Neue Mähr

Im gedämpften Nebenzimmer
Wandelt des Professors Tochter,
Pauken und Trompetenjubel
Klingt herüber aus dem Tanzsaal.
Lästig werden mir die Tänze
Und die süßen Schmeichelworte
Der Studenten, die so zierlich
Mich vergleichen mit den Blumen.
Ueberlästig wird mir Alles,
Seit ich sah im Strahl des Mondes
Jenen Turner, dessen Jodeln
Nächtens mich an's Fenster lockte.
[109]
Wie er stand so schlank und muthig,
Und die Augenräder rollten,
Feurig um die Adlernase,
Glich er einem Tempelritter.
Dacht's des Theologen Tochter,
Und sie schaute auf den Boden.
Wie sie aufblickt steht der Kühne,
Unbekannte Turner vor ihr.
Händedrückend, liebeschmunzelnd,
Wandeln sie umher im Storchschritt,
Und die Kuchen winken freundlich
Und der Glühwein duftet gottvoll.
Und der Glühwein duftet gottvoll,
Und vom Liebestrank erglüht er.
Awer sag ä mal, Gelübte,
Warum Du so pletzlich weiß würst?
Eine Spinne läuft am Ohr mir
Und die Spinnen sind, Geliebter,
Mir so tief verhaßt, als wären's
Krummgebeinte Judenbuben.
Laß dö Spinne un dö Judde!
Spricht der Turner freundlich kosend,
Aus dem Saale dringen blendend
Tausend goldene Lampenlichter.
Tausend goldene Lampenlichter
Haben ihren Strahl ergossen.
Awer sag ä mal Gelübte,
Bischt Du auch in mich verkeulet?
[110]
Ja ich liebe Dich, Geliebter,
Bei dem Heiland sei's geschworen,
Den die Juden boshaft fällten,
Wie mein Vater neu bewiesen.
Laß dö Heuland, laß dö Judde!
Spricht der Turner, freundlich kosend,
In der Ferne schwanken traumhaft
Stengelgläser schaumumflossen.
Stengelgläser schaumumflossen
Schwanken in der Ferne traumhaft.
Awer sag ä mal, Gelübte,
Hast Du mich nöt angeloge?
Falsch ist nicht in mir Geliebter,
Wie in mir kein Tropfen Blutes
Ist von dem Verräther Judas,
Der sich jüdisch sehr benommen.
Laß doch dö Israölütte!
Spricht der Turner, freundlich kosend,
Und in eine Fensternische
Führt er die Professorstochter.
Mit der Liebe Kletterseilen
Hat er heimlich sie umturnet,
Unter balkenlangen Küssen
Ihre Herzen übergrätschten.
Aber Panken und Trompeten
Schallen plötzlich aus dem Saale,
Und sich findend hat die Jungfrau
Sich des Turners Mund entzogen.
[111]
Horch, da ruft es mich, Geliebter,
Doch bevor wir scheiden, sollst Du
Nennen Deinen lieben Namen,
Den so lange Du verborgen.
Und der Turner süßlich schmunzelnd,
Zieht die Taille sich gestrammer,
Putzt die Nase sich bedeutend,
Und er spricht die feinen Worte:
Uech, mei Fräuleun, Ihr Bussator,
Bin der Soh' dös röspöktable,
Große schriftgelöhrte Schöchter,
Alte Buchehecht von Pforzheum.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Eichrodt, Ludwig. Gedichte. Gedichte aus Lyrischer Kehraus: Fliegendes. Neue Mähr. Neue Mähr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A0EF-A