[214] Schlußgesang

Wie heißt dort im schattig grünen, im blumig-blühen-Hain,
Das altergraue, hohe, verfallene Riesengestein,
Das trotz vermauerter Fenster, trotz der Säulen, geborsten, geknickt,
Doch noch so stolz-erhaben, so groß und mächtig blickt?
Das, ob auf Fels gegründet, doch scheinbar wankt und schwankt,
Lichtscheuer Eulen Stätte, von Epheu und Reben umrankt;
[215]
Das jenen Friedhof beleuchtet mit wunderbar magischem Schein;
Wie heißt das altergraue, verfallene Riesengestein?
»Das ist der Tempel der Wahrheit! verhöhnt, verpönt, verflucht,
Weil seine Herrin, die Göttin, den Mufti's zu trotzen versucht!
Sie büßt dadrinnen die Sünde; das früher himmlische Weib
Trägt jetzt, verwandelt, auf Krücken den alten, zitternden Leib.
Das ist der Tempel der Wahrheit, dem Jeder weicht und flieht,
An dessen Altar nur je noch ein Dichter und Denker kniet,
Ein Künstler-Vagabunde, ein frecher Forscher des Lichts,
Deß Gottheit die Natur ist und der Mufti Gottheit Nichts.
[216]
Das ist der Tempel der Wahrheit, das gemeinste, ekelste Haus,
Gesitteten ein Schrecken, Guten und Frommen ein Graus!
Das ist der Tempel der Wahrheit, bespie'n, beschmiert, beschmutzt,
Der leider dem Wind und Wetter, dem Zahn der Zeit noch trutzt!«
Und also sprechend verließ mich der brave Bürgersmann,
Der mir Bescheid gegeben vom fürchterlichen Bann,
In welchen der Götzen Priester die arme Wahrheit, gepflegt
So liebevoll auf Erden, hier grausamlich gelegt.
Ich aber, wie's auch drohte zu stürzen das morsche Gestein,
Und ob's als Schmach und Sünde auch galt, trat muthig hinein;
[217]
Schritt durch die öden Gänge, durch finstre Hallen, schritt
Durch Schutt, Geröll und Trümmer, bis in des Tempels Mitt'.
Das weite, hohe Gewölbe, vermauert ganz und gar,
Beleuchtete, aufflackernd aus steinernem Altar,
Ein kleines goldnes Flämmchen, so schön, so himmlisch-hell,
Als wär's des ewigen Geistes, des ewigen Lichtes Quell!
Und oben im kühnen Bogen da funkelten Sterne mild,
Und ringsum standen mit blitzendem Griffel und Schwert und Schild
Steinbilder von Männern und Frauen, gekrönt mit Lorbeergesproß,
Aus deren Herzen ein Blutstrahl, ein rosiger, sich ergoß.
[218]
Und tief im Osten des Tempels da stand das arme Weib,
Die Wahrheit, auf Krücken tragend den alten, zitternden Leib;
Doch um ihr Haupt, das welke, glänzte ein Heiligenschein,
Und ihre Augen flößten Liebe und Andacht ein.
Und nieder sank am Altar ich und betete, betete lang,
Wie nie in meinem Leben mit solchem frommen Drang,
Und pries die geächtete Göttin, und fühlt' es in meine Brust
Einziehen wie Lerchenjubel, wie selige Frühlingslust.
»Du, deren Diener«, so rief ich, »gemartert, verfolgt, verbannt,
Erdolcht, vergiftet, erschossen, gekreuziget und verbrannt,
Und die jetzt Selbst verwunschen verwünschter Lug und Neid:
Gelobt sei und gepriesen in alle Ewigkeit!
[219]
Und haßten Dich selbst die Götter! und lechzte der Lüge Brut
Im Wahnsinn ihres Eifers zuletzt nach Deinem Blut:
Ein Tropfen würde zur Sündfluth der finstern Despotie!
Und eh' sie Dich begraben, begräbst Du Alle sie!«
Und rings die steinernen Helden hoben ihr Haupt empor,
Blickten zur Göttin der Wahrheit und riefen mächtig im Chor:
»Ein Tropfen würde zur Sündfluth der finstern Despotie!
Und eh' sie Dich begraben, begräbst Du Alle sie!«
Und die Göttin hustete lange, und schleppte sich darnach
Zu mir herab und küßte mir auf die Stirn' und sprach:
[220]
»Worte, mein Lieber, Worte! Saat, schöne, gute Saat!
Ich aber verschmachte inzwischen! Wann kommt die Ernte-That?«
»Ach, Göttin«, rief ich, »verzeihe, ich bin wahrhaftig nicht schuld!
