VON EINER REISE
1888–89

[67][69]

DIE GLOCKEN

Ich hörte euer sonder geläute
Es weckte in mir eine sondere freude
Es schienen darin bekannte stimmen
Wunderbar ineinander zu schwimmen.
Als ich schwach war da liess euer klingen
Vor reue des herzens saiten zerspringen
Und alle stärke es von mir trug
In der frage: klingt wahrheit ihr oder trug?
Nun fürcht ich euren schall nicht mehr ..
Nur weiter nur weiter! es regt mich nicht sehr.
Ich höre nichts aus euren tönen
Als hoffen vergessen versöhnen.

[Ich kam als der winter noch thronte]

[69]
Ich kam als der winter noch thronte
Ich sah vor der sonne ihn weichen
Ich sah wie in blühenden reichen
Der frühling die sänger lohnte ..
Nun seh ich die blätter sich färben
Und gehe bevor sie sterben.
Du freundlicher strand meinen dank
Dass du mich gastlich geborgen
Einen langen sommermorgen
Halb ernster traum halb spiel und schwank!

[70] NOVEMBER-ROSE

Sage mir blasse rose dort
Was stehst du noch an so trübem ort?
Schon senkt sich der herbst am zeitenhebel
Schon zieht an den bergen novembernebel.
Was bleibst du allein noch blasse rose?
Die lezte deiner gefährten und schwestern
Fiel tot und zerblättert zur erde gestern
Und liegt begraben im mutterschoosse ..
Ach mahne mich nicht dass ich mich beeile!
Ich warte noch eine kleine weile.
Auf eines jünglings grab ich stehe:
Er vieler hoffnung und entzücken
Wie starb er? warum? Gott es wissen mag!
Eh ich verwelke eh ich vergehe
Will ich sein frisches grab noch schmücken
Am totentag.

[71] DIE SCHMIEDE

Horch! derselbe laut wie jahrelang
Mich quälte im morgendämmern:
Geglühten eisens zischender klang
Und wuchtiges hauen und hämmern.
Wie konnte mir jeder dröhnende hieb
Die morgenstunde verbittern!
Er höhnte dass unterm joch ich noch blieb
In zürnen bald bald in zittern.
[72]
Und kläglich und schmerzlich rief es dann
So oft man da drüben geschmiedet:
Jezt hat einen neuen nagel man
In das zwangskleid der seele genietet!
Wie! hat mich von neuem ein widrig loos
In trüben gewässern geentert?
O nein derselbe ton ist es bloss
Doch zeit und ort sind verändert!
Weckt heut mich des eisens und amboss streit
So weiss ich dem schmiede verzeihung.
Er mahnt mich nicht mehr an die finstere zeit
Er schmiedet zum heil zur befreiung.

[73] DER SEE

In tausend farben schillert der see
Er spiegelt das bild auf dem wolkenbau
Das die halb schon verborgene fee
Hat zaubrisch entrollt:
Von lichtgrün zu blau
Von purpur zu gold
Die farben ineinanderfliessen
Im bilde still schimmernd
Im spiegel rasch flimmernd.
Zur seite stehen die mächtigen riesen
Sie schaun in den see
Durch dunkle stahlgewande verschönt
Mit glänzendem schnee
Die trotzigen nacken
Und die trotzigen häupter gekrönt.
[74]
Im hintergrund liegen bleigrau die wogen
Und ganz in der ferne des eisgebirgs zacken
Von Einem blassen schein überzogen –
Die linke dunkelnd
Lastend und schwül
Die rechte funkelnd
In buntem spiel.
Darüber ein heiliger friede ruht
Der friede der berge der wolken der flut.

[75] SEEFAHRT

Ich fuhr mit den freunden über den see
Der abend neigte sich
In dicken flocken flog der schnee
Und langsam unser nachen
Die dunkle flut durchstrich.
Die nebel verhüllten rings das land
Kein schein vom himmel schaut
Und von dörfern am strand
Erklingen die ave-glocken
Mit traurig gedämpftem laut.
[76]
Die küste beendet unsren lauf
Wir landen und steigen aus
Wir gehen zum kleinen ort hinauf ..
Kein mensch lässt sich erblicken
Und stumm steht jedes haus.
Wir kommen an der kirche vorbei
Die türe verschloss nicht ganz –
Es tönte darinnen wie litanei ..
Wir treten ein in der frommen kreise
Die mütter beten den rosenkranz.
Die freunde lachen – wir eilen fort.
Die zeit ist um! das dunkel droht!
Doch mich verlezt ihr spottend wort
Bin ich auch nicht viel besser selber –
Ich steige sinnend in das boot.

