheit mit den Bürgerinnen gemein hätten. – Gränzenlos ist doch der weibliche Hochmuth! – Der Himmel schenke unsern deutschen Damen bald mehrere Philosophie, damit sie aufhören mit den Geburten ihrer undenkenden Köpfen ihre bedaurungswürdigen Untergebenen zu plagen. –

Als wir in F... ankamen, empfahl sich die Dame; ich gieng in einen Gasthof, und dann Tages darauf zu dem hiesigen Direktor, der mir sehr einsilbigt begegnete. – So warm ich ihm auch immer empfohlen war, so kalt und herzlos empfieng er mich doch. – Man hatte mir vieles von seinen Talenten, von seinen guten Umständen gesprochen, aber niemand hatte ein Silbchen von seiner Unleutseligkeit erwähnt. – Der kostbare Ton, womit er mir während meines Besuchs nur abgebrochne Reden zufließen lies, stieg mir gewaltig in Kopf, ich hatte große Lust ihn mit einigen Zungenhieben zu geisseln, als wir plözlich unterbrochen wurden, und ich die Zimmerthüre suchen mußte, und zwar ohne ein Wort von einem Debut gesprochen zu haben. Der kleine spiznasigte Mann gab sich die außerordentliche Mühe, mich bis an die Treppe zu begleiten; aber überrascht von dieser direktorischen Gnade, verneigte ich mich auch bis zur Erde. – Ich werde wohl keines von seinen Schauspielen zu sehen bekommen, denn ein gewisser Direktor M..... aus A... hat meinen hiesigen Aufenthalt erfahren und mir gute Anerbietungen gemacht. – Ich bin der ferneren Unthätigkeit müde, [155] deshalben habe ich einen Kontrakt unterschrieben und meinen Koffer schon an ihn abgesandt, weil A.... nur ein Paar Meilen von hier liegt, und mich Herr M.... in seinem Kabriolet selbst abholen wird. – Alle Stunden erwarte ich ihn. – Ich bin doch neugierig, was es bei dieser Gesellschaft wieder für allerlei Dinge absezzen wird. –

Der Direktor ist zugleich Autor, und seine Gesellschaft soll keine der schlechtesten seyn. – Diesen Brief schließe ich erst nach seiner Ankunft, um Dir, nachdem ich ihn werde gesprochen haben, in etwas seinen Karakter schildern zu können. –

Gestern ist M... gekommen; aber der Bursche hätte mir vom Halse bleiben können! – Wäre mein Koffer nicht schon in seinen Händen, und befürchtete ich nicht Verdrüßlichkeiten, die für mich daraus entstehen könnten, wenn ich den Kontrakt bräche, den ich bereits unterschrieben habe, so wahr Gott lebt, ich würde nimmermehr unter seine Gesellschaft tretten, so unverschämt hat mich der Bube beim ersten Besuche schon beleidigt. – Urtheile von seinem Karakter aus folgendem Gespräche. – –

M..
Sind Sie, Madame, die Schauspielerin, die mit mir den Kontrakt schloß? –
Ich
Ja, mein Herr, ich bin's. – Und Sie sind vermuthlich Herr M....? –
M..

Ja, meine schöne Göttin! – Und zur Bestätigung hier diesen Kuß... Sie gehören izt ohnehin unter mein Kommando. –

Ich
Sachte, mein Herr! – Mit wem glauben Sie zu sprechen? –
[156]
M..
Hm! – Mit einem Theater-Frauenzimmer, wovon keine unerbittlich ist. –
Ich
Und warum nicht? –
M..

Weil diese Frauenzimmer an Galanterieen gewöhnt sind, und meistens vom Direktor zuerst welche annehmen. – Man weis ja, wie's bei den Theatern zugeht. Sie werden doch an mir nicht die einzige Ausnahme machen wollen? –

Ich

Ja, mein Herr, das will ich! – Und wenn Sie tausendmal schöner gebildet wären, als Sie wirklich sind. – Ihre Kühnheit hat meinen ganzen Stolz empört! – Sie müßen ihren Reden nach immer saubere Waare unter ihrer Gesellschaft gehabt haben, die ihrer Zügellosigkeit vielleicht nach Wink zu Befehl stunde. – Schämen Sie sich, ein Frauenzimmer von Erziehung so zu behandeln! –

M..

Ah! – pah – pah! – Erziehung! – Wir sind alle Menschen, und die meisten Weiber affektiren sie gar zu gerne, blos um desto besser geschmeichelt zu werden! –

Ich

Herr M...., Sie werden immer beleidigender! – Sie sind der größte Wollüstling, der mir je aufsties. Ihre Grundsäzze sind die Sprache des lasterhaften Wizlings. – Ob ich nun Mensch oder nicht Mensch bin, darüber bin ich Ihnen keine Antwort schuldig; eben so wenig, als ich izt auf Ihre Schmeicheleien gewartet habe. –

M..

Holla! – Mein liebes Täubchen! – Gewis irgendwo in Jemanden verliebt? – Pfui! – Sie müßen Ihren Ton beim Theater herabstimmen, er macht sie gar zu lächerlich. –

[157]
Ich

Das kümmert mich wenig! – Eine Schauspielerin ohne Rechtschaffenheit ist doch immer ein schändliches Geschöpf! – Doch genug hievon! – Wenn Sie blos gekommen sind dem Laster eine Moral zu predigen – so belieben Sie mein Zimmer zu verlassen. –

M..
Nicht so böse, mein schönes Weibchen! – Nicht so böse! – Darf man Sie denn nicht lieben? –
Ich
Herr! – Sie haben eine Gattin; Sie haben Kinder; und doch...
M..

Ja der Geier mag auch immer mit Einerlei vorlieb nehmen, so jung auch mein Weib ist. – Kommen Sie, liebes Weibchen! Kommen Sie; einen Kuß – –

Ich

Den Augenblik mir Ruhe gelassen! – Oder bei Gott Sie sollen mich kennen lernen! – Und von dieser Minute an sey aller Kontrakt aufgehoben; ich reise nicht mit. – Schikken Sie mir meinen Koffer zurük! –

M..

Ha, ha, ha! – Das werde ich wohl schön bleiben lassen! – Der Kontrakt ist izt einmal unterschrieben. – Und was können Sie denn wider mich für Klagen anbringen, wenn es zum Streit kömmt? – Haben Sie denn Zeugen? – Sie werden also wohl die Gefälligkeit haben mitzureisen. –

Ich
Eher mit dem Satan, als mit dir, tükkischer Bube! – Zum lezten Mal! verlassen Sie mein Zimmer! –
M..

Nicht eher, als bis ich weis, ob Sie mir Wort halten werden; sonst muß ich mich bei der Obrigkeit melden. – Nun wollen Sie reisen, oder nicht? – –

[158] Ich
Ich will nicht – aber ich muß! – Doch gewis nicht an Ihrer Seite, erst morgen im Postwagen.
M..

Wie's beliebt, Madame! – Ich eile der ganzen Gesellschaft ihre Tugend – nicht doch – ihren Eigensinn zu preisen! – Leben Sie indessen wohl, mein kostbares Weibchen! –


Gott! – Was muß ein junges Frauenzimmer ohne Gatten an ihrer Seite dulden! – Verführung, Spott, Grobheiten sind ihr Loos! Jeder lasterhafte Bube reibt sich an ihr! – Jezt wird dieser Elende mein Feind werden. – Ich werde unter seiner Direktion glükliche Tage zu erwarten haben! – O unerbittliches Schiksal! wie lange, wie lange werden mich noch deine Streiche zermalmen. – –


Amalie.

132. Brief. An Fanny
CXXXII. Brief
An Fanny

Liebste, Beßte! –


Daß die Gesellschaft, unter der ich mich gegenwärtig befinde, unter einer schlechten Direktion steht, wirst Du aus dem Gespräch mit dem Direktor geschlossen haben. – Uebrigens ist sie zahlreich, aber darbend an guten Schauspielerinnen. – Die Männer zeigen mehr Talent als die Weiber, und M.... spielt unter ihnen die lokkern Burschen-Rollen am beßten. – Daß mich das Publikum gut aufnahm, kannst Du leicht vermuthen. – Der Direktor scheut sich izt, mich mit offenem Blikke anzusehen. – O Gewissen! wie beredt ist deine Stimme! – [159] Sein Weibchen ist mir sehr gut, und ihn quält vermuthlich die Furcht an sie verrathen zu werden. – Er muß sein unbesonnenes Betragen izt besser überdacht haben. In dieser Rüksicht hätte ich also nicht Anlaß über seine Verfolgungen zu klagen. Aber sonst will mir die ganze Einrichtung nicht gefallen. – Es ist gar zu ärgerlich, wenn so wenig gute Schauspielerinnen bei einer Gesellschaft sind! – Man wird zu sehr mit Arbeit überhäuft, und dadurch entgeht dann einer Schauspielerin die Gelegenheit, mit einer andern in die Wette zu spielen. –

Madame M.... spielt mit vieler Lebhaftigkeit Kammermädchen, listige Bauermädchen, lose Fräuleins, u. dgl. Ihr Wuchs schikt sich ganz vortreflich dazu. – Sie würde in diesen Rollen mehr als mittelmäßige Schauspielerin werden, wenn ihr Ton, ihr Wesen, ihr Gang nicht zu sehr ins Niedrig-Komische fielen. – Sie läßt die ausgelaßne Dirne zu auffallend hervorblikken, und trift so selten zwischen zügelloser Wildheit und naivem Muthwillen die Mittelstraße. –

Madame K.... spielt ihre unschuldig leidenden Mädchen auch nicht ganz übel. – Aber gar zu oft nur kalt und flüchtig. – Sie arbeitet mehr aus Handwerk, als aus Lust, – und karakterisirt unter fünf Rollen kaum eine. Ihre Empfindung stünde ihr ziemlich zu Gebote, aber leider, wie so viele Schauspielerinnen, besizt sie einen zu leeren Kopf, um diese Empfindungen während des Spiels zu benüzzen. – Die Rollen, die ihr gerathen, – gerathen ihr mehr aus Zufall und Theater-Festigkeit.

Madame L... g ist die elendeste Schauspielerin unter der Sonne! – Ich begreife nicht, wie die Frau die Frechheit haben konnte, auf mehreren großen Theatern zu debutiren. Doch Ungeschiklichkeit ist immer am kühnsten, weil sie die Schwierigkeit der Kunst nicht einsieht. – Zu Liebhaberinnen wäre ihre Figur ganz artig, aber außer dieser ist sie auf [160] der Bühne ein bloser Kloz. Ihr schwäbischer Dialekt, ihre falschen Töne, ihre unsinnigen, kauderwelschen, verdrehten Worte, die ihr der Menge nach entfahren, machen sie unausstehlich. – –

Madame J.... hingegen spielt Mütter und Heldinnen mit vieler Würde und Feuer. – Es entgeht ihr selten eine Stelle, worinn sie nicht Werth zu legen weis. – Ihr Nachdruk hat Gewicht und ist gut angebracht. – Kurz sie besizt Beurtheilungskraft, Kenntnisse und vielen Fleiß. – In mancher Stelle dient sie mir zum Muster. –

Die Uebrigen von der Gesellschaft sind zu unbedeutend, um ihrer zu erwähnen. – Es werden hier viele gute Stükke aufgeführt, nur Herr M.... dürfte uns mit seinen eigenen Wischen verschonen, die er blos aus Eitelkeit zusammenschmiert. – Mit den moralischen Karaktern unserer Schauspielerinnen sollst Du im nächsten Briefe etwas näher bekannt werden. – Für heute tausend Küße von

Deiner Freundin Amalie.

133. Brief. An Amalie
CXXXIII. Brief
An Amalie

Theure, gute Seele! –


Wie war es Dir möglich, mich auch nur einen Augenblik zu verkennen? – Wenn ich Dir die Beschwerlichkeiten des Theater-Lebens schilderte, so geschah es blos um Dich aufmerksamer zu machen, aber nicht um Dich zu zanken, da Du es bis izt noch nicht verlassen konntest. – Ich sehe recht gut ein, daß es Dir annoch unmöglich ist, weil Dich das Schiksal daran kettet. – Meine Bitte zielte nur dahin, um Dich [161] aufzumuntern, Dich um eine andere Aussicht thätiger zu bemühen. – Ich bin versichert, daß deine Leidenschaft nicht unheilbar ist, im Falle Dir das Verhängnis eine annehmungswürdige gönnet. Bis dahin tadle ich deinen Hang nicht – er ist Dir in deiner jezzigen Lage sehr nöthig. – Wenn Dich aber der Beifall des Publikums bethören könnte, wie sehr wärest Du zu beklagen, weil eben dieser Beifall oft so schief, so ungerecht, und so vielem Wechsel unterworfen ist. – Jedes Publikum hat seine Laune, und nur zu oft wird es durch Unwissenheit und Kabale gestimmt. –

In Teutschland haben wir nur wenig aufgeklärte Publikums, die im Stande sind Schauspielerkunst und Schauspieler selbst zu schäzzen. Der beßte Schauspieler ist doch immer der Sklave des Publikums, von dessen Willkühr er immer abhängt, er mag eine Bühne betretten, welche er will. – Oft ist ein halb Duzzend herumschwärmender, prahlender Dummköpfe fähig das Vorurtheil wider ihn anzuhezzen; – und ein Künstler wird an einigen Orten eben so leicht ausgepfiffen, als dem größten Esel geklatscht wird. –

O meine Freundin, möchten sich doch deine heftigen Affekten bald wieder in den sanften Busen eines Gatten ergießen können! – Möchtest Du da wieder deine innerlich tobenden Leidenschaften himmlisch verschwärmen können! – Nein, ich höre nicht auf diesen feurigen Wunsch zum Himmel zu senden, bis der Allmächtige ihn erhört und erfüllt. – Ich weis recht gut, daß die Nahrung deiner Gefühle, die Du in schwermüthigen Rollen genießest, deiner Gesundheit schädlich ist. – Sie unterhält deinen Hang zur Melankolie, sie ergözt deine Einbildungskraft, aber sie schwächt deine Seelenstärke. – Untersuche Dich selbst, und Du wirst finden, daß ich wahr rede. – Allzu traurige Menschen sind für Alles, was außer ihrer Lieblings-Leidenschaft ist, unthätig. – So viel zu deiner Anleitung über diesen Punkt! –

[162] Jene Art von Damen, wie die eine war, mit welcher Du nach F... reistest, ist mir nicht fremde. – Ich kenne mehrere dergleichen Närrinnen, die mit ihrer bissigen Zunge alles anpakken, was ihrem stolzen Hochmuth nicht behagt. – Auch der stolze Direktor in F.... hat nicht so sehr Dich beleidigt, als denjenigen, der Dich ihm empfohlen hat. – Laß Dich seinen Stolz nicht anfechten; es ist Schwachheit, die ihm Jedermann zur Last legt. – Uebrigens soll dieser Mann die strengste Obsicht über seine Leute halten; – ein Verdienst, das dein jezziger Direktor nicht besizt. – So viel ich aus deiner Schilderung sah, ist Herr M.... ein Weichling, der bei seiner wenigen Selbstbeherrschung seine Untergebenen gewis nicht in der gehörigen Ordnung erhalten kann. – Das Schiksal der Madame M.... ist unter den Schauspielerinnen allgemein. Die meisten taugen besser fürs Niedrig-Komische, als zum Erhaben-Wizzigen; denn die wenigsten Schauspielerinnen haben Erziehung genug genossen, um jenen würdigen Anstand, jenes bescheidene Wesen auf der Bühne zu behaupten, das in solchen Rollen selbst die Lebhaftigkeit erhöht, wenn es einer wohlgezogenen Schauspielerin eigen ist. – Es ist zum Erbarmen, wenn man die frechen, unverschämten Dirnen spielen sieht, die ihre pöbelhafte, häßliche Lebensart vor dem Publikum nicht verbergen können.

Auch Madame K.... hat viele Mitschwestern bei der Bühne, welche die gefühlvollsten Rollen leichtsinnig, sinnlos, ohne Fleiß, unbestimmt, eintönig wie's Vater unser wegplappern. – Die natürliche Empfindung allein thut bei einer Schauspielerin nicht viel Wirkung, wenn sie nicht durch hinlängliche Kenntnisse unterstüzt wird. Eine gute Schauspielerin muß die Worte des Schriftstellers verstehen, sie muß bei ihrem Spiel denken und ihre Empfindungen nach dem Sinne desselben lebhaft auszudrükken wissen. – Gar zu wenig Schauspielerinnen verstehen, was sie sprechen. Sie gewöhnen [163] sich durch diese Uebung an eine Art selbsterfundenen Schlendrian in ihrer Deklamazion, und spielen alle Rollen nach der nemlichen Form. Diese hirnlosen Maschinen stehlen hier oder da von einer andern guten Schauspielerin einen guten Zug aus ihrem Spiel, einen leidenschaftlichen Uebergang, eine überraschende Stellung oder so etwas dergl., und täuschen dann damit das gutherzige Publikum, troz ihren leeren Köpfen, die gar keine Originalität in sich haben. – Sobald aber der Kenner dieses grundlose Gebäude durchsucht, stürzt es vor seinem Blikke zusammen, weil es nach keinen Regeln der Kunst gebaut ist. – Das ist leider der Zustand so vieler unserer nichtdenkenden Schauspielerinnen. –

Zu einer guten tragischen Schauspielerin gehört unumgänglich Kopf, Lektur, Erziehung, Gefühl, heftige Leidenschaften, sanfte Organen, starke Einbildungskraft, eine weiche empfängliche Seele, eine schöne teutsche Sprache, gute Brust, Enthusiasmus für Tugend, Hang zur Schwermuth, ein gutes Gedächtnis, Fleis, viel Beurtheilungskraft sich mit Lebhaftigkeit in die nemliche Lage hineinzudenken! – Sobald nur eine dieser Triebfedern fehlt, so ist sie keine gute Schauspielerin.

Siehst Du, meine Freundin, so sehr ich an Dir treibe, diesen Stand zu verlassen, so sehr schäzze und verehre ich doch die Schauspielerkunst, und habe in etwas ihre Regeln studiert, ohne jemals Gebrauch davon gemacht zu haben.

Madame L...g würde auch besser thun, wenn sie bei ihrem Strikbeutel sizzen bliebe, als daß sie das Publikum nöthigte des Aergers wegen Temperirpulver einzunehmen. – Gerade ihre Dreistigkeit beweist, daß sie an Spott und Schande gewöhnt ist, sonst würde sie sich wohl hüten, sich der Gefahr auszusezzen, überall ausgepfiffen zu werden. Vor einem Jahre widerfuhr ihr dasselbe in Leipzig. – Leider streifen noch eine Menge solcher unfähigen Kunstmörderinnen [164] zu Thaliens Schande, blos aus Nebenabsichten, von einer Bühne zur andern. – Ihr glattes Lärvchen, ihr Bischen Wuchs dünkt ihnen hinlänglich Verdienst; sie verlassen sich auf die Stimme der Wollust, und kümmern sich wenig darum, ob auch Vernunft und Kenntnis Nahrung an ihrem Spiel finden. Selbst einige dumme Direktörs bestärken diese unverschämten Weibspersonen in ihrer hohen Meinung von sich selbst, indem sie würdigern Schauspielerinnen, denen es an einem schönen Gesicht, an einer glatten Haut fehlt, Rollen entziehen und sie diesen Stümperinnen zum verhunzen überlassen. – Eine Schauspielerin braucht keine glänzende Schönheit zu seyn; wenn sie einen regelmäßigen Wuchs hat, so kann ihr Gesicht vermittelst der Schminke für den Vernünftigen Täuschung genug zuwegebringen. Wer mit dem nicht zufrieden ist, sucht gewis bei ihr Privat-Interesse. –

Madame J.... hat auch meine ganze Achtung, weil sie die deinige hat. Ich kenne ihr Herz; es ist keines Neides fähig. – Aber nicht wahr, Malchen, heute hab ich Dich gewis für die etlichen Antworten entschädigt, die ich Dir lezthin schuldig blieb? –

Mein Karl ist wieder ganz gesund; er küßt Dich mit mir. –

Deine Fanny.

134. Brief. An Fanny
CXXXIV. Brief
An Fanny

Tausend Küße, meine Liebe, für dein schönes Briefchen! es ist gar zu zierlich geschrieben! – Dafür halte ich Dir aber auch heute mein Versprechen, und theile Dir die Bemerkungen über die moralischen Karakter unserer Schauspielerinnen mit. – Ich würde diese Beschreibung gewis nicht unternehmen, wenn mir nicht mein Gewissen für die Wahrheit bürgte. –

[165] Madame M.... ist im Grunde genommen ein gutes Weibchen, die ihre Pflichten als Gattin und Mutter genau erfüllt; nur fehlt es ihr an guten Grundsäzzen, um aus Ueberlegung rechtschaffen zu handeln. – Rollen-Neid zeigt sie gar keinen, aber desto mehr andere kleine Bosheiten, wodurch sie die übrigen Schauspielerinnen ihre Direktrisen-Herrschaft fühlen läßt. Sie besizt vielen natürlichen Wiz; aber ohne Kultur und Erziehung treibt sie ihn gar oft bis zur Unbescheidenheit. Von ihrem Manne wird sie auf die grausamste Weise mishandelt, und behauptet dann dabei eine Tugend, die so wenig Weibern eigen ist, wenn ihre Männer im Zorn sind, sie kann – schweigen. –

Madame K... s ist ein Fleischbrokken, der jedem zu Befehl steht. Ihre abscheuliche Sinnlichkeit gränzt an die äußerste Verachtung, die ihr von den Männern zu Theil wird, die sie kennen. – Ihre Eroberungssucht, Eitelkeit, Eigennuz, u.s.w. fallen beim ersten Anblik dem Beobachter in die Augen. Ihr Mann wird wie ein Bube von ihr behandelt; sie drohet ihm mit Schlägen, wenn er es wagt über ihren Lebenswandel nur die geringste Anmerkung zu machen. – Da er einer von jener Gattung zaghafter Schwachköpfe ist, so genießt sie bei ihrer Buhlerei die ungestörteste Freiheit. – Ich habe doch in der Welt immer bemerkt, daß die allerdümmsten Weiber allezeit die ausschweifendsten sind. – So viel von diesem Karakter; und nun zur Madame L.... g. –

Diesem Weibe würde man im Umgang ihre Ungeschiklichkeit in der Schauspielkunst gar nicht anmerken. – Sie weis recht artig zu plaudern, empfindet so gar zuweilen aus Büchern; aber alles verliert unendlich bei ihrer schwäbischen Aussprache. – Auch Koketterie sizt tief in ihrem Herzen; wahre Liebe ist ihr fremd, und bei allem dem ist sie auch die größte Puznärrin im ganzen Orte. – Aus Eitelkeit wirft sie ihr Nezchen aus, so lang es angeht, aber mit mehr [166] kostbarer Ziererei und Verstellung, als eine ganz pöbelhafte Buhlerin. –

Madame J... hingegen entschädigt den Beobachter für die übrigen alle: sie ist ein braves soliddenkendes Weib, deren Denkungsart untadelhaft und rechtschaffen ist. – Sie theilt ihre Beschäftigung zwischen Religion und Berufspflicht, und lebt in der glüklichsten, zufriedensten Ehe. – Eine Menge ausgestandener Theater-Schiksale entzogen ihr jene Glüksgüter, die sie ihres Talents und Fleißes wegen so sehr verdient hätte. – Unglük hat das gute Weib sanft und weise gemacht; sie fodert wenig vom Schiksale, und genießt das Wenige mit reinem, vorwurfsfreiem Gewissen. Wie sehr verdient diese Edle alles Erdenglük! –

Die übrigen Weibsleute bei unserer Gesellschaft sind meiner Beobachtung ganz unwürdig. – Ich würde Dir auch etwas weniges von den moralischen Karaktern unserer Schauspieler schreiben, aber da ich keinen Umgang mit ihnen pflege, so ist es mir wohl nicht möglich sie genauer zu kennen. – Die Stunde ist da; die Post wird abgehen; ich muß also schließen, meine Fanny. –

Lebe wohl! –

Deine Amalie.

