Amynt

Amynt, der sich in großer Not befand
Und, wenn er nicht die Hütte meiden wollte,
Die hart verpfändet war, zehn Thaler schaffen sollte,
Bat einen reichen Mann, in dessen Dienst er stand,
Doch dieses Mal sein Herz vor ihm nicht zu verschließen
Und ihm zehn Thaler vorzuschießen.
Der Reiche ging des Armen Bitten ein.
Denn gleich aufs erste Wort? Ach nein!
Er ließ ihm Zeit, erst Thränen zu vergießen;
Er ließ ihn lange trostlos stehn
Und oft um Gottes willen flehn
Und zweimal nach der Thüre gehn.
Er warf ihm erst mit manchem harten Fluche
Die Armut vor und schlug hierauf
Ihm in dem dicken Rechnungsbuche
Die Menge böser Schuldner auf
Und fuhr ihn (denn dafür war er ein reicher Mann)
Bei jeder Post gebietrisch schnaubend an.
Dann fing er an, sich zu entschließen,
Dem redlichen Amynt, der ihm die Handschrift gab,
Auf sechs Prozent zehn Taler vorzuschießen,
Und dies Prozent zog er gleich ab.
Indem daß noch der Reiche zählte:
So trat sein Handwerksmann herein
Und bat, weil's ihm am Gelde fehlte,
Er sollte doch so gütig sein
Und ihm den kleinen Rest bezahlen.
»Ihr kriegt itzt nichts!« fuhr ihn der Schuldherr an.
Allein der arme Handwerksmann
Bat ihn zu wiederholten Malen,
Ihm die paar Taler auszuzahlen.
Der Reiche, dem der Mann zu lange stehen blieb,
Fuhr endlich auf: »Geht fort, Ihr Schelm, Ihr Dieb!« –
»Ein Schelm? dies wäre mir nicht lieb.
Ich werde gehn und Sie verklagen;
Amynt dort hat's gehört –« Und eilends ging der Mann.
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»Amynt!« fing drauf der Wuchrer an,
»Wenn sie Euch vor Gerichte fragen:
So könnt Ihr ja mir zu Gefallen sagen,
Ihr hättet nichts gehört. Ich will auch dankbar sein,
Und Euch statt zehn gleich zwanzig Thaler leihn.
Denn diesen Schimpf, den er von mir erlitten,
Ihm auf dem Rathaus abzubitten,
Dies würde mir ein ew'ger Vorwurf sein.
Kurz, wollet Ihr mich nicht als Zeuge kränken:
So will ich Euch die zwanzig Taler schenken;
So kommt Ihr gleich aus aller Eurer Not.«
»Herr«, sprach Amynt, »ich habe seit zween Tagen
Für meine Kinder nicht satt Brot.
Sie werden über Hunger klagen,
Sobald sie mich nur wieder sehn:
Es wird mir an die Seele gehn.
Die Schuldner werden mich aus meiner Hütte jagen;
Allein ich will's mit Gott ertragen.
Streicht Euer Geld, das Ihr mir bietet, ein
Und lernt von mir die Pflicht, gewissenhaft zu sein.«

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gellert, Christian Fürchtegott. Fabeln und Erzählungen. Fabeln und Erzählungen. Zweites Buch. Amynt. Amynt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C487-E