[158] 4.

Doch wie ich schon sagte, wir aßen uns satt
Und blieben gesund. Das heißt, bis auf einen,
Den raffte der Tod schon im ersten Jahr,
Und wenn ich dran denke noch, möchte ich weinen.
Noch oft in der Nacht mir sträubt sich das Haar,
Wenn dem Traum ich entronnen, heiß und matt
In den Kissen sitzend, dem schrecklichen Traum,
Dem ich selbst im Grab nicht werde entgehn.
Ich sehe die Klippen, den fliegenden Schaum
Der Wogen, und höre das donnernde Meer
Und den Schrei, den Schrei darüber her.
Doch ich will erzählen, wie alles geschehn.
Zwei Männer, ein Weib, in der Wildnis allein,
Eine kleine Familie. Es lebt sich zu drein
Ja besser, geselliger noch als zu zwein,
Und ein Weib in der Wirtschaft ist immer was wert,
Und doppelt nun uns. Denn ein Weib weiß viel mehr,
Ist findiger, gewandter, zu allem geschickt.
Wir nahmen die Steine zum Bau für den Herd
Und schlugen Feuer und kochten und brieten,
Rösteten Wurzeln und Früchte und freuten uns sehr,
Wenn Vögel einmal an den Spieß gerieten.
Jens Jensen verstand sie in Schlingen zu fangen,
Selten ist ihm ein Vogel entgangen.
Küche und Keller waren immer gespickt,
Denn wir waren zu dritt ja und sorgten vereint.
Wär' jenem, dem unter den Palmen, nur ein
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Gefährte gewesen, der mit ihm geweint
Und mit ihm gehofft, es möchte wohl sein,
Dass er es ertragen, wie wir es ertrugen.
Wir hielten's so aus unter fleißigem Lugen
Nach Rettung und unter dem täglichen Treiben.
Wir hielten die Hütte in wohnlichem Stand
Und richteten ein uns, als gält' es zu bleiben,
Wir hatten Tisch und Bank, und ein jeder
Sein Lager von Streu so weich wie Feder.
Und weil sie ein Mädchen noch, zogen wir gleich
Zwischen ihr und uns eine teilende Wand
Von Weidengeflecht. Sie hatte ihr Reich,
Ihre Kammer für sich. Im übrigen waren
Wie Brüder und Schwester wir drei. Doch dann
Musst' es nicht kommen, konnt' anders es sein?
Jens Jensen und ich noch jung an Jahren,
Und sie so von neunzehn, unschuldig und rein,
Und gesund und kräftig und schön die Glieder,
Die Natur wollt' ihr Recht von Weib und Mann.
Bald meldete sich's, doch wir zwangen es nieder.
Und mir ward's nicht schwer erst. Ich dachte nach Haus,
An die Frieda, und wies den Versucher hinaus.
Auch sie war gleich mir durch ein Wort schon gebunden,
War Braut, und wollte mit unsrer Brigg
Hinüber zu ihm, der vergebens nun harrte,
Dem Ärmsten, den so das Schicksal narrte.
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Und sie liebte ihn heiß, ich sah es am Blick,
An der Thräne, die durch die Wimper brach,
Und hört' es am Klang, wenn sie von ihm sprach.
Und so klagten wir beide uns unsere Leiden,
Und es knüpfte ein Band sich zwischen uns beiden.
Jens Jensen aber war nie für die Tugend.
Er kannte die Weiber trotz seiner Jugend,
Kannte besser sie als die zehn Gebote.
Ich sah es, wie es oft plötzlich lohte
In seinen Augen, und wie die Begier
Ihm im Herzen erwachte allmählich nach ihr.
Doch muss ich es sagen, er gab sich nicht hin,
Goss Wasser in den entflammten Sinn
Und achtete sie. Und sie verstand es,
Die Würde zu wahren, im Zaum uns zu halten.
Doch sah ich es wohl, nicht verlief so im Sand es,
Und die Zeit ließ reifen die bösen Gewalten,
Die Sündenbegier.
Und war sie nicht Weib?
Und war nicht bethörend ihr herrlicher Leib,
Kraftstrotzender noch im Kampf um den Tag
Allmählich geworden? Wenn schlaflos ich lag
In der Nacht auf der Streu und, Wand an Wand,
Ihren Atem hörte, wie ruhig er ging,
Und die Sinne so heiß mir, so schwül alles rings,
Und ich gepeinigt vom Lager aufstand,
Da war auch die Tugend für mich ein Ding
Von wenig Gewähr. Ja, so war es, so fing's
Bei uns beiden an, und sie merkte es dann,
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Und ich sah, wie sie sich zu fürchten begann,
Und wie sie litt und es doch verbarg,
Aus Stolz, und war, als hätt' sie kein Arg.
