[44] Unschuld

Knarrt die Tür und durch halben Spalt
Schiebt sich die zierlichste Gestalt,
Trägt eine Tulpe in der Hand:
Sieh mal, Papa, was Ursel fand.
Wirklich? Was du nicht sagst. Ei seht!
Die schönste Tulpe vom ganzen Beet.
Gefunden hast du den Feuerhelm?
Ich fürchte, du flunkerst, kleiner Schelm.
Sie kichert und guckt in den Kelch hinein,
Freut sich, und ich soll böse sein?
Gelbt sich am Griffel das Näschen und macht
Hatschi, hatschi, ganz fein und sacht.
Hellstes Glück, kindliche Lust,
Die keines Bösen sich bewußt,
Lautere Unschuld, die nicht wägt,
Ob ihr Tun auch Tränen trägt.
Dienert nicht lange: Mit Verlaub?
Nimmt sich von allem ihren Raub,
Liebt, was leuchtet, schmaust, was schmeckt.
Für wen ist denn der Tisch gedeckt?
Ist mirs auch um die Tulpe leid,
Fühl keinen Zorn, nur leisen Neid:
Viel schönere Blumen weiß ich stehn,
Und muß daran vorüber gehn.

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TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Unschuld. Unschuld. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A5D7-3