ALGABAL

[85][87]

Widmung

ALBERT SAINT-PAUL

DEM DICHTER UND DEM FREUND

IN LANGEN ERLEBNISSEN

UND GENIESSENDEM KÜNSTLERTUM


Paris

MDCCCXCII

[87] AUFSCHRIFT
DEM GEDÄCHTNIS LUDWIGS DES ZWEITEN

ALS MEINE JUGEND MEIN LEBEN HOB IN SOLCH EIN LICHT
KAM SIE ERSTAUNEND DEINEM NAH UND LIEBTE DICH.
NUN RUFT EIN HEIL DIR ÜBERS GRAB HINAUS ALGABAL
DEIN JÜNGRER BRUDER O VERHÖHNTER DULDERKÖNIG

[88] IM UNTERREICH

[89]

[Ihr hallen prahlend in reichem gewande]

Ihr hallen prahlend in reichem gewande
Wisst nicht was unter dem fuss euch ruht –
Den meister lockt nicht die landschaft am strande
Wie jene blendend im schoosse der flut.
Die häuser und höfe wie er sie ersonnen
Und unter den tritten der wesen beschworen
Ohne beispiel die hügel die bronnen
Und grotten in strahlendem rausche geboren.
[90]
Die einen blinken in ewigen wintern ·
Jene von hundertfarbigen erzen
Aus denen juwelen als tropfen sintern
Und flimmern und glimmen vor währenden kerzen.
Die ströme die in den höheren stollen
Wie scharlach granat und rubinen sprühten
Verfärben sich blässer im niederrollen
Und fliessen von nun ab wie rosenblüten.
Auf seeen tiefgrün in häfen verloren
Schaukeln die ruderentbehrenden nachen ·
Sie wissen auch in die wellen zu bohren
Bei armige riffe und gähnende drachen.
Der schöpfung wo er nur geweckt und verwaltet
Erhabene neuheit ihn manchmal erfreut ·
Wo ausser dem seinen kein wille schaltet
Und wo er dem licht und dem wetter gebeut.

[Der saal des gelben gleisses und der sonne]

[91][93]
Der saal des gelben gleisses und der sonne.
Sie herrscht auf flacher kuppel unter sternen ·
In blitzen schnellen aus dem feuerbronne
Topase untermengt mit bernstein-kernen.
An allen seiten aufgereiht als spiegel
– Gesamter städte ganzer staaten beute –
Die ungeschmückten platten goldnen ziegel
Und an der erde breiten löwenhäute.
Nur nicht des Einen scharfen blick zu blenden
Vermag die stechend grelle weltenkrone
Und dreimal tausend schwere urnen spenden
Den geist von amber weihrauch und zitrone.

[Daneben war der raum der blassen helle]

[93]
Daneben war der raum der blassen helle
Der weisses licht und weissen glanz vereint ·
Das dach ist glas · die streu gebleichter felle
Am boden schnee und oben wolke scheint.
Der wände matte täfelung aus zedern ·
Die dreissig pfauen stehen dran im kreis ·
Sie tragen daunen blank wie schwanenfedern
Und ihre schleppen schimmern wie das eis.
[94]
Für jede zier die freunden farbenstrahlen:
Aus blitzendem und blinderem metall ·
Aus elfenbein und milchigen opalen ·
Aus demant alabaster und kristall ·
Und perlen! klare gaben dumpfer stätte
Die ihr wie menschliche gebilde rollt
Und doch an einer wange warmer glätte
Das nasse kühl beharrlich wahren sollt.
Da lag die kugel auch von murra-stein
Mit der in früher jugend er gespielt ·
Des kaisers finger war am tage rein
Wo tränend er sie vor das auge hielt.

[Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme]

[95]
Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme ·
Der garten den ich mir selber erbaut
Und seiner vögel leblose schwärme
Haben noch nie einen frühling geschaut.
Von kohle die stämme · von kohle die äste
Und düstere felder am düsteren rain ·
Der früchte nimmer gebrochene läste
Glänzen wie lava im pinien-hain.
Ein grauer schein aus verborgener höhle
Verrät nicht wann morgen wann abend naht
Und staubige dünste der mandel-öle
Schweben auf beeten und anger und saat.
Wie zeug ich dich aber im heiligtume
– So fragt ich wenn ich es sinnend durchmass
In kühnen gespinsten der sorge vergass –
Dunkle grosse schwarze blume?

