Straubinger's Weltansichten

London

Zu London in der großen Stadt
Von sechs Millionen Seelen
Man gar nichts zur Zerstreuung hat
Als wie das edle Stehlen.
[29]
Die Stadt liegt in dem Engelland
Und an dem Fluß der Themse,
Matrosen laufen an dem Strand
Und kauen ihre Bremse.
Viel tausend Galgen man dort hat,
Von allen Qualitäten,
Es ist die wahre Wohlethat,
Wenn Einer dran geht flöten.
Für g'meine Leut sind sie von Holz
Und Jedem nach dem Wuchse,
Für Lords von Mahagoniholz,
Für Handwerksbursch von Buchse.
Das ist von London die Geschicht'
Im Uebrigen ist Nebel,
Die Sonne scheint ihr Lebtag nicht,
Sonst wär' es nicht so übel.

München

Wenn Einer sich was Gutes wünscht
Und hat nicht viel zu wünschen,
Der thut sich einen großen Dienst
Und geht sogleich nach München.
Ein' Rausch zu kaufen, ist nicht schwier'g
Das zweit Haus ist ein Wirthshaus,
Das erste Haus ist eine Kirch
Oder sonst ein Seelenhirtshaus.
Drum wer nicht auf der Straß will stehn,
Hat auch nicht lang zu wählen,
Auch lassen sich die Mädels sehn,
Fast lauter schöne Seelen.
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Viel Wesens macht man aus der Kunst
In höhern Regionen,
Und Händel hat man ganz umsonst
Nach allen Dimensionen.
Auch gibt es nebenher Gewinn
Bei Menschen, welche malen,
Die stellen Einen nackig hin
Und thun es gut bezahlen.
Dann kommt man oft bei Tag und Nacht
In's ärgste Regenwetter
Und nimmt man sich nicht recht in Acht,
Auch in die fliegenden Blätter.

Wien

Die beste Unterhaltung hat
Der Mensch in Wien darin halt,
Es gibt halt nur ein' Kaiserstadt,
Es gibt halt nur ein Wien, halt.
In Bayern gibt es gutes Bier,
In Wien ist's noch viel besser,
Dort leben die Argepoussier'
Und viele Opiumfresser.
Den ganzen Tag wird dort getanzt,
Die Sträuß' und die Herrn Länner
Sind hinterm guten Kaiser Franz
Noch jetzt die größten Männer.
Doch ist das alte Wien vorbei,
Wenn man es recht betrachtet,
Man geht jetzt in die Wallachei,
Sobald man übernachtet.
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Am g'scheidtsten bleibt man weg von Wien,
's ist nimmer recht geheuer,
Das Geld ist hin, lieber Augustin,
Das Pflaster ist zu theuer.

Paris

Wer niemals in Paris gewest,
Der ist kein deutscher Mann nicht,
Wer einmal dort ist, kneipt sich fest,
Und sagt Adies, ich kann nicht.
Die hochwohllöbliche Polizei
Sorgt schon, daß er noch fortkommt;
Man hält sein Maul und lebt dann frei,
Wenn man nicht gleich als Lord kommt.
Der Engelländer spricht allein
Wie ihm der Schnabel g'wachsen,
Denn wer versteht auch das Latein
Von einem Angelsachsen?
Die Deutschen halten einfach 's Maul,
Die Italiener schweigen,
Die Türken sind von selbst zu faul,
Die Ungarn, glaub' ich, geigen.
Und Geld verdient man dort wie Heu,
Und laßt es nur so springen,
Und gibt's Krawall, ist man dabei,
Und ich geh' jetzt nach Bingen.

Berlin

Berlin ist eine gute Stadt
Im königlichen Preußen,
Die Polizei, die sich dort hat,
Weiß Alles zu beweisen.
[32]
Das Bier daselbst ist nabelblond,
Der Schnaps wird übertrieben,
Doch diesen bin ich nicht gewohnt,
Obschon ich ihn thu lieben.
Dort weiß der Mensch nicht, wie ein Fluch
Dem Menschen 's Herz erleichtert;
Ich kann nicht reden wie ein Buch,
Bin ich 'mal anjefeuchtet.
Wen sein Gesandter dort nicht kennt,
Den kennt nicht der Berliner,
Drum mach' ihm gleich dein Kompliment
Und sprich g'horsamer Diener!
Das Militär und die Kavallerie
Ist dort die einzig Hauptsach,
Und Philosophie und Menagerie,
O du allmächtiger Strohsack!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Straubinger's Weltansichten. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A0E2-4