[122] ALBERT VERWEY
DER SCHÖNE SCHEIN

Kamst du nach haus? seh ich nach soviel jahren ·
Mein sohn · den schatten von den blonden haaren
Die in die augen fallen wie voreinst.
Wahrlich! die wunder die in ihnen waren
Der traum der deines auges rund verguldet
Hebt an. Doch stummheit dess der viel erfahren und erduldet
Fasst es zugleich.
Kamst du? Mein kind! die erde ist nicht reicher
Als herz · das herz und dinge in sich hält.
Du warst so reger seher · tapfrer streicher
Dass alles dir in hand und augen fällt.
Doch blieb das herz kalt · kalt umhängt von deinen
Schätzen – wie eine schöne trübe frau
Beim ball behängt mit einem strom von steinen
Vor herzenskälte sterben will.
Dein herz sucht wärme · der das meer durchschwommen
Kam als ein kind zurück ins vaterhaus.
O sohn! dass wieder dir der trieb gekommen
Bracht · herz und geist im leib zugleich nach haus.
Sowie ein funke – noch am herd geblieben –
Das reisig ansteckt bis die glut bei nacht
Die hausgenossen neu belebt (die sacht
Und warm sich um das feuer schieben)
[123] Und über alt und junge wangen eilt
Und – grillige pracht
Von glühn und knistern spukend wild –
Von fremder mär und sage mild
Und stillem plaudern die geräusche teilt
Und bricht und heilt –
Bis aus dem düstren saal ringsum
Nachtklänge als zwerge mit stillem gebrumm
Schwärmen den leuchtenden zirkel um –
Und einer der zumeist im dunkel sass
Und nickte fühlt den kalten strahl
Am rücken · schricKt und sagt: ›was ist das? –
's ist schlafzeit‹. Dann gehn sie allzumal –
Wie so ein funke vom herd die seel
Vom haus ist bis zu dunkler nacht:
So schüzt ein zug der wartet und wacht
Die seel worein sie einmal geriet.
Komm in mein haus! kein schatz · dir je befohlen ·
Vergeht da in dir wächst was schätze weiht.
Kannst du sie nicht auf erden holen
Weit und breit?
In einem herzenstrieb der jezt erblühe
Raumlos
Ists leben das die schätze all durchglühe
Maasslos.
Schönheit soll mit Dir sein · die lezt-erzeugte
Von süssem Reiz und reiner Schöpfungs-welt.
[124] Ihr sei dein edelster stein als leuchte ·
Doch eine blume ihm gesellt.
Den werker (der im düsteren schacht du grabend
Warst) – der dir das höchste gewesen –
Soll sie mit lachen ansehn und ihn trabend
Durch sommerwiesen jagen mit blumenlesen.
Du findest deinen reichtum: städte und land
Im bilderbuch vom kind –
Die freunde zu denen du dich bekannt
Die liebste die du geminnt.
Alles soll nichts sein – o glaub meinen worten!
Alles soll nichts sein bis du klagend fragst:
Lebt ich dafür dass jahre jahre morden
Der eine tag den andern jagt?
Alles zunichts · auch du · wenn deine hand
Das stangengras wie goldne münzen misst
Durch deine finger körnt der dünensand ·
Du selbst das zeitglas deiner lebensfrist ·
Wenn gras und körner so wie du ihr leben
Leben unter lachenden sonnen:
Dann wird er in dir sein den du erst neben
Dir wähntest da dein leben hier bei mir begonnen
Dann wird er in dir sein
Der alles in allem führt
Dann hat der schöne Schein
Dich angerührt.
[125]

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Gesamtausgabe der Werke. Zeitgenössische Dichter. Erster Teil. Anhang. Albert Verwey. Der schöne Schein. Der schöne Schein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CCB8-4