135. Brief. An Fanny
CXXXV. Brief
An Fanny

Nun so hat sich denn das Schiksal wider mich verschworen! – So muß ich denn so oft wider meinen Willen von einer Bühne zur andern reisen? –

Wer hätte denn izt diese geschwinde Veränderung wieder vermuthet, an der die Schurkerei eines schlechten Kerls Schuld ist? – M.... hat seine Büberei vollendet, und ist vor [167] einigen Tagen mit einigen unserer beßten Schauspieler entloffen! – Die Veranlassung dazu war ein heftiger Streit mit seinem armen Weibchen und einer lüderlichen Mezze von Figurantin, die ihn vermuthlich zu diesem Schritte verleitete. – Der schändliche Bösewicht konnte sein Weib und seine Kinder dem Hunger und dem Elend Preis geben! – Er konnte ein Häufchen von Menschen ins Elend stürzen, die sich auf diesen Schritt nicht vorgesehen hatten! – Nun sizt sie da sein armes Weib, mit zwei noch unerzogenen armen Würmchen, und wird von den Gläubigern ihres verloffenen Manns beinahe zerrissen! – Gott im Himmel! Was ist das für ein Anblik! – Wenn nicht einige Menschenfreunde zu Hülfe eilen, so muß dies arme Weib zu Grunde gehen! –

O Armuth! – wie schröklich sind deine Folgen! – Die Gesellschaft ist nun durch diese schlechte Handlung des Direktors ganz auseinander, und unfähig ferner fortzuspielen. – Alle werden sich in wenig Tagein trennen; und müßen sich dann dem Ungefähr überlassen, ob es ihnen bald wieder ein Stükchen saures Brod zuzuwerfen Lust hat! –

Madame J... reist nach F....; wie weh thut es mir, diese wakkere Frau verlassen zu müßen! – Was wird izt aus ihr, was wird aus mir werden? – Zum Glükke ist meine Börse noch hinlänglich versehen, um nach W... reisen zu können, wo sich der Direktor N... aufhalten soll. – Dann mag der Himmel ferner für mich sorgen! – O meine Theuerste! – Nun fange ich an, die Last eines unbeständigen Theater-Schiksals ganz zu empfinden! – Und dennoch muß ich diese Last noch tragen; dennoch muß ich ein Leben fortführen, wobei man aus Nahrungssorge, Gram und Kummer lebendig vermodert! –

Bei meiner Ankunft in W... schreibe ich Dir gleich, damit Du außer aller Sorge seyn mögest. – Wie geht es mit Karls Gesundheit? – Schreibe mir doch auch wieder etwas von ihm! –

[168] Gottes Segen über Dich, holdes Mädchen, bis zu fernerer Nachricht von deiner beßten

Amalie.

136. Brief. An Amalie
CXXXVI. Brief
An Amalie

Ha! – meine Freundin! – Dein Kummer ist ein Schatten gegen dem meinigen! – Mein Karl! – O mein Karl ist gewis auf ewig für mich verloren! – Ein niederträchtiger Ehrenschänder hat es in seiner Gegenwart gewagt, meinen guten Namen anzutasten! – Du kennst seine feurige Liebe für mich; – die Hizze seines Temperaments riß ihn hin, und ein unglüklicher Zweikampf machte ihn zum mörderischen Flüchtling! – Gerechter Gott! – Wie der arme Gebeugte beim Abschiede mit zitternder Angst an meinen Lippen hieng! – Wie dann meine Thränen ihn fast erstikten! – Er wollte nicht weichen von meinem Busen, hätte ihn mein Bruder nicht mit Gewalt weggerissen! –

O Ehre, wie barbarisch sind deine Begriffe! – Du mußt deine Vertheidigung im Blute deines Nächsten suchen! – Ist denn ein Verläumder, ein Ehrenschänder, ein schlechter Kerl noch so viel werth, um das Leben eines ehrlichen Mannes, die Ruhe einer Geliebten seinetwillen aufs Spiel zu sezzen? – Sollte nicht die Obrigkeit mit der strengsten Strafe dergleichen Ehrendieben drohen? – Warum züchtigt man böse Mäuler nicht durch öffentliche Schande? – Der ruhige Biedermann hätte dann nicht nöthig sich mit solchen Ehrenbanditen zu beschmuzzen. – Und gerade meinem armen unschuldigen Karl mußte so ein elender Bube aufstossen? – Er, mit seinem edeln, gefühlvollen Herzen, wurde gezwungen Blut zu vergießen, – mußte seine Fanny auf Kosten seines [169] Lebens vertheidigen! – O mein geliebter Karl, wie elend hast Du uns beide gemacht! – Noch lebt der von ihm Verwundete, aber jede Stunde droht ihm Tod – und meinem Karl Verbannung! – Stirbt der Elende, dann hin ich verloren! – dann ist an Karls Rükkehr nicht mehr zu denken. – Dann ist er für mich dahin, der beßte Gatte, der vor Gott schon lange der meinige war! –

Ha! – Amalie! – Die Leiden der Trennung drükken schwer, aber die Leiden einer hofnungslosen Liebe drükken noch schwerer! – Du kennst meine Verfassung; kann ich ihm wohl nacheilen? – Kann ich eine Familie verlassen, deren einzige Hofnung ich noch bin? – O die Liebe ist allgewaltig! – Ja, ich kann's, ich will's, ich muß, ich werde ihm nacheilen! – Stirbt der Verwundete, dann hält mich nichts mehr auf! – Um meinetwillen ist er flüchtig! – Um meinetwillen irrt er izt in der Welt herum! – Mir kömmt es zu, ihn zu trösten, seinen Jammer zu lindern! – Er soll mich wiedersehen, es ist mir Pflicht, einem Geliebten zu folgen, der ohne mich dahinwelken würde!!! –

Fanny.


N. S. Lies beigeschloßnen Brief vom armen Karl! –


Weib, meiner Seele! – Du einzige Geliebte meines Herzens! – Mäßige um Gottes willen deinen Kummer, trokne deine Thränen! – Erhalte deinem armen Karl eine Gattin, die vor den Augen Gottes mit ihm vermählt ist!

Schröklich ist zwar unser Schiksal, daß wir entbehren müßen die Seligkeiten eines Umgangs, der uns beide so himmlisch entzükte! – – Noch fühle ich die Wärme deines Busens, wenn er an den meinigen gelehnt mir Glükseligkeit zuklopfte! – Sie sind verschwunden diese Stunden der gränzenlosesten Glükseligkeit! – O meine Fanny! – Wann wird [170] dein armer Flüchtling Dich wiedersehen? – Wann wird er Dich wieder an dies Herz drükken können? –

Ha! – Ich bin ein Elender! – Noch rauchen meine Hände vom Blut! – Noch höre ich den todtblassen Gegner zu meinen Füßen röcheln! – Weh mir! – Ich wurde unschuldig zum Mörder! – Daß doch der unglükselige Verläumder mein Temperament reizen mußte! – Daß er Dich Engel so schändlich beleidigen mußte! – Nur ein Bösewicht oder ein Nebenbuhler kann die Ehre eines rechtschaffenen Mädchens so teuflisch verdächtig machen! – Du meine Gattin, mein Stolz, mein Alles, Dich hätte ich sollen so erniedrigen lassen? – O bei Gott! die blose Erinnerung glüht mir wieder durch alle Adern!

Sey mir willkommen Verbannung! – Sey mir willkommen! – Ich dulde dich gerne, um meiner Gattin willen, die mir auch ins Elend folgen wird! – Willst Du? – Willst Du Edle, einem Gatten folgen, der ohne Dich nicht weiter an dieses Leben gefesselt seyn will? – Ich kenne Dich, göttliches Mädchen! Liebe ist die einzige Triebfeder deiner Seele! – Du kannst deinen Karl nicht elend machen!

Wenn diese Hofnung mich Unglüklichen nicht belebte, – ich würde mein Schiksal verfluchen! –

Laß mich bald wissen, Theure, ob Du mir folgst, oder ob ich wieder zurükkehren darf in deine Arme? – Gott! wie schröklich ist es, wenn lebhafte Menschen auf solche entscheidende Nachrichten harren! – Dein unglüklicher, ewig Dich liebender

Karl ***. – [171]

137. Brief. An Fanny
CXXXVII. Brief
An Fanny

Arme Freundin! –


Entsezzen überfiel mich bei der Nachricht deines Unglüks! – Gott! – Wenn Dich nur deine Leidenschaft zu keinem übereilten Schritte verleitet! – Wenn Du nur nicht etwa unbesonnener Weise den Armen deiner Familie entfliehst, ohne wenigstens deinen guten Bruder zum Vertrauten gemacht zu haben! – So jung er ist – so ist er doch Mann, und wird Dir und deinem Karl Gutes rathen. – Hat dieser Brief das Glük Dich noch anzutreffen, o dann beschwöre ich Dich bei meiner Liebe, überlege alles wohl zum voraus! – Karl liebt Dich zu feurig, um in der Hizze jener Ueberlegung fähig zu seyn, die für euch beide so nöthig ist. – Ist denn eine kurze Entfernung nicht leichter zu ertragen, als eine Reihe Jahre voll Dürftigkeit, die ein unüberlegter Schritt euch zuziehen könnte? – Sey vernünftig, meine Liebe! – Ueberlaß Dich keinem Taumel, der Dir Reue bringen könnte. – Freundin! – Ich muß Dir in diesem Augenblik hart scheinen! – Aber ich bin es nicht! so wahr Gott lebt, ich bin es nicht! –

Liebt euch, ihr Edeln! Liebt euch auf immer! – Aber baut euere Liebe auf Aussichten für euere künftige Ruhe. – Dein Karl soll auch nur der geringsten Einkünften gewis seyn – dann folge ihm. – Aber beide als Flüchtlinge herumirren, sich jedem Zufall Preis geben, die schröklichsten Folgen der Armuth ertragen; wolltest Du das? – Könntest Du das? – Kaum kann ich deine Antwort abwarten, so sehr jammert mich dein Zustand! – Reiße mich so geschwind als möglich aus dieser angstvollen Ungewisheit! –

[172] Von einer sehr beschwerlichen Reise abgemattet, kam ich vor einigen Tagen in W... an. –

Direktor N.... und sein Weibchen sind herzgute Leute, aber in sehr mißlichen Umständen. – Der gute Mann hat es mit einem äußerst undankbaren Publikum zu thun, das seine Verdienste nicht zu schäzzen weis. – Er besizt als rechtschaffner Mann nicht die einträgliche Gabe in Vorzimmern herumzukriechen und dem hiesigen Adel den Staub von den Füßen zu lekken. – Wenn der Künstler sich zu so einem Geschäft erniedrigen könnte, wo bliebe denn der Werth seiner Kunst? – Die Mätresse aus Kabale und Liebe wurde von mir zur Debut-Rolle gewählt. – Noch keine Rolle kostete mich so viel Kopfanstrengung, um den feinen, feurigen Sinn eines Schillers zu studieren, als diese. – Aber auch noch keine Rolle spielte ich mit so vielem Vergnügen. – Selbst das Publikum empfieng mich mit weit größerm Enthusiasmus als sonst in andern Rollen. – Im großen Monolog, wo Lady dem Ferdinand ihr Schiksal erzählt, gab ich mir alle Mühe die Situazionen mit gehöriger Abwechslung zu malen. – Du kennst das Stük – und sagtest mir selbst schon, daß eben dieser schöne, lebhafte Monolog von so vielen Schauspielerinnen kaltblütig geradebrecht und eintönig, sinnlos dahergeraunt würde. – Dieses Vorwurfes glaubte ich mich schuldig gemacht zu haben, bis Direktor N.... mit der feurigsten Entzükkung eines Künstlers mir aus den Koulissen lauten Beifall zurief! – Immer genug für einen Direktor, – die sonst aus Eigennuz nimmer gewohnt sind ihren Untergebenen Zufriedenheit merken zu lassen! –

Die Aufmunterung dieses kenntnisvollen Mannes war mir mehr Belohnung, als der Schall eines Publikums, dessen Triebfedern oft nicht die richtigsten sind. – Schade, daß der brave N.... in keinen bessern Umständen ist, die mir für [173] fernere Aussichten bürgten; nie würde ich diese Gesellschaft verlassen! –

Die Nothwendigkeit zwang mich in dieser Rüksicht an den Direktor K.... nach St.... zu schreiben. – Von seiner Antwort hängt nun das künftige Schiksal deiner Freundin ab. –

Amalie.

138. Brief. An Amalie
CXXXVIII. Brief
An Amalie

Meine Freundin! –


Wie doch der gefühlvolle Mensch in seinen leidenschaftlichen Augenblikken so hofnungslos lärmen kann! – Der Gram zeigt ihm in seiner Begeisterung den Abgrund schon offen, noch eh er sich geöffnet hat. – Aber auch nur liebende Menschen sind im Unglük zaghafter als andere, weil diese Hauptleidenschaft die geschwindeste und stärkste Zerrüttung in ihrem Gehirne anrichtet! –

So gieng es gerade mir. Ich bin eine von jenen Schwachen, die sich immer das Aergste träumen! – Wo bleibt doch mein Zutrauen in die Vorsehung? – Vergieb mir, gutes Weibchen, wenn ich Dich durch meinen leztern Brief zu sehr ängstigte! – Das Unglük kam zu überraschend, um mir jene Fassung zu lassen, deren ich bedurft hätte. – Doch dir, o Menschenbeherrscher, sey's gedankt, daß du mir mit meinem Karl auch meine Ruhe wieder schenktest! –

Der Verwundete starb nicht; die Sache blieb geheim; und mein einziger, beßter Karl wird in wenig Tagen wieder in meine Arme fliegen! – Feurig will ich ihn dann an mein Herz drükken und aufrufen: Ich habe dich wieder!!! – Ich habe dich wieder! –

[174] Diese wenige Wochen seiner Abwesenheit dünkten mir eine schröklich lange Ewigkeit zu seyn! – So sehr bin ich an den Umgang dieses Lieblings gewöhnt, daß es mir eine Unmöglichkeit scheint ihn jemals entbehren zu können. – Wie kann es doch Eheleute geben, die einander zur Last werden können? – Eine Verbindung, die auf gutes Herz, Rechtschaffenheit, Vernunft und wahre harmonische Denkungsart gegründet ist, hat ja keine Flitterwochen. – Wie können die Reize eines denkenden Mannes in den Augen eines denkenden Weibes ihre Neuheit verlieren, wenn eben dieser Mann durch tausend häusliche Gefälligkeiten, durch sein gutes Herz, durch seine Nachsicht diese Reize alle Augenblikke auszudehnen und zu erneuern weis? – Die Empfindsamkeit eines denkenden Weibchens muß dann aus Dankbarkeit gegen ihren Gatten auf die nemliche Weise handeln. – Ketten sich denn nicht solche Herzen mit der seligsten Zufriedenheit immer mehr und mehr zusammen? – Selbst das Sinnliche unter zwei denkenden Eheleuten verliert seine Neuheit nicht, weil Denken seinen Gebrauch zu verfeinern weis. – Es gab eine Zeit, wo mir eheliche Glükseligkeit unbegreiflich war; wo ich blos nach dem Beweis so vieler misrathenen Ehen urtheilte; wo mir diese Sprache Romanensprache dünkte. – Aber nun bin ich anders überzeugt, und werde von nun an jedem denkenden Mädchen zurufen: Suche dir einen Gatten, der mit dir empfindet, der der Wiederhall deines Herzens ist, und der dich verstehet! –

Bald, meine Amalie, hoffe ich mit meinem Karl auch vor der Welt vereinigt zu werden. – Stößt dir dann einstens wieder ein guter Junge auf, o so folge doch meinem Beispiel! –

Ist es möglich! – Also auch der gute Direktor N.... erlebt in dem traurigen W... das Schiksal so vieler Künstler? – Pfui der Schande, daß Dürftigkeit und Verfolgung gemeiniglich Belohnung der beßten Talenten ist! – Aber der Adel muß sich selbst zuerst auszeichnender aus der Dummheit [175] herausschwingen, wenn er Verdienste will zu schäzzen wissen. –

Nicht wahr, Amalie, Du meldest mir doch bald, wo Du Dich hinzuwenden gedenkest, und glaubst mich doch immer

Deine unveränderliche Freundin

Fanny.

139. Brief. An Fanny
CXXXIX. Brief
An Fanny

Dein lezter Brief hat mich wieder ganz beruhigt, und ich kann Dir izt mit aufgewekterem Kopfe von meinem künftigen Schiksal sprechen. – Dann magst Du dieses Schiksal an der Seite deines Karls durchdenken, durchlesen, und mir sagen, was Du davon hältst! – Gieb indessen deinem Karl ein recht warmes Mäulchen für mich, Du liebe Schwärmerin, wenn Du ihn wieder an deiner Seite hast! – Und nun höre! –

Mein guter Direktor N... steht völlig auf der Neige. – Zum Glükke bieten sich mir gerade zu rechter Zeit Aussichten in St... an, die zwar mit einigen Bitterkeiten verbunden sind; aber da mir wohl keine andere übrig bleiben, so muß ich sie wohl annehmen. – Daß nun diese Aussichten nach meinem Wunsche ausfallen werden – glaube ich schwerlich; denn die Briefe dortigen Direktors K.... beweisen mir gerade das Gegentheil. –

Erstlich räsonniert Herr K.... erzgrob gegen ein Frauenzimmer in seinen Briefen; er scheint mir daher besser zum Stallknecht als zum Direktor zu taugen. – Zweitens dünkt er mir ein eigennüzziger Dummkopf zu seyn, der so wie viele andere die Sinnlichkeit des Publikums zu befriedigen sucht. –

[176] »Madame, wenn Sie nicht recht gut gewachsen sind, so kommen Sie ja nicht zum Debut!« – So lauten die Worte dieses Grobians – der sich schon zum voraus als Oberaufseher eines Lustnimphen-Chors zeigt. – Wäre in meiner Lage guter Rath nicht so theuer, ich würde mich nie zu diesem Niederträchtigen begeben haben. – So viel Mistrauen er auch immer in mein Talent sezt, so kümmert mich doch sein Gewäsche nicht im geringsten, und ich wage es kühn auf den blosen Debut nach St.... zu reisen. – Gefalle ich dem Publikum, so bin ich angeworben; gefalle ich ihm nicht, so verliert der Direktor die Reisekosten und ich meine weitere Aussicht. –

So weit gienge nun meine Entschließung, die Du nach beiliegendem Brief selbst billigen wirst, der mir von dem guten unglüklichen N.... geschrieben wurde. – – Mein künftiges Glük hängt nun vom Zufall ab; willst Du für mich indessen ein Paar hohle Seufzer zur Göttin Thalia schikken, damit sie die Laune des Publikums zu meinem Vortheil stimmt, so magst Du es immer thun. – Ob deine Seufzer erhört worden oder nicht, sollst Du im nächsten Briefe erfahren. – Bei meiner Ankunft schreibe ich Dir gleich. – Uebrigens bin ich wie allezeit dein ergebenes, aufrichtiges

Malchen.


Beilage zum vorhergehenden Briefe.


