Salomon Gessner
Evander und Alcimna
Ein Schæferspiel

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Die Scene stellt eine einsame Gegend mit Gestræuch und Bæumen vor.
Lamon und Chloe.

CHLOE.

Woher, so ernsthaft mein Nachbar? Zwar wir Leuthe haben immer was zu thun, wenn wir die Herde recht pflegen, und unser kleines Gut, wie man thun soll, besorgen wollen.

LAMON.

Du hast recht, redliches Weib! die Tage kommen und gehen bey der Arbeit [5] viel muntrer. Ich komme von einem heiligen Werk, die ich niemals unterlasse; ich habe dem Pan die Erstlinge von fynf jungen Bæumen im Hain geopfert, die ich an dem Tag zum Andenken pflanzte, da Evander, mein Pfleg-Sohn mir ybergeben ward. Sie stehn izt achtzehn Jahre; und sie wuchsen so schœn, dass es scheint, die Gœtter wollen uns eine gute Vorbedeutung geben.

CHLOE.

Du bist ein frommer Mann, drum bist du so gesegnet; man ist immer wol zu Muthe, wenn man redlich ist und die Gœtter ehrt; besonders sollen Leute fromm seyn, die in ihrem Leben noch grosse Geschichten erwarten. Was wird endlich aus der Sache werden? Wir dœrfen hier uns wol von unserm Geheimniss unterhalten; Sie sieht um sich her. wenn ich nur noch [6] erlebe, was mit Alcimna, meiner Pflege-Tochter, geschehen soll; es ist izt sechszehn Jahre, dass sie mir ist anvertrauet worden. Pflege sie wol; es wird einst dein Glyk seyn; und verschliesse das Geheimniss in dein innerstes. So sprach der Mann, der mir sie ybergab.

LAMON.

Die Gœtter haben was grosses mit ihnen vor; Evander ist der schœnste, weit umher; er ist so schœn, wie die Bild-Sæule, die in dem Delphischen Tempel steht; er ist weise, wie sonst Mænner sind, von viel mehr Jahren und Erfahrung. Kyhnheit hat er, wie Hercules; er wyrde mit Lœwen streiten; und wer ybertrift ihn im Ringen, im Wett-Lauf, in jeder Ybung, die Stærke und Schnelligkeit fodert? Seine Lieder sind die besten, als hætte sie Apoll ihm im Traum gegeben.

[7]
CHLOE.

Eben so sehr ybertrift Alcimna die andern Mædchens; sie ist schœn, wie die Gratien sind; und besizt jede Anmuth, die ein Mædchen zieren, in vollestem Maasse; sie ybertrift die andern alle, wie die Rose gemeine Gras-Blumen ybertrift.

LAMON.

Ich fyrchte und hoffe immer wechselweise von ihrer Liebe; vielleicht habens die Gœtter gefyget, dass sie sich lieben sollen; aber – – – wir wissens doch nicht. Immer hoff ich, das Schiksal werde sie nie trennen; aber – – – wir haben doch yber ihr Schiksal nicht so zu entscheiden, wie wenn sie unsre eigenen Kinder wæren; man wird sie wieder von uns fodern; vielleicht geschieht es bald; wir kœnnen doch nicht zugeben, dass der Gott der Ehen sie verbinde; wir myssen noch ihre Hofnungen entfernen.

[8]
CHLOE.

Gewiss! du hast recht, Lamon! Ich hoffe, wir werden die Geheimnisse bald am Tag sehen; ich wynsch es mit grœsserer Ungeduld als du, ich bin drum auch ein Weib.

LAMON.

Die Gœtter werden die Sache beym besten leiten. Wie schmerzhaft wyrd' es fyr mich seyn, wenns nicht so wære; wie sehr verdienen beyde, glyklich zu seyn! Es quælt mich, dass ich den Wunsch seiner zærtlichen Liebe nicht erfyllen darf. Ich lyge ungern; und was soll ich ihm fyr Ursachen lygen? Ich hab es immer verabscheut; die Gœtter wollens uns verzeihen. Wir wollen sagen, du und ich haben in der gleichen Nacht einen warnenden Traum gehabt.

[9]
CHLOE.

Du bist schlau; es sey in einer guten Stunde geredet, wenn wir durch lygen sie betriegen myssen, so seys eben wie du gesagt hast. Wir kœnnen auf keine andre Art ihrem bestændigen Flehen entrinnen. Aber lebe wol; ich muss in meinen Garten gehn; sieh! da kœmmt dein Sohn; ich will hier durchs Gebysche schlypsen.

LAMON.
Ich geh auch; ich will seinen sæhnlichen Bitten entfliehn.
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Evander, Alcimna.

EVANDER.

Ich suche sie schon lange umsonst; sie ist hier nicht, am Wasser-Fall nicht; und unter den Hasel-Stauden hab ich sie umsonst [10] gesucht; doch hieher wird sie wol kommen. Hælt sie die geschæftige Mutter auf? Er sieht umher. Da hab ichs. Er weicht mich aus; mein Vater weicht mich aus, so oft er fyrchtet, ich wolle von meiner Alcimna ihm reden. Gœtter! Ich weiss nicht, was ich von allem denken soll. Was kann es ihm zuwieder seyn, dass ich das beste Mædchen im ganzen Land liebe? denn jeder, er selbst, gestehet ihr den Vorzug vor allen zu. Das macht mir bang, recht bang. Aber wo ist sie? Sie kœmmt noch nicht. Hier an diesen Baum von so glatter Rinde will ich ihren Namen schneiden. Er langt ein Messer aus seiner Hirten- Tasche. Du sollst ihren Namen tragen, und den meinen; dann wachse hoch auf; dich soll kein Beil verlezen; dieser Baum ist der Liebe heilig, wird, der vorybergeht, sagen. Da er anfængt in die[11] Rinde schneiden, kœmmt Alcimna, leise hinter ihn gehypft; sie dekt ihm die Augen mit beyden Hænden.

ALCIMNA.
Wer bin ich?
EVANDER.
O Alcimna! O Geliebte!
ALCIMNA.
Du triegst dich.
EVANDER.
Nein, ich triege mich nicht; wo bliebst du so lange?
ALCIMNA.
Wenn du dich nicht triegest, so kysse mich. Sie læsst ihn; und sie kyssen sich.
ALCIMNA.

O! wenn er mich nur nicht bis hieher verfolgt; mich hielte Milon, der Ziegen-Hirt auf. Wie sehr ist seine Liebe mir zur Last!

[12]
EVANDER.
Gœtter! da ist er.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Milon, die vorigen.

MILON.

O das dacht ich, du werdest Evandern hier finden. Evander gewinnt in allem, im Ringen, im Wett-Lauf, im Singen, und bey den Mædchen. Evander! du hast schon manch schœnes Lamm gewonnen.

ALCIMNA.
Das wissen wir ja schon.
MILON.
Ich muss des einfæltigen Battus lachen, dass er mit dir, dort bey der alten Eiche – –
ALCIMNA.
Daryber haben wir schon lange ausgelacht. Aber – – was willst du denn hier?
[13]
MILON.
O sey doch freundlich! Ein guter Blik von dir, ist – – –
ALCIMNA
læchelt ihn spœttisch an.
Da hast du ihn; izt geh – – –
MILON.

So spœttisch! Lass mich dir nicht so unwerth seyn; ich muss dir ein Lied singen, das ich heute fryh – – –

ALCIMNA.
Wenn ichs aber nicht hœren will.
MILON.
So sing ichs doch.
ALCIMNA.
So halt ich die Hænde vor die Ohren.
MILON.

Du magst kœnnen was du willst, Evander, so kannst du mich doch im Flœten nicht ybertreffen; ich habe eine hier; diese [14] da; ich hab sie erst vorgestern geschnitten; die tœnt fyrtreflich; ich habe schon zwo Ziegen darmit im wetten gewonnen; und ich will dich gewiss ybertreffen; da hœre – – –

EVANDER.
Ich glaub es, so lang ichs nicht hœre.
MILON.
O! ich wette die beste Ziege.
ALCIMNA.

Und ich die ganze Herde, dass du der beschwerlichste Mensch bist im ganzen Land; wirst du denn ewig schwazen? Du bist wie ein Ast voll Dœrne, der sich dem Vorybergehenden anhængt; du schleppst dich immer mit.

MILON.
Ich glaube bald, ihr wollt allein seyn.
EVANDER.
Du hasts langsam errathen.
[15]
MILON.

So geh ich. Er geht ab, und kœmmt wieder. Nun, ich habe noch was rechtes vergessen; ich muss euch was erzehlen: Gestern, die Sonne war schon im Meer, da gieng ich am Ufer, und – – –

ALCIMNA.
Ists noch nicht zu Ende?
MILON.