[77] UNSER HERD

Der abend dunkelt .. im grossen kamin
Flackert ein lautes feuer
Die dichten rauchwolken aufwärts ziehn
An dem geschwärzten gemäuer.
Die flamme schlägt um den dicken block
Und häufige funken stieben
Aus drübergelegtem reiserflock
Von dem glühenden hauche getrieben.
[78]
An ketten ein kessel herunterfällt
Drin siedet die brodelnde suppe
Indes in der ecke friedlich gesellt
Sich lagert der haustiere gruppe.
Die wände sind behangen ganz
Mit töpfen löffeln und pfannen
Hoch oben prangen in goldnem glanz
Die kupfernen deckel und kannen.
Der fink im bauer piepend singt
Im matten lichtes-scheine
Und aus der kammer ein lied erklingt:
Die mutter wiegt ihre kleine.

[79] STIMMUNG

In den sternlosen dunkeln himmel
Ragen des domes spitzen
Die silbernen lampen blitzen.
Der menschen schwarzes gewimmel
Wogt in dem säulengang
Und die weite piazza entlang ..
Welch ein fremdes und leichtes treiben!
Ich seufze und weiss nicht warum.
Für mich ist nicht gut hier bleiben ..
Hier ist es zu laut und zu stumm.

[80] SONETT NACH PETRARKA

Es hob mich der gedanke in ihre kreise
Zu ihr nach der hier vergeblich geht mein streben
Dort sah ich sie im dritten himmel schweben ..
Schön war sie wie nie doch in minder stolzer weise.
Sie fasste mich bei der hand und sagte leise:
»So michs nicht trügt werden hier vereint wir noch leben ..
Ich bins die so grosse kämpfe dir gegeben
Und die vor abend beendete ihre reise.
Mein glück begreift kein menschlicher verstand:
Dich allein erwart ich und meine schöne hülle
Die da unten blieb – der anfang deiner liebe«
Ach warum schwieg sie und entzog sie ihre hand?
Bei solcher liebreicher und keuscher worte fülle
War mir als ob ich in dem himmel bliebe.

[81] ERSTER FRÜHLINGSTAG

Schon hab ich seine nähe gefühlt
Schon seinen zauber empfunden
Doch das war im süden drunten
Wo die sinne nichts andres ahnen
Als wärme schönheit und licht.
Es schwand der duftige traum ..
Ich ward in den norden entrückt
Wo grade der kampf begann
Des jugendlich schönen gottes
Mit dem alten finsteren mann.
[82]
Der sieg scheint entschieden zu sein.
Heut bricht zum erstenmal
Des frühlings gewalt auf mich ein
Unter dem grünenden dache
Im weiten sonnigen park.
Heut ist mein erster lenzestag.
Gierig trinkt seine wonnen ein herz
Das starker regungen bar
Zu kleinen lieben sich zwingt
Und nach einer grossen vergebens ringt.

[Die alte liebe noch]

[83]
Die alte liebe noch?
In ihrer torheit noch und wildheit gleich
An lockenden und üppigen bildern reich?
Sie ist noch so.
Das blumenblättchen deiner hand entflogen
An dem ich fromm und ehrfurchtsvoll gesogen?
Nein nicht mehr so!
Sie ist noch – schlägt noch ihre alten wunden
Jedoch das heilige ist daraus entschwunden.

[84] KEIM-MONAT

Der puls einem pochenden hammer gleicht
Und glühender hauch meine lippen bleicht
Ein blick ein atem schon wild mich durchrüttelt
Ein leises streifen mich fiebrisch schüttelt
Ich fühle in allen tiefen ein gähren
Mein todesschlaf kann nicht länger währen.
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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Von einer Reise. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C9DD-6