Madame! –


Wie leid thut es mir, Ihre Theater-Verdienste nicht fernerhin nach meinem Willen belohnen zu können! – Es schmerzt mich unendlich, eine so würdige Schauspielerin entlassen zu müßen. Sie kennen meine Achtung für Ihre Denkungsart und Talente. – Bedauern Sie die elende Verfassung eines Mannes, der sich alle nur mögliche Mühe gab, seine Gesellschaft nicht eingehen zu lassen, und dem seines Fleißes ungeachtet[177] jede Hofnung einer künftigen Aussicht fehlschlug. – In verschiedenen Städten ist mir die Erlaubnis zu spielen nicht ertheilt worden. – Bin ich nun nicht zu der Aufhebung meiner Gesellschaft gezwungen, da ich es bei der geringen Unterstüzzung des hiesigen Adels nicht länger mehr an einem Orte aushalten kann, wo man mich mit Gewalt zu stürzen sucht? – Die Damen trieben es so weit, daß sie zusammen schwuren, meine Bühne mit keinem Fuß mehr zu betretten. – Und warum? – Lachen Sie nicht, Madame! – Es herrscht in kleinen Städten unter den Damen eine gewöhnliche Seuche, die Bürgerinnen um ihres Anzuges willen gar grimmig zu verfolgen. –

Meine Frau ist die Tochter eines hiesigen Bürgers. – Seitdem Sie an meiner Seite Schauspielerin wurde, trägt sie etwas modernere Kleidung, als vorhin, die denn freilich mit geringen Kosten ihren Körper besser zieren, als der buntschäkkigte Puz einer solchen kleinstädtischen Mode-Aeffin. – Diese boshaften Thörinnen sind es, die einem ehrlichen Manne um einer Bettelei willen den Untergang zugedacht haben! – Hätten Sie wohl je bei adelichen Damen aus beleidigter Eitelkeit so eine kleine Handlung vermuthet? – – Wahrlich eine lobenswürdige Kultur herrscht in der Reichsstadt W.... unter den Weibern. – –

Verzeihen Sie, Madame, wenn ich nicht den Muth hatte, Ihnen Ihre Entlassung mündlich zu melden. – Ersparen Sie mir Ihren fernern Anblik; es würde mein Gefühl zu sehr reizen, eine Schauspielerin von Ihrer Gattung entbehren zu müßen. – Reisen Sie glüklich, von Leuten gesegnet, die Sie gewis schäzten. – Das wünscht Ihnen meine Gattin nebst mir, der ich mit aller Hochachtung immer seyn werde,

Madame, Ihr ganz ergebenster Diener, N... [178]

140. Brief. An Fanny
CXL. Brief
An Fanny

Meine Theuerste! –


Die Gesellschaft, die ich im Postwagen bis hieher hatte, war nicht merkwürdig genug, um Dir etwas ausgezeichnetes davon sagen zu können; also muß ich wohl blos bei St.... stehen bleiben. – Aber, wie ich es zum voraus vermuthete, der Direktor bewies mir beim ersten Anblik die Leere seines Kopfs, und seine wichtige Miene kürzte meinen Besuch ab. – Was mag denn diesen Mann so aufgeblasen machen? – fragte ich in einer Gesellschaft, in die ich eben eintrat. – Dann schrieen die anwesenden bösen Weiber mir entgegen:

»Seine Börse ist seit einiger Zeit durch die Gutherzigkeit der treuen Ehehälfte so gespikt worden, daß er nun nicht mehr nöthig hat als Hanswurst mit dem hölzernen Degen Possenstreiche zu machen. – Ein reicher Kauz schoß ihm Kapitalien vor, verschrieb Leute, und gab aus Empfindsamkeit dem ganzen Theaterwesen bald ein anderes Ansehen. – Nun tragen die Schauspieler keine papiernen Manschetten mehr, wie ehedessen – und die Schauspielerinnen dürfen in keinen wollenen Kleidern mehr ihre Rollen aus Aerger verhunzen. – Aber wie dergleichen Leute es nun machen – (fuhren die plauderhaften Frau Basen fort) – wie sie es nun machen; sobald sie ein Bischen fliegen können, flattern sie dann wieder andern Eroberungen entgegen. – So machte es gerade unsere Direktrise auch. – Ihr flüchtiges unbesonnenes Temperament, womit sie sogar durch übles Beispiel die Verführerin ihrer eigenen Kinder wurde, riß sie bald wieder von dem reichen Kauzen [179] weg – und aus Zufall fiel sie dann in einer starken Erhizzung ganz ohnmächtig in die Arme eines Tänzers. – Sie sollten diesen Gekken nur erst kennen! – Er stinkt vor Hochmuth, trägt eine Eselsnase, womit er zu riechen vorgiebt, daß alle Frauenzimmer in ihn verliebt seyn müßen. Er soll auch dabei ziemlich brutal seyn, und unsinnig über alles wizzeln, was ihm aufstößt – ob er gleichwohl der größte Dummkopf von der Welt ist.« – Die geschwäzzigen Dingerchen hatten Lust mir noch mehr ins Ohr zu sagen, aber ich mußte mich entfernen, um der ganzen Gesellschaft meinen Besuch abzustatten. –

Ganz natürlich wies mich die Etikette zuvorderst an die Thüre der ersten Favoritin des Direktors. – Da fand ich dann ein runzlichtes, eingefallenes, überschminktes, gelbhäutiges Ding, das mich mit ziemlich spöttischem Nasenrümpfen empfieng. – Die schwarzen buhlerischen Augen bestättigten den schlechten Ruf, den ich in einigen Ländern schon von diesem Geschöpf gehört hatte. –

Bei meiner Durchreise in D.... sagte man mir, daß sie wegen ihrer Buhlerei mit dem dortigen Landesfürsten von seiner Gemahlin, nebst der ganzen Schauspielergesellschaft, seye fortgejagt worden; – und seither darf auch keine Schauspielergesellschaft mehr an diesem Orte spielen. –

Auf der Universität E... soll ein neunzehnjähriger Jüngling in seiner lezten Stunde ihr Bildnis in Stükke zerrissen haben, weil sie ihm hinlängliches Gift mitgetheilt hatte, um ins Elysium hinüber zu segeln. – Mehrere solcher Histörchen hat man mir auf meiner Reise von ihr erzählt. – Mein Herz war schon mit Abscheu angefüllt, noch eh ich sie sah. – Sie schwazt recht artig von der Theaterkunst; stellt sich aber dabei so albern, ziert sich so hochmüthig, ist so verschlossen für Gefühl und Ehre, daß man sie bei der ersten Unterredung hassen muß. – Ich wette tausend gegen eins, in Koketten- und buhlerischen Rollen ist sie Meisterin. –

[180] Von da gieng ich zur Madame ....; ein Weib, die von Eigenliebe strozt, und die ziemlich boshafte, neidische Launen haben mag. – Ihr ganzes Wesen verräth Mangel an Bildung und Erziehung. – So faul und kalt sie auch immer scheint, so hat sie demungeachtet ein ziemlich spizziges Züngelchen, ihre Nebenschauspielerinnen durchzuhecheln. –

Nun führte mich mein Weg zur Mademoiselle ...., einem erzdummen Gänschen von der ersten Gattung. – Sie affektiert heuchlerisch die Tugendhafte – und soll doch ihre ganze Garderobe von ihren Anbetern erhalten haben. – Wie das zugieng – das mag ich nicht untersuchen – geht mich auch nichts an. –

Endlich zur Madame ....; ein Weib, die in ihrem Betragen mehr einem Grenadier ähnelt, als einer Dame, wofür sie sich ausgiebt. – Sie hatte einen französischen Windbeutel geheirathet, der sie hernach sizzen lies. – Sie hat im Gebrauch, ziemlich von ihren Verdiensten zu schwadronnieren – räsonniert von der Schauspielkunst wie eine blinde Kuhe – zeigt ihre Garderobe jedem der sie besucht – ist falsch – verläumderisch, pöbelhaft – und affektiert die Vielwisserin. –

Von den übrigen Frauenzimmern weis ich nichts zu sagen – weil ich keine weiter besuchte. – In einigen Wochen soll ich debutiren; bis dorthin bekomme ich Anlaß mehrere Beobachtungen zu machen. Unterdessen verbleibe ich deine Dich auf das zärtlichste liebende Freundin

Amalie.

141. Brief. An Fanny
CXLI. Brief
An Fanny

Diesmal, liebes Mädchen, läßt Du mich gar zu lange auf Nachrichten warten! – Was mag wohl die Ursache seyn? – [181] Ist etwa Dir oder deinem Liebling wieder ein neues Unglük zugestossen? – Nicht doch! – dann hätte ich ja schon Briefe! – Unglükliche Botschaften laufen geschwinder als andere; – und diese Grille soll mich nun nicht in meinen ferneren Beobachtungen stören. –

Jezt kann ich Dir, meine Liebe, die Theater-Talenten der ganzen hiesigen Gesellschaft schildern. Ich habe sie schon alle spielen gesehen, und Madame K.... soll mir zum Anfang dienen. –

Aus direktrisischer Eitelkeit spielt diese Frau alle Rollen, die ihr gefallen, sie mögen ihr passen oder nicht. – Ihr eigentliches Fach wäre naive Mädchen und Soubretten. – Bliebe sie dabei, so könnte ihr kein Kenner seinen Beifall versagen, den er ihr unstreitig in Trauerspiel-Heldinnen versagen muß. – Sie besizt weder Brust, noch Kraft, noch Organen zu einer feurigen Trauerspiel-Heldin. – Selten erräth sie den Sinn des Dichters, und noch seltener die Natur einer Situazion. – Alle Rollen von dieser Art werden von ihr durchgeheult, durchgeschluchzt, und durchgrimassiert. – Man möchte bei ihrem unausstehlichen Geraunz, womit sie vom Anfange bis zum Ende die Ohren der Zuschauer martert, davon laufen. – Diese Einförmigkeit der Deklamazion beweist, daß sie solche Rollen ohne Kenntnis spielt. – Ihr Bischen Gefühl, das nur von Zeit zu Zeit hervorblikt, liegt in dem Bau ihrer Nerven, und ihr Herz kann unmöglich Theil daran haben, sonst wäre sie nicht aufgelegt, in der Zwischenzeit hinter den Koulissen die ausgelassensten Schäkkereien zu treiben. – Eine enthusiastische Schauspielerin, die mit gerührtem Herzen spielt – und deren Seele Antheil an dem Spiel nimmt, kann da, wo die Leidenschaften in der feurigsten Gährung sind, keiner entgegengesezten Zerstreuungen fähig seyn – sonst ist sie nicht gute Schauspielerin – aber wohl eine bezahlte Komödiantin, die dem Publikum Scheingefühl auftischt. – Genug hievon! –

[182] Nun zur Madame E..., die sich ebenmäßig von einer unerhörten Rollenwut beherrschen läßt, da sie doch den wenigsten gewachsen ist. – Das muß man ihr indessen nachsagen: sie spielt ihre Koketten mit einer Gewisheit, mit einer Uebung, mit einer Frechheit, mit einer kalten Fühllosigkeit, mit einer verschmizten Bosheit, mit einem heuchlerischen Eigennuz, mit einer künstlichen Eroberungs-Sucht, mit einem gebrandmarkten Herzen, so gut als man es nur von der Natur eines solchen Karakters fodern kann. – Auch einige karakterisirte Konversazions-Rollen gerathen ihr. Besonders wenn Verstellung, Stolz, oder Neid darinnen liegt. – Hingegen verhunzt sie in allen gutartigen Rollen jede einzelne Stelle, die Gefühl ausdrükt; in Trauerspielen ist sie ganz und gar nicht zum Ansehen, noch zum Anhören. – Jede moralische Empfindung der Liebe oder Tugend wird von ihr so steif, so antheillos, so unempfunden dahergesagt, daß es Jammer und Schade für die gefühlvollen Arbeiten eines Autors ist, wenn sie in ihre Hände fallen. – Ihre Deklamazion in Trauerspielen besteht aus hunderterlei singenden Mistönen, wobei ihr in den Hauptaffekten das moralische Gefühl und ihre schwache Brust jeden Dienst zur richtigen Vorstellung versagen. – Ich sah sie die Königin im Macbeth spielen; aber mit solchem zusammengefrornem Herzen, mit solcher Monotonie und mit solcher unverschämten Dreistigkeit habe ich noch niemalen eine Königin spielen gesehen. – Bei dem Auftritt, wo die Gewissensbisse die Königin unruhig umhertreiben; wo sie mit der Todesangst kämpfend in das schon halb angebrannte Zimmer stürzt und zu dem Allmächtigen um Barmherzigkeit fleht – kam Madame E... ganz flegmatisch hereingeschlichen, beugte ihre Kniee sehr gemächlich zur Erde, hob ein halb lächelndes Gebet an, gerade so eiskalt, so zuversichtlich, so hochmüthig, wie eine unverschämte Kokette, die am Rande des Grabes sich noch in den Himmel hineinzubuhlen [183] sucht. – Hab' ich Dir nicht schon einmal gesagt, daß der sittliche Wandel bei einer Schauspielerin für den Kenner auf der Bühne in entgegengesezten Rollen äußerst hervorsticht? – Hier hast Du nun den wahren Beweis an dieser Madame E.... –

Jezt also weiter zur Madame P..., einem langen hagern Bilde von einem Weibe, – die, ihrer Figur nach, wohl Mütter und ansehnliche Frauen spielen könnte, wenn ihre träge Seele nicht an der Schlafsucht kränkelte. – Sie ist in ihren gefühlvollen Rollen noch weit weniger als eintönig, weil ihr das natürliche Flegma und die so sehr angewöhnte Faulheit kaum erlaubt, für den Zuschauer vernehmliche Worte über die Zunge zu stossen. – Nicht einmal den doch sonst gewöhnlichen Handwerks-Eifer besizt sie, ihre Rollen gut zu memoriren. – Würden dann von ihr die Rollen auch noch so unsinnig deklamirt, so wäre es doch weit erträglicher zu hören, als jener schleppende Ton, womit sie jede Silbe Ellen lang ausdehnet. – Sie versteht weder Pausen, noch weniger einen Uebergang der Leidenschaften im hohen Tragischen. – Komische Rollen könnten ihr noch besser gelingen, wenn sie nicht eitel und eigensinnig genug wäre, sich vollkommen zu glauben. – Es ist mir unbegreiflich, wie das Weib so ganz ohne das mindeste Feuer die interessantesten, leidenschaftlichsten Strophen überhüpfen kann; – eben so wenig als ich begreife, wie der Direktor der Mademoiselle S.... nur die geringste Rollen anvertrauen mag. – Ein Mädchen, die kein richtiges Wort teutsch spricht, die keine Silbe ohne Anstoß lesen kann – untersteht sich Liebhaberinnen und Kammermädchen zu spielen! – Die ist, weis Gott, in den Augen eines jeden unpartheiischen Kenners gewis nur das, was das Null bei den Zahlen ist. – Freilich weis sie sich ein Bischen zu puzzen, ist jung, hat einen vollen Busen! – Genug! – wird der Direktor denken, um die Stuzzer ins Theater zu lokken. –

[184] Nun kömmt die Reihe an Madame Mü...., die eigentlich nur Tänzerin ist, – welcher aber doch zuweilen die Lust ankömmt, dem Publikum auf ein Vierteljahr lang Ekkel einzujagen. – Sie will Soubretten spielen; kleidet sich in kurze Rökke, wie eine Kolombine; spricht baierisch bis zum Uebelwerden, und treibt auf der Bühne so pöbelhafte Streiche, wie ein wahres ausgeschämtes Alltags-Mensch. – Lezthin hätte sie das unwillige Publikum bald in der Rolle der Barbara, in dem Stükke: Glük bessert Thorheit, mit Pfeifen zu Hause geschikt. –

Ferner darf ich auch die andre Tänzerin, Madame Ma..., nicht vergessen; sie ist eine gute Tänzerin – aber eine blutschlechte Schauspielerin. Ob sie gleichwohl die Raserei besizt, um Rollen zu buhlen. – Ihr männliches Wesen, ihre Baßstimme, die mit widrigen, durch die Nase laufenden Tönen bis zur Abscheulichkeit akkompagnirt wird – machen aus ihr in jeder ernsthaften Rolle die lächerlichste Karrikatur. –

Endlich ist noch da Madame F...., welche nur spielen muß, was die andern nicht spielen wollen – und folglich keiner Foderung entsprechen kann. –

Hier hast Du nun die leibhafte Schilderung unserer Schauspielerinnen. – Da ich diesen Stand bald zu verlassen gedenke, so kann sie an keine Partheilichkeit gränzen – und ich getraue mir, sie vor jedem Theater-Kenner zu vertheidigen. –

Deine Amalie.

142. Brief. An Amalie
CXLII. Brief
An Amalie

Beruhige Dich, Theuerste, es ist weder Karln noch mir ein Unglük zugestossen; – ich bin ihm mit meinem Bruder [185] entgegen gefahren; dies war die Ursache meines Stillschweigens. – Nun ist er wieder an meiner Seite, der edle Jüngling! – Denke Dir die Seligkeiten unserer Wiedervereinigung; fühle sie, Malchen – denn beschreiben kann ich sie nicht! –

Doch izt zur Beantwortung deiner Briefe: – Ist es möglich, meine Liebste, daß man den ehrlichen Direktor N..., dessen Verdienste bekannt sind, daß man diesem Biedermann in W... so begegnen konnte? – Daß doch in der Welt so viel Unheil blos von den Weibern herrühren muß! – Besonders in kleinen Städten treiben sie jede lasterhafte Thorheit, um ihre Nebenmenschen zu unterdrükken. Wie gerne hätte ich Dich länger unter der Führung dieses gutgesinnten Direktors gesehen, wenn es das Schiksal gewollt hätte! –

Direktor K... ist gewis der Mann nicht, der Dich wird zu schäzzen wissen. – Er hat samt seiner Gesellschaft einen sehr übeln Ruf, spielte ehedessen in österreichischen Landen in hölzernen Buden, gab Zoten-Stükke, Hanswurstiaden, und überhaupt niedriges Possenspiel. Der größte Beweis seines unmoralischen Karakters ist die Duldung, womit er seinem Weibe alle Zügellosigkeiten erlaubt – und anderen verschrieenen Schauspielern Brod giebt. –

E..., samt ihrer lüderlichen Schwester B..., sind schon wegen ihrer niederträchtigen Aufführung in einer öffentlichen Monatschrift hinlänglich geschildert. – Es sind Kreaturen, an denen jede Besserung verloren ist, – folglich auch nicht der Mühe werth, daß wir uns länger mit ihnen aufhalten. –

Daß Madame K... blos für naive Mädchen- und Soubretten-Rollen gemacht ist, bestättigen mehrere gedrukte Theater-Rezensionen; folglich ist dein Urtheil unpartheiisch und richtig. – Glaubs wohl, meine theuerste Amalie! – Glaubs wohl! – daß Madame E... ihre Koketten-Rollen unverbesserlich [186] spielt. – Geübte Laster können ihre Natur nicht verläugnen. –

Madame P... war von jeher auf der Schaubühne eine Erz-Schleicherin, und noch nirgends gefiel sie.

Von der S... spreche ich gar nichts – weil es mich nicht der Mühe werth dünkt; – die ist unter der Kritik: schrieb mir lezthin ein Gelehrter aus St....!

Madame M... spielte doch sonst noch nicht viel. Als sie in M... war, sah man sie blos tanzen! – Wie kömmts, daß sie ihre Unwissenheit erst izt zu Markte trägt? – Ists Brodmangel – oder Eitelkeit? –

Auch Madame M... dürfte mit dem Ruhm, den sie als gute Tänzerin hat, zufrieden seyn, und sich nicht zum Gespötte machen. – Alle Schuld dieser Unordnung liegt indessen blos am Direktor. – Wäre er ein Mann, der die Wichtigkeit der Schauspielkunst verstünde, so würden es diese Weiber wohl bleiben lassen, ihre Nasen in Dinge zu stekken, die außer ihrer Bestimmung sind. – Ich kann die Gelassenheit des Publikums nicht genug bewundern, das sich um sein Geld so gerne äffen läßt. – Kaum kann ich den Augenblik deines Debüts erwarten! – Schreibe mir ja gleich, so bald sich dein Schiksal entschieden hat. –

Eben kömmt mein Karl dahergestürmt! – Verzeihe, Amalie, wenn ich aus den Armen der Freundschaft in die Arme der Liebe eile. –

Deine Fanny.

143. Brief. An Fanny
CXLIII. Brief
An Fanny

Sey munter, meine Liebe! – Sey munter! Mein Debut ist mir gelungen, ich habe dem Publikum gefallen, und bin nun förmlich angeworben! –

[187] In wenig Tagen reist die ganze Gesellschaft nach U... Indessen soll mich das doch nicht abhalten, Dir auch die Theater-Talenten unserer Mannsleute zu schildern. – Der Direktor spielt selten, und thut dabei recht wohl, weil ihm der Hanswurst noch leibhaftig aus den Augen sieht. –

Herr H.... hingegen spielt alle ersten Rollen; aber... das Gott erbarm! – so äußerst schlecht, als man es nur von einem Tänzer fodern kann, der sein Talent in den Füßen und nicht im Kopfe stekken hat. – Die Leute sagen zwar, daß die Direktrise es so haben will; daß sie ihm so gar erste Liebhaber-Rollen aufdringt. – Warum? – Vermuthlich weil ihr an seiner Seite die ersten Liebhaberinnen am beßten gelingen. – Es kam mir selbst wunderlich vor, daß Tänzer H... bei dieser Gesellschaft zum ersten Liebhaber ist erhöht worden. – Aber warum soll ich ihm denn die Freude nicht gönnen, sich bewundern zu lassen, jede Rolle zu affektieren, zu kastrieren oder gar zu verhunzen? – Er verfehlt freilich den Weg zur lieben Natur, spricht kein einziges Wort, welches nicht aus seinem Mund gestottert, herausgeplazt, oder gepredigt kömmt. – Aber was thut das zur Sache? – So überspannt, affektiert sein Spiel auch immer ist, so besizt der Bursche doch gut gewachsene Knochen, mit denen die Frau Direktrise aus Eitelkeit vor dem Publikum Wind macht. – Zuweilen wandelt dem Helden so gar die Lust an, seine Geberden für Anstand auszuschreien, was doch weiter nichts als Tänzer-Posituren und Verdrehungen des Körpers sind. – Sein eingebogener Rükken sieht einem krummgewachsenen Baume ähnlich, der seiner Seltenheit wegen Jedermann zur Bewunderung einladet. – Wenn doch der geschraubte Gekke in seinem Wesen nur der Natur den Lauf ließe, er würde wahrlich unter den Damen weit mehr Eroberungen machen, worauf er es eigentlich zum Leidwesen seiner ersten Liebhaberin anträgt. –

[188] Nun kömmt Herr P.... zum Vorschein; – ein ganz artiger junger Mann, der ehedessen auch das Glük genoß, sich nach Gutdünken und mit Bewilligung der gutherzigen Frau Direktrise Rollen zu wählen, aber nun, seitdem Ritter H... zum Vorschein kam, mit lauter Nebenrollen vorlieb nehmen muß. Sein Theater-Talent ist nicht uneben: Obgleich ein Bischen leichtsinnig im Memoriren, besizt er dennoch die Kunst, seine Liebhaber-Rollen mit einem sanftschleichenden Wesen vorzustellen. Zu Affekt-Rollen ist seine Brust zu schwach. –

Dann haben wir noch einen gewissen H... n; – auch ein junger Schauspieler, der sehr schmelzende Organen hat; – nur fehlt es ihm an gehöriger guter Anleitung, besserer Rollen-Einsicht, mehrerem Feuer und Dreistigkeit, sonst könnte er einstens ein braver Schauspieler werden.

