Lilialinda

Kaum, daß er zur Thür hinaus war
Flötete mit süßem Tone
Es »Herein!« und Lilialinda,
Jene achtzehnjähr'ge Jungfrau
Mit der Offnen-Fenster-Liebe,
Zeigte plötzlich sich in ihren
Neunmalhundertneunundneunzig
Reizen; reizender als aller
Glaube aller gläub'gen Seelen,
Malt ich sie, mir glauben würde!
Lieblicher, ach! als der Himmel
Wachend, sinnend und im Traume
Irgend Etwas zu erblicken
Sterblichen bisher vergönnte!
Schöner, ja vielleicht noch schöner,
Als selbst frommestes Verzücken,
[65]
Und selbst meiner schönen Lieder
Schönstes je sie preisen könnte!
Kaum, daß sie erschienen, füllte
Rosenduft das ganze Zimmer,
Und mir war, als schwebten um mich,
Ihrer Kön'gin Lilialinda
Erst entflattert, Blumengeister,
Die mir leis' die Stirne küßten,
Leise singend, leise mahnend,
Hier, statt irdischem Gelüsten
Auge oder Ohr zu leihen:
Reinster Andacht mich zu weihen.
Ihre Füße waren zarte
Händchen, die den Boden kos'ten,
Daß es möge ihm behagen,
Ein ihm fremdes Himmelswesen
Einen Augenblick zu tragen.
Auf der Waden Lilienhügel,
Ach! da sah' ich Schmetterlinge,
Die da flatterten und naschten
[66]
Und mich aufzufordern schienen,
Wenn auch nicht, daß ich sie finge,
Doch mit ihnen hier zu spielen
Und, wo sie auch immer möchten
Niederlassen sich und naschen,
Und wohin auch flattern, immer
Zu versuchen, sie zu haschen!
Doch solch loses Spiel erlaubten
Nicht in dieser schönen Gegend
Zwei erhabene Marmorsäulen
Eines Tempels, einer Kirche,
Aehnlich der vom weisen König
Salomo im Hohenliede,
Dem so überaus gelungnen,
Mit so feinem Sachverständniß,
Mit so rühmenswerther Kenntniß
Und Ausführlichkeit besungnen.
Nein, der straffe Bau, die Bildkunst,
Haut- und Basreliefs, die Kuppel,
Frontispice und lichten Fenster,
Alle die geweihten Räume,
[67]
Formen, Reize, Ornamente
Dieser salomonisch-warmen,
Süß-lebendigen Liebeskirche,
Deren Altarbild ich selbst war:
Forderten mich auf zur Andacht,
Auf zum ernsten Eifer, balde
Ihren Segen zu empfangen,
Und die seligste von ihren
Seligkeiten zu erlangen!
Laßt mich schweigen von dem Nacken
Dieses himmlischen Gebäudes,
Der zum Freund von Nackenschlägen,
Von activen freilich, mein' ich,
Auch den furchtsamsten der Männer
Augenblicks umwandeln mußte!
Laßt mich schweigen von den Armen!
Arme! neben denen jeder
Crösus Bettler ward, und wieder
Crösus, wenn sie ihre Hand ihm,
Ihre kleinste Gabe, reichten!
[68]
Laßt mich schweigen von dem Halse!
Dessen Schönheit selber schuld war
Wenn bei dieser Jungfrau Jeder
Plagegeist ward und sich sehnte
Auf dem Halse ihr zu liegen.
Laßt mich schweigen von den Wangen!
Die darüber rosig lachten,
Daß in ihre Schelmengrübchen
Jedes Männerherz hineinfiel!
Laßt mich schweigen von den Lippen!
Wünscht mir, daß sie, selber schweigend,
Ewig mich verhindert hätten
Ihrer Schönheit Lob zu singen!
Laßt mich schweigen von dem Mündchen!
Wünscht mir, daß als Perlenfischer
Ich an den korall'nen Klippen
Glücklich wäre dort verunglückt
Und, im Kampfe mit den Wogen,
Aber nicht um Hülfe rufend,
Nein, gefaßt, hinabgesunken!
[69]
Laßt mich schweigen von der Nase!
Die ich, als hier Angestellter,
Irgend eines Fehlgriffs wegen
Wohl bekommen haben möchte!
Laßt mich schweigen von den Augen!
Die zu sehn mehr war der Wonne,
Als sie in der Schöpfung sahen,
Da sie sich nicht sehen konnten!
Laßt mich schweigen von den Ohren!
Denn wer würde jemals schwatzen,
Der bei solchem süßen Weibe,
Wär's auch nur das allerkleinste,
Wie ich hier, Gehör gefunden?
Laßt mich schweigen von der Stirne!
Kaum, wenn ich der größte Dichter
Und wenn solche Stirne mein wär',
Hätte ich die Stirn zu schildern,
Wie viel Anmuth, Geist und Hoheit
Heiter um die ihre strahlte!
[70]
Laßt mich schweigen von den Locken!
Die ihr Gold, um mich zu locken
Und zum Sklaven mich zu machen
Ihrer Herrin, rein verschwendet,
Da durch deren Reize alle
Von der Zehe bis zum Scheitel
Ich, vom Scheitel bis zur Zehe,
Längst ja schon gefesselt war!
Laßt von alle Dem mich schweigen!
Denn von solcher Schönheit trunken
Könnte leicht ich Dinge sagen,
Welche die blasirten, feigen,
Zippen, prüden, frommen Dichter,
Und die plumpen Sittenrichter,
Und die Jesuiten-Unken,
Die sich über's Licht beklagen,
Und die heuchelnden Hallunken
Unsrer Tage nicht vertragen!

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TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Zwölftes Kapitel. Lilialinda. Lilialinda. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D621-1