Eine Seeräubergeschichte

Erzählung eines alten Steuermanns.


Wir hatten Öl geladen und Korinthen
Und segelten vergnügt mit unsrer Fracht
Von Malta auf Gibraltar, Jochen Schütt,
Der Lüb'sche Kapitän, mit fünf Matrosen,
Und ich, Hans Kiekebusch, als Steuermann.
Der Wind blies lustig, und wir waren schon
Sardinien vorbei, als hinter uns
Nordosther ein verdächtig Segel aufkam,
Das wie mit Siebenmeilenstiefeln lief.
Bedenklich kuckte Jochen Schütt durchs Glas
Und schüttelte den Kopf und kuckte wieder,
Und immer länger ward sein schlau Gesicht.
»Verdammte Suppe!« brach er endlich los,
»Der Haifisch soll mich schlucken, wenn das nicht
Tuneser sind, Spitzbuben, die's auf uns
Und unsern schmucken Schoner abgesehn!
Bei Gott, jetzt heißt es: Alles Weißzeug los
Und stramm gesegelt!«
Leider war's zu spät.
Ein Viertelstündchen noch, da wußten wir,
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Daß Flucht unmöglich. Gleich darauf auch ließ
Das Kaperschiff die rote Flagge schon
Vom Topmast fliegen, und ein Schuß befahl
Uns beizulegen. An Verteidigung
War nicht zu denken: Sieben waren wir,
Die höchstens Sonntags mal im Lauer Holz
Mit Schrot geknallt, und drüben an die Vierzig,
Verwegnes Raubvolk insgesamt, auf Mord
Und Totschlag eingeübt wie wir aufs Kegeln.
Mit einer einz'gen Salve hätten sie
Uns weggefegt; drum hieß uns Jochen Schütt
Geruhig bleiben und ihn machen lassen.
Ein Stückchen, meint' er, hab' er ausgedacht,
Das uns vielleicht noch aus der Tinte hülfe.
Zwar spiel' er auf Va banque damit, indes
Am Ende sein wir Christenmenschen doch,
Und Gott im Himmel könn' ein Einsehn haben.
So brümmelnd stieg er zur Kajüt' hinab
Und nahm die andern mit; nur mir befahl er,
Auf Deck zu bleiben und dem leidigen
Besuch, als käm' er auf ein Frühstück bloß,
Mit Höflichkeit zu ihm den Weg zu weisen.
Mir schlug das Herz bis an den Hals, als nun
Mit jeglicher Minute der Korsar
Uns näher rückte. Bald erkannt' ich schon
Die Fuchsgesichter mit den Rattenzöpfen,
Das Negervolk, das in den Tauen hing.
Jetzt sah ich, wie solch rotbekappter Schuft
Den Enterhaken hob, jetzt machten's ihm
Zehn andre nach und jetzt – ein einz'ger Schlag,
Ein ungeheurer Ruck, und Bord an Bord,
Mit dem Tuneser lagen wir.
Ein Mohr,
Die breite Kling' im Maule, sprang zuerst
Auf unser Schiff, dann kam der Hauptmann selbst
Einäugig, stachelbärtig wie ein Kater,
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Am grünen Bund den Halbmond von Rubin,
Und dann die andern, meist ein quittengelb,
Zerlumpt Gesindel, doch mit langem Rohr,
Mit Beil und Messer Mann für Mann versehn.
Mir lief's den Rücken kalt wie Eis hinab.
Doch macht' ich nach des Kapitäns Geheiß
Den schönsten Bückling, und verbindlich dann
Den Weg anzeigend fuhr ich wie ein Kellner
In Sprüngen die Kajütentrepp' hinab.
Auch poltert' es alsbald mit schwerem Tritt
Mir nach, und, ein Pistol in jeder Hand,
Trat Meister Einaug' in die Tür, doch blieb er,
Als er sich umsah, wie ein Zaunpfahl stehn.
Denn vor ihm saß, den Hut auf einem Ohr,
Aus kurzer Pfeife Dampf und Funken paffend,
Auf offner Pulvertonne Jochen Schütt,
Und ringsumher lag wie ein Zauberkreis
Ein breiter Streif von Pulver aufgestreut.
Wir standen hinter ihm und mucksten nicht;
Er aber, ruhig sitzenbleibend, tat,
Als wüßt' er gar von keinem Harm, und sah
Den Türken an und sagte: »Guten Tag!
Was steht zu Diensten, wenn ich bitten darf?«
Und als nun der sich wie ein Puterhahn
Aufplustert und in seinem Kauderwelsch
Zu kollern anfängt und, wie das nicht fleckt,