Auch Herr R.... spielt bisweilen beim hiesigen Theater einige Liebhaber-Rollen, hat Anstand, Theaterspiel, aber zu viel singende Töne in seiner Deklamazion, besonders im Tragischen. – Wenn er sich daran gewöhnte, im Sprechen die Zähne besser von einander zu thun, dann würde seine Aussprache männlicher ausfallen, und in seinen Helden-Rollen nicht den süßen, tändelnden Stuzzer verrathen. – Diesem Schauspieler wünsche ich zu seinen Kenntnißen mehrere Vollkommenheit der Stimme. –

Endlich zum Hauptschauspieler, Herrn N...., der bei uns alle ersten Väter-Rollen spielt, aber auch dabei seine Eigenliebe nicht um eine Welt hingäbe. – Ein wahrer Jesuitischer Starrkopf, der weit größere Einbildung als Talente besizt. – Wahr ist's, er memorirt gut – hat Enthusiasmus für die Kunst, erreicht zuweilen durch diese enthusiastische Eitelkeit das gehörige Feuer in gewissen Rollen, aber übertreibt es dabei in seinen Gradationen bis zur äußersten Raserei einer um Beifall bettelnden Eigenliebe. – Sein Fleiß könnte [189] ihn zum guten Schauspieler machen, wenn in ihm nicht schon vom Jesuiten-Gift alle gute Gefühle ekstikt worden wären. – Anstand – Erziehung – Weltton fehlen ihm durchaus. Der gute verunglükte Bonze verläßt sich zu sehr auf den Beifall des Publikums, welches hier daran gewöhnt ist, ausgezeichnete Stellen zu beklatschen, sie mögen auch noch so übertrieben vorgestellt werden. – Möchte Herr N... sich auf bürgerliche Rollen legen – sie würden ihm weit besser gelingen, als erhabene Rollen, die mit Würde müßen vorgestellt werden, – wozu sein Körper gar nicht gebaut ist. – Das Wort Jesuit, mag Dir von seinem moralischen Karakter einen Begrif geben. – Er folgt ihrem Beispiel getreulich; – macht heimliche Intriken; übt im Stillen Verfolgungen und Bosheiten aus; unterdrükt die Nebenschauspieler; – reißt ihnen mit heuchlerischer Miene den Bissen Brod aus dem Munde; schmiedet Kabalen; kriecht wie ein Wurm vor der Direktrise; schmiegt sich bei Grobheiten – und drükt Jeden, der seiner Eitelkeit nicht schmeichelt, im Stillen den Dolch ins Herz; – hingegen zittert der Feige, wie jeder Bösewicht, wenn ihm der ehrliche Mann kühn die Stirne bietet. – So viel hat man mir von ihm erzählt, und so viel habe ich auch selbst an ihm bemerkt. –

Nun endlich zu den Bedienten-Rollen, wovon Herr K... die ersten bei uns über sich hat! – Ein Schauspieler, der keine einzige Rolle ohne Kenntnis spielt; – Nur wünschte ich, daß er nicht zuweilen zu stark der komischen Laune des Publikums folgte, und in einigen seiner Rollen nicht zu sehr ins Niedrig-Komische fiele. – Auch das Komische hat seine Schranken, wenn wir es von den Hanswursten-Zeiten entfernen wollen. – Die Rollen-Einsicht dieses aufgeklärten Schauspielers ersezt ihm hinlänglich den Fehler seiner heisern Stimme. – Er weis durch Nachdruk der Worte und Gestikulazion den Zuschauer für diesen Naturfehler schadlos zu halten. –

[190] Herr K... r spielt die lezten Bedienten-Rollen, von deren Unwichtigkeit sich gar nichts sagen läßt. – Diejenigen, die bei uns Nebenrollen spielen, will ich gar nicht berühren. –

So bald ich in U.... anlange, erhältst Du nähere Nachricht von

Deiner Amalie.

144. Brief. An Fanny
CXLIV. Brief
An Fanny

Endlich, meine Beßte, bin in hier in U..., und danke dem Himmel, daß eine Reise ihr Ende erreicht hat, wobei mein Herz so vieles dulden mußte. – Die sauern Gesichter, die neidischen Blikke, die spöttischen Anmerkungen, das kalte, herzlose Betragen, womit die Schauspieler auf dieser Reise einander begegneten, kränkten mein neidloses Herz unendlich. –

Gott! – Das müßen schröklich böse Menschen seyn! – dachte ich traurig in einer Ekke des Zimmers, indem eine verborgene Thräne ahndungsvoll über meine Wange rollte! –

Seit ich St... verlies, ist mir ohnehin Schwermuth eigen. – Ein junger Mann, der viel Uebereinstimmendes mit mir zu haben schien, stürmte vor meiner Abreise mit aller Macht einer enthusiastischen Empfindsamkeit auf mein Herz los! – Die Kürze seiner Bekanntschaft entzog mir die Gelegenheit ihn näher kennen zu lernen; doch zog er meine Aufmerksamkeit auf sich, und wußte auch durch eine feurige, begeisterte Unterredung mein Mitleiden rege zu machen. – Mit einem äußerst warmen Gefühl, das mir unverfälscht schien, verfluchte er an meiner Seite die Untreue seiner vorigen Geliebten. – Das Feuer, womit er ihr in Stükke zerrissenes Bildnis in ein vorbeifließendes Wasser warf, – die [191] Thräne, die ihm das erlittene Unrecht entlokte – schienen mir heilige Beweise seines zur Liebe geschaffenen Herzens zu seyn. – Stoff genug für mein leeres Herz, um sich in die Zukunft Hofnungen zu schaffen, die mich vielleicht täuschen werden! – So sehr er mir auch durch seinen fleißigen Briefwechsel das Gegentheil beweist! – Lies innliegende Beilage von ihm, und dann urtheile! –

Gott! – wenn es nur ein brausendes, vorübereilendes Feuer wäre! – Wenn sein Gefühl nicht anhielte, und ich dann mein Herz an ihn gekettet hätte, so fest gekettet hätte, daß es im Wegreißen eine blutige Wunde bekäme, so bald er keiner ächten Liebe fähig wäre! – Ich darf diesen Gedanken nicht nähren. – Mein Herz kann die abscheuliche Leere nicht länger ertragen; es ist wieder reif zur Liebe; – und doch zittere ich bei dieser Wahl, ohne zu wissen, warum? ––

Er scheint izt seine ganze Glükseligkeit blos in mich zu sezzen! – Er schreibt mir mit einer Entzükkung, die jedem Frauenzimmer schmeicheln würde, wenn ihr Herz auch minder gefühlvoll als das meinige wäre! – Seine Liebe scheint uneigennüzzig, weil er sie auch entfernt von mir mit vieler Lebhaftigkeit unterhält! – Ob sie aber auch standhaft ist, diese Liebe? – Ob seine flüchtige Seele jener Größe fähig ist, der ich bedarf? – Das mag die Zukunft entscheiden! – Ich muß mich wieder einmal an ein Wesen halten, das mein Herz ausfüllt! – Wie lange suchte ich schon ein solches Wesen, und fand es nicht? – Du bist glüklicher als ich, meine Freundin; Du besizzest ein geprüftes Herz, das deiner würdig ist! – Deine Stunden schleichen nicht wie die meinigen unter mürrischer Laune und Langerweile dahin. – Dein sanftes Gefühl wird durch keine stuzzerische Thorheiten beunruhigt, wie das meinige. Mein Stand wird mir täglich mehr zur Last wegen den vielen Gekken, die sich mit der größten Unverschämtheit noch an jedem Orte an mich hindrängten. – [192] O! die Elenden kränken durch ihre Sprache der Weichlichkeit mein Ehrengefühl aufs Aeußerste! – Oft, wenn ich in guter Laune bin, behandle ich sie mit Spott, aber auch oft macht mich ihre Zudringlichkeit tiefsinnig und schwermüthig. Ich fühle dann die niedrigen Mishandlungen im Innersten, denen mich mein bitteres Schiksal aussezt. – Dieses Misvergnügen ist auch ein Beweggrund, daß ich die mir angebotene Bekanntschaft zu unterhalten suche. Vielleicht rettet mich dieser junge Mann aus Liebe, oder doch aus Freundschaft und Menschenfreundlichkeit! –

Geschäfte, meine Liebste, halten mich heute ab, weitläufiger zu seyn; – ich muß also mit der alten unveränderlichen Freundschaft schließen, mit der ich immer bin

Deine aufrichtigste Amalie.


Beilage.


Liebes Malchen! –


Du bist fort, und meine Seele ist Dir nach! – Das mag Dir der Anblik dieses Briefes beweisen, der vor Dir in U... eintreffen wird. – Holdes, vortrefliches Weibchen! – Wie ganz hast Du das Bild einer Ungetreuen aus meinem Herzen vertilgt! – Wie unendlich ersezzest Du mir einen Verlust, der mich ohne Dich vielleicht noch lange martern würde! – Heute besuchte ich jenes grüne Pläzchen auf dem bewußten Spaziergange, wo sich mein Herz Dir ganz aufschloß. Die Erinnerung riß mich von der seligsten Freude zur tiefsten Schwermuth hin! – Ich bin nun so ganz glüklich, seitdem Du mir Hofnung machtest, einstens dein göttliches Herz ganz zu besizzen, daß ich mich vor Entzükken selbst nicht mehr kenn! – O! wenn mir doch mein Schiksal bald die Freude gönnte, Dich, gutes Weib, für deine ausgestandene Leiden schadlos zu halten! wie äußerst froh wollte ich dann seyn! – Meine Lage ist noch etwas unvermögend, aber sie wird bald [193] besser werden, um Dich, Theuerste, von meiner Liebe überzeugen zu können. –

Daß ich Dich ohne sinnliche Absichten liebe, das hast Du an dem Morgen unseres Abschiedes gesehen. – Wußte ich mir nicht zu gebieten? – Sag, hab ich Dich auch nur mit einer Miene beleidigt? – Ehe Du ganz mein bist, will ich unser Band nicht enger knüpfen. – Aber hörst Du, ganz mußt Du mein werden! – ganz! – denn das ist der eigentliche Verstand einer gutartigen Liebe. –

Wenn Dir etwas zustößt, oder was Dich immer für ein Schiksal treffen mag, so wende Dich an mich; ich bin ja dein einziger beßter Freund! – Wie lange wirst Du wohl noch ausbleiben? Doch nicht über sechs Monate? – Schreibe mir ja recht bald, damit ich Dir wieder sagen kann, mit welcher inniger Zuneigung und gränzenloser Liebe ich bin


Dein Zärtlichster Freund

*****


N. S. Nicht wahr, Fanny! der weis ein fühlendes weibliches Herz in Gährung zu bringen? – Kann der wohl diesem Brief nach ein Heuchler seyn? –

145. Brief. An Amalie
CXLV. Brief
An Amalie

Ich will heute deinen ersten Brief ganz übergehen, weil er mehr das Theater-Wesen als Dich selbst betrift; und mich eben deswegen blos an den zweiten halten. –

Kümmere Dich nicht, meine Amalie, über die Feindseligkeiten die unter eurer Gesellschaft herrschen. – Entferne Dich von diesen Leuten, so viel es Dir nur möglich ist; erfülle deine Pflicht, und überlaß dann das Uebrige dem Allgewaltigen. –

[194] Nun eile ich zu einem Geschäfte, das mir vielleicht deinen Unwillen zuziehen wird, wenn ich es mit der äußersten Aufrichtigkeit werde vollendet haben. – Wird sich nicht dein ganzes Herz gegen mich empören – wenn ich deine Lieblings-Idee zu stören wage? – wenn ich aus dem mir mitgetheilten Briefe in jenem jungen Manne Züge entdekke, die mir nicht gefallen wollen? – Traue deinem Herzen nicht so leicht wieder; es war immer die Quelle deines Unglüks! – Begeisterung – augenblikliche Empfindsamkeit eines Jünglings, sind noch lange nicht Festigkeit in der Liebe. –

Wie kann ein denkender junger Mann, den Verlust einer Geliebten beklagen indem er um eine andere buhlt? – Ist er von ihrer Untreue überzeugt, besizt er Ehrenliebe, dann muß sie ganz aus seiner Seele verbannt seyn! – Ist er es nicht, – dann begeht er ein doppeltes Verbrechen: – hintergeht die erste und betrügt die zweite. –

Auch kann er ihr Bildnis eben so wohl aus beleidigter Eitelkeit zerrissen haben, als aus wahrem Schmerz. – Diese rasche Handlung beweist unüberlegtes Feuer – aber deswegen noch nicht ein zur Liebe geschaffnes Herz. – Die wahre Liebe, meine Beßte, zeigt sich mit mehr sanftem Gram, der untilgbar in der kranken Seele umherschleicht. – Der junge Mann scheint ein brausender, empfindlicher Kopf zu seyn, der seine Neigungen wenig auf Ueberlegung gründet. Ich muß es sagen, denn ich bin es der Freundschaft schuldig, so schwer es mich auch ankömmt.

Was soll denn das Du gegen ein Frauenzimmer, mit der er noch in keiner so nahen Verbindung steht? Ist das nicht Uebereilung? – Ist es nicht Geringschäzzung? – Doch weiter zum ersten Absazze seines Briefs: –

»Du bist fort, und meine Seele ist Dir nach! – Das mag Dir der Anblik dieses Briefs beweisen, der noch vor Dir in U... eintreffen wird.« –

[195] Die Eilfertigkeit seines Briefs beweist weiter nichts, als eine hochgespannte Schwärmerei, die durch Abwesenheit und Langeweile gereizt wurde. – Wenn ihn auch dein Umgang zu diesem Enthusiasmus hinriß, so konnte er in so kurzer Zeit eben so wenig dein Herz kennen, als Du das seinige kanntest. – Kann man ein redliches Herz mit so vieler Unbesonnenheit hinwerfen? –

»Holdes, vortrefliches Weibchen! – wie ganz hast Du das Bild einer Ungetreuen aus meinem Herzen vertilgt; und wie unendlich ersezzest Du mir einen Verlust, der mich ohne Dich vielleicht noch lange martern würde! –«

Fühltest Du denn die Beleidigung dieses Sazzes nicht? – Was? deine Vorzüge sollen nur dazu gemacht seyn, ein Herz auszuflikken, das eine andere Undankbare zerriß? – Wie kann dieser Junge solche Gleichnisse anstellen? –

»Heute besuchte ich jenes grüne Pläzchen auf dem bewußten Spaziergange, wo sich mein Herz Dir ganz aufschloß. Die Erinnerung riß mich dann wieder von der seligsten Freude zur tiefsten Schwermuth hin.« –

Wie kann ein zärtlicher Liebhaber über eine Liebe freudig entzükt seyn, die er selbst noch auf Hofnungen hinaussezt? – Der wahre leidenschaftliche Liebhaber zittert bei einer solchen Ungewisheit, und fühlt nicht eher ruhige Freude, als bis er mit seinem Mädchen vor dem Altare steht. –

»O! wenn mir doch mein Schiksal bald die Freude gönnte, Dich, gutes Weib, für deine ausgestandenen Leiden schadlos zu halten! wie äußerst froh wollte ich dann seyn!«

Dazu braucht es die Gunst des Schiksals nicht! – Besizt der junge Herr, Kopf, Talenten, Fleiß, und liebt er Dich ohne glänzende Absichten, dann wird er auch das Schiksal zwingen können. –

»Meine Lage ist noch etwas unvermögend, aber sie wird [196] bald besser werden, um Dich, Theuerste, von meiner Liebe überzeugen zu können.«

So spricht der Biedermann nicht! – Fühlt er die Unmöglichkeit einer Verbindung, dann reizt er kein gutes Geschöpf zur Leidenschaft. Liebe, diese allmächtige Bezwingerin, muß ihm Stärke geben durchzudringen, und dann schildert er aufrichtig seine Lage und berathschlagt sich darüber mit seinem Liebchen. –

»Daß ich Dich ohne sinnliche Absicht liebe, das hast Du am Morgen unseres Abschiedes gesehen. Wußte ich mir nicht zu gebieten? – Sag, hab ich Dich auch nur mit einer Miene beleidigt? –«

So etwas ist ja die Schuldigkeit eines jeden ehrliebenden Mannes, wenn er es mit einem wohlgezogenen Frauenzimmer zu thun hat. – Folglich kein Verdienst, womit man prahlen soll. –

»Ehe Du ganz mein bist, will ich unser Band nicht enger knüpfen. – Aber, hörst Du, ganz mußt Du mein werden; das ist der eigentliche Verstand einer gutartigen Liebe.« –

Und der Liebe beßte Sicherheit, eheliche Verbindung. – Wenn es ihm wirklich Ernst wäre, Dich zu heirathen, dann würde er deutlicher sprechen. –

»Wenn Dir etwas zustößt, oder was Dich immer für ein Schiksal treffen mag, so wende Dich an mich; ich bin ja dein einziger beßter Freund!« –

Hier blikt eine Spure gutes Herz hervor, wenn es nicht Eitelkeit ist.

Und nun, meine Beßte, wären das meine Gedanken über deine neue Bekanntschaft. – Schlägt dein Herz ohne Eitelkeit, ohne Verblendungssucht, blos für mich, dann kannst Du nicht zürnen über die Aufrichtigkeit einer Freundin, die mit ungeheuchelter Wahrheit blos für dein Wohl besorgt ist. –

Fanny. [197]

146. Brief. An Fanny
CXLVI. Brief
An Fanny

Aber sage mir, Mädchen, wer sollte auch bei deiner beissenden Rezension gelassen bleiben können? – Ich habe Dich ja blos zur Rathgeberin und nicht zur Spötterin aufgefodert. – Ich dächte, Du wärest dem jungen Mann doch um meinetwegen mehr Schonung schuldig! – Jeden übereilten Ausdruk von ihm schreibst Du auf Rechnung seines Herzens. –

Klugheit und Vorsicht bei der Wahl eines Gatten, fodert die Vernunft, aber zu viel grillenhafter Verdacht ist immer die Folge eines eigensinnigen Vorurtheils. Wenn wir von den Menschen gar nichts Gutes hoffen dürfen, wer würde sich wohl wünschen in einer solchen Furien-Welt zu leben? – Unbesonnen würde ich erst alsdann handeln, wenn ich mich jezt gleich mit ihm verbände – ohne ihn gründlicher kennen zu lernen. –

Täglich werden seine Briefe häufiger und feuriger; wenn er mir abwesend so fleißige Rechenschaft von seiner Leidenschaft giebt – so wird er doch bei meiner Ankunft nicht wanken. – Muß ich das nicht für Standhaftigkeit halten, da er freie Wahl hätte es zu unterlassen? – Ich habe wirklich Beweise seines guten Herzens. – Die übrigen Fehler, die deine Menschenkenntnis in ihm zu entdekken glaubt, will ich jezt in der Entfernung nicht untersuchen. – Zeit genug, wenn ich einstens wieder in seiner Vaterstadt anlange. – Alles was ich thun kann, ist, mich bei meiner Ankunft keiner zu heftigen Schwärmerei zu überlassen, wenn ich bis dorthin Veränderung in seinen Briefen entdekken sollte. –

Mehr kannst Du von einem Weibchen nicht fodern, deren empfindsames Herz Du kennst. – Die wenigen Zweifel, die [198] mir lezthin noch aufstiegen, sind nun durch seinen fleißigen Briefwechsel fast ganz in mir erloschen. Warum soll er mir die feurigste Leidenschaft und die sehnsuchtsvollste Liebe vorplaudern, wenn er flatterhaft genug wäre, in seiner Vaterstadt Befriedigung zu suchen? – Warum soll er gegen eine Abwesende ohne den mindesten Vortheil heucheln? – Warum soll er ein gutes Herz zur Leidenschaft reizen, wenn er Bösewicht genug seyn könnte – schönere, reichere Frauenzimmer zum Verführen zu finden? –

Geh – geh – Fanny, einer solchen teuflischen Heuchelei ist er doch nicht fähig! – Kennt er mich nicht aus meinen Briefen? – Weis er nicht, daß er es mit keinem Alltags-Geschöpfe zu thun hat, die er aus Eitelkeit, oder aus Leichtsinn äffen kann? – Liebe ist bei mir keine Galanterie. – Ich bin ein biederes teutsches Weib; habe ihm meine ganze Lage, alle meine Fehler und Schwachheiten zum voraus geschildert; wenn er nun troz dem ein wankelmüthiger Knabe seyn will, dann verzeih ihm's Gott! – Gesezt auch, er wäre eine elende Memme, die sich vom Vorurtheil unter die Ruthe beugen ließe, was verlöre ich denn auch an so einem Geschöpf? – Ich glaube, mein Selbstgefühl, mein Stolz würde mich nach so einer Ueberzeugung noch vom Altar zurükreißen – und wenn mein leidenschaftliches Herz auch darüber in Stükke zerspränge! –

Es ist wahr, ich liebe heftig; – aber mein Kopf, meine Ehrliebe, ist doch fähig, meiner Leidenschaft zu gebieten, so bald ich Fehler in einem Gegenstand entdekke, die ich als Denkerin verabscheuen muß. – So sehr dieser Junge mein Zutrauen besizt, eben so schnell würde er meiner Verachtung theilhaftig werden, wenn ich von seiner Unwürdigkeit überzeugt würde. – Aber mein gutes Herz von so etwas zu überzeugen, das wird schwer halten! – Falschheit in der Liebe ist mir unbegreiflich! – Eitelkeit und Eigenliebe [199] mischen sich dann auch gerne in die Liebe; und man ist gar zu sehr geneigt sich davon blenden zu lassen und jeden Widerspruch zum eigenen Vortheil auszulegen. –

Er schwärmt izt außerordentlich in seinen Briefen – spricht von den Seligkeiten einer glüklichen Ehe u.s.w. – Wenn er bei meiner Ankunft so fortfährt, dann bin ich glüklich! – Aber mit durchdringender Aufmerksamkeit will ich ihn beobachten. Für mich bleibt er die einzige Hofnung – und ich zittere bei dem Gedanken einer Untersuchung. – Ich schenkte ihm mein ganzes Zutrauen – er bewies sich menschenfreundlich! – O er ist gewis unfähig eine gute Seele unglüklich zu machen – die ihm nichts zu Leide that! –

Riethest Du mir nicht selbst, liebe Freundin, mich bald wieder mit einem Gegenstand zu vereinigen? – Die Männer, die einen guten moralischen Karakter verrathen, sind nicht so häufig zu finden. – Also, meine Beßte, keine Vorwürfe mehr, wenn ich für diesmal meinem guten Herzen folge. – Deine Dich immer liebende

Amalie.

