Von der schönen Rosamunde

(Romanzen-Zyklus)


Rosamunda – Rosa mundi

(Rosamundes Grabschrift)

Erstes Kapitel

Wie König Heinrich Rosamunden findet

Der König Heinrich jagt im Wald
Mit Hof- und Jagdgesinde,
Es führt sein Ritt ihn alsobald
Auf eine weiße Hinde;
Und nach, durch Ginster und durch Porst,
Spornt er sein Roß, bis tiefer Forst
Das Tier in Schutz genommen.
Des Weges bar, durch Strauch und Dorn
Lenkt Heinrich jetzt den Schecken
Und ruft Hallo und stößt ins Horn,
Um Gegengruß zu wecken;
Wohl hört er, wie das Birkhuhn schwirrt,
Wie über ihm die Taube girrt,
Doch nichts von Hornesklängen.
Der Tag ist heiß. Es weht kein Hauch,
Und Roß und Reiter dürsten,
Kein Quell ist da, kein Brombeerstrauch
Beut seine Frucht dem Fürsten;
[98]
Der denkt wohl: »Wenn ich Wasser hätt',
So wahr ich ein Plantagenet,
Ich wög' es auf mit Golde.«
Da schnaubt sein Scheck, und noch einmal,
Wie wenn er Obdach wittert –
Und sieh, ein Schloß im Sonnenstrahl
Hell durch die Zweige zittert.
Schon halten Roß und Mann davor,
Und gastlich öffnet sich das Tor
Dem ungekannten Ritter.
Und in die Hall' voll Waffenprunk
Ist Heinrich jetzt getreten
Und hat um Wasser, einen Trunk,
Den Graubart drin gebeten;
Der aber spricht: »An Cliffords Schwell'
Labt man den Gast mit andrem Quell –
Schaff' Wein uns, Rosamunde!«
Und alsobald die junge Maid
Ergreift die güldnen Kannen,
Sie grüßt den Gast in Sittsamkeit
Und schwebet leicht von dannen;
Ihr Haar ist blond, ihr Wuchs ist schlank,
Und Heinrich weiß der Irrfahrt Dank
Um solchen Findens willen.
Und jetzund wieder in den Saal
Tritt sie nach kurzem Gange,
Rot glüht der Wein im Goldpokal,
Und rot glüht ihre Wange;
Sie beut den Trunk mit Sitten dar,
Dem König aber wird fürwahr,
Als hätt' er schon getrunken.
Und als er trinkt, da trinkt er nicht
Mit Lippe nur und Kehle,
[99]
Da trinkt sein Aug' ihr Angesicht
In seine tiefste Seele;
Und eh' die Maid sich abgewandt,
Ergreift er ihre weiße Hand,
Zum Danke sie zu küssen.
Da schau, von Simses Stuck und Kalk,
Gespornt an jedem Hacken,
Schießt Rosamundens Edelfalk
Auf seiner Herrin Nacken;
Er bläht sich auf in Tück' und Trutz
Und hebt den Sporn zu Schirm und Schutz,
Voll Eifersucht im Herzen.
Doch ob er zürnt und ob er wetzt,
Den Kühnen zu verjagen –
Die Hand, sein Todfeind küßt sie jetzt
Trotz seiner Flügel Schlagen;
Schön Rosamunde schenkt ihm ein,
Und selig blickt der König drein,
Wie nie in seinem Leben.
Und auch dem Alten wird so warm,
An hebt ein tapfres Zechen,
Es zuckt ihm schier durch Herz und Arm,
Als sollt' er Lanzen brechen,
Den Goldpokal, er stampft ihn auf,
Als wär's ein alter Degenknauf,
Und Blut statt Wein im Becher.
Der König schaut's und lohnt ihm drauf
Mit festlichen Turnieren,
Und gibt noch Schlachten in den Kauf
Mit Schotten und mit Iren;
Und wie so Strauß an Strauß sich drängt,
Da wohl an jedem Worte hängt
Die schöne Rosamunde.
[100]
Der alte Clifford aber längst
Den Becher still umkrampfte,
Er hört's nicht mehr, wie Heinrichs Hengst
Den Douglas einst zerstampfte;
Wohl aber, als der König schweigt,
Murrt er, sein Haupt in Gram geneigt:
»Daß einen Sohn ich hätte!«
Da auf vom Sitze springt sein Gast
Und ruft: »Der ist gefunden!
Gib mir das Kleinod, das du hast,
Die Hand von Rosamunden!
Zu gutem Schwert und gutem Roß
Ein junges Herz und altes Schloß,
Das ist es, was ich biete.«
Der Alte sieht sein Kind erglühn
Vor Scham und Freud' im Bunde;
Er weiß, wenn so die Rosen blühn,
Ward's Lenz im tiefsten Grunde.
So spricht er denn: »Mein Kind sei dein,
Und morgen soll die Hochzeit sein –
Wir brauchen keine Gäste!«