Zu End, eh' ich angefangen habe. Nun da ich am Gestad war, da sah ich Asphalion, den Fischer; er hieng eben sein Neze auf, der sprach, er habe vor Sonnen-Untergang fynf grosse Schiffe auf dem hohen Meer gesehen, und er glaube, sie werden an unserm Ufer landen, wenns nur nicht – – –

ALCIMNA.
Aber – – – – sie mœgen immer an unserm Ufer landen. Du vergissest ja immer zu gehen.
[16]
MILON.
So seyd denn allein. Er geht.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Evander, Alcimna.

ALCIMNA.

Ist er auch gewiss weg, der Schwazhafte? Sie sieht sich um. Ja; und sollt er auch hinter jenem Gebysche noch horchen, was hinderts mich, mein Geliebter! dir's zu sagen, dass nach deiner Gegenwart mich mehr verlangt hat, als die Zeisig zu ihren Jungen zurykverlangt, wenn ein muthwilliger Knab auf dem Felde sie fieng; er mag ihr liebkosen wie er will, so sizt sie traurig da, und lauert wie sie entwischen kœnne; sie flieht mit nicht begierigerer Eile ihren Jungen zu, als ich dir zuflog, da Milon mich aufsieng, und ich ihm entwischte.

[17]
EVANDER.

O meine Geliebte! wie bin ich beglykt, dass du so mich liebst! Als ich hieher gieng, an jenem Rosen-Zaun vorbey, siehe, da fand ich diese Rosen, so neben einander gewachsen, und Brust an Brust zugleich aufgeblyhet. Vereint streuen sie die syssen Geryche umher, vereint werden sie verwelken. Pflanze, meine Geliebte! pflanze dies Bild unsrer Liebe vor deinen Busen.

ALCIMNA.

Ja, ich pflanze sie vor meinen Busen; sieh! wie schœn sie stehen. So blyheten wir neben einander auf.

EVANDER.
So vereint wollen wir unsre Stunden leben; sie werden lieblich seyn wie Rosen-Geryche.
ALCIMNA.
So werden wir neben einander verblyhen. [18] Aber sag mir: Hast du mich lang erwartet?
EVANDER.
Nein; aber mir ist, wenn ich dich nicht sehe, jede Minute viel zu lang.
ALCIMNA.

Ich war recht erschroken, als ich, da ich dort bey jenen Buchen voryber hypfte, den Milon fand; er war mir so werth, wie die Hummeln den Bienen sind. Er stand da mitten im Weg. Jedes Mædchen, sprach er, das diese Strasse gehen will, muss mir hier einen Kuss geben; so lass mich doch gehen, sprach ich unwillig; aber er hætte mich bis izt nicht gehen lassen; sieh, sprach ich da, wem gehœrt wol jene weisse Kuh, die dort im Sumpf wattet, die hat sich gewiss verirrt; und da er hinsah, da hypft ich hinter ihm weg; und ich war schon weit, noch eh [19] er den Betrug gemerkt hat; und da lief der beschwerliche Mensch mir nach. Aber du stehest so tiefsinnig da.

EVANDER.
Ich?
ALCIMNA.

Ja du, du staunest, als hættest du was zu sagen, das du nicht gerne sagen willst. Mache mich nicht unruhig.

EVANDER.
Ich – – – Ich weiss nicht, ob ichs sagen soll.
ALCIMNA.
Ich werde unruhiger seyn, wenn ichs nicht weiss.
EVANDER.

Mich machen die Zœgerungen, die mein Vater immer den sehnlichsten Wynschen unsrer Liebe giebt, unruhig. Es scheint, als wich er es aus, mich allein zu [20] sehen; und wenn er mir nicht entwischen kann, und ich ihm von unsrer Liebe rede, dann scheint er bestyrzt, und antwortet mit abgebrochenen Reden.

ALCIMNA.
Mir ist bange; meine Mutter machts eben so.
EVANDER.

Heute hat er von den Erstlingen der fynf Bæume, die er gepflanzt hat, da ich den ersten Fryhling erlebte, den Gœttern geopfert; ich kam von ungefehr dahin, wo er opferte, und, um seine Andacht nicht zu stœren, blieb ich im Gebysche stehen, und da hoert' ich ihn so zu den Gœttern betten: Ihr gutthætigen Gœtter! Hœret mein Gebett, und nehmet dies mein Opfer gnædig an. Seyd gnædig meinem Sohn, und lasst die wunderbaren Schiksale, die auf ihn warten, glyklich [21] seyn! Er bettete noch mehr; aber ein Wind machte die Blætter des Gebysches rauschen; und da verstand ich nicht mehr.

ALCIMNA.
Ich erstaune; wie sehr wynsch ich, dass die Gœtter sein Gebett erhœren.
EVANDER.

Was auch fyr Schiksale auf mich warten; die Gœtter geben, dass es gute sind! so wird deine Liebe allein mich zum Glyklichsten machen.

ALCIMNA.

O mein Geliebter! Lass traurige Gedanken uns nicht unruhig machen; lass uns ein Unglyk nicht trybe Stunden machen, dass vielleicht nimmer kommen wird. Ermuntre dich, lache mich an; Hœre, wir wollen das Lied singen, das wir so gegen einander singen.

EVANDER.
Bey dir vergess ich jeden Gram, Fang[22] an; du singest zuerst.
ALCIMNA.
Nun ich fang an:
Was bin ich, mein Geliebter!
Was ohne dich?
Was ohne Thau und Sonne
Die Blythen sind.

Sie trauern da, und sterben,
Der Fryhling traurt;
Und Munterkeit und Freude
Fliehn von der Trift.
EVANDER.
Mir ist, mir ist die Liebe
In deinem Arm,
Was Morgen-Thau und Sonne
Den Blythen sind.

Sie schmyken jede Staude,
Der Fryhling lacht;
Und Munterkeit und Freude
Umhypft die Trift.

[23] Beyde.

Ich will dich ewig lieben,
Das schwœr' ich bey den Fluren,
Beym heilg'en Hain!
Hœrt Nymphen, hœrt die Schwyre!
Ich schwœr' es bey den Fluren
Beym heil'gen Hain!
ALCIMNA.
Wie wenn der œde Winter
Mit Frost und Schnee
Die kleine Biene traurig
Zur Zelle jagt;

Wie sie da sizt und trauert
Den Winter durch;
So traur' ich, bist du ferne,
Die Stunden durch.
EVANDER.
Wie wenn zur traur'gen Zelle
Die Sonne stralt,
Und dann, erwacht, die Biene
Zur Oefnung eilt;

[24] Wie sie des Fryhlings Wonne
Entzyket sieht,
So, seh' ich deine Wonne,
Bin ich entzykt.

Beyde.

Dich will ich ewig lieben,
Das schwœr ich bey den Fluren,
Beym heil'gen Hain!
Hœrt Nymphen, hœrt die Schwyre!
Ich schwœr' es bey den Fluren
Beym heil'gen Hain!
5. Auftritt
Fynfter Auftritt.
Milon, die vorigen.

MILON.
Ihr habt das Lied fyrtreflich gesungen.
ALCIMNA.
Wie! Du bist schon wieder da? Oder du bist niemals weggewesen? Das wær artig.
[25]
MILON.
Ja, ich bin weggewesen; nur hab ich das lezte Styk euers Lieds noch gehœrt.
ALCIMNA.
Aber was willst du denn, Ungestymer?
MILON.

Ich komm aus Liebe zu dir zuryk; ihr finget da, und sagt euch tausend Sachen, und merket nichts von allem, was um euch her geschieht; hœrtet ihr denn dies Gewimmel nicht?

EVANDER.
Was denn?
MILON.
Die Schiffe, von denen Asphalion sagte, haben wirklich gelandet.
ALCIMNA.
Nun; und was geht uns das an?
MILON.
Nichts, wenn ihr meiner nur spotten wollt.
[26]
EVANDER.
So sag nur.
MILON.
Ich habe nichts zu sagen.
ALCIMNA.
Du bist empfindlich; so sag nur.
MILON.

Sie sind ans Ufer gestiegen; und gerade neben diesem Gebysch, dort unter den Linden- Bæumen, schlagen sie Gezelte auf. Ich wollt's euch sagen, damit ihr nicht yberfallen werdet; wer weiss was sie hier wollen; ihr werdet hier nicht sicher seyn.

ALCIMNA.
Deine Sorgfalt ist gut, Milon! wahrhaftig ich bin ganz erschroken. Lass uns gehen.
[27]

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
In der Entfernung sieht man Zelten unter den Bæumen.
Pyrhus, Arates.