Ich bin hier fremd! Ich stamme vom Lande her der Geduld,
Wo man Dich achtet, nicht ächtet; Dich nimmer legt in Bann!
Mich geht die ganze Geschichte hier oben ja gar Nichts an!
Und wollt' selbst meinen Muth ich loslassen, es könnte nicht sein,
Denn Muth hat man im Herzen, und mein's ist nicht mehr mein;
Das schlägt in Lilialinda, der Heißgeliebten, die
Geflohen ist, ach, verschwunden ....«
»Wie?« rief die Göttin. »Wie?
Du wärst Ernst Heiter, der Doctor?«
[221]
Und auf sprang eine Thür,
Und Lilialinda selber, der Engel, trat herfür
Und flog an meinen Busen und weinte vor Freude da.
»Du liebst mich also?« rief sie, und ich, ich weinte »Ja!
Ja, ewig werd' ich Dich lieben, Dich, Traute, mir getraut,
Dich, Poesie des Stoffes, Dich, Freiheitselige Braut!
Nicht Ein Weib bist Du, Lilia, Du bist das Weib! Du hast
Wie meine Leserinnen so viele Reize ... fast!«
Und Lilialinda erzählte wie sie seit Monden schon,
Trotz seiner Spione, dem Scheusal, dem Obermufti, entfloh'n!
Wie er um ihre Liebe bestürmt sie und mit dem Tod,
Wenn sie ihn nicht erhöre, zuletzt ihr frech gedroht.
[222]
»Und keiner Seele verrieth ich's, selbst nicht der Mutter, daß
Vor dieser verhaßten Liebe und dieser Liebe Haß
Ich hier den geächteten Tempel mir als Asyl erkürt,
Aus dem zur Menschen-Gesellschaft kein Thor zurück mich führt.«
So sprach sie und zog mich nieder zu Füßen der Wahrheit, und
Bat demuthvoll die Göttin zu segnen unsern Bund.
Und die Göttin griff in die Flamme, netzte uns Kopf und Gesicht
Und ... was bisher mir dunkel, ward plötzlich hell mir und licht!
Ich erkannte den Anfang der Dinge, das A des All's ganz klar;
Ich wußte, was dieser Dinge, aller Welten Ende war!
Ich sah' eine große Neuwelt im Schooße der Natur,
Ich entdeckte den Stein der Weisen und des Zirkel's Quadratur!
[223]
Ich hätt' ein Buch können schreiben jach überUnsterblichkeit!
Ich hörte die Uhr des Raumes, durchmaß mit demZollstock die Zeit!
Ich erkannte die Werden-Vergehen, Stoff-Geist-Identität!
Ich verstand, was der Donner donnert, was Gallus und Leo kräht!
Ich kannte den kleinsten Bruchtheil und die letztegrößeste Zahl!
Ich hatte sogar eine Ansicht über des Weltall'sMoral!
Ich wußte mit einem Wort: Alles!, war allerallerallerhöchst klug!
Nur Eines: was eigentlich adlig? Das war mir nicht klar genug.
Doch während ich darob nachsann, da hörten wir Stimmengewirr,
Hastige Männerschritte, Toben und Waffengeklirr.
[224]
»Verbergt Euch!« rief die Göttin. »Der Feind naht! Hier! Geschwind!«
Und unter den Altar kroch ich eiligst mit Lilialind.
Es war der Obermufti mit gegen dreißig Mann.
»Wo ist Ernst Heiter?« schnob er wüthend die Göttin an.
Und die Wahrheit wollte mich retten – ich aber rettete sie,
Kroch muthig aus meinem Verstecke und sagte mit Würde: »Hie!«
»Und wo Du bist! ist Sie auch!« hohnlachte der Wütherich
Und stürzte nach dem Altar hin.
Die Göttin aber strich
Mit rascher Hand die Flamme. Da wuchs sie hoch und breit,
Und deckte Lilialinda und hielt den Mufti weit.
»Verfluchte!« schrie dieser und packte mit wüthendem, rasendem Blick
Die hohe, heilige Göttin, die Wahrheit, in's Genick,
[225]
Und warf sie sich zu Füßen, zog einen Dolch und stieß ...
Nein: wollte stoßen als plötzlich Gott Ego »Halt!« ihm hieß.
Ein furchtbarer Donner krachte, rollte durch's Riesengestein,
Krachend stürzte im Osten Gebälk und Mauer ein:
Da stand die Statue Ego's mit off'nem Munde und schrie:
»Ich muß Sie unterbrechen, Herr Mufti, entschuldigen Sie!