147. Brief. An Amalie
CXLVII. Brief
An Amalie

Dacht ich's doch, liebes Malchen! – Dacht ich's doch! – daß Du mir meine ungeheuchelte Sprache übeldeuten würdest. So bitter behandelst Du deine Fanny? – Du brandmarkest sie gar zur boshaften Spötterin, – da ich Dir doch blos aus reifer Ueberlegung meine Herzens-Meinung schrieb. – Warum soll ich glimpflich gegen den jungen Mann verfahren, wenn er mit aller Macht des Leichtsinns auf deine Ruhe losstürmt? –

[200] Liebe kann Dich, gutes Weibchen, zur glüklichsten Gattin, aber auch zur unglüklichsten Märtirerin machen – wenn Du von ihr betrogen wirst. – Ich wünsche deinem fühlenden Herzen eben so sehr Liebe, als ich mir Mühe gab, Dich gut wählen zu machen. – Hat Dich der Schaden noch nicht klug gemacht? – Bist Du noch immer so gutherzig und leichtgläubig? – Kennst Du deine Heftigkeit nicht, wenn Du Dich in eine Leidenschaft hineinwagst? – Sey nicht schwach, meine Amalie! – Prüfe, ehe Du Dich derselben überlässest! – Wenn der junge Mann Dir auch alle Minuten noch wärmere Briefe schriebe, so ist das doch kein Beweis seiner Standhaftigkeit. – Deine Briefe schmeicheln seiner Eitelkeit; und da ihn niemand im Schreiben stört, so kann er leicht seine augenblikliche Schwärmerei aufs Papier hinkrizzeln. –

O, ich bitte Dich, schränke dein Zutrauen ein, bis Du ihn näher kennen lernst. – Bedenke, was das für dein gutes, weiches, vortrefliches Herz für ein Schlag seyn würde, wenn sein Feuer eben so schnell wieder verlösche, als es aufbrasselte? – Der edle Stolz würde freilich deinem Herzen nach und nach gebieten, aber doch gewis nicht unter geringem Leiden! – O wann das Herz einmal spricht, dann kostet es die schröklichste Gewalt, es unter die Vernunft zu beugen. – Ich betheure Dir ein für allemal, seine Briefe, die Du mir mittheiltest, können mir durchaus nicht gefallen! – Er spricht nicht als Mann – denkt an keine Zukunft, macht keine vernünftige Plane zu einer Vereinigung, vertheidigt Widersprüche, und scheint äußerst zaghaft zu seyn. – So viel kann ich Dir bei dem unauslöschlichen Feuer meiner freundschaftlichen Liebe schwören! –

Freundin! – Freundin! – Du verkennst mein Herz, oder willst es mit Gewalt verkennen, wann man deine gespannte Einbildungskraft an Klugheit erinnert! – Hast Du mir wegen [201] meiner Leidenschaft nicht auch derbe Dinge gesagt? – Und sag, brauste ich je darüber auf? – Da ich doch meines Karls Denkungsart schon Jahre lang geprüft hatte! – Gott! soll ich so eine edle, biedere Seele, die durch ihre Redlichkeit jeden Vorzug verdient, hintergehen lassen? – Du bist keine thörichte, gefühllose Kokette, um eine Falschheit leichtsinnig ertragen zu können, die Dir vielleicht ein unbesonnener, eitler Gek zubereiten will. – Weist Du nicht, daß uns Weibern keine Rache bei dem schändlichen Verfahren eines solchen Bubens übrig bleibt; daß wir im Gegentheil nur Spott und Hohn von einer Welt zu gewarten haben, worinnen so Wenige wahre Liebe verstehen? –

Geh hin und weine dann in einem solchen Falle einer vermeinten Freundin vor; und sie wird Dir mit ihrem kalten, unmoralischen, lieblosen Herzen unbarmherzige Vorwürfe über deine Leichtgläubigkeit machen; denn das ist die Art der meisten Weiber, die blos Genuß und Koketterie kennen. – Aber ich, meine Amalie, will Dich auch im Unglük – wenn es Dich treffen sollte – sanft behandeln, – so rasch auch immer dein lezter Brief war. –

Fanny.

148. Brief. An Fanny
CXLVIII. Brief
An Fanny

Verzeihung, Edelste! – Verzeihung einer Undankbaren, die Dich im lezten Briefe mit so übereilter Hizze behandeln konnte! – Ich mache mir izt selbst die bittersten Vorwürfe über die tolle Eigenliebe, womit ich Dir widersprach. – Du sollst sehen, daß ich in der Bekanntschaft mit dem jungen Mann mit aller Vorsicht handeln will. – Indessen muß ich seine Liebe doch zu unterhalten suchen, weil sie mir bei meiner Rükkunft in St... Erleichterung meines Schikals verspricht. –[202] Durch dieses Freundes Vermittelung wird mich dann der Direktor mit mehrerer Schonung behandeln müßen. – Es wäre überflüßig, Dir die vielen Schikanen zu schildern, womit mich izt der alte Sünder und sein löblicher Anhang zu unterdrükken sucht. – Seit etlichen Monaten wurde mir kaum eine gute Rolle zu Theil. – Die übrige Zeit sizze ich müßig, oder muß dann zum Nothstok dienen, wenn eine andere Schauspielerin gähling krank wird. – Es ist unverantwortlich, wie der Idiot mit mir verfährt! – Die gränzenlose Eitelkeit seines Weibes und seiner Mätresse zwingen den Dummkopf wider seinen eigenen Vortheil zu handeln. – Lezthin schikten sogar einige Herrschaften ihre Bedienten in meine Wohnung, und ließen sich um die Ursache erkundigen, warum ich so selten auf der Bühne erschiene. – Als sie erfuhren, daß es aus Kabale geschähe, stellten sie den Direktor darüber zu Rede, der sich aber durch allerlei Lügen meisterhaft aus der Sache zu ziehen wußte. – Mir ist eine Besoldung zur Last, die ich im Stande bin ohne Faullenzen und Müßiggang durch mein Talent zu verdienen. –

In wenig Wochen kehrt die Gesellschaft nach St... zurük; dann muß sich das Blatt wenden!

Indessen höre ein allerliebstes Abentheuer, das mir hier begegnete: – Ein gewisser Fürst von *** besuchte vor einigen Tagen inkognito unsere Bühne, sah mich, und bekam die Grille mir ein Billet zuzusenden, wovon ich Dir die Abschrift, so wie von meiner Antwort beischließe, damit Du sehen kannst, wie bescheiden ich ihn zurükwies. –

Große Herren haben große Schwachheiten; – das ist nun einmal richtig. – Bis izt hat mich mein Gesicht, das auf keine blendende Schönheit Anspruch machen kann, noch ziemlich vor solchen Avanturen geschüzt; – und ich war dessen herzlich froh; – denn ich hielt es immer für die größte Beleidigung, bei den Männern blos aufs Sinnliche zu wirken. –

[203] Darinnen ist gewis meine Denkungsart von derjenigen anderer Weiber sehr unterschieden; und wenn mir auch die Natur alle mögliche Reize zugetheilt hätte, so würde ich sie in der Liebe doch nur als ein glükliches Ungefähr betrachten, – als eine Gabe, die beim geringsten Fieber verschwinden kann, und alsdann so vielen Frauenzimmern blos einen leeren Schädel zurükläßt; durch welche Veränderung ihnen die Eroberungen, die blos auf das Körperliche angesehen waren, eben so geschwind wieder entgehen, als sie dieselben gemacht hatten. –

Der denkende Anbeter liebt ein mittelmäßiges Gesicht auch schwärmerisch, wenn angenehmer Umgang, Geist, Herz und Vernunft eines Frauenzimmers seine Einbildungskraft zu beschäftigen wissen. – Die Schönheit verliert durch die Gewohnheit; die mittelmäßige Gestalt hingegen gewinnt durch die Reize des Geistes, die keine Gewohnheit verältert. – Ein Philosoph – ein Denker muß noch mein Mann werden – oder ich heisse nicht

Amalie.


Billet des Fürsten von ***.


Madame! –


Ich habe Sie gestern in einem Trauerspiel spielen gesehen. – Das Feuer, womit Sie in Affekt geriethen, gefiel mir äußerst, und brachte mich auf den Gedanken, daß in Ihrer Seele Anlagen zu heftigen Leidenschaften liegen müßen. – Um dieses Vorzuges willen könnte ich leicht Ihre mittelmäßige Bildung einer Schönheit vorziehen. – Ich liebe eigentlich rasche Frauenzimmer, und duldete noch nie an meinem Hofe kaltblütige Schlafmüzzen. –

Zu dem hat man mich auch versichert, daß Sie Vernunft und Bildung besäßen; welches bei ihrem lebhaften Geiste leicht zu glauben ist. – Können Sie sich entschließen bei mir die Stelle einer Gesellschafterin anzunehmen, so soll [204] Ihre ohnehin misvergnügte Lage bald eine bessere Wendung bekommen. –

Ich bin zwar nicht mehr in den Jahren, wo ich Ihnen gefallen kann; – aber meine Bemühung soll Sie ein kummervolles Leben vergessen machen; und die werden Sie doch nicht mit Undank belohnen wollen? – Ich erwarte eine Antwort, und bin

Ihr geneigter Fürst von ***.


Antwort.


Ihro Durchlaucht! –


Wenn Ihnen mein gestriges Spiel gefiel, so bin ich unendlich für meine Mühe durch Ihren gnädigen Beifall belohnt. – Uebrigens bin ich gewis, daß alles Feuer meiner Leidenschaften nicht für Ihro Durchlaucht taugen wird, wenn ich Sie versichere, daß eben diese Leidenschaften unter der Herrschaft meiner Vernunft stehen, und nach meinen Grundsäzzen nie ins Sinnliche ausarten dürfen. – Obgleich Sie meiner mittelmäßigen Bildung die Gnade anbieten, sie einer Schönheit vorzuziehen, so würde mir doch mein großmüthiger Stolz nie erlauben, Dero geschmakvollen Sinnen Zwang aufzubürden. –

Daß Ihro Durchlaucht rasche Frauenzimmer lieben, ist leicht zu vermuthen: – Der Ueberfluß, worinnen Sie als Fürst leben, kann Ihre Leidenschaften leicht in den Grad der Wärme bringen, worinnen Sie dann gerne den Wiederhall in Andern erblikken möchten. –

Ob ich nun Vernunft und Bildung besizze, darf ich aus Bescheidenheit nicht selbst entscheiden. – Aber so viel liegt unstreitig in meiner Erziehung, daß ich mich nie entschließen könnte, die Gesellschafterin eines Fürsten zu werden, der mich blos zum Zeitvertreib wählte, da indessen mein feineres Gefühl sich darüber empören würde. –

[205] So misvergnügt meine Lage auch immer ist, so genieße ich doch einer Ruhe, die mir aller Glanz nicht verschaffen könnte. – Auch denke ich zu redlich, um Ihro Durchlaucht in Dero Jahren zu hintergehen; und ich bin nicht gesonnen meine Neigung um Wohlthaten hinzugeben, wozu mir weder mein Stand noch mein Herz Erlaubnis giebt. –

Ihro Durchlaucht werden geruhen, einem Frauenzimmer diese lebhafte Aufrichtigkeit nicht übel zu deuten, die gewohnt ist, gerade so bieder zu sprechen, als sie denkt. –

In dieser Zuversicht habe ich die Ehre mit aller Unterthänigkeit zu seyn

Amalie.

149. Brief. An Fanny
CXLIX. Brief
An Fanny

Liebste Freundin! –


Die unerträglichsten Verdrüßlichkeiten, die ich eine Zeit her von meinem starrköpfigen Direktor zu dulden hatte, hielten mich so lange ab, Dir meine Ankunft in St... zu melden. – Ohne mein Bischen Philosophie würde mich der Verdruß in meiner jezzigen Lage umbringen! – Die Verfolgungen des Direktors sind so stark, daß es einige Personen versuchten, mir bei dieser Gesellschaft von Teufeln Ruhe zu schaffen. – Aber was kümmert sich der Direktor ums Publikum, dessen allgemeine Nachgiebigkeit er kennt? –

Nun giebt er mir durchaus unbedeutende Nebenrollen, welche ich, ob sie gleich außer meinem Fach sind, annehme, um täglichen Zänkereien auszuweichen. – Doch meiner Nachgiebigkeit ungeachtet, die ihn nur noch dreister machte, drang er mir lezthin wider alle Billigkeit eine sehr starke Rolle auf, [206] die ich wegen Kürze der bestimmten Zeit nicht einzustudieren vermochte. – Und sieh da, der Erzbösewicht benuzt diese gesuchte Schikane, und dankt mich unter dem Vorwand, als wäre ich eine nachläßige Schauspielerin, plözlich ab, ob ich ihn gleichwohl sehr dringend bat, das Stük nur auf einige Tage zu verschieben.

Zu meinem Glükke waren seine Briefe noch in meinen Händen, worinnen er mir auf ein Jahr Engagement anbot, wenn ich dem hiesigen Publikum gefallen sollte. – Was blieb mir also übrig, als ihn zu verklagen, wenn gleichwohl der hochmüthige Narr darüber fast unsinnig wurde, als ihn das Gericht zur Erfüllung seines Worts anhielt? –

Noch blutet mein Herz, wenn ich an die pöbelhaften Grobheiten denke, mit denen ich von diesem ungezogenen Flegel bei diesem Vorfall überhäuft wurde. – Die bitterste Galle, die unverschämtesten Lügen geiferte er mir so lange ins Gesicht, bis ihn die Richter endlich schweigen hießen. – Er mußte sogar versprechen, mir in Zukunft passende Rollen zuzutheilen. – Aber so etwas lies Herr Urian wohl bleiben, sonst würde ihm seine hizzige Ehehälfte die Perükke vom Kopfe gerissen haben, so sehr war sie gegen mein Spiel erbittert! – Das ehrgeizige Geschöpf muß sich selbst wenig Talent zutrauen, weil sie neben sich keine andere gute Schauspielerin dulden will. – Ist das nicht ein redender Beweis ihrer Schwäche? – Beweist sie durch diesen Neid nicht deutlich genug, daß sie leicht kann übertroffen werden? – Je mehr andere Schauspielerinnen mit mir in die Wette spielen, desto lieber ist es mir. – Dann bekomme ich erst Anlaß meinen Fleiß anzustrengen und mich zu üben. – So denke ich über diesen Punkt. – Das hiesige Publikum könnte leicht dieser Kabale vorbeugen, wenn es unter sich einstimmiger wäre und mit vereinigten Kräften sich an den Eigensinn des parteiischen Direktors wagte; – aber so etwas ist bei der Disharmonie, [207] die unter demselben herrscht, nicht zu hoffen. – Ich muß also wohl mein Geschik noch einige Monate gelassen ertragen lernen, da ich es doch nicht auf der Stelle ändern kann. –

Der junge Mann, mein Freund, bezeugte sich bei diesen Streitigkeiten sehr menschenfreundlich, und lies gegen mich viel gutes Herz blikken. – Fast hätte ich ihm bei diesem Anlaß auch Standhaftigkeit in der Liebe zugetrauet. – Schon sprach mein dankbares Gefühl zu seinem Vortheil; – als er mich plözlich durch sein unbesonnenes Betragen, durch sein wildes Wesen im Umgang vom Gegentheil überzeugte. – Er scheint mir izt in der Liebe ganz und gar meinen Forderungen nicht zu entsprechen – eben so wenig als meinem Ideal, das ich mir aus seinen schwärmerischen Briefen zusammenfantasiert hatte. – Hätte ich ihn doch keine Neigung merken lassen! – Zwar erneuert er seine Liebe gegen mich durch öfter wiederholte Schwüre; aber seine flüchtigen Besuche, seine leichtsinnigen Launen machen mich zittern! – Und doch bin ich Thörin genug, diesen Spuren seiner Flatterhaftigkeit einen gutherzigen Anstrich zu geben. – O Weiberherz, wie truglos bist du, wenn keine grobe Leidenschaften deine Gestalt verunedelt haben. – Nächstens eine nähere Beschreibung von ihm. – Lebe indessen zufrieden in den Armen deines vortreflichen Karls. –

Amalie.

150. Brief. An Amalie
CL. Brief
An Amalie

Nu, nu, liebes Herzens-Malchen, ich habe Dir ja schon lange verziehen! – Ich war nicht einmal böse auf Dich. – Und damit Du siehest, daß mir meine gute Laune recht Ernst ist, so will ich Dir heute eine recht freudige Nachricht mittheilen: – In Zeit von neun Monaten gehe ich mit meinem [208] Karl... wohin meinst Du wohl? – Zum Altar, meine Traute! – O freue Dich doch mit mir, meine Theuerste! freue Dich mit mir! – Nun sollen bei dieser Aussicht deine Schiksale bald ihr Ende erreichen; – und Du genießest dann an meinem Busen jene ruhige Wonne der unzertrennlichsten Freundschaft! –

Streite bis dorthin noch muthig deinen Widerwärtigkeiten entgegen; bald sind sie überstanden, und ich theile dann mit Dir alles, was der Himmel mir an Glüksgütern schenkte. –

Karls Familien-Hindernisse sind izt alle gehoben, und der gute Junge taumelt vor Entzükken über diese glükliche Veränderung. – Kaum kann der liebe Schwärmer den Augenblik erwarten, der ihn zum zärtlichsten Gatten einweihen wird! –

Schreibe doch geschwind an Malchen! – schrie er mir zu; – und ich mußte nach der Feder greifen. – Ich sollte Dir zwar heute deine drei Briefe nach der Reihe beantworten. Aber kannst Du das von einer entzükten Braut fodern? – Ueberdies mag ich Dir die erzschlechte, niederträchtige Behandlung deines Direktors nicht ins Gedächtnis zurükrufen. – Also weg von diesen unangenehmen Erinnerung, und hin zu deiner Fürsten-Anekdote, worüber ich und Karl aus vollem Halse lachten! –

Du hast ihm seine Anträge mit dem feinsten Spott erwiedert. – Ich möchte sein gnädiges Gesicht beobachtet haben, als er dein Billet las! – Denn die großen Herren sind meistens daran gewöhnt, mit Geld und Despotismus überall durchzudringen. –

Bald, meine Beßte, sollen alle diese Erniedrigungen aufhören! – Ei daß dich! – Sieh, sieh, Karl läßt mich vor seinen Küßen nicht weiter schreiben. Du mußt also schon für heute zufrieden seyn mit deiner beßten, liebsten

Fanny. [209]

151. Brief. An Amalie
CLI. Brief
An Fanny

Die Ueberraschung, als ich dein Glük vernahm, hat mir eine dankbare Freuden-Thräne entlokt! – Warm dankte ich dem Schöpfer für die ewige Verbindung zwoer so edler Seelen! – Aber darf ich es wohl ohne Erröthen gestehen, daß mich dein gütiger Antrag nicht so ganz entzükte, als es seine Großmuth verdient hätte? – Es blieb in meinem Herzen ein gewisses unbefriedigtes Etwas übrig. – Und was meinst du wohl, daß es seyn möchte? – Ists möglich? – Du bist Braut, schwärmst in den Armen der Liebe, geniessest Seligkeiten, um die Dich Engel beneiden, kennst mein Gefühl, und erräthst es doch nicht! – Auch mein Herz klopft einem Gatten entgegen! – Auch ich nährte Hofnungen, auf die ich schon lange eine idealische Glükseligkeit gründete! – Auch ich suchte schon lange einen biederen teutschen Jüngling – aber umsonst! –

Die Liebe warf mir in meiner Geburts-Stunde ihren Fluch zu! – Für mich hat der Himmel Niemand geschaffen, der mir mit Gatten-Liebe die Beschwerlichkeiten des Lebens tragen hälfe! – Selbst die Bekanntschaft mit dem jungen Manne wird mir fehlschlagen; ich ahnde mein Schiksal schon zum voraus! – Deine Prophezeihung trift ein! – Lies folgende Karakteristik von ihm, die ich blos für Dich entwarf. –

Im Grunde ein gutes Herz, aber dabei flüchtig, eitel, und ohne feste Grundsäzze. – Ueberfluß an Wankelmuth, der aus Mangel an Ueberlegung entsteht und den lokkern Jungen eben so geschwind wieder von der Liebe wegreißen wird, als ihn Lebhaftigkeit des Temperaments daran fesselte. –

[210] Hinlängliche Vernunft, Gutes vom Bösen zu unterscheiden, doch zu faselnd, zu zerstreut, um darüber nachzudenken. – Nicht fühllos, aber vom übeln Beispiel und französischer Galanterie schon zu sehr verdorben, empfindet er die Liebe nur augenbliklich und verliert dieses Gefühl eben so leicht wieder, wenn ihn neue Reize oder Eitelkeit zur Ausschweifung einladen. – Nur selten überdenkt er eine Sache, handelt meistens aus Ungefähr, wie es der Anlaß gerade mit sich bringt. – Sein Enthusiasmus in der Liebe ist Stroh-Feuer, brennt schnell, brasselt, stinkt, und verlöscht! –

Gutherzigkeit treibt er bis zur Verschwendung, nur nicht aus Grundsäzzen, mehr aus Schwachheit, als aus Ueberlegung. – Oft offenherzig bis zur Unbesonnenheit, und dann wieder zur Unzeit verschlossen, bis zur Heuchelei und Lüge. – Roh, unbescheiden gegen unser Geschlecht – und in gewissen leichtsinnigen Augenblikken der ungereimteste Wildfang, den ich je kannte. – Er studiert weder sein eignes Herz, noch seine Leidenschaften; seine Grundsäzze sind zusammengeraffte Waare, die ein widersprechender Hauch zertrümmern kann! – Ueber sich selbst denkt er nie nach, als wenn ihn Widerwärtigkeiten oder Langeweile dazu zwingen. – Rasch in seinen Entschlüssen, aber verzagt wie ein Kind, wenn er Widerstand findet. – Das sanfte Gefühl der Liebe kennt er nur aus Büchern. – Sein Herz wäre vielleicht noch einer Besserung fähig, wenn wahre Liebe die Seele zum Denken, zur Sanftmuth und zur strengsten Untersuchung seiner Handlungen leitete. – Doch dazu glaub ich nicht, daß es mit ihm ein Frauenzimmer bringen wird, und wenn sie auch aus dem Elysium käme! – Welche Sterbliche wäre wohl fähig, Lügen aus einem Herzen zu tilgen, die durch Leichtsinn, Gewohnheit, Flatterhaftigkeit schon so tief hinein gegraben wurden? –

[211] Durch die sanfte, nachgebende Güte eines Weibes wird er noch zügelloser, – das habe ich schon erfahren – und durch strenge Vorwürfe wird er gar halsstarrig – und verzagt. –

Das ist ungefähr das Bildnis dieses Jünglings, der dem allem ungeachtet doch so artige Briefe schrieb, die mich zu seinem Vortheil einnahmen. – Gute Nacht, Liebe! – Gute Nacht! –

Deine Amalie.

152. Brief. An Fanny
CLII. Brief
An Fanny

Nun, da haben wir's ja!!! – Sagt ich's nicht zum voraus, der milchbärtige Junge würde wie eine feige Memme zurükbeben, wenn das Bürger-Vorurtheil die Zähne gegen ihm blökte? – Da haben ihm einige alte Weiber unter seinen Verwandten wegen meiner Bekanntschaft die Ruthe gezeigt, und der furchtsame Knabe verkroch sich dann zitternd in den Winkel. –

Unsre jezzigen Jünglinge gleichen den alten Biedermännern eben so an Standhaftigkeit, als wie die Mükke dem Elephanten an Stärke.