PYRHUS.

Wie sehr bin ich ungedultig, meinen Sohn zu sehen. Die Jahre der Gefahr sind nun vorbey. Achtzehn Jahre, so befahl das Orakel, soll ich ihn unbekannt bey den Hirten lassen. Und dies ist nun der achtzehnde Fryhling, seit dem ich ihn versandt habe; ein junges Kind, schœn, wie man die Liebes- Gœtter mahlt. Ich hoffe, an ihm einen Sohn zu finden, der die sanften Eindryke von Tugend und Billigkeit unverderbt behalten hat.

ARATES.

Ich selbst bin ungedultig, unsern Prinzen[28] zu sehen. Wie sehr sind wir glyklich, wenn wir beyde unsre Kinder in erwynschtem Zustand finden! Ich habe, du weist es, auf Eingeben eines Traumes, meine Tochter in diese Gegenden gebracht; es ist nun sechszehn Jahre. Da ich, ehe ich mit dir zu Schiffe gieng, meinen Haus-Gœttern opferte, da gaben sie mir ein zweytes Gesicht, das meinem Hause Freude vorher verkyndigt.

PYRHUS.

Die Gœtter geben, dass alles beglykt sey! Zwar vielleicht wird er ungern diese Ruhe in dem Schoosse der einfæltigen Natur, und diese stillen Schatten verlassen. Die Eindryke, die diese Anmuths-volle Gegend auf mich macht, sind so lieblich, dass es scheint, meine Seele empfind es, dass der Aufenthalt bey der einfæltigen schœnen Natur unserm Wesen der angemessenste [29] und zutræglichste sey; sie empfindet hier dasjenige, was man empfindet, wenn man nach langer beschwerlicher Entfernung den væterlichen Boden wieder findet.

ARATES.

In der That, unsre Lebens-Art ist so sehr von der ersten Einfalt unterschieden, und hat so viel fremdes an sich genommen, dass es wunderbare Eindryke auf den machen muss, der mit einmal in dieselbe hineingefyhrt wird, und nicht von seiner ersten Jugend an, jene edle Einfalt verkennen gelernt hat.

PYRHUS.

Es ist nun schon eine Stunde, dass ich ihn erwarte; dort kœmmt jemand durchs Gebysche, ein schœner Jungling; so schœn, dass in mir der Wunsch entsteht, dass der mein Sohn seyn mœchte. Er kœmmt gerade auf uns zu.

[30]
2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Evander, die vorigen.

EVANDER.
Seyd mir gegrysst, meine Herren!
PYRHUS.
Sey uns gegrysst, junger Hirt! Fyhret dich Neugierde oder Geschæste zu uns?
EVANDER.

Ja nun; es ist uns immer etwas wunderbares, Leuthe aus den Stædten zu sehen. Aber sagt mir, ihr Herren, seyd ihr nicht mit dem Fyrsten aus Zirta hieher gekommen, der gestern an unserm Ufer gelandet hat?

ARATES.
Ja.
PYRHUS.
Gewiss, du willst deine schlechre Lebens- Art verlassen, und mit uns nach der Stadt gehen?
[31]
EVANDER.

Ich? Ha! Ha! Das lass ich wol bleiben. Ich war als kleiner Knabe nur einmal in der Stadt, in Delphos. Ich war erstaunt yber alles, was ich da sah; aber ich mœchte doch unsre schœne Gegend nicht an die Stadt vertauschen, wo man so viele Straffen vorbey laufen muss, um in das freye Feld zu sehen.

PYRHUS.
Du bist einfæltig; du wirst dich leicht daran gewœhnen.
EVANDER.

Ich wyrde mich schwerlich daran gewœhnen, unter Leuthen zu wohnen, die ganz andre Sitten haben, als wir. Sie lachen yber uns Leuthe, die so einfæltig sind; aber wir sind doch immer eben so glyklich, wie sie; sie haben so viele Geschæfte, um es zu seyn; wir nicht; wir [32] sind zufrieden mit dem, was wir haben; wir arbeiten geruhig unser Feld, und pflegen unsre Herden, und das lohnen sie uns mit Ueberfluss. Sie heissen unsern Yberfluss zwar Armuth; aber sie sind wunderlich. Nein, in die Stadt mœchte ich wol nicht gern wieder gehen. Als ich da war, da stand ich da, und gafte die grossen Hæuser an, die gross sind wie Berge, und doch sind die Leuthe aus der Stadt meist kleiner, als wir sind; da lachten die Leuthe meiner, die bey mir vorybergiengen; noch mehr, wenn ich sie das und jenes fragte. Du junger Hirt, sagte einer, kannst du auch singen? Ja, sagt' ich, ich kann singen; und da hub ich mein bestes Lied an, dass es weit umher ertœnte; da sammelten sie sich um mich her, und spotteten meiner, und ich singe doch gut; das gestehen mir alle Hirten. Auch die Mædchens [33] da sind unfreundlich; wenn ich sie freundlich grysste, dann giengen sie bey mir voryber, als sæhen sie mich nicht; wie man bey einem Stein vorybergeht, der an der Straffe ligt; und sie sind doch lange nicht so gesund und schœn, wie unsre Mædchens sind.

PYRHUS.
Aber wenn du mich liebtest, wie ich dich liebe, dann wyrdest du mir gerne folgen.
EVANDER.

Ich liebte dich, so bald ich dich sah. Aber sollt ich meinen alten Vater, den ich auch liebe, hylflos zuryklassen, und mit dir nach der Stadt gehn? Mein Vater hat mit zærtlicher Sorgfalt meine Jugend gepflegt, sollt ich nicht mit dankbarer Sorgfalt sein Alter pflegen. Bleibet ihr bey uns, ihr Herren, ihr sollt das Beste [34] haben, das unsre Bæume und unsre Herde geben. Aber ihr machet mich so vieles schwazen, und indess sagt ihr mir nicht, wo ich den Fyrsten finde.

ARATES.
Aber sag uns: Was sind deine Geschæfte?
EVANDER.

Mein Vater sendet mich zu ihm, ich soll ihm diese Frychte bringen; ich musste sie von den Bæumen brechen, die er vor achtzehn Jahren gepflanzt hat; in dem Fryhling, sagt' er, da ich ein Jahr alt war. Sie sind reif, und syss wie Honig. Wo werd ich ihn finden?

PYRHUS.

Gœtter! So alt ist mein Sohn! Sein Pfleg- Vater mysste die Bæume gepflanzt haben in eben dem Fryhling, da ihm das Kind ybergeben ward. Arates! ô wenn er es selbst wære!

[35]
ARATES.
Deine Muthmassung hat Wahrscheinlichkeit. Welch andrer Hirt sollte dir Frychte senden?
EVANDER.

Aber sagt mir doch endlich einmal, wo ich den Fyrsten finde. Ich muss gehen, ich habe noch vieles zu thun bey der Herde und im Baum- Garten, und mein Mædchen erwartet mich am Bach.

PYRHUS.
So wisse denn, Jyngling! dass ich es bin, den du suchest.
EVANDER.
Du bist der Fyrst aus Krissa?
PYRHUS.
Ja, ich bin es selbst; aber wo ist dein Vater, und wie heisst er?
EVANDER.
Mein Vater wohnt dort hinterm Hain, und heisst Lamon.
[36]
PYRHUS
zum Arates.
O mein Freund! Ich kann mich kaum enthalten, ihn zu umarmen. Auch der Name seines Vaters trift ein.
ARATES.
Bald zweifle ich selbst nicht mehr.
EVANDER.
Ha! Da kœmmt mein Vater selbst.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Lamon, ein Bedienter des Pyrhus, die vorigen.

BEDIENTER
zum Pyrhus.
Mein Herr! Das ist der Mann, dem vor achtzehn Jahren dein Sohn anvertraut worden.
PYRHUS.
So seyd ihr es, mein Freund! dem vor achtzehn Jahren ein junges Kind ybergeben worden?
[37]
LAMON.

Ja, mein Herr! Ich bins; und dieser Jyngling ist es, der euch die Frychte yberbracht hat. Sie sind von den Bæumen, die ich in dem Fryhling gepflanzt habe, da mir das Kind ybergeben ward; und das ist die verschlossene Schrift, die man mir mit ihm ybergab.

EVANDER.
Gœtter! Was hœr ich?
PYRHUS.

Es ist untryglich wahr, umarme mich, du bist mein Sohn! umarme deinen glyklichen Vater.Sie umarmen sich.

EVANDER.
Sey mir gesegnet, mein Vater!
PYRHUS.

