Adolf Glaßbrenner
Die Verkehrte Welt

[1] Vorgesang

Ich hatte fast so viel wie Göthe's Faust
Vom ewigen Geheimniß mir gemaust;
Ich hatte mich in jeder Wissenschaft,
So weit sie nicht verpönt war und verpfafft,
Als guter Christ umhergetrieben;
Ich ochste in verschiedenen Logie'n;
Ich hatte mich in mancherlei Sophie'n
Versucht, und immer redlich nachgeschrieben:
Und war dabei doch ein Hans Narr geblieben.
Ich hatte Kopf und Magen mir verdorben,
Und war auch glücklich dran gestorben.
Man legte mich in einen Sarg,
Der aber, wie es uns die The-
Ologen prophezeit von je,
Nur meinen Staub, mein Schlechtstes, barg:
[1]
Kaum todt, so kroch durch Nase, Mund und Ohr
Mein Geist aus Herz und Kopf hervor;
Just im Moment, als Ich ihn aufgegeben,
Erwachte Er zu seinem wahren Leben,
Gab noch dem Körper einen Schlag,
Weil er durch dessen Schuld so lang in Fesseln lag,
Warf Alles fort, was ihm hier angemeistert,
Was ihm die Schule, Sitte und Gesetz
Und alle Zappelnden im weiten Bildungs-Netz
An seiner Freiheit hatten angekleistert;
Behielt nur Das, was er in keckem Muth
Ursprünglicher und frischer Zeugungskraft
Sich selber in sich selbst geschafft,
Und wurde so, wenn ich nicht irre: absolut.
Mein Geist war überall, in allen Nähen, Fernen:
Er sprach mit Blumen, glänzte aus den Sternen,
Sang mit den Nachtigallen, war ein Stück Mission
Von Frankreichs Louis, von Napoleon;
Sprach aus dem Donner, aus Geheimenräthen,
Aus Wogenliedern und aus Bartverbots-Decreten!
Er war, uneingeschränkt von Zeit und Raum,
Lichtaufgelöst im großen, ew'gen Ur,
[2]
In höchster Wirklichkeit, in schönstem Traum
Als Wesenheit in Gott, als Gott in der Natur.
Bald aber ward ihm dieses Erden-Himmelsband,
Die Allgemeinheit, furchtbar ennuyant,
Das Anundfürsichsein, ach, viel zu weit und stät!
Er dissonirte noch in den Accorden
Der freien Einen Harmonie,
Der Alldurchfluthenden Sympathie;
Er war noch nicht ganz Er geworden,
Und sehnte sich zurück nach Subjectivität.
Kaum rief er diesen Wunsch, so ward ich wieder Ich
Und kam, im höchsten Geister-Sinn, zu Mich,
Da jenes Ich des Mir, zu dem ich nicht gekommen,
Das kleine Sternchen Erde hatte weggenommen.
Gottlob, ich ward Subjekt! Ich hatte Frack und Hosen;
Ich brauchte nun nicht mehr im Sturme mitzutosen,
Nicht mitzublühn und duften mit den Rosen,
Nicht zu entspringen aus der Konstitutionellen
Gehirn, um zu citir'n Gesetzesstellen!
Nicht mitzu-zirpen, meckern, blöken, schrei'n!
Ich brauchte nicht kartoffelkrank zu sein,
[3]
Nicht mitzuweinen bei der Armuth Lasten,
Nicht mitzujubeln wenn die Reichen praßten,
Nicht mitzukrähen wenn die Krähe krächzte,
Nicht mitzuseufzen wenn der Fällbaum ächzte,
Nicht mitzureimen in dem ew'gen Sterngedichte!
Mein Geist war dieser Objectivität so satt!
War noch nicht reif für sie! Ich wurde müd' und matt,
Und setzte wieder mich mit J.G. Fichte.
Zurück! erscholl's durch alle Tausend Himmel,
Und plötzlich wurde jede Kraft Gestalt;
Ich sah den Geist, umgeben vom Gewimmel
Lammfrommer Engel, nun als Eine Gottgewalt.
Zu seinen Füßen lagen Hella's Menschengötter
Mit Dornenstacheln in der blut'gen Brust,
Und hinter ihnen stand der alte Spötter
Der Negation, sich seines Werths bewußt.
Er lachte höhnisch, packte mich beim Kragen
Und flog mit mir durch's weite Sternenzelt;
So ward ich Millionen Meilen weit getragen
Bis zu dem Sterne: »Die Verkehrte Welt.«
Es ist ein Stern, den allerdings die Gnomen,
[4]
Die allerdings sehr klugen Astronomen,
Verleugnen werden und verlachen;
Den aber ich durch Erd-Autoritäten –
Und wenn sie ihn mit Füßen träten –
Mir nicht zum Humbug lasse machen!
Es ist ein Stern nicht weit vom großen Bären,
Der Venus und Asträa im Gesicht,
Liegt in der Mitte beider Hemisphären
Und hat, wie unsre Erde, wenig Licht.
»Hier, Erdenwurm!« so rief der Satan grinsend,
»Hier sollst du bleiben, bis dein Geist gereift;
Bis er, aufgehend in dem Wust der Allmacht,
Den süßen Egoismus abgestreift!
Leb' wohl, und klinge nur nicht gar zu balde
In jene Harmonie der Bläße ein!