Die hinfälligen, morschen Buben krochen unsern Alten aus ihren Schweislöchern. – Die Natur wollte sich vom Unrath reinigen, dann schuf sie Jünglinge fürs achtzehnte Jahrhundert. –

Weiber, die beim Zukkerbrod erzogen wurden, beschämen diese ohnmächtige Auswürflinge durch Redlichkeit, Stärke des Geistes und Festigkeit des Karakters. – Geschöpfe, die vom Vorurtheil unter Schwächlinge gerechnet werden, machen diesen unbärtigen Bastarten das Wort Mann, streitig. –

[212] Pfui! – daß sich doch die Lüge keinen bessern Stoff wählte, als in diesen Unwürdigen liegt! – So weit sank die Redlichkeit, daß sich sogar die Unwahrheit ihrer schämt. –

Männer-Kraft, Seelen-Stärke, Ehrlichkeit sind unter den teutschen Jünglingen in Staub gesunken. – Die Natur verlängert die Tage dieser kraftlosen Insekten blos darum, damit sie bei guter Laune über ihre erzeugten Misgeburten spotten kann, die sie während einer Verstimmung aus Zorn schuf. – Wenn die Alten ihr Wort hingaben, dann wurde es mit Wahrheit versiegelt und mit Redlichkeit gehalten. – Aber wenn unsere jezzigen Milchbuben Treue schwören, dann wird sie schon zur Lüge, noch dieweil der modische Süßling im Begriffe ist, den schlaffen Handschlag zu thun. –

Ha! – Wäre es doch unter uns Weibern eingeführt, dergleichen schmelzende Zukker-Püppchen mit dem kleinen Finger zu zerquetschen; mit welcher Herzens-Lust würde ich die erste Ausführerin dieser Rache werden! – Bei einer Treulosigkeit schlägt sich das andere Geschlecht mit den Waffen; nur für uns ist keine Vertheidigung übrig! – Wir bleiben ewig das Spielwerk jedes muthwilligen Buben, der sich's erlaubt, unter teuflischer Heuchelei um unser Herz zu buhlen! – Aber bei meinem Stolz sey's geschworen; ich will mich in Zukunft an diesem verrätherischen Geschlecht rächen! – auf eine Art rächen, die nicht alltäglich seyn soll! – Mein Herz soll schweigen – meine sanften, redlichen Gefühle sollen schlafen, und meine Zunge soll so lange eine täuschende Neigung heucheln, bis ich die Thräne irgend eines leidenschaftlichen Anbeters unter schmerzlicher Verwirrung, unter ängstlicher Ungewisheit von seinem unruhigen Auge rollen sehe!!! – O, und dann soll stolze, kalte Fühllosigkeit, bitteres Gespött über das männliche Aftergefühl, der Lohn seiner Leiden seyn! –

Du weist, daß ich nicht eitel bin; – aber alle weiblichen [213] Kunstgriffe will ich von nun an aufbieten, um die schläfrigen Sinnen der Männer anzureizen, und sie dann so lange mit Falschheit foppen, bis sie ihren wenigen moralischen Werth selbst einsehen lernen. – Wenn ich mir je ausgezeichnete körperliche Reize gewünscht hätte, so wäre es gewis zu dieser Stunde. – Doch auch meine wenigen Reize sollen hinlänglich seyn, mit Beihülfe meines Wizzes ein Geschlecht bei der Nase herumzuführen, worunter die meisten ihre Schand-Herzen, den armen leichtgläubigen Weibern zur Schau tragen. – Es soll mir herzlich lieb seyn, wenn ich in öffentlichen Gesellschaften die herumfaselnden Jungen an einander hezzen kann, – die, so flatterhaft sie auch immer sind, doch wenigstens durch mich von ihrer beleidigten Eitelkeit sollen gequält werden. – Der Ruf meines unterhaltenden Umgangs zog mir immer theils neugieriges, theils eitles Männer-Volk zu. – Aber kommt nur, ihr nasenweise Lekker, ihr falschen Krokodillen, ihr sinnlichen Weichlinge; ich will euch begegnen, wie es euer Geschlecht verdient! – Die wenigen Guten darunter bleiben ohnehin an dem treuen Busen ihrer Mädchen hangen, und für die übrigen herumirrenden Lotterbuben ist die boshafteste weibliche Intrike noch eine zu barmherzige Strafe. –

Gott! so weit treibt mich der Gram meines mishandelten Herzens! – So schröklich empört sich mein hintergangenes Zutrauen, das mich beinahe unversöhnlich macht! – Nichterwiederte Redlichkeit wütet gräßlich in einem Herzen, darinnen edler Stolz wohnt! – Der schüchterne Hase schrieb mir meinen Abschied, worinnen After-Moral und sehr falsche Grundsäzze herrschen, – vermuthlich um dadurch seinen Wankelmuth zu entschuldigen. – Doch bei mir entschuldigt ihn Nichts! – Die Schwüre der Liebe, die ein Mann einem unbescholtenen Weibe ablegt, kann Nichts brechen, als boshafter Meineid, oder Tod. – Zu einer solchen Standhaftigkeit braucht's weder Romanen-Tugend, noch überspannte [214] Ideen, sondern edler männlicher Stolz, Feinheit des Gefühls und Ueberlegung, ehe man ein fühlendes Weiber-Herz zur Liebe reizt. –

Schiksale, Verfolgungen, schlechte ökonomische Umstände müßen unter zwei bieder Liebenden wechselseitig getragen werden, sonst sieht die Liebe einer verrätherischen Betrügerei ähnlich, die sich bei jedem Zufall aus schändlichem Eigennuz an der Standhaftigkeit rächt. – Gerne hätte ich dem Wortbrüchigen diese derben Wahrheiten mündlich unter die Augen gesagt; aber er floh meine Gegenwart, scheute meinen Anblik, wich mir aus, und schien sich aus bösem Gewissen nicht vertheidigen zu wollen. – Dann riß ich in der ersten Hizze sein Bildniß von der Wand und trat es mit Füßen! –

Eine Zeitlang kämpfte ich noch mit beleidigtem Stolz und gutem Herzen. – Endlich siegte der erstere und gab mir wieder jene ruhige Richtung, die immer den lindernden Trost eines Unschuldigen ausmacht. –

Das wäre nun der Gang einer Geschichte, die ich aus meinem Gedächtnisse verbannen will. – Vielleicht habe ich sie mir auch selbst zu verdanken; warum war ich nicht mistrauischer? – warum hörte ich nicht genug auf deine Warnungen? – warum lies ich mich durch einige Duzzend Briefe bethören, die aus Eitelkeit an mich geschrieben wurden? – Merkt's euch, Freundinnen! – so giengs der gutherzigen

Amalie.

153. Brief. An Fanny
CLIII. Brief
An Fanny

Meine neue Lebensart thut herrliche Wirkung! – Ich werfe in öffentlichen Gesellschaften mein Nez aus, fange lüsterne Fliegen, und lasse sie dann wieder aus, wenn ich sie genug gequält habe. Die Zahl meiner kriechenden Sklaven [215] vermehrt sich täglich. – Ich sehe sie mit kaltem Gefühl kommen, und lasse sie wieder mit leerem Herzen abziehen. – Es ist doch ein elender, freudenloser, bettelmäßiger Zustand um ein Herz ohne Liebe! – Aber es ist auch ein schaudernder Gedanke um die Furcht betrogen zu werden! –

Also wieder zu meinen Müßiggängern zurük, die in galanter Beschäftigung um mich herumsumsen. – Wie sich die eiteln Thoren zu mir hindrängen! – Wie sie um meine spöttische Unterhaltung wetteifern! – Wie einer den andern zum kritisiren reizt! – Wie jeder mit Emsigkeit um den Vorzug buhlt! – Und wie ich troz alle dem dies Fliegen-Geschmeiß in einer gewissen Entfernung zu erhalten weis, daß keiner unverschämt wird. – Das ist wahrlich kein kleines Studium. – Die Klugheit eines Weibs hat doch gränzenlose Auswege, wenn sie Welt- und Menschenkenntnis besizt. – Es soll mir gewis keiner meinen Plan verderben, eh ich des Plagens von selbst müde werde; – dann will ich mich in philosophischer Stille der Einsamkeit zuziehen, und lachen, oder weinen, wie es meine Laune mit sich bringen wird. – Ich habe meine Helden in Klassen eingetheilt, und weis jedem nach Verdienst zu begegnen. – Alle tragen ihre Schellen-Kappen, und jeder behauptet seinen eigenen Ton. – Zum Exempel: –

Der Dummkopf schwazt Unsinn; der Prahler schwadronirt; der Stuzzer spricht von wichtigen Kleinigkeiten; der Waghals poltert; der Hagestolze schimpft über die Ehe; der Vielwisser läßt Lügen schneien; der Großsprecher rühmt sich ungeschehener Dinge; der Zier-Affe seufzt über die feuchte Witterung; der Gek läßt sich bewundern und erzählt seine Eroberungen; der Wollüstling bietet seine Schatulle an; und der verhärtete Bösewicht posaunt die genossenen Gunstbezeugungen aus; u.s.w. – Kurz, jeder thut das seinige, um mir die Langeweile zu vertreiben, oder einem [216] Nebenbuhler Galle zu machen. – Das Ungeziefer vertilgt sich selbst untereinander. – Sie nekken, foppen, schikaniren sich, verdrehen einander die Worte, daß es einem wahren Lustspiel ähnlich sieht. – Ich nehme dann oft die Parthei von diesem; satirisire einen andern, beschäme einen dritten, oder nekke einen vierten, bis keiner mehr weis, wo ihm der Kopf sizt. – Dann stehen sie da, die Maulaffen, starren sich wechselsweise an, und lachen einander selbst aus. – Dazu hab ich's schon öfters gebracht. – Eine meiner Freundinnen, ein biederes, braves Weib, die mein schuldloses Herz kennt und bei dergleichen Auftritten immer an meiner Seite sizt, lacht oft aus vollem Halse, und wünscht ihnen dann beim Weggehen gute Verdauung! – Nur einer von diesen Schmetterlingen macht sich besonders zudringlich. – Die Natur macht ihn zwar durch sichtbare Merkmale kennbar, die jedes gutgesinnte Herz vor ihm warnen können. – Wahrlich, die Natur lügt nicht an ihm; denn seine Seele ist eben so verdreht, eben so disharmonisch, wie der schielende Blik seiner Augen. Er kann schleichen, heucheln, lügen, betrügen, hofiren, spioniren, karessiren, prahlen, verläumden, Ehr abschneiden, – alles in ausgelernter Uebung. Seinen welken Körper, seine kranke Seele trägt er überall an, und wird auch überall abgewiesen. – Er besizt die unverschämte Kühnheit, alle Frauenzimmer nach einem Schlag zu beurtheilen. Die vielen Lustnimphen, die er ehedessen besuchte, haben sein Gehirn mit Vorurtheil angestekt, daß er glaubt, unter dem Frauenzimmer finde keine gute Ausnahme mehr Statt. – Er treibt seinen Verdacht so weit, daß er so gar wegen der Aufführung rechtschaffener Personen öffentliche Wettungen anstellt. – Dieses doppelzüngige Ungeheuer hat nun seinen Eigensinn auf mich festgesezt. – Aber nur Geduld, du sollst deinen Theil Galle schlukken! – Bei allen seinen Ausschweifungen habe ich die neidigste Eifersucht [217] an ihm bemerkt. – Anlaß genug – um ihn tausendfach zu kränken. –

Nun sagt mir noch einmal ihr Menschenkenner, daß Eifersucht die Folge der Zärtlichkeit sey, – wenn sie in einem solchen verdorbenen Wollüstling stekken kann! – Bald ein mehreres, meine Freundin; für heute genug – nicht wahr? –

Amalie.

154. Brief. An Amalie
CIV. Brief
An Amalie

Daß die Weiber doch so sehr geneigt sind auf Extremitäten zu verfallen! – Ein unstreitiger Beweis, daß unsere weichen, empfänglichen Herzen nur zu leicht in Schwachheiten ausarten, besonders wenn wir nicht daran gewöhnt sind aufmerksam über uns selbst zu wachen. –

Theure Amalie! – Bei Allem, was Dir werth ist, beschwöre ich Dich, gieb in deiner Lage auf dein Herz Acht! – Uebersiehst Du darinnen nur den geringsten Flekken, dann bist Du für Ehre und Rechtschaffenheit verloren! – Ich kenne zwar deine reine, unbefangene Seele, deine eingeschränkten Begierden, deine Ehrliebe, und bin überzeugt, daß Dich blos Lebhaftigkeit und Haß gegen das andere Geschlecht zu solchen kleinen Eitelkeiten verleitet, worüber Dir beim Nachdenken selbst ekkeln wird. – Ich bin versichert, daß bei deiner lachenden Gestalt, bei dem Schein deiner Fröhlichkeit dein gefühlvolles Herz im Stillen an der tödtlichsten Langeweile kränkelt! – Der Ton der großen Welt ist eine armselige Sache, weil weder Redlichkeit noch aufrichtige Herzenssprache seine Unterhaltung leitet. Sich wechselsweise vorlügen; einander die lächerlichsten Thorheiten zu Markte tragen helfen; [218] sich vieles sagen, woran das Herz keinen Theil hat; seine offene, vertrauliche Seele in heimliches Mistrauen hüllen zu müßen; das Laster in der ganzen Häßlichkeit unter mancherlei Gestalten ertragen lernen; Schurken und Betrüger nicht anfeinden dürfen; – was hältst Du von so einem Zustand? – Kann es für ein empfindsames Herz etwas Unerträglicheres geben? – Sind nicht innerliches Misvergnügen und Abscheu die heimlichen Mörder deiner Zufriedenheit? – Stört nicht das Getümmel deine sanfte Gemüthsruhe, wenn die Augenblikke der Ueberlegung zurükkehren? – Warum willst Du Dich auf deine Unkosten an Unwürdigen rächen, die doch immer ungebessert bleiben werden? – Ist so ein herzloses Betragen, so eine verstellte Vermummung deinem erhabenen Geiste wohl angemessen gewesen? – Dein Herz muß bittere Unzufriedenheit fühlen, wenn Dir diese glattzüngigen Heuchler mit schamloser Stirne Dinge vorschwazzen, die deine gutartige, unverdorbene Seele empören! – Wenn sie Dir auch in öffentlichen Gesellschaften, von der Eitelkeit und vom Beispiel angespornt, vorschmeicheln, bis Du aus ihren Augen verschwindest; treiben sie dann nicht hinter deinem Rükken mit Vorurtheil und übler Meinung ihr teuflisches Gespött und ihre ehrenschänderische Verläumdung? –

Warum willst Du Dich wegen einem schlechtgesinnten Menschen ganzen Schaaren seines gleichen aussezzen? – Dein Herz wird dadurch nach und nach alles Gefühl für Wohlwollen und Liebe verlieren. – Die Gewohnheit des Welttons wird Dich zur gefälligen Maschine umschaffen, die sich mit abwesendem Herzen, mit böser Neigung, mit gallsüchtigen Ideen nach den Wünschen der Mode dreht. – Du wirst Andern eben so wenig Gutes zutrauen, als sie Dir zutrauen werden. – Nein, Amalie! – das ist nicht der Weg, dein Herz vom Männer-Haß zu heilen. – Leichtsinn würde sich dabei einschleichen; und Leichtsinn ist schon ein großer Sprung zur [219] Verderbnis des Herzens und zur Verunedlung der Seele. – Rechne die immerwährenden Verdrüßlichkeiten, das üble Urtheil, die schiefen Auslegungen der Andern und die Bitterkeiten weg, die Du hie und da von bösen Mäulern über dein Betragen wirst hören müßen; und was bleibt Dir dann übrig, als ein zerrissenes Herz? – Ich kenne deine Empfindlichkeit für deinen guten Namen; ich weis, daß die geringste Anmerkung Dich bis in den Tod kränken kann. – Und nun urtheile von meinem Kummer über deine kleinen Verirrungen. –

Halte meine Erinnerungen nicht für Verdacht wegen deinem Lebenswandel. – Ich kenne das Innerste deines Herzens, weis recht gut, daß es blos Schiksale und erlittene Mishandlungen sind, die Dich zuweilen auf eine kurze Zeit verstimmen. – Dein gutes Gemüth, deine fühlende Seele, dein feuriger Kopf bedürfen blos einer guten Leitung. – Die sanfte Vermahnung einer guten Freundin wird dein gekränktes Herz, deine verwirrten Sinnen von den Irrthümern reinigen, die Dir am Ende gefährlich werden könnten. – Du bist warm für Tugend und Moral, und wirst nie eines Lasters fähig seyn. – Aber auch Schwachheiten muß die Denkerin zu vermeiden suchen; – Schwachheiten, die ihr den Schein der Rechtschaffenheit benehmen. – Die Lobsprüche Anderer zu erwerben, soll nie die Triebfeder unserer guten Handlungen seyn, sondern eigene Ruhe und Bestreben nach Glükseligkeit, zu der wir geschaffen sind. – Ich kann zwar von deiner Jugend nicht jene zurükhaltende Ernsthaftigkeit fodern, welche zu behaupten dein Feuer nicht zuläßt; – nichtsdestoweniger bitte ich Dich, handle mit Klugheit, bewache dein Herz, verunstalte nicht durch Leichtsinn deine Seele, und liebe

Deine beßte Fanny. [220]

155. Brief. An Fanny
CLV. Brief
An Fanny

Meine theuerste, liebste Freundin! –


Sey doch ruhig! meine fieberische Hizze hat sich gelegt; der abscheuliche Nebel ist vor meinen Augen verschwunden; mein Blut strömt wieder gelassener, und ich schäme mich izt meines Leichtsinns! – Wie konnten mich doch die Thorheiten Anderer ergözzen, die sich unterdessen über meine eigenen belustigten? – Wo nahm ich die Geduld her, in Gesellschaften der großen Welt meine Ohren mit Unflat anfüllen zu lassen, da sich indessen mein unverdorbenes Herz darüber entsezte? – Eroberungen von dieser Art sind der Auswurf der Natur, weil dadurch gutdenkende Frauenzimmer so leicht verführt werden. – Und ich Verblendete erinnerte mich nicht eher an diese Wahrheit, bis jener schielende Wollüstling mich zur feilen Buhlerin herabwürdigen wollte! –

Bei einer Gelegenheit, wo seine verabscheuungswürdigen Begierden den höchsten Gipfel erreicht hatten, nahm er seine Zuflucht zum elendesten Hülfsmittel, das man jeder Verworfenen anträgt – zum Eigennuz. – In einer unbegreiflichen Geschwindigkeit lag ein Wechsel in meinem Schoose. – Nur der Wohlstand hielt mich noch zurük, das Papier in Stükke zu zerreissen und ihm dieselben ins Angesicht zu werfen! – Schon hob ich in dieser Absicht meine Hand in die Höhe, als ich darauf die Unterschrift jenes jungen Mannes erblikte. Eine Andere würde sich vielleicht aus Rache an dieses Geschenk gehalten haben, um denjenigen als Schuldner demüthigen zu können, der auf eine so niedrige Art bei mir eine Bekanntschaft endigte, die er mit so vielen Betheurungen der Liebe[221] angefangen hatte. – Aber auch nicht der kleinste Gedanke einer solcher Entschädigung stieg in meiner Seele auf. – Ein ängstliches, wehmüthiges Gefühl bemächtigte sich meiner; die Thränen rollten häufig auf meinen Busen, und schluchzend stellte ich dann dem Wollüstling den Wechsel wieder zu. – Beleidigte Ehre über diesen schändlichen Antrag, erneuertes Andenken an den Unwürdigen, das Wonne-Gefühl mich nicht rächen zu wollen, erzeugten in mir ein Gemische der unbeschreiblichsten Empfindungen. – Izt erst fieng ich an zu fühlen, welchen Beschimpfungen mich meine leichtsinnige Schäkkerei ausgesezt hatte. – Ich empfand die ganze Demüthigung dieser Behandlung; sah mich erniedrigt, herabgesezt und empfindlich beleidigt! – Mein Herz, meine Ehrliebe, meine Vernunft und meine moralische Ueberlegung wachten plözlich in mir auf; und nun trat meine sonst gewöhnliche tiefsinnige Laune wieder an ihre vorige Stelle. – Sey mir gesegnet Nachdenken! dir allein habe ich meine Rükkehr zu danken, und durch dich werde nun jede meiner Handlungen geleitet, welche Bezug auf meine Ruhe, auf die Verbesserung meines Herzens, auf meine Glükseligkeit haben kann. –

Bist Du nun mit deiner reuigen Freundin zufrieden, liebe Fanny? – Würdest Du mich wohl zanken, wenn ich Dir izt die Nachricht von einer neuen Bekanntschaft mit einem jungen Manne mittheilte? – Aber gewis einer Bekanntschaft, die Dir in Rüksicht meiner keinen Kummer machen darf, und die meiner Achtung nicht unwürdig ist, sonst würde ich sie nicht angefangen haben. –

So viel kann ich Dich versichern, daß der erste Besuch dieses Jünglings meine ganze Aufmerksamkeit rege gemacht hat. – Sein offenes Wesen ist beim ersten Anblik äußerst auffallend, begleitet mit einem gewissen edeln Stolz, der sich nicht zu den gewöhnlichen Schmeicheleien herabwürdigte, womit mich sonst die meisten jungen Leute überhäuften. –

[222] Noch ist zwar das Mistrauen gegen das männliche Geschlecht zu tief in mein Herz eingeprägt, um die guten hervorragenden Züge des moralischen Karakters eines Individuums aus demselben in unserm verdorbenen Jahrhunderte nicht für eine blose Erscheinung zu halten. – Vielleicht bald ein mehreres von diesem jungen Manne. – Lebe indessen wohl, meine Beßte, und erinnere Dich recht oft an

Deine Amalie.