Zweites Kapitel

Wie König Heinrich Rosamunden gen Woodstock führt

Am dritten Tag, vor Cliffords Schloß
In abendlicher Stunde,
Hebt König Heinrich auf sein Roß
Die schöne Rosamunde.
Vom Priester gestern ward die Braut
Dem Ritter Woodstock angetraut –
So nannte sich der König.
[101]
Sie reiten in die Nacht hinein
Durch Tannenwald und Eichen,
Noch vor des Frührots erstem Schein
Schloß Woodstock zu erreichen.
Im Laube spielt des Mondes Licht –
Sie schaun sich still ins Angesicht,
Und haben keine Worte.
Es regt sich nichts, nicht Blatt, nicht Ast,
Kein Ton von Nachtigallen,
Es glaubt das Ohr, es höre fast
Die Mondesstrahlen fallen;
So klar-durchsichtig ist die Luft,
Man sieht der Nachtviole Duft
Wie Wölkchen aufwärts steigen.
Der Wald, im Silberglanze, weckt
Des jungen Weibes Bangen,
Die Zweige hat er ausgestreckt,
Als wollt' er sie umfangen.
Sie denkt an manche alte Mär',
Und, ob im Zauberwald sie wär',
Wohl zuckt's durch ihre Seele.
Doch bald an Heinrichs Brust, so warm,
Wird bar sie jeden Kummers,
Und zwiefach ruht sie jetzt im Arm
Des Gatten und des Schlummers;
Mit Schleiern deckt der Mond sie zu,
Und Heinrich wacht ob ihrer Ruh,
Als gält' es seine Krone.
Sie träumt, und mit dem Rot der Scham
Schmückt ihr der Traum die Wangen,
Bis plötzlich, schneller als es kam,
Das Rot dahingegangen.
Sie zittert, windet sich und ringt,
[102]
Und aus der tiefsten Seele dringt
Es bang, wie Schrei des Todes.
Auf fährt sie jäh und starrt zur Seit',
Wie fremd auf ihren Gatten,
Bis vor der lichten Wirklichkeit
Entfliehn die Traumesschatten;
In Heinrichs Aug' ein selig Schaun
Löst bald ihr Bangen all und Graun
In Tränen auf und Lächeln.
»Mir träumte – spricht sie jetzt – ich ging
Im Walde Beeren naschen,
Auf flog ein bunter Schmetterling,
Dem folgt' ich, ihn zu haschen;
Mir war so froh, so leicht zu Sinn,
Ich lief nicht mehr, ich flog dahin,
Von Duft und Klang getragen.
Da plötzlich vor mir standest du,
Geschmückt mit goldner Spange,
Und neben dir, in satter Ruh,
Lag glitzernd eine Schlange;
Du schautest ängstlich, ob sie schlief,
Und sprachst dann leis: ›Ihr Schlaf ist tief –
O komm, daß ich dich küsse!‹
Noch hing, an Leib und Seele frisch,
Ich fest an deinem Munde,
Da hob, aufbäumend mit Gezisch,
Die Schlange sich vom Grunde;
Ihr Haupt glich einem bösen Weib,
Sie schlang um mich den Schuppenleib
Und drückte mich zu Tode.«
Wohl füllten sie mit Angst und Scheu
Des Bilds Erinnerungen,
[103]
Und als sie schweigt, da hält aufs neu
Den Gatten sie umschlungen;
Sie küßt ihn heiß, mit Allgewalt,
Doch Heinrichs Kuß ist eiseskalt,
Und seine Lippe zittert.
Und erst als Cliffords schönes Kind
Ihn wie aus Traum gerüttelt,
Da spricht er: »Laß, der Morgenwind
War's, der mich kalt durchschüttelt;
Doch schau, die Sonne kommt herauf,
Und dort das Schloß mit Turm und Knauf
Ist Woodstocks alt Gemäuer.«

