[99] LXXVIII
TRÜBSINN

Mir deucht ich hätte vor mir tausend jahr.
Kein schreibtisch überfüllt mit einer schar
Von versen liedern liebesbriefen akten
Und haaren schwer in rechnungen gepackten
Mehr heimlichkeiten als mein hirn bewacht.
Ein riesenbau ists wo in tiefem schacht
Mehr tote als im massengrabe rollen.
Ich bin ein kirchhof dem die sterne grollen
Wo – innre qualen – lange würmer ziehn ·
Sie raffen meine liebsten toten hin.
[100]
Ich bin ein alt gemach wo rosen schmachten –
Mit einem wirrwarr von verjährten trachten.
An offnen fläschchens dufte laben sich
Ein kläglich bildnis ein verblasster stich ..
Nichts dehnt sich wie der lahmen tage stocken
Wenn unter schneeiger jahre schweren flocken
Der missmut der aus dumpfer müde rinnt
Die grösse der unsterblichkeit gewinnt.
Nun bist du weiter nichts – o staub mit leben –
Als ein granit mit schreckenshauch umgeben
In tiefer wüsten nebeldunst versenkt.
Vergessner alter sfinx dess niemand denkt ·
Nirgends vermerkt und dessen wilde laune
Beim sonnenuntergang sein lied nur raune.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Gesamtausgabe der Werke. Baudelaire. Die Blumen des Bösen. Trübsinn und Vergeistigung. LXXVIII Trübsinn. LXXVIII Trübsinn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C567-E