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Brief- und Tagebuchblätter

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1. Meiner Mutter

Wozu denn das ewige Sorgen,
lieb Mütterchen! gib es doch auf!
Sorgen macht alles nur schlimmer
und ändert doch nichts im Lauf!
Auf deine alten Tage
möcht ich, daß froh du wärst
und nicht mit Gedanken um uns,
deine Kinder, das Herz dir beschwerst.
Du hast dich in deinem Leben
wahrlich genug gesorgt,
du gabest mit Zinseszins ihm
zurück, was es dir geborgt ...
Du bist bald siebzig Jahre
und mich dünkt, du hättest nun
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nicht bloß ein Recht mehr, nein,
auch die Pflicht, dich auszuruhn.
Du trugest Leid und Schmerzen,
ohn daß sich ein Wort dir entrang,
du gingest mit schwerem Herzen
so manchen schweren Gang ...
und als der Vater erblindet,
die ganze, lange Zeit,
du wurdest nie müde in treuer
frohwilliger Freudigkeit!
Nur als er dann starb, da freilich
wurde merklich weißer dein Haar,
doch deine Liebe zu uns
blieb so jung, wie sie immer war.
Und nun sind wir groß geworden
und wanderten in die Welt,
und ein jedes hat sich fürs Leben
sein gutes Ziel gestellt ...
Du aber, lieb Mütterchen, gib jetzt
dein Sorgen endlich auf,
Sorgen sieht alles nur schwärzer
und ändert doch nichts im Lauf!
Du weißt ja, wir haben niemals
Arbeit und Umtrieb gescheut,
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wir haben, im Gegenteil, immer
uns jeglicher Mühe gefreut,
und wenn auch nicht alles ging,
wie man wünschte, es möchte gehn,
so blieb doch keines mutlos
oder müßig am Markte stehn.
Wir haben uns, Gott sei Dank,
immer selber zu raten vermocht,
und schlug auch vieles fehl,
hat uns doch nichts unterjocht.
Daß einem das Herz einmal schwer
und daß man weniger froh,
das will nichts heißen, Mutter,
das geht einem jeden so.
Man hätte mitunter ja manches
leichter und schneller erreicht,
wenn man weniger.. stolz gewesen
und rücksichtsloser vielleicht,
und wenn ... ja, ja, wenn du früher
nicht immer so abgewehrt,
wenn der Vater warnen wollte:
›Güte hätte gar keinen Wert,
und Bescheidenheit und dergleichen
sei ja ganz schön fürs Haus,
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draußen im Leben doch gälte
nur Vorteil und nur Faust!
Seid ohne Arg wie die Tauben,
sag eine alte Lehr,
aber: auch klug wie die Schlangen,
setze sie gleich hinterher.‹
Es hätte uns manche Enttäuschung
erspart und manche Gefahr ...
und doch, ich möchte nicht anders
gewesen sein als ich war,
denn auf die Dauer ist's doch nichts
mit allzuleichtem Gewinn ...
ich warte gern und möchte
nicht anders sein, als ich bin!
Aber drum laß auch dein Sorgen,
du weißt nicht, wie stark mein Arm!
wie zuversichtfröhlich und reich
mein Herz in der Brust und wie warm!
Und ob auch manche Blüte
von Wetterschlag verheert,
das Lied meiner Jugend hat mir
nicht Blitz, noch Frost zerstört!
und noch grüßt blaurotflammend
der Stern vom leuchtenden Pol,
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wie damals vor Jahren, als ich
zum erstenmal sagte Lebwohl!
Nur zweifeln darfst du nicht, Mutter,
das nimmt die Zuversicht ...
und Siegvertrauen muß haben,
wer da im Kampfe ficht.
In lodernder Schönheit Prangen
liegt offen vor mir die Welt,
verkämpft ist und überwunden
was lang mir die Jahre vergällt,
die Ketten, die mich gebunden,
liegen zersplittert im Grund,
frei bin ich, Mutter, und stark
und freudig und jung und gesund,
und in goldenen Morgenfeuern
glänzt sonnenhell mein Ziel ...
und wer sich so stark fühlt, Mutter,
für den ist Kampf nur Spiel!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Flaischlen, Cäsar. Gedichte. Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens. Berg-auf. 1. Meiner Mutter. 1. Meiner Mutter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B4E7-A