Drittes Kapitel

Von der Königin Leonore

Des König Heinrichs Königin,
Die böse Leonore,
Sie starrt in finstrem Sinnen hin
Auf Towers Hof und Tore;
Sie sandte sieben Boten aus,
Doch keiner kehrte noch nach Haus,
Der sichre Kunde brächte.
Sie sandte sieben Boten aus,
Die sollten rings erkunden,
Ob wo, in eines Köhlers Haus,
Der König Schutz gefunden;
Doch hofft sie still, daß rot von Blut
Im tiefsten Waldesgrund er ruht,
Von Mörderhand erschlagen.
So hofft und träumt die Königin
An hohen Fensters Flügel
Und greift in ihrem stolzen Sinn
Schon nach der Herrschaft Zügel;
[104]
Wohl sagt sie sich: ›Du hoffst zu viel!‹
Doch ist das nur ein Gaukelspiel,
Um so das Glück zu kirren.
Da sprengt der Sieben einer vor,
Weiß von des Renners Schaume,
Und sieh, die böse Leonor'
Fährt auf aus ihrem Traume;
In tollem, aberwitz'gem Spott
Fleht, gotteslästernd, sie zu Gott
Um eine blut'ge Locke.
Der Diener naht, sein Herze freut
Sich, arglos, seiner Kunde:
»Der König lebt, ich sah ihn heut
In früher Morgenstunde.
Er hielt vor Woodstocks altem Schloß
Und hob ein blasses Weib vom Roß –
Ihr Haar war lang und golden.«
»Daß du an ihrem goldnen Haar
Im nächsten Walde hingest,
Du Schurke, der du lerchenklar
Dein Rabenliedlein singest!
Wer gab dir nur die freche Stirn,
Daß du der buhlerischen Dirn'
Vor Unsrem Ohr gedenkest!«
Und Rachepläne röten jetzt
Die Stirne ihr, die blasse,
All, was sie sinnt, ist wie gewetzt
An eifersücht'gem Hasse.
Scharf stechend fällt in ihren Saal
Die Sonne; jeden einzlen Strahl
Möcht' sie zum Stoße zücken!
»Doch nein, es fall' kein Tropfen Blut,
Kein nutzlos Blutvergeuden,
[105]
Sie lebe, lebe wohlgemut
All ihren süßen Freuden;
Doch nimmt sie je das Abendmahl,
Gedrückt von ihrer Sünden Zahl,
Mein Priester soll's ihr reichen.«
Sie spricht's und schlingt in stiller Lust
Die Fäden ohne Säumen,
Dieweil in Woodstock, Brust an Brust,
Noch ihre Opfer träumen:
Dort Frühling noch und Sonnenlicht,
Hier aber türmen hoch und dicht
Sich schon die Wetterwolken.