Ja, ich bin dein Vater! auf Befehl der Gœtter hab ich dich, als kleines Kind, aus meinen væterlichen Armen versandt, und diesem Mann deine zarte Jugend vertraut.

[38]
EVANDER
zum Lamon.

Und, du bist mein Vater nicht! O! Ich werde dennoch Vater dich nennen, dich, der mich so zærtlich geliebt hat.

PYRHUS.

Habt Dank ihr Gœtter! dass ihr meinen Sohn so gnædig erhalten, so gytig mir wieder geschenkt habt! Du mein Freund, wie werd ich deine zærtliche Sorge fyr ihn dir belohnen kœnnen?

LAMON.

Den Gœttern seys gedankt, die alles so zum Glyke leiten; meine Sorge fyr ihn wird mir belohnt seyn, wenn er mich immer liebt, und wenn er glyklich ist. Ich bedarf nichts von allem, das du mir geben kœnntest.

PYRHUS.

Glykliche Leuthe, die so wenig bedœrfen! Aber, Arates! ich will meine Freude [39] nicht zu lange geniessen, ohne dafyr den Gœttern zu danken; lass uns eilen, ihnen ein Opfer zu bereiten. Du mein Sohn! bald, bald werd ich dich wieder sehn; bleibe hier; mein begieriges Gefolge wird kommen, ihren gefundenen Prinzen zu sehn.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Evander, ein junger Herr.

EVANDER.

Gœtter! Das ist wunderbar, ich weiss nicht, ob ich wache oder træume, ich bin ganz verwirrt. Am liebsten mœcht ich wol zu meiner Alcimna gehn, und ihr sagen, was mit mir vorgegangen ist. Allein, ha! da kœmmt schon jemand. Wer ist der, der so zu mir herhypft?

JUNGER HERR.
Erlaube, mein Prinz! mit dem feurigsten [40] Eifer dir meine Freude zu bezeugen.
EVANDER.
Was freut dich so sehr, mein Freund?
JUNGER HERR.

Dass endlich der strenge Wille des Orakels erfyllt ist, und du aus der niedrigen, gleichfœrmigen, ekelhaften Lebens-Art erlœsst wirst, in der du durch ein zu strenges Schiksal deine erste Jugend verlohren hast.

EVANDER.

Den Gœttern seys gedankt, die es so gefygt haben. Ich werde die Anmuth meiner jugendlichen Tage nimmer vergessen. Diese angenehmen Geschæfte! Dieso unschuldigen Freuden!

JUNGER HERR.

Unschuldige Freuden! Ha! Ha! Ha! O Prinz! du weist noch nicht was Freuden sind. Komm in die feinere Welt, da wirst [41] du sie finden. O! ich wyrd es den Gœttern nicht danken, wenn sie mich so zu den Hirten verweisen wollten.

EVANDER.
Der Aufenthalt in diesen angenehmen Gegenden ist dir also sehr veræchtlich.
JUNGER HERR.
In ausgesuchter Gesellschaft mag es da wol angehen!
EVANDER.
Die schœne abwechselnde Natur macht dir also keine Freude.
JUNGER HERR.
Die mœgen angenehm seyn, wenn man keine bessern kennt.
EVANDER.

Wenn das Morgen-Roth die schœne Gegend erhellet, und dann jede Pflanze, jeder Vogel neues Leben gewinnt, da empfindest du keine Freude?

[42]
JUNGER HERR.
O das Morgen-Roth! das hab ich noch niemals gesehen.
EVANDER.
Dich wird kein Hirt um deine Freuden beneiden.
JUNGER HERR.
Das glaub ich wol, sie sind fyr die feinen Freuden nicht gemacht.
EVANDER.
Aber sag mir noch: Wer bist du?
JUNGER HERR.
Ich bin ein junger Herr vom Hofe.
EVANDER.
Und was sind deine Geschæfte da?
JUNGER HERR
fyr sich.

Ich glaube, er meynt, man mysse wenigstens hinterm Pflug gehn. Zu Evandern. Meine Geschæfte! sind præchtige Kleider, Gastereyen, Danzen, [43] Erfindung neuer Freuden, bestændige Besuche bey unsern Schœnen, – – –

EVANDER.
Sonst nichts?
JUNGER HERR.
Sonst nichts, Gœtter! Was sollt ich auch sonst zu thun haben?
EVANDER.

Wir hier. Wir sind einfæltig; wir heissen Geschæfte, das, womit wir uns oder andern nuzen; und auch diese geben uns Zufriedenheit und Freude; wir lieben die nyzliche Biene mehr, als den Schmetterling; er mag auch noch so schœn gepuzt seyn.

JUNGER HERR
fyr sich.

Gœtter! wie niedrig denkt unser Prinz! wie riecht er nach der Herde! Zu Evandern. Leuthe von niedrerer Art mœgen sich ihr Leben immer sauer werden lassen; wir Leuthe von Stand geniessen [44] unser Leben. Bestændige Abwechslungen lassen dergleichen schwer-fælligen Betrachtungen keinen Zutritt. Es mœgen sich andre bey den œffentlichen Spielen ihre Glieder verrenken, und auf der Renn-Bahn ihr Leben wilden Pferden anvertrauen; Leuthe von meiner Lebens-Art lieben ihren Leib mehr. Wir haben das Vorrecht, dass unser Leben ein angenehmes Myssig-seyn ist. Wir flattern von einer Freude zur andern, und von einer Schœnen zur andern. Ich habe unsre Schœnen schon alle in meinem Neze gehabt, und keine hat mich treu behalten kœnnen.

EVANDER.
So myssen sie alle hæsslich, oder du must so unempfindlich seyn, wie die Pflanzen im Winter.
JUNGER HERR.

Nichts weniger als das. Sie sind schœn [45] wie die Gratien, und ich, ich bin zu empfindlich fyr alle Reize, als dass ich ein Mædchen allein lieben kœnnte. Diese Treue ist in der feinen Welt ein læcherlich Ding; immer fyr das gleiche Mædchen zu seufzen – – Ha! Ha! Ha! Ich war vor verschiedenen Jahren einmal so verliebt, aber ich weiss izt diese læcherliche Leidenschaft zu yberwinden. Das Mædchen war auch schœn wie die Venus. Beym Jupiter! ich habe sie auch ein ganzes Jahr lang geliebet. Ha! Ha! Ha!

EVANDER.

O einfæltiger Mensch! Wisse dich immer gross mit deiner Kunst, das beste Glyk, das die Gœtter uns gewæhren, aus deinem Herzen zu verbannen, und dich selbst um die besten Freuden zu betriegen. Du kœnntest dich eben so leicht bereden, die sysse Birne sey bitter, die Rose gebe widrige Geryche.

[46]
JUNGER HERR.

Du wirst, mein Prinz! diese wunderliche Denk-Art bald selbst læcherlich finden, die eine so niedrige Erziehung dir gab.

EVANDER.
Das wollen die Gœtter verhyten! Eh wird der Apfel-Baum zum unnyzen Dorn-Gebysch werden.
JUNGER HERR.
Ich muss gehen, mein Prinz! lass mich dir empfohlen seyn.
EVANDER.
Du magst immer gehen; deine Reden gefallen mir nicht.
JUNGER HERR
indem er weggeht.
O Gœtter! Wie er læcherlich ist! wie einfæltig! Schade, dass man ihn der Herd entzieht!
[47]
5. Auftritt
Fynfter Auftritt.
Evander, ein Officier von der Leibwache des Fyrsten.

EVANDER.

Ist dieser læcherliche Mensch weg? Ich will diesen da fragen wer es ist, der so bewafnet dahergeht. Wer bist du, mein Freund! mit so fyrchterlichem Aussehen? Was soll der Speer in deiner Hand, und was ist das an deiner Seite?

OFFICIER.
Mein Schwerdt, Prinz!
EVANDER.

Aber wozu schleppest du so fyrchterliches Geræthe bey dir, in der Zeit der Freude? Ich wyrde des Mannes lachen, der den ganzen ruhigen Winter alles sein Geræthe herumschleppen wollte, das er im Sommer seinen Garten und sein Feld zu bauen braucht.

[48]
OFFICIER.
Ich bin der erste von der Leibwache des Fyrsten, deines Vaters.
EVANDER.
Sind denn viele so, und immer mit solchem Geræthe versehen?
OFFICIER.

Ja, es sind viele, und immer mit solchem Geræthe versehen. Ha! Ha! – – – Du must mir verzeihen, ich muss lachen.

EVANDER.
Ihr mysst also in einem wilden gefæhrlichen Land wohnen.
OFFICIER.
Warum, mein Prinz?
EVANDER.

