8.

Nicht wie die Mumie sei, dem Phönix gleiche die Kirche,
Der sich den Holzstoß selbst türmt, wenn die Kraft ihm erlahmt.
Freudig den sterblichen Leib, den gealterten, gibt er den Flammen,
Weiß er doch, daß ihn die Glut jugendlich wiedergebiert.
Gebt ihr dem Göttlichen irdische Form, wie wollt ihr es hindern,
Daß sie das irdische Los alles Vergänglichen teilt?
Alternd erstarrt sie zuletzt, und im Drucke verkümmert der hohe
Inhalt, oder zersprengt, sich zu befrein, das Gefäß.
Statt sich des Wissens der Welt zu bemächtigen, zieht sich die Kirche
Von den Gedanken des Tags weiter und weiter zurück,
Lebt in vergangener Zeit und spricht in verschollenen Zungen,
Ach, und verwundert sich dann, daß sie der Tag nicht versteht.
Stets aufs neue versucht ihr den Strom im Becher zu fassen:
Was im Gemüt nur lebt, prägt ihr zu starrem Begriff;
Religion wird Theologie und Glaube Bekenntnis;
Aber die Formel erzeugt täglich erneuerten Zwist.
Unsichtbar wie das Wasser den Baum von der Wurzel zum Gipfel
Tränkt und jeglichem Zweig Blätter und Blüten erweckt,
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So durchströme mit Kraft dein innerstes Wesen der Glaube,
Doch man erkenn' ihn nur an der gezeitigten Frucht.

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Spätherbstblätter. Distichen aus dem Wintertagebuche. 8. [Nicht wie die Mumie sei, dem Phönix gleiche die Kirche]. 8. [Nicht wie die Mumie sei, dem Phönix gleiche die Kirche]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BB5F-F