Ich lasse Mir viel gefallen! Ich schwör's bei Mir: sehr viel!
Doch jetzt ist's aus, jetzt bin Ich mit Meiner Geduld am Ziel!
Müd' des Regierens drückte Ich stets ein Auge zu,
So oft Mir und der Welt ward gemacht ein X für U.
[226]
Ihr, Sie und Ihre Mufti's, habt Götter abgesetzt;
Habt des Olymps Verfassung geschändet und zerfetzt;
Die Welt schon unter den Füßen, habt Ihr getrachtet halt:
Uns Götter zu Muftis zu machen und Euch zur Gottgewalt!
Und jetzt, frech durch Erfolge auf diesem verkehrten Stern,
Legt Ihr die frevle Hand selbst an Uns, an Eure Herrn!
Wagt es, mit ird'schen Waffen! Das Leben zu bedroh'n
Der Wahrheit, muftilüstern nach ihrem ewigen Thron!
Ich stehe mit dieser Göttin nicht auf dem besten Fuß,
Und ließ sie darum auch schmachten in Eurer langen Buß;
Doch, wißt: wird je ihr Leben, ihr göttliches, verkürzt
Um Einen Tropfen Blutes: Ich Selber würde gestürzt!
[227]
Und lieber als Mich selber, stürz' Ich, Gott Ego, Euch!
Und mit Euch zusammen das ganze Dummdummer und Icher Reich;
Denn also steht's im Urbuch: wenn der Obermufti fällt,
So fällt nach wen'gen Minuten auch die Verkehrte Welt!«
»O«, heulten die Muftis, »erhalte uns Deine Gnade doch!
O bitte, bitte, Ego, o lass' uns leben noch!
Wir haben so hoch Dich gehalten! Wir haben Dir Opfer gereicht
Tagtäglich und gelegen vor Dir im Staube ...«
»Schweigt!
Ich weiß, weshalb mit Worten Ihr Mich so hochgeehrt:
Je höher der Thaler geltend, je mehr sind die Dreier werth!
[228]
Und was die Opfer angeht, so habe ich oft geleckt
Darnach die Zunge, derweil sie Euch Dickwänsten trefflich geschmeckt.
Es bleibt, wie Ich gesprochen, Ich, Gott der Götter und Zeit!
Ihr seid dem Tod verfallen! Kein Wort mehr! Macht Euch bereit!
Was ist's auch mehr? Ihr prieset den Tod ja stets als süß!
Ihr kommt ja nun in Euer: seliges Lustparadies!
Herr Obermufti, Sie kriegen ja bald den Lohn nun bei Mir,
Den Lohn für die Entbehrung, die Sie erduldeten hier!
Vielleicht wär' Ihnen lieber ein neu Jahrtausend, wie?
Daraus kann nichts mehr werden. Adieu! Entschuldigen Sie!«
Und furchtbarer Donner krachte, rollte durch's Riesengestein.
Gott Ego war verschwunden. Da ... stürzte der Boden ein
[229]
Beim Obermufti! Es krachte! Ein schwarzer Rachen riß
Verschlingend ihn hinunter in die ewige Finsterniß!
Und neben ihm das alte, geächtete, elende Weib
Verwandelte sich zur Göttin. Es deckte ihren Leib
Statt grauen Bettlerkittels ein duftiges Rosengewand,
Und statt der Krücke führte ein Flammenschwert die Hand.
»Laßt diesen Stern versinken: es giebt noch Welten genug!«
Sprach sie zu uns: »Ich lenke nach einer schönern den Flug.
Ich habe, ach, viel zu lange! hier mit den Verkehrten verkehrt!
Jetzt schwing' ich für andre Geschöpfe, für bess're, mein Flammenschwert!
Und Euch, die Ihr mich nimmer verachtet und mitverflucht,
Vielmehr in der Verbannung, im Elend aufgesucht,
[230]
Euch, die Ihr mich so innig fast wie Euch selber liebt:
Euch nehm' ich unter die Flügel, wenn diese Welt zerstiebt!«
Und kaum, daß sie gesprochen: Plauz!
Sturm, Donner und Gewimmer,
Blitz, Krach, Paff, Bums, Bauz, Plauz, Pardauz!
Da fiel der Stern in Schutt und Trümmer!
Und wer's nicht glaubt, daß Dies geschehn,
Der sei so gut und wende
Nur dieses Blatt und er wird seh'n,
Daß die Verkehrte Welt zu

Ende.

[231]

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TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Schlußgesang. Schlußgesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D642-8