Darum, weil ihr immer so auf eurer Hut seyn mysst. Ihr werdet viel Wœlfe und andre reissende Thiere da haben; bey uns haben wir diese Sorgfalt nicht nœthig, [49] es ist nur selten, dass sie unsre Herden beschædigen; so ein Land ist fyr die Herden nicht gut.

OFFICIER.
Wir leben in einem Land, wo man dergleichen Thiere nur dem Namen nach kennt.
EVANDER.
Ihr seyt also sehr sorgfæltig, dass ihr so ohne Noth euern Fyrsten bewachet.
OFFICIER.

Ja, das ist auch nicht ohne Noth, Prinz! Es hat schon mancher Fyrst durch sein eigen Volk sein Leben verlohren. Wir myssen das Volk in Furcht behalten, dass es nicht in allgemeinem Aufruhr gegen seinen Fyrsten aufsteht.

EVANDER.

Aber das muss ein bœses Volk seyn, bey dem ich nicht leben mœchte. Ists nicht so, wie wenn man den Vater gegen seine [50] eigenen Kinder schyzen mysste? Oder giebt es vielleicht so bœse Fyrsten, dass sie ihr Volk zu solchem Zorn aufreizen?

OFFICIER.

Freylich; und was hat das Volk auch da zu sagen? Es sind viele Fyrsten, die keine andern Geseze, als ihren eigenen Willen und ihre Leidenschaften haben; die mit dem Volk und mit seinem Vermœgen so umgehen, dass es endlich, zur Raserey gebracht, frech genug ist, seinen Fyrsten umzubringen.

EVANDER.

O Gœtter! In was fyr ein Land wollt ihr mich fyhren! Und ihr seyd also diejenigen, die, wenn ein Fyrst bœse ist, das geplagte Volk in Furcht erhalten. Mir schauert; ich versteh die abscheuliche Sache nicht. Es ist also, wie wenn ein wytender Wolf unsre Herden wyrde anfallen, [51] und es wæren Leuthe da, die sich anmassten, diejenigen abzuhalten, die das ihrige retten wollten. Aber mein Vater wird euch doch nicht darum bey sich haben.

OFFICIER.

Nein; aber wir sind auch nicht allein darum da. Wenn ein Fyrst sein Land erweitern will, dann ziehen wir in das benachbarte Land; dann kommen eben so viele oder noch mehr eben so bewafnete Mænner; man steht in guter Ordnung gegen einander, und schlægt tod, so viel man kann; wer am tapfersten gewesen ist – –

EVANDER.
Um Erlaubniss: Wer sind die tapfersten? Wen nennt ihr so?
OFFICIER
fyr sich.

Gœtter! Ich muss lachen; ich muss wie mit einem Kind mit ihm reden; er weiss auch gar nicht, was gross [52] und herrlich ist. Zum Prinz. Wer am meisten Feinde getœdet hat; wer am meisten dem Feind hat Abbruch thun kœnnen, dessen Bild wird dann zum ryhmlichen Denkmal in Erz gegossen, oder in Marmor gehauen.

EVANDER.

Das ist abscheulich. O! ich mag weiter nichts wissen; mir schauert nur eins noch; mein Vater ist doch so grausam nicht.

OFFICIER.

Nein, er ist kein kriegerischer Fyrst; unter ihm ist bey unserm Ehren-vollen Stand wenig Ruhm zu gewinnen.

EVANDER.

Und du beklagst es noch? O Gœtter! Ruhm und Ehre erlangt man, wenn man beleidigte Menschen erwyrgt; bey uns wyrde man denjenigen verabscheuen, der [53] seinen Nachbar auf seinem Feld yberfiele, um das fyr sich zu haben; und das ist doch gegen jenem ein kleines.

OFFICIER.
Ja, im Kleinen geht das auch nicht an; so einer muss ohne Gnade aufgehangen werden.
EVANDER.

O ich verlasse dich! was du mir da sagst, erfyllt mich mit Abscheu; ich will niemand mehr fragen, niemand mehr sehen. Aber, Gœtter! da steht schon wieder ein andrer.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Evander, ein andrer vom Hofe.

Erlaube, gnædigster Prinz! Er wirst sich vor ihm auf die Erde.

EVANDER.
Das ist ein wunderlicher Mensch. Was[54] willst du? Suchest du was verlohrnes hier auf der Erde?
DER ANDRE.
Nein, mein Prinz! erlaube mir diese Demythigung vor dir, und – – –
EVANDER.

Das ist wunderlich; so hat mein freundlicher Hund sich geberdet, wenn er mich lange nicht gesehen hat. Aber warum thust du das?

DER ANDRE.
Um deiner Huld mich zu empfehlen, und dir zu sagen, dass ich von deinen getreuesten Sclaven sey.
EVANDER.

Ein Sclave? ich habe Mitleiden mit dir; durch was fyr ein Unglyk bist du in dies Elend gerathen? Wie ich gehœrt habe, so ist das das elendeste Schiksal, in das die Menschen kommen kœnnen.

[55]
DER ANDRE.

Mein Prinz! Ich bin keiner von jenen elenden Sclaven, die durch Unglyk oder Verbrechen ihre Freyheit verlohren haben. Es ist meine eigene Wahl; aus Ehrfurcht fyr dich opfre ich meine Freyheit deinem gnædigen Willen auf; ich werde nur glyklich seyn, wenn – – –

EVANDER.

Was ich aus deinen wunderlichen Reden verstehe, so dynkts mich, du seyest ein veræchtlicher Narr. Was das fyr Leuthe sind! Ich bin ganz verwirrt; ich wynsche, dass das alles ein Traum sey! Da ist einer von ehrwyrdigerm Ansehen; ô sage mir, Freund! ob ich wache oder træume? Ehrwyrdiger Mann! An dir werd ich doch einen vernynftigen Menschen finden.

[56]
7. Auftritt
Siebender Auftritt.
Evander, ein Gelehrter.

GELEHRTER.

Du betriegest dich nicht, Prinz! Bey mir findesft du den Schlyssel zu jeder Wissenschaft. Wer sich meines Unterrichts bedient, der wird gelehrt und ehrenwerther als ein Kœnig seyn.

EVANDER.

Wie sehr befreu ich mich, dich gefunden zu haben! Du kennest also auch die Wissenschaft, wie man das Feld bauen soll, und die Pflege der Pflanzen?

GELEHRTER.
Nein.
EVANDER.
Wie die Herden sollen gewartet, und ihre Krankheiten geheilet werden?
GELEHRTER.
Auch das nicht.
[57]
EVANDER.
Du kennest also auch nicht die heilsame Wirkung der Kræuter?
GELEHRTER.
Nein.
EVANDER.

Vielleicht find die Musen dir besonders gewogen, und du dichtest schœne Gesænge, die das Gemyth der Menschen erquiken?

GELEHRTER.
Wie! Ich sollte ein Poët seyn? Gœtter! Das ist das læcherlichste Geschlecht unter den Menschen!
EVANDER.

Das ist wunderbar! So kennst du der Menschen Thun und Lassen, und was ihnen gut ist, wenn sie sollen glyklich seyn?

GELEHRTER.
Ich habe mich niemals mit Kleinigkeiten beschæftigt.
[58]
EVANDER.
Was weissest du denn, das besser ist, als dieses alles?
GELEHRTER.

Ich rechne den Sternen ihren Lauf aus; ich kenne Sprachen, die entfernte Nationen reden; ich habe berechnet, wie viele Sandkœrner auf einer Meile Landes ligen; und habe erst vor kurzem noch einen neuen Flek im Mond entdekt, den Endymion selbst nicht gekannt hat.

EVANDER.

O ihr Gœtter! Nun will ich entfliehen! O lasst mich! lasst mich! Ich werde mich Tage lang nicht wieder von meiner Verwirrung erholen.

[59]

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Chloe, Alcimna, ein Bedienter des Arates.

ALCIMNA.
Sieh, Mutter! da sind die Gezelte. Mir ist recht bang, zu solchen Leuthen zu gehn.
CHLOE.
Ja, da sind wir; fasse nur Muth; die Herren aus der Stadt sind freundlich mit den Mædchen.
ALCIMNA.
Eben darum.
BEDIENTER.
Bleibet nur hier; ich will zu meinem Herrn ins Gezelt gehn, und eure Ankunft melden.Er geht.
ALCIMNA.

Aber, mein Kranz steht doch recht? [60] Du liessest mir nicht einmal Zeit, einen frischen zu flechten, oder in der Quelle zu sehen, ob er gut steht. Die Herren werden sagen, ich sey – – –

CHLOE.

