Lycas, oder die Erfindung der Gärten

Izt schließt uns der stürmende Winter ins Zimmer, und Wirbelwinde durchwühlen den silbernen Regen der Floken; Izt soll mir die Einbildungskraft den Schaz von Bildern öfnen, die sie in dem blumichten Lenz und in dem schwülen Sommer und in dem bunten Herbst sich gesammelt; aus ihnen will ich izt die schönsten wählen, und für dich, schöne Daphne! in Gedichte sie ordnen. So wählt ein Hirt seinem Mädchen zum Kranz nur die schönsten Blumen. O daß es dir gefalle! wenn meine Muse dir singt, wie in der Jugend der Tage, ein Hirt der Gärten Kunst erfand.

Das ist der Ort, sprach Lycas, der schöne Hirt, hier unter diesem Ulmbaum ists, wo gestern, als die Sonne wich, die schöne Chloe mir die ersten Küsse gab; hier standst du und seufztest, als meine zitternden Arme dich umschlangen, als meine stokende Stimme meine Liebe dir sagte, und mein pochendes Herz und meine Thränen im Aug. O da Chloe! da entsank dein Hirten-Stab der zitternden Hand, da sankst du an meine bebende Brust; Lycas! so stammeltest du, o Lycas! ich liebe dich! Ihr stillen Büsche, ihr einsamen Quellen seyd Zeugen, euch hab ich meine Liebe geklagt, und ihr, ihr Blumen, ihr tranket meine Thränen wie Thau!

[39] O Chloe wie bin ich entzükt! welch unaussprechliches Glük ist die Liebe! hier dieser Ort sey der Liebe geheiligt! Ich will um die Ulme her Rosen-Stauden pflanzen, und die schlanke Waldwinde soll sich an ihrem Stamm hoch hinauf schlingen, mit den weissen Purpur-gestreiften Blumen geschmükt; ich will hieher den ganzen Frühling sammeln; die schöne Saat-Rose will ich hier bey der Lilie pflanzen. Ich will auf die Wiesen und auf die Hügel gehen, und will ihnen die blumichten Pflanzen rauben; die Viole und die Nelke, und die blaue Gloken-Blume, und die braune Scabiose, alles, alles will ich sammeln; dann soll es seyn wie ein Hain voll süsser Gerüche, und dann will ich um den Blumen-Hain her die nahe Quelle leiten, daß er zur kleinen Insul wird, und rings umher will ich einen Zaun von Dornbüschen pflanzen, daß die Ziegen und die Schafe ihn nicht verwüsten. O dann kommet, ihr, die ihr der Liebe lebt, seufzende Turteldauben, kommt dann im Wipfel der Ulme zu klagen, und ihr, ihr Sperlinge, verfolgt euch durchs Rosen-Gebüsch, und singt von wiegenden Ästen, und ihr, ihr bunten Schmetterlinge, haschet euch im Blumen-Hain, und paart euch auf wankenden Lilien.

Dann sagt der Hirt, der vorüber geht, wenn ihm die Zephire die Gerüche weit her entgegen tragen, welcher Gottheit ist dieser Ort heilig? Gehört er der Venus, oder hat ihn Diana so schön geschmükt, um müd von der Jagd hier zu schlummern?

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Gessner, Salomon. Gedichte. Idyllen. Idyllen. Lycas, oder die Erfindung der Gärten. Lycas, oder die Erfindung der Gärten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D551-E