Bleib', was du bist, du bist drum nicht verlassen:
So lange du ein Ich bist, bist du mein!«
Mit diesen Worten war der Narr verschwunden;
Ich aber stand in der Verkehrten Welt,
War Mensch mit halben Menschen, hatte Stiefel
Und Hosen an und in der Hose Geld;
[5]
Ich aß und trank, und hatte Tausend Pläne,
Und war beim ersten schon erschlafft;
Ich lästerte an Andern Meine Fehler,
Und fand mich selbst untadelhaft.
Ich log und prahlte, wußte Tausend Dinge,
Die all' zusammen keinen Heller werth;
Ursprünglich Großes ward von mir bespöttelt,
Das Angebettelte verehrt;
Das ew'ge Wunder nannte ich gemein,
Das Schlecht-Abnorme aber wunderbar,
Was auf der Hand lag, wühlte mir im Kopfe,
Das Niebegreifliche, das war mir klar;
Verzerrtheit und Verleugnung hieß ich Sitte
Und tanzte wie ein Bär nach ihren Pfeiferei'n;
Verbuhlte Kraft, erblaßter Geist und Wille
Galt als gebildet, vornehm mir und fein;
Die Eitelkeit zerstörte meine Sinne;
Ich fühlte mich, das Andre war mir fremd;
Ich log der Wahrheit vor, daß ich sie liebe,
Und fand die Schönheit nur im plumpen Hemd;
Ich spei'te auf den kecken Blitz des Geistes,
Der aus dem Genius der Freiheit flammt;
Ich rutschte auf den Knien vor allen Götzen
[6]
Der Tradition und hielt mich für verdammt;
Ich schlang den Lorbeer um den trocknen Jammer
Den man Ehrwürde, Ernst und Sitte nennt,
Und zürnte auf die Heiterkeit, die goldne,
Der Geister glücklich Element;
Ich schrie nach Freiheit draußen vor der Thüre,
Und trat in's Haus und herrschte als Despot;
Ich war Despot, und folgte blind und knechtisch
Der Narrheit und der Bosheit Machtgebot;
Ich schrie nach Freiheit, ich, mein eigner Sklave
In meiner Schwächen, meiner Laster Koth,
Ein Wesen, Gott und alle Welt studirend,
Und neidisch-geizend um des Nachbars Brod,
Das kränkelt, jammert, heult durch's ganze Leben
Und dennoch schreckt und zittert vor dem Tod!
Kurz: statt zu leben mußt' ich wieder beben!
In's alte Dasein wiederum begraben
Ward der Verkehrten Welt ich hingegeben:
Ein Mensch, ein Geck, mit manchen hübschen Gaben!
Was ich nun hier erlebt, gehört, erblickt,
Ich hab's, so weit es mir im Kopf geblieben,
Zur Kurzweil und Belehrung aufgeschrieben
[7]
Und hoffentlich Euch unten zugeschickt.
Ich bring' das Manuscript, verpackt und eingenäht,
Und auch frankirt, zur Sternenschnuppen-Post,
Die jedes Mal bei glücklichem Nordost
Von hier direct nach Deutschland geht.
So wird's – falls auf der letzten Station,
Zwei Tausend Meilen von der Erden,
Wo alle Güter für jedwede Nation
Geordnet und hinabgeworfen werden,
Nicht ein Versehn geschieht – und falls mein schön Gedicht
Wie sein Poet, fest seine Richtung hält,
Und nicht in's Wasser und, durch Zufall, nicht
Herrn Hassenpflugen vor die Füße fällt –
Und falls im deutschen Land noch ein Verleger lebt,
Dem's prinzipiell nicht gänzlich widerstrebt,
Ein solches Opus ohne Honorar zu drucken
Und den Gewinn allein zu schlucken –
So wird es, nein! und falls die Muckerei,
Die manchen Orts ein wenig spionirt,
Dies Buch nicht etwa in der Druckerei
Verpönt und als gefährlich confiscirt,
Weil schon der Titel, den es bringt,
Zu Mißvergnügen höchst erregend klingt –
[8]
So wird es überall, auf Sopha's und auf Stühlen,
Am Thron, am Arbeitstisch und an den Herden,
In weichen Betten und auf harten Pfühlen,
Von adligen und bürgerlichen Wesen,
Von Dummen und von Klugen viel gelesen,
Und von den Klugen sehr gepriesen werden.
Doch bitt' ich Euch, Ihr Herrn und schönen Frauen,
Daß Ihr hier nicht nur die barocksten,
Heterogen- und paradoxten
Geschichten hören wollt und schauen!
Zwar bring' ich viel Extravagantes,
Doch auch mitunter ganz Bekanntes,
Und wer nur Jenes hat gewollt,
Und etwa mir, dem Stern-Touristen,
Dem mit dem Tod belohnten Christen
Und himmlisch-sel'gen Humoristen
Ob manches Widerspruches schmollt:
Der hat, und wäre er selbander
Arago und der Kosmos-Alexander,
Und hätte er ein Glas vom feinsten Schliffe,
Von diesem Sterne hier und seinem Leben
Die allerältesten und darum eben
[9]
Die allerfalschesten Begriffe!
Nicht Alles ist in der Verkehrten Welt
So ganz verkehrt und auf den Kopf gestellt,
Wie's drunten meinen Hinz und Kunz!
Nein, Vieles ist, ich kann es Euch beschwören,
Und Ihr sollt's selber sehn und hören:
Ganz so vernünftig wie bei uns.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Vorgesang. Vorgesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D5FC-E