Ich muss lachen. Es ist doch den Mædchen wie angebohren, dass sie allem gefallen wollen, was nur Augen hat.

ALCIMNA.
Nun, ja, wenn ich nur meinem Hirten gefalle. Aber sag mir – – –
CHLOE.
Ja, mein Kind! er steht dir ganz gut.
ALCIMNA.
Aber, was haben wir auch hier zu thun, sag mir? Ich wollte, dass es schon geschehen wære.
CHLOE.

Du wirst hier Sachen vernehmen, die dich in Erstaunen sezen, mein liebes Kind! [61] Du wirst diese Gegenden und meine Hytte bald verlassen.

ALCIMNA.
O Gœtter! Das werd ich nicht, wie du mir bang machst!
CHLOE.
Du wirst mit diesen Herren nach der Stadt gehen, mein Kind!
ALCIMNA.

Das werd ich nicht. Lass mich fliehen, ich will an dem wildesten Ort mich vor diesen Leuthen verbergen; komm eh jemand kœmmt, oder ich entfliehe allein.

CHLOE.
So warte doch.
ALCIMNA.
Um der Gœtter willen! lass mich!
CHLOE.
So hœre doch, was ich dir zu sagen habe: Du wirst hier deinen wahren Vater finden.
[62]
ALCIMNA.
Wie? meinen Vater finden!
CHLOE.
Ja. Ich bin deine Mutter nicht, wenn ich dich gleich mehr liebe, als wenn du mein eigen Kind wærest.
ALCIMNA.
Und du kannst so grausam seyn, und das sagen!
CHLOE.

Ich bins nicht, mein Kind! Du bist von hohem Hause aus der Stadt. Es ist nun sechszehn Jahre, dass eben der Mann, der uns hieher fyhrte, dich zu mir gebracht hat, weil ein Traum es deinem Vater befohlen hat; izt ist er hier, um dich abzuholen.

ALCIMNA.

Gœtter! Wie sezest du mich in Erstaunen, ich bin ganz verwirrt; aber es muss wahr seyn; warum solltest du ein so wunderliches [63] Spiel mit mir haben? Wenn dies alles so ist, so must doch du und Evander mit nach der Stadt gehen. Nicht wahr, ihr gehet mit? Sonst werd ich nicht gehen! Gewiss nicht! Sieh! Dort kœmmt jemand aus jenem Gezelt, ein Herr in glænzendem Kleid. Wie er so freundlich ist! Mein Herz pocht. Wenn einer hier mein Vater seyn soll, so wynsch ich, dass es dieser sey.

2. Auftritt
Zweyter Auftritt.
Arates, Bedienter, zwo Aufwærterinnen, die vorigen.

ARATES
indem er aus dem Gezelt geht.

Du, mein Getreuer! sollst so wichtige Dienste nicht umsonst gethan haben. Es ist also gewiss das Weib, der du das Kind ybergabest.

[64]
BEDIENTER.

Ganz gewiss, mein Herr! Ich hætte noch ihre Gesichts-Zyge gekannt, wenn sie mir auch den Ring nicht mehr hætte aufweisen kœnnen, den ich dir ybergeben habe. Auch ist deine Tochter so liebenswyrdig, dass du sie gern dafyr erkennen wirst. Dort steht sie.

ARATES
geht auf sie zu.

Seyd mir gegrysst, o sey mir gegrysst, meine Tochter! bestes Geschenke der Gœtter! Umarme mich, geliebtes Kind!

ALCIMNA.
Du bist mein Vater! das sagt mir mein aufwallendes Herz.
ARATES.
Ich glyklicher Vater! O welche Freude!
ALCIMNA.
O mein Vater!
[65]
ARATES.

Den Gœttern seys gedankt, die alles so zum glyklichen Ende leiten! O geliebtes Weib! wie wol war deine Sorge angewandt!

CHLOE.
Mein Herr! Die Gœtter haben meine Myhe gesegnet; ich ybergebe dir die liebenswyrdigste Tochter.
ARATES.

O wie die Unschuld der Sitten und des Herzens so schœn ist! Weib! deine Sorge soll nicht unbelohnt bleiben. Noch einmal, umarme mich, geliebtes Kind!

ALCIMNA.
Ich umarme dich, geliebter Vater!
ARATES.

Chloe mag izt zu Hause ihre Geschæste besorgen, bis ich sie wieder rufen lasse; ich eile zum Fyrsten, ihm meine Freude zu sagen. Indess, mein Kind! bleibe du [66] bey diesen, die ich zu deiner Bedienung mitgenommen habe; ich werde dich bald in unserm Gezelt wieder finden.

CHLOE.
Lebe wol, meine Tochter! Ich werde dich immer so nennen. Ich will izt nach meiner Hytte gehen.
ALCIMNA.
Lebe wol, meine Mutter! Aber verlass mich nicht fyr lange. Nicht wahr, du kœmmst bald wieder zuryk?
CHLOE.
Ich werde nur meine wenigen Geschæfte besorgen – – –
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Alcimna, zwo Aufwærterinnen.

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Wie sind wir glyklich, dass wir es sind, die man zu deinen Diensten bestimmt hat!
[67]
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.
Ja wahrhaftig glyklich, wenn du uns mit deiner Gewogenheit ehrest.
ALCIMNA.

Ihr seyd sehr gutherzig, dass ihr mir so sehr gewogen seyd, da ihr mich doch nur den Augenblik zum ersten mahl sehet, ihr Jungfern!

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Wir sind ganz allein zu deinen Befehlen da; dazu hat dein gytiger Vater uns bestimmt.
ALCIMNA.

Aber wenn ich auch alles ausdæchte, so wisst' ich doch izt nichts zu befehlen. Wie kann einer Person so viel fehlen, dass zwo nur dafyr bey ihr seyn myssen, um ihr zu gehorchen; entweder myssen die gar nichts zu thun haben, als sie anzugaffen, oder die andre muss sehr unruhig und wunderlich seyn.

[68]
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Ein vornehmes Frauenzimmer muss sich niemals als nur mit Artigkeiten beschæftigen; das ybrige kœmmt immer uns zu. Dein Blik befiehlt, und wir fliegen; es giebt immer tausend Kleinigkeiten, die man zu befehlen hat.

ALCIMNA.

Das begreif ich nicht. Ich muss lachen; Das wære so, wie wenn ich ein Veilgen haben wollte, das ich neben mir blyhen sæhe, und statt es mit kleiner Myhe selbst zu brechen, mysst' es meine Gespielin thun.

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Ja so ists, und wenn das Veilgen auch noch so nahe wære.
ALCIMNA.
So unverschæmt und so træge kann ich nimmer seyn.
[69]
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Erlaube, dass ichs dir sage; du must die einfæltigen Sitten an die Sitten der Hœfe vertauschen. Ein Frauenzimmer von Stande muss seinem Stande gemæss leben. Fyrhin werden wir dich nimmer verlassen, um dir Lehren zu geben.

ALCIMNA.

Aber – – – mir deucht die einfæltigen. Sitten, so wie wir sie hier haben, sind darum bequemer und darum auch besser, weil sie sich von selbst geben, und nicht so myhsam myssen gelernt werden, wie wenn man einen Vogel einen fremden Gesang lehren will. Sagt mir noch was von den Sitten der Stadt; ich fyrcht, ich fyrcht, sie werden mir sehr beschwerlich seyn.

ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Am Morgen, wenn du erwachest, und das ist, wenn der Mittag kœmmt; ein [70] Frauenzimmer von Stande erwacht nicht mit den Handwerks-Leuthen – – –

ALCIMNA.

Wenn der Mittag kœmmt? Ich sollte also den muntern Morgen-Gesang der Vœgel nicht mehr hœren, und die Sonne nicht mehr aufgehen sehn; das wære mir artig.

ERSTE AUFWÆRTERIN.
O! Das sind Kleinigkeiten, yber die vornehme Leuthe lachen.
ALCIMNA.

Das ist nærrisch geredet, ihr Jungfern! Das wird mir eine artige Lebens-Art seyn, wenn sie sich schon so schœn anfængt. Nun weiters.

ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Darnach werden wir beyde da seyn, und dich ankleiden; und das muss Anstands halber mehr als eine Stunde dauern; und[71] du wendest denn das ybrige des Vormittages an zum Ausbessern.

ALCIMNA.

So muss mir das eine wunderliche Kleidung seyn, wenn ich zwo Gehylfinnen haben muss, um in einer Stunde nicht fertig zu werden. So wie ich hier bin, bin ich doch so reinlich und so gut gekleidet, als irgend ein Mædchen auf dieser Trift; und ich habe mir doch alle Morgen in der Quelle mein Gesicht gewaschen, die Haare aufgebunden, und frisch aufgeblyhete Blumen vor den Busen und in die Haare gepflanzt; und doch war ich alle mal fertig, wenn die Sonne kam.