Und das zügelte uns. Und auch niemals fiel
Zwischen Jens und mir darüber ein Wort.
Wir fühlten es alle, und fort und fort,
Und fühlten es wachsen und sahen kein Ziel.
Da, einst, ich hatt' einen Tag und die Nacht
In der Höhle am Strande zugebracht
Beim Fischen und Muschelsammeln und hatte
Den Mast befestigt, 's war mehr eine Latte,
Aufs neue wieder und auch das Tuch,
Das dort Tag ein, Tag aus im Wind
Mit klatschendem Laute Falten schlug,
Vorübersegelnden Zeichen zu geben.
Ich hatte reichlich Muscheln und Fische,
Leckerbissen unserem Tische,
Und trug sie im Netzkorb, aus Bast geflochten,
Und freute mich, wie sie uns schmecken mochten.
Wir konnten zwei Tage gut davon leben.
So kam ich zurück und traf sie allein
Und fragte nach Jens. Sie wusste es nicht:
Er möchte wohl jetzt im Walde sein.
Doch sah ich es gleich an ihrem Gesicht,
Es war was geschehen, das sie heimlich quälte
Und das sie mit Absicht mir verhehlte.
Ich fragte nicht nach und ließ sie in Ruh.
Zur Mittagszeit kam auch Jens Jensen hinzu.
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Ich wunderte mich, er war befangen,
Als wär' er am liebsten gleich wieder gegangen.
Und dann beim Essen nachher geschah es,
Dass er verstohlene Blicke, ich sah es,
Und lodernde Blicke, halb Scheu, halb Hass,
Warf über den Tisch, und ich glaubte zu sehen
Dann flüchtig wie Blitzschein im Antlitz stehen
Ein Etwas ihr, wie Schauder, wie Zorn,
Das färbte die Wangen ihr rot und blass.
Da nahm ich die beiden genauer aufs Korn.
Doch merkten sie's wohl, denn früher ließen,
Als sonst, sie allein mich. Das musst' mich verdrießen
Nur doppelt und meinen Argwohn wecken,
Kein Zweifel, die beiden spielten Verstecken.
Und dann war alles auf einmal mir klar.
Und rief ich auch zehnmal: Es ist nicht wahr!
Es kann nicht sein! Es machte sich gelten,
Ich konnt' es nicht bannen mit Zweifeln und Schelten.
Er hat es gewagt! Und sie? – Ich fühlte,
Wie heiß es mir unterm Brustbein wühlte,
Ins Hirn mir griff, und ich wollt' es nicht fassen,
Und konnte doch nicht den Gedanken lassen.
Da fasste ich Mut und trat zu ihm hin
Und fragte Jens Jensen, nicht gerade zu,
Doch merkte er wohl, was ich hatte im Sinn.
Und er lachte nur leicht und höhnisch dazu,
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Und er wurde rot und wandte sich kurz.
Mir war's, als überfiel mich ein Sturz,
Ein Feuerstrom, und ich hob nur die Hand
Und ballte die Faust ihm hinterher,
Der pfeifend hinter den Palmen verschwand.
Aber mein besseres Ich griff zur Wehr.
Er lügt! so schrie es in mir, er lügt!
Nicht hat sie sich willig der Schmach gefügt.
Sie hat sich gewehrt mit der Riesenkraft
Ihres Stolzes gegen die Leidenschaft
Und rohe Gewalt. Es bäumte empört
Sich alles in mir auf, wenn ich dacht',
Er hätte missbraucht seine rohe Macht,
Seine Löwensehnen, zu schänden dies Weib,
Hätte besiegt diesen herrlichen Leib,
Sie hätte, bewältigt, ihm angehört.
Verruchter! rief ich, Elender du!
Und merkte im Zorn nicht, wie sachte, sacht',
Der Neid sich regte, die Gier dazu,
Die Eifersucht ihre Klauen krallte.
O die Zeit! Wenn Tags ich die Fäuste ballte,
Misstrauisch Wache stand wie ein Schuft,
Saß Nachts ich aufrecht und ohne Schlaf,
Auf jeden Laut, der das Ohr mir traf,
Mit Argwohn lauschend, und fiebernd dann,
Selbst wilden Begierden ein machtloser Mann,
Das Lager küssend, die leere Luft.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Falke, Gustav. Gedichte. Mynheer der Tod. Die Schiffbrüchigen. 4. [Doch wie ich schon sagte, wir aßen uns satt]. 4. [Doch wie ich schon sagte, wir aßen uns satt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A629-5