36. Auf Abscheiden zweier Vertrauten

1636 März 2.

Sie.

Mag auch ein größer Herzeleid
gefunden können werden
als dieses, das mich dieser Zeit
zur Ärmsten macht auf Erden?
Was soll ich nun beginnen?
Itzt macht er sich von hinnen!
Kein Wort, kein Kuß, kein Zähren
kan seinem Willen wehren.
Er soll, er muß sich scheiden.
Ich muß, ich soll ihn meiden.
Ach, ach des bittern Schmerzen
in mein- und seinem Herzen!
Der mich im Lieben übte,
der mich liebt' und betrübte,
den ich so innig liebte,
der, ach! der soll von mir!
Er.

Ach das ists, das mein Herze bricht!
Hör' ich den Mund nicht klagen?
Seh! ich die Augen weinen nicht,
die mir die meinen plagen?
O daß doch diese Stunden
schon wären überwunden!
Wol hab' ich können denken,
wie sie diß würde kränken;
was aber soll man machen?
Kein Rat hilft dieser Sachen.
Wir wolln nicht oder wollen,
wir müssen, wie wir sollen.
Daß ich mich itzt soll scheiden,
daß ich sie nun soll meiden,
das bringt mir gleiches Leiden.
Schatz, hörst du's oder nicht?
Sie.

Recht, Liebster, hör' ich wol die Not,
in welcher wir itzt schweben.
Daß aber aller Trost ist tot,
das tötet mir mein Leben.
[375]
Solt ihr mir sein genommen,
so bin ich um mich kommen;
bin ich von euch verlassen,
so muß ich mich selbst hassen,
so werd' ich, Kranke, müssen
mit steten Tränen fließen.
Soll ich euch fort nicht sehen,
so ists um mich geschehen.
Ich kan, ich mag nicht leben,
ich will den Geist aufgeben
als stets in Ängsten schweben.
Und itzt, itzt fang' ich an.
Er.

Ich, Kranker, ich, was mach' ich nun?
Sie sinkt in Ohnmacht nieder.
Laß, Herze, laß dein kläglich Tun,
wir sehn einander wieder!
Ach Lieb, gieb dich zufrieden,
wir bleiben ungeschieden!
Ganz nichts nicht soll uns trennen,
ich will dich meine nennen,
dein werd' ich unterdessen
und nimmermehr vergessen.
Mein Sinn wohnt in dem deinen
und deiner in dem meinen.
Mein Herze bleibet deine,
dein Herze bleibet meine.
Du, Schatz, du bists alleine,
die meine Seele liebt!
Sie.

Ach, Thyrsi, nun so sei gegrüßt
von deiner Amaryllen!
Er.

Und, Amarylli, du geküßt
von Thyrsi, deinem Willen!
Das Wiederkommen machet,
daß man des Scheidens lachet.
Sie.

Auf tansent tausent Leiden
kömmt tausent tausent Freuden.
Gott schütz' dich in Gefahren!
Er.

Der woll' auch dich bewahren!
[376] Sie.

Zeuch hin! machs wol! komm wieder!
Das wündscht mit mir ein Ieder.
Er.

Ach, Lieb, laß ungeklaget!
Sie.

Wolan! es sei gewaget!
Er.

Wolan! es ist gesaget,
Beide.

Wolan! so scheiden wir.

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TextGrid Repository (2012). Fleming, Paul. 36. Auf Abscheiden zweier Vertrauten. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A9CA-0