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Das steht den Mædchens vom Lande gut.
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Nach diesem wirst du Besuche annehmen; wenn du nach der Stadt kœmmst, [72] wirst du das Gespræch aller Gesellschaften seyn; die ganze Jugend des Hofes wird sich zudrængen, die neu Angekommene zusehen; man wird dir tausend Lustbarkeiten anbieten, Music, Tanz, Gastereyen, alles, alles was die Wollust erfinden kann.

ALCIMNA.

Nun, die Leuthe sind sehr gefællig; aber sie werden mir doch zur Last seyn, wenn ich immer soll was sie wollen, und nicht kann was ich will.

ERSTE AUFWÆRTERIN.

Deine Schœnheit wird eine Menge Liebhaber anloken; da, bemerke das, must du, gegen alle gefællig, keinen zu viel hoffen lassen; je mehr schmachtende Liebhaber ein Frauenzimmer hat, je beneidens-werther ist sie. Bedenke, wie schmeichelhaft das ist, wenn einer den andern an Wiz, Pracht und Eifer, dir Vergnygen [73] zu machen, zu ybertreffen sucht. Das sind fyr eine Schœne die beneidens-wyrdigsten Tage.

ALCIMNA.
O! Fyr mich werden sie es nicht seyn; nein, gewiss nicht!
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.

Warum? Das dynkt dich nicht angenehm; von allen jungen Herren angebettet, und von allen Schœnen beneidet zu seyn?

ALCIMNA.

Nein, das dynkt mich nichts weniger als angenehm; weil ich mich nicht verstellen kann, und mich nicht verstellen will; weil ich niemanden kan glauben lassen, ich sey ihm gewogen, dem ich doch nicht gewogen bin; und weil mir die schmachtenden Herren alle zur Last seyn werden, weil ich keinen andern lieben kan, als den ich wirklich liebe.

[74]
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.
Wie! Du liebest schon?
ALCIMNA.

Ja, ja, ich scheu mich nicht, es zu gestehen; einen Hirten lieb ich, den lieb ich ohne Verstellung yber alles, und er liebet mich auch yber alles. Er ist schœn wie die aufgehende Sonne, und angenehm wie der Fryhling. Wie er, singt kaum die Nachtigall – – –

ERSTE AUFWÆRTERIN.

Ha! Ha! Ha! Verzeihe, wir myssen lachen; verzeihe, gnædige Gebieterin! du wirst nicht lange in der Stadt seyn, um einen Hirten zu vergessen. Du wirst, ich wette, in kurzem yber dich selbst lachen, wenn du die muntre Jugend der Stadt erst gesehen hast, ihren Wiz, ihre Artigkeit. O wie leicht wird es dir seyn, einen einfæltigen Hirten zu vergessen! Ihm wird [75] der Verlusst nimmer ersezt werden; wie vird er in einfæltigen Tœnen den Bæumen seine Schmerzen klagen!

ALCIMNA.

Lachet nicht; ich beschwœr euch, eh ich ihn vergesse, werd ich mein selbst vergessen. Weg mit euern unertræglichen Artigkeiten! Ihn werd ich lieben, ihn allein; ja, du Geliebter! eh sollen diese Bæume verderben, ehe die Wiesen verdorren; eh soll dein erquikendes Licht verlœschen, du Sonne! eh ich ihm ungetreu werde. Ja, du Geliebter! ich schwœr es dir – – –

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Schwœre nicht; dein Vater wird nicht zugeben, dass du deine edle Geburt so verschmæhest.
ALCIMNA
zornig.

Was ist das: Edle Geburt? [76] Ist nicht jede ehrliche Geburt edel? O! ich versteh eure wizigen Lehren nicht, die so wenig natyrlich sind; und ich will sie auch nie verstehen. Mein Vater! ich weiss es, er ist billiger; er wird nicht wollen, dass ich verlasse was ich am meisten liebe, und liebe was ich hasse; mit Unwillen verlass ich euch, ihr stillen Schatten! angenehme Gegenden! angenehme, unschuldige Geschæfte! euch an jenes Gewimmel zu vertauschen; aber ich verlass euch, einem geliebten Vater zu folgen. Er wird mich hier nicht gesucht haben, um mich unglyklich zu machen; und das wyrd ich seyn, unaussprechlich mysst ichs seyn, wenn er von dir mich trennen wollte, den ich unendlich liebe. O! macht mir nicht bange, meine Freundinnen! Nicht wahr, er wirds nicht thun?

ZWEYTE AUFWÆRTERIN
bey Seite.

Sie wird nicht wollen mit [77] nach der Stadt gehen, wenn man ihr alle Hofnung raubt; sie ist zu sehr verliebt, das gute Kind! Zu Alcimna. Dein Vater war immer gytig; ich hoff es selbst.

ALCIMNA.

Ich hoff es nicht nur, ich glaub es; weñ ich ihn sehe, dann will ich mit Thrænen ihn umarmen, ich will so vest ihn umschlingen, wie das Epheu den Stamm umwindet; dann will ich ihn flehen und weinen, und gewiss – – – – Doch lasst mich gehn; mein Hirt wird recht ungedultig seyn, dass ich so lange nicht komme.

ERSTE AUFWÆRTERIN.
Aber erlaube; du wirst ihn izt noch nicht sehen kœnnen.
ALCIMNA.
Wie! Noch nicht sehen kœnnen?
ERSTE AUFWÆRTERIN.
Ja.
[78]
ALCIMNA.
O lasst mich doch! Warum sollt ich ihn nicht sehen kœnnen?
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.
Wir haben Befehl, dich in dein Gezelt zu fyhren, um dir deinem Stande geziemende Kleider anzuziehen.
ALCIMNA.
Aber das wird mich zu lange aufhalten; ihr mysst mir versprechen, dass es keine Stunde dauern soll.
ZWEYTE AUFWÆRTERIN.
Nur wenige Augenblike.
ALCIMNA.
Nun denn, geschwind! oder – – –
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
EVANDER
in fyrstlichem Kleid.

Wie sehr werd ich aller Orten aufgehalten; was das fyr ein unruhiges Gewimmel [79] ist! Wie lange ist es schon, dass ich meine Alcimna nicht gesehen habe! Schon ists Abend; und wer weiss, wie lange sie schon wieder an der Quelle mich erwartet hat; ich eilte zu spæt hin, und suchte sie umsonst da. Ich suchte sie in allen Schatten, die wir unsrer Liebe geheiligt haben, umsonst. Ach dass ich sie nicht finden kann! Weiss sie wol, was in der Zeit mit mir vorgegangen ist? Weiss sie es nicht? Wie sehr verlangt mich dann, ihr alles zu sagen; ihr zu sagen, dass ich nur allein durch sie glyklich seyn kann! Ja, Geliebte! nur durch dich; in deinem Arm will ich mich aus der so wunderbaren Verwirrung erholen. Zwar mein Vater weiss noch nicht, dass ich liebe; aber warum sollte er mich auch hindern, das schœnste, das beste Mædchen zu lieben? Das thut er nicht. Er wird die Schwyre nicht brechen, [80] die ich ihr an jedem Altar der Gœtter schwur; denn unter allen von fyrstlichem Hause Gebohrnen ist keine liebens- wyrdig wie sie. Ich will sie suchen; dann soll sie ihr festliches Kleid anziehen, das weiss ist wie Schnee, und einen frischen Kranz in die geflochtnen Haare winden; dann will ich sie vor meinen Vater fyhren, wills ihm sagen, wie oft ich vor den Gœttern ihr geschworen, dass ich sie immer lieben werde. Aber wird sie mir auch willig folgen; wird es ihr nicht schmerzlich seyn, diese stillen Schatten zu verlassen? doch sie liebet mich ja, und die Begierde dem Geliebten zu folgen, yberwindet jedes andre Verlangen. Izt will ich hingehn; wie wird sie erstaunen, mich in dieser Pracht zu sehen! Wie viel erfinden die Menschen? Was fyr Pracht hab ich in meines Vater Gezelt gesehen? Kœnnen, [81] die Menschen so viel bedœrfen? Wie wenig haben wir hier nœthig, und doch sind wir zufrieden; ich habe von dem allem nichts gemisst, und doch scheints diesen nothwendig zu seyn. Aber kann der auch glyklich seyn, dem so vieles nœthig ist? Bisher waren meine Kleider mir bequem und schœn, und ein Ziegen- Fell, ganz weiss oder schœn geflekt, stand schœn um meine Schultern aber diese da schmyken sich so bunt wie die Wiesen im Fryhling. Ich fyrcht, ich fyrcht, die Tage der Ruhe und der sanften Freude seyn bey mir vorybergegangen. Man ruft mich zu grossen Geschæften; die Gœtter mœgen mir beystehn! Wie ich sehe, so sind diese Menschen ganz anders beschaffen; sie suchen etwas, das sie Glyk und Freude heissen, auf wunderlichen Wegen; hier finden wirs, es ist bey uns, ohne dass wirs gesucht[82] haben. Ja, ihr stille Schatten, ihr sanft-rieselnde Quellen, liebliche Gegenden, in denen die Jahre meiner Jugend so sanft vorbeyflossen, euch verlass ich an ein Leben, das ich nicht kenne; ihr Herden, die ich mit wachsamer Sorge pflegte, euch verlass ich, um, wie sie sagen, einst yber zahlreichere Herden von Menschen zu herrschen, die ihr Glyk mir anvertrauen; das ist schœn, es in seiner Macht zu haben, so vieler Glyk zu besorgen; aber wird diese Last meinen Schultern nicht zu schwer seyn? O ihr angenehmsten Tage! Euch werd ich nimmer vergessen. So oft ein Fryhling zurykkœmmt, will ich diese Gegenden besuchen; und du, Alcimna, begleitest mich dann; dann wollen wir an jeder Stætte, die uns mit angenehmen Schatten gekyhlt hat, den Gœttern opfern. O Alcimna! ich eile, [83] izt eil ich in deinen Arm, bey dir erhollt sich mein vor Verwirrung pochendes Herz, bey dir – – –