[96] TAGE

[97]

[Wenn um der zinnen kupferglühe hauben]

Wenn um der zinnen kupferglühe hauben
Um alle giebel erst die sonne wallt
Und kühlung noch in höfen von basalt
Dann warten auf den kaiser seine tauben.
Er trägt ein kleid aus blauer Serer-seide
Mit sardern und saffiren übersät
In silberhülsen säumend aufgenäht ·
Doch an den armen hat er kein geschmeide.
[98]
Er lächelte · sein weisser finger schenkte
Die hirsekörner aus dem goldnen trog ·
Als leis ein Lyder aus den säulen bog
Und an des herren fuss die stirne senkte.
Die tauben flattern ängstig nach dem dache
»Ich sterbe gern weil mein gebieter schrak«
Ein breiter dolch ihm schon im busen stak ·
Mit grünem flure spielt die rote lache.
Der kaiser wich mit höhnender gebärde ..
Worauf er doch am selben tag befahl
Dass in den abendlichen weinpokal
Des knechtes name eingegraben werde.

[Gegen osten ragt der bau]

[99]
Gegen osten ragt der bau
Wo dem grossen Zeus zu frönen
Toller wunder fremde schau
Und die würde sich versöhnen.
Tänzer öffnen das geleit
In verführenden gewändern.
Knaben die ein opfer feit
In den sonnenschlaffen ländern ·
Macht aus öl- und palmenlaub
Vor des priesters fuss ein kissen ·
Streuet sand und silberstaub
Tote liljen und narzissen!
[100]
An der schwelle haltet rast
Wo das heilige bild entschleiert
Nur sich gibt dem einen gast
Der es oft und innig feiert ·
Nur sein mund gebete lallt ·
Auch kein bruder sei zugegen:
Spricht des gottes zwiegestalt
Seinen immergleichen segen.
Junge stimmen · ferner hall.
Narden die verflüchtet irren
Durch der räuche strengen quall
Zu dem kuss der süssen mirren.

[O mutter meiner mutter und Erlauchte]

[101]
O mutter meiner mutter und Erlauchte
Wie mich so ernster worte folge stört:
Dein tadel weil mein geist nicht dir gehört
Dass ich ihn achtlos ohne tat verhauchte.
Gedenkt es dir wie viele speere pfiffen
Als ich im Osten um die krone rang
Und lob und vorwurf dem Verwegnen klang
Der damals noch die erde nicht begriffen?
Nicht ohnmacht rät mir ab von eurem handeln ·
Ich habe euren handels wahn erfasst ·
O lass mich ungerühmt und ungehasst
Und frei in den bedingten bahnen wandeln.
[102]
Und wolle nicht den bruder mir entfremden
– Erkannt ich doch im schlaf dein augenmerk? –
Du fesselst eifrig ihn an blödes werk ·
Dein zwang verkleidet ihn mit sklavenhemden.
Sieh ich bin zart wie eine apfelblüte
Und friedenfroher denn ein neues lamm ·
Doch liegen eisen stein und feuerschwamm
Gefährlich in erschüttertem gemüte.
Hernieder steig ich eine marmortreppe ·
Ein leichnam ohne haupt inmitten ruht ·
Dort sickert meines teuren bruders blut ·
Ich raffe leise nur die purpurschleppe.

[Becher am boden]

[103]
Becher am boden ·
Lose geschmeide ·
Frauen dirnen
Schlanke schenken
Müde sich senken ·
Ledig die lende
Busen und hüfte ·
Um die stirnen
Der kränze rest.
Schläfernder broden
Traufender düfte ·
Weinkönig scheide!
Aller ende
Ende das fest!
[104]
Rosen regnen ·
Purpurne satte
Die liebkosen?
Weisse matte
Euch zu laben?
Malvenrote ·
Gelbe tote:
Manen-küsse
Euch zu segnen.
Auf die schleusen!
Und aus reusen
Regnen rosen ·
Güsse flüsse
Die begraben.

[Da auf dem seidenen lager]

[105]
Da auf dem seidenen lager
Neidisch der schlummer mich mied
So bringt keine wundersager
So will ich kein lullendes lied
Der mädchen attischer lande
Was mir vor monden gefiel.
Nun schlingt mich in eure bande
Flötenspieler vom Nil.
Ich lag in äthergezelten
Ich ass von himmlischem brot ·
Ihr sanget die flucht aus den welten
Ihr sanget vom glorreichen tod
Bevor die brennenden lider
Endlicher schlummer befiel.
Entrückt und tötet mich wieder
Flötenspieler vom Nil.

