Der Freundschaftsdienst

Noch unbekannt und ungepriesen
Lebt hier und dort ein Jonathan,
Der größre Treu' dem Freund erwiesen,
Als man von Brüdern hoffen kann.
Ihn zu besingen, wähl' ich einen;
Und von der Nachwelt hochgeschätzt
Leb' Amyant und habe keinen,
Den man ihm an die Seite setzt!
Spricht einst in den noch fernen Jahren
Ein Redner von der Freunde Pflicht:
So denk' er sein, und ganzen Scharen
Lock' er die Tränen ins Gesicht.
Zu ihm, dem treusten Freund auf Erden,
Kam einst Philint, sein ander Ich.
»Freund«, sprach er, »hilf mir glücklich werden,
Ich weiß ein liebes Weib für mich.
Sie hat, was vielen Schönen fehlet,
Sie hat Verstand und Reiz und Glück.
Ihr Herz, von Redlichkeit beseelet,
Gefällt und spricht in jedem Blick.
Ach Amyant! du kannst mir dienen,
Du bist ein angesehner Mann.
Verreis' und halt' um Wilhelminen
Für mich bei ihren Eltern an.
Ich weiß, daß dich Geschäfte halten;
Doch –« »Schweig'!« fiel Amyant ihm ein.
»Geschäfte kann ich stets verwalten;
Allein nicht stets dir nützlich sein.
Ich reise gleich, um dir zu dienen.«
Er tat's, eh' noch der Tag verstrich.
Er reiste, sahe Wilhelminen,
Und nahm die Schöne selbst für sich.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Der Freundschaftsdienst. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C31D-A