5. Auftritt
Fynfter Auftritt.
Pyrhus, Evander.

PYRHUS.

Mein Sohn! Es ist so lange, seit ich dich gesehen habe; warum hast du so lange dich von mir entfernt?

EVANDER.
Ich besuchte noch einmal jede der stillen Gegenden, die ich izt verlassen muss.
PYRHUS.

So verlæssest du sie denn ungern? Sag mir: Haben diese Reichthymer, dieses Glyk, mit dem die Gœtter dich izt beschenkt haben, fyr dich keinen Reiz?

EVANDER.

Diese schimmernde Pracht sezt mich[84] zwar in Erstaunen; dein Gezelt glænzt fast so bunt, wie eine Thau-benezte blumigte Wiese an der Morgen-Sonne glænzt, doch so schœn ists nicht. Ich habe tausend Sachen gesehen, deren Namen und deren Gebrauch mir unbekannt sind. Aber sage mir, mein Vater: Wird ein Fyrst immer von so einer Menge verdriesslicher Leuthe umringt?

PYRHUS.
Wo Macht und Reichthymer sind, da versammeln sich immer Gute und Bœse.
EVANDER.
Es ist also, wie wo ein Baum blyhet, da sumst mit den Bienen auch das Ungeziefer her?
PYRHUS.
So ists.
EVANDER.

Aber das ist mir verdriesslich, dass sie mich immer umschwermen wollen, um [85] mir Dienste zu thun, die ich nicht nœthig habe. Ich kann diese Unterthænigkeit nicht leiden, als wær ich nicht ein Mensch wie sie sind.

PYRHUS.

Mein Sohn! Das sind die Vorrechte der Fyrsten, die nur schlecht die Myhe belohnen, die ein solcher auf sich nihmt, ihre Geseze zu verwalten und ihr Wol zu besorgen.

EVANDER.

Mein Vater! Aber wenn sie einen aus ihnen zu ihrem Fyrsten wehlen, so werden sie den wehlen, der der weiseste und der beste ist; darum werden sie auch dich gewehlt haben. Aber wie sind sie thœricht, da sie sagen, ich werde einst yber sie herrschen, noch ehe sie wissen, ob ich weise und gut bin. Wird einer seinen Weingarten einem zu bauen yberlassen, von dem er nicht weiss, ob er die Pflege des Weinstoks versteht?

[86]
PYRHUS.

Das ist nun einmal so angenommen. Du wirst noch unzæhlige Sachen zu fragen haben. Aber sage mir, du scheinst mir so unruhig, als wenn du mir unwillig nach meinem Palaste folgtest?

EVANDER.
Ich folge dir willig, mein Vater! wenn nur – – –
PYRHUS.
Wenn nur?
EVANDER.
Wenn nur Alcimna, ach!
PYRHUS.

Du seufzest, mein Sohn! Fyr sich. Er weiss die Geschichte seiner Alcimna noch nicht; ich will ihn mit dem angenehmsten Entzyken yberfallen.

EVANDER.
Wenn nur Alcimna mir folgen darf!
[87]
PYRHUS.

Alcimna! Ich habe von deiner Liebe gehœrt, mein Sohn! aber erst sollst du des Arates Tochter, sehen, die hab ich zu deiner Gemahlin bestimmt.

EVANDER.
Ach Vater!
PYRHUS.
Wie sehr wyrdest du meine Wynsche betriegen, wenn du mir unwillig gehorchtest.
EVANDER.
Ach Gœtter! wie bin ich unglyklich!
PYRHUS.
Du darfst sie nur sehen, um sie zu lieben; sie ist schœn wie der Tag.
EVANDER.
O mein Vater! Erlaube, – – ach mein Vater! Unmœglich werd ich – –
PYRHUS.
Still! Da kœmmt ihr Vater.
[88]
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
Arates, die vorigen.

ARATES.

Erlaube mir, mein Prinz! dass ich meine Tochter vor dich fyhre, die so æhnliche Schiksale mit dir gehabt hat. Aber – – – warum so traurig, mein Prinz?

EVANDER.

Ich muss sie sehen, weils mir mein Vater befiehlt. Bey Seite. Ach ihr Gœtter! Mein Vater hat mein Elend beschlossen!

ARATES.
Ich hoffe doch, es werde kein Unglyk diese Tage der Freude gestœrt haben.
PYRHUS.
Die Liebe machts, dass er diese Gegenden so ungern verlæsst.
ARATES.
Der Prinz wird unter den schœnsten von[89] fyrstlichem Stamme zu wæhlen haben.
PYRHUS.

Ich habe mit der besten Sorge fyr ihn gewæhlt; und eben das macht ihn untrœstlich. Wo ist deine schœne Tochter?

ARATES.
Da kœmmt sie.
7. Auftritt
Siebender Auftritt.
Alcimna, mit ihren Aufwærterinnen hinten auf dem Theater; die vorigen.

ALCIMNA.

O ihr Gœtter! So muss ich izt dem Prinz zur Schau zugeschleppet werden, und dich nicht sehn, den ich allein liebe, den ich allein lieben werde.

EVANDER
steht ganz traurig, die Hand vor seinem Gesicht.
Sie kœmmt; ich hœr es, ich Elender!
[90]
ALCIMNA.
Ach! da bin ich; ich vermag vor Schmerzen nicht zu reden.
EVANDER
sieht erstaunt auf.
Wie! was tæuscht mich? Diese traurige Stimme kenn ich. Ist – – –
ALCIMNA.
Gœtter! Haltet mich, Freundinnen! haltet mich! Ist das der Prinz? O Evander!
EVANDER.
Verwirrung! Was seh ich! O Entzyken! Bist du Alcimna?
ARATES.
Gœtter! Was seh ich! Welch Entzyken schwebt auf ihren Gesichtern!
EVANDER
læuft zu Alcimna, und umarmt sie.
O! mich tæuscht doch kein Traum; du bist es, du bist meine Alcimna.
[91]
ALCIMNA.
O Evander! Mein Geliebter! Was fyr Entzyken! Wie wunderbar haben wir uns wieder gefunden!
EVANDER.
Den Augenblik noch hielt ich mich fyr den Elendesten; izt bin ich der Glykseligste auf Erde.
ALCIMNA.
Den Augenblik dacht ich, vor Schmerzen zu sterben; und izt fass ich mein Entzyken nicht.
PYRHUS.

Eure Liebe, ihr Kinder! sey von den Gœttern gesegnet! Sie haben euch fyr einander bestimmt. Du bist es zufrieden, mein Freund?

ARATES.
Ich muss mich von meinem Erstaunen erholen, um meine Freude und meinen Dank dir zu sagen.
[92]
PYRHUS.
Lasst uns gehen, Kinder! Die Hirten der Gegend mœgen euer Freuden-Fest feyern.
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TextGrid Repository (2012). Gessner, Salomon. Drama. Evander und Alcimna. Evander und Alcimna. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D54E-7