Parlamentarismus

Heute war ich in der Kammer, oder, wie sie mir mein braver
Linguist hier übersetzte, im Gesetzgebungs-Cadaver,
Wo die falschen schlechten Reime auf des Sultans Namen nachten
Und das Volk stets zu vertreten, wie man ihnen zugab, dachten.
Was mir auffiel, war: die Rechte saß hier auf der linken Seite
Und die Linke auf der Rechten! Trotzdem muß, wenn auch, gescheidte
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Deutsche Deputirte, albern Ihr dies nennt, ich Euch betheuern,
Daß die Wirksamkeit der Kammer fast erreichte die der Euern.
Die Fraktionen in der Linken hießen »Hummer« und »Vermummer«;
Die Gemäßigt-Rechte »Schlummer« und die radikale »Kummer«;
Die Partei des Ober-Mufti's auf der Linken die »Verdummer«
Und die Herren in der Mitte die »Centrumdummdrumherummer.«
Als ich eintrat, lief und schwatzte durcheinander noch die Kammer,
Eilte aber nach den Plätzen lautlos, als mit schwerem Hammer
Kräftig jetzt der Präsident schlug auf den Amboß, und den Reigen
Der Debatte selbst eröffnend, aufstand und erhob einSchweigen.
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Und er schwieg, und schwieg sehr flüssig, schwieg wohl gegen zehn Minuten,
Doch erregte kein Int'resse, selbst nicht wenn mit resoluten
Gesten und Geberden Das er, was in seinem Innern lebte,
Auf die möglichst klarste Weise auszudrücken sich bestrebte.
Nach ihm trat ein Mensch, halb Truthahn, von der Linken auf und blickte
Lange starr auf die Versammlung; doch auch Er bracht's – durch geschickte
Wendungen des Haupts, wobei er, heftig schweigend, rechtshin ausfiel –
Nur dahin, daß von den Hummern und Verdummern ein Applaus fiel.
Einem dritten Stummen wurde, da er, was er zur Debatte
Schweigen wollte, schielend ablas von dem mitgebrachten Blatte,
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Dies entzogen und er selber, der nachdem nur noch Grimassen,
Höchst verleg'ne, schneiden konnte, unter Lachgebrüll entlassen.
Jetzt trat Einer auf vom Kummer. Er, der lebhaft mit Emphase,
Ja, mit Leidenschaft schwieg, wurde, bumms! bei einer Schweigephrase
Durch des Präsidenten Hammer unterbrochen, schwieg dann milder
Einen Augenblick, doch gleich drauf wieder wild und immer wilder.
Stampfte mit den Füßen; drohte linkshin mit gewalt'ger Fauste;
Schwieg so geistvoll, daß die ganze Rechte in Applaus aufbrauste,
Der so toll ward, als die Linke quiekte, murrte, grunzt' und pochte,
Daß zuletzt der Schweiger selber schwerlich sich verstehen mochte.
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Als er abtrat, fiel zu Füßen demonstrirend die Partei ihm,
Doch er achselzuckte als ob Lob und Beifall einerlei ihm. –
Ein Verdummer – still! – halb Affe und halb Mensch, streckt seine Tatz' aus
Und – der Präsident bewilligt's – still!! – steht auf und: schweigt vom Platz aus.
Was er schweigt – man sieht es deutlich an dem Wuthblick und dem Fletschen
Seiner Zähne, durch die manches Schimpfwort möchte durch sich quetschen –
Zielt auf den Vorschweiger, auf das radicale, äußerst rothe
Kammermitglied, das so eben noch in heil'gem Zorne lohte.
Und gleich wieder springt es auf jetzt, und versetzt durch schnelles Stummsein
Und durch eine Pantomime, die, und sollt' es noch so dumm sein,
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Jedem Kinde leicht verständlich, einen solchen Hieb dem Affen,
Daß die Rechte hell auflachte und selbst lächelten die Pfaffen.
Der Tumult, der ausbrach, wurde schnell durch einen wahren Mordblick
Des Vorsitzenden ersticket. Drauf ertheilte er das Wort (sic?)
Einem hochgeöhrten Staatsmann, der als Tacitus in Ruf stand,
Und auf streng histor'schem Boden stets mit seinem Eselshuf stand.
Er stand eine volle Stunde schweigend da auf der Tribüne
Mahnend durch höchst virtuose Mienen rechts und links zur Sühne;
Mahnend den Extravaganzen der Prinzipe zu entsagen
Und, statt Sich, statt aufeinander, heut zum Centrum sich zu schlagen.
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Rauschender Applaus ward diesem Abgeordneten zum Lohne,
Und dem Tacitus-Erfolg noch dadurch aufgesetzt die Krone,
Daß des Kriegs-Rocks Excellenz jetzt rasch auf die Ministerbank stieg
Und dem eben abgetret'nen Volksvertreter einen Dank schwieg.
Mind're Gunst ward einem Hummer, der mit rohem Faustgedrohe
Alsogleich stieg zur Tribüne. Die Versammelung, die hohe,
Lief, als der Restaurationsheld inwendig hier raisonnirte,
Großentheils nach dem Büffet hin, wo sie selbst sich restaurirte.
Erst des Präsidenten Hammer machte die Gesetzesgeber,
Die zum Wohl des Staates durchaus frisch und frei weg von der Leber
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Durften schweigen – wenn auch langsam, äußerst langsam nur, allmälig,
Den Cadaver wieder füllen, bis zuletzt er ganz vollzählig.
Die Debatte war zu Ende. Jetzt galt's über jene Summen,
Die bewilligt werden mußten, ordnungsmäßigabzustummen.
Also war der Modus: »Nein!« hieß Kopf hoch und am Daumen saugen;
»Ja!« den Kopf gebeugt, die Hände beide haltend vor die Augen.
Der Credit-Antrag der hoh'n Regierung forderte zur »Kettung
Der Tibianer« Drei Millionen und die gleiche Summ' zur »Rettung
Armer Ritter,« die enterbt man aus dem mathematisch klaren
Grunde hatte, weil sie jünger als ihr ält'ster Bruder waren.
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Das Abstummungs-Resultat war glänzend, denn es wurden beide Steuern
Mit Majorität bewilligt und zwar mit 'ner ungeheuern:
Fast Dreihundert Deputirte deckten, kopfgebeugt, die Augen,
Und nur etwa zwanzig Gegner thäten sich am Daumen saugen!
Auf der Heimkehr sprach ich: »Wahrlich, niemals noch sah' ich ein närr'scher's
Parlament!« zu Einem von der Namensvetterschaft des Herrschers,
Und gestand, daß von der ganzen, eigenthümlichen Debatte
Jedes Wort ich und drum eben nicht ein Wort verstanden hatte.
»Warum schweigt Ihr?«
»Sehr begreiflich!« sprach er.
»Denn daß wir uns zwischen
Inn're Politik, die gänzlich administrativ ist, mischen,
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Duldet's Ministerium nimmer! Und der Sultan wieder liebt's nicht,
Daß die äuß're wir berühren! Eine dritte aber giebt's nicht.«

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TextGrid Repository (2012). Glaßbrenner, Adolf. Gedichte. Die Verkehrte Welt. Dreiundzwanzigstes Kapitel. Parlamentarismus. Parlamentarismus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D6BB-7