156. Brief. An Amalie
CLVI. Brief
An Amalie

Gewis, meine Freundin, ich wußte es zum voraus, daß Du bald wieder von deinem Leichtsinn zurükkehren würdest. – Galanterie-Beschäftigungen, leeres Wortspiel mit deinen faselnden Anbetern gab deinem Herzen nicht jene beruhigende Nahrung, deren es zu seiner Zufriedenheit bedarf. – Der Grund der Rechtschaffenheit ist in deiner Seele schon zu stark befestigt, als daß ihn das vorüberrauschende lokkende Laster erschüttern, noch viel weniger zerstören könnte. – Deine kleinen Fehler sind blos das Werk eines Augenbliks, wozu Dich meistens deine angeborne Lebhaftigkeit verleitet. Ein einziges gutes Wort zur rechten Zeit angebracht, ist hinreichend deine weiche, fürs moralische Gefühl so empfängliche Seele zu rühren. – Siehst Du, liebes, trautes Malchen, so gut kenne ich Dich! –

Jener schielende Wollüstling hat Dich auf die niederträchtigste Art angegriffen; – kein Wunder, daß er von deinem edeln Stolz mit aller Verachtung abgewiesen wurde. – Daß Du Dich bei diesem Anlaß an deinem ehemaligen Anbeter nicht rächtest, sieht deinem Herzen ganz ähnlich, weil es von Jugend auf zur Großmuth gebildet wurde. – Indessen glaube [223] ich doch, daß der Wankelmuth dieses jungen Mannes wirklich mehr aus Mangel an festem Karakter, als aus Bosheit herrührte; obgleich ein gutes Herz ohne Standhaftigkeit eine bettelhafte Gabe ist. –

Ich für mein Theil möchte nicht das Weib eines Mannes werden, der noch in Knaben-Schuhen stekt. – So ein schüchternes Männchen kann ja jede Fraubasen-Grille zittern machen. – Nach meinem Begriff muß derjenige, der auf das Wort Mann Anspruch machen will, Kopf zum Denken, Kraft zum Ausführen und Stärke zur Vertheidigung seiner Unternehmungen besizzen; vorausgesezt, daß der überlegende Mann nichts unternimmt, was er nicht auszuführen im Stande ist. –

Wenn sich das Machtwort Mann nicht durch seine feste Beharrlichkeit auszeichnete, so könnte jeder Swachkopf, jeder Taugenichts, jedes unnüzze Bürschchen damit auftretten. Aber es sind zwei verschiedene Dinge, blos damit prahlen, und mit der That beweisen, daß man diesen Namen zu tragen verdient! – Was in der Liebe nicht wider Rechtschaffenheit und Tugend geht, soll für den Mann gar kein Hindernis seyn. – Läßt er sich durch Vorurtheile einnehmen und wird wortbrüchig, so ist er nicht Mann, sondern ein Kind, dem man die Ruthe geben muß, wenn es, an das Gängelband gewöhnt, allein zu gehen wagt, eh es die Kräften dazu besizt, und dann fällt und schreit; durch die Züchtigung gewarnt, läßt es sich alsdann gutwillig wieder das Gängelband anlegen. – Genug von dem herrlichen Worte Mann, das leider durch die meisten, die sich dasselbe zueignen, geschändet wird. Die wenigen guten Ausnahmen, die diesem Worte Ehre machen, müßen uns für die übrigen entschädigen. Da ohnehin so ein gebrechliches Männchen von einem Weibe, oder wohl gar von einem feurigen, muntern Schulknaben über den Haufen kann gestossen werden, und ohne alle Schonung, [224] aus Strafe, meistens in den Koth sinkt; je nun so lassen wir den Feigen liegen, bis ihn ein Riechfläschchen wieder aus seiner Ohnmacht zu Sinnen bringt. –

Uebrigens, theures Malchen, bin ich mit deiner Reue sehr wohl zufrieden. – Aber was soll denn die Schüchternheit, womit Du mir deine neue Bekanntschaft entdekkest? – Ist sie vielleicht wohl gar der Beweis, daß Du wegen der Gefahr, der Du Dich abermals dadurch aussezzest, Vorwürfe zu verdienen glaubst? – – O ich werde Dir über den Umgang mit dem andern Geschlechte nie welche machen, besonders wenn Du Dich von den häufigen Schmeichlern zu entfernen suchest. Diese kriechenden, giftigen Insekten übertäuben so gerne die Vernunft eines Frauenzimmers, um desto bequemer den Zutritt zu ihrer Leichtgläubigkeit zu finden. – In der That, meine Freundin, edler Stolz in einem Jüngling ist schon ein Karakterzug, welcher Verehrung verdient, weil durch ihn das Gefühl der Rechtschaffenheit in Thätigkeit gebracht wird. –

Oft zeigt sich aber auch unter dieser Larve nur Afterstolz, indem sich mancher Jüngling dadurch aus Eitelkeit als Sonderling auszeichnen will. – O, der Karakter der Männer ist in so vielen Stükken unerklärbar! – Irre Dich ja nicht über diesen Punkt, wenn Du jenen Jüngling näher zu untersuchen Lust hast! – Du kennst ja meine Besorglichkeit und die Liebe, mit der ich ewig bin

Deine Fanny.

157. Brief. An Fanny
CLVII. Brief
An Fanny

Nicht wahr, theures Mädchen, Du wirst doch ungefähr wohl merken, warum ich Dir schon einige Wochen nicht [225] schrieb? – Wenn man so mit der philosophischen Untersuchung eines Karakters beschäftigt ist, wie ich, kann man dann wohl viel übrige Zeit zum schreiben finden? – Du hast es errathen, Freundin! Ganz gewis hatte ich Lust den moralischen Karakter meines neuen Freundes (denn so darf ich ihn izt ohne Bedenken nennen) näher kennen zu lernen. – Seine öfteren Besuche, die er ununterbrochen fortsezt, erleichtern mir meine Einsamkeit unendlich. – Wir philosophiren oft ganze Stunden zusammen; täglich verräth sein Karakter mehr Festigkeit und Wärme für Freundschaft und Tugend. – Sein Betragen übertrift ganz meine Erwartung, so wie es vielleicht die deinige übertreffen würde, wenn Du ihn solltest näher kennen lernen. – Nein, liebe Fanny, nicht After-Stolz besizt er, sonst würde er sich an meiner Seite schon längst bis zum Gekken herabgewürdigt haben, der sich aus verstekter Eitelkeit so gerne vom Frauenzimmer bewundern läßt, weil er Verdienste zu besizzen glaubt. –

Er ist gerade das Gegentheil; ich kann sein biederes, ungeziertes, offenes Betragen nicht genug bewundern, das so ungeschminkt ist und nicht an die geringste Galanterie gränzt, woran die meisten unserer jezzigen Jünglinge kränkeln. – Ein eitleres, undenkendes Frauenzimmer würde vielleicht in seinem philosophischen Umgange wenig Zeitvertreib finden; selbst meine kleine Eitelkeit fand bei seinem troknen Betragen nicht ihre Rechnung; ich wußte mir seine Zurükhaltung bei den so oft wiederholten Besuchen nicht recht zu enträthseln; – ganz natürlich hies mich mein Stolz den nemlichen Ton bestimmen, und so blieben wir beide einige Zeit lang in einer gewissen Entfernung, die mir für unsere Freundschaft zu kalt dünkte, und die mich, ohne zu wissen warum, heimlich ärgerte. –

Endlich würdigte er mich seines Zutrauens; ich mußte [226] hören, daß er ein Mädchen liebte... mehr liebte, als sie es nach seiner Erzählung verdient. – Er hätte immer mit dieser Nachricht noch schweigen können; sie hat mich so sehr gegen dies undankbare Geschöpf aufgebracht, daß er vielleicht gar meinen Unwillen bemerkt hat. – Ewig Schade für sein Herz, daß es in solche Hände gerathen mußte! –

Ich möchte doch das nasenweise Ding gerne kennen, das mit der leidenschaftlichen Neigung eines Jünglings wie eine wahre Kokette spielt. – Und doch ist der gute Junge noch so entzükt, so begeistert von diesem Mädchen! O wäre er nicht so sehr mein Freund, ich würde ihm Unbesonnenheit vorwerfen. – Ich muß mich in dieser Sache über alles das sehr behutsam gegen ihn betragen, sonst könnte er leicht auf den Gedanken gerathen, ich beneidete einigermaßen sein Mädchen. Er ist zu viel Menschenkenner, als daß ich ihm entwischen könnte. Ob er gleichwohl nicht die geringste Eitelkeit besizt, so möchte ich mich doch von dieser Seite nicht gerne blos geben, weil es mir zu sehr um seinen Beifall zu thun ist. – Und würde ich diesen moralischen Beifall nicht verscherzen, wenn ich nicht Herr über den so natürlichen weiblichen Neid seyn könnte? – O, ich will gewis alles anwenden, um als Freundin seiner ganzen Achtung würdig zu werden! –

Aber sein Mädchen wird doch nicht den tollen Einfall bekommen, ihn aus Eifersucht meinem Umgang zu entreissen? – Ohne seinen herrlichen Umgang würden mir izt die Stunden tödtlich lange, und er wäre wahrlich gegen sich selbst strenge genug, mir seine Besuche zu entziehen, wenn sie auf diesen neidischen Gedanken gerathen sollte, und das würde mich sehr kränken! –

Lezthin empfand ich über seine Gewissenhaftigkeit in der Liebe Freude und Aerger zugleich: Aerger, weil mir seine übertriebene Kälte ein Bischen unerträglich wurde, und [227] Freude, weil ich ihn als ein Muster der Rechtschaffenheit bewundern mußte, der es in seiner Treue so weit treibt, daß er noch nicht einmal eine von meinen Händen berührt hat. – Mich dünkt, ein Bischen wärmer dürfte er denn doch gegen eine Freundin immer seyn; er kennt ja meine Denkungsart; ich würde ihn nie zu einer Treulosigkeit verleiten. Du weist, wie sehr ich so etwas hasse, weil es mein Herz ebenfalls zerreißen würde, wenn ich an seines Mädchens Stelle wäre. Aber es ist bei allem dem so verdrüßlich, daß er meine Hand so nachläßig herunterhängen läßt, wenn er mich bisweilen am Arme führt. – In der That sein Mädchen ist sehr glüklich! – O die Bösartige, daß sie ihn nicht mit offnen Armen empfängt und ihn für seine äußerste Liebe noch mit Ungewisheit martern kann! –

Gestern übermannte mich der Eifer so sehr, daß ich ihn geradezu fragte, ob denn dieser Verlust unersezlich wäre. – Ich erschrak sehr über meine unüberlegte Frage, aber sein argloses, unbefangenes Herz gab ihr keine üble Deutung. – Daß er sich aber auch so leidenschaftlich um die Liebe eines Mädchens bemühet, die seiner unwürdig zu seyn scheint! – Gott! – wie unglüklich sind Seelen von dieser Gattung in der Liebe, wenn sie der Zufall auf fühllose Geschöpfe stossen läßt! –

Was mich noch am meisten staunen machte, ist seine Beharrlichkeit bei allem ihrem abscheulichen Betragen, indem er mir rund weg ins Gesicht sagte:

»Nein, Madame, so lange mein Mädchen keine Entscheidung von sich giebt, eben so lange befiehlt mir mein Ehrengefühl an keinen Ersaz zu denken. Ich merke zwar, daß sie nicht das Mädchen ist, die mein Ideal ausfüllt, aber sie zeigte mir heimliche Leidenschaft; sie ist vielleicht zu schüchtern, um sich ganz zu erkennen zu geben; und sollte ich Bösewicht genug seyn können, ihre Hofnungen zu täuschen?« –

[228] Mit diesen Grundsäzzen kannte ich noch keinen Mann! – Thränen stürzten mir über die Entdekkung seines feinen Gefühls in die Augen; – zum Glükke wandelten wir gerade auf einem Spaziergang im Dunkeln und er bemerkte meine Rührung nicht. – Mein Herz war beklommen, mit Mitleid angefüllt über sein Schiksal, – und so verließen wir uns. –

Was hältst Du von einem solchen Jüngling? – Ist sein Mädchen nicht glüklicher als deine Freundin, der das ungünstige Schiksal ein solches edles Geschöpf zuschikte? – Tausend Küße von

Deiner Amalie.

158. Brief. An Amalie
CLVIII. Brief
An Amalie

Nun da haben wirs ja; schon wieder verliebt! und noch obendrein so ernsthaft, so verborgen, daß Du selbst nicht einmal weist, was in deinem Herzen vorgeht.

Noch schleicht die Liebe, diese allmächtige Beherrscherin, bei Dir unter dem Dekmantel der Freundschaft umher, aber nimm Dich in Acht, Freundschaft unter zwei Gefühlvollen ist ein gefährlicher Schleichhandel, der schon so oft in Liebe übergieng. –

Wenn dein ernsthafter, empfindsamer Freund wirklich so ernsthaft ist, als Du mir ihn schilderst, dann ist er gewis auch meiner Achtung würdig. – Doch wer bürgt mir in deinem jezzigen Zustande für die Richtigkeit deiner Beurtheilung? – Sein liebenswürdiger Karakter ist zu ausgezeichnet, als daß er auf ein Frauenzimmer, wie Du bist, keinen Eindruk machen sollte. – Er mag immer ein vortreflicher junger Mann seyn, – Du bist es ihm schuldig, ihm Gerechtigkeit[229] wiederfahren zu lassen, – aber deine heimliche Neigung könnte leicht mehr für ihn sprechen, als deiner Ruhe dienlich wäre. –

O, es ist für ein denkendes Frauenzimmer eine zu reizbare Versuchung, den Mann zu entdekken, der auch die geringsten seiner Begierden zu unterjochen weis, der sich in der Liebe nicht durch kleine Galanterien zu größern Vergehungen verleiten läßt. – Und dieser so schöne Zug aus deines Freundes Karakter, hätte er wohl deine unzufriedne Ahndung verdient, wenn dein Herz nicht im Stillen Wünsche nährte, deren sich deine Vernunft schämt? – Schlüge dein Inneres nicht jezt schon für Liebe, die Nachricht von seiner Verbindung mit jenem Mädchen würde Dich gewis nicht so erschüttert haben. – Merkst Du denn noch nicht, wo dein Herzchen mit all diesen Aeußerungen hinaus will? – Hat dein feuriger Unwille, der merkbare kleine Neid, der noch immer mit der schüchternen Zurükhaltung streitet, etwa nichts zu bedeuten, das an Liebe gränzt? – He, Weibchen! – He! – Glaube mir, in der Freundschaft bedauert man einander nicht mit solcher stürmischen Heftigkeit; Mitleiden in dergleichen Fällen ist der nächste Schritt zur Liebe. –

Aber um Vergebung, beßtes Malchen, sollte ich deiner Neigung hierinnen nicht ein Bischen Uebereilung zur Last legen? – Hast Du denn auch die Folgen überdacht? – Um Gotteswillen bedenke, wenn sein Mädchen wirklich heimliche Leidenschaft für ihn fühlte, wie er vermuthet, und er fühlte dann, ohne es selbst recht zu wissen, für Dich und Du für ihn; was entstünde wohl hieraus für ein Kaos? – Und wer müßte sonst wohl das Opfer dieser Leidenschaft werden, als Du? – Täuscht euch ja nicht länger, lieben Kinder, mit eurer Freundschaft; brich entweder die Bekanntschaft auf der Stelle ab, oder Er mag ihr eine andere Wendung [230] geben, so bald er überzeugt wird, daß sein Mädchen eine Undankbare ist. –

So viel mich dünkt, kettete ihn der Zufall und ein leeres, unbeschäftigtes Herz an sie, und ich wollte alles darauf sezzen, das Mädchen gefällt ihm nicht mehr, seitdem er Dich kennt; noch streitet er mit Liebe und Pflicht; noch kämpft er mit unbekannten Empfindungen, aber gewis nährt sein Herz den heimlichen Wunsch, daß ihn sein Mädchen zurükweisen möchte; so viel habe ich aus seiner Aeußerung gegen Dich geschlossen. – So stumm auch immer sein Mund ist, so übereilt auch seine Handlungen sind, so wenig er sich auch an deiner Seite zu deinem Vortheil zeigt, desto mehr sprechen seine häufigen Besuche. –

Werde mir aber ja nicht eitel, Malchen, wenn ich Dir sage, daß ich in das Herz deines Freundes und in das deinige hineindrang, und in dem ersten Spuren entdekte, die deiner Eigenliebe schmeicheln können. – Der junge Mann besizt Kopf, Gefühl und Geschmak; glaubst Du also nicht, daß er in der Liebe etwas ihm ähnliches suchen wird? – Ich kenne zwar sein Mädchen nicht, aber ich weis, daß es wenige Mädchen giebt, die einen verdienstvollen Denker zu fesseln wissen. – Blos aus Pflicht hängt er noch an ihr! – Ein schönes Wort für den ehrlichen Mann! aber welch ein Unterschied zwischen kalter Pflicht – und wirklicher Liebe! – Sey behutsam, theure Freundin! sey behutsam! warne deinen Freund vor Selbst-Täuschung, flöße auch ihm Behutsamkeit ein, und erinnere Dich an die Ermahnungen deiner Freundin

Fanny. [231]

159. Brief. An Fanny
CLIX. Brief
An Fanny

Liebe Fanny, mit aller deiner philosophischen Beurtheilungskraft hast Du Dich für diesmal, wie mich dünkt, doch geirrt! – Oder beharrst Du denn ganz eigensinnig auf deiner Entdekkung? – Liebe ist mir doch nicht so unbekannt, um ihr Daseyn nicht zu bemerken. – Man muß ja nicht gleich lieben; kann man denn nicht mit der süßen Freundschaft zufrieden seyn, wenn man Kopf genug genug hat, die Wonne derselben ohne Begierden zu genießen? – Ich würde mich zu Tode schämen, wenn mein Freund hierinnen mehr Selbstbeherrschung besizzen sollte, als ich! –

Was kann denn ich davor, wenn seine Denkungsart, sein Betragen, sein Herz mir täglich mehr gefällt, mich mehr entzükt? – Das sind Verdienste, die eine moralische Zuneigung erzeugen können, welche aber von der Liebe (bei der sich doch immer etwas Sinnliches einmischt) noch weit entfernt ist. –

Ich gestehe es, seine Grundsäzze in der Liebe sind hinreißend, werden ein jedes Mädchen glüklich machen, aber.... sie sind nicht für mich, sie sind für eine andere bestimmt! Es kann seyn, daß sich mein Herz im Stillen vorübergehenden kühnen Wünschen öffnete; was thut man nicht aus Uebereilung? – Die Nachricht seiner Verbindung hat mich niedergedonnert, es ist wahr, doch mehr in Betracht der unverschämten Koketterie seines Mädchens, als der Entdekkung einer Neuigkeit, die mir willkommen seyn mußte. – Oft glaubt der Mensch sein Ziel erreicht zu haben, und greift.... nach einem Schatten! – Daß ich sein Mädchen beneide, läugne ich auch nicht; aber beneidet man nicht auch oft Dinge aus Grille? – Ich habe noch mehr gethan, als ihn blos bemitleidet[232] – ich habe ihn sogar angefeuert bei seinem Mädchen auf die Entscheidung seines Schiksals zu dringen, damit er doch einmal ruhig wird, der gute Junge, der um dieser Zaudererin willen mit der schröklichsten Ungewisheit ringt. – War ich diesen Rath nicht der Freundschaft schuldig? – Du möchtest mich doch gar zu gerne verliebt sehen! –

Welches feindselige Geschikke ihn zu diesem unwürdigen Mädchen führte, weis ich nicht; aber so viel weis ich, daß er schon oft sagte, sie wäre wirklich nicht mehr das Mädchen, die seinen moralischen Forderungen entspräche: – Ob er nun an mir etwas besseres findet, darf ich aus Bescheidenheit nicht bestimmen; wenigstens kämpft er seit einiger Zeit mit der äußersten Schwermuth – ohne sich jemals herauszulassen, daß ich ihm mehr als Freundin bin. –

Ich bleibe bei meinem Saz: das Mädchen ist und bleibt eine fühllose Kokette, sonst würde sie ihm nicht einen Tag alle möglichen Aufmunterungen der Liebe anbieten und den folgenden durch Sprödigkeit und Ziererei wieder alle Hofnungen zernichten! – Empfände ich nicht Mitleiden mit seinem Kampfe, ich würde ihm diese gutherzige Blindheit derb verweisen. – Aus Mitleid, aus Freundschaft habe ich ihn zu einer Untersuchung ihrer Gefühle beredet. – Ich überlasse die Entwiklung dem Schiksale, und bin mit seinen Fügungen zufrieden. – –

Ha! – Man pocht! – Es ist mein Freund; er kömmt von seinem Mädchen.... Ich weis nicht, warum ich so zittere.....