Viertes Kapitel

König Heinrich und Rosamunde in Woodstock

Schloß Woodstock ist ein alter Bau
Aus König Alfreds Tagen,
Man sieht es weithin stolz und grau
Die Tannen überragen;
Zu Füßen ihm ein Garten liegt,
Wie wohl ein blühend Kind umschmiegt
Das Knie des Ältervaters.
Der Garten ist an Blumen reich,
An Quellen und an Bronnen,
Und auf dem Rasen, teppichgleich,
Tanzt gern das Licht der Sonnen;
Doch finster an des Gartens Saum
Drängt sich urplötzlich Baum an Baum
Zu mächt'gem Forst zusammen.
In seine Tiefen glückt es nicht
Der Sonn' ihr Licht zu senden,
[106]
Nur knisternd durch die Zweige bricht
Der Hirsch von sechzehn Enden;
Scheu folgt das Elen seiner Bahn,
Und kreischend lockt der Auerhahn
Herab vom Tannengipfel.
Am Waldrand, in des Gartens Näh',
Ist eine offne Stelle:
Es glitzert dort, halb Teich, halb See,
Im Sonnenstrahl die Welle;
Viel Erlen stehn am Uferrand,
Und wo die Quelle küßt den Sand,
Da sprießen blaue Blumen.
Und hier im duft'gen Wiesengrund,
Wo Wald und See sich grüßen,
Da sitzt die schöne Rosamund
Zu König Heinrichs Füßen:
Es ruht ihr Haupt auf seinem Schoß,
Und ihre Augen, blau und groß,
Schaun lächelnd in die seinen.
Ein frischer Bronnen ist ihr Mund,
Und Heinrichs Lippen senken,
Wie Krüge, tief sich auf den Grund,
Um so sein Herz zu tränken;
Doch wie solch Trunk ihn auch erquickt,
Aus seinen Augen finster blickt
Von Zeit zu Zeit die Seele.
Das junge Weib, es bangt und blaßt
Vor seines Auges Schatten,
Und sieh', ihr eignes Herz erfaßt
Der Trübsinn nun des Gatten;
Sie weint und ruft in bittrem Harm:
»Ist auch die Liebe selbst zu arm,
Ein ganzes Glück zu schaffen!
[107]
Was soll nur, Heinrich – spricht sie fort –
Der Ernst in deinen Zügen?
Sag', will mein schlichtes Liebeswort
Dir fürder nicht genügen?
Ach, als ich dir mein Herze gab,
Gab ich dir all mein Gut und Hab –
Ich hab' nichts mehr zu geben.«
Sie spricht's, und sieh, ein Tropfen warm
Rollt über Heinrichs Wange:
Er preßt sie fester in den Arm
Und küßt sie heiß und lange;
Dann spricht er: »Was mir raubt die Ruh,
Du reines Herz, das bist nicht du,
Das ist mein bös Gewissen.«
Er legt sie auf den Blumenplan,
Und kniend vor der Armen
Ruft er: »Was ich dir angetan,
Des woll' sich Gott erbarmen!
Ich, der gefreit um deine Hand,
Bin König über Engelland
Und Leonorens Gatte.«
Da flieht die letzte Rose scheu
Von Rosamundens Wangen,
Der König aber hält aufs neu
Voll Inbrunst sie umfangen;
Laut ruft er: »So du kannst, vergib,
Und sei mein Leben, sei mein Lieb,
So treu, wie ich dich liebe!«
Wohl durch die Tränen leuchtet da
Ihr Auge wie die Sonne:
Was immer sei, er liebt sie ja,
Und das allein ist Wonne.
Sie spricht: »Dein bin ich alle Zeit,
[108]
Und kostet's meine Seligkeit,
Es soll kein Tod uns trennen!«
Da heben ringsum alsobald
Die Vöglein an zu singen,
Es will das Rauschen in dem Wald
Wie Orgelton erklingen.
Der König still sein Liebchen preßt,
Und seiner Seele Hochzeitsfest
Hat nur der Wald vernommen.

