Die Fahne Schwerins

Im Arsenal, dem alten,
Zu Petersburg am Dock,
Zersplittert und zerspalten
Steht ein alter Fahnenstock;
Er steht in seiner Ecken
An die hundert Jahre nun,
Mit den andern Fahnenstöcken
Hat er nichts zu tun.
Der Fahnen jüngste schmunzelt:
»He, Kamerad im Eck,
Warum so viel gerunzelt?
Das bringt uns nicht vom Fleck;
Nicht ewig stumm und einsam
Und nicht so steif-apart,
Gesellig hübsch, gemeinsam,
Und etwas Lebensart.«
Der drauf: »An Schaftes Runde
Sieh hier den Silberring,
Er deckt die breite Wunde,
Die ich bei Prag empfing,
Zersplittert hat, zerspalten
Die Kugel mich von Erz,
Schwerin, der mich gehalten,
Dem ging sie durch das Herz.
Wen solch ein Held getragen
In solcher Preußenstund',
Dem will es nicht behagen
Auf fremdem, russischem Grund,
Der will unter Trommelchören
In Berlin im Zeughaus stehn
Und den ›Dessauer‹ wieder hören,
Und von Hohenfriedberg den.«
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Im Arsenal, dem alten,
Zu Petersburg am Dock,
Zersplittert und zerspalten,
Sprach so der Fahnenstock.
Die andern nickten leise,
Der Zugwind wehte sacht,
Immer stiller ward's im Kreise; –
Ein Stern schien durch die Nacht 1.

Fußnoten

1 Die Fahne befindet sich jetzt wieder im Zeughause zu Berlin.


Notes
Entstanden 1857, Erstdruck 1857.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Fontane, Theodor. Die Fahne Schwerins. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AFC6-8