Schule des Lebendigen

O Loos der Märtyrer, so bittersüß! Sei's
Denn d'rum gewagt! Der schlanke Würfel fiel.
Ça ira – weine nicht, Ulrich-Odysseus!
Nur im Exil ist heute noch Asyl.
Der alte Ocean wird dich umrauschen,
Dich hat die schale Welt verkannt;
Nur seinen Liedern sollst fortan du lauschen,
Mit Menschen nimmer eitle Worte tauschen,
Seit jedes Herz ein Sykofant.
Einst grollt' auch ich: Vom Haupt die Nebelkappen!
Zum Teufel mit der kahlen Klerisei!
A bas! so warnt' ich, mit dem kecken Wappen!
Und frei zu sein, seid einmal nur so frei.
Jetzt kann euch meine Stimme nimmer retten,
Seitdem versäumt der Augenblick –
O knirschet nur in eure Sclavenketten,
Ihr macht nicht mehr die größte aller Wetten!
Verlor'ner Donner: république!
Ein Bess'rer war zu rechter Zeit ein Tadler,
Im Alpenschnee ging seine Spur verlor'n –
Noch hass' ich den Verrath und seine Adler,
Doch Jene trifft mein einsam keuscher Zorn,
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Die halben Weges feige stehen bleiben
Und mit Proclamationen nur
Ihr eig'nes Todesurtheil unterschreiben,
Der Freiheit Genius muß sich selbst entleiben,
Seitdem die Freiheit Sinekur.
Reißt ihr die Throne aus dem Dung der Erden,
Sie wuchern nach – das ist das Weltgericht.
So wird Europa niemals urbar werden,
Ihr Herren seid die rechten Pflüger nicht!
Ihr werdet nun und nimmermehr Hellenen,
Das ist des Pudels letzter Kern –
So wenig als die Liebe mit Typhönen,
Cultur mit Barbarei sich läßt versöhnen,
Als Judith mit dem Holofern.
Ihr wollt den Geist in kranke Hürden pferchen,
Im Angesicht des jungen Morgenroths?
Ihr wahrlich hört nicht schmettern seine Lerchen,
Seht unter Rosen nicht das Schwert des Tod's!
Noch ward kein Feldherr unter Euch geboren,
Denn eure Schlachten waren Hohn;
Ich habe kühnern Fahnen zugeschworen,
Zehntausend Griechen waren nicht verloren,
Doch Ihr habt keinen Xenophon.
Kredenze, Lieb', die Qual nicht zu verlängern,
Die letzte Zähre uns'res Vater Rhein!
Ein Pereat Europens Müßiggängern!
So – lass' mich schlürfen diese Neige Wein.
Von nun an soll mein Lied verblutend feiern,
Das einst der Freiheit eine Gasse war,
Das Lied des Müden, welcher nicht mit euern
Befleckten Flaggen wollte planlos steuern,
An Geist allein nicht Proletar.
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Es blüht kein Lenz aus bleichen Tricoloren,
Millionen Oriflammen will der Lenz –
Ich aber predigte nur tauben Ohren,
Und eine Metze ward die Permanenz.
Der Weise zieht mit trauernden Standarten
Auf stilles Eiland fern im Meer,
Des Herzens Frühling mag allein er warten,
Und der Entsagung rettende Kokarten
Stet er sich auf und liest Homer!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Lyrische Karrikaturen. Lyrische Karrikaturen. Schule des Lebendigen. Schule des Lebendigen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9CDE-9