[So sprach ich nur in meinen schwersten tagen]

[106]
So sprach ich nur in meinen schwersten tagen:
Ich will dass man im volke stirbt und stöhnt
Und jeder lacher sei ans kreuz geschlagen.
Es ist ein groll der für mich selber dröhnt.
ICH bin als einer so wie SIE als viele ·
Ich tue was das leben mit mir tut
Und träf ich sie mit ruten bis aufs blut:
Sie haben korn und haben fechterspiele.
Wenn ich in ihrer tracht und mich vergessend
Geheim in ihren leeren lärm gepasst
– Ich fürchte – hab ich nie sie tief gehasst ·
Der eignen artung härte recht ermessend.
Dann schloss ich hinter aller schar die riegel ·
Ich ruhte ohne wunsch und mild und licht
Und beinah einer schwester angesicht
Erwiderte dem schauenden ein spiegel.

[Graue rosse muss ich schirren]

[107]
Graue rosse muss ich schirren
Und durch grause fluren jagen
Bis wir uns im moor verirren
Oder blitze mich erschlagen.
Auf dem samenlosen acker
Viele helden stumm verbleichen ·
Nur das russende geflacker
Loher fichten ehrt die leichen.
Schmal in regelgraden ketten
Rinnen ziegelrote bäche ·
Seufzen singt aus ihren betten ·
Hahler wind umkreist die fläche.
Aufgelöst im sande wühlend
Frauenhaare · dichte strähnen ..
Frauentränen wunden kühlend ·
Reiche tränen – wahre tränen?

[Agathon knieend vor meinem pfühle]

[108]
Agathon knieend vor meinem pfühle ·
Deine wimper spricht da dein mund sich schloss.
Dass ich von ihr den feuchten schleier spüle
Was soll ich o mein bruder mein genoss?
Wenn es den über-leuchtenden adern
Vor staub und den rauhen winden graut
So sollst du mit dem himmel nicht hadern
Der an dem hehren spiel sich erbaut.
Nimm als lohn dass vor dir nur kranken
Die stolzen glieder zur urne gar ·
Es ziemt nicht in irdischer klage zu wanken
Uns die das los für den purpur gebar.

[Lärmen hör ich im schläfrigen frieden]

[109]
Lärmen hör ich im schläfrigen frieden:
Horde die zu gehorchen vergisst.
»Schreckt dich das schlimme sternwort der Iden?«
Widriges melden die schlangen · doch wisst:
Euer gebieter ist von euch geschieden
Ehe die stadt sich zu murren vermisst.

[Schall von oben]

[110]
Schall von oben!
Sind es hörner · sind es harfen
Die mich hoben
Und in grüfte niederwarfen?
Wie betreten
Und als ob ein gott mich zwänge
Muss ich beten
Syrer während eurer sänge.
Leise triller · verjüngen gesunden.
Laute stösse · mit lachen vergeuden.
Gelle striche · die bohrenden wunden
Helle schläge · die brennenden freuden.
Weise Syrer
Werd ich dankend euch vertreiben?
Ihr verführer
Noch im leben zu verbleiben!

[111] [113]DIE ANDENKEN

[113]

[Grosse tage wo im geist ich nur der herr der welten hiess]

Grosse tage wo im geist ich nur der herr der welten hiess ·
Arger tag wo in der heimat meine tempel ich verliess!
Dort beriet ich mit den göttern über ihren höchsten plan
Ihre kinder stiegen nieder mir zu lust und untertan.
O so werde wieder knabe der im haine ruhe sucht ·
Inne hält er eben bang vor eigener gedanken wucht.
Mit der feinen kühnen blässe · schweren wechseljahres spur ·
Trätest du an meine seite mit mir und kein schatten nur!

[Fern ist mir das blumenalter]

[114]
Fern ist mir das blumenalter
Wo die zähre noch genuss.
Starb im reif der sommerfalter
Dem ein atem schon ein kuss?
Der auf gras und klee und garbe
Und in reiche gärten flog ·
Einen hauch von duft und farbe
Rasch aus allen blüten sog?
Dem die nacht ein gut erteilte
Das er tags umsonst erspäht ·
Den sie mit der hoffnung heilte
Dass ihn doch die tulpe lädt.
Kommt er wieder mit der meisen
Mit der lerchen erstem ton?
Wird er neu den juni preisen
Schläft er oder starb er schon?

