[8] Eine Reisebekanntschaft

Ich saß im Schnellzug erster Klasse
Vor einigen Tagen ganz allein,
Ein still beschaulicher Insasse.
Da stieg bei einer Feldstation
Ein Herr, zum mindesten ein Baron,
Mit stummem Gruße zu mir ein.
Und ohne Pfiff und Klinglingling,
Ganz lautlos ohne Aufsehn ging
Drauf wieder weiter unsre Reise.
Mich wunderte die seltne Weise,
Dass so auf freiem Feld im Flug
Der Eilzug stoppte, nicht genug
Und steigerte noch meine Meinung
Von dieser vornehmen Erscheinung,
Ein Mann von Rang wohl und Gewalt
Wie machte sonst der Zug hier Halt.
Es war ein schlank gewachsner Mann
Mit grauem Kaisermantel an,
Und kleinem rundem, weichem Hut,
Die Wangen blass, wie ohne Blut,
Die Augen schwarz und ernst und tief,
Darüber wie ein Buschwall lief
Der Brauen eng vereintes Paar,
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Was, reden alte Weiber wahr,
Ja immer auf viel Unglück weist.
Mein vis-à-vis schien viel gereist.
Ich schloss das gleich aus seinem Wesen,
Das war so ohne Federlesen,
Als wär' er im Coupee zu Haus,
Sah nicht einmal zum Fenster hinaus,
Und rauchte schweigend vor sich hin
Ein feines Kraut, das mir den Sinn
Begehrlich machte. Ob er mir
Las vom Gesicht ab die Begier?
Gleich bot er mir mit Höflichkeit
Auch eine solche Cigarette
Und fragte, ob ich Feuer hätte,
Und war zu dienen mir bereit.
Ich zog den Hut und stellt mich vor,
Drauf er jedoch kein Wort verlor
Und vornehm nur wie dankend nickte,
Was in der Meinung mich bestrickte,
Er sei zum wenigsten Baron,
Vielleicht wohl gar ein Fürstensohn.
Auf jeden Fall war sein Tabak
Für einen Fürsten nicht zu schlecht.
Fein von Aroma und Geschmack.
Behaglich setzt' ich mich zurecht
Und schwieg beim Rauch der Cigarette
Mit ihrem Spender um die Wette.
Doch schließlich fasst' ich Mut und sprach
Von dem und jenem, wie mir's lag,
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Und er wohl höflich Antwort gab,
Brach aber stets bald wieder ab.
Sein wortkarg Wesen reizte mich.
Nun schweigst auch du, gelobte ich,
Doch immer, hatten eine Zeit
Wir so verbracht in Schweigsamkeit,
Zog's wieder mich, ein Wort zu wagen
Und vorsichtig ihn auszufragen,
Leutselig, aber kurz und knapp,
Schnitt er mir bald den Faden ab.
Indessen schoss durch Feld und Wald
Der Schnellzug ohne Aufenthalt.
Vorüberflog im Wirbeltanz
Die Welt, blitzblank im Sonnenglanz.
Doch so mit dem Baron allein,
Wollt' mir die Zeit nicht schnell genug sein.
Und halblaut seufzt' ich, finstren Blicks:
Ich wollt', wir wären erst in X.
Kaum hatt' ich so mir Luft gemacht.
Hat mein Baron leis aufgelacht.
Gar sonderbar sah er mich an:
Sie wollen nach X noch, lieber Mann?
Wir werden wohl so weit nicht reisen,
Denn gleich wird unser Zug entgleisen.
Entsetzt sah ich den Sprecher an.
Mein Gott! – da saß der Knochenmann,
Und schon verspürt' ich Puff und Stoß,
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Ein Knirschen, Ächzen, Ach und Krach,
Als wär' die ganze Hölle los.
Da – schweißgebadet wurd' ich wach
Und dankte Gott auf meinen Kissen.
Der Kerl hätt' wirklich umgeschmissen!
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Mynheer der Tod. Eine Reisebekanntschaft. Eine Reisebekanntschaft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A56F-F