Die Zähne weist und mit Geberden droht,
Sagt Jochen Schütt: »Ja, Türk'sch versteh' ich nicht,
Mein lieber Herr; doch parlez-vous français?«
Und dazu pafft er toller stets und macht
Den Meerschaumkopf wie einen Schornstein sprühn,
Daß mir, bei Gott, schon daucht, wir fliegen auf.
Das schien denn unserm Rinaldini auch
Ein schlechter Spaß; er wurde grün vor Wut,
Und plötzlich macht' er Kehrt und schoß hinaus.
Nun ging ein heftig Schnattern droben an.
Und dann ein Poltern, Schieben, Ziehn und Winden,
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Als kehrten sie vom Schiffsraum bis aufs Deck
Das Unterste zu oberst, während wir
In tausend Ängsten wie die Hühner uns
Um unsern Kapitän zusammendrückten,
Der keine Silbe sprach und langsam nur
Fortqualmte. Zwar die Ladung, wußten wir,
War gut versichert, doch wir fürchteten,
Die Heiden würden, wenn sie's ausgeraubt,
Das Schiff aus purer Bosheit sinken machen,
Und dann, ihr Lüb'schen Türme, gute Nacht!
So ging ein langes banges Stündlein hin.
Da plötzlich hörten wir durch all den Lärm
Die Bootsmannspfeife kreischen, ein entsetzlich
Gedräng' entstand an Bord, wie Flucht beinah,
Und kurz darauf geschah ein Stoß und Rauschen,
Als riss' ein Donnerwetter Schiff von Schiff;
Und dann mit eins war's still. Wir warteten
Ein Weilchen noch und horchten, doch es pfiff
Auch nicht die Maus im Loch; kein Zweifel mehr,
Sie waren fort. –
»Was nu?« sprach Jochen Schütt,
»Die Luft an Bord scheint wieder klar zu sein,
Ich denk', wir sehn uns mal den Schaden an.«
Und stieg hinauf aufs Deck, und wir ihm nach.
Da sah's denn gräulich aus. Im großen Stall
Der Arche Noäh war nicht solch ein Wust,
Als aller Welt Getier das Schiff geräumt.
Packstroh und Scherben rings, Korinthenfässer,
Ölpiepen, Werkzeug, Zwiebeln, Kochgerät,
Im tollsten Wirrwarr alles durcheinander,
Als wär' in allerbester Arbeit just
Das große Plünderfest gestört. Und so
Verhielt sich's auch. Denn von Nordosten kam,
Indes der Türk', wie ein gejagter Habicht,
Nach Süden fortschoß, eine englische
Fregatt' heran mit vollem Wind und ließ
Die blaubekreuzte Flagge lustig wehn.
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Das gab ein Jubeln, ein Umarmen jetzt!
Der Schiffsjung' fiel auf seine Knie, der Koch
Der letzt in Portsmouth überwintert, schwang
Die Zipfelmütz' und sang: »God save the king!«
Doch Jochen Schütt nahm eine Zwiebel auf
Und roch daran und niest'; ich merkt' es wohl,
Wir sollten ihn nicht weinen sehn. Dann zog er
Den Hut und sprach: »Nun danket alle Gott!
Heut tut mir's leid, daß ich nicht singen kann,
Weil ich beim alten Haase Schulen lief.
Den Engelsmann schickt uns der Himmel selbst.
Auch keinen roten Sechsling gab ich mehr
Für unser Leben, blieb er aus. Nun lief's
Noch gnädig ab.« –
»Ein wahrer Segen auch«,
Sagt' ich, »Kap'tän, daß Euch das Pulver einfiel,
So kam uns selbst der Engelsmann zu spät.«
»Ja, Pulver!« lacht' er, und die Schlauheit blitzt'
Ihm aus den Augen, »Pulver! Hat sich was!
Wir haben keine zwanzig Schuß an Bord.
Das schwarze Zeug, wovor der Heidenkerl
Die Angst gekriegt, war – Rübsaat aus Schwerin,
Und mein Kanarienvogel frißt davon.
Ein richt'ger Mann muß sich zu helfen wissen,
So hilft ihm Gott wohl auch. – Und nun seht nach,
Ob uns das Volk auch überm Rum gewesen.
Ich denk', ein Schluck soll gut tun auf den Schreck.«

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TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Eine Seeräubergeschichte. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C003-9