Mirtil. Thyrsis

Mirtil hatte sich in einer kühlen nächtlichen Stunde auf einen weitumsehenden Hügel begeben; gesammelte dürre Reiser brannten vor ihm in hellen Flammen, indeß daß er einsam ins Gras gestrekt mit irrenden Bliken den Himmel, mit Sternen besäet, und die vom Mond beleuchtete Gegend durchlief. Aber schüchtern sah er sich izt um, denn es rauschte etwas im Dunkeln daher. Es war Thyrsis; Sey mir willkommen, sprach er; seze dich zum wärmenden Feuer, wie kömmst du hieher, izt da die ganze Gegend schlummert?


Thyrsis.


Sey mir gegrüßt, hätt' ich dich zu finden geglaubt, ich hätte nicht so lange gezaudert den lodernden Flammen zu folgen, die im Dunkeln so schön ins Thal glänzen. Aber höre Mirtil, izt, da des Mondes düstrer Schimmer und die einsame Nacht zu ernsten Gesängen uns lokt, höre Mirtil, ich schenke dir eine schöne Lampe, die mein künstlicher Vater aus Erde gebildet hat, eine Schlange mit Flügeln und Füssen, die den Mund weit aufsperrt, aus dem das kleine Licht brennt, den Schweif ringelt sie empor bequem zur Handhabe; diß schenk ich dir, wenn du mir die Geschichte des Daphnis und der Chloe singest.


Mirtil.


Ich will dir die Geschichte des Daphnis und der Chloe singen, izt da die Nacht zu ernsten Gesängen lokt. Hier sind dürre Reiser, sieh du indeß, daß das wärmende Feuer nicht erlöscht.

[43] Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte, traurig töne mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!

Sanft glänzte der Mond, als Chloe am einsamen Ufer stund, sehnlich wartend, denn ein Nachen sollte den Daphnis über den Fluß bringen. Lange säumt mein Geliebter, so sprach sie; die Nachtigal schwieg und horchte die zärtlichen Accente. Lange säumt er; doch – – horche – – ich höre ein plätschern, wie wenn Wellen wider einen Nachen schlagen. Kömmst du? Ja! – doch nein; wollt ihr mich noch oft betriegen ihr plätschernden Wellen? O! spottet nicht des ungedultigen Wartens des zärtlichsten Mädchens! Wo bist du izt Geliebter? beflügelt Ungedult nicht deine Füsse? wandelst du izt im Hain dem Ufer zu? O daß kein Dorn die eilenden Füsse verleze, und keine schleichende Schlange deine Fersen! Du keusche Göttin, Luna, oder Diana, mit dem nie-fehlenden Bogen, streue von deinem sanften Glanz auf seinen Weg hin! O wenn du aus dem Nachen steigst, wie will ich dich umarmen! – – Aber izt, gewiß izt, izt triegt ihr mich doch nicht ihr Wellen! o schlaget sanft den Nachen! traget ihn sorgfältig auf euerm Rüken! O ihr Nymphen, wenn ihr je geliebt habet, wenn ihr je wißt was zärtliche Erwartung ist – – ich seh ihn, sey mir gegrüßt! – – Du antwortest nicht? Götter! – – Izt sank Chloe ohnmächtig am Ufer hin.

Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte, traurig töne mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!

Ein umgestürzter Nachen schwamm daher, der Mond beschien die klägliche Geschichte. Am Ufer lag Chloe ohnmächtig, und eine schauernde Stille herrschte umher, aber sie erwachte wieder, ein schrökliches Erwachen! Sie saß am Ufer, bebend und sprachlos, und der Mond verbarg sich hinter den Wolken; ihre Brust bebte von schluchzen und seufzen, izt schrie sie laut, und die Echo wiederholte der trauernden Gegend ihr Geschrey, und ein banges Winseln rauschte durch den Hain und durch die Gebüsche, sie schlug die ringenden Hände auf die Brust, und riß die Loken vom Haupt; ach Daphnis! Daphnis! o ihr treulosen Wellen! ihr Nymphen! [44] ach! ich elende! ich zaudre, ich säume, den Tod in den Wellen zu suchen, die die Freude meines Lebens geraubt haben! So rief sie, und sprang vom Ufer in den Fluß.

Klaget mir nach, ihr Felsenklüfte, traurig töne mein Lied zurük, durch den Hain und vom Ufer!

Aber die Nymphen hatten den Wellen befohlen, sorgfältig sie auf dem Rüken zu tragen. Grausame Nymphen! rief sie, ach! zögert nicht meinen Tod! ach, verschlinget mich Wellen! aber die Wellen verschlangen sie nicht, sie trugen sie sanft auf dem Rüken, zum Ufer eines kleinen Eylandes. Daphnis hatte mit schwimmen sich ans Eyland gerettet; wie zärtlich sie ihm in die Arme sank und ihr Entzüken, o das kann ich nicht singen! zärtlicher als wenn die Nachtigall ihrem Gefängniß entfliegt, ihr Gatte hatte Nächte durch im Wipfel kläglich geseufzet, sie fliegt izt entzükt dem schauernden Gatten zu, sie seufzen und schnäbeln und umschlagen sich mit ihren Flügeln, aber izt tönt ihr Entzüken in Freuden-Liedern die stille Nacht durch.

Klaget izt nicht mehr, ihr Felsenklüfte, Freude töne izt vom Hain zurük und vom Ufer. Und du gieb mir die Lampe, denn ich habe dir die Geschichte des Daphnis und der Chloe gesungen.

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TextGrid Repository (2012). Gessner, Salomon. Gedichte. Idyllen. Idyllen. Mirtil. Thyrsis. Mirtil. Thyrsis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D525-1