Er rief mir freudig entgegen: »Mein Schiksal ist entschieden! – Ich bin glüklich!« –

Gott im Himmel! – Was gieng in diesem Augenblik in mir vor?.... Die Wehmuth übermannte mich... sie preßte mir bei dieser Nachricht Thränen aus. – Ich konnte an der Zufriedenheit meines Freundes keinen wahren Antheil [233] nehmen; sein Glük dünkte mich der Anfang meines Unglüks... O meine Fanny! – Deine weissagende Seele! Du hast Recht.... ich liebe ihn!!! –

Ha! ich möchte vor Schamröthe vergehen, daß ich Dich, daß ich ihn, daß ich mich so lange täuschen konnte! – Um deiner Liebe willen halte mein Läugnen nicht für Verstellung; ich wußte selbst nichts von dieser Leidenschaft! Gott! – was ist der Mensch für ein schwaches Wesen! – Wie wenig kennt er sich selbst, bis ihn die Leidenschaften überraschen! –

Ich kann Dir, liebe Fanny, diesen Auftritt nicht so lebhaft schildern, als ich ihn fühlte... O die gräßlichen Worte: Mein Schiksal ist entschieden! – Ich bin glüklich! – raubten mir alle Fassung! – Kaum vermochte ich noch die Frage herauszustottern: »Und wie ist es denn entschieden?« –

Die Freude, die ich bei dem Eintritt auf seinem Gesichte las, tödtete in mir alle Hofnung, ihn je zu besizzen! – Schon fühlte ich die entwikkelte Liebe und mein Unglük in all seiner Stärke, meinen Verlust in seinem ganzen Gewichte, meine hofnungslose Liebe mit einer Ewigkeit voll Jammer begleitet!!! – Nach meinen Empfindungen zu urtheilen, muß dies der einzige Mann in der Schöpfung seyn, der mir bis izt mangelte! –

Aber stelle Dir mein heimliches Entzükken vor, als er mir in wenigen Minuten darauf gerade das Gegentheil von dem sagte, was mich so gebeugt hatte, als er mit fröhlichem Herzen anfieng:

»Sie haben mich unrecht verstanden. Ich bin frei; das Mädchen liebt mich nicht, hat mich nie geliebt; sie hob auf meine dringende Bitte alle Hofnung zur Gegenliebe auf, aber mit einer Kälte, mit einer Kälte, die meinen ganzen Stolz empörte!« –

Dieser rasche Uebergang, diese glükliche Täuschung wirkte so sehr auf mich, daß ich in lautes Weinen ausbrach! – [234] Ich beredete ihn, daß es Thränen der Theilnahme, Thränen der Freundschaft wären, – aber es waren Thränen... der Liebe. – O meine Freundin, wenn er meine Leidenschaft nur nicht bemerkt hat! – Wenn er nur auch für mich so viel empfände! – Oder wenn er nur nicht so viele ausgezeichnete moralische Reize besäße! –

Darf ich Den zu lieben erröthen? – Den, der alle Geistesvorzüge besizt, – der die Beleidigung dieser Kreatur mit keinem bittern Wörtchen ahndete, – der wie ein sanfter Engel ihre Falschheit bemitleidete und seinem Herzen aus edelm Selbstgefühl Richtung gab? – Den, der so ganz das Ebenbild meines Ideals ist? – Den, auf dessen Herz, auf dessen moralischen Karakter, auf dessen Talenten eine jede Denkerin stolz seyn würde? –

O Dank dir, Alltags-Mädchen, Dank dir, daß du ihn nur der Schaale nach beurtheiltest, daß du in ihm den galanten Modegekken vermißtest, der deiner dummen Eitelkeit besser würde geschmeichelt haben; daß du seinen innern Werth aus eigner Verdienstlosigkeit nicht entdektest! – Verzeihe, meine Freundin, wenn ich hier abbreche! Giebt es für meine Empfindungen eine Sprache? –

Amalie. [235]

160. Brief. An Amalie
CLX. Brief
An Amalie

Liebes Malchen! –


Ich sollte Dich zwar ein Bischen zanken, weil Du mir deine Leidenschaft so eigensinnig wegläugnetest, aber es liegt einmal in der Natur der Liebenden, daß sie sich lange genug selbst täuschen, und dann – was verzeiht man nicht einer Freundin, deren feurige Einbildungskraft, deren fühlende Seele so leicht von der Liebe kann überrascht werden? –

Alles gut, liebes Malchen, alles gut; dein Freund ist ein herrlicher Junge! Melde mir aber noch mehrere Züge aus seinem Karakter, und dann will ich Dir erst sagen, ob Du ihn zum Gatten wählen darfst. – Verstelle Dich gegen ihn wenigstens nur so lange, bis Du gewis bist, daß er Dich eben so heftig liebt, daß er sein voriges Mädchen ganz vergessen hat, oder ob es bei ihm nur augenbliklicher Affekt war. – Die Liebe ist eine wunderliche Sache; je mehr ihr Hindernisse aufstossen, desto eigensinniger wird sie. – Ich bin zwar überzeugt, daß dein Freund Denker genug ist, um ein Mädchen zu verachten, zu vergessen, die ihn so mishandelte. –

Dieser Bedenklichkeiten ungeachtet befiehlt Dir der Wohlstand, deine Liebe nicht eher zu zeigen, bis Du dazu aufgefodert wirst. – Lasse Dir nur die Zeit nicht lange werden, dein Freund wird bald mit einer Erklärung von selbst herausrükken. Mich dünkt, seine Fröhlichkeit über die Entscheidung seines Schiksals ist... nichts weiter, als Liebe für Dich! – Mit deinen Thränen hättest Du wohl an Dich halten können; es läßt gar nicht schön, wenn verliebte Frauenzimmer weinen.[236] – Doch Spaß beiseite, sey aufmerksam auf die fernere Handlungen deines Freundes, und statte mir treulichen Bericht davon ab. – Ich würde Dir heute gerne mehr schreiben; aber mein Karl will durchaus mit mir spazieren gehen, und... ei, sieh da! nun nimmt er mir gar mein Dintenfaß weg. – Ich muß also wohl schließen. –

Deine Fanny.

161. Brief. An Fanny
CLXI. Brief
An Fanny

Traute, liebe Freundin! –


Du kränkst mich doch mit deinen vielen Bedenklichkeiten noch halb zu Tode! – Ich danke Dir immer für deine gütige Sorgfalt, aber Du mußt dich auch von dem guten Karakter meines Freundes überzeugen wollen. – Zu viel Furcht verbittert das Leben; nach mehreren Prüfungen wird übertriebenes Mistrauen endlich zur Beleidigung. – O und seine Seele ist doch so truglos, seine Vernunft so gebildet, sein Herz so rein, daß man ihm gut seyn muß! – Mitunter ist er freilich ein Bischen Brauskopf, eine Folge seiner Lebhaftigkeit, die aber die sanfte Güte seines Herzens gleich wieder entwaffnet. Jede seiner Handlungen wird von dem feinsten Ehrengefühl geleitet, er fühlt die Erhabenheit seiner Seele, aber ist demungeachtet weder eitel, noch hochmüthig; selbst in der Liebe (die seine einzige Glükseligkeit auszumachen scheint) kann er nicht kriechen. –

»Für jezt, (sagte er mir lezthin) für jezt bin ich mit Ihrer Freundschaft zufrieden. Können Sie mir einstens [237] mehr schenken, dann ist mein Glük ohne Gränzen! – Aber ich werde nichts erbetteln, nichts erschleichen, nichts ertrozzen.« –

Wie gefällt Dir dieser neue Zug aus seinem Karakter? – Ist er nicht der Beweis seines gefühlvollen, edeln Stolzes? – Wie unterscheidet sich der Edle von den gewöhnlichen Männern, die bei der Bekanntschaft eines Frauenzimmers alle Kunstgriffe anwenden, um eine eigennüzzige Eroberung zu erhaschen. – Wie absichtslos, wie unbefangen zeigt sich seine Liebe; wie weich, wie empfänglich ist seine Seele für jedes Gefühl der Tugend! – Und in dies Geschöpf sollte ich noch Mistrauen sezzen? – Ich sollte ihn noch länger von mir entfernen? – Noch länger nicht hinsinken an seinen warmen, klopfenden Busen? –

Rede mir doch in Zukunft nichts mehr von seinem vorigen Mädchen! – Er hat, er mußte die Elende ganz vergessen, sonst würde mir seine Vernunft verdächtig geworden seyn. – Noch nie fand ich ihn in seinen Entschlüßen wankend; er ist in seinen Leidenschaften nicht Weichling; er kennt den Werth der wahren Liebe, und weis sie durch Standhaftigkeit zu adeln. – Bis Morgen bleibt dieser Brief noch ungesiegelt; hernach das Weitere. –


Des andern Tages.

Er ist vorbei der Augenblik der seligsten Vereinigung! – Unsere Herzen haben sich einander ganz aufgeschlossen! – Wilhelm B.... gehört mein, und wird es auch ewig bleiben! – Ha! der Wonnetrunkenheit, die mich berauschte, als er den ersten warmen Kuß auf meine glühenden Lippen drükte! – Als er mich mit hinreißender, feuriger Begeisterung seine Gattin nannte! – Wie er dabei so feurig mich an sein lautpochendes Herz drükte, und wie er doch mitten im Taumel der Liebe Herr über seine gereizten Sinnen blieb! – Ist das etwa nicht der größte Beweis seiner auf Hochachtung [238] gegründeten Neigung? – Erhebt ihn nicht seine bescheidene Schüchternheit über tausend andere Alltags-Liebhaber? – Wo ich nur hinblikke, entdekke ich in ihm Seelen-Vollkommenheiten, die mich entzükken! – Gott! – Wie gränzenlos sind die Glükseligkeiten der ächten Liebe! – Und alle diese Glükseligkeiten warten in Wilhelms Armen auf mich!!! –


Einige Tage hernach.

So sind denn die Freuden dieses Lebens immer mit Bitterkeit gewürzt! – Hätte ich dies wohl vor einigen Stunden vermuthet? – Mein Gatte (denn das ist er izt vor Gott) mein Gatte leidet wegen meiner von seinen Verwandten die schröklichsten Verfolgungen! – Sie hätten ihn gerne von mir gerissen, die Habsüchtigen, aber es gelang ihnen nicht; er kämpfte wie ein Biedermann, bot dem Vorurtheile Troz, und ist jezt viel feuriger, viel schwärmerischer (wenn es je möglich ist) als zuvor! – Hindernisse sind in der Liebe ein mächtiger Sporn; aber er wird diese Hindernisse alle übersteigen! Kümmere Dich nicht, meine Freundin, er ist Mann; tausend noch ärgere Kabalen werden ihn doch nicht von der Seite seines Weibes reißen! – O, ich kenne ihn; er trägt ein teutsches Herz im Busen und würde aus Liebe einer Hölle trozzen, wenn sie sich gegen ihn auflehnte! – Groß ist seine Seele, entschlossen sein Muth und unnachahmlich seine Zärtlichkeit! – Künftigen Posttag die sichere Nachricht von meinem Brauttag, wenn nicht der Fluch des Schiksals auf mir ruht, nie, nie glüklich werden zu dürfen!!! –


Amalie. [239]

162. Brief. An Amalie
CLXII. Brief
An Amalie

Mein Malchen, das verzeihe ich Dir in Ewigkeit nicht, daß Du mir bis jezt den Namen deines Freundes verschwiegst! – Wilhelm B.... wird dein Gatte? Der liebe B...., der so oft an dem vertrauten Busen meines Karls lag, als sie zusammen in G.... studierten? – Jener B...., dessen große Seele, dessen menschenfreundliche Handlungen in ganz G.... bekannt sind? – Jener B...., der sich zum Aerger Anderer schon so frühe zum Denker emporschwang, der allen Ergözlichkeiten der Jugend entsagte, um die Nothleidenden unterstüzzen zu können! – Mein Karl betheuert, daß er nie einen biederern Freund gehabt habe, als ihn. – Er betheuert, überall herrsche Feuer, Wohlwollen, mit reizender Begeisterung begleitet, in seinen Handlungen. – O Du glükliches, glükliches Weibchen! – Karl taumelt vor Entzükken! – Eine herrlichere Ueberraschung hättest Du uns gewis nicht bereiten können, ob sie gleich vielleicht wider deinen Willen geschah, denn ich glaube nicht, daß Du von der ehemaligen Verbindung dieser zween Freunde etwas gewußt hast. – Das Schiksal entfernte sie von einander, der junge B.... gieng auf Reisen, mein Karl hatte das Gleiche im Sinne, bis ich ihm dazwischen kam, seinen Plan scheitern machte, und ihr Briefwechsel aus Zufall unterbrochen wurde. –

Aber sage mir doch, wie geriethest Du denn an diesen vortreflichen Jüngling? – Wo lerntet ihr euch kennen? – Wie gieng denn das zu? – Wie kam es? – O daß Du mir nicht auch alles bis auf den kleinsten Umstand schriebst! – Um aller Welt willen, verhele ihm meine mistrauischen [240] Anmerkungen! – Er müßte mir gram werden, daß ich ihn, freilich unbekannter Weise, so beleidigen konnte. – O Malchen! – Malchen! – mein Entzükken über diese Entdekkung ist gränzenlos! –

Schmiege Dich fest an den Edeln, und wenn seine Verwandten sich in Furien verwandelten, so lasse ihn doch nicht! – An der Seite eines Wilhelm B.... wird jedes Weib zur beneidungswürdigen Sterblichen! – Und gesezt, sie entzögen ihm alle Glüks-Güter, so wirst Du bei seinen ausgezeichneten Talenten doch nie darben dürfen. –

Wenn ich ihn doch nur schon von Person aus kännte; Karl und ich können den Augenblik kaum erwarten, wo wir ihn sehen werden! – Guter, guter Vater im Himmel, so machst du denn meine Amalie auf einmal ganz glüklich! – Hast Du ihn endlich gefunden, Freundin, den, der einer Amalie würdig ist, – den, der Dir in Allem so gleicht, als ob die Natur bei der Schöpfung nur Einen Gedanken, nur Einen Endzwek zur engsten Harmonie gehabt hätte, – den, der Dir alle trüben Schiksale wird vergessen machen, – den, der Dir, mir und meinem Karl Thränen der innigsten Freude entlokt! – – Amalie, es giebt Wonne-Gefühle, die die Zunge fesseln, aber das Herz desto mehr erweitern zur Empfänglichkeit für die Freuden der Freundschaft; das ist jezt der Zustand deiner entzükten

Fanny. [241]

163. Brief. An Fanny
CLXIII. Brief
An Fanny

Theuerste, liebste Fanny! –


Ich habe Dir mit Vorbedacht den Geschlechts-Namen meines Wilhelms nicht früher entdekt, um dein Urtheil desto unpartheiischer zu vernehmen. – Von der Freundschaft zwischen Karl und Wilhelm, deren Erneuerung meinem Gatten die unaussprechlichste Freude machen wird, wußte ich nicht das geringste; blos der glükliche Zufall hat es entdekt. – Ich halte mich überhaupt bei der Schilderung eines Freundes nicht gerne lange bei Nebensachen auf, am allerwenigsten bei körperlichen Reizen, an denen nur sinnlose, eitle, undenkende Frauenzimmer kleben bleiben. – Glüklicher Weise gehört meine Wahl auch in diesem für mich so unbedeutenden Stükke nicht unter die geschmaklosen, wie Du von deinem Karl hören wirst. – In der glüklichen Liebe müßen die körperlichen Reize immer den moralischen nachstehen, sonst wird dieselbe zur niedrigen Alltags-Waare. – Es würde meinem Kopf ewig Schande machen, wenn ich mich je bei der Wahl eines Gatten (vorausgesezt, daß er von der Natur nicht ganz verwahrlost worden ist) bei meinen philosophischen Grundsäzzen so weit hätte verirren können. –

Ja, meine Theuerste, Wilhelm B.... ist es, der meine zeitliche und ewige Glükseligkeit ausmacht! – Er ist jezt mein Führer, mein Freund, mein Gatte, mein Alles in Allem! – Wie ich an ihn gerieth, würde zum erzählen zu weitläufig werden; also nur in Kurzem: Er lernte meine Denkungsart, so wie ich die seinige, durch die Schilderung einiger Freunde [242] kennen. – Aus Ahndungen entstunden Wünsche, und diese Wünsche führten uns durch einen glüklichen Zufall zur Bekanntschaft, der wir beide mit Sehnsucht entgegen sahen. –

Du weist, wie ich gerade zu derselbigen Zeit im Begriff war, aus mürrischem Menschenhaß zum Leichtsinn überzugehen, – als plözlich Wilhelm kam und mich zurükrief. – So weit, wie ich es trieb, treibt es der schwache Mensch, wenn ihn das Schiksal verwirrt macht, wenn sein gutes Herz von allen Seiten zerrissen und seine Vernunft beinahe irre geführt wird. – Gott Lob, sie sind vorüber diese Zeiten! – ich erhielt einen Begleiter auf diesem gefährlichen Pfade, wo man so leicht strauchelt! –

Aber, liebe Fanny, sey doch kein Kind, wie könnte Dir denn Wilhelm gram werden, wenn Du unbekannter Weise für mein Wohl sorgtest? – Habe ich deinem antheilnehmenden Herzen nicht schon bei der ersten Wahl eines Gatten den unüberlegtesten, leichtsinnigsten Streich gespielt? – war ich nicht taub gegen deine Ermahnungen? – hörte ich nicht blos auf meine gutherzige Hizze, um mir unbeschreibliches Elend einzutauschen? – Du hattest ganz Recht mich zu warnen: ein junges Frauenzimmer hat nie zu viel Welt, nie zu viel Kopf, um in der Liebe vorsichtig genug zu handeln. Möchten sich meine Leserinnen mein ausgestandenes Elend tief in ihr Herz schreiben, wenn ein Spieler, ein Wollüstling oder sonst ein niedriger Schurke ihre Leichtgläubigkeit, ihre Sinnen durch heuchlerische Schmeicheleien, durch zudringliche Kunstgriffe zu übertäuben sucht! –

Doch endlich, meine Beßte, sind sie zu Ende meine Leiden, und die Verfolgungen, die wir wegen unserer Liebe dulden mußten, durch die Standhaftigkeit meines Wilhelms überwunden! – Mein Schauspieler-Stand beleidigte seine hochnasigte Familie, die sich doch der meinigen nicht zu schämen hat. – Aber Wilhem trozte diesen Schimären und [243] hörte blos auf die Stimme der Vernunft, der Redlichkeit und der Liebe! – Seine feurige Einbildungskraft giebt der Liebe einen Schwung, den vielleicht wenig Jünglinge in unserm flatterhaften Jahrhunderte erreichen werden, wenigstens gewis nicht mit solchen durchdachten Grundsäzzen, mit so vieler Ueberzeugung einer zukünftigen Glükseligkeit, mit dem warmen Ausguß des beßten Herzens, wie meines Wilhelms Liebe ist. –

Gott ist mein Zeuge, daß aus diesem braven Jüngling nicht überspannte Romanen-Sprache spricht; seine Liebe ist auf Ueberlegung gegründet; sie entstand allmählig; er lernte mich durch Umgang kennen, fand seine Wünsche in Wirklichkeit gebracht, und Seelen-Harmonie vereinigte uns auf ewig. – Alle Nebenabsichten, denen der schwachköpfige Jüngling anhängt, mußten bei seiner beispiellosen Liebe weichen – Nicht unbesonnenes jugendliches Feuer benebelte seine Sinnen, sondern tiefe Ueberzeugung, daß ich das Glük seines Lebens ausmachen würde, entschied seine Wahl. – – Glänzendere Aussichten, die Gunst seiner Familie, Verschiedenheit unseres Standes, Unterschied der Religion, (dein Karl wird Dir vermuthlich schon gesagt haben, daß er ein Protestant ist) und noch mehr dergleichen tirannische Vorurtheile unterjochte er mit einem philosophischen Muth, der mich staunen machte! –

Unnennbar ist meine jezzige Glükseligkeit! Entzükken, Wonne, Gatten-Liebe und die süßeste Schadloshaltung für meine ehemalige Schiksale strömen nun mit unaussprechlicher Freude in mein Herz! – Oft läßt mich diese Himmelswonne kaum zu Athem kommen! – Oft muß mein Wilhelm die Thränen der Freude stromweis von meinen Wangen wegküßen, um das süße melankolische Gefühl zu zerstreuen, das mich auf Kosten meiner Gesundheit zur träumenden Schwärmerin macht. – In diesem Zustande würde ich blos taumeln und nicht wachen. –

[244] Alle meine Wünsche sind jezt erfüllt! Mein gutes Herz hat noch ein besseres gefunden; meine Seele kann sich in ihr Ebenbild ergießen; mein Geist findet durch Wilhelms Vernunft Nahrung; meine kleinen Schwachheiten stehen izt unter der Obsicht eines gütigen, liebevollen Gatten; meine Grundsäzze werden durch seine herrliche Philosophie fester, und mein Herz findet Anlaß sich mehr zu veredeln, um es der Glükseligkeit empfänglich zu machen, zu der wir von der ewig weisen Vorsicht bestimmt sind. –

O, du solltest Zeuge unserer gegenseitigen Hochachtung, Gefälligkeit und Sanftmuth seyn, die mit der feurigsten, zärtlichsten Leidenschaft verknüpft sind und unsere Tage zum Elysium schaffen. – Unsere Religion ist Liebe für den Allmächtigen und Liebe für unsere Brüder; unsere Lebensart, stille von der großen Welt entfernte Weisheit; unsere Unterhaltung, gegenseitiges gutes Herz, in heitern Augenblikken mit unschuldigen Schäkkereien gewürzt, und der Endzwek unserer Handlungen, willige Ausübung der allgemeinen Pflichten für das Wohl der Menschheit und für unser eigenes. –

Dies, meine Fanny, ist nur obenhin das Bild meiner glüklichen Ehe, die Du in ihrer vollen Zufriedenheit selbst erblikken sollst. – Ja, ja, meine Freundin, Du und dein Karl, ihr sollt beide Zeugen meiner zeitlichen Glükseligkeit werden! – Mein Gatte gab mir sein Wort – wir besuchen euch auf unserer Reise nach der Schweiz – und mein Wilhelm hält sein gegebenes Wort gewis! – Gewis hält er es; ich kenne meinen Wilhelm! – Also nur Acht gegeben, wenn Du einen Wagen rollen hörst, so denke nur, es kömmt Niemand anders, als

Deine glükliche Amalie. [245]

Nachschrift an die Leser und Leserinnen
Nachschrift
an die Leser und Leserinnen.

So viel, meine werthesten Freunde und Freundinnen, kann ich Sie versichern, daß dieses mein Werkchen eine wahre Geschichte und kein idealischer Roman ist. – Ich werde wohl nicht nöthig haben, für den Welt- und Menschenkenner diese Behauptung deutlicher zu erklären, wenn er den geraden, natürlichen Gang meiner Geschichte eingesehen hat, die so weit von den abentheuerlichen Episoden, romanenhaften Windbeuteleien, u.s.w. entfern ist, und blos bei der lieben Natur, bei wirklichen Auftritten aus dem menschlichen Leben stehen bleibt. – Mich dünkt, daß man aus dieser ganz begreiflichen Art Schiksale, aus dergleichen wahrscheinlichen Begebenheiten am beßten Herzen, Menschen und Sitten studieren lernt, weil sie auf keine Schimären, auf keine Ideale gegründet sind. Ob nun diese meine gute Absicht bei meiner Arbeit von den Denkern und Denkerinnen so verstanden wird, wie ich es wünsche, dies wird die Folge weisen. –

Vielleicht hat diese ungezierte, an erdichteten Verwiklungen und gehäuften Intriken so leere Geschichte nicht das Glük dem verwöhnten Geschmak zu gefallen, der leider so gerne bei Hirngeburten und bei lügenhaften Geniestreichen verweilt. – Es sollte mir wahrlich leid thun, weil ich mit allem Vorbedacht bei der pünktlichen Wahrheit der Geschichte stehen blieb und nicht gerne Erdichtungen einflikken wollte, um meine Leser und Leserinnen nicht mit Märchen aus dem Reiche der Möglichkeit zu täuschen, die unsere meisten Romanen ohnehin genug anfüllen. –

[246] Meine Arbeit mußte ein Kind der Natur werden; wollen sich nun die Abgesandten der Vorurtheile und dienstfertige Grübler daran wagen, dasselbe zu nekken, so wird seine Mutter aus Erfahrung wohl so viel kaltes Blut gesammelt haben, um ihre Nekkereien mit philosophischer Gleichgültigkeit zu ertragen – oder es zu vertheidigen, – je nachdem es kömmt! –

Die Verfasserin.

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TextGrid Repository (2012). Ehrmann, Marianne. Romane. Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen. Amalie. Eine wahre Geschichte in Briefen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-96CB-7