Fünftes Kapitel

Wie König Heinrich gen London zieht

Noch blitzt die Sonne kaum ins Tal,
Auf Woodstocks Turm und Tannen,
Da zieht im ersten Morgenstrahl
Der König schon von dannen;
Ihn grüßend von des Söllers Rand
In weißem, flatterndem Gewand
Steht Cliffords schöne Tochter.
Wie Marmor leuchtet in die Au
Ihr Nacken, der entblößte,
Mit Perlen schmückt der Morgentau
Ihr Haar, das aufgelöste.
Sie blickt herab, er blickt hinauf,
Und jeder möcht' in heißem Lauf
Dem eignen Blicke folgen.
Wie ausgesetzte Schiffer bang
Am Felsenufer harren
Und auf das flücht'ge Schiff noch lang
Sehnsücht'gen Auges starren –
So blickt vom Turm jetzt in den Wald
Auf Heinrichs schwindende Gestalt
Die schöne Rosamunde.
[109]
Er aber gleicht dem Schiffer gut,
Dem nichts das Auge feuchtet,
Solang' ihm noch durch Sturm und Flut
Des Liebchens Fenster leuchtet.
Nun aber wird's ihm bang fürwahr:
Noch einmal blitzt ihr goldnes Haar,
Es blitzt – und ist verschwunden.
Doch Waldesduft und Morgenschein
Sind keine Grillenfänger,
Und auch des Königs Traurigsein,
Sie dulden es nicht länger.
Tautropfen glänzen hier und dort,
Die Sonne sieht's und küßt sie fort –
Sie will heut keine Tränen.
Die Lerchen flattern her und hin,
Und Heinrich hört sie singen:
»Nur frischer Mut und froher Sinn
Darf in den Himmel dringen.«
Des Waldes Tauben girren laut:
»Ein Herz, das liebt und Gott vertraut,
Lacht wie die Maiensonne.«
Da denkt der König: ›Sei gescheit
Und laß all trübes Sinnen!
Der Trennung Zeit ist böse Zeit,
Doch wird sie drum verrinnen.
Traun, wer nicht will von dannen gehn,
Der bringt sich selbst ums Wiedersehn –
All Leid hat seine Freude.‹
Er denkt's; und als an Wald und Sumpf
Er jetzt vorübertrottet,
Da wähnt er wohl mit Stiel und Stumpf
Die Sorgen ausgerottet;
Manch Lied ihm aus der Kehle schallt –
[110]
Bis nun durch Londons Gassen hallt
Der Hufschlag seines Schecken.
Schon kauern rings die Häuser, dicht
Gehüllt in nächt'ges Dunkel,
Nur hier und dorten glüht ein Licht,
Wie bösen Aug's Gefunkel.
Das finstre Bild der Königin
Tritt da vor Heinrichs Seele hin
Und löscht die heitren Bilder.
Und alsobald durchklirrt sein Schritt
Des Towers Hof und Tore,
Und aus der Hall' entgegen tritt
Sein Weib ihm, Leonore.
Sie spricht und blickt ihn tückisch an:
»Willkomm, willkomm, Herr Jägersmann,
Nach manchem Tag willkommen!
Ich wett', du hast wie Ritter Jürg
Lindwurm und Molch getötet,
Zehn Meilen Forst, des bin ich Bürg',
Hast du mit Blut gerötet;
Wie, oder hätt' im Woodstock-Gau
Waldfräulein dich und Heidefrau
Bis diesen Tag bewirtet?«
Der König drauf: »Waldfräulein frisch,
Wohl hab' ich das gefunden,
Und Speis' und Trank von ihrem Tisch,
Die machten mich gesunden;
Doch frägst du nach dem Heideweib?
Ihr glühes Aug', ihr welker Leib
Ist andren Orts zu finden.«
Der König spricht's, ein leiser Spott
Fliegt über seine Züge;
Dann ruft er stolz: »Verhüt' es Gott,
[111]
Daß ich dich feig belüge!
Ich schulde dir nicht Treu' noch Dank:
Waldfräulein blond, Waldfräulein schlank
Ist Cliffords schöne Tochter.«
Er spricht's, und als in Haß und Zorn
Jetzt ihre Augen blitzen,
Da ruft er laut: »Es soll kein Dorn
Je ungestraft sie ritzen!
Dein Blick ist Dolch, dein Wort ist Gift –
Und wenn des Himmels Blitz sie trifft,
Du stirbst, denn du bist schuldig!«
Der König spricht's; er tritt heran
Zu hohen Fensters Nische
Und zieht in langen Zügen dann
Die Nachtluft ein, die frische;
Sein Aug' ist trüb, sein Herz ist fern –
Hernieder blickt der Abendstern,
Wie Rosamundens Auge.

