6.

»Wie meldest du's ihr, wie nimmt sie es auf?«
So fragte ich mich, und stockend dann quollen
Die Worte hervor nur. So hindert den Lauf
Des klaren Baches der plumpe Stein,
Der, Schlamm aufwühlend, die Flut verdickt.
Doch blieb sie still bei dem unheilvollen
Bericht, und als ich beschwor sie, erstickt
Jedes Wort halb im Schlund, die Schuld wär' nicht mein,
Ich wäre kein Mörder, da sah sie mich an
Mit großen Augen und gab mir die Hand.
»Ihr seid ohne Schuld« sprach leise sie drauf,
»Gott sei ihm gnädig und uns.« Doch dann,
Sie hatte schnell sich abgewandt,
Kam's wie aus tiefstem Innern herauf,
Ein Schluchzen, ein Beben, und vor das Gesicht
Die Hände schlagend, sie weinte nicht,
Nein, schien in Thränen zerfließen zu wollen,
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Die tropfenweis durch die Finger ihr quollen.
Da kehrte ich ab mich und ließ sie allein,
Und dachte nachher: Es wird so sein,
Sie hat mehr als ich verloren ihn;
Es ist alles so, wie es lange mir schien,
Und, ich leugne es nicht, ich gönnte es ihr,
Und der Teufel hatte seine Lust an mir.
»Sie ist dein! sie ist dein! Was zögerst du noch?«
So hörte ich's immer. Doch anfangs verkroch
Ich mich feige davor, verstopfte die Ohren,
Doch waren der Tugend Mühen verloren.
Nach Tagen schon, und ich atmete frei:
Was quälst du dich, Narr! Ist's nicht einerlei?
Ob du oder er? Und was einem sie gab,
Das schlägt sie dem andern wohl auch nicht ab,
Und brauchst du Gewalt, wer will dich halten?
Du bist nun Herr und kannst frei hier schalten.
Und trat ich dann vor sie mit solchen Gedanken,
Dann fühlte den Stolz ich der Stärke schwanken,
Und fühlte mich klein und beschämt, und schlich
Vor einem Blick oft bei Seite mich.
Ach, sie war schön, bei Gott, wie ein Weib
Ich selten sah, und so stolz und rein,
Dass immer ich wieder beschwor, diesen Leib
Hat Jens nicht besessen, es kann nicht sein!
Der Blick kann nicht lügen, so still und klar
Sieht kein Weib, das schon einmal erniedrigt war,
Einem Mann in die Augen, der ihrer begehrt.
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Und so hielt sie mich fern wie mit flammendem Schwert.
Wie lange doch soll wohl solch Zustand bestehn?
Unter Menschen von Fleisch und Bein und Blut,
Und jungem Blut und gekocht von der Glut
Der Leidenschaft und der Tropenglut,
So im täglichen Nebeneinandergehn,
Wie lange wohl? – Und so kam er, der Tag,
Kam sicher, wo sie in den Armen mir lag.
Und nicht Sünde war es, nicht niedere Lust,
Die sie endlich zwang an meine Brust.
Ich liebte sie, wie man nur lieben kann,
Und je schwerer den langen Kampf ich gewann,
Je herrlicher labte der Sieg zuletzt.
Und sie gestand mir, was kaum ich gehofft,
Wie auch sie sich umsonst zur Wehre gesetzt,
Wie auch sie in Qualen gerungen oft,
Von gleicher Leidenschaft, gleicher Glut
Durchfiebert, wie ich, und schon lange mir gut,
Schon damals, als Jens – – doch mit Purpurscham
Gestand sie mir leis, dass ans Ziel er nicht kam.
Und dann rauschten die Wipfel der Palmen sacht
Uns das Hochzeitslied in der ersten Nacht.
Und war ich je glücklich, so war es die Zeit
In der weltverlassenen Einsamkeit.
So dachte ich mir das Paradies,
Und war kein Engel, der aus uns wies
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Mit feurigem Schwert. Und so rann die Zeit,
Und wir wünschten nichts mehr, und der Tod schien weit.
Drei Jahre, da hat man sich eingewöhnt,
Hat abgeschlossen, sich ausgesöhnt.
Wohl hätten gejauchzt wir, gejubelt, gewiss!
Wenn ein Schiff uns dem Paradies entriss,
Doch klagten wir nicht, da fern es blieb,
Und lebten zusammen und hatten uns lieb.
Doch konnt' es so bleiben? Ist Menschenglück
Wie die Welle nicht flüchtig, falsch, voller Tück?
Ich Narr! als ob ich's erprobt nicht oft,
Nicht immer umsonst gestrebt, gehofft,
Gesorgt und geliebt, und glaubte nun hier
Auf dem Felseneiland würd' lachen mir
Ein beständiges Glück. Zu bald nur, ach
Zu bald ward es anders.
Mir ist's noch wie heute.
Wir hatten wie Kinder die Insel weit
Durchstreift in sorgloser Fröhlichkeit,
Und ich hatte mit Blumen das Haar ihr durchschlungen,
Nachdem wir zuvor in dem Silberbach
Die Glieder erfrischt. Dann, wie es sie freute,
Hatten im Gehen ein Lied wir gesungen,
Nur einen Vers, wir wussten nicht mehr;
Es stammte noch von der Schule her,
Eine einfache Kindermelodie.
[173]
Da zog sie mich an sich und lächelte – nie
Vergess' ich die Stunde – und hold übergossen
Von lieblicher Scham, gestand mir ihr Mund,
Was seit kurzem sie hielt im Schoß umschlossen.
Das sicherste Siegel unserm Bund.
So groß war die Freude, so groß das Glück,
Jeder andre Gedanke trat zurück
An Schmerzen und Sorgen. Doch in der Nacht,
Da meldete sich's bei mir mit Macht,
Und ich bebte und sorgte im Herzen, und schrie
Zu Gott, und dachte der kommenden Zeit,
Und malte mir's aus, wenn schlecht es gedieh,
Wenn sie stürbe, ohne Hülfe, in Einsamkeit
Zurück mich lassend, vielleicht mit dem Kind,
Dem zarten Wurm. Und dann dachte ich wieder,
Sie ist ja gesund, aus kernigem Holz.
Wie manche Dirne kommt einsam nieder
Hinter Hecken und Dorn, in Regen und Wind,
Und quält sich kein Mensch um das arme Ding.
Und ich schalt meine Furcht, und dachte mit Stolz
An den kommenden Spross, an den Wildling, und hing
Mit trunkenem Blick an dem prächtigen Weib
Zur Seite mir. Und ihr Atem ging
So tief und ruhig, wie Wogengesang,
Wenn die silbernen Hügel stolz und lang
Vor dem Winde wandern. Die ganze Gestalt
Voll Kraft, geschaffen der Schmerzen Gewalt
Und jeglicher Sorge gefasst zu begegnen.
Da bat ich zu Gott, mein Glück zu segnen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Die Schiffbrüchigen. 6. [»Wie meldest du's ihr, wie nimmt sie es auf«]. 6. [»Wie meldest du's ihr, wie nimmt sie es auf«]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A4CA-9