Heimtück' und Reue

(Wahre, schändliche, doch nicht so ganz ruchlose Ballad.)


Daß mit Liebe Grausamkeit verbunden
Oftmals durch des Schicksals Toben ist,
Hat bekanntlich Romeo empfunden
Sammt der Julia, die ihn geküßt.
Aber schauderbar
Die Geschichte war,
Die erlebte jüngst ein Decopist.
Michel Heidt der Zwanzigste, ein Bauer
In der Landgemeinde Muckenwies,
War um seine Ehefrau in Trauer,
Während seine Tochter Eva hieß.
Und vom Landgericht
Mehrmals monatlich
Kam der Wilhelm Straub, das ist gewiß.
Jener Vater eines Mädchens hatte
Diesen kühnen Jüngling auf dem Strich,
Auch die Tochter hatt' er auf der Latte
Weil sie seiner Aufsicht hold entwich,
Und er hielt die Zwei
Nicht sowohl für treu,
Sondern aber fast für lüderlich.
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Darum konnte man's ihm nicht verdenken,
Daß das Paar melankatholisch ward,
Daß sich Er herumtrieb in den Schenken,
Und daß sie verdächtig auf ihn harrt;
Denn des Abends spat
In der Kemmenat
Uebertäubten sie die Gegenwart.
Doch der Vater, vor der Zukunft bange,
Durch Vergangenheit gewitzigt schier,
Nährt im Busen bösen Heimtucks Schlange,
Rasselt schrecklich plötzlich an der Thür;
Und vor seines Grimm's
Eile, durchs Gesims
Schwingt der Jüngling sich in's Luftrevier.
Aber, wie der sorgenvolle Vater
Arglist schnaubend es vorhergesehn,
Oeffnet landwirthschaftlich sich ein Krater
Unten, wo des Hofes Kater stehn.
In der Grube groß
Schnöde Gülle floß
Uebers Haupt, ach, dem Verwegenen!
Aus dem Himmel in den Pfuhl der Hölle,
Glaubt der Aermste, jählings sich gestürzt,
In des schaurigen Kozytus Welle
Seines Lebens Faden schon gekürzt,
Doch er taucht empor,
Und in's frohe Ohr
Braust die Welt ihm wieder, stark durchwürzt.
Weh! Da stand er in dem Morgengrauen
Als ein nächtlich dunkler Ehrenmann,
Noch vermocht er nicht das Licht zu schauen,
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Doch zu dämmern es ihm sonst begann.
Süßen Trost vernahm
Er in Schreck und Scham,
Als sich oben Prügelei entspann.
Denn er höret der Geliebten Stimme,
Ob sie auch der Vater, wild entsatzt,
Gleichend einem Wüstenungethüme
Unbarmherzig, lächelnd, durchkarbatscht,
Ob es gleich ihm ahnt,
Was da allerhand
Würde allwärts bald herumgeklatscht.
Und mit einem wüthigen Entschlusse
Rettungslos ergreifet er die Flucht,
Träumend von des Abschieds heißem Kusse
Und des Farrenschweifes kalter Wucht;
Athmet wieder frei
Erst im nächsten Mai,
In Australiens ferner Hafenbucht.
Ja, die treue Liebe wird belohnet
In dem herrlichen Australia,
Staunet nun, wie der Entwich'ne wohnet,
Einer lieblicheren Grube nah:
In des Goldes Staub
Wälzt sich Wilhelm Straub,
Stehet glänzend als ein Phönix da.
Und er lebet wie ein reicher Nabob,
Sparsam nur der Liebe huldigend,
Denn ein Brief vom Muckenwieser Jakob
Meldet, daß die alte Flamme brennt;
Daß der alte Heidt
Sei voll Traurigkeit,
Und daß Alles nicht so übel ständ'.
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Also in Europas Hain zergrämte
Sich der Vater um der Tochter Glück,
Ja, man sah ihm an, daß er sich schämte
Ueber seiner Tücke Meisterstück.
Nachbars Neckerei
Macht den Gaul ihm scheu,
Und er zog sich vor sich selbst zurück.
Ja, es währt nicht lang, so sind dieselben
Nach Australien gleichfalls durchgebrannt,
Und der William mit dem feuergelben
Glaçé reicht den Reisenden die Hand.
Stumme Zähre rinnt,
Und sogleich beginnt
Hochzeit, Tauf' und heil'ger Ehestand.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Gedichte aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes. Heimtück' und Reue. Heimtück' und Reue. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9D68-B