Sechstes Kapitel

Wie König Heinrich gen Frankreich zieht und was weiter geschah

Und Heinrich, sieben Tage lang
Hält's ihn in Londons Mauern;
Wohl mocht' ihm jeder Stunde Gang
Wie Lauf des Jahres dauern;
Nun aber hält's ihn länger nicht,
Und schüttelnd ab all Last und Pflicht,
Fliegt er zu Lohn und Liebe.
Daheim sein Thron und Herrscheramt
Ward Kerker ihm und Frone:
Nur hier, wo Seel' in Seele flammt,
Trägt Zepter er und Krone.
[112]
Hier ist er reich, dort ist er arm –
Ein einzig Herze, treu und warm,
Ist mehr als Erd' und Himmel.
So flieht die Zeit. Des Herbstes Näh'
Färbt kaum die Bäume gelber,
Da kommt in seinem Kleid von Schnee
Auch schon der Winter selber;
Doch immerdar, wie Sturm auch tost,
Des Königs Ziel, des Königs Trost
Bleibt Woodstock allerwegen.
Und Frühling wird's: Schneeglöckchen nickt
Mit freundlicher Gebärde,
Das schüchtern stille Veilchen blickt
Blauäugig aus der Erde;
Und wie so drauß es grünt und blüht,
Da immer festre Kreise zieht
Schloß Woodstock um den König.
Heut aber trug ihn heim sein Roß,
Schon hält's im Tower stampfend,
Da sprengt ein Ritter durch das Schloß,
Vom langen Ritte dampfend;
Noch hemmt er kaum des Renners Lauf,
Da klingt es schon: »Auf, König, auf!
In Frankreich loht Empörung.«
Der König hört's; sein Streitroß wild
Besteigt er statt des Schecken,
Er läßt mit Schienen sich und Schild
Von Kopf zu Fuß bedecken;
Er stülpt den Helm auf sein Barett
Und steckt, als ein Plantagenet,
Den Busch davor von Ginster.
Der Hengst springt an, schon dröhnt und hallt
Der Hof von Rosseshufen,
[113]
Da seinen Diener, treu und alt,
Läßt König Heinrich rufen;
Herab vom Rosse spricht er laut:
»Gen Woodstock, eh' der Morgen graut,
Bring deines Königs Grüße.«
Er spricht's, und durch den Tower hin
Ist kaum er jetzt gezogen,
Da tritt glührot die Königin
Zurück von Fensters Bogen;
Sie hat des Gatten Wort erlauscht,
Und ihres Kleides Seide rauscht
Mitzürnend in ihr Murmeln.
Dann spricht sie laut: »Und will, Gesell',
Mein Gold dich nicht bestechen,
So gibt's im Wald manch gute Stell',
Um, was nicht biegt, zu brechen:
Kein Wörtlein von des Königs Gruß,
Noch, daß im fernen Land sein Fuß,
Darf je nach Woodstock dringen.
Wohl wie nach Speis' in Hungersnot
Wird sie nach Botschaft bangen,
Es soll kein Bröcklein Trostesbrot
Je zu ihr hin gelangen;
Ich bring' ein köstlich Gift ihr bei,
Das Zweifelgift an seiner Treu –
Das muß das Herz ihr brechen.«
Sie spricht's, und schreitet durch den Saal
Und kann nicht Ruhe finden:
Sie sieht in Ungewißheitsqual
Ihr Opfer schon sich winden;
Sie lacht: »Nun, Rosamunde fein,
Laß sehn, das wird ein Probestein
Für so ein Herz voll Liebe!«

[114] Siebentes Kapitel

Wie Rosamunde hofft und harrt

Durch Woodstocks Laubengänge hin,
In heller Mittagsstunde,
Zieht nassen Aug's in trübem Sinn
Die schöne Rosamunde;
Sie tritt zu einer Ros' heran
Und pflückt sie und zerpflückt sie dann –
Ein Tropfen fällt hernieder.
Da plötzlich springt – den dürren Leib
Behängt mit schmutz'gen Loden,
Rasch in den Gang ein Bettelweib,
Als wüchs' es aus dem Boden;
Sie kreischt in widerlichem Ton:
»Gib nur die Hand, ich weiß es schon,
Du willst vom Liebsten wissen.«
Sie nimmt die Hand und drückt sie nun –
Auf schreit Schön-Rosamunde;
Die Alte murmelt: »Soll ich's tun?
Kein Lauscher in der Runde!«
Dann aber läßt die Hand sie frei
Und spricht wie mitleidsvoll: »Vorbei!
Betrogen, Kind, betrogen!«
Das Bettelweib, kaum daß sie's sprach,
Ist wieder sie verschwunden,
Schön-Rosamunde starrt ihr nach,
Gelähmt und schreckgebunden;
In Lüften eine Lerche singt –
Sie hört es nicht, im Ohre klingt
Das Sprüchel ihr der Hexe.
[115]