[Jahre und vermeinte schulden]

[115]
Jahre und vermeinte schulden ..
Wisch die zeichen ihrer hiebe ·
Kind erkoren von den Hulden
Zu der völker heil und liebe.
Heimgekehrter sieger rotte
Beugten sich vor deiner schöne ·
Ihrem jugendlichen gotte
Jubelten die erdensöhne
[116]
Die der ehre dank erwiesen
Neben solchem hort zu wohnen
Wenn du auf den jaspis-fliesen
Weihtest vor bekränzten thronen.
Männer weinten frauen stöhnten
Unter deines tempels türe ·
Glühend baten die gehöhnten
Dass dein kleid ihr haar berühre –
Eh dein grösster ruhm ersterbe
Schmücke dich im weissen bade
Dass er noch zum wettbewerbe
Alle hermen vor sich lade.

[Am markte sah ich erst die würdevolle]

[117]
Am markte sah ich erst die würdevolle
Die schönste aus der weissen schwestern zug ·
Wie fürstenmantel hing die schlichte wolle
Um ihres nackens ihrer schulter bug.
Im schauspiel dann als sich die opfer mehrten
Und zügellos die menge beifall rief ·
Die todberufenen den cäsar ehrten:
IHR auge blieb gelassen streng und tief.
Wenn ich der kurzen werbung rausch bedenke!
Ich riss die priesterin von dem altar ·
Und alle länder brachten brautgeschenke ·
Ich bot in bächen gold und balsam dar ..
Und zweifelnd ob das neue glück mir werde
Erfand ich nur den quell der neuen qual ..
Ich sandte sie zurück zu ihrem herde ·
Sie hatte wie die anderen ein mal.

[Ich will mir jener stunden lauf erzählen]

[118]
Ich will mir jener stunden lauf erzählen:
Die kinder unterm feigenbaum entschlafen
Nach unbedachtem seligem vermählen.
Mich kümmerten der kalten väter strafen.
Wol! da ich euch den starken tropfen gönnte
Aus meinem treuen ringe der mir diene
Wenn es bei einer dämmerung mir schiene
Dass ich die sterne nicht mehr schauen könnte.
Begnadete! da ich euch gütig nahte
Und kein erwachen euch ein glück ermattet
Das nur der traum so herrlich euch gestattet
Als ich es jezt aus euren zügen rate.

[Fühl ich noch dies erste ungemach]

[119]
Fühl ich noch dies erste ungemach ·
Sündig eilte fremden stapfen nach
Der um sie den schönsten traum zerbrach:
Wenn mir neulich vor die sinne tritt
Wie ich früh vom gram am tiefsten litt
Bei den gräbern pochend »führt mich mit«:
Deucht er heut mir fast geschwind und sacht ·
Halt ich dich sogar in milder acht ·
Trübster tröster · sohn der nacht!

[Ob denn der wolken-deuter mich belüge]

[120]
Ob denn der wolken-deuter mich belüge
Und ich durch opfer und durch adlerflüge?
Dass niemals dieser knospe keusche lippe
Vom windgeführten seim der freundin nippe ·
Dass sie im schwall der salben und gewürze
Des schwülen kerkers weile sich verkürze ·
Besprengt vom saft des hanfes und der rebe
Die trägen adern zu beleben strebe
Und flehend bis sie welke stehen bleibe
Vor einer säule sprödem marmorleibe.

[121] [123]VOGELSCHAU

Weisse schwalben sah ich fliegen ·
Schwalben schnee- und silberweiss ·
Sah sie sich im winde wiegen ·
In dem winde hell und heiss.
Bunte häher sah ich hüpfen ·
Papagei und kolibri
Durch die wunder-bäume schlüpfen
In dem wald der Tusferi.
Grosse raben sah ich flattern ·
Dohlen schwarz und dunkelgrau
Nah am grunde über nattern
Im verzauberten gehau.
Schwalben seh ich wieder fliegen ·
Schnee- und silberweisse schar ·
Wie sie sich im winde wiegen
In dem winde kalt und klar!
[123][125]

Notes
Erste private Vervielfältigung von 10 Exemplaren in Paris, August 1892. Zweitdruck in Paris, November 1892.
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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Algabal. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-CDA1-E