Achtes Kapitel

Ein Sturm

Der Sturm will jagen: auf fährt er vom Sitz
In seinem zerklüfteten Schlosse,
Er ruft seinen Diener, den flüchtigen Blitz,
Und schwingt sich jauchzend zu Rosse;
Dann probt er die Kraft seiner nervigen Hand
Und schleudert die Tanne, die vor ihm stand,
Gleich einem Ball in die Lüfte.
Die Jagd hebt an: vom Felsenhorst
Stürzt er mit klaffender Meute
Und spürt in Schluchten und Urwaldforst
Nach tausendjähriger Beute.
Von Norden her saust er und braust er heran,
Und jetzt durch Woodstocks mächtigen Tann
Schrillt seine gellende Pfeife.
Es ächzt und stöhnt der geschüttelte Wald –
Umsonst, ihn rettet kein Jammern!
Wie fest die Eiche sich klammert und krallt,
Zerbrochen werden die Klammern.
Und was von der Hand des Sturmes nicht fällt,
Das wird vom Speere des Blitzes zerspellt –
Tot liegen die Riesen des Waldes.
Und weiter geht es auf schnaubendem Roß,
Die Hufe stampfen und schlagen,
Verhängten Zügels an Woodstock-Schloß
Will er vorüber jagen:
Sieh, da stutzt er – an Söllers Rand
Steht ein Mädchen und hebt die Hand
Und ruft: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« Er fängt es auf
Und trägt es fort in die Lüfte;
Mit Donnerstimme auf seinem Lauf
[116]
Ruft er's in Wälder und Klüfte;
Der schäumenden See jetzt schrillt er's ins Ohr,
Und die Wasser der Tiefe steigen empor
Und horchen: »O komm, o rette!«
»O komm, o rette!« An Frankreichs Strand
Gellt es der fliegende Reiter;
Die Städte hindurch, hin über das Land
Braust er weiter und weiter;
Da flattert's wie Linnen auf offenem Feld,
Und lauter an König Heinrichs Zelt
Ruft er: »O komm, o rette!«
Der König hört's; der rüttelnde Sturm
Entriß ihn finsterem Traume:
Er sah einen nagenden Totenwurm
An einem blühenden Baume –
Er denkt des Traumes und steigt zu Schiff,
Ihn kümmert nicht Woge, ihn kümmert nicht Riff,
Er hört nur: »Rette, rette!«

Neuntes Kapitel

Rosamundens Tod

Im Woodstock-Forst, nach Sturmesnacht,
Herrscht wieder tiefes Schweigen,
Nur einz'le Tropfen fallen sacht
Von Blättern jetzt und Zweigen;
Und leis nur durch die Wipfel zieht
Von Zeit zu Zeit ein Klagelied
Um die geliebten Toten.
Am Waldrand, in des Gartens Näh',
Ist eine off'ne Stelle:
Es glitzert dort, halb Teich, halb See,
Im Mondlicht jetzt die Welle;
Viel Erlen stehn am Uferrand
[117]
Und wo die Welle küßt den Sand,
Da sprießen blaue Blumen.
Und hier im duft'gen Wiesengrund,
Wo Wald und See sich grüßen,
Da sitzt die schöne Rosamund'
Den Erlen jetzt zu Füßen;
Es ruht ihr Haupt auf feuchtem Moos,
Und ach, ihr Aug' ist tränenlos
Von vielem, vielem Weinen.
Wohin sie blickt, da wächst ihr Weh
Vor ihres Glückes Zeugen:
Nur tiefer müssen Wald und See
Die Tiefgebeugte beugen;
Und hier, wo Schwur um Schwur erscholl,
Durchzuckt sie's nun verzweiflungsvoll:
»Belogen und betrogen!«
Gen Himmel starrt ihr blaß Gesicht;
Dann, mit erhobnen Armen,
Ruft laut sie: »Gott, ich trag' es nicht –
Ach, üb' ein mild Erbarmen!«
Und alsobald, an tiefster Stell',
Auf Sees mondbestrahlter Well',
Treibt still die Lebensmüde.
Wie blond Gelock der Wasserfee
Durchfurcht ihr Haar die Fluten,
Und wie sie treibt, da scheint ihr Weh
Sich schmerzlos zu verbluten;
Im Tod versöhnt mit ihrem Leid,
Spricht still sie: »Dein in Ewigkeit!«
Und sinkt dann in die Tiefe.
[118]
Am dritten Tag, auf Malv' und Mohn,
Da liegt in Sarges Grunde,
Mit Wangen, deren Rot entflohn,
Die schöne Rosamunde;
Um ihre Lippen spielt es mild,
Und wie ein lächelnd Kindesbild
Schläft ihren Schlaf die Tote.
Zu Seiten ihr, ohn' Unterlaß
Und auf und ab im Saale,
Schwingt Knabenhand das Weihrauchfaß,
Gemäß dem Rituale;
Zu Häupten liest – gebückt und alt,
Von härenem Gewand umwallt –
Der Priester seine Messen.
Zu Füßen aber, schattengroß
Im Abendsonnenscheine,
Steht König Heinrich, regungslos,
Gleich einem Bild von Steine;
Sein Aug' ist starr, doch durch sein Herz
Zieht dieses Lebens höchster Schmerz:
Der Schmerz um alles Leben.

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TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Von der schönen Rosamunde. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AFBC-F